Andorra von Max Frisch - Textanalyse und Interpretation - Max Frisch - E-Book

Andorra von Max Frisch - Textanalyse und Interpretation E-Book

Max Frisch

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Beschreibung

Spare Zeit und verzichte auf lästige Recherche!

In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Werk komplett gelesen zu haben.

 

Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.

 

Inhalt:

- Schnellübersicht

- Autor: Leben und Werk

- ausführliche Inhaltsangabe

- Aufbau

- Personenkonstellationen

- Sachliche und sprachliche Erläuterungen

- Stil und Sprache

- Interpretationsansätze

- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen

NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen

NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung

 

Layout:

- Randspalten mit Schlüsselbegriffen

- übersichtliche Schaubilder

NEU: vierfarbiges Layout

 

Frisch thematisiert in Andorra am Beispiel des Antisemitismus die Auswirkung von Vorurteilen, die Schuld der Mitläufer und die Frage nach der Identität eines Menschen.

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Seitenzahl: 156

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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 145

Textanalyse und Interpretation zu

Max Frisch

Andorra

Bernd Matzkowski

Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen

Zitierte Ausgabe: Frisch, Max: Andorra. Stück in 12 Bildern. Text und Kommentar. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999, 26. Aufl. 2021 (Suhrkamp BasisBibliothek, Bd. 8). Alle Zitate aus dem Roman werden durch die Seitenangabe direkt hinter dem Zitat kenntlich gemacht; Zitate aus dem Kommentar sind mit „A“ gekennzeichnet.

Über den Autor dieser Erläuterung:Bernd Matzkowski ist 1952 geboren. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Herr Matzkowski war Lehrer am Heisenberg Gymnasium Gladbeck. Fächer: Deutsch, Sozialwissenschaften, Politik, Theater. Ausbildungskoordinator.

Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst. Zitate von Max Frisch, Friedrich Torberg und Bertolt Brecht müssen auf Grund eines Einspruchs in der alten Rechtschreibung übernommen werden.

1. Auflage 2024

978-3-8044-7085-9

© 2024 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Titelbild: Thiemo Strutzenberger als Andri und Marie Leuenberger als Barblin bei einer Probe für „Andorra“ im Hamburger Schauspielhaus 2006 © picture-alliance/ dpa/dpaweb | Ulrich Perrey Alle Rechte vorbehalten, darunter fällt auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von §44b UrhG! Alle Schlüsselstellenanalysen wurden erstellt von Constanze Mack, alle Lernskizzen von Arnd Nadolny.

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

Fußnoten Fußnoten sind im Text in eckigen Klammern mit fortlaufender Nummerierung angegeben. Tippen Sie auf eine Fußnote und Sie gelangen zum entsprechenden Fußnotentext. Tippen Sie im aufgerufenen Fußnotentext auf die Ziffer zu Beginn der Zeile, und Sie gelangen wieder zum Ursprung. Sie können auch die Rücksprungfunktion Ihres ePub-Readers verwenden (sofern verfügbar).

 

Verknüpfungen zu Textstellen innerhalb des Textes (Querverweise) Querverweise, z. B. „s. S. 26 f.“, können durch Tippen auf den Verweis aufgerufen werden. Verwenden Sie die „Zurück“-Funktion Ihres ePub-Readers, um wieder zum Ursprung des Querverweises zu gelangen.

 

Verknüpfungen zu Inhalten aus dem Internet Verknüpfungen zu Inhalten aus dem Internet werden durch eine Webadresse gekennzeichnet, z.B. www.wikipedia.de. Tippen Sie auf die Webadresse und Sie werden direkt zu der Internetseite geführt. Dazu wird in den Web-Browser Ihres ePub-Readers gewechselt – sofern Ihr ePub-Reader eine Verbindung zum Internet unterstützt und über einen Web-Browser verfügt.  Hinweis: Bitte beachten Sie, dass Webadressen nach Erscheinen dieses ePubs gegebenenfalls nicht mehr aufrufbar sind!

Inhaltsverzeichnis

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Max Frisch: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Wiederaufbau und Restauration

Frischs Erfolg in Zeiten des Kalten Krieges

Andorra und das Publikum

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

3. Textanalyse und -interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

3.3 Aufbau

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Andri

Barblin

Lehrer

Pater

Doktor/Tischler/Geselle/Wirt/Jemand/Soldat

Senora/Mutter

Der Judenschauer

Das Selbstbild und das Fremdbild der Andorraner

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

3.7 Interpretationsansätze

Die Bildnis-Thematik im Kontext von Antisemitismus und Holocaust

Andris Identitätssuche

Die Bedeutung des Motivs der Angst

Frisch und das Theater Bertolt Brechts

3.8 Schlüsselszenenanalysen

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Verortung des Dramas

Bildnis-Thematik und Liebe

Die Schlüsselrolle des 12. Bildes

Andris Suche nach Identität

Brecht zur Bildnis-Thematik

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 *

Aufgabe 2 *

Aufgabe 3 **

Aufgabe 4 ***

Aufgabe 5 *

Aufgabe 6 ***

Lernskizzen und Schaubilder

Literatur

Zitierte Ausgabe

Gesamtausgaben

Sekundärliteratur

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich alle Leser:innen in unserem Band rasch zurechtfinden und das für sie Interessante gleich entdecken, hier eine Übersicht.

 

Im 2. Kapitel beschreiben wir Frischs Leben und stellen den zeitgeschichtlichen Hintergrund dar:

Max Frisch lebte von 1911 bis 1991, die meiste Zeit in Zürich.

Als Frischs Andorra auf die Bühne kommt (Uraufführung 1961), sind im Bewusstsein vieler Menschen die Schrecken des Krieges und der Nazi-Diktatur schon lange Vergangenheit, und die Menschen haben sich im Wohlstand eingerichtet.

Frisch ist 1961 bereits ein erfolgreicher Autor. So haben ihm seine Romane Stiller (1954) und Homo faber (1957) ebenso Anerkennung verschafft wie vorangegangene Theaterstücke wie z. B. Biedermann und die Brandstifter (1958).

Im 3. Kapitel bieten wir eine Textanalyse und -interpretation.

Andorra – Entstehung und Quellen:

Hauptquelle für das Drama ist die von Frisch verfasste Prosaskizze Der andorranische Jude. Die Idee zu dieser Skizze hatte er bereits im Jahre 1946. Zwischen der Skizze, die den Kern des Stoffs und der Thematik (Bildnis-Thematik) bereits enthält, und dem späteren Drama bestehen allerdings wesentliche Unterschiede. Des Weiteren gibt es Bezüge zu Marieluise Fleißers Geschichten Andorranische Abenteuer (1932), die Frisch in der Neuen Zürcher Zeitung rezensierte.

Inhalt:

In Andorra lebt Andri, von dem der Lehrer behauptet, er sei ein jüdisches Kind, das er einst vor den „Schwarzen“ gerettet und als Sohn angenommen habe. Andri wächst in der Annahme heran, ein Jude zu sein. Er sieht sich mit Vorurteilen der Andorraner gegenüber Juden konfrontiert. Als sich der Lehrer weigert, ihm seine Tochter (Barblin) zur Frau zu geben, nimmt Andri an, dass auch der Lehrer voller Vorurteile gegenüber Juden sei. So nimmt er schließlich, in seiner Suche nach Identität, die „Rolle“ des Juden an. Als sich die Lage in Andorra zuspitzt, weil ein Angriff der „Schwarzen“ bevorsteht, gesteht der Lehrer schließlich ein, dass Andri gar kein Jude ist, sondern das gemeinsame Kind mit einer „Schwarzen“. Andri hat sich aber bereits mit seiner Rolle als „Jude“ identifiziert. Als die „Schwarzen“ Andorra besetzen, wird er von diesen als Jude eingestuft und getötet.

Aufbau:

Das Stück ist in zwölf Bilder eingeteilt, deren Mittelpunktfigur Andri ist. Durch „Zeugenaussagen“, die zwischen gespielter Vergangenheit und gespielter Gegenwart vermitteln, wird die gespielte Zeit entgrenzt. Über Themen, Bilder und Symbole werden die Bilder und „Zeugenaussagen“ miteinander verwoben. Handlungsort ist Andorra, das aber nicht als konkreter Ort, sondern als Modell zu verstehen ist. Der Platz von Andorra bildet eine Klammer (1. und 12. Bild) um alle Szenen und ist zugleich Hauptschauplatz des Geschehens.

Figuren:

Die Hauptfiguren sind

Andri:

zunächst ein durchschnittlicher junger Mann mit Alltagsinteressen (Fußball),

auf der Suche nach Identität, verliebt in Barblin,

nimmt allmählich die ihm von den Andorranern zugewiesene Rolle als „Jude“ an,

wird von den „Schwarzen“ ermordet,

Barblin:

ist mit Andri „verlobt“,

wird im Zuge der Handlung gedemütigt und zum Opfer männlicher (sexueller) Gewalt,

wird durch die Gewaltakte und den Verlust von Vater und Halbbruder in den Wahnsinn getrieben,

leistet den „Schwarzen“ Widerstand,

Lehrer:

lebt mit der Lüge über Andris wahre Identität,

ist dem Alkohol verfallen,

trägt Schuld an der Entwicklung Andris.

Wir stellen diese Figuren ausführlich vor und nennen und erläutern weitere Figuren des Dramas, ihre Charaktere und Funktionen im Drama.

Stil und Sprache Max Frischs:

Die Sprache Andris hat, entsprechend seiner Entwicklung, die größte Spannweite: Neben der Alltagssprache der Andorraner finden sich bei ihm Formen bildhaften Sprechens, Elemente des Lyrisch-Gestischen und Elemente der Sprache des Alten Testaments.

Die Sprache der Andorraner ist überwiegend einheitlich gestaltet und kennzeichnet ihren gemeinsamen Denkraum.

Verschiedene Interpretationsansätze bieten sich an:

die Bildnis-Thematik,

die Bedeutung der Identitätssuche Andris,

die Frage der Darstellung von Antisemitismus und Holocaust,

die Bedeutung des Motivs der Angst,

Frisch und das Theater Bertolt Brechts.

2. Max Frisch: Leben und Werk[1]

2.1 Biografie

Max Frisch

(1911–1991) © picture alliance / SvenSimon | SVEN SIMON

Jahr

Ort

Ereignis

Alter

1911

Zürich

Geburt am 15. Mai als Sohn des Architekten Franz Bruno Frisch und seiner Gattin Karolina, geb. Wildermuth

 

1924

Zürich

Eintritt ins Realgymnasium des Kantons

13

1930

Zürich

Germanistikstudium an der Universität Zürich

19

1931–34

Zürich

Journalistische Arbeiten

20–23

1932

Zürich

Tod des Vaters

21

1933

Prag

Sportreporter bei der Eishockeyweltmeisterschaft

22

1934

 

Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt erscheint (erste Veröffentlichung).

23

1936

Zürich

Beginn des Architekturstudiums

25

1937

 

Die Erzählung Antwort aus der Stille erscheint.

26

1939–45

 

Dienst in der Armee

28–34

1940

 

Blätter aus dem Brotsack. Geschrieben im Grenzdienst 1939 erscheint.

29

Zürich

Anstellung als Architekt

1942

Zürich

Ehe mit Gertrud Constanze von Meyenburg; Gründung eines eigenen Architekturbüros; Frisch gewinnt den ersten Preis im Architekturwettbewerb um das städtische Freibad am Letzigraben.

31

1943

 

Der Roman Jádore ce qui me brûle oder Die Schwierigen erscheint.

32

Zürich

Geburt der Tochter Ursula.

1944

Zürich

Geburt des Sohnes Hans Peter. Frisch beginnt damit, Dramen zu verfassen.

33

1945

Zürich

Das Stück Nun singen sie wieder wird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.Bin oder Die Reise nach Peking erscheint.

34

1946

 

Zahlreiche Reisen, u. a. nach Deutschland

35

Zürich

Die Romanze Santa Cruz sowie die Farce Die Chinesische Mauer werden am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.

1947

 

Bekanntschaft mit Brecht und Dürrenmatt;

36

Zürich

Bau des Schwimmbads am LetzigrabenTagebuch mit Marion erscheint.

1948

Berlin, Prag, Warschau

Reisen nach Berlin, Prag und Warschau; Teilnahme am Congrès mondial des intellectuels pour la paix (Wrozlaw/Polen)

37

Zürich

Als der Krieg zu Ende war wird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.

1949

Zürich

Geburt der Tochter Charlotte

38

1950

 

Tagebuch (1946–1949) erscheint.

39

1951

Zürich

Graf Öderland wird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.

40

1951–1952

USA

Stipendiat der Rockefeller-Stiftung

40–41

1953

Zürich/Berlin

Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie wird am Zürcher Schauspielhaus und zeitgleich am Berliner Schiller-Theater uraufgeführt.

42

1954

 

Der Roman Stiller erscheint.

43

Zürich

Trennung von der Familie.

1955

Zürich

Frisch verkauft sein Architekturbüro.

44

1957

 

Der Roman Homo faber erscheint. Reisen nach Griechenland und in die arabischen Staaten

46

1958

Zürich

Biedermann und die Brandstifter wird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt (als Hörspiel bereits 1953 gesendet). Georg-Büchner-Preis

47

1959

Zürich

Scheidung von G. C. von Meyenburg

48

1960

Rom

Frisch lebt mit Ingeborg Bachmann zusammen (bis 1962).

49

1961

Zürich

Andorrawird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.

50

1962

Zürich

Frisch lernt Marianne Oellers kennen.

51

1964

 

Der Roman Mein Name sei Gantenbein erscheint.

53

1965

Berzona

Frisch kehrt aus Rom in die Schweiz zurück und zieht mit M. Oellers nach Berzona.

54

1966

UdSSR

Reise in die UdSSR

55

1968

 

Biografie: Ein Spiel wird am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.

57

Berzona

Heirat mit Marianne Oellers

UdSSR

Zweite Reise in die UdSSR

1969

Japan

Reise nach Japan

59

1971

 

Wilhelm Tell für die Schule erscheint.

60

USA

Aufenthalt in den USA

1972

 

Tagebuch (1966–1971) erscheint.

61

1973

Berlin

Zweitwohnung in Berlin (bis 1979)

62

1974

 

Dienstbüchlein erscheint.

63

USA

Erneuter Aufenthalt in den USA

1975

 

Die Erzählung Montauk erscheint.

64

1976

 

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

65

China

Reise nach ChinaGesammelte Werke in zeitlicher Folge erscheinen.

1978

 

Triptychon. Drei szenische Bilder erscheinen.

67

1979

Berzona

Die Erzählung Der Mensch erscheint im Holozän erscheint. Scheidung von M. Oellers

68

1980

Berzona, New York

Neben Berzona hat Frisch auch in New York einen Wohnsitz.

69

1982

 

Blaubart. Eine Erzählung erscheint.

71

1984

Zürich

Frisch lebt wieder in Zürich.

73

1987

Moskau

Reise nach Moskau

76

1989

 

Schweiz ohne Armee? Ein Palaver erscheint.

78

1990

 

Schweiz als Heimat? Versuche über 50 Jahre erscheint.

79

1991

Zürich

Frisch stirbt kurz vor seinem 80. Geburtstag am 4. April in seiner Wohnung.

79

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zusammenfassung

Im Bewusstsein vieler Menschen sind die Schrecken des Krieges und der Nazi-Diktatur schon lange Vergangenheit, und die Menschen haben sich im Wohlstand eingerichtet, als Frischs Andorra auf die Bühne kommt (Uraufführung 1961).

Die politische Weltlage ist bestimmt durch den Ost-West-Konflikt („Kalter Krieg“).

Im Laufe der 1960er Jahre beginnt sich das gesellschaftspolitische Klima in der Bundesrepublik Deutschland zu verändern (sogen. 68er-Bewegung, Auseinandersetzung mit der NS-Zeit).

Aufgrund seines Modellcharakters wurde dem Stück vorgeworfen, dem Publikum ein Ausweichen ins Unverbindliche zu erlauben.

Frisch ging es nicht um die Taten der Nazi-Größen, sondern um die Millionen Namenlosen, die den Holocaust möglich machten.

Wiederaufbau und Restauration

Wenn hier über den zeitgeschichtlichen Hintergrund von Frischs Andorra gesprochen werden soll, so ist dabei zu berücksichtigen, dass zwischen dem ersten Entwurf (1946), den Vorstufen, der Fertigstellung und der Uraufführung des Stücks immerhin 15 Jahre liegen. Frischs Drama erscheint in einer Zeit, in der – im Bewusstsein der meisten Menschen – die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und die Verbrechen der Nationalsozialisten, die Ermordung der Juden Europas, schon Geschichte sind. In den 1950er Jahren ging es der Mehrheit der Bevölkerung darum, sich aus der schlimmsten Not der Nachkriegszeit zu befreien und am sich abzeichnenden ökonomischen Aufschwung teilzuhaben, nicht aber um eine kritische Reflexion der eigenen Vergangenheit. Zwar beginnt im Frühjahr 1961 der Prozess gegen Adolf Eichmann, der 1960 von israelischen Agenten in Argentinien verhaftet worden war, aber diese Gerichtsverhandlung gegen einen der Organisatoren des Massenmordes an den Juden findet nicht in Europa, sondern in Israel statt.

Europa ist in dieser Zeit die Nahtstelle des Konflikts, der die Weltpolitik bestimmt, des Konflikts zwischen den beiden Hegemonialmächten USA und UdSSR und ihrer Verbündeten. Schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Koalition der Sieger zerbrochen; die Blockade Berlins (1948/49), der Koreakrieg (1950–1953) und die Suez-Krise (1956) waren deutliche Zeichen der Blockkonfrontation, deren steinernes Symbol die Mauer in Berlin werden sollte (13. August 1961). War die internationale Lage also durch den „Kalten Krieg“ bestimmt, so vollzog sich der Wiederaufbau Westdeutschlands in der Adenauer-Ära im Zeichen von „Wirtschaftswunder“ und politischer Restauration.

Frischs Erfolg in Zeiten des Kalten Krieges

In diese Phase der politischen Restauration und des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Bundesrepublik, in die 1950er Jahre also, fällt Frischs Aufstieg als Autor. Der Schweizer Autor ist dem deutschen Lese- und Theaterpublikum längst kein Unbekannter mehr, als Andorra 1962 auch auf die bundesrepublikanischen Bühnen kommt. Mit seinem Roman Stiller hatte er den ersten wirklich großen Erfolg erzielt (1954), sein Roman Homo faber mehrte seinen Ruhm, und die Verleihung des renommierten Georg-Büchner-Preises hatte Frisch literarisch geadelt. Der Schweizer Autor schien den Deutschen ein gleichermaßen unabhängiger wie kritischer Geist zu sein, der gewillt war, seinen eigenen Weg zu verfolgen, und sich deshalb die Freiheit herausnehmen konnte, im Jahre 1948 am „Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden“ im kommunistischen Polen teilzunehmen und nur drei Jahre später als Stipendiat der Rockefeller-Stiftung in die USA zu gehen. Der Erfolg Frischs in jener Zeit mag sich u. a. daraus erklären, dass die Zeitkritik in seinen Werken (Romanen und Theaterstücken) sozusagen immer nur nebenher erfolgt und eingearbeitet ist in grundsätzlichere Fragestellungen, wie etwa die Bildnis- und Vorurteilsthematik.[1] Zum Erfolg von Andorra trug allerdings auch bei, dass sich das gesellschaftliche, politische und geistige Klima in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren allmählich zu verändern begann. Das wirtschaftlich erstarkte und angesehene Westdeutschland wollte den wirtschaftlichen Aufschwung nun auch moralisch begleiten. Manfred Durzak schreibt:

„Es wäre also die Frage zu stellen, ob die Wirkung von Frischs Stück nicht im Rahmen jener moralischen Regenerationsbewegung in Deutschland zu sehen ist, die, unter der Flagge Bewältigung der Vergangenheit segelnd, sich während der sechziger Jahre in zahlreichen Prozessen über im Dritten Reich begangene Verbrechen zeigte. Was der Eichmann-Prozess in Israel im Großen vorexerzierte, wurde in vielen ähnlichen Prozessen in Deutschland nachgeholt. Nachdem der Wohlstandsboom seinen Segen allerorts verbreitet hatte, setzte man an, auch moralisch reinen Tisch zu machen und die Übeltaten der Vergangenheit juristisch einzuordnen, um das kollektive Schuldgefühl Deutschlands zu erleichtern.“[2]

Andorra und das Publikum

Folgt man der Argumentation Durzaks, so hat es dem Erfolg von Andorra ganz offensichtlich nicht geschadet, dass das Stück gerade durch den auch von Frisch selbst immer wieder betonten Modellcharakter das deutsche Publikum nicht unmittelbar mit dem Vorwurf der nationalsozialistischen Gesinnung oder gar der direkten Mittäterschaft am Holocaust konfrontierte, sondern durch die Betonung der Vorurteilsthematik dem Publikum ein Ausweichen ins Unverbindliche ermöglichte. Wenn Max Frisch einmal davon gesprochen hat, dass mit Andorra nicht der wirkliche Kleinstaat dieses Namens gemeint sei, sondern dass Andorra der Name für ein „Modell“ sei, so besteht das Modellhafte darin, dass die Ausbildung und die Auswirkungen von Vorurteilen gezeigt werden. Im Stück Andorra geht es um das Anfertigen von Bildnissen gegenüber dem vermeintlichen Juden Andri. Das Modellhafte, die parabolische Form, hielt nicht nur die deutsche Vergangenheit in gewisser Weise auf Distanz, sondern ermöglichte dem Publikum auch ein Wegtauchen vor der Reflexion über eine eigene Verstrickung in (historische) Schuld. Dies kann dem Autor Frisch allerdings nicht zum Vorwurf gemacht werden; ihm ging es sicher nicht um einen Befreiung des Publikums von der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Ganz im Gegenteil; Frisch selbst wollte den Blick gerade weglenken von der Fixierung auf die bekannten Organisatoren des Massenmordes und Nazi-Größen und hinweisen auf die Verantwortung jedes Einzelnen. Im Januar 1961 schreibt Frisch an den Suhrkamp Verlag:

Juden müssen zur Belustigung der Zuschauer:innen Gehsteige reinigen, Wien 1938 © picture-alliance / dpa | dpa

„Das Stück handelt (soweit es nicht nur das Stück von Andri ist), nicht von den Eichmanns, sondern von uns und unseren Freunden, von lauter Nichtkriegsverbrechern, von Halbspaß-Antisemiten, d. h. von den Millionen, die es möglich machten, daß Hitler (um schematisch zu reden) nicht hat Maler werden müssen. (…) Für mich, wenn ich das sagen darf, gehört es zum Wesentlichen des Einfalls, daß die Andorraner ihren Jud nicht töten, sie machen ihn nur zum Jud in einer Welt, wo das ein Todesurteil ist. So sehr ich dafür wäre, daß die Eichmanns, die Vollstrecker, gehängt werden, so wenig interessieren sie mich, genauer: ich möchte die Schuld zeigen, wo ich sie sehe, unsere Schuld, denn wenn ich meinen Freund an den Henker ausliefere, übernimmt der Henker keine Oberschuld.“[3]

Noch deutlicher hat Max Frisch seine Haltung in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit (Ausgabe vom 3. 11. 1961) zum Ausdruck gebracht:

„Die Schuldigen sitzen ja im Parkett. Sie, die sagen, daß sie es nicht gewollt haben. Sie, die schuldig wurden, sich aber nicht mitschuldig fühlen. Sie sollen erschrecken, sie sollen, wenn sie das Stück gesehen haben, nachts wachliegen. Die Mitschuldigen sind überall.“[4]

Es mag dahingestellt sein, ob Frischs Anliegen, den Einzelnen dazu aufzufordern, über seine Mitschuld nachzudenken, Erfolg gehabt hat. Im Laufe der 1960er Jahre werden die Rufe nach einer Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit in Westdeutschland jedenfalls immer lauter. Die Generation der „Nachgeborenen“ (Brecht), die sog. 68er-Bewegung, konfrontiert die Generation der Väter mit der Frage nach der Schuld und Mitschuld am Holocaust. So gesehen, war Max Frisch mit seinem Stück Andorra der Zeit voraus.

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken[6]

Als Andorra erscheint, ist Max Frisch bereits ein bekannter Autor. Einige Dramen Frischs sind schon auf die Bühne gekommen; als das bis dahin erfolgreichste kann wohl Biedermann und die Brandstifter gelten, sein Drama Andorra wird 1961 uraufgeführt. Doch auch als Romancier ist Frisch bereits erfolgreich (Stiller, 1954, Homo faber, 1957).