"Ab - ge - Murg - st" - Sigrid Schmidt - E-Book

"Ab - ge - Murg - st" E-Book

Sigrid Schmidt

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Beschreibung

Wer ist der Tote am Ufer der Murg? Und wer ist dieser Johannes Vögele? Wie gehört sein Nachbar, Achim Kleimst und dessen Familie in diese ganze Geschichte? Schmidtke und Willig, Schmonsky und Heinrich? Finden Sie´s heraus! Sie werden lachen und weinen und sich köstlich amüsieren!

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Lieber Leser!

Wie schön, dass Sie hier sind und in meinem ersten Regionalroman lesen!

Aus gegebenem Anlass möchte ich Sie vorab milde stimmen, für meinen literarischen Frevel, und dem Rest unserer Bevölkerung schwörend versichern, dass die Bürger dieser Region, ganz besonders liebenswerte Menschen sind!

Ein bestes Beispiel an Höflichkeit und Hilfsbereitschaft.

Zuverlässig, sorgfältig, behutsam und fleißig, allen schönen Dingen offen und dem Lichte zugewandt.

Kurzum: freundliche, kluge, aufrichtige, ruhige Bürger, die keiner Menschenseele etwas zuleide tun!

Also ist alles, was jetzt folgt, frei erfunden!

Reine Fiktion!

Und nun…

…viel Spaß!

Meine lieben Badener, Badenser, Württemberger und Schwarzwälder!

Liebe Rastatter, Gelbfüßler und Staffelschnatzer!

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich bei meiner „Stadt Rastatt“, den zuständigen Behörden und deren Angestellten und allen Mitwirkenden und Mitbürgern bedanken, für die wundervollen Pflanzen und Blumen, den herrlichen Hängeampeln an den sommerlichen Laternen, der unglaublichen Blütenpracht, die in dieser Stadt und in der ganzen Region, herrscht und auch für den sorgsamen, behutsamen Umgang, mit der Vergangenheit.

Eine Besonderheit die von ihren Bürgern oft als selbstverständlich hingenommen wird, weil sie es, glücklicherweise, nicht anders kennen.

Ich kenne die Monotonie der Weinberge und die anderer Gegenden sehr gut und weiß darum die Vielfalt, das unermüdliche Arbeiten zur Verschönerung dieser Stadt und dieser Gegend sehr zu schätzen und freue mich jedes Frühjahr kindisch, wenn hier die ersten Pflanzen und Blüten all-überall erscheinen.

Am allermeisten liebe ich es aber, wenn des Nachts die abertausend kleinen Lichter in den Platanen am Markt, romantisch leuchten!

Diese Stadt und ihre Menschen sind einfach wunderbar!

Es ist schön, dass es euch gibt!

Vorwort

Die Murg ist ein 80.2 Kilometer langer Nebenfluss des Rheins, der in Baiersbronn aus zwei Quellen entspringt, um dann von Nord nach Süd durch viele, wunderbare Orte des Schwarzwaldes zu fließen, mit naturbelassenen Schluchten, ruhigen Staustufen, Seen und Weihern und beeindruckenden Wasserfällen. Mit kochenden Strudeln, majestätisch glatten Wasserspiegeln, manchmal Angst einflößenden, mystischen Nebelbänken, in ursprünglichen, unberührten, moos-steinigen Tälern und Betten. Andernorts, müde dümpelnd, zwischen dicken, runden, trockenen Steinen.

Ein wunderbares Gewässer, das mit seinen Tümpeln, seinen geheimnisvollen Auen und seinen hellen, klaren Ufern, eine einmalig imposante Darbietung seines Selbst zeigt. Und noch dabei alles verschönt, mit seinem lauten und leisen Plätschern und Rauschen, den Reihern, den Eisvögeln und den Libellen, den schimmernden Fischleibern und allen nur denkbaren Wasser- und Wildtieren; bis zu seiner Vereinigung mit dem Rhein in Steinmauern.

Dieser Fluss wird nicht beschifft und wird nur von ein paar einsamen Kanusportlern des hiesigen und anderer, regionaler Vereine genutzt.

Er wurde in seinen besten Zeiten, bis zum ausgehenden 19ten Jahrhundert, zum Flößen von Schwarzwälder Holz bis zum Bauschlagplatz für die Rheinflöße in Steinmauern gebraucht. Auch zum Angeln, Fischen und, an geeigneten Stellen, zum Gerben und Waschen und zum Be- und Entwässern.

Hauptsächlich ist dieser Fluss ursprünglich, unangetastet und naturbelassen.

An einigen, nötigen Stellen wurde er mittlerweile wieder wunderschön re-naturiert.

Meiner intuitiven Ansicht nach, dürfte an und auf und um diesen Fluss ohne störenden Schiffsverkehr viel mehr geschehen. Es könnten Bereiche zum Schwimmen und Baden abgegrenzt werden, Wasserspielplätze für große und kleine und erwachsene Kinder angelegt werden.

Da könnten innerstädtische Brückenplateaus entstehen. In und am und über den Fluss, Caféhütten mit kleinen Tischchen und gemütlichen Stühlen.

Wenn man vielleicht einen Platz, einen Tisch dort am Geländer ergattern würde, mit einer wunderbaren Aussicht, über das schimmernde Wasser; wenn sich die Flammen der Kerzen, in ihren Gläsern, nachts im Wasser wiederspiegelten, zusammen mit dem sanften Licht von Lampions und Lichterketten.

Oder wie wäre es mit rein saisonalen „Murgbrücken“?

Darauf „Sommermärkte“, ähnlich den Weihnachtsmärkten, in deren Buden man Eis und kühle Limonaden kaufen könnte.

Waffeln und Kuchen.

Würstchen, gebraten, gegrillt und gekocht.

Bunte Pavillons, kleine Shops, Stände mit T-Shirts und Souvenirs, Postkarten und Sondermarken oder was auch immer Ihnen noch dazu einfällt.

Sommer-Flößen zum Beispiel. Kanu Vermietung, Tretboote.

Oder ein schwimmendes Lokal? Mit Tanzfläche!?

Breite, lange Stufen bis hinab zum Wasser, an vielen Stellen.

Oder extra stille „Liegestuhl-Terrassen“.

Natürlich dürften auch ein, zwei Kunstmaler mit ihren Aquarellen, ein leiser Geiger, ein feuriger Gitarrenspieler, leise Musik und viel Kunst, niemals nicht, fehlen!

Na?

Wie wär´s?

Sicher gibt es am Wasser, an großen und kleinen Flüssen und Seen, immer und überall, auch Ratten, deren Pelz die Gerber und Pelzmacher auch versöhnend, eigentlich eher beschönigend, „Nutri“ nennen.

Eine etwas andere Gattung als die schnöde Verwandtschaft an Land. Eben eine andere Pelzfamilie, eine andere Sorte. Aber artverwandt.

Diesem hier war es sowieso egal wie die Tiere hießen, die ihn in aller Herrgottsfrühe, im Schutze der hellen Nebelfetzen, aufgestiegen aus der Murg, vorsichtig beschnüffelt, mit ihren Tasthaaren abgesucht und ihn dann, immer auf den Schlag der Falle bedacht, angeknabbert hatten.

Sie hatten sich aus dem Staub gemacht als der erste Hund bellend, das erste Herrchen schnaufend, außer Atem vor Schreck, im ersten Licht des Sonnenaufgangs den leblosen Körper mit dem Fuß anstupste.

„Heh!... Sie!... Hörsch mi?.... Hosch no net g´nu?...

Stah´ nauf! Saufkopp!...“

Immer noch hoffnungsvoll, seinen zerrenden, keuchenden Hund mit dessen Leine würgend, sieht er sich, den leblosen Körper missmutig beäugend, unwirsch, gezwungen bei der Polizei anzurufen.

„Notruf der Polizei!?“

„Ja! Hier isch der… äähhh…! I´ bin hier an der Murg…

Rausgeh´ wollt i!… Mi´m Hund!... Verschdehsch?,.. Donn liegt do Oiner!“

„Sie haben also eine leblose Person gefunden?“

„Jaaaa… aaaahhhhh!… Awwer!... Der isch doot!“

„ Wie? Doot?“

„Ai du Daggel!… I sag´s dir no´ amol! …Der isch doot!…

Mause-doot halt!

„WO sind Sie denn GENAU?“, fragt´s, wegen der Wiederholung des Anrufbandes jetzt zum Hochdeutschen gezwungen, aus dem Hörer.

„Hah!… An der Franzbrück´ halt!… Mit moi´m Hund!… An der Murgwies´!“

„Welche Stadt?“

„Ha´ nai!… Rastatt, halt!“…

„Dann bleiben Sie bitte dort! Die Kollegen kommen!“

Mittlerweile hatten sich mehrere Hundebesitzer mit ihren Tretminenverteilern jeder Größe und Rasse ergriffen stumm um den ersten versammelt.

Vom Geländer der Brücke strahlt eine würdige Andacht herab, stehen die Menschen, ergriffen, erschrocken, stumm, trauernd, um den ihnen Unbekannten.

Schichtarbeiter der nahen Daimler-Werke halten ihre Fahrräder an.

Schulkinder. Hausfrauen. Arbeiter. Anwohner.

Alle still!

Mit weiten Augen. Kopfschüttelnd.

Respekt erweisend, des Fremden Tod.

Eben diese Würde ausstrahlend, die diesem Menschenschlag hier, von der unermüdlichen Bearbeitung des sauren Bodens, von ihrer Arbeit mit dem Kräfte zehrenden, gnadenlos knochenbrechenden, fleischfledderndem, gliederreißenden Holz, den harten, langen und eisigen Wintern in einem dichten, schwarzen Wald, ihrem ursprünglichen Überlebenskampf, von den Überlebenden der ihnen vorrausgegangenen Generationen, anerzogen worden war.

Eben diese Würde, die diesen Menschen und ihren Ahnen, als Letztes, manchmal Einziges, geblieben war.

Kehrwoche!

Kehrwoche bedeutet, dass in einer bestimmten Woche des Monats, sorgsamst gerecht ausgeklügelt, derjenige Mitbewohner des Hauses, dessen Name auf der Liste, ausgehängt am schwarzen Brett, neben den Briefkästen im Flur, verantwortlich ist, für die Sauberkeit, im Treppenhaus.

Von der Speichertreppe, der obersten Stufen an, hinab, bis hin zu den Schwellen der Nachbarn.

Hinunter bis in den Keller, rund um die Mülleimer und den Fahrradständer.

Haupt-augenmerklich auch auf dem Weg, oder den Wegen, rund ums Haus, bis hin zu den Rändern der städtischen Grünflächen zwischen Gehweg und Straße.

Bei Handlungsbedarf auch darüber hinaus und, der deutschen Ordnungs-und Schönheitsliebe wegen, auch diese dort, inoffiziell, zum Kehrwochen-Dienst gehörend, ja, zum Aushängeschild des dahinter liegenden Hauses erhoben, zum „Lieblings-Kehrwochen-Fleck“ geworden, da es sich um eine rein freiwillige und darum doppelt belobigte und weithin sichtbare „Fleißarbeit“ handelt.

Noch dazu hat man natürlich auch auf heraushängende Postzipfel, auf die Hinterlassenschaft diverser Müllabfuhren, eventuelle Glasscherben, verlorene Tempos, überhaupt Papier jeder Art, da trittfest und bestens langlebig-nassklebend, zu achten.

„Man achte auf Sauberkeit und Ordnung“ stand dort. Die eigene und die der Anderen!

„Typical German Correctness“.

Effizient, vielversprechend, erfolgreich!

Jedes Haus, das etwas auf sich hält, hat solch eine Kehrwochen-Liste, die dich unweigerlich mit den liebenswerten Marotten, den Macken und den Erziehungsfehlern deiner Wohnungsund Straßennachbarn vertraut macht.

Und heute war sie damit dran!

Kehrwoche!

Und dieser Hundehaufen am Rand des Grünstreifens vor dem Haus war so enorm mächtig und so frisch-matschig, dass wohl die aufgefalteten „Badner Nachrichten“ und ein bisschen „Schippe und weg!“ nicht ausreichen würden.

Am erfolgversprechendsten schien die Methode, ihm mit einem Eimer Wasser und einem kräftigen, steten Guss zu Leibe zu rücken. Ihn zu verflüssigen und ihn über den Rinnstein, dann den Gully, verschwinden zu lassen.

Einen Versuch war es wert gewesen!

Allerdings driftete die Masse nur einige Zentimeter auseinander, wobei sie einen würgreizenden Geruch von Verwesendem, den erbärmlichen Resten der Abdeckereien und den Ställen, vormals abgefüllt in Futter-Dosen und den üblichen Geruch von fertig Verdautem von sich gab.

Unweigerlich fragte sie sich, wie groß wohl der Muskel unter dem Schwanz wäre, der solche Haufen von sich gab und wie riesig der dazugehörige Hund, und wie alt und rücksichtslos wohl das Arschloch am anderen Ende der Leine!

Wie wir nun ja alle wissen, haben Frauen wahnsinnig viele gute Eigenschaften.

Eine der wohl heraus ragendsten und spektakulärsten ist wohl die, das Lichtspektrum eines echten Diamanten in einem einzigen, winzigen Lichtreflex zu erkennen.

Auch in der größten Scheiße!

Sie deckte den Haufen mit ihrem liebsten Scheuerlappen zu, ließ Schrubber, Eimer und Schippe demonstrativ daneben stehen, ging zurück ins Haus, holte eine der papiernen Tragetaschen, wie es sich für den eventuell zu erwartenden Bio-Abfall gehörte, füllte ihre grüne Gießkanne wieder randvoll mit Wasser und nahm ein Paar von ihren nagelneuen Gummihandschuhen, Größe „S“.

Und, während sie nun langsam darüber rieseln ließ, sammelte sie sechs der bohnengroßen Steine ein und ließ diese in das restliche Wasser der Kanne hinunter sinken, wissend um den Schutz der Zotte; schaute traurig dem Dahinschmelzen zu, legte eine Hand als Sonnenschutz an die Stirn, zog die Lidränder zusammen und sah sich, leise hoffend, nach weiteren Haufen ähnlicher Struktur und Größe im langen Band der Grünstreifen um.

Noch einmal füllte sie Wasser, goss sie, wedelte sie einen jeden der armseligen, Zugluft zerfledderten und abgaskranken Grashalme um und suchte und fand, zu ihrer großen Freude, ganz am Grunde der Spende einen siebten Stein.

Beschloss darauf, dass die Sieben schon immer ihre Glückszahl gewesen war und ließ, auch ihn hinab sinken auf den Boden der Kanne, wo die anderen Sechse schon auf ihn warteten.

Sie würde alles Wasser aus der Kanne herausrieseln lassen, die Steine, die sich dort gesammelt hatten, aus der Zotte schütteln, direkt auf eine dicke Lage Küchentücher, sobald ihr Angetrauter zur Arbeit gegangen wäre.

Würde die Steine dann, sorgfältig, in einem Glasschälchen, gefüllt mit einer Menge Desinfektionsmittel baden und darin liegen lassen bis sie klinisch rein waren.

Sie würde sich mit diesem, ihrem Gott-geschenkten Erbe ein wunderbares Schmuckstück anfertigen lassen, es bei einem anderen Juwelier schätzen lassen und es dann verhökern.

Es würde bestimmt keine Villa werden, aber vielleicht ein paar nette Urlaubstage jedes Jahr und eine neue, eine helle Wohnung nur für sie alleine, mit allem Pi- und Pa- und Po. In einem der sonnigen Neubauviertel, mit Aufzug und einem Hausmeisterdienst, der sich um Papierfetzen, Müllreste, und Hundehaufen kümmerte.

In einem Haus ohne Kehrwoche!

Sie hatten schon ihre Verlobungsringe, später dann ihre Eheringe, bei ihm gekauft, so lange gab es ihn schon.

Sein winziger Laden lag in einer wunderbaren, kleinen Seitenstraße, in einer verkehrsberuhigten Zone, schräg gegenüber einem schmalen Straßenkaffee, mit tiefen, immer liebevoll dekorierten Fenstern zum ur-gemütlichen Souterrain, aus dem es lachte und tönte und klirrte und herrlich nach Kaffee duftete; von dem wenige, winzige Tische und Stühle direkt davor standen und, vom Schritttempo der Durchfahrer getrennt, breitere, bequemere, gegenüber; und viele von diesen, auf einem verwunschen wirkenden Platz daneben, umringt vom beruhigenden Grün der Blumenkästen und Hängeampeln, im alles-umgebenden Schutz hoher, altertümlicher, auch barocker, Fassaden.

Neben imposanten Kübeln, mit noch imposanteren Palmen.

Vor der Fassade des malerischen Stadtmuseums saßen hier, an diesen mosaiken Tischchen, sommers die Einheimischen.

Die, die sich hier auskannten!

Die, die sich schon aus der Schulzeit und länger kannten!

Die, die sich mit wissendem Nicken, seufzendem Händedruck oder liebevollen Umarmungen begrüßten und deren Sing-Sang man nicht verstand, war man nicht von hier.

Eingebettet, ein wenig abseits der Touristenstühle am Markt, aber, wenn man sich ein wenig anstrengte und die richtige Position wählte, immer noch in Sichtweite der bunt leuchtenden Marktschirme des hellen Glöckchenspiels des Rathauses und der sonoren Glocke von St. Alexander, ihm gegenüber.

Privilegiert, zwischen Blumenkistchen, Kerzengläsern und kleinen Väschen, gehäkelten Spitzendeckchen, Lämpchenschnüren und altmodischen Rahmen; der anrührend heimeligen Auslage und den Leihgaben dieses herrlich-nostalgischen Ladengeschäftes nebenan.

Kurzum: ein wundervoller Ort.

Hier würde sie sich einen Kaffee gönnen. Sich beruhigen.

Nachher!

Wenn ihr ihr Juwelier denn recht gegeben hätte!

Sie kannte seine Eigenarten wie jeder hier, denn der große, schlanke Mann, sonst selbstsicher und souverän, litt wohl unter seiner frühen Glatzenbildung und, anders als die Jungen von heute, verbarg er sie darum unter einem Toupet, das seine längst vergangene Haarfarbe hatte, das er wie eine steife Mütze trug, weil es steif gearbeitet war, darum gerne hin und her wackelte, oder, im Gegenteil, nach den Gesetzen der Physik, träge an seinem Ort blieb, wenn er andere Stellungen einnahm, schnell den Kopf bewegte oder hastig ruckte, wie es nun mal seine Art war.

Seine Kunden kannte er erst nach Jahren, denn sein Augenmerk richtete sich, meistens, ausschließlich auf seine Waren. Die goldenen, die funkelnden, die tickenden.

Bei ihm Gekauftes, Stücke zur Reparatur, selbst Angefertigtes, pfrimelige Uhrenkunst, erkannte er auf viele Meter.

Dem galt seine ganze Liebe.

Hierin legte er sein ganzes Geschick, darin lag seine Passion, sein einzigartiges Können.

Wollte man zu ihm, sah man im Vorbeigehen zuerst in das

Fenster seiner Werkstatt, die gerade genug Platz bot für seinen Arbeitstisch, sichtwärts an besagtem Fenster, und seinen Stuhl.

Mit dem bimmeln der Türglöckchen betrat man seinen Laden; musste man vorwärts hinein und, am Ende, rückwärts hinaus, wollte man nicht mit dem Hintern, im Umdrehen seine handtiefe Wandvitrine verschrammen oder die Auslage auf der Theke allerwertest hinunter wischen.

Krampfhaft hielt sie ihre Tasche wie einen Schild vor sich hin.

„JA?“, fragte er missmutig, in einer heiklen Arbeit gestört.

„Die hier...“, dabei legte sie ein Tuch auf das Glas der Theke und schüttelte die klaren Steine vorsichtig aus der Husten-Bonbon-Dose, „ …die hier,… die habe ich von meiner Großmutter geerbt!

Können Sie mir daraus ein Schmuckstück machen?“

Seine Augen begannen zu glänzen während er seine Schmucklupe vor ein Auge klemmte.

Er tat absichtlich länger, drehte und begutachtete länger, als würde er prüfen, seufzte, für ihn ganz ungewohnt, tief, beim Anblick der uralten, unregelmäßig handgeschliffenen Steine, dem Ursprünglichen, dem Eigentlichen, seinem Grund, den Wurzeln seiner Arbeit, bedachte diese einzigartige Möglichkeit, überlegte dabei sein nächstes Vorgehen.

Alle Diebstähle oder illegalen Juwelen und Schmuckgeschäfte, wurden ihm und seinen Kollegen ja auf einer eigens dafür gestalteten Webseite mitgeteilt.

Er müsste also nur die Seiten prüfen, eine kleine Weile abwarten, ob eine neue Meldung kam.

Mittlerweile mehrere, auf diese Kundin passende, Entwürfe vorbereiten.

Dann durfte er loslegen!

Die Gelegenheit war einmalig, käme sicher nie wieder.

Noch nie hatte er mit solchen Steinen arbeiten dürfen.

„Es wird sicher eine Zeit dauern!

Ich muss erst einige Entwürfe fertigen, die ich Ihnen dann zeigen müsste,… Dann einen Kostenplan erstellen… Aber!...

Selbstverständlich, kann ich Ihnen einen solchen Schmuck arbeiten!

Möchten Sie einen Ring?... Oder Mehrere?... Ein Collier?...

Oder ein Armband?… Eine Brosche vielleicht?

Möchten Sie die Steine wieder mitnehmen oder soll ich sie so lange in meinem Tresor aufbewahren?“

„In ihrem Tresor sind sie bestimmt sicherer!“

Längst gingen ihm alte und neue Entwürfe durch den Sinn, war er in seiner eigenen Welt.

Er würde die Steine bei sich haben, könnte sie täglich ansehen, begutachten, sich daran freuen, sie im Licht drehen, sogar Fotos von ihnen und dem Fortgang seiner Arbeit machen.

Ungeduldig schrieb er eine Quittung über den Erhalt der Steine, zugleich einen Auftrag zum Anfertigen eines Schmuck-Entwurfes und verschwand mit seinem Schatz jenseits des Rahmens der Werkstatttür noch bevor sich Erika sortiert hatte und lange, bevor das leise Bimmeln geendet hatte.

Die Wirklichkeit eines Tatortes hat so rein gar nichts zu tun mit der freudigen Erwartung, der Auflösung des neuen „Sonntag-Abend-Krimis“.

Nichts gemein mit dieser Art Rätsel, der neuen Herausforderung deines Geistes.

Mit der geschäftig Rußpulver wedelnden Fraktion Aktionisten. Oder der, der kamerabedingt, schwanzwedelnden, Notizbuch bewährten, Lob heischenden Klugscheißer.

An einem echten Tatort, einem Ort des Todes, ist es merkwürdig leer und unwirklich still.

Eine seltsame, fremde Art von Leere und Stille.

Vielleicht begründet durch die kurzfristig absolute Abwesenheit allen Lebens, dessen Innehaltens, seinem Stillstand.

Eine Naturgesetz-lose Starre.

Erzeugt für, oder durch, das Hinübergehen, Hinübertreten der ewig lebenden Seele, ihrem Übertreten einer unsichtbaren Schwelle in eine unsichtbare Welt, in ein, für Lebende nicht mehr sichtbares, anderes Dasein.

In eine andere Zone, eine Sphäre, eine andere Dimension, den nun unnützen Körper, die Hülle, ohne Bedauern zurücklassend.

Kurzzeitig ist es, als sei die komplette Umgebung, alles ihn Umgebende, mit dem Toten gestorben; Hätte sich entladen, entlebt, im unmöglichen Versuch, mit ihm hinüber zu treten; hätte sich kurzzeitig mit hinein gewölbt, wäre angesaugt; durch eine gewöhnliche Pore oder ein Ventil, eine Membran, Kollaterale, ein Gartentürchen, einen Trichter, einen Spalt, in Leben, Zeit und Raum, in dieses andere Sein; und hat eine absolute, atemlose, leblose, gelähmte Leere, in Allem hinterlassen.

Zurück gesaugt, zurück gewichen in ihren Ursprung.

Zifferblätter, Blüten, Blätterkronen, alles Umgebende.

Undurchblutet, undurchlebt.

Leergesogen!

Sogar die Luft, das Licht, sämtliche Geräusche, tausend Gewöhnliches.

Und diese Stille.

Dieser unbekannten Stille folgt für manchen eine undefinierbare Angst.

Es ist eine Form der Angst, eine Art der Erfahrung, für die es keinen Namen gibt.

Unbenannt.

Unbeschrieben.

Die Besichtigung eines Tatortes ist ein fast Unmögliches, musst du dich doch selbst überwinden.

Ein Kunststück, das dem des „Schatten-Springens“ sehr nahe kommt.

Du musst deinen Fluchtreflex überwinden,

der dir Gefahr signalisiert und dir den dringenden Rat in den Geist hämmert, diesen Ort sofort zu verlassen!

Einem Reflex entgegen kämpfen, der deine Beine lähmt, der dich damit am Weitergehen hin zur Gefahr oder zur „noch-offenen Pore des Universums“ hindert;

der dir das eventuell verräterische Atmen abstellt,

das dem noch nahen Täter deinen Aufenthaltsort verraten könnte. Ankämpfen gegen deine, ausnahmsweise, bestechend exakte Logik.

Eine Unmöglichkeit; anzugehen gegen deine eigene Psyche,

die dich vor dem Schock bewahren möchte,

vor den lebenslangen Horrorbildern,

den Stunden beim Psychologen,

vor dem Auseinander-setzten mit der Gewalt,

deiner eigenen und die der Anderen,

überhaupt der Fähigkeit, zu töten und deinem eigenen, unausweichlichen Tod.

Du musst dein Unterbewusstes überlisten!

Also etwas, das du nicht kennst und von dem du nichts weißt, von dem du aber hoffnungsvoll annimmst, dass es dich nur hindern, und damit schützen, will.

Du dich also selbst beschützt.

Vor dem Verlust deiner Grundsicherheit,

deinem Grundvertrauen,

vor dem unweigerlichen Unheil, vor deiner eigenen Dummheit.

So jagt denn der Hund seinen eigenen Schwanz!

„Wo isch der´e Hund?“ Liebes besieht misstrauisch die grobe Leine, die gerade unter dem Toten zum Vorschein kam.

Sieht sich in der Umgebung um, nach einem respektvoll ausharrenden Vierbeiner, oder einem schockiert japsenden, schlotternden, herrenlosen.

„Welcher Hund?“

Man muss ihm zu Gute halten, dass Erik Bombeck, sein Assistent, die Leine als solche noch nicht erkannt hatte.

„Ja glaub´sch du, dass „der do“ soin Hundelein´ ausg´führt hit?

Oder vielleicht selber d´ Haufe hätt´ lege wellet?

Und an der Loin hit er´s Klopapier g´hätte …?

Geh´, und such´ denne Hund!“

„Und, als, was, wo? Rastatt hot zig-tausend Kilometer!“

„Da isch der Hund wie der Mann!

Wonn ´er d´ Hunger kriecht´, rennt er hoim!

Also, nimmsch dir die Adress und suchsch z´erscht dort!

Aber net drinne! Dort geh´ z´erschd i nah´!

Wegge d` Familie! Verschdoisch!

Unn saach dee Kollege B´scheid, sie soll´et Ausschau no´ dem´me Hund hallde!“

Hauptkommissar Walter Liebes war kein Badner, schon gar kein Schwarzwälder.

Jedenfalls kein echter, denn ein „echter“ musste mindestens drei Generationen seiner Vorfahren von hier haben.

Seine Eltern hatte es aus der schönen Deutschdemokratischen Republik kurz nach Ende des Krieges hierher verschlagen.

Aber erst mit dem Aufzug des Eisernen Vorhangs, dem Fall der Mauer, wurden aus den „Zug´reischde“ „Alt-oing´sessne“, weil die neuen Zuwanderer sie nun in diesem Titel, tatsächlich fast ein wenig wehmütig, ablösten.

Jedenfalls hatte es Walter, der fröhliche Leichtfuß, nicht leicht gehabt, als misstrauisch von den herben und unermüdlich strebenden Waldmenschen Beäugter.

Gerne hätte er von sich selbst gesagt, er wäre ein Menschenkenner, aber eher war er ein „Nicht-Kenner“, denn er sah die meisten Menschen nur von ihren schlechtesten Seiten, nämlich den volltrunkenen, den unzuverlässigen, den unfähigen, den verlogenen, den kriminellen.

Jedenfalls wären ihm die Besuche bei den Zurückbleibenden sicher einfacher gewesen, wenn er ein besserer Menschenkenner wäre.

Glaubte er!

Seine dumpfen Gedanken sollten wohl eine Umgehung werden, eine Ausrede, der klägliche Versuch von „Drücke-bergen“, während er über die wunderschöne Landstraße fuhr, mitten durch die letzten Schneeglöckchenfelder, vorbei an dicken Krokuskissen, an den ersten, hellgrünen Tulpenstengeln und frischen Balkonkästen, die das Osterfest ankündigten.

Mühselig, und unnötig darüber fluchend, dachte er über die beste Art der Überbringung seiner Nachricht nach.

Jede Arbeit hat eben auch ihre Schattenmomente.

Aber die Nachrichten, die er bringt, sind immer mehr, sind immer Lebens verändernd.

Niemand in dieser Familie würde von Schmerz und Umbruch verschont bleiben.

Nicht einmal der Hund!

Dass man sie „Püppi“ geheißen hatte, war durchaus nicht ironisch gemeint, viel mehr war sie aus ihrem Wurf nun mal der kleinste Welpe gewesen.

Sie hieß auch noch so, selbst als sich ihre Schwäche in den nunmehr fast sieben Jahren längst verwachsen hatte und ihr, mit einem Schultermaß von neunzig Zentimetern, niemand mehr den wachstumsschwachen irischen Wolfshund abnahm.

Vielmehr nahmen die meisten die Beine in die Hand und suchten Schutz und den ausgerechnet hinter der nahen Stalltür, genau dort, wo auch ihre Schutzbefohlenen waren.

Ein paar Hühner und ein Hahn, der Püppis mächtigen Schädel gerne als Minarett für seinen Morgenruf nutzte.

Ein gemütlich rundes Schwein namens Trudi, das zärtlich grunzend seine Ferkel schubste und „Laurel und Hardy“, die Pferde die bei Dorffesten und Umzügen in den nahen Städten, oder bei Hochzeiten gerne vorgespannt wurden.

Eben Freunde, die es zu beschützen galt!

Und aus der verspielt-freundlichen, immer schwanzwedelnden „Püppi“, wurde zusehends ein tobender, geifernder Berserker!

Ein vor Wut bebender, fauchender, schaumigen Sabber blasender Hurrikan, der an der morschen Stalltür muskelplusternd hochwuchs, dass sich die langen Hölzer unter seinem beachtlichen Gewicht bogen und ächzten und die dahinter Kauernden sich ihrerseits und gegenseits mit aller Macht, die Beine, die Füße, die Absätze, in die harte Erde keilend, dem das da kommen sollte, entgegen stemmten.

Dagegen hielten,

mit allen Leibeskräften um Hilfe brüllend und auf ein Wunder hoffend.

Hätten Sie um Püppis tatsächliche Schwäche gewusst, ihrer Leidenschaft für Leberwurst, alle zwangsläufigen Besucher hätten danach gestunken wie eine badische Metzgerei am Schlachttag!

Vielmehr wären sie damit bewährt gewesen, in ihren Hosen- und Jackentaschen, den Handtaschen und den Strümpfen, bis unter die Achseln und das Kinn.

Dazu kam Püppis feine Nase, die ihr Leckerchen auch noch über die größten Entfernungen roch.

Auch noch vom Frühstückstisch des Nachbarn!

Der, der den Hof nebenan im besten Sinne der Frühstücks-Konfitüre-Werbung aufgewertet hatte, ohne tieferes Verständnis oder Ahnung von den Anforderungen eines ländlichen Anwesens.

Man musste ihm allerdings zu Gute halten, dass er ein angesehener Arzt war.

Eine Koryphäe auf seinem Gebiet.

Ein geachteter Mann.

Ein gerne gesehener und bevorzugter Nachbar und, angesichts Püppis „Anstands“-Besuchen, durchaus kein Feigling.

Vielleicht war es aber auch nur seine sture Einstellung,

der vorherrschenden, der eingeschliffenen,

allgemein Kopf-schüttelnden Meinung wegen,

der allzu offensichtlichen Tatsache eines „stadt-blöden Zugezogenen“ entgegen wirken zu möchten.

Oder war es sein Mannesstolz, der von ihm, dem Studierten, dem geistig Überlegenen forderte, angesichts eines einfachen, Instinkt getriebenen Tieres, der Mächtigere, der Überlegenere zu sein?