Dunkler Herrscher - Marc Stehle - E-Book + Hörbuch

Dunkler Herrscher E-Book und Hörbuch

Marc Stehle

4,6

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Beschreibung

Sein Leben lang hat der junge Paladin Menden den sechs Reichen und seinem Orden mit bedingungsloser Hingabe gedient, doch seiner Treue zum Trotz wird er eines Tages eines grausamen Verbrechens beschuldigt. Auf der Flucht, verzweifelt und von seinen einstigen Ordensbrüdern gejagt, entschließt er sich zu einem undurchschaubaren Pakt mit den Mächten der Dunkelheit. Und während die Grenzen zwischen Freund und Feind immer weiter verschwimmen, wird Menden in einen heraufziehenden Krieg zwischen Orks, Zwergen und Tiermenschen verwickelt. Noch ahnt er nicht, wessen finsterer Wille wirklich hinter den sich anbahnenden Ereignissen steckt, welche ganz Thersia in ihren Grundfesten zu erschüttern drohen. Ein Krieger des Lichts, verloren in den Schatten. Eine Welt am Abgrund. Die Zeit der Finsternis bricht an.

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Seitenzahl: 796

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Zeit:18 Std. 19 min

Sprecher:Alexander Philipp Hahne
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Dunkler Herrscher – Geist der Finsternis

eBook Ausgabe 06/2016

Copyright ©2016 by Eisermann Verlag, Bremen Illustration Weltkarte: Bookdresses CoverdesignUmschlaggestaltung: Legendary Fangirl DesignShutterstock.com |377776993|121575841Satz: André FerreiraKorrektur: Myriam BlümelLektorat: Katrin Opatz

http://www.Eisermann-Verlag.de

ISBN: 978-3-946172-27-7

Marc Stehle

Dunkler Herrscher

Geist der Finsternis

Marc Stehle wurde 1986 in Singen am Bodensee geboren und entdeckte in bereits frühen Jahren die Faszination und Liebe nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Schreiben für sich.

Dies und seine durch Romane, Spiele und Filme angefachte Leidenschaft für Fantasy gipfelte schließlich in der Schaffung der Welt von Thersia, und dem ersten Teil der darin angesiedelten “Dunkler Herrscher”-Reihe, seinem Debütroman “Geist der Finsternis”.

~ 1 ~

Der Regen fiel in dicken, lauen Tropfen vom Himmel und vermischte sich mit zahllosen Tränen.

Der Angriff hatte kurz vor Morgengrauen stattgefunden und war so schnell vorüber gewesen, dass sich das Schwarz des nächtlichen Himmels gerade einmal zu einem dunklen Grau hatte wandeln können. Lediglich ein heller Schein jenseits der östlichen Berggipfel kündete davon, dass sich sehr bald die Sonne erheben und den neuen Tag einläuten würde.

Begrüßen würde sie ein Dorf gebunden durch Angst und Ketten.

Wenngleich an den östlichen Grenzen des Zwergenreiches Järngard gelegen, so waren die meisten Bewohner von Weidenwacht doch Menschen. Menschen, deren Vorfahren vor vielen Jahrhunderten in dieses Land gekommen waren, um an den westlichen Hängen des Gemmenglanz-Gebirges Schafe und Rinder zu züchten. Allein der Schmied war ein Zwerg gewesen - was nicht verwunderte, galt seinesgleichen doch als das im Handwerk und der Schmiedekunst am meisten begabte Volk der Sechs Reiche, ja vielleicht sogar ganz Thersias. Nun jedoch lag er mit gespaltenem Schädel in seiner Werkstatt, denn der ebenso berüchtigte zwergische Trotz hatte ihn dazu verleitet, mit einem Schmiedehammer auf die frühmorgendlichen Angreifer loszugehen, statt sich wie die anderen Einwohner zu ergeben.

Der Gedanke versetzte Branni einen Stich ins Herz. Tulfur hatte zwar stets grimmig gewirkt, war jedoch immer gut und großzügig zu ihm und den anderen Kindern des Dorfes gewesen. Er hatte auch den kleinen, hölzernen Ritter geschnitzt, den der Achtjährige nun fest mit beiden Händen umklammert hielt, während er zusammen mit seinem Vater und den anderen Bewohnern von Weidenwacht auf dem Marktplatz kauerte, verzweifelt darum bemüht, nicht die Aufmerksamkeit der über ihnen aufragenden Angreifer auf sich zu ziehen.

Reichtümer würden sie hier nicht finden; Weidenwacht bestand aus knapp zwanzig kleinen, mit Stroh gedeckten Holzhütten, die kreisförmig um den Marktplatz platziert waren. Wesentlich interessanter waren die großen Stallungen an den äußeren Rändern der Ortschaft, in denen nachts und während des Winters das Vieh untergebracht wurde. Genau das war es, was die Plünderer begehrten. Gold und Edelsteine kümmerten sie nicht, ihre Gier richtete sich ganz und gar auf Fleisch, das sie roh in ihre Mäuler schaufelten. Schließlich waren sie kaum mehr als Tiere.

Schließlich waren sie Therianer.

Branni hob neugierig den Blick, als eines der Wesen nur eine Armlänge entfernt zwischen den knienden Dorfbewohnern hindurchschritt. Der Unterleib war mit dichtem, schlammbraunem Fell bewachsen, die dürren Beine endeten in gespaltenen Hufen ähnlich denen eines Elchs, während der nackte Oberkörper unter einer borstigen Schwarte verschwand. Doch das mit Abstand Abscheulichste war das Gesicht: Die linke Hälfte hätte die eines Menschenmannes sein können, während die rechte wie das verzerrte Abbild eines Ziegenschädels anmutete. Statt einer Nase hatte das Wesen große Nüstern, die sich beim Atmen aufblähten, und aus seiner rechten Schläfe ragte das gewundene Horn eines Bocks.

Der Therianer schien den Blick des Jungen bemerkt zu haben. Doch als er gerade stehen blieb und sich umwandte, spürte Branni die starke Hand seines Vaters im Nacken, die seinen Kopf nach unten drückte. Mit wild schlagendem Herzen konzentrierte er sich auf die Ritterfigur in seinen Händen, bis der Unmensch mit einem Blöken wieder abdrehte und seinen Weg durch die Menge fortsetzte.

Branni lugte achtsam auf, über die gesenkten Köpfe der etwas mehr als einhundert Einwohner hinweg, auf die der schwere morgendliche Regen herniederging: Männer und Frauen, Kinder und Alte, erstarrt in stiller Furcht. Als man sie zusammengetrieben hatte, war das Schluchzen und Weinen beinahe ohrenbetäubend gewesen, aber die Therianer hatten dem Einhalt geboten, indem sie zwei Männer und eine Frau aus der Menge gezogen und ihnen vor den Augen aller die Kehlen zerbissen hatten.

Keiner der umherwandernden Unmenschen glich dem anderen, sie alle waren bizarre Mischwesen, deren einstige Menschlichkeit durch Klauen, Fell, Fangzähne und Schweife diverser Tiere entstellt wurde. Das Haupt des einen war auf eine Weise verzerrt, die an den Schädel eines hässlichen Hundes erinnerte, während sein Rücken von dicken, echsengleichen Schuppen überzogen wurde und sich seine Beine zu schweineartigen Läufen verdreht hatten. Ein anderer hatte dicke, haarige Arme, die in Bärentatzen endeten, Ochsenbeine und einen Kopf, der eine Mischung aus Puma und Elch zu sein schien. Aus seinem Steiß ragte eine bräunliche Wolfsrute.

Ihr Anführer ragte als Krone der Abscheulichkeit heraus, wie er auf einem Ochsenkarren hockend mit blutrot funkelnden Augen auf die unterworfenen Menschen herabstierte. Der Leib war der eines Bären, groß und breit, und von dichtem, schwarzem Fell bedeckt. Allein der Bauch, eine breite, über die Hüfte herabhängende Wampe, war unbehaart. Die Hände wirkten menschlich, doch groß wie der Kopf eines ausgewachsenen Mannes und in langen Krallen endend. Beine und Hufe erinnerten an einen Elch, während der Kopf von dem mit Abstand hässlichsten Wildschwein stammte, das Branni jemals gesehen hatte. Seinen Körper hatte er über den Griff eines mannshohen Morgensterns gelegt, der noch immer furchteinflößend wirkte, auch wenn das Eisen der Waffe an weiten Stellen bereits Rost angesetzt hatte. Dass er überhaupt dazu imstande war, eine Waffe zu benutzen, machte ihn bereits zu einer Seltenheit in den Reihen der Therianer.

Im Gemmenglanz-Gebirge, der Grenze zwischen dem Reich der Tiermenschen und dem Land der Zwerge, erzählte man sich viele Geschichten über die Unwesen und nicht selten wurde unartigen Kindern damit Angst gemacht, dass der Fürst der Therianer während der Vollmondnächte durch die Dörfer der Menschen schleichen und jene verschleppen würde, die ihren Eltern nicht gehorchten. Diese Unglücklichen würden in Therianer verwandelt, dazu verdammt, auf ewig dem Dunklen Fürsten zu Diensten zu sein und Jagd auf all jene zu machen, die sie einst geliebt hatten.

Früher hatte Branni solche Erzählungen als Spukgeschichten abgetan. Heute war er sich da nicht mehr so sicher.

»Hexe!«

Branni zuckte erschrocken zusammen, als die kratzige Stimme des Therianerhäuptlings über den Marktplatz grollte. Er ließ seinen Blick über die vor ihm versammelte Menge streifen, der kantige Schädel bewegte sich langsam von links nach rechts und wieder zurück. Es wirkte beinahe so, als hielte sie nach etwas Ausschau. Dann ließ er das untere Ende seiner Waffe auf die Pflastersteine knallen und wiederholte lauter und bedrohlicher: »Hexe?«

Niemand erwiderte etwas, lediglich hier und da wurden kurze Blicke zwischen Dorfbewohnern ausgetauscht. Hexe? Branni war verwirrt. Hier gab es keine Hexen. Hexen lebten in vernebelten Sümpfen und den Wäldern der Hinterlande, aber weder in Järngard noch in einem anderen der Sechs Reiche. Hexen waren böse und wer böse war, wurde dort nicht geduldet.

Branni schluckte schwer. Aber das konnte man auch von den Therianern behaupten.

Und doch waren sie hier.

Nachdem erneut keiner der Gefangenen reagierte, stieß der Bestienmensch ein zorniges Grollen aus, seine Pranke hob sich zu einer wegwerfenden Bewegung. Männer keuchten und Frauen schrien panisch auf, als die umherstolzierenden Therianer willkürlich einige der Dorfbewohner packten und unter Blöken und Knurren durch die Menge trieben. Dorthin, wo noch immer die drei anderen Toten zu Füßen ihres Anführers lagen und einen grausigen Ausblick darauf boten, welches Schicksal diesen Unglücklichen wohl bevorstand.

Ein Ruck ging durch Branni, als sein Vater neben ihm mit einem Mal von einer grotesken Mischung aus Mensch, Luchs und Ratte ergriffen und ebenfalls fortgeschleift wurde. Der Junge schrie auf, Tränen trübten seine Sicht. Er war im Begriff, seinem Vater hinterherzulaufen, als ihn eine kräftige Hand von hinten zurückhielt. Über das krampfhaft durch seine Brust rollende Schluchzen hinweg hörte er eine gesenkte Stimme hinter sich: »Es wird alles gut, Junge, hab keine Angst.«

Es fiel Branni schwer, seinen Blick von seinem sich immer weiter entfernenden Vater abzuwenden, doch die Zuversicht in den Worten des anderen brachte ihn dazu, sich die Tränen aus den Augen zu wischen und über die Schulter zurückzublicken.

Links hinter ihm kniete eine verhüllte Gestalt zwischen den übrigen Dorfbewohnern, der Großteil ihres Gesichts war unter der Kapuze eines bodenlangen, braunen Umhangs verborgen. Brannis Augen weiteten sich vor Überraschung. Für einen kurzen Moment sah er rotes Eisen und einen silbrig glänzenden Schwertknauf unter dem schäbigen Überwurf hervorblitzen.

Und ihm wurde klar, dass tatsächlich alles gut werden würde.

Brannis Herz machte einen Satz, als sein Vater plötzlich stolperte und zwischen den anderen Dorfbewohnern zu Boden ging. Der Therianer, der ihn mit sich gezerrt hatte, brüllte verärgert, war mit einem raschen Schritt über dem Gestürzten und hob seine Krallen, um ihn für seine Ungeschicktheit zu strafen.

Sein Knurren wurde zu einem heiseren Aufschrei, als zwei funkelnde Schwertklingen aus seiner Brust drangen. Rot gefärbter Speichel quoll aus seinem Maul, seine Augen verdrehten sich in den Höhlen nach oben und er brach ohne einen weiteren Laut zusammen. Hinter dem Sterbenden kam ein weiterer in einen Kapuzenumhang gehüllter Mann zum Vorschein, die von frischem Blut triefenden Schwerter fest in den behandschuhten Händen haltend.

Für einen sehr langen Augenblick schien die gesamte Welt wie festgefroren zu sein, dann brach Chaos über den Marktplatz herein.

Therianer drängten aus allen Richtungen auf den Vermummten zu, stießen gefangene Dorfbewohner zur Seite oder rannten einfach über sie hinweg. Ihr Häuptling sprang von seinem Heuwagen und unter dem Aufprall schienen die Mauern der umstehenden Häuser zu erbeben, während er den Morgenstern hochriss und seine Untergebenen auf den neuen Feind hetzte.

»Wartet, bis sie alle abgelenkt sind, lauft zu den Häusern und verbergt euch!«

Vor lauter Aufruhr hätte Branni beinahe den Mann hinter sich vergessen. Gerade wollte ein weiterer Therianer an ihnen vorbei in Richtung des sich anbahnenden Kampfes eilen, als der Fremde aufsprang. Ein singender, silbern strahlender Lichtbogen fuhr durch die Morgenluft. Der Umhang glitt von den Schultern des Mannes und kam etwa zeitgleich mit dem tödlich getroffenen Therianer auf.

Staunend, Herz und Verstand fernab allen Schreckens und aller Furcht der vergangenen Stunden, sah Branni zu dem Krieger hinauf, der sich aus den Reihen der Unterdrückten erhoben hatte. Innerhalb eines Augenblicks war die Verzweiflung der Hoffnung gewichen.

Der Krieger war durchschnittlich groß und von sehniger Gestalt mit dunklen Augen und kurz geschnittenem, schwarzem Haar. Er trug einen leichten Brustharnisch, dazu Schulterplatten sowie Arm- und Beinschienen, allesamt aus karmesinrotem Eisen mit silbernen Verzierungen. Ein roter Waffenrock und schwarze, kniehohe Stiefel rundeten das Bild ab. An einem breiten Gürtel steckte linkerhand eine kunstvolle Schwertscheide, auf der anderen Seite war daran eine Handarmbrust aus dunklem Holz mit Silberverzierungen eingehakt. Sowohl mittig auf der Brustplatte als auch auf der silbernen Gürtelschnalle glänzte das Wappen seines Ordens, eine Flamme in einem sechseckigen Feld.

Branni hielt ehrfürchtig den Atem an.

Die Paladine des Feuerordens waren gekommen, um ihnen beizustehen!

»Los jetzt!«

Menden spürte die Blicke von mindestens einem Dutzend Therianer auf sich ruhen, welche sich durch die Menge drängten, die inzwischen großteils aufgesprungen war und nun vom Markplatz flüchtete. Er bemerkte, wie der Junge an seiner Seite von seinem Vater gepackt und ebenfalls davon gezerrt wurde.

Unmenschliche Schreie ertönten und Menden gestattete es sich kurz, zum anderen Ende des Platzes zu blicken. Der Ordensbruder, der das erste Therianerblut vergossen hatte, ließ bereits seine beiden Schwerter durch die Luft wirbeln und köpfte just in diesem Moment zwei weitere Bestienmenschen mit einem perfekt abgestimmten Doppelhieb, als sich ein grotesker Schweinebärmann von hinten gegen ihn warf. Der Paladin ließ die Klingen in den Handflächen kreisen, stieß sie unter seinen Oberarmen hindurch nach hinten und mitten in die Brust des Unwesens, das sich durch die Wucht seines Angriffs praktisch selbst darauf aufspießte. Er bekam noch den Umhang des Kriegers zu fassen und riss diesen mit sich, während er rücklings umfiel und womöglich einen kurzen Blick auf die nun unverhüllte Gestalt seines Bezwingers werfen durfte, ehe er schließlich verendete.

Als Bruder des Feuerordens trug Edmûnd dieselbe Rüstung am Leib wie Menden, davon abgesehen hatten die beiden rein äußerlich jedoch nur wenig gemein. Er war ein kleines Stück größer und breiter gebaut, das Blau seiner Augen schien angesichts des tobenden Kampfes noch heller zu leuchten als üblich. Seine zu einem angedeuteten Lächeln verzogenen Lippen wurden von einem kurz geschnittenen, dunkelblonden Vollbart umrahmt, welcher wiederum nahtlos ins zurückgelegte Haar überging.

Die Zwillingsschwerter aus Sterneneisen tanzten erneut, zwei weitere missgestaltete Leichen gesellten sich zu jenen, die bereits zu Edmûnds Füßen lagen. Gerade noch hatte sich ein weiteres halbes Dutzend Therianer auf ihn werfen wollen, zögerten nun aber angesichts der puren Kampfeslust, die dieser ausstrahlte, und bildeten einen losen Ring. Ihr drohendes Fauchen und Knurren ging unter Edmûnds herzhaftem Auflachen unter.

»Na, was ist? Hat euch schon der Mut verlassen, ihr Hunde?« Edmûnd drehte sich um die eigene Achse und fasste jeden der umstehenden Feinde ins Auge. »Oder seid ihr gar keine Hunde? Ich sehe ja alles mögliche Viehzeugs in euren hässlichen Visagen, aber leider keinen …«

Sein Grinsen wurde noch breiter als er einen Therianer entdeckte, der tatsächlich die schweren Züge und Hängebacken eines Hundes aufwies, wenngleich gewundene Bockshörner aus seinen Schläfen ragten und er ansonsten einer Kreuzung aus Wolf und Mensch glich. Nichtsdestotrotz stieß Edmûnd einen triumphierenden Laut aus. »Ha, wusste ich es doch!«

Das Hundemischwesen riss erschrocken die Augen auf - ein Umstand, an dem sich auch nichts änderte, als sein abgetrennter Kopf nur eine Sekunde später durch die Luft flog. Der Tod ihres Artgenossen riss die umstehenden Therianer aus ihrer Tatenlosigkeit und sie stürzten sich, durch die Ankunft weiterer Bestienbrut zusätzlich ermutigt, auf Edmûnd. Die Schwerter des Paladins sausten umher und brachten Tod und Verstümmelung, wo immer sie niedergingen.

Menden schickte sich an, seinem Ordensbruder zu Hilfe zu eilen, als ein angsterfüllter Aufschrei seine Aufmerksamkeit in die entgegengesetzte Richtung zog. Wenngleich der Großteil der Dorfbewohner sich bereits in die umliegenden Häuser geflüchtet hatte, waren einige Unglückselige zurückgeblieben. Einige Schritt entfernt war eine junge Frau gefallen und hielt abwehrend beide Hände erhoben, während sich ein Therianer breitbeinig über sie beugte.

Menden rannte los und begann, vom hellen Singen seiner Ordensklinge begleitet, seinen eigenen Tanz. Mühelos schnitt die Waffe das Leben aus dem Therianer heraus. Während er fiel, half Menden der Dörflerin auf die Beine und war bereits weitergezogen, bevor sie für ein Wort des Dankes zu Atem kommen konnte. Der Würgegriff eines anderen Therianers um den Hals eines Schafhirten erstarb unvermittelt, als Menden dessen Nacken durchbohrte.

Drei seiner abscheulichen Brüder sprangen heran, um ihn zu rächen, Krallen schlugen und krumme Hufe traten nach Menden. Der Paladin wich behände aus, die Klinge fuhr heran und durchtrennte das Bein eines der Angreifer knapp oberhalb des Knies. Als sein Nebenmann Menden zu packen versuchte, wurde er von dessen Klinge aufgespießt. Der Paladin ergriff den Tiermenschen an der Schulter, schleuderte ihn herum und warf ihn gegen den dritten Gegner, woraufhin die beiden in einem Knäuel aus Gliedmaßen zu Boden gingen. Die Sterneneisenklinge zuckte einmal von links nach rechts und brachte sowohl dem Gestürzten als auch dem Therianer mit dem abgetrennten Bein einen raschen Tod.

Menden würdigte sie keines weiteren Blickes, sprang über ihre Leichen hinweg und eilte bereits auf das nächste Ziel zu. Am Rande nahm er das Surren der Schwerter und das freudige Summen Edmûnds in einiger Entfernung wahr; nach wie vor focht er gegen eine Überzahl, wirkte jedoch nicht so, als sei er auf Mendens Hilfe angewiesen.

Selbst wenn, hätte dieser sie ihm verwehren müssen.

Am Rand des Marktplatzes, gefangen zwischen einer Hauswand und sieben Therianern, kauerte eine kleine Gruppe Menschen. Ein junger Mann lag bereits zu ihren Füßen, das grobe Wollhemd von Krallen zerfetzt und mit Blut durchtränkt. Scharfer Schmerz klirrte in seinen Atemzügen, trotzig hielt er den Pflasterstein in der Rechten, mit dem er seine Mitmenschen vor den Feinden hatte beschützen wollen. Sein Mut brachte ihm Mendens Respekt ein, dennoch war der Paladin froh, auf etwas Besseres als einen Stein zurückgreifen zu können.

Er griff an seinen Gürtel, löste die daran festgemachte Handarmbrust und feuerte den vorab eingelegten Bolzen ab. Vom Surren der vorschnellenden Sehne begleitet, jagte das Geschoss durch die Luft und bohrte sich in den Hinterkopf eines der Therianer. Der Tod kam derart lautlos, dass sogar die umstehenden Bestien nicht bemerkten, wie einer der ihren unvermittelt zusammensackte.

Der an ihrer Spitze aufragende Therianer stockte, als sich ein Schatten über ihn legte. Er hatte kaum Zeit, aufzusehen, da wurde er schon von einem Speer durchbohrt. Der Paladin ging leicht in die Knie und federte auf diese Weise die Wucht seiner Landung ab, zog den Speer zurück und verpasste dem Therianer einen Tritt gegen die blutüberströmte Brust, der diesen gegen einen seiner Hintermänner taumeln ließ.

Anders als ihr Kamerad Edmûnd wirkte Denzél ernst und konzentriert, während er das flache Ende des Speers seitlich gegen den Schädel eines der anderen Therianer schmetterte. Aus der Bewegung heraus stach die Spitze in die entgegensetzte Richtung und bohrte sich in den Bauch des nächsten Feindes.

Wer Denzél kannte, wusste, dass der bittere Zug um seine von schwarzen Bartstoppeln gepunkteten Züge allein durch die Gräuel der Schlacht heraufbeschworen wurde. In diesen Momenten fiel es schwer zu glauben, was für ein heiterer, spitzbübischer Mensch eigentlich in ihm steckte, doch wenn es ums nackte Überleben ging - vor allem um das jener, die zu beschützen er und seine Ordensbrüder geschworen hatten - verbarg er diesen Teil tief in sich. Wurden Klingen gekreuzt, so hatte man mit Denzél einen der besten und geschicktesten Krieger ihres Ordens an seiner Seite.

Ein Therianer fiel Denzél an, doch dieser duckte sich unter der heransausenden Krallenhand hinweg, während sein eigener Angriff den Brustkorb des Feindes fand.

Nun war Menden ebenfalls heran und führte einen niedrigen Schlag, der die Sehnen am linken Bein eines der Therianer durchtrennte und diesen kreischend in die Knie gehen ließ. Mit einem weiteren Schritt war er an dem Biest vorbei und einen Rückhandschlag später brach es mit aufgeschlitzter Kehle endgültig zusammen. Die beiden verbliebenen Gegner hatten kaum Zeit, ihren Tod zu registrieren, bevor sie das gleiche Schicksal ereilte.

Denzél blickte von der Leiche seines letzten Gegners auf und als sich die Augen des Paladins erschrocken weiteten, handelte Menden, noch ehe der warnende Ausruf seines Ordensbruder gänzlich über dessen Lippen gekommen war: »Runter!«

Menden ließ sich auf das linke Knie herabfallen, spürte einen harten Luftzug und sah, wie der Eisenkopf eines Morgensterns nur eine Handbreite über seinen Schädel hinweg durch die Luft fuhr, gefolgt von einem frustriert klingenden Knurren, das einem Brüllen wich, als Denzél beinahe zeitgleich handelte und aus kurzer Entfernung seinen Speer schleuderte. Noch immer kniend fuhr Menden herum und riss das Schwert nach oben.

Der riesige Anführer der Therianer taumelte getroffen zurück, den Speer in der linken Schulter. Wutschnaubend packte er die Waffe mit der freien Hand und schmetterte sie zu Boden, ehe er sich erneut gegen die Paladine warf. Menden wäre gewiss einfach umgerannt und unter dem Ungeheuer zerquetscht worden, warf sich jedoch zur Seite und kam gerade rechtzeitig genug hoch, um einen Schlag gegen den Oberschenkel des Therianers führen zu können. Der Bestienmensch geriet ins Taumeln, versuchte aber, Denzél zu packen, was sich angesichts der Schnelligkeit und Geschicklichkeit des schlaksigen Paladins allerdings als vergeblich erwies. Er griff ins Leere - anders als Denzéls Schwert, das in die Seite der Kreatur biss.

Weitere Gegner machten sich auf, ihrem Anführer zu Hilfe zu kommen, doch waren sie derart begierig, über Menden herzufallen, dass sie den plötzlich neben ihnen erscheinenden Edmûnd erst bemerkten, als es längst zu spät war.

Die beiden Schwerter beschrieben einen kunstvollen zweifachen Bogen und nur einen Moment später lagen vier weitere Schädel auf den blutbeschmierten Pflastersteinen. Ein Chor des Schreckens und der Wut ging durch die restlichen Bestien. Die Therianer sprangen zurück, um Abstand zwischen sich und ihren neuen Gegner zu bringen, doch Edmûnd riss ohne zu zögern beide Arme nach hinten, holte aus und schleuderte seine Schwerter. Beinahe gleichzeitig bohrten sie sich in die Brust zweier Therianer, die durch die Wucht des Treffers umgeworfen wurden.

Ihre Artgenossen würdigten die Gefallenen keines Blickes, registrierten aber sofort, dass ihr Gegner nun unbewaffnet war. Davon ermutigt drängten sie erneut heran und entblößten ihre Raubtierzähne, zuversichtlich, nun endlich die Oberhand gewonnen zu haben.

Selbst aus der Entfernung konnte Menden erkennen, wie Edmûnd gelangweilt mit den Augen rollte und die Fäuste hob.

Unter anderen Umständen hätte Menden das nun folgende Schauspiel nur allzu gern mitverfolgt, aber ein harscher Fluch aus Denzéls Mund erinnerte ihn daran, dass er einen eigenen Kampf auszufechten hatte. Als er herumfuhr, sah er, wie der andere Paladin gerade dem Morgenstern des Therianerhäuptlings auswich, jedoch nicht verhindern konnte, dass ihn der darauffolgende Tatzenhieb vor die Brust traf. Seine Rüstung schützte Denzél, doch die Wucht des Treffers brachte ihn aus dem Gleichgewicht und ließ ihn zurücktaumeln. Schnaufend setzte der Therianer nach und hob den Morgenstern zu einem weiteren Angriff.

Menden hob Denzéls fallengelassenen Speer auf und stieß aus derselben Bewegung heraus zu. Die Waffe drang in den Oberschenkel des Therianers, woraufhin dieser endgültig die Balance verlor und nach vorne sackte. Statt Denzéls Schädel zu spalten, krachte die schwere Schlagkugel des Morgensterns auf den Grund und ließ mehrere Pflastersteine zerbersten. Sein Besitzer fiel auf alle Viere, doch ehe er auch nur den Versuch unternehmen konnte, sich erneut aufzurichten, landete Menden auf seinem borstigen Rücken und ließ die Klinge herabfahren.

Mit dem Tod ihres Rudelführers war der Kampfeswille der Therianer gebrochen. Die verbliebenen Tiermenschen, die bislang nicht in den Kampf hatten eingreifen können oder versucht hatten, die Türen der Häuser einzuschlagen, eilten wie auf ein unhörbares Signal hin davon. Nur einige Dutzend Schritt hätten sie aus dem Dorf und in die angrenzende Wildnis getragen, wo sie sich verstecken und ungesehen ins Land ihres verfluchten Herrn und Meisters hätten zurückkehren können.

Doch Menden gedachte nicht, es so weit kommen zu lassen.

Auf dem Rücken des toten Häuptlings stehend nickte er Denzél zu, welcher ein gebogenes Rufhorn von seinem Gürtel zog und einmal kräftig hineinblies. Der helle Signalton rollte über den Marktplatz, durch die engen Straßen von Weidenwacht und über die Dächer hinweg. Ehe er ganz verklungen war, erklang die Antwort in Form scheppernden Eisens und donnernder Hufe.

Die Therianer wurden regelrecht hinweggefegt, als eine Phalanx Reiter auf den Platz preschte, oder verschwanden einfach unter den kräftigen Leibern der rot-silbern gepanzerten Pferde.

Und wen die Pferde nicht niederritten, der sah sich nur einen Augenblick später mit ihren Reitern konfrontiert.

Die Infernoklingen, die eiserne Faust und Elite der Paladine des Feuerordens, wirkten in ihren schweren, feuerroten Plattenrüstungen mehr wie zum Leben erwachte Konstrukte denn wie wirkliche Menschen und brachen mit ebensolcher Ruhe und Gnadenlosigkeit über ihre Feinde herein. Die geschlossenen Helme wurden durch einen Kranz schmiedeeiserner Flammen gekrönt und auch der Rest der Panzerung, von einzelnen Platten bis hin zu den schmückenden Formen und Verzierungen an deren Rändern, waren dem gleißenden Element nachempfunden. Ihren Namen jedoch verdankten die Infernoklingen ihren Waffen: zweischneidige Bartäxte, in die rubinrote Mah’na-Steine eingearbeitet worden waren. Die Kristalle leuchteten, als sie die ihnen innewohnende Flammenmagie in die Sterneneisenklingen der Waffen abgaben und die Luft vor Hitze flimmern ließen. Wo auch immer die Waffen der Infernoklingen niedergingen, spalteten sie nicht nur Fleisch und Knochen, sondern setzten auch Fell in Flammen und ließen ungeschützte Haut Blasen werfen und schwarz werden.

Panik griff in den Reihen der Therianer um sich, jeder Gedanke an Widerstand und Kampf war nun endgültig verflogen. Aber ganz gleich, wohin sie sich auch wandten, stets brach der sichere Tod über sie herein.

Menden wandte sich von dem Gemetzel, zu dem der Kampf inzwischen geworden war, ab, sprang vom Leichnam des Therianerhäuptlings, wischte seine blutverschmierte Klinge an dessen Fell ab und ließ sie in die Scheide zurückgleiten. Denzél trat an seine Seite und gemeinsam schlossen sie zu Edmûnd auf, der in diesem Moment den letzten, bereits arg mitgenommen aussehenden Therianer mit einem finalen rechten Haken in dessen Wolfsschnauze zu Boden schickte. Mit einem Speerstoß gab Denzél dem leise hechelnden Ungeheuer den Rest, während Menden das gute Dutzend Therianer betrachtete, die mit größtenteils gebrochenen Schädeln und umgedrehten Hälsen in einem losen Kreis rund um Edmûnd lagen.

Denzél zog seinen Speer aus dem Toten und schüttelte dessen Blut mit einer flüssigen Handbewegung von der schlanken Klinge. Eine Spur aus roten Punkten benetzte die Steine.

»Du musstest sie unbedingt werfen, nicht wahr? Du bist der einzige Ritter, den ich kenne, der zwei Schwerter mit sich führt und trotzdem regelmäßig ohne Waffen in den Kampf zieht!«

Edmûnd grinste dreckig und hob seine Fäuste. »Ohne Waffen? Und was ist mit denen hier?«

Denzél tat es mit einer verächtlichen Handbewegung und einem dazu passenden Geräusch ab, doch kaum hatte sich Edmûnd abgewandt, um seine Schwerter aufzusammeln, zupfte auch schon ein schmales Grinsen an den Mundwinkeln seines Ordensbruders.

Auch Menden musste kurz lachen, auch wenn seine Sinne und Gedanken bereits anderorts verweilten. Er beobachtete, wie die siegreichen Infernoklingen auf dem Platz ausschwärmten, Wachpositionen einnahmen und nach weiteren potenziellen Bedrohungen Ausschau hielten. In den Fenstern der umstehenden Gebäude war Bewegung auszumachen, als die ersten Dorfbewohner einen Blick nach draußen wagten, ob die Heimsuchung tatsächlich überstanden war. Kurz darauf wurden sogar die ersten Türen entriegelt und geöffnet, einige Mutige reckten die Köpfe ins Freie und wirkten sofort erleichtert, als sie die bewaffneten Retter erblickten.

Ja, Weidenwacht war in Sicherheit.

Doch warum hatte es überhaupt gerettet werden müssen?

Menden ging in die Knie, drehte einen der toten Therianer auf den Rücken und betrachtete sein abscheuliches Gesicht. Die geschlitzten, gelblich leuchtenden Ziegenaugen glotzten ins Leere, der Rest war eine eklige Mischung aus Schwein, Mensch und Hirsch, die Menden im tiefsten Wesen seiner Menschlichkeit erschütterte und anwiderte. Es war äußerst unüblich für die Tiermenschen, die Grenzen ihres Landes zu verlassen und derart weit ins Innere Järngards vorzudringen. Manche sagten sogar, dass nur der Wille ihres Herrschers sie zu etwas Derartigem bewegen konnte.

Und Menden hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was der Bestienfürst hier gesucht hatte. Das eine Wort, das der Anführer der Therianer fordernd von sich gegeben hatte, hallte nach wie vor durch seinen Verstand und lenkte seine Gedanken in düstere Gründe.

Hexe!

~ 2 ~

Je höher die Sonne stieg, desto mehr kehrten Ruhe und Normalität in das ansonsten beschauliche Dorf Weidenwacht zurück. Menden hatte keinen Zweifel daran, dass der Schock dieses Tages den Bewohnern noch eine ganze Weile in den Knochen stecken und viele in den kommenden Wochen kaum ein Auge zubekommen würden, voller Furcht, weitere Therianer oder andere Schrecknisse aus den Landen im Osten könnten sie heimsuchen. Was dies anging, war er zuversichtlich: Der Feuerorden würde diese Gegend in nächster Zeit verstärkt bewachen lassen und auch die anderen grenznahen Dörfer im Auge behalten. Das, was an diesem Tag mit Weidenwacht geschehen war, würde sich in nächster Zeit gewiss nicht wiederholen.

Es herrschte geschäftiges Treiben auf dem Markplatz, während Einwohner und Paladine gemeinschaftlich die Kadaver auf Karren warfen und zu einem Ort außerhalb der Grenzen des Dorfes brachten, wo sie verbrannt und verscharrt werden sollten. Menden bewegte sich zwischen den Umhereilenden hindurch auf eine kleine Gruppe zu, die etwas abseits stand und sich leise miteinander unterhielt. Einer davon war der Bürgermeister von Weidenwacht, ein dürrer älterer Mann mit strubbeligen, weißen Haaren und einem Vollbart, für den ihm selbst ein Zwerg Anerkennung hätte zukommen lassen. Vor ihm hatten sich drei Männer in den Rüstungen der Infernoklingen aufgebaut. Menden kam nicht umhin, das Gesicht zu verziehen, als er erkannte, um welche seiner Ordensbrüder es sich handelte.

Der erste war ein Stückchen kleiner und dürrer als Menden und es mutete beinahe wie Magie an, dass er überhaupt in der Lage war, eine derart massive Rüstung am Leibe tragen und sich darin auch bewegen zu können. Wie die anderen beiden hatte er seinen Helm abgelegt, was seiner Erscheinung allerdings kein bisschen schmeichelte. Im Gegenteil, Halrich Trothas Gesicht wirkte geradezu, als habe ein verrückter, halb blinder Holzschnitzer es für ein Stück Eiche gehalten und sich betrunken daran vergangen. Sein Unterkiefer war schmal und lief zum Kinn hin immer spitzer zu, während die Form seines übrigen Kopfes auffallend an eine überreife Frucht erinnerte. Dass er Glatze trug und bis auf zwei nadeldünne Augenbrauen auch sonst völlig haarlos war, verstärkte diesen Eindruck noch. Ältere und frischere Narben zerfurchten seine pockennarbige Haut und zeichneten ein wirres Muster auf seinem blanken Schädel, dazu kamen die Hakennase und die tief sitzenden dunklen Augen. Zum Glück lächelte Halrich niemals, denn ansonsten hätte man auch den Anblick seiner ruinierten Zähne ertragen müssen.

All das hätte Menden nicht im Geringsten gestört. Er konnte sogar von sich behaupten, sich deshalb - anders als die Mehrzahl seiner Ordensbrüder - niemals hinter Halrichs Rücken über ihn lustig gemacht zu haben.

Das Problem war nur, dass das Wesen des Paladins seinem hässlichen Äußeren in Nichts nachstand, ja dies sogar in den Hintergrund drängte. Halrich war ein hervorragender Krieger, ansonsten wäre er niemals in die Ränge der Infernoklingen aufgestiegen, doch er war gewiss kein Ritter. Er neigte zu Grausamkeit und Gehässigkeit, verstümmelte Feinde auf dem Schlachtfeld und ließ sie leiden, anstatt ihnen einen sauberen Tod zu gewähren.

Nach einem Scharmützel gegen eine Gruppe Wegelagerer nahe der Zwergenstadt Mithrilzar hatte Menden ihn deshalb einst zur Rede gestellt, doch Halrich hatte nur reuelos entgegnet, dass Mendens Mitleid mit den Feinden des Ordens und damit der Sechs Reiche beunruhigend sei und er ihn künftig im Auge behalten würde. Seither war der Hässliche besonders darauf erpicht, ihn seine Verachtung spüren zu lassen, doch Menden war dessen schnell überdrüssig geworden und hatte sich nicht weiter darum geschert. Gelegentlich ertappte er sich sogar dabei, wie er Mitleid für den anderen Paladin hegte.

Der Krieger neben ihm teilte sich nur wenige Gemeinsamkeiten mit dem hässlichen, kleinen Mann. Er war groß und breitschultrig und ein drahtiger, schwarzer Vollbart bedeckte den unteren Teil seines Gesichts. Rein äußerlich verband die beiden Männer nur der kahle vernarbte Schädel, darüber hinaus jedoch noch zwei weitere Dinge: einmal ihren schlechten Charakter und ihre Mutter, denn Gord Trotha war niemand anderes als der ältere Bruder von Halrich.

Zwischen den Brüdern stand ein Mann, der zusätzlich zu seiner Infernorüstung einen langen, roten Umhang mit goldenen Flammenverzierungen trug. Er war von stattlicher Gestalt, das schwarze Haupthaar fiel gewellt auf die Schulterstücke seiner Rüstung herab, Schnauz- und Kinnbart waren ordentlich gestutzt und schlossen sich um seine meist verdrießlich verzogenen Mundwinkel. Zwar konnte Menden nichts von dem verstehen, was zwischen den vier Männern besprochen wurde, doch er erkannte bereits aus der Entfernung den Ausdruck von Herablassung und beinahe verärgert wirkender Langeweile in seiner Miene.

Reinar von Lorkirk, Hauptmann der Infernoklingen, stammte aus einem Adelshaus aus Soudor, der Hauptstadt des Menschenkönigreiches Havion und hatte stets das beherzigt, was man ihn in seiner wohlbehüteten Jugend vor seinem Eintritt in den Orden gelehrt hatte. Dass jeder, der nicht aus ähnlichen oder gar besseren Verhältnissen stammte, ihm untergeordnet und damit letztendlich bedeutungslos war, es sei denn, er erfüllte einen sinnvollen Zweck.

Menden war inzwischen nahe genug heran, um verstehen zu können, wie der Bürgermeister seine aufrichtigste Dankbarkeit für die Taten der Paladine zum Ausdruck brachte, die Hände vor der Brust gefaltet und jedes dritte Wort durch eine angedeutete Verbeugung untermauert. Vor allem diese Gesten ließen immer wieder einen Anflug von Verachtung über Lorkirks Gesicht huschen und wie üblich fiel es Menden schwer, den Mann nicht am Kragen zu packen und ihm mit ein paar schallenden Ohrfeigen Respekt einzubläuen.

So verlockend dies auch erschien, es blieb Wunschdenken. Ähnlich wie die Trotha-Brüder, die man meistens an der Seite ihres Hauptmanns fand, war auch Lorkirk ein widerwärtiger Mensch. Doch er war ebenso ein herausragender Kämpfer, der sich seine Stellung - so ungern Menden es auch zugab - durch sein Können durchaus verdient hatte. Dass seine gehobene Herkunft seinem Aufstieg sicherlich nicht geschadet hatte, galt als offenes Geheimnis, doch kaum einer wagte es, dies auch nur hinter vorgehaltener Hand auszusprechen. Viele im Orden buckelten vor dem Hauptmann und daher wollten es nur die wenigsten riskieren, sich seinen Unmut zuzuziehen.

Tatsächlich wurde der Bürgermeister erst in jenem Moment für Lorkirk interessant, als dieser Menden entdeckte und sich statt des Hauptmanns nun ihm zuwandte. Ein Lächeln erschien auf den faltigen Zügen des Alten und er schenkte auch Menden eine tiefe Verbeugung.

»Mein Fürst, ich danke Euch von ganzem Herzen. Ihr ward einer jener Männer, welche die Ungeheuer angegriffen und meinen Leuten die Gelegenheit zur Flucht verschafft haben, nicht wahr?«

Menden erwiderte das Lächeln und nickte. »Das ist wahr. Doch braucht Ihr Euch dafür nicht zu bedanken, guter Mann. Ebenso wie meine Kameraden habe ich nur meine Pflicht getan.«

Das Strahlen des Bürgermeisters hellte ein ganzes Stück weiter auf, wieder verbeugte er sich.

»Deine Pflicht getan, ja?« Menden war nicht sonderlich überrascht, als sich der neben ihm stehende Halrich umwandte und mit erhobenem Kinn vor ihm aufbaute. Selbst seine Stimme hatte einen nasalen, schwer zu ertragenden Klang, sein Atem stank nach leerem Magen. »Gehört dazu nicht auch, Befehle zu befolgen?«

Menden sah seinen streitlustigen Ordensbruder nicht einmal direkt an. »Wollt Ihr mir irgendetwas damit sagen?«

Gord stellte sich demonstrativ hinter seinen Bruder und verschränkte die Arme vor der Brust, doch das kam ebenso wenig überraschend wie Halrichs aggressives Benehmen. »Ihr solltet die Therianer lediglich ablenken und dann das Hornsignal zum Angriff geben. Nicht sie alleine angreifen.«

»Ihr dachtet wohl, ihr könnt den Ruhm für euch beanspruchen, wie?«, mischte Gord sich ein.

Menden würdigte ihn keines Blickes. »Nein, ich dachte, dass das Risiko für die Dorfbewohner zu groß sei. Hätten wir die Infernoklingen gleich herbeigerufen, wären gewiss auch Unschuldige zwischen die Kämpfenden geraten.«

»Du sollst nicht denken, sondern Befehle ausführen«, zischte Halrich. »Und dasselbe gilt für deine beiden lausigen Kumpane.«

Dafür hätte Menden sehr gerne seine Faust im Magen des anderen versenkt, doch ehe dieser Drang allzu groß werden konnte, mischte sich eine neue Stimme in das Gespräch ein: »Höre ich richtig? Wird hier um unsere Anwesenheit gebeten?«

Menden hatte Edmûnd und Denzél nicht kommen sehen, doch nun nahmen die beiden links und rechts hinter ihm Aufstellung. Edmûnd hielt gar beide Schwerter in Händen, die Klingen locker über seine Schultern gelehnt, sodass sie hinter seinem Nacken ein silbernes X bildeten.

Halrichs Unterkiefer bewegte sich hin und her, als er mit den Zähnen übereinander fuhr und abwechselnd die beiden Neuankömmlinge betrachtete. Mit einem Mal schien ihm die Aussicht auf einen Streit bei Weitem nicht mehr so verlockend.

Anders als Edmûnd.

»Halrich, Halrich, Halrich, was hast du wieder für eine schlechte Laune?«, spöttelte der blonde Krieger und bog seinen Nacken einmal nach links und rechts hin durch, was ein befreiendes Knacken ertönen ließ. »Dabei ist es doch so ein schöner Tag und wir haben bereits so viel Gutes getan. Zumindest einige von uns …«

Halrich blitzte Edmûnd wütend an, was diesen allerdings nicht sonderlich zu bekümmern schien. »Bekommt dir etwa das frühe Aufstehen nicht? Ein zu langer Ritt für einen so jungen Tag? Man sieht geradezu, dass dein Schönheitsschlaf heute zu kurz ausgefallen ist.«

»Pass auf, was du sagst«, warnte Halrich ihn mit bedrohlich gesenkter Stimme. Der Zorn, der sein Gesicht verzerrte, machte ihn nicht unbedingt ansehnlicher. Menden konnte geradezu spüren, wie sich Denzél hinter ihm rührte und Edmûnd wahrscheinlich den ein oder anderen warnenden Blick zuwarf, was dieser jedoch - wie üblich - nicht zum Anlass nahm, sich zurückzunehmen.

»Ach nein, ich weiß es«, intonierte Edmûnd und setzte ein gekünsteltes Triumphlächeln auf. Mit einem Kopfnicken deutete er auf Gord. »Dein zu groß geratener Bettkumpan hat heute vergessen, sämtliche Spiegel im Sanktum zu verhängen!«

»Du widerlicher …« Halrich machte einen Schritt nach vorne, die Hand bereits auf das Heft seines Schwertes gelegt. Gord schien ihn an der Schulter greifen und zurückhalten zu wollen, packte jedoch ins Leere. Lorkirk - der bislang wahrscheinlich nicht eingegriffen hatte, weil er derartige Zankereien für unter seiner Würde hielt - wandte sich nun missgestimmt um und wollte etwas sagen, während auf der anderen Seite Menden die linke Hand gegen Edmûnds Brustpanzer legte, um diesen davon abzuhalten, tatsächlich auf Halrich loszugehen. All diese Bewegungen verharrten jedoch auf halbem Wege, als plötzlich Hufgetrappel über den Marktplatz schallte und alle sechs aufblicken ließ. Als sie den Reiter erkannten, der im schnellen Trab auf sie zusteuerte und schließlich neben ihnen hielt, um aus dem Sattel auf sie herabzublicken, waren sämtliche Zwistigkeiten vergessen.

Zumindest für den Augenblick.

»Wenn es einen Grund für diesen Aufmarsch gibt, so würde ich ihn sehr gerne erfahren!«, forderte Ordensmarschall Treisan von Altero und bedachte jeden der Anwesenden mit einem tadelnden Blick. »Wenn nicht, können sich alle außer Hauptmann Lorkirk und Ritter Menden an den Aufräumarbeiten beteiligen!«

»Natürlich, Ordensmarschall.« Denzél deutete eine Verbeugung an, stieß Edmûnd einmal gegen die Schulter und bedeutete ihm zu folgen, ehe er über den Platz davonging. Edmûnd schenkte Halrich ein letztes kurzes Grinsen. Die beiden Trotha-Brüder trollten sich ebenfalls, nachdem Menden einen letzten hasserfüllten Blick hatte über sich ergehen lassen dürfen.

Währenddessen hatte sich Treisan aus dem Sattel geschwungen und vor Menden und Lorkirk aufgebaut, die Daumen in seinem Gürtel eingehakt und beide nacheinander ernsthaft anblickend.

Treisan war sein Leben lang ein Krieger gewesen und die Jahrzehnte des Kämpfens, Reitens und Blutens hatten unverkennbar ihre Spuren hinterlassen, sowohl im guten als auch im weniger guten Sinne. Wenngleich er die besten Jahre bereits hinter sich hatte, so zeichnete sich unter seiner Rüstung nach wie vor ein kräftiger, belastbarer und ausdauernder Körper ab. Selbst unter den weit jüngeren Paladinen des Feuerordens gab es nur wenige, die es mit ihm im Schwertkampf aufnehmen konnten und absolut keinen, der sich auf ähnliche virtuose Weise auf den Waffengang zu Pferde verstand. Doch wie von jedem Mann, der auf ähnliche Erfahrungen wie Treisan zurückblicken konnte, hatte das Leben auch vom Marschall seinen Tribut verlangt: Der Anblick etlicher toter Brüder, ausgefochtener Kämpfe und blutgetränkter Schlachtfelder hatte Furchen in sein wettergegerbtes Gesicht und einen bitteren Zug in seine Mundwinkel gegraben. Ein Schatten aus rotbraunen und bereits ergrauten Bartstoppeln umschloss seine Lippen und wanderte seinen Unterkiefer hinauf bis zu den Schläfen, das bis zum Hals herabreichende Haar wies eine ähnliche Färbung auf.

Treisan löste beim Bürgermeister sichtliche Verwunderung aus, als er diesem mit einem Nicken die Hand entgegenstreckte und meinte: »Ich bin sehr froh, dass wir rechtzeitig eingetroffen sind. Ihr habt sehr weise und schnell gehandelt, einen eurer Söhne zum Sanktum zu entsenden, als der Angriff begann.«

Der alte Dörfler blickte verunsichert auf die ihm dargereichte Hand hinunter. Seinesgleichen schien es nicht gewohnt zu sein, von einem Mann weit über Stand derart freundlich, ja beinahe gleichgestellt behandelt zu werden. Als er seine Scheu schließlich überwand, umschloss er Treisans Rechte mit allen zehn Fingern, schüttelte sie ausgiebig und senkte dabei ehrfürchtig den Blick. Aus dem Augenwinkel konnte Menden beobachten, wie Lorkirk fast angewidert mit den Augen rollte und die nahegelegenen Hausdächer betrachtete.

Zum unzähligsten Male seit er den Hauptmann und dessen Hochnäsigkeit kannte, beschloss Menden, dass beides seiner Wut nicht wert war. Er wandte sich erneut an den Bürgermeister. Die Frage, die zu klären er eigentlich gekommen war, stand bereits zu lange hintenan.

»Verzeiht mir, Bürgermeister, aber ich würde gerne etwas wissen.«

Der Alte löste seinen Griff um Treisans Hand und sah ihn mit großen Augen an. »Aber natürlich, mein Fürst. Alles, was Euch auf dem Herzen liegt.«

»Das Ungeheuer, das die Therianer anführte, sagte etwas sehr Seltsames und ich frage mich, ob Ihr vielleicht wisst, was es damit auf sich hat.«

Beinahe sofort nahm das Gesicht des Bürgermeisters eine blassere Farbe an, die Frohmut darin wurde von einem Anflug von Unsicherheit verdrängt. Allein dies war Grund genug für Menden, sich in seinem Verdacht bestätigt zu fühlen.

»Der Therianer sprach?« Treisan runzelte die Stirn, Überraschung wich Sorge. »Das ist selten. Sprecht, Menden, was hat er gesagt?«

»Hexe«, antwortete der Bürgermeister anstelle des Paladins bedrückt. »Das Monstrum fragte nach einer Hexe.«

»Ihr wisst, was es wollte.« Menden fragte nicht, es war mehr eine Feststellung.

Der Alte nicke. »Folgt mir bitte, werte Herren, ich zeige es Euch.«

Nördlich von Weidenwacht, auf einer Lichtung inmitten eines kleinen Mischwaldes, stießen die drei Paladine unter der Führung des Bürgermeisters auf die ausgebrannten Überreste von etwas, das einmal ein kleines Lagerhaus für Holzvorräte in kalten Gebirgswintern gewesen war. Eines Nachts weniger als zwei Jahre zuvor war dem Ort seine Bestimmung zum Verhängnis geworden, als ein Blitz in das Gebälk eingeschlagen war. Nun standen nur noch die eingeschwärzten Reste der nördlichen und westlichen Mauer, bereits dicht überwuchert von Pflanzen und Pilzen, während das Summen von Bienen, die sich in den kläglichen Überbleibseln der Dachbalken ein Nest errichtet hatten, über den freien Platz zwischen den Bäumen tönte.

Erst einige Tage zuvor hatten die Bewohner von Weidenwacht eine neue Verwendung für die Ruine gefunden.

Die freigelegte Falltür stach einem zwischen all dem Schutt natürlich sofort ins Auge. Der Bürgermeister beugte sich bereits hinab und griff beidhändig nach dem schweren Eisenring, mit der sich die hölzerne Klappe öffnen ließ, als Treisan ihn zurückhielt. »Erspart Euch die Anstrengung, werter Mann. Hauptmann Lorkirk, darf ich bitten?«

Lorkirks Augen weiteten sich. Zunächst schien der adlige Paladin gar nicht begreifen zu können, dass Treisan ihn angesprochen hatte, ganz zu schweigen davon, was dieser ihm aufgetragen hatte. Er sah den Marschall verwundert an und für einen Moment war sich Menden sicher, einen Widerspruch zu hören zu bekommen, doch letztendlich rettete sich Lorkirk in ein knappes Lächeln, das jedoch jede Freundlichkeit missen ließ, und eine knappe Verbeugung, die sarkastischer nicht hätte sein können. »Aber natürlich, Marschall.«

Menden war kein schadenfroher Mensch, kam aber nicht umhin, ein gewisses Maß an Befriedigung zu verspüren, als der Hauptmann an ihm vorbei neben die Bodenklappe trat und diese mit etwas Mühe in die Höhe wuchtete. So wie er Treisan kannte, mochte dies durchaus eine Lektion in Sachen Demut sein, nachdem Lorkirk den dankbaren Bürgermeister mit derart offensichtlicher Geringschätzung gestraft hatte. So oder so, es stellte auf jeden Fall eine Herabsetzung dar, dass der Ordensmarschall ihm und nicht Menden, der hierarchisch unter dem Adligen stand, diesen Befehl gegeben hatte.

Lorkirk sprang zurück, das schwere Holz knallte auf den Boden und offenbarte ein dunkles Viereck, ein Fenster in die darunterliegenden Tiefen. Menden war der erste, der sich daneben auf ein Knie sinken ließ und nach unten spähte.

Der Tag war inzwischen weit genug vorangeschritten, um dünne Bahnen aus Licht in das Kellergeschoss des zerstörten Hauses hinabzuwerfen. Leuchtende Staubfunken tanzten darin wie winzige Diamanten. Außer dem geglätteten Stein etwa drei Meter unter ihnen und einer Handvoll sperriger Kisten war nichts zu entdecken.

Menden sah zu Treisan hinauf. »Marschall, mit Eurer Erlaubnis?«

Der ältere Paladin nickte und nur einen Moment später hatte sich Menden bereits nach unten fallen lassen. Umhüllt vom hereinfallenden Licht richtete er sich auf und betrachtete das sich um ihn herum ausbreitende Kellergewölbe.

Die Umgebung war schwer einsehbar, da allerlei Lagerbestände an den Wänden und im gesamten Raum verteilt die Sicht blockierten. Kisten sämtlicher Größen, Fässer, Werkzeugbänke und anderes Inventar ließen nur schmale Pfade offen, über die man sich durch den unterirdischen Raum bewegen konnte.

Menden wartete, bis sich seine Augen an die gedämpften Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, zog sein Schwert und wagte die ersten Schritte ins Innere des Gewölbes. Das leise Rascheln von Ketten lenkte ihn in den hinteren Teil des Raumes, zu einer aus dem Felsgestein gehauenen Wand. Schemen schälten sich aus dem Halbdunkel, wurden zu Formen und offenbarten ein Bild, das Menden fassungslos innehalten ließ.

Vor ihm saß eine junge Frau auf dem blanken Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt und die Beine an den Körper gezogen. Über die Knie hinweg musterten ihn zwei furchtsam dreinblickende Augen, die in einem derart hellen Saphirblau erstrahlten, dass selbst die Schatten des Kellers es nicht zu verschleiern vermochten. Einzelne Strähnen langen, feuerroten Haars fielen in ihr makellos geformtes Gesicht, ihre Lippen waren voll und sinnlich. Gekleidet war sie in ein schlichtes sandfarbenes Kleid, darüber trug sie eine grüne Weste mit einem Besatz aus Eichhörnchenfell.

Eine unbestreitbare Schönheit, ganz ohne Zweifel - auch wenn sie die letzten Tage augenscheinlich einiges an Entbehrungen hatte hinnehmen müssen. Ihr Haar war schmutzig und grob, die sonst helle Haut ihres Gesichts und ihrer entblößten Arme von Kratzern, blauen Flecken und Dreck verunstaltet. Die Ringe unter ihren Augen wogen schwer und waren gerötet, offenbar hatte sie in letzter Zeit öfters geweint.

Um ihre Handgelenke lagen schwere Eisen, die durch Ketten mit der Wand verbunden waren.

Die Überraschung über den gewiss unerwarteten Besucher stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie musterte ihn von oben bis unten, plötzlich schossen Tränen in ihre Augen. Eisen klimperte, als sie sich fester gegen die Wand presste und furchtsam den Kopf schüttelte.

»Bitte, tut mir nichts«, wimmerte sie leise. Selbst ihre Stimme klang anziehend: rauer und etwas tiefer als bei Frauen üblich, aber doch weiblich und über alle Maßen wohlklingend. »Ich bin nicht das, was sie denken.«

Der Anblick war wie ein Stich, Mendens Herz zog sich krampfhaft zusammen. Er trat bis auf drei Schritt an sie heran und ließ sich auf ein Knie herab.

»Habt keine Angst, das werde ich nicht.« Obwohl er wusste, dass es nicht unbedingt seine Stärke war, versuchte er, beruhigend zu klingen und zwang sogar ein kleines Lächeln auf seine Lippen. »Mein Name ist Menden und ich gehöre den Paladinen in den Diensten des Aelders des Feuers an.«

»Und doch behauptet Ihr, mir nichts antun zu wollen?« Sie presste die Lippen aufeinander. »Ihr wisst, was die Dorfbewohner mir vorwerfen, oder nicht?«

Er seufzte und nickte. »Manch einer von ihnen glaubt, Ihr wärt eine Hexe.«

»Und warum einen Feuerritter schicken, wenn nicht, um eine Hexe brennen zu lassen?«

Menden konnte sie dafür nicht verurteilen. Die Art und Weise seines Ordens mit Hexen, Malefikaren und anderen abtrünnigen Arkanen zu verfahren, war in allen Sechs Reichen und gewiss auch darüber hinaus bekannt. Auch wenn er selbst niemals einen Menschen auf einen Scheiterhaufen gebunden, geschweige denn in Brand gesteckt hatte, so musste er doch mit diesem Ruf leben. Gewiss würde es die junge Frau nicht trösten, dass seit der letzten Hexenverbrennung ein gutes Jahrzehnt vergangen war.

Ein Ereignis, das schreckliche Folgen nach sich gezogen hatte und der Grund dafür sein mochte, dass innerhalb des Ordens seither weitaus kritischer und gründlicher mit derartigen Anschuldigungen umgegangen wurde.

»Wir kamen nicht Euretwegen und erfuhren erst nach unserer Ankunft von Euch.« Menden sah keinen Grund dafür, ihr von den Therianern und dem Angriff auf das Dorf zu erzählen. Zumindest noch nicht. »Doch jetzt möchte ich die Wahrheit herausfinden. Ich kann nicht für all meine Ordensbrüder sprechen, doch für mich reichen ein paar wirre Gerüchte und Anschuldigungen nicht aus, um jemanden für eine Hexe zu halten.«

Sie schluchzte leise und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. »Ich sage Euch alles, was Ihr wissen möchtet. Doch auch zu den Bewohnern von Weidenwacht war ich ehrlich und Ihr seht, wo es mich hinbrachte.«

»Wir wäre es mit Eurem Namen? Für den Anfang.«

Sie zögerte, schien aber zu erkennen, dass sie damit wohl nichts falsch machen konnte. Trotzdem war ihre Stimme nicht mehr als ein gehauchtes Flüstern, als sie antwortete: »Sefanie.«

»Sefanie«, wiederholte er und lächelte aufmunternd. »Ein schöner Name.«

Hinter Menden polterte es und er erhob sich, als schwere Schritte das Nahen der anderen drei Männer ankündigte. Treisans ungläubiger Gesichtsausdruck war eine Spiegelung dessen, was Menden empfunden hatte, als er die in Ketten gelegte junge Frau erblickt hatte, während der Bürgermeister von Weidenwacht mit jeder verstreichenden Sekunde weiter in sich zusammenzusinken schien. Mit der überzeugten Entschlossenheit, mit der er Sefanie vor wenigen Tagen hatte einsperren lassen, schien es inzwischen vorüber zu sein. Lorkirk dagegen hatte für den Anblick kaum mehr als ein kurzes Naserümpfen übrig. Menden hätte es nicht gewundert, hätte er an Sefanies mitgenommenem Äußeren Anstoß gefunden.

»Sagt, was bringt Euch dazu, diese Frau für eine Hexe zu halten und derart zu behandeln?«, verlangte der Marschall schließlich zu wissen. Er blickte den Bürgermeister streng an, dessen Unbehagen nun fast körperlich spürbar war.

Der alte Mann wrang nervös die Hände ineinander. »Wir … die Leute haben in den letzten Wochen immer wieder seltsame Dinge in den Wäldern außerhalb des Dorfes gesehen. Lichter, Tiere, die sich seltsam benahmen, verrückt spielendes Wetter.«

Er schielte kurz zu Sefanie hinüber. »Manche sprachen von einer Frau mit roten Haaren, die sich in eine Krähe verwandelte und davonflog.«

Menden und Treisan wechselten einen zweifelnden Blick. Nichts von dem, was der Bürgermeister da berichtete, bot tatsächlich Anlass zu dem Glauben, dass in der Gegend eine Hexe ihr Unwesen trieb. Hier oben im Gebirge, so nah an der Grenze zum Reich der Therianer, waren sowohl das Wetter als auch die Tiere stets unberechenbar, seltsame Lichter und angebliche Gestaltwechsler mochten ebenso wirrem Aberglauben, als auch dem übermäßigen Genuss des hiesigen Zwergenschnapses entsprungen sein. Wahrscheinlich hätten sie das Ganze sofort als Irrtum abgetan und die Frau befreit, wären da nicht die Therianer gewesen.

»Warum verschwenden wir unsere Zeit damit?«, fragte Lorkirk und betrachtete demonstrativ gelangweilt die Spitzen seiner Stiefel. »Sollen sich die Kleriker darum kümmern. Wenn sie eine Hexe ist, werden sie es gewiss herausfinden.«

»Das vermögen wir ebenso«, hielt Menden dagegen.

Entweder bemerkte Treisan den giftigen Blick, den seine beiden Ordensbrüder einander zuwarfen, nicht oder er ignorierte ihn gekonnt, während er wie Menden auf ein Knie herabsank und Sefanie ergründend in die Augen sah.

»Könnt Ihr mir sagen, woher Ihr kommt und was Euch in diese Gegend verschlägt, meine gute …?«

»Sefanie«, beendete Menden die Frage seines Marschalls.

Angesichts der zunehmenden Unsicherheit des Bürgermeisters und des Umstands, dass nun gleich zwei Paladine ihr ein offenes Ohr schenkten, schien Sefanie einen Teil ihrer Zuversicht zurückzugewinnen. Sie rutschte ein Stück nach vorne.

»Ich komme aus dem Norden«, begann sie, » aus einem kleinen Dorf namens Trarg am Rande des Schattensaumgebirges. Dort bin ich die Schülerin unserer Heilerin.«

»Trarg? Das klingt nicht so, als läge es im Seereich der Varuna.«

»Nein, es liegt im nordöstlichen Randgebiet der Blutfang-Hochebene.«

Lorkirk regte sich, seine Augen wurden zu dünnen Schlitzen.

»Dann stammt Ihr nicht aus den Sechs Reichen«, murrte der Adlige.

Treisan ignorierte ihn und konzentrierte sich weiter auf Sefanie und ihre Geschichte. »Und was hat Euch so weit in den Süden verschlagen?«

»Meine Herrin entsandte mich, um die wichtigsten Heilpflanzen und Kräuter des südlichen Gebirges kennenzulernen und in mein Dorf zu bringen. Es ist eine abschließende Prüfung, bevor ich zu einer vollwertigen Heilerin meines Stammes ernannt werde.« Sefanie deutete mit einem anklagenden Nicken auf den Bürgermeister. »Einige Viehhirten fanden mich, als ich gerade Venensamt auf einer Lichtung sammelte. Das und meine roten Haare waren für sie Beweis genug, um mich der Hexerei anzuklagen und in dieses Loch zu werfen.«

Zumindest dem konnte Menden ohne langes Grübeln Glauben schenken. Unter der ländlichen Bevölkerung - vor allem hier in Järngard, weitab der großen Städte der eigentlichen Menschenreiche - beäugte man solcherlei Dinge nach wie vor mit Misstrauen, besonders wenn es um Frauen ging. Aber auch darüber hinaus klang Sefanies Geschichte durchaus glaubhaft.

Treisan schien das ähnlich zu sehen. »Danke, Sefanie. Wir werden Euch jetzt losmachen und mit in unser Sanktum nehmen. Sobald alle Zweifel ausgeräumt sind, seid Ihr frei und könnt in Eure Heimat zurückkehren.«

Sefanie biss sich nervös in die Unterlippe, ganz schien sie ihr Misstrauen noch nicht überwunden zu haben. Dennoch nickte sie kurz darauf. »Danke.«

»Bürgermeister.« Treisan wandte sich an ihren Führer. »Darf ich bitten?«

Dem Alten war die Nervosität deutlich anzusehen, als er unter sein Hemd griff und einen an einer Kordel um seinen Hals baumelnden Schlüssel hervorzog. Als er weiter zögerte, nahm Menden ihm einen langen Augenblick später den Schlüssel aus der Hand und befreite Sefanie kurzum selbst. Ihr Blick blieb gesenkt, während sie sich die leicht geröteten Gelenke rieb und von Mendens dargereichter Hand auf die Beine helfen ließ.

»Ihr müsst Euch nicht fürchten, Sefanie«, versprach er ihr leise. »Ihr seid nun in Sicherheit.«

Sie sah zu ihm auf, ihre Augen leuchteten wie die kristallblauen Wasser des großen Kobaltsees. Ein Lächeln stahl sich auf ihre vollen Lippen, ein Lächeln, dem jeder andere Mann gewiss hoffnungslos erlegen wäre.

Und wahrscheinlich wäre es Menden ebenso ergangen, hätten sein Herz und seine Seele nicht längst einer anderen gehört.

~ 3 ~

Die aus dreißig Mann und einer Frau bestehende Kolonne der Paladine setzte sich gegen Nachmittag in Bewegung. Fünf Ritter blieben vorerst zurück, für den Fall, dass dem Angriff der Therianer weitere Unannehmlichkeiten für das kleine Dorf folgen mochten. Auch wenn Treisan keine schnelle Reisegeschwindigkeit vorgab, so dauerte es doch nicht lange, ehe die sanften, von Felsen und kleinen Wäldern bedeckten Hänge zum Lohental hin abfielen und ihr Ziel alsbald in Sicht kam.

Unter ihnen erstreckte sich ein ausuferndes Tal, eingebettet zwischen dem Gemmenglanz-Gebirge und dem östlichsten Teil der Dawi-Berge, die sich wie eine urtümliche Mauer auf der ihnen gegenüberliegenden Seite der Landschaft auftürmten. Eine von sanften Hügeln und einzelnen Baumgruppen durchzogene Ebene bedeckte seinen Grund, während weiter im Norden Gehöfte zu erkennen waren, umschlossen von weiten Weizen- und Maisfeldern. Schafe und Rinder grasten auf den saftig grünen Weiden nahe der Berghänge.

Im Zentrum all dessen thronte das Sanktum des Feueraelder.

Einst errichtet auf einem flachen Felsplateau am Grunde des Tals, erhob sich das Bauwerk als künstlich geschaffener Berg zwischen den Gebirgsmassiven. Breit in seinem Fundament hatten die Zwerge von Järngard - die Architekten und Erbauer der Feste - ein Stockwerk nach dem anderen in die Höhe gezogen, wobei diese sich nach oben hin immer weiter verjüngten und schließlich in einer hohen Kuppel endeten. In perfekter zwergischer Symmetrie reihten sich weite Balkone, Plätze und Innenhöfe aneinander, besetzt mit Säulen, Statuen und Wasserspeiern. Rote Banner mit dem Zeichen des Feueraelder, der stilisierten Flamme, blähten sich in der schwachen Brise, die von den Bergen ins Tal hinabstrich.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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