Airport - Alain de Botton - E-Book

Airport E-Book

Alain de Botton

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Beschreibung

Flughäfen sind die Kathedralen unserer Gegenwart. Nachts sind die erleuchteten Landebahnen selbst vom Weltall aus zu sehen. Ihre Terminals sind Orte von Abschied und Ankunft, ihre Besucher träumen von Ferne, und jeder Luxus scheint duty free. Alain de Botton lebte als erste ›writer in residence‹ eine Woche lang in London Heathrow. Doch in Terminal 5 entdeckte er weniger Warten und Transit, als ein Brennglas unserer Gegenwart. In unzähligen Geschichten und Begegnungen entwickelt er das rasende Standbild unseres Lebens, ein leuchtendes Kapitel seiner Philosophie des Alltags. Eine Woche Heathrow – die Sehnsucht des Reisens und das Glück der Ankunft

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Alain de Botton

Airport

Eine Woche in Heathrow

Aus dem Englischen von Bernhard Robben

Fischer e-books

Fotografien von Richard Baker

Für Saul

I.Annäherung

1

Meist spielt Pünktlichkeit eine enorme Rolle bei dem, was wir unter einer guten Reise verstehen, und doch träume ich oft, mein Flieger verspäte sich, so dass ich mehr Zeit am Flughafen verbringen muss. Ich habe diesen Wunsch bislang nur wenigen Menschen anvertraut, doch hoffe ich insgeheim immer wieder auf ein Leck in der Hydraulik des Fahrwerks, auf einen Sturm über der Bucht von Biskaya, auf dichten Nebel in Malpensa oder einen wilden Streik der Fluglotsen im Tower von Málaga (die unter Eingeweihten ebenso für ihre hitzköpfigen Lohnkämpfe berüchtigt sind, wie man sie für die faire Abwicklung eines Großteils des Flugverkehrs über dem westlichen Mittelmeer lobt). Manchmal habe ich mir schon eine so große Verspätung gewünscht, dass es für einen Essensgutschein reicht oder, besser noch, für eine Nacht auf Kosten der Fluggesellschaft in einer dieser gigantischen Kleenexschachteln aus Beton, in deren Fluren nostalgische Bilder von Propellermaschinen hängen, deren Fenster sich nicht öffnen lassen und deren Schaumkissen einen undeutlichen Kerosingeruch verströmen.

Im Sommer des Jahres 2009 rief mich jemand an, dessen Firma Flughäfen besitzt. Sie hält die Schlüsselgewalt über die Airports von Southampton, Aberdeen, Heathrow und Neapel, außerdem untersteht ihr der Einzelhandel an den Flughäfen Boston Logan und Pittsburgh International. Des weiteren werden von ihr weite Teile jener industriellen Infrastruktur kontrolliert, auf der letztlich die europäische Zivilisation basiert (und über die wir gewöhnlichen Menschen uns nur selten Gedanken machen, wenn wir die Toiletten in Bialystok aufsuchen oder in unserem Mietwagen nach Cádiz fahren): der Entsorgungsbetrieb Cespa, die polnische Baufirma Budimex und das spanische Mautstraßenunternehmen Autopista.

Mein Anrufer erklärte mir, seine Firma Grupo Ferrovial hätte kürzlich ein Interesse an Literatur entwickelt und daher beschlossen, einen Schriftsteller zu einer Woche Aufenthalt im Terminal 5 einzuladen, ihrem neusten, zwischen zwei Start- und Landebahnen von Londons größtem Airport gelegenen Drehkreuz für Flugpassagiere. Der Autor, den er vollmundig Heathrows ersten Writer-in-Residence nannte, sei gebeten, impressionistische Eindrücke von seiner Umgebung festzuhalten und an einem eigens errichteten Schalter in der Abflughalle zwischen der Zone D und E unter den Augen der Passagiere und des Personals Material für ein Buch zu sammeln.

Es schien erstaunlich und ergreifend zugleich, dass sich Literatur in unserer hektischen Zeit noch genügend Ansehen bewahrt hatte, um multinationale Konzerne, die sich ansonsten eher mit Abfallmanagement und Landegebühren befassten, zu einem Unterfangen mit solch künstlerischem Anspruch bewegen zu können. Immerhin gebe es, wie sich der Mann vom Flughafen ebenso schwärmerisch vage wie verführerisch ausdrückte, viele Aspekte unserer Welt, für die wohl nur ein Schriftsteller die richtigen Worte zu finden vermöge. Mit einem Hochglanzprospekt – unter gewissen Umständen ein durchaus effektives Kommunikationsinstrument – ließe sich jene Authentizität meist nicht vermitteln, die einer einzigen Autorenstimme zukommen könne; außerdem ließe es sich, wie mein Freund kurz und knapp nachschob, problemloser als ›bullshit‹ abtun.

2

Die Welten von Kunst und Kommerz, die sich gegenseitig meist mit einer Mischung aus Paranoia und Herablassung betrachten, sind schon oft unselige Verbündete gewesen, und doch hätte ich es taktlos gefunden, das Angebot meines Anrufers nur deshalb nicht in Erwägung zu ziehen, weil seine Firma Duty-Free-Shops betreibt und Technologien einsetzt, die ihren Anteil dazu beitragen dürften, dass die mittlere Jahresdurchschnittstemperatur der Luft stetig ansteigt. Zweifellos hat diese Betreibergesellschaft manch eine Leiche im Keller, die sie ihrem sporadisch auftretenden Verlangen verdankt, uralte Dörfer unter Zementbahnen begraben zu wollen sowie ihrer Fähigkeit, uns immer wieder zu unnützen Reisen rund um den Globus zu animieren, beladen mit Tüten voll mit Johnnie Walker und Stoffbären in den Uniformen von Wachsoldaten des britischen Königreiches.

Doch da mein Keller auch nicht ganz leichenfrei ist, durfte ich hier wohl kaum den Richter spielen. Außerdem war mir klar, dass man auf Schlachtfeld oder Marktplatz gewonnenes Mammon durchaus höheren ästhetischen Zielen zukommen lassen konnte. Ich dachte dabei an die launischen Staatsmänner Griechenlands, deren Kriegsbeute einst für den Bau von Tempeln zu Ehren Athenas aufkam, an die gnadenlosen Edelleute der Renaissance, die bedenkenlos delikate Fresken zum Lobe des Frühlings in Auftrag gegeben haben.

Ein weiterer, wenn auch eher prosaischer Grund schien mir darin zu liegen, dass technologische Veränderungen jener langen und gesegneten Periode ein Ende bereiteten, in der Schriftsteller vom Verkauf ihrer Arbeit an ein größeres Publikum leben konnten, weshalb ihnen nun erneut eine Zeit sorgenvoller Abhängigkeit vom Großmut einzelner Sponsoren drohte. Noch während ich darüber nachdachte, was es bedeuten mochte, bei einem Flughafen angestellt zu sein, erinnerte ich mich mit elegischem Optimismus an das Beispiel des Philosophen Thomas Hobbes aus dem siebzehnten Jahrhundert, der sich nichts dabei gedacht hatte, seine Bücher in Diensten der Grafen von Devonshire zu schreiben und seine Brotherren in seinen Abhandlungen regelmäßig mit blumigen Widmungen zu bedenken, ja, der sich von ihnen unweit des Vestibüls von Hardwick Hall, des gräflichen Anwesens in Derbyshire, sogar eine Schlafkammer zahlen ließ. ›Untertänigst biete ich Ihrer Lordschaft mein Buch dar‹, hatte Englands schärfster politischer Theoretiker dem dünkelhaften William Devonshire geschrieben, als er ihm 1642 sein Werk De Cive überreichte. ›Möge der allmächtige und allgütige Gott Sie, den besten Bürger, auf Erden beschützen, und wenn Ihr Leben nach einer langen Dauer sich schließt, Sie mit dem Ruhme des himmlischen Reiches krönen.‹[1]

Mein Mäzen, Rafael del Pinoi, Präsident von Grupo Ferrovial, Mehrheitsaktionär der Flughafengesellschaft BAA und Eigner von Heathrow, war dagegen ein vergleichsweise genügsamer Arbeitgeber. Er stellte nicht die geringsten Ansprüche, verlangte keine Widmung, nicht einmal eine klitzekleine Fürbitte betreffs seines Wohlergehens in der künftigen Welt. Seine Angestellten erteilten mir sogar die ausdrückliche Genehmigung, mich unverblümt und schonungslos über die Aktivitäten der Firma äußern zu dürfen. Angesichts eines solchen Mangels an Einschränkungen jeglicher Art meinte ich, Nutznießer einer Tradition zu sein, derzufolge ein wohlhabender Kaufmann – wenn er denn ein Abkommen mit einem Künstler eingeht – durchaus damit rechnet, dass der sich wie ein verfemter Gesetzloser aufführt; er erwartet kein gutes Benehmen; ja, er rechnet sogar damit, dass sein Lieblingspavian allerhand Porzellan zerschlägt, ist solcherart Toleranz doch der ultimative Beweis seiner Macht.

3

Jedenfalls war mein neuer Arbeitgeber zu Recht stolz auf seinen Terminal und verständlicherweise darum bemüht, ein Loblied auf seine Schönheit singen zu lassen. Das wellige Glas- und Stahlkonstrukt war das gewaltigste Gebäude des Landes, vierzig Meter hoch und vierhundert Meter lang, groß wie vier Fußballfelder, und doch verströmte das Ganze durchgehend Licht und Leichtigkeit, fast wie ein kluger Geist, der sich mühelos mit Komplexem befasst. Noch von Schloss Windsor aus konnte man die blinkenden, rubinroten Lichter des Terminals in der Dämmerung sehen; seine äußere Form war die Gestalt gewordene Verheißung der Moderne.

Angesichts solch enorm kostspieliger Objekte technologischer Schönheit mögen wir versucht sein, ein Gefühl von Ehrfurcht gar nicht erst aufkommen zu lassen, da wir fürchten, ansonsten vor Bewunderung ganz dumm zu werden. Vielleicht ahnen wir, dass uns Architektur und Ingenieurskunst überwältigen könnten, dass es uns gar die Sprache verschlägt angesichts der fahrerlos zwischen Satelliten-Airports verkehrenden Bombardier-Züge oder der GE90 Motoren, die so leichthin an den Komposittragflächen einer nach Seoul fliegenden Boeing 777 hängen.

Und doch sind wir vielleicht nur auf andere Weise dumm, wenn wir uns ein Gefühl der Ehrfurcht versagen. In einer Welt voller Chaos und Unregelmäßigkeit scheint mir der Flughafen eine ebenso würdige wie faszinierende Zuflucht von Eleganz und Logik zu sein. Er ist das imaginative Zentrum unserer heutigen Kultur. Würde man gebeten, einen Marsianer an nur einen einzigen Ort zu bringen, an dem sich exemplarisch die Vielfalt der unsere Zivilisation prägenden Themen ausmachen ließe – von unserem Glauben an den technischen Fortschritt bis zur Zerstörung der Natur, von globaler Vernetzung bis zur Romantisierung des Reisens –, dann müsste man ihm wohl die Ankunfts- und Abflughallen eines Flughafens zeigen. Mir gingen die Gründe aus, warum ich das ungewöhnliche Angebot nicht annehmen sollte, ein wenig Zeit auf dem Gelände eines Flughafens zu verbringen.

II.Abflug

1

Mit einem Zug aus der Londoner Innenstadt kam ich am frühen Sonntagabend zum Flughafen, in der Hand einen kleinen Rollkoffer und für den Rest der Woche keine weiteren Reiseziele. Man hatte mich in einem Hotel der Sofitel-Kette untergebracht, ein Außenposten von Terminal 5, der zwar nicht direkt zum Flughafen gehörte, aber nur wenige Meter davon entfernt lag und mit dem Mutterschiff durch eine Reihe von überdachten, nabelschnürigen Fußwegen wie auch durch jene gemeinsame Architektursprache verbunden war, zu der die häufige Verwendung glasierter Oberflächen ebenso wie eine Vielzahl von Riesentopfpflanzen und grauen Fliesen gehörten.

Das Hotel verfügte über die stolze Anzahl von sechshundertundfünf um ein Atrium angeordneten Zimmern, doch wurde rasch deutlich, dass der wahre Schwerpunkt des Unternehmens nicht im Hotelbetrieb, sondern im Management einer kontinuierlichen Abfolge von Konferenzen und Kongressen lag, die in fünfundvierzig, nach den unterschiedlichsten Orten der Welt benannten und reichlich mit Datenpunkten und LAN-Zugängen ausgestatteten Tagungssälen abgehalten wurden. Am Abend dieses Augustsonntags traf sich Avis Europe im Dubai-Saal und Liftex, die Vereinigung der britischen Lift-Industrie, im Tokio-Saal. Die größte Tagung aber fand im Athen-Saal statt, wo eine Konferenz zum Thema Ventile zu Ende ging, einberufen von der Internationalen Organisation für Normung (ISO), einer Vereinigung zur Beseitigung unterschiedlicher Standards für industrielle Maschinen, Werkzeuge und Geräte. Wenn die libysche Regierung das Abkommen auch noch unterzeichnete, würde es dank zwanzig Jahren Arbeit der ISO bald möglich sein, ohne Adapter durch ganz Nordafrika zu reisen, von Agadir bis El Gouna.

2

Man hatte mir ein Zimmer im obersten Stock der Westecke des Gebäudes zugewiesen, von wo aus ich seitlich auf den Terminal und auf eine Reihe roter und weißer Lichter sehen konnte, die das Ende der nördlichen Start- und Landebahn markierten. Trotz aller gewiss wohlmeinenden Anstrengungen der Fensterscheibenproduzenten konnte ich jede Minute den Donner einer aufsteigenden Maschine hören, in der über hundert Passagiere – von denen manche gewiss die Hand ihres Nachbarn hielten, andere gelassen im Economist blätterten – auf wohlberechnete Weise den landverhafteten Ursprüngen unserer Spezies trotzten. Hinter jedem erfolgreichen Flug standen die vereinten Anstrengungen mehrer hundert Menschen, von den Herstellern der Airline-Kosmetiktaschen bis hin zu Honeywells Ingenieuren, die für die Installation von Doppler-Radargeräten zum Aufspüren von Scherwinden und von Antikollisionssystemen verantwortlich waren.

Bei dem Design des Hotelzimmers schien man sich an einer Kabine der Business-Class orientiert zu haben – auch wenn sich kaum mehr sagen ließe, was das jeweilige Vorbild gewesen war, ob das Zimmer auf geschickte Weise die Kabine oder die Kabine das Zimmer imitierte – oder ob sie gar beide unbewusst Ausdruck jenes Zeitgeistes waren, der schon Mitte des achtzehnten Jahrhunderts für eine gewisse Kontinuität zwischen dem Spitzenbesatz eines Abendkleides und den gusseisernen Verzierungen der Fassade eines georgianischen Stadthauses gesorgt hatte. Zimmer wie Kabine verhießen, dass man einen Film am schwenkbaren Bildschirm ansehen, zum Gesumm der Klimaanlage einschlafen und beim Landeanflug auf den Hongkonger Flughafen Chek Lap Kok aufwachen konnte.

Mein Arbeitgeber hatte mir aufgetragen, mich für die Dauer von sieben Tagen ausschließlich im engeren Umkreis des Flughafens aufzuhalten; entsprechend erhielt ich eine Anzahl Gutscheine für die Restaurants im Terminal und die Genehmigung für zwei Abendessen im Hotel.

Es gibt wohl nur wenige literarische Werke, die so poetisch wie die Speisekarte des Zimmerservice sind.

Der Herbststurm

Fegt über die Steine

Auf dem Asama.

Selbst diese Verse von Matsuo Basho«, der den Haiku in Japans Edo-Zeit zu wahrer Vollkommenheit entwickelte, wirkten schal und nichtssagend im Vergleich mit jenen Versen, die ein anonymer Meister irgendwo innerhalb von Sofitels Catering-Bereich verfasst hatte:

Delikater, gemischter Blattsalat mit sonnengetrockneten

Kronsbeeren, pochierten Birnen,

Gorgonzolakäse und kandierten Walnüssen

in einer Zinfandel-Vinaigrette.