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Machen Rituale Weihnachten erst zu dem, was es ist? "Kommst du Weihnachten nach Hause, Große? Und was wünschst du dir?" So beginnt das Telefongespräch zwischen Papa und Tochter. Doch die beiden Protagonisten der Weihnachtserzählung von David Wagner haben sich mehr mitzuteilen, als in einen kurzen Anruf passen würde. Die Weihnachtstraditionen der vergangenen Jahre werden mit einem Augenzwinkern hinterfragt und liebevoll (v)erklärt. Nach und nach entspinnt sich so ein bezaubernder Weihnachtsroman, in dem das charmant verworrene Familienleben den perfekten Hintergrund für Grundsatzfragen bietet. Wer bringt die Geschenke, Christkind oder Weihnachtsmann? Darf man angesichts des ökologischen Fußabdrucks überhaupt einen Weihnachtsbaum aufstellen? Und welches Weihnachtslied ist eigentlich das beste? - Weihnachten wie früher oder doch ganz anders? Ein Vater-Tochter-Gespräch - Heiligabend mit der Familie: Wer wo wann mit wem feiert – oder auch nicht - Ein Weihnachtsbuch der edition chrismon Wünsche, Nähe, Herzenswärme – was bedeutet uns Weihnachten? Welchen Weihnachtswunsch darf ein Vater seiner Tochter erfüllen? Werden sie wirklich zusammen feiern? So wie immer oder doch mit neuen Weihnachtstraditionen? In dem Telefonat entspinnt sich eine weihnachtliche Geschichte darüber, welche Bräuche eigentlich katholisch oder evangelisch sind. Warum die Familie zum Weihnachtsfest in den verschiedensten Konstellationen aufeinandertrifft. Ob der Weihnachtsbaum nun vertretbar ist oder nicht. Dazwischen klingt immer wieder durch, wie viel Papa und seine "Große" einander eigentlich bedeuten. Familienchaos, Traditionen und neue Ansätze: Ein humorvoller und zugleich berührender Weihnachtsroman, in dem sich Väter und Töchter wiederfinden werden!
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Seitenzahl: 94
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David Wagner
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 by edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH · LeipzigPrinted in Germany
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Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.
Cover: Anja Haß, Leipzig
Coverillustration: Orlando Hoetzel, Berlin
Satz: makena plangrafik, Leipzig
Druck und Bindung: CPI books GmbH
ISBN 978-3-96038-321-5
eISBN 978-3-96038-323-9
www.eva-leipzig.de
„Kommst du Weihnachten nach Hause, Große? Nach Berlin? Und was wünschst du dir?“, frage ich meine Tochter Martha am Telefon.
Sie ist einundzwanzig und studiert in Heidelberg.
„Weiß ich noch nicht, Papa. Ich schreibe dir einen Wunschzettel.“
„Ja, schreib mir einen Wunschzettel. Wie früher.
Mal sehen, ob du bekommst, was draufsteht.“
„Und du, was wünschst du dir?“
„Dass ich dich in Berlin sehe.“
„Bist du denn da? Du verschwindest Weihnachten doch so gerne.“
„Nicht, wenn du kommst.“
„So, so.“
„Bei Rewe hat die Weihnachtszeit längst begonnen. Dominosteine liegen dort seit September in den Regalen.“
„Hier in Heidelberg auch. Und ich erschrecke ich mich jedes Jahr wieder, der Sommer kaum vorbei, ein Rest von Urlaubsbräune auf der Haut – und schon gibt’s die ersten Christstollen zu kaufen.“
„Um dich daran zu erinnern, dass das Jahr zu Ende geht. Ich bin schon jetzt ein wenig weihnachtsnervös. Deshalb rufe ich an.“
„Große Patchworkverhandlungen – wer wo wann mit wem feiert – bleiben uns zum Glück erspart.“
„Ja, hat sich alles eingespielt. Heiligabend bist du bei Mama, am ersten Weihnachtsfeiertag bei Papa, so läuft es seit über zehn Jahren.“
„Am zweiten Weihnachtsfeiertag, Papa. Am zweiten Weihnachtsfeiertag bin ich bei dir. Das solltest du wissen, so machen wir es seit fünfzehn Jahren.“
„Na, ich dachte, wir könnten mal am ersten Weihnachtsfeiertag feiern?“
„Möchtest du nachverhandeln? Ich bin dagegen. Wir haben unsere Tradition, so soll es bleiben. Alles wie immer.“
„Jawohl, Chef, alles wie immer! Wir bescheren am zweiten Weihnachtsfeiertag. Hast du ein Glück, seit du sechs oder sieben bist, kannst du zweimal Weihnachten feiern – einmal mit Mama, einmal mit mir.“
„Ja, Trennungskinder haben das schönste Leben, hahaha.“
„Und, kommst du Weihnachten nach Berlin?“
„Die Frage ist eher, ob du in Berlin bist. Du haust immer ab, in die Türkei, nach China oder sonst wohin.“
„Stimmt gar nicht.“
„Doch.“
„Am zweiten Weihnachtsfeiertag war und bin ich meistens wieder da. Und dieses Jahr bleibe ich zu Hause und warte auf dich.“
„Gut, ich überlege mir das mal.“
„Mein iPad hat mich übrigens schon letzte Woche an Weihnachten erinnert. Es hat mir einen automatisch erstellten Foto-Rückblick angeboten, der Titel lautete Weihnachten durch die Jahre.“
„Und, wie waren deine Weihnachten durch die Jahre?“
„Interessant. Einige hatte ich völlig vergessen. Wo du, wir, ich überall gewesen sind!“
„Wir?“
„Du und ich; Opa und ich; Hanna, Martin, Mara, du und ich; Friederike und ich.“
„Hat das iPad dir auch einen Film aus den Fotos erstellt?“
„Ja, auch das. Der war fast ein wenig kitschig. Er hat mich weihnachtssentimental werden lassen. Auch deshalb rufe ich an.“
„An welche Weihnachten hat er dich erinnert?“
„Das iPad kennt alle Fotos seit 2009. Es weiß, dass ich Weihnachten mal in der Türkei verbracht habe, dass ich zwei, nein, dreimal bei Opa in Bonn war, es weiß, dass ich in China war. Und so weiter, fast ein bisschen unheimlich.“
„Das liegt daran, dass du dauernd fotografierst und die Geolokalisierung deines Telefons nicht ausgestellt hast. Deshalb wissen deine Geräte, wo du gewesen bist.“
„Sie wissen es besser als ich. Und ich finde es nicht schlimm, im Gegenteil, ich muss mir nicht mehr so viel merken. Die Geräte notieren alle Orte, bald können sie Biografien schreiben.“
„Ach was, sie erstellen gleich einen Film.“
„Kommst du nach Berlin, Große? Und was wünschst du dir?“
„Ich komme, wenn du einen Baum besorgst.“
„Aber wir haben nie einen Baum!“
„Deshalb. Du sollst mal einen aufstellen.“
„Reicht es dir nicht, wenn es in Mamas Wohnung einen gibt?“
„Nein.“
„Weihnachtsbäume, weißt du doch, sind mir zu deutsch. Zu protestantisch. Zu pseudogermanisch.“
„Aber du bist Protestant, Papa! Darauf bestehst du immer!“
„Ja, formal gehöre ich der Tannenbaumreligion an, aber ich weiß, dass Luther keinen Weihnachtsbaum in der Stube stehen hatte; er hat seinen Kindern vor einer Krippe beschert. Der deutsche Weihnachtsbaum ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.“
„Blablabla, Papa, Weihnachtsbäume sind schön. Und wichtig. Und sie leuchten.“
„Könntest du es denn mit deinem ökologischen Gewissen vereinen, wenn deinetwegen ein weiterer Baum gefällt wird?“
„Ach komm, es gibt Weihnachtsbaumplantagen.“
„Deren Umweltbilanz möchte ich sehen. Nordmanntannen-Baumschulen sind ökologisch sicher sehr wertvoll. Warum bist du so tannenbaumsentimental? In Wahrheit sehen die meisten kümmerlich aus, schief gewachsen, mickrig und krumm.“
„Papa!“
„Na gut, wenn du unbedingt willst, wenn du es dir wünschst, dass ein weiterer Baum sterben muss, kaufe ich einen. Für uns. Zu Weihnachten.“
„Aber bitte keinen aus Plastik!“
„Thomas besitzt einen aufblasbaren, der sieht wie ein grünes Monster mit Tentakeln aus, wie ein Weihnachtspolyp. So einen könnte ich besorgen.“
„Nein, bitte nicht!“
„Wir könnten uns einen Weihnachtsbaum aus Holz zulegen.“
„Sind Bäume nicht immer aus Holz?“
„Nein, ich meine ein Gestell, eine Tannenbaumskulptur aus Holz.“
„Die wirken nackt und kahl, wie die Baumgerippe, die nach einem Waldbrand übrig bleiben.“
„Den letzten echten Weihnachtbaum habe ich mit Opa aufgestellt, in Bonn. Habe ich dir das erzählt?“
„War das der Tag, als er erst mit der elektrischen Heckenschere und dann mit der Motorsäge aus der Garage kam, um den Baum zu kürzen? Dann hast du es schon erzählt. Sehr ausführlich, mehrmals bereits.“
„Na dann. Ehrlich gesagt fand ich es als Kind schon nicht gut, wenn ein Baum gefällt wurde, um anschließend in unserem Wohnzimmer zu vertrocknen. Einen Baum zu schneiden, zu fällen, ist jedes Mal ein kleiner Mord.“
„Dann bist du wohl ein Germane, Papa. Denen waren Bäume und Wald doch so heilig.“
„Stimmt, der Wald war ihnen heilig. Wusstest du, dass die Römer, wenn sie Strafexpeditionen auf die rechte Rheinseite unternahmen, dort erst einmal einige Tausend Bäume umhackten, um die Germanen zu ärgern?“
„Mit der Rodung beginnt die Zivilisation, also ist ein abgeschnittener Weihnachtsbaum ein Zeichen der Zivilisation.“
„Wenn du so begründen möchtest, dass ein weiterer abgesägt werden muss, bitte. – Zwei- oder dreimal habe ich sogar in der Wohnung deiner Mutter einen Baum aufgestellt. Sie hat sich allerdings immer beschwert, dass er viel zu groß sei. Das erste Mal kam es zu einer Aufstellkatastrophe, der Baumständer passte nicht, die Tanne blieb nicht stehen und fiel um.“
„Und?“
„Unser Nachbar hat mir geholfen, Weihnachten war gerettet. Diese Superbaumständer, die nur mit dem Fuß bedient werden müssen, waren damals noch nicht erfunden.“
„Apropos Erfindung, Papa: Ein lichtgeschmückter Baum leuchtet schon in den Leiden des jungen Werthers, im 18. Jahrhundert, es stimmt nicht, dass der Weihnachtsbaum erst im 19. erfunden wurde.“
„Daran kannst du dich erinnern? Hast du den Werther gelesen?“
„Musste ich. In der Schule.“
„Erstaunlich. Was du dir so merken kannst! – Es war wohl so, jedenfalls habe ich das gelesen, dass Weihnachtsbäume während des Deutsch-Französischen Krieges zu einem Zeichen des wahren Deutschtums und der Überlegenheit des deutschen Wesens über die vermeintliche Oberflächlichkeit der Franzosen stilisiert wurden.“
„Aber heute gibt es auch in Frankreich Christbäume. Es gibt sie fast überall auf der Welt.“
„Stimmt. Weißt du, was ich seltsam finde? Dass deine Tante Hanna sich ihren Baum schon Anfang Dezember in die Wohnung stellt und gemeinsam mit deiner Nichte schmückt. Bei ihr steht der Baum den ganzen Advent über im Wohnzimmer, wie in einer Shopping-Mall.“
„Mara ist deine Nichte, Papa. Und meine Cousine.“
„Ach ja, entschuldige. Aber wie findest du das, den Baum schon vor dem Abend des 24. Dezembers zu sehen? Uns war das verboten. Opa, ich meine dein Opa, also mein Vater, hat den Baum immer erst am Vormittag des Vierundzwanzigsten aufgestellt. Als ich größer war, habe ich ihm geholfen, handwerklich war er nie sonderlich begabt. Stand der Baum, waren Wohn- und Musikzimmer für uns Kinder verboten. Selbst mit der Ausrede, ich müsse unbedingt Klavier üben, durfte ich die Räume nicht mehr betreten. Meine Mutter hat den Baum geschmückt – klare Glaskugeln, keine Engel, keine Strohsterne, nichts aus Kunststoff –, ohne dass wir es sehen durften, was gar nicht so einfach war, denn nach einem Umbau im Erdgeschoss gab es Glastüren, die mit Bettlaken verhängt werden mussten.“
„Deine Mutter musste also den Vorhang schließen?“
„Genau.“
„Also ich habe Mama immer beim Baumschmücken geholfen. Wir haben das zusammen gemacht.“
„Verfall der Sitten, Martha!“
„Viel schlimmer finde ich, dass in Berlin die ersten Tannenbäume schon nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag auf der Straße liegen.“
„Sie werden aus dem Fenster geworfen, gern aus dem vierten Stock. Hüte dich vor fliegenden Weihnachtsbäumen nach den Weihnachtstagen!“
„Werden Tannenbäume nicht auch an Elefanten im Zoo verfüttert?“
„Davon weiß ich nichts. Gibt es nicht nahrhafteres Futter für die armen Tiere?“
„Wie lange stand der Baum früher bei euch im Wohnzimmer, Papa?“
„Bis Heilige Drei Könige. Und dann war es meist höchste Zeit, ihn zu entsorgen, weil die meisten Nadeln bereits herabgerieselt waren.“
„In Kirchen stehen die Bäume viel länger.“
„Sie stehen dort länger, weil die Weihnachtszeit nach dem Kirchenjahr bis Anfang Februar dauert.“
„So lange? Im Februar möchte ich Weihnachten eigentlich vergessen haben.“
„Die Weihnachtszeit endet mit dem Fest der Darstellung des Herrn am 2. Februar, kannst du nachlesen.“
„Und, hast du dieses Fest schon mal begangen?“
„Nein, natürlich nicht. Bis ich mich irgendwann dafür interessiert habe, wann die Weihnachtszeit genau endet, wusste ich nichts von diesem Fest – erinnere mich aber daran, dass ich es geliebt habe, meine Weihnachtsgeschenke bis nach Silvester im Wohnzimmer liegen zu lassen und dort zu spielen. Es in Beschlag zu nehmen, Wohn- und Musikzimmer in eine Spielzone zu verwandeln.“
„Das machen wir auch, wir lassen das abgerissene Geschenkpapier auf dem Wohnzimmerboden liegen.“
„Aber nicht bis ins neue Jahr.“
„Ist schon vorgekommen.“
„Meine Mutter hat am 6. Januar die Schallplatte mit dem sechsten und letzten Teil des Weihnachtsoratoriums aufgelegt, dem Teil, der an Epiphanias spielt, und damit war Weihnachten vorbei. Anschließend kam der Baum raus – wobei, bei uns hieß das, er kam in den Garten. Meist lehnte er in der Nähe des Komposthaufens am Zaun und trocknete weiter aus, bis ich ihn zu Ostern zersägen und verbrennen durfte. Was mir selbstverständlich großen Spaß gemacht hat.“
„…“
„Martha, bist du noch da?“
„Ja, natürlich. Ich lege doch nicht einfach auf.“
„Hätte ich die Krippe, könnte ich die für dich aufbauen, wenn du kommst.“
„Welche Krippe?“
„Die Weihnachtskrippe, mit Maria, Josef und dem Jesuskind im Stall von Bethlehem. Wir hatten eine, die stand immer unter unserem Baum. Mein Großvater, dein Urgroßvater, hatte sie selbst gebaut, aus Pappmaché und dünnen Leisten, die wie grob behauene Balken aussahen, weil er sie kunstvoll abgeflämmt und bemalt hatte. Die Krippe war ein kleines Diorama, halb Stall, halb Felsenhöhle.“
„Eine nativity scene?“
„Ja. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er mehrere Nachkriegswinter hindurch, bis in die fünfziger Jahre hinein daran gewerkelt hat. Das Christuskind und die Tiere, Ochse und Esel zum Beispiel, hatte er selbst geschnitzt. Er hat sich seine heilige Familie geschnitzt, er konnte das.“
„Und wo befindet sich dieses Kunstwerk heute?“