Aktiv trotz Demenz - Johanna Radenbach - E-Book

Aktiv trotz Demenz E-Book

Johanna Radenbach

4,8

Beschreibung

Demenzerkrankte aktivieren – aber wie? Welche Spiele, welche Beschäftigungen, welche Bewegungsübungen eignen sich eigentlich für diesen Personenkreis? Dieses Buch ist eine Fundgrube für die Aktivierung und Betreuung von Demenzerkrankten. Professionellen Pflegekräfte und Laien bietet es Fachwissen und viele Ideen zur einfachen, kreativen und sinnvollen Aktivierung. Die meisten Aktivitäten lassen sich zeitlich flexibel einsetzen und sind deshalb auch gut für kurze Aktivierungen geeignet. In gewohnt kompakter Weise greift die 3., aktualisierte und ergänzte Neuauflage die ganze Bandbreite an Beschäftigungsmöglichkeiten auf. Sie enthält zudem ausführliche Materiallisten, sodass jede Aktivierung schnell vorbereitet und umgesetzt werden kann.

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Johanna Radenbach

Aktiv trotz Demenz

Handbuch für die Aktivierung und Betreuungvon Demenzerkrankten

Johanna Radenbach

„Leben heißt handeln.“

ALBERT CAMUS

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-333-8 (Print)

ISBN 978-3-8426-8534-5 (PDF)

ISBN 978-3-8426-8535-2 (EPUB)

© 2014 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Reihengestaltung:

Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.de

Titelbild:

Galina Barskaya – fotolia.com

Satz:

PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig

Druck und Bindung:

Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza

INHALT

Danksagung

1Einleitung

2Demenz

2.1Was ist Demenz?

2.1.1Begriff

2.1.2Diagnostik

2.2Entdeckung und Erforschung von Demenz

2.2.118. Jahrhundert

2.2.219. Jahrhundert

2.2.320. Jahrhundert

2.3Aktuelle Zahlen und Krankheitslehre

2.3.1Häufigkeit

2.3.2Ursachen

2.3.3Risikofaktoren

2.3.4Vorbeugung

2.4Demenzarten

2.4.1Primäre Demenz

2.4.2Sekundäre Demenz

2.5Krankheitsverlauf

2.5.1Leichte Demenz

2.5.2Mittelschwere Demenz

2.5.3Schwere Demenz

3Grundlagen zur Aktivierung von Demenzerkrankten

3.1Verbliebene Fähigkeiten ermitteln

3.2Auswahl und Ziele der Aktivitäten

3.2.1Leichte Demenz

3.2.2Mittelschwere Demenz

3.2.3Schwere Demenz

3.3Umgang mit Demenzerkrankten

3.3.1Motivation

3.3.2Kommunikation

3.4Organisatorische Bedingungen

3.4.1Gründe für die Einzel- oder Gruppenaktivierung

3.4.2Gruppenzusammensetzung und -größe

3.4.3Zeitplanung

3.4.4Gruppenraum

4Aktivitäten

4.1Biografiearbeit

4.1.1Herstellung und Verwendung eines Biografiebogens

4.1.2Verwendung von Elementen aus der Biografie

4.1.3Persönliche Fotografien betrachten

4.1.4Herstellen und Anwenden einer Biografiekiste

4.1.5Poesiealbum anschauen

4.1.6»Eine Handtasche hat viel zu bieten«

4.1.7Ein Erinnerungszimmer einrichten

4.2Gedächtnistraining durch Sprichworte und Wortspiele

4.2.1Gegensätze oder Entsprechungen erraten

4.2.2Begriffe assoziieren

4.2.3Sprichwörter und Redewendungen ergänzen

4.2.4Verballhornte Sprichwörter

4.2.5Gemeinsames Rekonstruieren von Märchen

4.2.6Spiele mit Farben

4.2.7Reimrätsel

4.2.8Oberbegriffe erraten

4.2.9Wohn-Spiel: Gegenstände Zimmern zuordnen

4.3Lesen und Vorlesen

4.3.1Erfolgreich vorlesen

4.4Bewegungsangebote

4.4.1Spazierengehen

4.4.2Bewegungsgeschichten

4.4.3Tänze im Sitzen

4.4.4Bewegungsspiele aus der Kindheit

4.4.5Einsatz von Gymnastikgeräten

4.4.6Einsatz von Alltagsmaterialien als Gymnastikgeräte

4.5Musizieren

4.5.1Singen mit Demenzerkrankten

4.5.2Lieder raten und singen

4.5.3Musikhören

4.5.4Musizieren mit Rhythmusinstrumenten

4.6Anregen der Sinne

4.6.1Taktiler und kinästhetischer Sinn

4.6.2Visueller Sinn

4.6.3Auditiver Sinn

4.6.4Olfaktorischer und gustatorischer Sinn

4.6.5Stimulation vieler Sinne durch eine Aktivität

4.7Kreatives Gestalten

4.7.1Malen mit Demenzerkrankten

4.7.2Reiß- und Knüllbilder

4.7.3Papiercollagen

4.7.4Bilder mit Naturmaterialien

4.7.5Laubsägearbeiten

4.7.6Perlenketten und -armbänder

4.7.7Pompons aus Wollresten wickeln

4.7.8Duftorangen

4.8Aktivitäten des Alltags

4.8.1Mahlzeiten zubereiten

4.8.2Tisch decken und Nahrungsaufnahme

4.8.3Geschirr abwaschen und abtrocknen

4.8.4Wäsche pflegen

4.8.5Raumpflege

4.8.6Bürotätigkeiten

4.8.7Den eigenen Körper pflegen

4.9Weitere Angebote

4.9.1Generationsübergreifende Arbeit

4.9.2Feste feiern mit Demenzerkrankten

4.9.3Geburtstage im Altenheim feiern

4.9.4Religiöse Rituale

4.9.5Therapeutischer Einsatz von Tieren

4.9.6Gärtnern

5Vorschläge für themenorientierte Gruppenstunden

5.1Morgens im Bad

5.2Berufe

5.3Blumen

5.4Tiere

5.5Reisen

5.6Essen und Trinken

5.7Kleidung

5.8Vornamen

Literatur

Materialliste

Register

DANKSAGUNG

Zahlreiche Personen unterstützten mich beim Schreiben dieses Buches, die an dieser Stelle unbedingt Erwähnung verdienen. Bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei meinen Eltern, für das stete Erinnern an Entspannungspausen und das Korrekturlesen. Dr. Katrin Radenbach hat mir mit den medizinischen Informationen über die Demenzerkrankung sehr geholfen. Michael Lange danke ich für das konstante Bereitstehen zur Reflexion des Buchinhalts. Das Fachlektorat führte Corina Mohr durch. Sie hat den Text auf Inhalt und Form überprüft, dafür danke ich ihr sehr. Nadja Nowotzin danke ich für Ergänzungen im Kapitel »Themenorientierte Gruppenstunden« und ihre Ideen für das Kapitel »Demenzbetroffenen erfolgreich vorlesen«. Ganz besonders bedanke ich mich bei allen Mitgliedern der Website über Ergotherapie bei Demenz – EbeDe.net (www.EbeDe.net). Ihre vielen Betätigungsideen für Demenzerkrankte bereichern dieses Buch. Den Mitgliedern des Fachkreises Ergotherapie und Demenz unter der Leitung der Demenzexpertin Gudrun Schaade danke ich für den inspirierenden Austausch.

Johanna Radenbach

1EINLEITUNG

Betätigung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Menschen mit fortgeschrittener Demenz haben jedoch durch kognitive Einschränkungen meist die Fähigkeit verloren, aus eigenem Antrieb heraus eine Tätigkeit zu beginnen und den eigenen Wünschen entsprechend aktiv zu werden – das ist ein typisches Merkmal ihrer Erkrankung. Betreuende Personen wie Ergotherapeuten, Altenpfleger, ehrenamtliche Helfer oder Angehörige sollen die nötige Unterstützung bieten. Ihnen hilft dieses Buch mit Fachwissen und vielen Ideen zur einfachen, kreativen und sinnvollen Aktivierung ihres Patienten, ihres kranken Familienmitglieds oder Freunds. Sie können seine Lebensqualität wieder steigern.

Die vorgestellten Tätigkeiten dienen aber auch dazu, verbliebene Fähigkeiten möglichst lange Zeit zu erhalten. Außerdem stabilisieren gelungene Aktivitäten das Selbstbewusstsein der oft verunsicherten Kranken und lenken ihren Antrieb in geordnete Bahnen. Gemeinsam erlebte Tätigkeiten fördern zudem die guten Beziehungen zwischen allen teilnehmenden Personen. Nicht zuletzt verhindern überlegt durchgeführte Aktivitäten, dass sich Betreuer im Umgang mit Demenzerkrankten hilflos fühlen. Gut abgestimmte Aktivierungen verleihen solchen Begegnungen die nötige Struktur. Zwar lassen sich krankheitsbedingte Einschränkungen dadurch nicht mehr aufheben. Aber bei allem gilt: Nicht das perfekte Resultat einer Tätigkeit zählt, sondern ein befriedigendes Tun.

Die Umsetzung der im Buch beschriebenen Aktivitäten kann und soll keine professionelle Behandlung vom Ergotherapeuten ersetzen. Nicht die »Therapie« sondern die »Aktivierung« des Demenzerkrankten steht im Mittelpunkt. Obgleich diesem Buch ein ergotherapeutischer Ansatz zugrunde liegt, können alle anderen Berufsgruppen, die mit Demenzerkrankten zu tun haben, die beschriebenen Aktivitäten problemlos anpassen. Damit das Buch nicht nur die beruflich in der Altenpflege tätigen Personen anspricht, erleichtert der Verzicht von Fachvokabular die Lektüre.

Oft wird die fehlende Zeit für Aktivitäten beklagt. Die meisten im Buch beschriebenen Aktivitäten sind jedoch zeitlich flexibel einsetzbar und deshalb auch gut für kurze Aktivierungen geeignet. Die Nutzung von Alltagsgegenständen oder selbst hergestellte Therapiematerialien ermöglicht die Aktivierung zu geringen Kosten.

Als Mitgründerin und Redakteurin der Online-Community »EbeDe.net – Ergotherapie bei Demenz« (www.EbeDe.net), konnte ich aus den vielen dort abgehaltenen Fachdiskussionen erkennen, welche Aktivitäten besonders erfolgreich sind. Das vorliegende Buch stützt sich auf meine Erfahrung als Ergotherapeutin in Seniorenheimen, auf die vielfältigen Beiträge dieser Website wie auch auf gängige Behandlungsverfahren für Demenzerkrankte.

Die eine Aktivität für Demenzerkrankte schlechthin gibt es nicht. Angesichts der Vielzahl an Konzepten und Modellen zur Betreuung und Therapie von Demenzerkrankten ist dieses Buch daher nicht auf ein bestimmtes Konzept festgelegt. Die Erfahrung vieler Experten zeigt, dass die Therapie und Betreuung von Demenzerkrankten am besten verläuft, wenn nicht ausschließlich nach einem bestimmten Schema gearbeitet wurde. Jeder Demenzerkrankte ist anders, was nicht alle Konzepte berücksichtigen. Der Therapeut oder Betreuer sollte den unterschiedlichen Methoden die Teile entnehmen, die am hilfreichsten sind. Doch trotz der Einzigartigkeit jedes Demenzerkrankten gibt es bei der Aktivierung einige Prinzipien, die immer gelten. Sie werden in diesem Buch aufgezeigt. Die Betreuungsperson muss den demenziell Erkrankten stets gut beobachten und gegebenenfalls einiges versuchen, bis sie die passenden Aktivitäten gefunden hat. Dabei hilft dieses Buch als Nachschlagwerk. Es bietet Anregungen, die den Erkrankten erfahrungsgemäß gut tun. Manche individuelle Tätigkeiten, die der Patient früher mit Freude ausgeübt hat, sind mittlerweile zu schwierig geworden. Oft lassen sie sich aber vereinfachen und an den Gesundheitszustand anpassen.

Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Aktivieren von Demenzerkrankten werden aber auch oft unterschätzt. Die Betreuungskräfte sollten nicht ohne Fachwissen und Vorüberlegungen den Erkrankten gegenübertreten und unbedacht mit ihnen eine Tätigkeit ausführen, die auf den ersten Blick sinnvoll erscheint. Hier ein Beispiel:

Eine Pflegekraft liest einer Gruppe von Demenzerkrankten im Seniorenheim das Märchen Schneewittchen vor. Ziel ist, dass die Bewohner interessiert zuhören und sich im Idealfall an das Märchen erinnern. Nach wenigen Sätzen schlafen fast alle Teilnehmer ein. Warum kam es zu diesem Fehlschlag? Die Pflegekraft wusste nicht, dass sich viele demenziell erkrankte Personen nicht allein durch Vorlesen angesprochen fühlen. Das Verstehen von Erzählungen erfordert begrifflich-logisches Denken und die Erfassung räumlich-zeitlicher Zusammenhänge. Diese Vermögen sind bei Menschen mit einer mittelschweren Demenz bereits erheblich eingeschränkt. Zusätzlich wirkt eine im ungünstigen Fall monoton klingende Vorlesestimme einschläfernd. Nachdem sich die Pflegekraft mit Hilfe von Fachliteratur mit der Aktivierung von Demenzerkrankten beschäftigt hat, setzt der Erfolg ein: Sie rekonstruiert das Märchen mit der Gruppe, indem die Teilnehmer bekannte Märchenzitate, wie etwa »Spieglein, Spieglein, an der Wand …« ergänzen und rhythmisch mitklatschen. Beim Satz »Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz« suchen die Teilnehmer die entsprechenden Farbkarten auf dem Tisch. Zur Sinnesstimulation reicht die Pflegekraft den Gruppenteilnehmern Materialien, die zum Märchen passen: Schneewittchen als Handpuppe, einen Gartenzwerg, einen Spiegel, einen Apfel, einen Kamm und einen Gürtel. Verglichen mit der ersten Situation wirken die Teilnehmer deutlich wacher. Manche Personen, die noch sprechen können, erzählen das Märchen mit und erproben die mitgebrachten Gegenstände. Andere, die wegen ihrer schweren Demenz nur noch wenig Kontakt zur Umwelt aufnehmen können, betasten interessiert die Materialien. Die Pflegekraft hilft ihnen dabei. Einige Teilnehmer kommunizieren sogar durch einfache Worte miteinander, was sie vorher kaum getan haben: Die Aktivierung ist also ein voller Erfolg.

Das Beispiel zeigt, wie die vorhandenen Fähigkeiten der Erkrankten geweckt werden können. Die Personen fühlen sich positiv angesprochen und herausgefordert. Gleichzeitig spüren sie, dass sie selbst noch aktiv am Leben teilnehmen. Eine umfangreiche Aktivierung Demenzerkrankter besteht aus vielfältigen Tätigkeiten. Ausführliche Anleitungen liefert das vierte Kapitel.

Nichts ist so gut, als dass es nicht noch verbessert werden könnte. Das gilt auch für dieses Buch. Anmerkungen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge sind sehr willkommen, um sie in künftige Auflagen aufzunehmen. Bitte schicken Sie diese per E-Mail an die Adresse [email protected].

2DEMENZ

Betreuer von demenziell erkrankten Menschen müssen kein Expertenwissen über Demenzerkrankungen besitzen. Sie sollten aber über die Krankheit in ihren Grundzügen Bescheid wissen, um das oft befremdliche Verhalten der Patienten zu verstehen und typische Schwierigkeiten zu erkennen, die den Demenzerkrankten hindern, an Aktivitäten teilzunehmen. Es gibt zahlreiche Bücher über die Grundlagen von Demenz. Das folgende Kapitel ist speziell auf das erforderliche Wissen von Aktivitätsbegleitern ausgerichtet.

2.1Was ist Demenz?

2.1.1 Begriff

Der Begriff »Demenz« stammt aus dem Lateinischen von »mens/mentis« und bedeutet übersetzt »Verstand« oder »Geist«. Wörtlich bedeutet Demenz somit »weg vom Geist« oder »ohne Geist«.

2.1.2 Diagnostik

Nach der aktuell gültigen Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) ist für die Diagnose einer Demenz die Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses sowie des abstrakten Denkens erforderlich. Hinzu kommen Sprachstörungen (Aphasie), Unfähigkeit zum zweckmäßigen Handeln trotz intakter Fähigkeiten zu Einzelbewegungen (Apraxie), Wahrnehmungsstörungen trotz intakter Sinnesorgane (Agnosie) und Persönlichkeitsveränderungen. Die kognitiven Störungen werden in der Regel von einer Verminderung der Affektkontrolle sowie einer Störung des Antriebs und des Sozialverhaltens begleitet. Damit die Diagnosekriterien für eine Demenz erfüllt sind, muss der Erkrankte mindestens sechs Monate lang die aufgezählten Symptome aufweisen.

Die Demenz vom Alzheimertyp ist eine von vielen Demenzerkrankungen und mit 60 % die häufigste Demenzform. Letztlich kann erst nach umfangreichen Tests und Beratungsgesprächen eine Demenz festgestellt und anschließend Empfehlungen für Behandlungen mit den besten Erfolgsaussichten gegeben werden.

2.2Entdeckung und Erforschung von Demenz

2.2.1 18. Jahrhundert

Gemäß der Deutschen Alzheimergesellschaft e.V. wurde der Begriff »Demenz« im 18. Jahrhundert in der Juristen- und Umgangssprache für jede Form geistiger Störung verwendet. Ende des 18. Jahrhunderts benutzten Ärzten den Begriff zur Bezeichnung eines Nachlassens der intellektuellen Kräfte und der Unfähigkeit zu logischem Denken. Lange Zeit wurde in der deutschsprachigen Psychiatrie nur das Endstadium des intellektuellen Abbaus als »Demenz« bezeichnet.

2.2.2 19. Jahrhundert

Demenz wurde erstmals von Alois Alzheimer (1864–1915), Psychiater und Gehirnpathologe, genauer erforscht. Er beobachtete die Erkrankung, beschrieb die neurologischen Veränderungen und untersuchte das Gehirn von Erkrankten nach ihrem Tod. Alzheimer begegnete 1901 der Patientin Auguste Deter, die ihn berühmt machte. Augustes Ehemann brachte sie in eine Frankfurter Anstalt, nachdem sie sich plötzlich stark verändert hatte: Auguste konnte die einfachsten Dinge im Haushalt nicht mehr verrichten. Sie versteckte alle möglichen Haushaltsgeräte. Sie sprach davon, verfolgt und belästigt zu werden und belästigte selbst in aufdringlicher Weise die Nachbarschaft. Alzheimer stellte fest, dass die Patientin keine Orientierung hinsichtlich Zeit und zu ihrem Aufenthaltsort hatte. Sie erinnerte sich kaum an Einzelheiten aus ihrem Leben und gab oft Antworten, die in keinem Bezug zur Frage standen. Augustes Stimmungen wechselten schnell zwischen Euphorie, Argwohn, Furcht und Weinerlichkeit. Man konnte sie nicht allein durch die Anstalt gehen lassen, da sie den anderen Patienten ins Gesicht fasste. Alzheimer war schon vor dem Zusammentreffen mit Auguste geistig verwirrten Menschen begegnet. Er nahm den Zustand dieser Menschen aber als eine natürliche Gegebenheit an, weil die Patienten oft über 70 Jahre alt waren. Augustes Zustand interessierte ihn, denn zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in die Anstalt war sie erst 51 Jahre alt. Nach ihrem Tod untersuchte Alzheimer ihr Gehirn. Die Obduktion ergab eine Reihe von Anormalitäten: Die Hirnrinde war dünner als gewöhnlich. Außerdem waren Ablagerungen eigentümlicher Stoffwechselprodukte in Form von Plaques zu finden. Er gab dem Krankheitsbild einen Namen: »Die Krankheit des Vergessens«.

2.2.3 20. Jahrhundert

Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts rückte die Erkrankung in das Interesse der Öffentlichkeit. Die Demenzerkrankungen berühmter Persönlichkeiten, wie zum Beispiel die der Schauspielerin Rita Hayworth, spielten dabei eine wichtige Rolle. Seitdem wurden unterschiedliche Medikamente zur Demenzbehandlung entwickelt. Keines davon kann bislang die primäre Demenz (siehe Kapitel 2.4.1) heilen. Sie tragen jedoch zur Verzögerung des Krankheitsverlaufs bei (Schaade 2008).

2.3Aktuelle Zahlen und Krankheitslehre

2.3.1 Häufigkeit

Laut der Deutschen Alzheimergesellschaft e. V. leben gegenwärtig etwa 1 Million demenzerkrankte Menschen in Deutschland. In der Literatur wird Demenz als eine der häufigsten Alterserkrankungen beschrieben. Jährlich treten mehr als 250.000 Neuerkrankungen auf. Sofern kein Durchbruch in der Therapie gelingt, wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Mit zunehmendem Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, an Demenz zu erkranken. Etwa bei jedem dritten 65 Jahre alten Menschen tritt im weiteren Altersverlauf eine Demenz auf.

2.3.2 Ursachen

Eine primäre Demenz (siehe Kapitel 2.4.1) wird durch pathologische Eiweißablagerungen (degenerative Demenz) oder durch Verengungen von Gefäßen im Gehirn (vaskuläre Demenz) hervorgerufen. Noch immer ist die Ursache dieser Veränderungen im Gehirn nicht sicher bekannt, daher gibt es noch keine Möglichkeiten, die Erkrankung zu stoppen. Die Symptome können durch eine frühzeitige Diagnose, durch geeignete Medikation sowie durch vielfältige Formen der nicht-medikamentösen Therapie und auch durch neue Wohn- und Lebensformen gelindert, aber nicht beseitigt werden. Da die Zahl der Demenzerkrankten steigt, richtet sich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zunehmend auf diese Erkrankung. Dies bedeutet, dass jetzt die Forschung ein größeres Gewicht erhält, um Ursachen weiter aufzuklären und geeignete Therapieformen zu entwickeln.

2.3.3 Risikofaktoren

Ein hohes Lebensalter ist das größte Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was in der höheren Lebenserwartung begründet ist. Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken ist größer, wenn ein Familienmitglied die Erkrankung bereits hatte. Erbliche Faktoren spielen bei der Demenz insgesamt aber eine geringe Rolle. Außerdem können folgende Faktoren das Risiko für eine vaskuläre Demenz und eine degenerative Demenz leicht erhöhen: hoher Blutdruck, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Adipositas, Diabetes mellitus und Herzerkrankungen (zum Beispiel Herzinsuffizienz, Herzinfarkt).

2.3.4 Vorbeugung

Bislang gibt es keinen absoluten Schutz davor, an Demenz zu erkranken. Doch nicht jeder Mensch, bei dem sich typische demenzielle Veränderungen (Eiweißablagerungen) im Gehirn finden, leidet unter einer Demenz. Das liegt laut vieler Demenzexperten vermutlich daran, dass bei manchen Personen das Gehirn leistungsfähiger ist. Aber auch körperliche Bewegung kann in einem geringen Maße einer Demenz entgegenwirken. Bereits leichte körperliche Betätigung – wie etwa Spazierengehen – verringert das Risiko einer Demenzerkrankung im Alter. Experten begründen die positive Wirkung regelmäßiger und leichter Bewegung mit der dadurch verbesserten Durchblutung des Gehirns. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass eine ausgewogene, fett- und cholesterinarme Ernährung mit viel Obst und Gemüse einer Demenz vorbeugen kann.

2.4Demenzarten

Demenzerkrankungen können je nach Ursache (siehe 2.3.2) in primäre und sekundäre Demenzen eingeteilt werden.

2.4.1 Primäre Demenz

Primäre Demenzen machen den größten Anteil der Demenzen aus und sind nach heutigem Kenntnisstand unheilbar. Primäre Demenzen werden in degenerative und vaskuläre Demenzen unterteilt. Von einer gemischten Demenz wird gesprochen, wenn sich eine degenerative mit einer vaskulären Demenz verbindet. Zu den degenerativen Demenzen gehört in erster Linie die Demenzerkrankung vom Alzheimer-Typ. Vaskuläre Demenzen – hervorgerufen durch Veränderungen kleiner Blutgefäße im Gehirn – werden häufig als »Multi-Infarkt-Demenzen« bezeichnet.

2.4.2 Sekundäre Demenz

Sekundäre Demenzen machen einen geringen Teil der Demenzen aus. Zu dieser Kategorie gehören Demenzen, die Folge einer anderen Grunderkrankung sind, das heißt deren auslösende Ursache im Gegensatz zu den primären Demenzen außerhalb des Gehirns liegt. Beispiele für solche auslösenden Ursachen sind zum Beispiel Tumore, Stoffwechselerkrankungen, Depression, Schädelhirntraumata, entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems und Vergiftungserscheinungen durch Alkohol-, Drogen-, oder Medikamentenmissbrauch. In vielen Fällen sind die Grunderkrankungen zumindest teilweise behandelbar, was möglicherweise auch einen Rückgang der speziellen Demenzsymptomatik zur Folge haben kann. Das vorliegende Buch richtet sich überwiegend an Betreuer von Patienten mit einer primären Demenz.

2.5Krankheitsverlauf

Abhängig vom Ausprägungsgrad der Krankheitssymptome werden Demenzen in leichte, mittelschwere und schwere Formen unterschieden. Die Krankheitsdauer liegt zwischen drei und fünfzehn Jahren. Während eine vaskuläre Demenz in der Regel abrupt beginnt, entwickelt sich die Alzheimer-Krankheit schleichend. Die Übergänge von einem in das nächste Stadium sind fließend und schwer voneinander abgrenzbar.

2.5.1 Leichte Demenz

Eine leichte Demenz beginnt mit leicht verminderten Gedächtnisleistungen. Zusätzlich können Störungen des zeitlichen und räumlichen Orientierungsvermögens und der Wortfindung auftreten. Zeitliche Orientierungsstörungen treten tendenziell vor den räumlichen auf. Bei der täglichen Lebensführung treten häufiger Fehler oder Irrtümer auf: So werden kürzlich mitgeteilte Informationen, wie beispielsweise Termine, vergessen oder Gegenstände verlegt. Die Erkrankten nehmen wahr, dass sie sich nicht mehr auf ihre Fähigkeit zu denken verlassen können. Das stürzt sie häufig in eine Depression. Nach außen hin können die Betroffenen zu dieser Zeit meistens noch eine Fassade durch kleine Notlügen oder Ausreden aufrechterhalten. Mitmenschen, die mit den Betroffenen nicht ständig unmittelbaren Kontakt haben, stellen deshalb oft noch keine Auffälligkeiten fest. Durch Vermeidung einer Reizüberflutung mittels Rückzug in die eigene Wohnung versucht der Erkrankte häufig die Defizite zu kompensieren. Obwohl schon in dieser Phase Beeinträchtigungen in der Arbeit und im Freizeitverhalten auftreten, kann die Selbstständigkeit im täglichen Leben weitgehend bewahrt werden.

2.5.2 Mittelschwere Demenz

Bei einer mittelschweren Demenz kommen die Betroffenen nicht mehr ohne fremde Hilfe zurecht. Sie sind zeitlich, örtlich und meistens auch situativ desorientiert. Die Unfähigkeit zum zweckmäßigen Handeln verhindert das Ausführen alltäglicher Verrichtungen (Wojnar 2007) wie beispielsweise Körperpflege oder Freizeitaktivitäten. Die Patienten vergessen, wie Sätze formuliert werden; sie sprechen unzusammenhängende Satzteile und einzelne Worte. Es kann zu wiederholten Fragen und ständigem Rufen (Schaade 2008) kommen. Gegenstände, wie zum Beispiel eine Kaffeemaschine, werden nicht mehr erkannt und können deshalb nicht mehr zweckgerichtet benutzt werden (Apraxie). Die Erkrankten bemerken, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, sind aber nicht mehr zum kritischen Reflektieren im Stande. Das macht sie aggressiv. Persönlichkeitsveränderungen treten auf. So wird beispielsweise aus einem sehr ruhigen Menschen eine aggressive Person. Es entstehen Gefahrenquellen wie zum Beispiel das Verwechseln eines offenen Fensters mit einer Tür oder von Putzmitteln mit Getränken. Bereits bei einer mittelschweren Demenz erkennen die Erkrankten unter Umständen ihre Familienmitglieder nicht mehr.

2.5.3 Schwere Demenz

Im schweren Stadium einer Demenz ist das Ausführen einfachster alltäglicher Handlungen in allen Lebensbereichen nicht mehr möglich. Die Körperwahrnehmung ist stark beeinträchtigt, Betroffene verlieren die Kontrolle über ihre Körperausscheidungen. Sie vergessen wie sie sich hinlegen, gehen, stehen oder essen können. Sie geben nur noch einzelne Laute von sich oder verstummen ganz. Häufig ist die Muskelspannung (Muskeltonus) im ganzen Körper erhöht, und es werden keine gezielten und dosierten Bewegungen mehr vollzogen. Durch das Verlieren der Bewegungsfähigkeit können die Gelenke versteifen (Kontrakturenbildung). Hiervon sind meistens die Arme und Beine im Ellenbogen- und Kniegelenk zuerst betroffen. Die Erkrankten leben in einer Art »Traumwelt« (Wojnar 2007). Sie wirken abwesend, nehmen kaum Kontakt zu ihrer Umwelt auf und reagieren nur gering auf Reize. Es kommt zu einem allgemeinen körperlichen und geistigen Verfall. Die Betroffenen sterben häufig an Lungenentzündung, Herzversagen oder Niereninsuffizienz.

3GRUNDLAGEN ZUR AKTIVIERUNG VON DEMENZERKRANKTEN

3.1Verbliebene Fähigkeiten ermitteln

Egal ob Sie als Ergotherapeut, Altenpfleger, als ehrenamtliche Hilfe arbeiten oder es sich um einen Familienangehörigen handelt: Bevor Sie sich mit dem Demenzerkrankten betätigen, sollten Sie in Erfahrung bringen, wie gut seine Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen noch ausgeprägt sind. Nur dadurch können Sie der Person Aktivitäten anbieten, bei denen sie weder über- noch unterfordert ist. Durch das Ermitteln von Fähigkeiten und Kompetenzbereichen werden auch Ziele für die Aktivitäten definiert. Optimalerweise führen Sie Aktivitäten nicht nur mit dem Ziel durch, dass der Demenzerkrankte in irgendeiner Weise beschäftigt ist. Er soll auch aktiv sein, um Fertigkeiten wie zum Beispiel Konzentration, Kommunikation oder Motorik möglichst lange zu erhalten. Eine Verbesserung der Fähigkeiten ist allerdings nicht möglich, da die Demenzerkrankung unaufhörlich fortschreitet.

Ergotherapeuten dokumentieren nach jeder Behandlungseinheit das Verhalten des Patienten und führen zur Ermittlung der Fähigkeiten eine schriftliche Befunderhebung anhand eines Befundbogens oder ergotherapeutischen Modells durch. Bei dieser Befunderhebung werden Fähigkeiten beobachtet oder getestet, wie zum Beispiel Motorik, Verhalten und Kognition.

Literaturtipp: »Ergotherapie bei Demenzerkrankungen« von Gudrun Schaade, 4. Auflage, Springer 2009. Das Buch vermittelt ein fundiertes, praxisorientiertes Förderkonzept für die Arbeit mit Demenzpatienten und enthält einen Bogen zur ergotherapeutischen Befunderhebung.

Eine ergotherapeutische Befunderhebung gehört nicht in den Arbeitsbereich von Altenpflegern, ehrenamtlichen Helfern oder Familienangehörigen. Diese Gruppen ermitteln deshalb durch Beobachten die Fähigkeiten der Personen.

Folgende Bereiche sollten beobachtet, beurteilt und am besten mit Kollegen oder Angehörigen des Erkrankten thematisiert werden:

• Äußeres Erscheinungsbild (beispielsweise Körperpflege, Kleidung, Gesichtsfarbe)

• Ausdruck (beispielsweise Stimme, Blick, Mimik, Körperhaltung)

• Mobilität (Hypermobilität, Hypomobilität)

• Grobmotorik (beispielsweise Beweglichkeit, Spasmus, Muskeltonus)

• Feinmotorik (beispielsweise Beweglichkeit der Finger, Hand-Hand-Koordination, Hand-Auge-Koordination)

• Kognition (beispielsweise Konzentration, Merkfähigkeit, Orientierung, Auffassungsvermögen)

• Sprache (beispielsweise Lautstärke, Formulierung der Sätze)

• Wahrnehmung (Sehen, Hören, Tasten, Fühlen, Riechen, Schmecken)

• Selbstständigkeit (beispielsweise Essen, Trinken, Anziehen, Waschen)

•Verhalten gegenüber Personal

• Verhalten gegenüber Mitpatienten

• Verhalten außerhalb der Häuslichkeit

Nach dem Erfassen der Fähigkeiten setzt der Betreuer Ziele für den Demenzerkrankten und wählt passende Aktivitäten für ihn aus.

3.2Auswahl und Ziele der Aktivitäten

Die angebotenen Aktivitäten sollten unbedingt bestimmte Ziele verfolgen. Den Demenzerkrankten lediglich in irgendeiner Weise zu beschäftigen, wäre kein ausreichend adäquates Ziel. Welche Aktivität die Betreuungsperson auswählt und welches Ziel dadurch erreicht werden soll, hängt vorrangig vom Interesse des Demenzerkrankten, vom Schweregrad seiner Erkrankung und den bereitstehenden Medien ab. Dem Betreuer muss bewusst sein, dass der Demenzerkrankte keine Fähigkeiten wiedererlangen oder verbessern kann. Durch eine regelmäßige und gute Aktivierung schreiten die Auswirkungen der Demenzerkrankung aber langsamer fort als ohne Aktivierung. Hauptziel ist immer das Fördern der Fähigkeiten oder Kompetenzen des Erkrankten und das Sicherstellen einer möglichst hohen Lebensqualität und Lebensfreude.

3.2.1 Leichte Demenz

Bei leichter bis mittelschwerer Demenz sind Gruppenaktivitäten beispielsweise zu jahreszeitlichen Themen gut geeignet (siehe Kapitel 5). Bei einer leichten Demenz versucht der Betreuer die Orientierung zur Person, Situation, Zeit und zum Ort zu stützen. Des Weiteren stabilisiert er das Langzeitgedächtnis durch Biografiearbeit (siehe Kapitel 4.1). Die Stabilisierung des Kurzzeitgedächtnisses ist bei der Aktivierung von Demenzerkrankten kein Schwerpunkt, da das Kurzzeitgedächtnis schnell an Leistung verliert. Die Kommunikation regt der Betreuer durch Gesprächsangebote an. Sinnvoll sind in diesem Demenzstadium auch Aktivitäten aus dem Alltag (siehe Kapitel 4.7). Tätigkeiten, die der Demenzerkrankte vorschlägt, können vom Betreuer aufgegriffen und unterstützt werden. Kochen, Backen oder Zusammenlegen von Wäsche ist möglich. Des Weiteren sollte der Betreuer Hobbies unterstützen, damit der Erkrankte seinen Interessen weiter nachgehen kann (siehe Kapitel 4.6 und 4.8). Viele Demenzerkrankte greifen nach der Diagnosestellung alte Hobbies wieder auf, um aktiv zu bleiben. Malen, Gartenarbeit oder die Pflege von Haustieren ist hier denkbar. Dabei sollte der Betreuer den Demenzerkrankten so viel wie möglich selbst tun lassen. Er muss aber gleichzeitig aufpassen, den Erkrankten nicht zu überfordern. Da bei einer leichten Demenz die kognitiven Einschränkungen häufig nicht gleich ersichtlich sind, besteht die zunehmende Gefahr der Überforderung.

3.2.2 Mittelschwere Demenz

Vor dem Betätigungsangebot sollten sich Betreuende unbedingt über die Biografie des Betroffenen informieren, um Aktivitäten auszuwählen, die den Erkrankten interessieren und bei der Ausführung bestenfalls Erinnerungen wecken (siehe Kapitel 4.1). Dadurch können noch gespeicherte Denk- und Bewegungsprozesse abgerufen werden. Eine Hausfrau hat beispielsweise mit einer großen Wahrscheinlichkeit Freude am Zusammenlegen von Kleidung, während ein Büroangestellter vermutlich kein Interesse an dieser Tätigkeit hegt. Er durchlöchert stattdessen gern Papierblätter mit einem Locher oder heftet sie mit Büroklammern zusammen. Dabei wird vor allem die Konzentration und Aufmerksamkeit gefördert. Tätigkeiten mit mehreren Arbeitsschritten – egal ob biografieorientiert oder nicht – werden für den Patienten jedoch immer schwieriger, da die Planung aufeinander folgender Handlungen nicht mehr möglich ist. Der Erkrankte darf in keiner Weise auf Fehler hingewiesen werden, das beeinträchtigt sein Selbstvertrauen. Es spielt keine Rolle, ob Außenstehende die Tätigkeit als sinnvoll beurteilen. Es geht bei der Betreuung von Demenzerkrankten auch nicht um »falsch« und »richtig«, sondern um die Befriedigung durch die gerade ausgeführte Tätigkeit und ihre Förderung.

Des Weiteren nehmen Rituale bei mittelschwerer Demenz einen großen Stellenwert ein. Unter Ritualen sind in diesem Zusammenhang sich ständig wiederholende Aktivitäten zu verstehen, die Lebensbereiche strukturieren, Orientierung sowie den sozialen Zusammenhalt und die Kommunikation stärken. So ist das Begrüßen und Verabschieden per Handschlag ein schönes Ritual, das auch bei weit fortgeschrittener Demenz häufig noch abrufbar ist. Ein Abschlusslied am Ende einer Gruppenstunde kann als Ritual Sicherheit schaffen (siehe Kapitel 4.1). Durch Sprichwörter und Reime (siehe Kapitel 4.2) regt der Betreuer die Sprache der demenziell erkrankten Person an, die immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wird. Bewegungsaktivitäten (siehe Kapitel 4.3), wie zum Beispiel Ball- oder Luftballonspiele, fördern die Körperwahrnehmung und bauen körperliche Unruhe ab.

3.2.3 Schwere Demenz

Da sich Demenzpatienten im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr zu ihrer Biografie äußern können, muss sich der Betreuer bei Angehörigen oder Freunden informieren (siehe Kapitel 4.1.1). Je weiter die Demenz fortschreitet, desto stärker stößt die Biografiearbeit an ihre Grenzen. Der Erkrankte verliert sein Langzeitgedächtnis. Die Mitmenschen müssen andere Wege finden, um sich Zugang zum Demenzerkrankten zu verschaffen, damit er nicht in die Isolation gerät. Hierfür ist die Sinnesstimulation gut geeignet (siehe Kapitel 4.5). Angebote dieser Art können sprachunabhängig sein und führen dann mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit zur Überforderung. Maßnahmen zur Sinnesstimulation sind beispielsweise das Befühlen von Alltagsgegenständen oder ein Schunkeln zur Lieblingsmusik. Ziele sind die Förderung der Körperwahrnehmung, das Abbauen von Unruhe und Ängsten sowie die Minderung der Körperanspannung (Tonus). Bei einer schweren Demenz muss oder kann die betroffene Person nicht augenscheinlich aktiv sein, um ein Wohlgefühl zu erfahren. Auch wenn Schwerstbetroffene nicht tätig sind, genießen sie eventuell eine Tätigkeit einer anderen Person an ihnen. Sie mögen zum Beispiel das Streichen über die Arme mit einem Waschlappen oder einer weichen Bürste. Wenn die kognitiven Fähigkeiten des Demenzerkrankten fast erloschen sind, bleibt ihm bis zum Ende die Kompetenz, über Empfindungen und auf Außenreize zu reagieren. Der Betreuer merkt etwa durch einen entspannten Gesichtsausdruck oder eine ruhige Atmung, ob die Maßnahme gefällt.

Kann die erkrankte Person nicht mehr selbst essen, ist aber in einem Arm beweglich, führt der Betreuer die Hand, die das Besteck hält, anstatt zu füttern (siehe Kapitel 4.7.2). So werden in dieser Alltagstätigkeit mehr Informationen über den eigenen Körper wahrgenommen.

3.3Umgang mit Demenzerkrankten

Eine wichtige Basis jeglicher Unterstützungsangebote in der Dementenbetreuung ist der richtige Umgang mit den Erkrankten. Dafür gibt es kein Patentrezept, weil jeder Demenzerkrankte anders ist und individuell behandelt werden muss. Allerdings existieren einige Grundregeln für einen adäquaten Umgang, die in diesem Kapitel aufgezeigt werden. Betreuer müssen demenzgerecht motivieren und kommunizieren können. Die Motivation des Erkrankten soll aufrechterhalten werden. Gleichzeitig muss der Betreuer erspüren, wenn die Person gerade keiner Aktivität nachgehen möchte. Des Weiteren sollen Betreuer bestimmte Kommunikationsprinzipien einhalten, um eine vertrauensvolle Beziehung mit dem Demenzerkrankten zu führen und Missverständnissen vorzubeugen. Im folgenden Kapitel sind Motivations- und Kommunikationstipps aufgeführt, zusammengefasst aus der Demenzliteratur (siehe Literaturverzeichnis am Ende des Buchs) und meiner eigenen Erfahrung mit Demenzerkrankten.

3.3.1 Motivation

Wertschätzende Grundhaltung: Dem Demenzerkrankten Empathie entgegenbringen. Er muss das Gefühl haben, so akzeptiert zu werden, wie er ist.

  1.Ressourcenorientiert arbeiten: Auf das konzentrieren, was der Demenzerkrankte noch tun kann, statt auf das, was ihm nicht mehr möglich ist. Eine Aktivität sofort abbrechen, wenn der Demenzerkrankte sie nicht mehr ausführen kann.

  2.Nicht das Ergebnis, sondern der Weg zählt: Es kommt nicht darauf an, was getan wird und wie das Endprodukt aussieht (zum Beispiel ein gemaltes Bild), sondern auf den Aktivierungsprozess selbst. Die Freude an der Aktivität steht im Vordergrund.

  3.Aktivitäten sind freiwillig: Personen freundlich zu Aktivitäten auffordern, aber keinesfalls dazu drängen, sonst entsteht nur Widerstand.

  4.Auch Nichtstun befriedigt: Durch vegetative Zeichen, wie zum Beispiel eine erhöhte Muskelspannung oder schnelleres Atmen, wird einem Betreuer deutlich, ob der Schwersterkrankte seine Ruhe haben möchte.

  5.Aktivitäten können kurz sein: Aufgrund einer geringen Aufmerksamkeitsspanne fällt es manchen Kranken schwer, längere Zeit eine Tätigkeit auszuführen. Ein Betreuer kann dann ein Repertoire von mehreren kurzen Aktivitäten entwickeln, die im Tagesverlauf effektiv angewandt werden.

  6.Mitarbeiter haben Spaß an ihrer Arbeit: Bei allen Aktivitäten ist es wesentlich, dass der Betreuer selbst Lust auf diese hat. Demenzerkrankte haben ein sicheres Gespür dafür, ob etwas lustlos dargeboten wird oder ob ein echtes Engagement dahinter steckt.

  7.Immer das Gleiche tut gut: Das gilt sowohl für die Umgebung wie auch für den täglichen Ablauf. Rituale – sofern sie tatsächlich langfristig eingehalten werden können – bewirken ein Gefühl der Sicherheit.

  8.Komplimente machen: Die demenzerkrankte Person loben, um ihre Motivation aufrechtzuerhalten und das Selbstvertrauen zu stärken. Versteht der Erkrankte nicht mehr den ausgesprochenen Inhalt, bemerkt er aber wahrscheinlich den positiven Ton.

  9.Meinungen und Ansichten erfragen: Auch wenn die Person nicht mehr verbal kommunizieren kann, versteht sie eventuell die gestellten Fragen. Durch das Erfragen der eigenen Meinung fühlt sich der Demenzerkrankte respektiert. Schließlich geht es bei der gesamten Aktivierung um sein persönliches Wohlbefinden und ohne dieses geht kaum etwas.

10.Berücksichtigen der Lebensgeschichte: Informationen über die Biografie, Gewohnheiten und Wertvorstellung einholen. Mit diesem Wissen ausgestattet, kann der Betreuer sinnvolle Aktivitäten auswählen oder eine Aktivität individualisieren.

11.Möglichst viele Sinne einbeziehen: Durch die Stimulation der Sinne (Fühlen, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken) nimmt sich der Demenzerkrankte intensiver wahr.

12.Generationsübergreifende Arbeit: Senioren und Kinder profitieren oftmals davon, eine Tätigkeit gemeinsam auszuführen. Viele demenziell erkrankte Personen freuen sich darüber, wenn sie jüngeren Menschen bei der Erledigung einer Aufgabe helfen können.

3.3.2 Kommunikation

  1.Begrüßung per Handschlag: Das »Handgeben« ist im Langzeitgedächtnis als eine positive Geste fest abgespeichert.

  2.Demenzgerecht formulieren: Kurze Sätze, einfacher Satzbau, immer nur eine Mitteilung pro Satz, keine Fremdwörter, langsames und deutliches Sprechen (viele ältere Menschen sind schwerhörig).

  3.Frontal ansprechen: Die Person von vorne oder von der Seite ansprechen. Nie von hinten, um ein Erschrecken zu vermeiden.

  4.Mit Namen ansprechen: Das häufige Nennen des Namens der erkrankten Person stärkt ihr Identitätsgefühl und lässt eine persönlichere Beziehung zwischen den Gesprächspartnern entstehen.

  5.Nicht zu viele Wahlmöglichkeiten geben: Mehr als zwei Wahlmöglichkeiten überfordern in der Regel Personen mit einer mittelschweren Demenz.

  6.Hilfe bei Wortfindungsstörungen: Fehlendes Wort anbieten, das Gemeinte umschreiben oder zeigen lassen, bei Aufregung das Thema wechseln oder die Person ablenken.

  7.Blickkontakt aufnehmen: Blickkontakt in der Gruppe und im Einzelgespräch ist wichtig, um Verunsicherung vorzubeugen.

  8.Vertrauen durch Dialekt: Eine Unterhaltung im Dialekt aus der Heimat des Erkrankten kann Vertrauen vermitteln.

  9.Zeit mitbringen: Demenzerkrankte benötigen ausreichend Zeit zur Kommunikation. Lieber mit Geduld auf Reaktionen warten ohne gleich nachzufragen.

10.Auf Aktualität achten: Wünsche und Bitten erst kurz vor dem Zeitpunkt, zu dem sie ausgeführt werden sollen, äußern.

11.Keine Negationen und Warum-Fragen: Zurückweisungen und ein »Nein« vermeiden. Fragen mit »warum« und »weshalb« unterlassen. Somit setzt man den Demenzerkrankten nicht der Peinlichkeit aus, auf Fragen keine Antwort zu wissen.

12.Gefühlsbetonte Kommunikation: Gerade demenzerkrankte Menschen, die den Sinn von Sätzen manchmal nicht mehr begreifen, spüren die dahinter liegenden Gefühle umso deutlicher.

13.Auf emotionale Bedürfnisse reagieren: Sich auf die ständig wechselnden emotionalen Befindlichkeiten einlassen und die hinter den verwirrten Äußerungsformen liegenden Gefühle erspüren. Wenn ein Demenzerkrankter sich zu freuen scheint, beispielsweise sagen »da freuen Sie sich sehr«.

14.Gefühle spiegeln: Trauer oder Freude durch das Einnehmen derselben Mimik oder Körperhaltung als Echo zurückgeben. Der Demenzerkrankte erlebt dadurch, dass seine Gefühle ernst genommen werden.

15.Berühren: Der Demenzerkrankte fühlt sich durch Berühren des Arms manchmal stärker angesprochen, als nur durch die Sprache. Leichte und gut dosierte Berührungen (nicht von hinten) schaffen auch Zuneigung und Vertrauen.

16.Optimistisch kommunizieren: Traurige und bedrohliche Botschaften des Demenzerkrankten abschwächen und ihn gleichzeitig ernst nehmen. Humor in die Kommunikation mit einfließen lassen. Eine positive Sprache verwenden: Lieber sagen »Wir laufen in diese Richtung« anstatt »Laufen Sie nicht in jene Richtung«.

17.Aggressionen akzeptieren: Kleine Aggressionen sind nicht immer negativ zu deuten, sie sind ein Ausdruck von Lebendigkeit und erlauben eventuell einen Rückschluss auf das Erleben und Empfinden des Erkrankten. Ständiges Aggressionspotenzial ist dagegen zu hinterfragen. Überforderung und Schmerzen können die Gründe sein.

18.Respektvoller Umgang: Nicht in Anwesenheit der erkrankten Person über sie sprechen.

3.4Organisatorische Bedingungen

Die Gestaltung einer angenehmen Atmosphäre nimmt bei der Betreuung von Demenzerkrankten viel Bedeutung ein. Demenzerkrankte verfügen über ein feines Gespür für die Atmosphäre, die in einem Raum oder einer Gruppe herrscht (Trilling et al. 2001).

3.4.1 Gründe für die Einzel- oder Gruppenaktivierung

Die meisten in diesem Buch beschriebenen Aktivitäten können sowohl für Einzelals auch für Gruppenaktivierungen eingesetzt werden. Bevor Sie mit der demenziell erkrankten Person tätig werden, sollten Sie sich genau überlegen, ob für diese eine Betätigung eher in der Gruppe oder in der Einzelsituation geeignet ist. Bei einer schweren Demenz ist eine Einzelaktivierung vorzuziehen, da intensive Betreuung und körperliche Berührungen wichtig sind, um einen effektiven Kontakt herstellen zu können. Auch für Personen mit sowohl starkem Bewegungsdrang, die ständig umherlaufen (Akatisie), als auch für Personen mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten ist eine Einzelaktivierung besser geeignet. Sie würden eine Gruppe sprengen, denn die gesamte Aufmerksamkeit der Betreuer müsste sich auf diese Personen richten. Der Vorteil bei Aktivitäten in Gruppen besteht darin, dass soziale Kompetenzen stärker gefördert werden und mehrere Personen gleichzeitig von Ihrem Angebot profitieren. Personen mit Demenz ziehen sich besonders im Anfangsstadium von ihren Mitmenschen zurück. Eine Gruppe wirkt dem entgegen. In manchen Fällen ist es sinnvoll, demenziell Erkrankten sowohl Einzel- als auch Gruppenaktivierungen anzubieten (Schaade 2008).

Egal ob Einzel- oder Gruppenaktivität: Versuchen Sie, interessierte Angehörige oder Besucher des Erkrankten immer einzubeziehen. Die Personen sind meistens darüber erstaunt, was ihr Angehöriger oder Freund noch kann und machen motiviert mit.

3.4.2 Gruppenzusammensetzung und -größe