Aggressive Kinder - Kristine Tauch - E-Book

Aggressive Kinder E-Book

Kristine Tauch

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Beschreibung

ACHTUNG! Wissenschaftlicher Text! Das vorliegende Buch beruht auf einer Diplomarbeit ("Bindungstheorie und Heilpädagogik. Zur Entstehung und Behandlung von Verhaltensstörungen bei Kindern."), die durch ein Vorwort mit Bezug zur aktuellen Inklusionsdiskussion in Nordrhein-Westfalen ergänzt wurde. Die Intention der Veröffentlichung liegt darin, durch die im Buch enthaltenen empirischen Befunde der Bindungstheorie und ergänzende psychologische Konzepte, der Arbeit von Pädagogen Rückhalt zu geben, die sonderpädagogisch tätig sind und in deren Arbeitsalltag der Aufbau von Beziehungen/Bindungen eine große Rolle spielt. "Wenn auch der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung dieser bekannten und anerkannten Theorie [Bindungstheorie] liegt, so gelingt es der Kandidatin doch durch die vorzügliche Darstellung der Voraussetzungen, der empirischen Erhebungen und der neueren Weiterentwicklungen dieser Theorie, aktuelle Perspektiven für professionelles Handeln in der Heilpädagogik zu entwickeln und eine Arbeit vorzulegen, die für Pädagogen, Therapeuten und Eltern in gleicher Weise gewinnbringend zu lesen ist." Auszug aus dem Zweitgutachten der Diplomarbeit, Prof. Dr. Jörg Bürmann, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

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Seitenzahl: 172

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Kristine Tauch

Aggressive Kinder

Ursachen Entwicklung Heilung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Widmung

0. Vorwort im Dezember 2014

1. Einleitung

1.1 Intention und Ziel der Arbeit

1.2 Methode und Themenabgrenzung

1.3 Aufbau der Arbeit

2. Die Bindungstheorie

2.1 Entstehung und Grundlagen nach John Bowlby

2.1.1 Ethologische und kybernetische Bezüge

2.1.2 Bindungstheorie und Psychoanalyse

2.1.3 Bindungsverhalten bei Kleinkindern

2.1.4 Zusammenfassung

2.2 Methode und empirische Daten

2.2.1 Das Konzept der Feinfühligkeit

2.2.2 Die drei Bindungsmuster

2.2.3 Desorganisation als zusätzliches Bindungsmuster

2.2.4 Zusammenfassung

2.3 Die aktuelle Situation der Bindungstheorie

2.3.1 Stellenwert der Bindungstheorie in der modernen Psychoanalyse

2.3.2 Bindungsforschung: neue Ansätze und empirische Befunde

2.3.3 Risikofaktoren und Risikostichproben

2.3.4 Zusammenfassung

3. Heilpädagogik und kindliche Verhaltensstörung

3.1 Begriffsbestimmungen

3.2 Anthropologische Voraussetzungen

3.3 Entstehung und Dynamik von Aggression

3.3.1 Die unsichere Basis

3.3.2 Neue Perspektiven der Bindungstheorie

3.3.3 Aggression aus Sicht der Selbstpsychologie

3.3.4 Zusammenfassung

3.4 Behandlung von Kindern mit Verhaltensstörung

4. Ergebnisse und Ausblick

Literaturverzeichnis

Impressum neobooks

Impressum

Aggressive Kinder

Ursachen Entwicklung Heilung

Copyright: © 2014, Kristine Tauch

Am Alten Dreisch 44b

33605 Bielefeld

Tel.: 0049 (0)521 938 311 94

Email: [email protected]

Website: www.integra-lernwerkstatt.de

Cover Design

M.B.M. Murshid

Cover Bild

© shocky – Fotolia.com

Widmung

Für meine Eltern

0. Vorwort im Dezember 2014

Liebe Leserin, lieber Leser!

Vor gut 12 Jahren habe ich mich im Rahmen meines Diplom-Pädagogik Studiums an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz intensiv mit dem ThemaAggression im Kindesalterbeschäftigt. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Bindungstheorie hat mir in allen meinen praktischen Tätigkeiten, in Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen sowie im Umgang mit gesellschaftlich benachteiligten Jugendlichen, einen hohen Dienst erwiesen. Wäre mir nicht klar gewesen wie sehr die frühen Bindungen das Selbstwertgefühl und die Verletzlichkeit des Kindes prägen können und welche Verstrickungen in familiären Beziehungen zu welchen Symptomen führen können, so hätte ich so manches Mal sicher weniger feinfühlig auf die mir anvertrauten Heranwachsenden reagiert. Und ich hätte meine Rolle als (späte) Bindungsfigur unterschätzt und die Verantwortung, die mit dieser Rolle einhergeht.

Die Bindungstheorie und ihre Implikationen sind in ihrer Reichweite und Relevanz aus pädagogischen Handlungsfeldern nicht wegzudenken. Und ebenso gehört dieses Wissen meines Erachtens in die Hausapotheke einer jeden Familie. Denn sie lehrt uns miteinander feinfühlig umzugehen, Kinder mit ihren Bedürfnissen und in ihrem Selbstausdruck wahrzunehmen und sie stark zu machen für eine Welt voller Risiken – und voller Aggressionen.

Aktuell ist die gesamte nordrhein-westfälische Schullandschaft dem Inklusionsgedanken unterworfen, und bei reinen Gedanken ist es nicht geblieben. Gymnasien öffnen sich für Förderschüler, Förderschulberufskollegs öffnen Hauptschülern ohne REHA-Status ihre Pforten, Gesamt- und Gemeinschaftsschulen fressen die Reste von Haupt- und Realschulen auf und vereinen diese mit umfassenden Lehrplänen von Förderschul- bis Gymnasialniveau. Alle sind hier willkommen! Schön! …

Schon in meiner Studienzeit habe ich begeistert in integrativen Schulen hospitiert in denen Schüler und Schülerinnen ohne und mit Behinderungen gemeinsam unterrichtet wurden. Mit Erfolg! Denn die Klassen waren mit jeweils zwei Lehrkräften besetzt, die räumliche Ausstattung war hervorragend, behinderte Kinder hatten jeweils einen Zivildienstleistenden zur Seite, es gab extra Unterrichtsstunden zum Thema „Sozialverhalten“ und, und nun kommt das Entscheidende, die Lehrkräfte hatten aus tiefer Überzeugung ihren Arbeitsort gewählt. Es waren Lehrerinnen und Lehrer, die nicht bindungsscheu waren, sondern im Gegenteil neben ihrer fachlichen Arbeit die Beziehungsarbeit als Bestandteil ihrer Aufgabe ansahen.

Und genau an dieser Stelle hinkt für mich die Umsetzung der Inklusion in Teilen des deutschen Schulwesens. Diese Art der Beziehungsarbeit, die außergewöhnliche Schüler und Schülerinnen brauchen, insbesondere lernschwache und emotional auffällige Kinder (wobei ich davon ausgehe, dass gute Bindungen und Beziehungen allen Kindern gut tun), wurde bisher hauptsächlich von Förderschullehrern geleistet, die meistens in sehr kleinen Gruppen unterrichten.

Der typische Fachlehrer der Realschule XY hat nicht nur wenig Zeit für Bindungsarbeit, er hat im schlechtesten Fall auch gar keine Ahnung davon! Das sei ihm nicht vorzuwerfen, denn seine Intention ist höchstwahrscheinlich, sein Fachgebiet didaktisch ansprechend zu vermitteln. Das ist sein Job.

Ausgehend davon, dass viele Lehrkräfte auf die Themen „Beziehungsarbeit“ und „Verhaltensstörungen“ in Studium und Referendariat nicht hinreichend vorbereitet wurden, halte ich die Lage der Nation, in der die Katastrophenmeldungen aus „Inklusionsversuchen“ sich in Grenzen halten, für lobenswert. Oder ist das die Ruhe vor dem Sturm? Werden unsere Lehrer und Lehrerinnen es schaffen im Zuge der steigenden Anforderungen an die eigene emotionale Offenheit und Bindungsfähigkeit zu wachsen und durch persönliche Entwicklung und Umstrukturierungen von schulischen Ressourcen das große Inklusionsvorhaben zu meistern? Oder braucht es für die Begegnung mit aggressiven und auffälligen Kindern doch eine beschützte und sehr überschaubare Atmosphäre mit ganz besonders ausgebildeten Menschen, den „Sonderpädagogen“, damit Heilung geschehen kann?

Kristine Tauch, Diplom-Pädagogin

P.S.: Alle in der vorliegenden Arbeit genannten Standpunkte werden mit empirischen Befunden belegt. Den ungeduldigen Lesern empfehle ich die präzisen Zusammenfassungen jeden Kapitels sowie den Ausblick am Ende zu lesen.

Bitte denken Sie auch daran: Eine ehrliche und freundliche Rezension stärkt die Bindung der Leser zur Autorin und sorgt für ein Lächeln in deren Gesicht. Danke!

1. Einleitung

DieBindungstheorie istvonJohnBowlbybegründetwordenunderfreutsichheutegroßerBedeutsamkeit.IchwerdesieindieserArbeitinihrenGrundzügen unddenfürdieHeilpädagogikmitverhaltensgestörtenKindernrelevantenAusformungenuntersuchen.

1.1 Intention und Ziel der Arbeit

PädagogenindiversenBereichenderJugendhilfe undJugendfürsorge,aberauchLehrerundErzieherinKindertagesstättenwerdenmitVerhaltensstörungenbeiKindernkonfrontiert,dienicht selteneineaggressiveKomponentehaben.JüngsteNachrichtenberichteweisenaufeineerschreckendeGewaltbereitschaftnichtnurbeiamerikanischenKindern,sondernauchinunsererjungen GenerationinDeutschlandhin.WennKinderaufgrundvonGewalttatenvorGerichtmüssen, dannistnebenderFrageihrerSchuldigkeitauchimmer dieFragenacheinemverstecktenSchuldigenzustellen.WerhatdasKindangestiftet,werhatessoweitgebrachteinesolcheTatzu vollziehen?ZweiAntwortenstehendabeizurDiskussion,zumeinenwirddie FamiliedesTäters, zumanderendiegesellschaftlicheSituationverantwortlichgemacht.Gesellschaftliche Faktoren, dieAggressionenfördernkönnen,sindsicherlichdieGewaltverherrlichung indenMedien(Videos,Comics,Internet,Fernsehenetc.),derwirständigbegegnenunddieleistungsorientierteund emotionsloseAtmosphäredermeistenSchulen.EsisteineSchande,dasszujederTageszeitGewaltaufdemFernsehprogrammsteht,unddassschonkleineKindersichinVideospielengegenseitigtotschießendürfen.HierstelltdieGesellschaftderFamilieeinegroßeAufgabe:Siesoll ihreKindervonalldemabschirmen, waseigentlichfürsieproduziertwird.FürElternbedeutet das,eineReihevonVerbotenaufzustellen,diedenUmgangmitMedienbetreffen.InderSchule erhaltenKindernurdannAnerkennung,wennsiediegeforderten, strengdefiniertenLeistungen erbringen.DieElternmüssendaheimdenLeistungsdruckausderSchuleabfangen,indemsie ihreKinderzuHausewiedereinKindseinlassen,dasGeborgenheitsuchendarf.Esisteine schwierigeAnforderung,abervieleElternmeisterndiese.SiebietensomitihremKindSchutz vorderAußenwelt, behütenesvorschlechtenEinflüssenodergebenihmdieStärke,sichselbst beschützenzukönnen. DieMedienoderdieGesellschaft imGanzenalsalleinigeÜbeltäterhinzustellen, würdeder KomplexitätderkindlichenEntwicklung nichtgerechtwerden.Daswürdeauchnichterklären, warumsovieleKindernichtverhaltensauffälligwerden.ObeinKindfürnegativegesellschaftliche Einflüsseanfälligistodernicht,hängtmitseinerinnerenSicherheitundStabilitätzusammen. DasFundamentfürdieseEigenschaften wirdwährenddererstenLebensjahreinderfrühenEltern-Kind-Bindunggebildet.

DadieRollederFamilieinderEntwicklungeinesKindessobedeutsam ist,möchteichgenauer betrachten,wieKinderinihrerFähigkeitsichselbstzubeschützen undGefahrenauszuweichen bestärktbeziehungsweisegeschwächtwerden.WelcheinnerfamiliäreninteraktionalenStrukturen kannmanausfindigmachen?WelcheFunktionhatdieMutter-Kind-Interaktionindenersten Lebensjahren,wenndieGesellschaftimweiterenSinnenochkeineBedeutung fürdasKindhat? IchmöchteErklärungenfindenfürdieEntstehungvonAggression.Jedochkannichnichtalle existierendenTheorienzudiesemThema,wiedieFrustrations-Aggressions-Theorie,dielerntheoretisch-kognitivorientierteTheorie,dieTriebtheorieoderdieEthologischeAggressionstheorie, behandeln.IchwerdedieEntstehungvonAggressionausbindungstheoretischemBlickwinkel betrachtenunddurcheinenpsychoanalytischenAnsatzergänzen.DassichdamitnichtallemöglichenEntstehungswegederAggressionabdecke,seihiervorausgeschickt.

DieEltern-Kind-BindungundihreImplikationenfürdiekindlicheEntwicklungsindalsodas ThemadieserArbeit.IchbeschäftigemichhiermitdenGrundlagen undneuerenEntwicklungen derBindungstheorie undhoffedadurchneueEinsichtenundIdeenfürdenpädagogischen UmgangmitKindernmitVerhaltensstörungenzufinden.

1.2 Methode und Themenabgrenzung

IndieserArbeitberichteichüberdenForschungsstandderBindungstheorieinBezugaufdas ErklärenvonkindlichenVerhaltensstörungenunddendaraussichergebendenpädagogischen Implikationen.Dazuistesnotwendig,dieGrundlagenderBindungstheorieanhandvonOriginalliteraturderwichtigstenAutoren(BowlbyundAinsworth)vorzustellen.Dieneuere bindungstheoretischeLiteraturhabeichnachdreiGesichtspunktenausgewählt:derAktualität(demErscheinungsjahr),VerweisenaufdieAutoreninHandbüchernderBindungstheorie undnatürlichnach derRelevanzdesThemasfürmeineArbeit.FürdenheilpädagogischenBereichverwendeichvor allemsonderpädagogischeLiteratursowieeinigeWerke,dieauseinerpsychologischenPerspektivegeschrieben wurden(zumBeispielPetermannundPetermann,Heinemann undHopf).DesWeiterenhabeichKohutsNarzissmustheorieausgewählt,umdieEntstehung vonAggressionzu veranschaulichen. Dabeigehtesnichtdarum,seineSelbstpsychologie vollständignachzuzeichnen.MeineDarstellungvonKohutsAggressionsbegriffmagdadurchverkürztwirken,ichbin aberüberzeugt,dassichihnnichtverfremdethabeunddassereineguteErgänzungzurBindungstheoriebietet.

AndasEndederKapitel2.1,2.2,2.3und3.3stelleich jeweilseineZusammenfassung,inder die wichtigstenZusammenhängenocheinmalüberschaubardargestelltwerden.Daserlaubtesmir, imSchlussteil,Kapitel4,keineausführlicheZusammenfassungmehrzugeben,sondernnach einemknappenErgebnisüberblickeinenAusblickaufpädagogischeAufgabenzugestalten.

DieÜberschriftdieserArbeitmachtdeutlich,dasshier ausschließlichErkenntnisseüber dasKindesalterreferiertwerden.Ichbeziehemichinsbesondere aufdasKleinkindalter. Diezahlreichen interessantenBefundederBindungstheorieüberdasJugend-undErwachsenenalterbleiben weitgehendunberücksichtigt.

DieBindungstheorieist,besondersinihrenAnfängen,starkvonempirischenUntersuchungenmitKindern,dieimHeimaufwuchsenodereinenlängerenKrankenhausaufenthaltmitTrennung vonihrenElternerlebten,geprägt.Welchepsychischen undmotorischenAuffälligkeitenbeidiesenKindernbeobachtetwerden,istbereitsinVeröffentlichungen vonReneSpitzbekanntgeworden.SeineBeobachtungenlieferneineFüllevonMaterialfürdieBedeutungderBindungvon KindernaneineMutterfigur.DiesesMaterialwirdjedochnurimRahmendesVerstehensder Mutter-Kind-Bindungeinbezogen.DerFokusdieserArbeitrichtetsichaufKinder,dieihrenWohnsitzbeidenleiblichenoderPflege-ElternhabenundnochkeinelangeTrennungerlebten. Esmussdeswegen imHinblickaufdiekindlicheVerhaltensstörungdasInteraktionsverhalten zwischenElternund Kindbeleuchtetwerden.

DesWeiterennehmeicheineEingrenzungderVerhaltensproblematiken aufexternaleSymptome,im Besonderen Aggressionvor.DieseEingrenzungistnötig,umnichtunzählige verschiedeneSymptomatikenbeschreibenzumüssen,undsieerscheintmirsinnvoll,daAggressioneine hoheBandbreiteanIntensitätaufweistundsomit leichterealsauchschwerwiegendereStörungen imKindesaltereinbezogenwerdenkönnen.

1.3 Aufbau der Arbeit

ZunächstwerdeichdieBindungstheoriein ihrenGrundlagenvorstellen.DietheoretischeFundierungnachBowlbyumfasstethologische,kybernetischeundpsychoanalytischeGesichtspunkte, dieinKapitel2.1dargestelltwerden.ImKapitel2.2beschreibeichempirischeMethodender BindungstheorieunddasausihnenhervorgegangeneDatenmaterial.Danachreferiere ichinKapitel2.3einigeErkenntnisse deraktuellenForschung,soweitsiesichaufdievonmirgewählte Themenstellungbeziehen.

ImFolgendengeheich zurBestimmungvonVerhaltensstörungenüber.Diessollzuerstin Kapitel 3.1geschehen,indemderBegriff„Verhaltensstörung“undseineImplikationendefiniertunddie WahldesBegriffs„Heilpädagogik“inAbgrenzungzu„Sonderpädagogik“erläutertwerden.

DapädagogischesHandelnimmereinMenschenbildvoraussetzt, behandleichdiePädagogische AnthropologieinKapitel3.2vorderAuseinandersetzungmitModellenzurEntstehungundDynamik(Kapitel3.3)sowiederBehandlung(Kapitel3.4)vonVerhaltensstörungen.FürdasVerständnis vonderEntstehungundDynamik vonVerhaltensstörungenimKindesalterwerden zwei Perspektiveneinbezogen:ErstensdiebindungstheoretischePerspektive,dieaufihreklinische RelevanzundihreAussagekräftigkeitinBezugaufdieEntstehungvonVerhaltensstörungengeprüftwird(Kapitel3.3.1und3.3.2).ZweitensdiepsychoanalytischePerspektive,dieEinblickin innerpsychischeKonfliktegibt(Kapitel3.3.3).IchschließedasKapitel3mitdemVersuchab, diebehandlungstechnischenFolgerungenderzweiPerspektivenaufzuzeigen(Kapitel3.4). AbschließendwerdeichdieRichtlinienderHeilpädagogikundderBindungstheorieineinen Zusammenhangstellen,indemicheinenÜberblicküberdieErgebnissederArbeitgebeundderenImplikationenfür dieHeilpädagogikaufzeige(Kapitel4).

2. Die Bindungstheorie

JohnBowlbywurdebeiderEntwicklungderBindungstheorievonunterschiedlichenWissenschafteninspiriert.Dieethologischen,kybernetischenundpsychoanalytischen Voraussetzungen seinerTheoriesowieseineÜberlegungen zummenschlichenBindungsverhaltenwerdeichin Kapitel2.1vorstellen.ImdarauffolgendenKapitelwirddeutlich,wieBowlbysÜberlegungen vonanderenWissenschaftlern empirischuntermauertwerdenkonnten.Schließlichbeleuchteich inKapitel2.3 dieaktuelleSituationderBindungstheoriemitihrenneuenPerspektiven.

2.1 Entstehung und Grundlagen nach John Bowlby

DietheoretischeFundierungderBindungstheoriehatBowlbyindreiBändenzumThemaMutter- Kind-Bindung undTrennung,nämlicherstens„Attachment“(1969),zweitens„Separation.AnxietyandAnger“(1973)unddrittens„Loss.SadnessandDepression“(1980),veröffentlicht.Für dieseArbeitistvorallemderersteTeilderTrilogieinteressant, indemderAutordietheoretischenGrundlagenseinerArbeitdarlegtundausführlichaufBeobachtungen deskindlichenBindungsverhaltenseingeht.Erverknüpftdabeiethologische,psychoanalytische undkybernetische Gesichtspunkte,wieimFolgendenreferiertwird.

2.1.1 Ethologische und kybernetische Bezüge

BowlbybeziehteinigeseinerBegriffeausderKybernetik, sosprichterzumBeispielvon„Verhaltenssystemen“,„Anpassung“und„Arbeitsmodellen“ (Bowlby1975).Wennerschreibt,er wolledieStruktureinesSystemsuntersuchen(a.a.O.,S.60),sosinddamitinnereundäußere Prozessemenschlichen undauchtierischenVerhaltensgemeint.EbensowiedieVertretersystemischerTheorienbetontBowlbydieNotwendigkeitdesEinbeziehens derUmweltdeszuuntersuchendenGegenstandes, alsBedingungfüreinhinreichendesVerständnisdesselben.DieUmweltdesMenschen, ebensowiediedesTieres,nennterdie„Umweltvondessenevolutionärer Angepasstheit“ (ebd.),womiterkenntlichmacht,dassdasSystembereitseinenEntwicklungsprozessinnerhalbseinerUmweltdurchlaufenhat.

Bowlby verknüpftnundiesystemischenBegriffemitethologischen,indemerdenInstinktbegriff inseineTheorieeinführt.AlsinstinktivgeltennachBowlbyVerhaltensweisen,dieauffallend vielenLebeweseneinerSpeziesgemeinsam sindundderErhaltungdesIndividuumsundseiner Artdienen.EsgibtjedochimSinneBowlbyskeinenangeborenenInstinkt,sonderndieserbildet sichinderAuseinandersetzungvongenetischerAusrüstungmitderUmwelt(a.a.O.,S.49f).Die Tatsache,dassdasinstinktiveVerhaltenineinespezifischeUmwelteingepasstist, eröffneteinerseitsdieMöglichkeiteinergewissenWandelbarkeitdesVerhaltens,daesnichtgenetischfestgelegt ist,andererseitsistdasSystem,welchessichangepassthat,inbestimmtemUmfangauf seine gewohnteUmgebungangewiesen.BowlbynenntbeispielhaftfüreineproblematischeFlexibilität einesSystems, dassGänseinihremWerbe- oderBalzverhaltensogaraufeineHundehüttefixiert seinkönnen,wenndiesezumentsprechendenZeitpunkt,ineinerprägendenPhase,alseinzige zurVerfügungstand.KeinSystem kannsoflexibelsein,dassesinjederUmweltangemessen funktioniertund darinsiehtBowlbypathologischeImplikationen(a.a.O.,S. 56f).

SowiedasWerbenderGansfehlgeleitetistunddadurchpathologischwirkt,weildieBedingungeninihrerUmweltkeinenormaleEntwicklungzulassen,sokönnenauchandere Verhaltenssysteme,wiezumBeispielmütterlichesVerhalten,nurinBezugaufihreUmgebungwirksam werden(a.a.O.,S.57).Bowlbynimmtan,dassdemerweitertenundverschiedenartigdifferenzierten Instinktverhalten vonMenschundTier(eshandeltsichinsbesondereumSäugetiereundPrimaten)einegemeinsameStrukturzugrundeliegt(a.a.O.,S.51).Mütterliches Verhaltenbetreffend bedeutetdies,dassverschiedeneArtentrotzevidenterUnterschiedeundAbweichungen gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen.SozeigenvieleTierarteneinähnlichesPflege-undBindungsverhaltenwiederMensch.

BowlbyerwähntzunächstdasVerhaltenvonVögelnundSäugetieren, welchezweidemPflege- undBindungsverhaltenzugrundeliegendeEigenschaftenbesitzen:ErstensentwickelnEltern und Jungekurznach derGeburtdieFähigkeitsichgegenseitigzuerkennenundvonnunananderszu behandelnalsunbekannteIndividuen.ZudieserBehandlunggehörtzweitensdasSuchennach derNähedesanderen(a.a.O.,S.174).DerVergleichdesMenschenmitnichthumanenPrimaten scheintBowlbyjedochangebrachter, dadieseeinegemeinsame evolutionäre Entwicklungslinie verbindet(a.a.O.,S.176).ErbeschreibtBeobachtungenanRhesus-Makaken, Pavianen,SchimpansenundGorillasundstelltheraus,dassalleAffenarteneinstarkausgeprägtes Bindungsverhaltenaufweisen,dasdemdesMenschensehrähnlichist(a.a.O.,S.177ff).SowachtdieAffenmutterständigüberihreJungen,währenddieseebenfallsmeistinihrerNähebleiben undimmer wiederkörperlichenKontaktzurMutteraufnehmen(a.a.O.,S. 285f).

DasVerhaltenssystem,welchesdasBindungsverhaltensteuert,erfüllteinewichtigeSchutzfunktion,indemdiebeidenParteienständiginReichweitebleibenunddieMutterihrJungessovor Gefahrenbewahrenkann.DiesistdasnatürlicheBindungsverhalten, dasEthologenseitlangem beobachtenkonnten.BeidenMenschengibtesjedochMütter,dieihreKinderabweisenund auchbeiAffenkommtesgelegentlich vor,dasssieihreJungenfortjagen(zumBeispielinZoos lebendeTiere).Esliegtnahe,einenBlickaufdieUmweltderabweisendenMütterzuwerfen. Bowlbybemerkt,dassdieVerhaltenssystemedesmütterlichenVerhaltensnurinbestimmten sozialenundphysischenUmweltbereichenfunktionsfähig sind(a.a.O.,S.57).Ichmöchtenoch einmalaufBowlbysInstinktlehrezurückkommen. ErverbindetdieLehredernatürlichenSelektion(Ethologie)mitdenVerhaltenssystemen derMenschen(Kybernetik),dieentsprechenddiesesDarwin’schenPrinzipsderArterhaltungdienen.WiefunktionierendieseSysteme?

BowlbyunterscheidetzwischeneinfachenundzielgerichtetenVerhaltenssystemen(Bowlby 1975,S.73).DieeinfachenSystemewerdendurchReizungderSinnesorganeaktiviertundbenötigenfürihrenvollständigenVerlaufkeinweiteresFeedback.Zielgerichtete Verhaltenssysteme hingegenerfassenaufgrundeinesäußerenoderinnerenFeedbacksdieWirksamkeiteinesbegonnenenVerhaltens undkönnendessenweiterenVerlaufsteuern.Bowlbysprichteinembeachtlich großenTeildesmenschlichenVerhaltensdieseFähigkeitzu(ebd.).

DasBindungsverhaltenssystemdesSäuglingsentwickeltsichimzweitenAbschnittdesersten LebensjahreszueinemzielgerichtetenVerhaltenssystem.So beschreibtBowlby,dasseinKindab demachtenoderneuntenMonatBedingungenentdeckt,dieihnanseinZiel(dieBeeinflussung derMutter)führenund,dassvonnunanseinVerhalten planbarwird(a.a.O.,S.319).Esistalso imStande,aufeinaufseinVerhaltenfolgendesFeedbackzureagierenbeziehungsweise darin enthalteneInformationenzurKenntniszunehmen.AnhanddieserInformationen kanndasKind einenPlanerstellen,denBowlbyzielkorrigiertenVerhaltensplannennt.Dieserzieltdaraufab, dasVerhaltendesInteraktionspartners zuverändernodereinbestimmtesVerhaltenhervorzurufen(a.a.O.,S. 320).

DieVerwendungzielkorrigierterVerhaltenspläne setztvoraus,dassdasKindArbeitsmodelle entwickelthat,inwelchenInformationenüber sichselbst undüberdieBindungsfigur(en)gespeichert sind(vgl.ebd.). DieArbeitsmodellesindderGrundsteinfüreinVertrauenindieBindungsfigurundderenVerfügbarkeit(Bowlby1976,S.247f)undsomit,analogzuEriksonsUrvertrauen,für einGrundvertrauenindieWelt,alsoeinepositiveEinstellungdiesergegenüber.

DieEntstehungderArbeitsmodellekannmitDanielSternfolgendermaßenexpliziertwerden: SterngehtinÜbereinstimmungmitderSäuglingsforschung voneinerfrühenMutter-Kind- Beziehungaus,diedurchregeInteraktionengekennzeichnetist.DieInteraktionserfahrungen,die ausAffektenundHandlungsmusternbestehen,sinddieGrundlagefürdieAusbildunginnerer Repräsentanzen,welcheStern„GeneralisierteInteraktionsrepräsentationen“nennt.Dieseseien dieBausteinefürinnereArbeitsmodelle (zitiertnachBrisch2000,S.70).IneinemsolchenArbeitsmodell