Auch im Schnee und Nebel ist Salzburg schön - Alja Rachmanowa - E-Book

Auch im Schnee und Nebel ist Salzburg schön E-Book

Alja Rachmanowa

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Beschreibung

Die Tagebücher, die Alja Rachmanowa zu ihren Lebzeiten veröffentlichte und die sie berühmt gemacht haben, sind zweifellos literarisch bearbeitete. Hier werden erstmals authentische Tagebücher aus dem Nachlass übersetzt. Sie vermitteln ein anschauliches Bild vom Alltag in Salzburg während der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs, in denen das Leben durch die ständigen Fliegeralarme und Vernebelungen, aber auch durch die Versorgungslage immer schwieriger wird. Den roten Faden der Eintragungen bildet das Leben der Familie von Hoyer mit allen Hochs und Tiefs, mit Sorgen und Freuden. Insgesamt ergeben die echten Tagebücher eine lebendigere Vorstellung von der Persönlichkeit der Schriftstellerin als das durch ihr Werk überlieferte Selbstbild. Politisch ist Alja Rachmanowa stark auf den Kampf gegen den Kommunismus fixiert. Dem Unrecht und der Willkür in ihrer Gegenwart schenkt sie keine Beachtung, sie bemüht sich im Gegenteil trotz bürokratischer Widerstände um die Anerkennung durch das herrschende Regime. Das Nachwort von Heinrich Riggenbach, der die Tagebücher übersetzt hat, geht an Hand von Dokumenten besonders drei Fragen nach: Weshalb wurde die Familie von Hoyer aus der UdSSR ausgewiesen? Wie hat sie sich in Salzburg während der NS-Zeit verhalten? Warum hat das Ehepaar letztlich Salzburg für immer verlassen?

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Seitenzahl: 508

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Alja RachmanowaAuch im Schnee und Nebel ist Salzburg schön

Alja Rachmanowa

Auch im Schnee und Nebelist Salzburg schön

Tagebücher 1942 bis 1945

Übersetzt und herausgegebenvon Heinrich Riggenbach

OTTO MÜLLER VERLAG

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1230-6eISBN 978-3-7013-6230-1

© 2015 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Media Design: Rizner.at

Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Abbildungen: Staatsarchiv des Kantons Thurgau, 9’43 Nachlass Alja Rachmanowa

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1942

1943

1944

1945

Nachwort

Anmerkungen

Vorbemerkung

Erstmals werden hier Tagebücher von Alja Rachmanowa aus ihrer Salzburger Zeit veröffentlicht, und zwar die Aufzeichnungen von 1942 bis zum Frühjahr 1945. Die russischen Originale gehören zum Nachlass Rachmanowas im Staatsarchiv Thurgau in Frauenfeld (Schweiz). Der Lektüre sollen einige Bemerkungen zu den Prinzipien der vorliegenden Publikation vorausgeschickt werden. Die Biografie von Alja Rachmanowa, besonders in der Zeit des Krieges, ist im Nachwort ausführlich thematisiert.

Die Publikation versteht sich als Edition in Übersetzung. Um dem dokumentarischen Charakter des Textes gerecht zu werden, schließt sich die Übersetzung sprachlich eng dem Original an. Sie lässt von den Tagebucheinträgen nichts weg, auch wenn Alja Rachmanowa sich wiederholt, und versucht nicht zu glätten oder zu beschönigen. Ausgelassen sind nur Textpassagen, die nicht eigentliche Tagebucheintragungen sind, besonders Entwürfe zum Werk und einige Abschriften von Dokumenten. Diese Stellen sind durch eckige Klammern markiert. In den Anmerkungen am Ende dieses Buches ist aber angegeben, was ausgelassen wurde. Ebenfalls mit eckigen Klammern wird auf fehlenden Text hingewiesen, weil Alja Rachmanowa Seiten oder Teile davon als Zensor von sich selbst aus den Tagebüchern herausgetrennt hat. Gelegentliche Hinweise oder Ergänzungen des Übersetzers erfolgen direkt im Text in spitzen Klammern.

Die Anmerkungen zu Personen, Örtlichkeiten und Sachen sind so knapp wie möglich gehalten. Deshalb ist die Quelle nur selten angegeben, z.B. wenn daraus zitiert wird. Hauptquelle für die vielen Personen aus dem Umkreis von Alja Rachmanowa und für Salzburg Betreffendes ist das Adreß-Buch der Stadt Salzburg für das Jahr 1942 (kurz Adressbuch 1942). Die vollständigen Namen und Adressen, soweit sie zugeordnet werden konnten, dienen der Verifizierung dessen, was Alja Rachmanowa im Tagebuch festhält. Weitergehende Nachforschungen wurden nicht angestrebt. Die Anmerkungen stehen jeweils beim ersten Vorkommen des Erklärten. Wo sie fehlen, bedeutet dies, dass sich mit vertretbarem Aufwand keine Angaben finden ließen. Randnotizen von Alja Rachmanowa stehen am Ende eines Eintrags und sind mit einem Sternchen am Zeilenanfang gekennzeichnet.

Basel, Februar 2015

Heinrich Riggenbach

19421

Dostojewski: „Das Leben ist ein ganzheitliches Kunstwerk. Leben bedeutet, ein Kunstwerk aus sich selbst zu machen.“2

19.1.1942

Es ist kalt … Man sagt, es sei heute 24 Grad minus. Die Leute eilen eingemummelt und ziehen irgendwie merkwürdig den Bauch ein. „Unsere Kama“3, die Salzach, ist voll von großen schwimmenden Eisschollen. Grauer Nebel liegt über der Stadt. Aus unseren Fenstern sieht man nicht einmal die Festung.4 Alle meine Gedanken sind im fernen Russland, bei meinem Jungen.5 Herr, erhalte ihn! Es ist schrecklich, schrecklich in unserer Zeit zu leben!

Ich kaufte Zwiebeln auf Lebensmittelkarten. Dort erzählte die bleiche, müde und abgequälte Frau Dr. Bauer6, sie komme gerade vom Bahnhof. Sie begleitete ihren Mann, der zu einer Ausbildung fuhr. Die Verkäuferin in der Bäckerei erzählte, ihr Bräutigam sei gefallen und ihre ganze Jugend sei zugrunde gerichtet. Es ist kalt, kalt auf der Welt zu leben! Ich war in der Kirche. Ebenmäßig, warm und freundlich brennt das kristallene Lämpchen. Es verspricht Ruhe, Freude und Stille. Herr, denke an die leidenden Menschen und hilf ihnen! … Es ist kalt und schrecklich in unserer Zeit zu leben!

20.1.1942

Ich bin furchtbar beunruhigt wegen Schurotschka. Wen man auch auf der Straße trifft, die erste Frage lautet: „Wann haben Sie einen Brief bekommen? Von welchem Datum?“ Der letzte Brief war vom 2. Januar. 18 Tage sind vergangen, seit mein Junge geschrieben hat. Wo ist er? Was ist mit ihm? Jeden Tag schicke ich kleine, armselige Päckchen zu fünf Dekagramm. Aber können sie ihm denn helfen? Und bekommt er sie auch? Mein Gott, wie tut es mir in der Seele weh und wie schrecklich ist es, nur von der Erwartung zu leben und nicht in der Lage zu sein, seinem einzigen Kind in seinen schrecklichen, grauenvollen Tagen zu helfen …

Heute war ein grauer Tag. Alle Bäume hatten einen leichten, silbrigen Raureif. Die Sonne war seltsam – eine rote Kugel, die unwahrscheinlich und unbegreiflich neben der Silhouette der Festung hing. Wenn ein Künstler dies malte, würden alle sagen, so komme es in Wirklichkeit nicht vor. So erscheint mir jetzt auch unser ganzes Leben als unglaublich schwerer, grausamer Traum. Die Zärtlichkeit von Arno7 wärmt mich, sonst könnte ich verzweifeln … Am meisten schätze ich Liebe, Güte, Stille, Zärtlichkeit und herzliche Aufmerksamkeit. Ich bemühe mich, selbst überall aufmerksam und liebevoll zu sein, Licht und Trost zu spenden.

Ich bin sehr traurig, dass alle meine Bücher verboten sind.8 Ich möchte einen Roman schreiben, aber Arno sagt: „Es hat keinen Sinn. Es wird ihn sowieso niemand drucken!“

21.1.1942

Heute ist ein lieber Brief von Schurotschka vom 7.1.42 gekommen. Wir sind sehr glücklich!

22.1.1942

Heute ist es genau sieben Monate her, dass Schurotschka in den Krieg gezogen ist! Wie viele Monate noch werden wir ihn nicht sehen? Wieder hängt neben der Festung die orangefarbene, graue Sonne. Es ist kalt. Der kälteste Tag in diesem Winter. Man sagt, am Morgen sei es 27 Grad minus gewesen. Von der Salzach ist fast nichts übrig geblieben. Ein kleines Rinnsal im Schnee, an dessen Ufern, wie graue Steine, die Möwen lagern. Wie ist es möglich, dass sie nicht erfrieren? Am Mittagessen in der Diätküche erzählte mir meine Nach barin, ihr Mann sei innert zweieinhalb Jahren Kriegseinsatz dreimal am Kopf verletzt worden. „Wer sagt, er opfere mit Freude einen geliebten Menschen, liebt entweder diesen Menschen nicht oder er lügt!“, sagte sie. „Für mich wäre es furchtbar, den Mann zu verlieren!“ Sie hat ein müdes, bleiches, sympathisches Gesicht. Auffallend sind die Falten um Nase und Mund. „Ich möchte so gerne ein Kind haben, die Jahre vergehen, ich arbeite von morgens bis abends. Jeden Tag schreibe ich abends meinem Mann einen Brief und er schreibt mir auch jeden Tag!“ Von ganzem Herzen wünschte ich ihr, dass ihr Mann gesund aus dem Krieg zurückkehre. Was für ein Glück, dass Arno bei mir ist! Ich liebe ihn mit jedem Tag mehr und mehr, obwohl es scheint, mehr zu lieben sei unmöglich!

23.1.1942

Es ist noch kälter als gestern. Als schmaler Streifen windet sich die Salzach und weißer Dampf steigt von ihr auf, als ob ihr das Atmen schwerfiele. Der Schnee knirscht unter den Füßen, der Frost beißt an Wangen und Nase. Man sagt, es sei heute 32 Grad minus. Ich möchte furchtbar gerne ein Drama oder eine Komödie für das Theater schreiben. Ich kann nicht begreifen, weshalb mir Romane so leicht von der Hand gehen und ich für das Theater bisher nichts schreiben konnte. Heute dachte ich den ganzen Tag nach, fast bis der Kopf schmerzte, aber es ist mir bis jetzt nichts eingefallen. Arno sagt: „Zerbrich dir nicht den Kopf, dein Stück wird sowieso niemand spielen, da deine Bücher verboten sind.“ Aber ich muss trotzdem schreiben!

24.1.1942

Es schneit. Die Dämmerung bricht herein … Der schmale Streifen der noch nicht gefrorenen Salzach murmelt vor sich hin … Im Zimmer ist es warm und gemütlich. Arno spielt auf dem Flügel. Ich mache Feldpostpäckchen. Es läutet. Domanig ist gekommen.

25.1.1942

Schnee, Schnee, Schnee … Die Füße bleiben im Schnee stecken, man kann nur mit Mühe gehen. Zum Mittagessen gingen wir in den „Münchnerhof“9, dann waren wir im Kino. Arno ist zärtlich und lieb … Ich liebe unsere stillen, gemüt lichen Sonntage so sehr, wenn wir den ganzen Tag allein sind.

26.1.1942

Berge von Schnee … Und er fällt und fällt, schwer, nass und dicht. Ich möchte so gerne ein Drama schreiben. Ein solches, dass die Herzen aller zusammenzucken und durch das Erlebte für lange Zeit erschüttert sind. Jedes Verbrechen, auch ein kleines, ganz gleich wogegen – gegen sich oder andere – zieht stets Bestrafung nach sich … Dieses Thema ergab die besten Werke von Dostojewski und Tolstoi. Soll ich es auch nehmen?

27.1.1942

Für meinen Roman als Stimmungsbild: ein früher Winter morgen. Es herrscht noch tiefe Dämmerung … Nur in den Fenstern blinken Lichter. Ein kalter, erbarmungsloser Wind dringt durch den Mantel. Es ist unerträglich kalt. Aber sie geht am Ufer des reißenden, Eisschollen treibenden Flusses in der Hoffnung, ihn zu sehen. Der kalte Wind schleicht unter den Hut, es frieren die Wangen, die Nase und die Ohren, die Füße versinken im Schnee. Dort in der Ferne gehen Men schen. Vielleicht geht auch er. Aber es ist zu dunkel, um zu erkennen, wer da geht … Sie geht und denkt, wie quälend ist diese Sehnsucht der Frau nach dem Mann, nach einer verwandten Seele. Sehnt er sich ebenso nach ihr? Es wurde heller. Hier im Schnee sind Spuren männlicher Füße, feste, energische. Vielleicht sind es die Spuren seiner Füße? Vielleicht ist er hier schon gegangen? Wie viel Schnee! Alle Bäume, die Säulen der Brücke – alles, alles liegt im Schnee. Der Schnee deckt auch die Spuren zu … Vielleicht die Spuren seiner Füße. Sie geht bis zu jener Stelle, jener Straße, wo es keine Hoffnung mehr gibt, ihn zu sehen. Und plötzlich wird alles so leer, nutzlos und kalt. Die Stadt erwacht in ihrer ganzen märchenhaften Schönheit. Ein Wintermärchen herrscht nach wie vor über der Stadt, aber sie weiß, der ganze Tag ist verdorben. Sie hat ihn nicht gesehen. Die Stimmung fällt bis zum Nullpunkt … Und so ist es jeden Tag, jeden Tag! Hoffnung in der Dämmerung des erwachenden Morgens und Enttäuschung bei Tages ankunft … Und nur Arbeit, Arbeit, Arbeit und die verkümmernde Sehnsucht nach ihm! Was Einsamkeit für eine Frau bedeutet, kann nur verstehen, wer sie erlebt hat. Die Sehn sucht nach Liebe! Die ewige Sehnsucht der Frau nach dem Mann! In ihr steckt etwas Irrationales, Mystisches. Alle suchen, der Sinn des Lebens jeder Frau ist in der Liebe zum Mann und zur Mutterschaft. Und in dieser Sehnsucht nach dem Mann liegt eine tiefe Tragödie der Frau. Denn der Mann hat noch den Beruf. Keine Frau, sofern sie eine richtige Frau ist, wird sich nur mit irgendeiner Beschäftigung zufriedengeben. Sie braucht Liebe!

31.1.1942

Ich habe angefangen, ein Schauspiel zu schreiben, ich arbeitete den ganzen Tag. Die vorangehenden Tage weinte ich sehr viel. Der zweite Sohn der Familie von Cramm ist gefallen.10 Ein schrecklicher Eindruck! Das ist ein solches Leid, ein solches Leid! …

1.2.1942

Heute ist Schurotschka zwanzig Jahre alt geworden! Vor zwanzig Jahren wurde unter unwahrscheinlich schweren Be dingungen mein Junge geboren und ist am Leben geblieben!11 Herr, erhalte ihn auch jetzt in seinen schweren, schrecklichen Tagen! …

Und wie vor zwanzig Jahren sage ich heute: „Du musst leben! Du wirst leben, mein teurer, zärtlich geliebter Junge.“

2.2.1942

Heute ging Arno um sechs Uhr abends weg und kehrte um zehn Uhr zurück. Er hatte Zeichnen und einen Russischkurs. Um zehn Minuten nach neun Uhr klingelte das Telefon. Eine Frauenstimme sagte: „1106/2? Dr. von Hoyer? Bleiben Sie am Telefon, ein Ferngespräch …“ Und sie nannte eine Stadt. Es war keine deutsche Stadt, aber was für eine, konnte ich nicht verstehen. Dann ertönte in der Ferne eine männliche Stimme, die der Stimme von Schurotschka bis ins Letzte ähnlich war: „Hallo, ist dort bei Dr. von Hoyer?“ Und dann rief die liebe, ferne Stimme viele Male: „Hallo! Hallo!“ Ich antwortete, aber derjenige, der mit mir sprechen wollte, hörte mich nicht. Und plötzlich wurde alles still … Ich rief im Fernamt an und fragte, wer mit mir gesprochen habe. Die junge Frau antwortete sehr lieb, es sei ein Ferngespräch gewesen, aber sie könne nicht feststellen mit wem. Nach einer halben Stunde rief sie nochmals an und sagte, zu ihrem großen Bedauern sei es ihr nicht gelungen festzustellen, wer mit mir gesprochen habe. Die Stimme, die liebe, ferne Stimme meines Jungen ging im Äther unter. War es Schurotschka? Aber das ist unmöglich. Woher und wie hätte er sprechen können? Aber eine Sehnsucht, die wahnsinnige Sehnsucht der Mutter nach ihrem Kind, erwachte in mir … Eine ungestüme, hemmungslose Sehnsucht … Wo ist mein Junge? Vielleicht leidet er, friert er, hungert? … Und ich bin nicht in der Lage, ihm zu helfen … Er kann meine Stimme nicht hören, meine Zärtlichkeit kann nicht bis zu ihm dringen und ich bin nicht in der Lage, seine Leiden zu lindern … Das ist eine Folter, eine schleichende, grausame Folter. Wann wird sie aufhören? Wer weiß es? … Aber ich wünsche niemandem, niemandem sie zu erleben!

3.2.1942

Für meinen neuen Roman:

Unter den Füßen graubraune Massen von Schnee. Vom Him mel fallen leichte, weiße Flocken. Sie geht und denkt an ihn. Unerwartet steht er vor ihr. Freude strahlt in ihren Augen. Sie gehen zusammen. Die Füße bleiben im Schnee stecken. „Warum sind Sie nicht gekommen?“, fragt sie. „Ich konnte nicht. Es gab eine dringende Sache.“ – „Weshalb küssen Sie mich nie?“ – „Ich habe Angst vor Ihnen!“ – „Aber die andere küssen Sie?“ – „Ja. Sie liebt mich mit einer andern Liebe!“ Es schneit weiter. „Und Sie werden mich nie küssen?“ – „Nur an Ostern, wenn alle einander küssen.“ Sie gehen schweigend weiter. „Ich habe hier etwas zu erledigen!“, sagt er. „Wann werde ich aufhören, die ganze Zeit an Sie zu denken?“, fragt sie. „Diese Zeit wird kommen!“, sagt er. Sie sieht, dass an der Ecke vor einem Plakat die Frau steht, die ihn mit jener Liebe zu lieben versteht, die er braucht. Eine tödliche Trauer lastet auf ihrer Seele. Wann, wann hat das angefangen? Wann habe ich aufgehört, ihn so zu lieben, wie er es will? Unter den Füßen braune Schneemassen. Es ist mühsam zu gehen. Es ist schwierig, einen Menschen zu lieben, der nie mit einer solchen Liebe antworten kann, mit der sie liebt. Hat sie wirklich keine Kraft, ihn zu vergessen? Wo ist ihre Willens stärke? Und sie beschließt, ihn nicht mehr zu lieben, ihn zu vergessen, für einen anderen zu leben …

4.2.1942

Von Schurotschka kam ein rührender Brief vom 18.1.42. Er bittet, ihm ernsthafte, wissenschaftliche Bücher zu schicken und nicht billige Romane. Wie freut es einen, sich bewusst zu sein, dass seine Seele trotz des ihn umgebenden Schreckens fähig ist, sich für ernsthafte Bücher zu interessieren. Mein lieber Junge, sei mutig und stark! Und dein Glück wird noch kommen!

5.2.1942

Ich war bei der Familie von Cramm12. Ich brauchte eine Stunde bis zu ihnen durch die lange, lange, verschneite Allee13. Das Haus ist ganz im Schnee versunken. Das in seinem schwarzen Kleidchen rührende Fräulein Ruthchen, groß und schlank mit einem anmutigen, blassen Marmorgesichtchen. Die Baronin ganz in Schwarz, abgemagert, mit Spuren von Tränen im Gesicht. Ein Leid, das für immer bleiben wird. Zwei Söhne zu verlieren! Sie umarmt und küsst mich. Wir weinen beide. Dann erzählt sie vom Tod ihres Sohnes. Sie machte kein Foto von ihm, sie nahm nur eine Haarlocke. Beerdigt ist er auf einem Friedhof in Warschau. Sie konnte ihm nicht so viele rote Rosen bringen, wie sie es wollte. Im zerstörten Warschau ist er zusammen mit sechzehn weiteren Soldaten begraben – ihr zärtlich geliebter Sohn. Der Dackel Iris steht an der Baronin in die Höhe und tut die ganze Zeit so, als ob er sie trösten wolle, indem er sie mit der Vorderpfote berührt und sie mit klugen, verstehenden Augen anschaut. Ich ging ganz erschüttert weg. Den ganzen Tag ist meine Seele durch die Tiefe des menschlichen Leids erschüttert … Was kann unglücklicher, tragischer sein als der Mensch?

6.2.1942

Auf der Straße hielt mich eine Dame an: „Frau Rachmanowa, ich kenne Sie so viele Jahre – und Sie sind immer jung, schön und elegant! Alle altern, aber Sie nicht!“ Ihre Worte erfreuten mich, und wie ausgerechnet am gleichen Tag sagte einer von den Brückenarbei tern, an denen ich vorbeiging: „So ein leckertes schwarzes Mäd chen!“ Ich aber dachte: „Ich bin 43 Jahre alt und wenn sie wüssten, wie viel Kummer und Traurigkeit meine Seele bedrücken!“

7.2.1942

Von Schurotschka kam ein lieber, zärtlicher Brief. Wir sind glücklich. Er bittet, ihm Bücher zu schicken. Arno kaufte Bücher für ihn.

8.2.1942

Ich stand anderthalb Stunden Schlange, um Karten für das Gastspiel der Tschechowa14 zu bekommen. Es war sehr, sehr kalt und ich war ganz durchfroren. Es standen etwa zweihundert Menschen an. Es kommt ein Soldat heran und stellt sich fröhlich in die Schlange. Dann beginnt er zu fragen, wer wozu ansteht. „Ach, das ist für Mittwoch! Und ich dachte für heute! Ich habe nur für heute Urlaub! Na, dann gehe ich weiter!“ Und fröhlich lächelnd entfernte er sich.

8.2.1942

Heute hörte ich zum ersten Mal das Zwitschern der Vögel im Garten und als wir am Abend vom Theater zurückkehrten, standen am Ufer der Salzach unter den verschneiten Bäumen zwei umschlungene Paare. Die Männer waren in Soldaten uniform. Es scheint, der Frühling kommt doch, obwohl es immer noch kalt und neblig ist …

9.2.1942

Für meinen Roman: „Ich habe Angst vor Dir.“ Die nie befriedigte Sehnsucht nach Liebe. Das Verlangen nach Berührung. Wenn es keine körperliche Nähe gibt, erstarrt die Seele in trauriger Einsamkeit. Das Körperliche und Seelische in der Liebe zu trennen ist unmöglich. Die Liebe ohne das Lied des Körpers ist keine echte Liebe zwischen Mann und Frau. Die Liebe ohne Seele ist ebenfalls keine echte Liebe. Das Ideal: Das Einswerden der körperlichen und seelischen Liebe. Die Frau schätzt am meisten Zärtlichkeit. Wenn es sie nicht gibt, bleibt die Kälte der Einsamkeit. Es war für sie schrecklich zu erkennen, dass er sie körperlich nicht lieben will. Den Kuss, das Streicheln mit der Hand – alles nahm er ihr weg. Und plötzlich wurde ihr klar, dass sie bei den Begegnungen zur Passivität verurteilt war! Nur kluge Gespräche trösten eine Frau nicht. Es zeigte sich jetzt: in allen Gesprächen und Begegnungen war das Liebkosen seiner Augen und die Nähe ihrer Körper, die sich zueinander hinzogen, für sie das Wert vollste gewesen. Jetzt hat er alles Physische weggenommen und gleichsam die zarten Blumen ihrer Seele gebrochen. Dieses Thema entwickeln: das Verlangen der Frau nach Zärt lichkeit. Nicht unbedingt bis zum Letzten. Nur die Zärt lichkeit braucht sie. Ohne diese Zärtlichkeit breiten sich Enttäuschung, Leere und Unzufriedenheit aus. Letzten Endes der Typ der verbitterten alten Jungfer.

***

Hinter dem Fenster rauscht der Fluss. Sein Rauschen sagt mir, dass ein Tag nach dem andern vergeht und der Tod immer näher und näher ist … Der Tod! Jeder Mensch muss diesen schrecklichen Augen blick durchmachen. Ich denke oft an den Tod. Deshalb kann ich auch niemals böse sein. Von früher Kindheit an wusste und spürte ich, dass es den Tod gibt. Deshalb war meine Seele niemals böse.

10.2.1942

Heute erwachten Arno und ich um sechs Uhr. Ich wechselte in sein Bett, schmiegte mich an ihn, er umarmte mich – und es war so warm, so gemütlich, so schön! Meine liebe Sonne – er ist mein einziger Trost in diesen schweren Tagen! Er ist so zärtlich, aufmerksam und lieb!

Heute Morgen las man am Radio Verse, etwas in der Art: „Ich küsse nur gerne einen trotzigen Mund, welcher verweigert …“ Gerade ein passendes Zitat für meinen Roman. Ich würde gerne erfahren, von wem das ist.

25.2.1942

Nach quälenden Tagen des Wartens kam von Schurotschka ein lieber Brief vom 10.2.42.

16.4.1942

Jede Woche bringe ich Kartoffeln vom Markt für Frau Reiter (unsere Hausmeisterin)15. Vier Kilogramm, die uns zustehen, gebe ich ihr ab. Für sie ist dies eine große Hilfe. Wir essen ja keine oder nur sehr wenig Kartoffeln.

17.4.1942

Den ganzen Tag bemühte ich mich darum, dem krebskranken, sterbenden Professor Schäfer16 einen Platz in einem Spital zu verschaffen. Alle sind überfüllt. Mit Mühe gelang es, ihn im St. Johannsspital17 unterzubringen, man hat ihn sonst nirgends genommen.

17.4.1942

Ein sonniger, klarer Tag. Die Veilchen blühen, die gelben Schlüsselblumen, die Knospen brechen auf und es zeigen sich frische, klebrige Blättchen. Arno ist lieb und zärtlich, er erlaubte mir den Garten anzupflanzen. Ich eilte heute auf der Suche nach Bäumen schrecklich weit herum. Es gelang mir, Kirschbäume, Himbeersträucher, Birnbäume und einen Apfelbaum zu bekommen. Ich liebe das Leben, ich will Leben um mich herum sehen, und jetzt, bei so viel Tod – soll neues Leben wenigstens in den Bäumen entstehen, wenn ich selber einem andern nicht das Leben geben kann.18

18.4.1942

Von Schurotschka ist ein lieber Brief gekommen. Er bekam von uns auf einmal 44 Pakete!

18.4.1942

Ich war bei Professor Schäfer im St. Johannsspital. Was eine Krankheit mit dem menschlichen Körper anrichtet! Ein blassblaues Gesicht, irgendwie lang und spitz, mit grauen Haaren. Riesengroße Augen, die von einem seltsamen Licht brennen. Hände wie bei einem Skelett. Die Füße sind angeschwollen. Er sitzt am Fenster, hinter dem der Frühling die Bäume mit einem zarten, grünen Flaum bedeckt. Der blaue Untersberg lächelt mit einem Schneegruß dem bläulichen Himmel zu und am Fenster blühen die Narzissen und gelben Schlüsselblumen, die ich mitgebracht habe. Er dankte mir für die Blumen. Er bat mich, einen Gruß an Arno, Schurotschka und Reiters auszurichten. Aber er hat das Gesicht eines Toten … Das ist der Tod. Und wenn man den Tod so nahe fühlt, hat man nur einen Gedanken: Gut zu sein. Auf schöpferische Weise lebensfroh zu sein, eine Sonne zu sein, die alle wärmt, die mit mir in Berührung kommen. Dort im Jenseits herrschen Schweigen und Dunkelheit. Solange man hier ist, muss man eine Sonne und eine Freude für alle sein!

19.4.1942

Frau Reiter erzählte mir, Toni habe seiner Frau den Trauring geschickt, er habe daraus einen Haken gemacht, an dem sie sich aufhängen solle. Seine Frau ist schwanger, aber er schreibt ihr Grobheiten und will sich von ihr scheiden, er hat das Scheidungsgesuch schon eingereicht.

29.4.1942

Heute ist mein Namenstag. Es ist kalt. Am Morgen fiel Schnee. Die Dächer der Festung sind ganz weiß. Schnee liegt auf dem Gaisberg, auf dem Untersberg … Wohin man auch schaut, überall grau-weiße Wolken mit einem violetten, düsteren Schimmer, überall Schnee. Die Salzach ist heute finster und zornig. Gewöhnlich ist sie verspielt und freundlich. Und inmitten des kalten, eisigen Windes, der Schneeflocken, die vom grimmigen Himmel herunterfliegen, stehen die Bäume mit den zarten, klebrigen, gerade erst aufgegangenen Blättchen, blühende Apfelbäume, Birnbäume und andere Fruchtbäume.

Vor fast dreißig Jahren saß ich an meinem Namenstag ebenso am Fenster, betrachtete den Himmel und freute mich an den ausschlagenden Bäumen und den Schneeglöckchen und es war mir so sonnig, so froh zumute. Vor mir auf dem Fensterbrett lag mein Tagebuch und ich schrieb: „Was in dreißig Jahren an diesem Tag mit mir sein wird, weiß ich nicht, aber heute bin ich glücklich, glücklich, glücklich … Um mich herum sind meine lieben Eltern, die geliebten Schwestern, Freundinnen, die mich zärtlich lieben. Ich habe alles. Und die Zukunft, sie muss schön sein, denn ich will arbeiten und das schaffen, was nur ich schaffen kann!“ Dreißig Jahre sind vergangen. Meine Heimat ist für immer verloren, meine Eltern sind gestorben, das Schicksal meiner Schwestern ist mir nicht bekannt,19 Deutschland wurde mir zur zweiten Heimat. Aber für Russland habe ich meine Bücher geschaffen, mein Leben und das meines heiß geliebten Mannes und meines heiß geliebten Jungen aufs Spiel gesetzt – für die Gesundung und die Wiedergeburt Russlands, und ich glaube, sie werden kommen! Die Ketten des Bolschewismus werden fallen, und von neuem wird man das liebevolle, immer etwas traurige Gesicht meiner Heimat sehen. Ich frage nicht und denke nicht daran, was weiter geschehen wird. An diesem Tag will ich heiter, mutig und stark sein. Ich habe ja meinen so zärtlichen, lieben Arno, der mir hilft, die ganze Last der Trennung von unserem zärtlich geliebten Jungen zu ertragen. Zehn Monate ist er in Russland und kämpft gegen den Bolschewismus. Herr, erhalte ihn! Er ist unser einziges Kind. Erhalte, Herr, meinen Arno! Zweiundzwanzig Jahre lang leben wir wie ein Herz und eine Seele. Viel Schweres liegt hinter uns – aber Arno half mir all dieses Schwere zu ertragen.

Der ganze Himmel ist in Wolken, die Berge sind verschneit, und Schnee fällt auf die zarten, klebrigen, stark nach Frühling duftenden Bäume. Aber die Blättchen werden sich trotzdem entfalten und der Frühling wird mit Sonne, Freude und mit Glück kommen. Auch der Krieg wird zu Ende gehen und die Menschen werden sich ausruhen …

Und an diesem trüben, kalten Tag, der so wenig dem Frühling ähnelt, will ich an den Frühling, an die Freude, an das Schöpferische, an die Stille und Ruhe der menschlichen Seele glauben! Herr, hilf allen Leidenden, allen Verzagenden und Trauernden, schicke allen den Frühling und Freude anstatt Schnee und Kälte …

Heute um drei Uhr ist die Beerdigung von Professor Schäfer. Wie schade, dass so schlechtes Wetter ist! Er liebte die Sonne so sehr und träumte so sehr davon, noch einmal den blühenden Flieder zu sehen …

Ich arbeite sehr viel an meinem Drama. Ich sehe schon alle Personen deutlich. Ich spüre sie. Dieses Mal weiß ich, mir wird gelingen, was mir im Lauf von einigen Jahren nicht gelungen ist.

Ich bin soeben vom Begräbnis von Professor Schäfer zurückgekehrt. Inmitten von Blumen und Kränzen lag der Leichnam, der einen schrecklichen Eindruck hinterließ. Hier war der Tod unerbittlich. Er trat hier als etwas Grausames, Schreckliches auf. Der ganze qualvolle Kampf eines unglücklichen menschlichen Wesens widerspiegelte sich auf dem erschöpften Gesicht mit den entblößten, braunen Zähnen. Nichts Versöhnendes war in dieser schrecklichen Grimasse, in den fest zusammengepressten Augenlidern, den bleichen, abstehenden Ohren, der trotzig gefurchten Stirn. Der Ausdruck des ganzen Gesichtes sagte: „Du hast gesiegt, Tod, aber ich hasse dich!“ Und dieser Ausdruck des Hasses, der Ausdruck eines gehetzten Tieres war schrecklich, hässlich und quälend! Es waren nicht viele Leute da. „Lohnt es sich, das ganze Leben für die Menschheit zu arbeiten, wenn diese Menschheit sich nicht einmal die Mühe gibt, einen auf dem Weg ins schreckliche, kalte Grab zu begleiten?“, sprach gleichsam das zornige, durch den Tod entstellte Gesicht von Professor Schäfer. Am Ehrenplatz für die Verwandten saßen der Bruder, der wirklich um Professor Schäfer trauerte, die Frau des Professors, von der er schon längst geschieden war, seine beiden Töchter aus erster Ehe und seine Schwester. Die geschiedene Frau und die Töchter lagen dem Verstorbenen fern. Seine Schwester ebenfalls. Und es war seltsam zu sehen, wie gerade ihnen gegenüber das Beileid ausgedrückt wurde, während die Bäuerin, die ein neunmonatiges Kind von ihm hat, bitter weinend abseits stand. Unter allen, die Worte des Bedauerns sprachen und ihnen zuhörten, war sie die einzige, die im Professor viel verloren hat und am meisten verloren hat das Kind – der neun Monate alte Knabe. Die Bäuerin bat die ganze Zeit, ihn herbringen zu dürfen, der Bruder von Professor Schäfer verbot aber energisch, ihn zu bringen. So blieb denn der Junge mit der Schwester der Bäuerin beim Friedhofszaun. Mit gleichgültiger Stimme sprach ein alter Priester die Worte des Gebets, <dann folgte> ein Gruß von der SA, von der Schule, von den Künstlerkollegen. Aber all das kam nicht von einem in quälendem Trennungsschmerz weinenden Herzen. Das einzige lebendige Wort menschlichen Trennungsschmerzes schluchzte die Bäuerin, die Mutter des Knaben, die Professor Schäfer zu heiraten versprochen und doch nicht geheiratet hatte: „Führ Dich Gott, Vati.“20

Der kalte Wind, die weißen Schneeflocken, der violette und düstere Untersberg überhörten missmutig diesen Schrei einer Seele … Dann gingen alle nach Hause, um ihr privates Leben fortzusetzen. Und nur ein Wesen, das in Professor Schäfer seinen Vater verloren hat und das beim Friedhofszaun geblieben war, wird diesen Tag nie vergessen, obwohl er ein so kleiner Knabe ist, dass er nichts begriffen hat von dem, was vorging. Sein Vater, der ihm das Leben gegeben hat, ist gestorben. Und er ist bereits zu einem Leben ohne Vater verurteilt … Ich brachte für Professor Schäfer einen Kranz mit weißem Flieder. Er sagte mir oft, er wolle die Zeit noch erleben, wenn der Flieder blüht. Der Flieder hat schon Blättchen, aber noch keine Blüten. Ich brachte für den Toten jene Blumen, von denen er als Lebender träumte.

2. Mai 1942

Heute kam ganz unerwartet Fräulein von Ribbentrop zu mir. Fräulein Bettina21 ist eine sehr liebe und sympathische junge Frau. Sie sagte, in keinem einzigen Laden könne man meine Bücher bekommen, und ihre Mutter lese sie doch so gern. Ich sagte, dass meine Bücher verboten sind, sie wunderte sich sehr: „Gerade jetzt wären sie so nötig!“ Dann gab ich ihr meine Bücher. Sie erzählte, sie reite gern und arbeite jetzt in einem Lazarett. Sie kam hierher nach Salzburg mit ihrer Mutter, um ihren Vater zu sehen, der beim Treffen des Führers mit Mussolini22 anwesend war.

5. Mai 1942

Es war eine junge Leserin da, die an Augentuberkulose leidet. „Ich werde vielleicht nur noch ein paar Monate sehen und ich wollte Alja Rachmanowa sehen, meine Lieblingsschriftstellerin, damit ich, wenn ich erblindet bin, Sie immer vor meinen Augen habe! Deshalb habe ich meinen Urlaub benutzt, um von Breslau nach Salzburg zu fahren und Sie zu sehen! Meine Mutter ist meinetwegen sehr beunruhigt, aber ich musste Sie sehen, um ebenso mutig zu sein, wie Sie in Ihrem Leben waren! Es ist schrecklich, mit 27 Jahren blind zu sein, aber ich werde an Sie denken und es wird mir leichter fallen!“ Ich war zutiefst in meinem Innern erschüttert.

14. Mai 1942

Ich machte mir große Sorgen um Arno, meine Sonne. Heute machte man ihm eine Wurzelspitzenresektion. Schon zwei Wochen lang fürchtete ich mich vor diesem Tag. Die Operation verlief gut. Arno war sehr tapfer, er stöhnte nicht, obwohl es weh tat. Die Operation dauerte mehr als eine Stunde. Herr, hilf meinem Arno, meinem Tauber. Er ist alles für mich.

15. Mai 1942

Von Schurotschka erhielten wir drei Fotografien. Mein lieber Junge – was für ein schmales Gesicht er hat, was für einen ernsthaften, konzentrierten Ausdruck! Seine Jugend ist nicht leicht! Viel, viel Schweres sieht er. Herr, erhalte ihn uns. Er ist unser einziges Kind!

Eine der Fotografien, die Alexander vom Winterkrieg 1941/42 nach Hause schickte.

17. Mai 1942

Den ganzen Nachmittag war Edwin Erich Dwinger23 bei uns. Mit riesigem Interesse hörten wir seine Erzählungen über Russland, wo er soeben gewesen ist.24 Er ist lebhaft, charmant und klug und machte einen bezaubernden Eindruck auf uns. Er war als Ehrengast an die Kulturtage der Hitlerjugend eingeladen. Uns hat man überhaupt nicht eingeladen, wie schon immer. Wir haben uns schon daran gewöhnt. Seit nun zehn Jahren schreibe ich, bekomme endlos begeisterte Briefe von Lesern, aber kein einziges Mal und nirgends war ich Ehrengast. Offensichtlich habe ich es nicht verdient, obwohl ich mein Leben, das Leben meines Sohnes und meines Mannes im Kampf gegen den Bolschewismus aufs Spiel setzte. Die Belohnung für diesen Kampf ist für mich jetzt das vollständige Verbot aller meiner acht Bücher! …

Das Verbot meiner Bücher erlebe ich als sehr qualvoll. Äußerlich fröhlich, freundlich und lebensfreudig, leide ich innerlich sehr. Zwei Länder – beides meine Heimatländer – haben meine Bücher verboten: Sowjetrussland und Deutschland. Und ich liebe Russland, aber nicht das sowjetische, und Deutschland weiterhin und lebe für sie und arbeite für sie. E.E. Dwinger sagte, meine Bücher seien verboten, weil sie religiös seien. Aber ich kann nicht anders sein. Wenn man nicht an Gott glaubt, kann man an der Grausamkeit und Qual des Lebens verrückt werden.

Das Leben ist unerbittlich, widersinnig und verworren, und nur der Glaube an Gott bringt Licht und Klarheit.

Der Buchhändler Götzenberger25 sagte mir auch, in Berlin habe man ihm erklärt, meine Bücher seien wegen ihrer Religiosität verboten …

Was soll man tun? Weiter leben, weiter arbeiten, die Menschen weiter lieben. Jener siegt, der unter den Schlägen des Schicksals nicht zerbricht. Mögen die von mir heiß geliebten Bücher – das Lied meiner Seele – verboten sein. Bin ich davon weniger talentiert geworden? Liebe ich die Menschen nun weniger? Ist Gottes Welt nun weniger schön? Nein. Weiter an mich glauben, weiter arbeiten, weiterhin mit allen freundlich, zärtlich und mitfühlend sein. Meine Seele hat man nicht zerstört. In meiner Seele klingen immer noch die sonnigen Lieder der Liebe zur Menschheit, trotz des neuen, schweren Schlages …

Der Abend ist so schön heute. So klar ist der Himmel … So zart, so geheimnisvoll ist der Duft des Flieders … Frühling … Frühling, das ist Leben. Frühling, das ist Hoffnung. Frühling, das ist schöpferisches Arbeiten. In meinem Garten wachsen die von mir gesetzten Bäume. Im vergangenen Jahr sagte ein Gärtner: „Der Boden ist nicht dafür geeignet, dass etwas wächst.“ Aber heuer sagte ein anderer Gärtner: „Sie werden wachsen!“ Weil ich wollte, dass sie wachsen. Und sie erwachen zum Leben und schlagen aus. Und obwohl meine acht Bücher – meine Kinder – tot sind, arbeite ich am neunten Buch26. Und ich glaube an es. Nur nicht den Glauben an sich selbst verlieren. Wer den Glauben an die unmöglichsten Dinge hat, ist auch selber fähig, die unmöglichsten Dinge zu vollbringen.

Und so lange ich lebe, werde ich arbeiten und schöpferisch sein. Und nach meinem Tod werden meine Bücher weiter leben! Sie werden leben, weil sie geschrieben wurden von einem reinen Herzen voll Liebe, das keinen Hass kennt. Die Liebe aber stirbt nie. Die Liebe ist ewig und wird immer den Tod besiegen!!!

E.E. Dwinger erzählte, sein Buch Und Gott schweigt?27 sei verboten, aber er hofft, das Verbot werde aufgehoben. Er bemüht sich darum bei der Reichsschrifttumskammer. Meine Bücher sind, wie er gehört hat, wegen ihrer Religiosität verboten.

19.5.1942

Beim Mittagessen im „Österreichischen Hof“28 machten wir die Bekanntschaft mit Theodor Kröger29 <, dem Autor des Buches> Das vergessene Dorf30. Er ist sehr sympathisch. Er sieht gut aus, ist aber sehr krank. Er sagt, er habe schreckliche Schmerzen im rechten Arm. Die Bolschewiken haben ihn auf dem Bahnhof in Perm verprügelt. Er gleicht einer Wildkatze, einem Luchs. Er hat etwas von einem wilden Tier, ist aber entschieden sympathisch, obwohl er niemandem glaubt und alle fürchtet.

1.6.42

Heute las ich in einem Artikel von Iwanow-Rasumnik31: „Schwer ist das Schicksal des Schriftstellers, der in den besten Jahren spürt, dass er noch etwas zu sagen hat, und der gezwungen ist zu verstummen und nur ,für die Schreibtischschublade‘ zu schreiben.“32 So ist jetzt mein Schicksal. Ich nehme mir das Verbot meiner Bücher schwer zu Herzen … Aber ich arbeite weiter, weil ich an mich glaube, an mein Talent, an meine Bestimmung …

6.6.42

Einer der glücklichsten Tage meines Lebens. Ein klarer, sonniger Tag. Die blaue Salzach, die Schneeberge, die blühende, duftende Akazie. Am Morgen begleitete ich meine liebe Sonne Arno in die Schule33 und obwohl ich große Lust verspürte, in der Sonne zu sitzen, ging ich ins Spital zu Frau von Waldstein34, der eine Krebsoperation bevorsteht. Ich brachte für ihren Mann35 Zigaretten, für ihre Kinder (drei!) Radieschen und Spinat und für sie Blumen. Sie war so froh, mich zu sehen, dass ich die Sonne vergaß, die ich doch schrecklich liebe. Arno und ich aßen dann im „Österreichischen Hof“ zu Mittag und danach machten wir einen Ausflug zur Kaffeemühle. Die blühenden Wiesen, der Duft des Heus, die heiße Sonne und der liebende Arno machten den Tag einzigartig schön. Wir kletterten den Berg hinauf und befanden uns unerwartet auf Maria Plain. Wir gingen in die Kirche36. Nach dem heißen Tag kaltes Halbdunkel. Helles Kerzenlicht. Ich betete für Arno, für den Jungen, für meine Bücher, für Frieden für alle, für das Seelenheil meiner Eltern. Als wir nach Hause kamen, lag ein lieber Brief von Schurotschka vom 20. Mai im Briefkasten! Ist das nicht ein glücklicher Tag! Arno liebt mich und dies macht mich ruhig und froh! Herr, ich danke dir für alles!

9.6.42

Heute aßen Arno und ich im „Österreichischen Hof“. Neben uns am Nachbartisch saß ein Herr in einem dunkelblauen Anzug, mit ungewöhnlich blauen, nachdenklichen Augen. Er war mit einer Dame ziemlich vorgerückten Alters. Ich erkannte in ihm sofort Aljechin37. Er war zweifellos aufgeregt. Während des Essens las er irgendein Buch, in dem Schachpartien abgebildet waren. Einige Male drehte er sich auf meine Seite um und sprach <dann> mit der bei ihm sitzenden Dame. Beim Weggehen nach dem Essen <der Text bricht ab>38

17.6.42

Für den Roman: Ich bin verheiratet und ich bin Christ. <im Original deutsch>

21.6.42

Völlig unbeschreibliche Qualen wegen Schurotschka. Drei Wochen ohne Briefe. Ich weinte vier Tage und drei Nächte. Heute endlich kam der ersehnte Brief, vom 6. Juni. Wir sind glücklich. Herr, erhalte uns unseren einzigen Jungen!

Ein Brief von Schurotschka ist eingetroffen – und das Leben hat plötzlich ein ganz anderes Gesicht bekommen. Das Herz ist befreit von einer Last, es ist voll schöpferischer Freude und Glück!

Heute waren Bogoljubow39, Aljechin und seine Frau40 und noch eine Schachspielerin, Marianne Siegelmayer41, bei uns.42 Bogoljubow ist sehr traurig, dass er verloren hat. Er sagt, er sei müde. Das Herz hat nicht standgehalten. Er ist beleibt, gutmütig, gleicht einem lieben Kater. Er sorgt für seine Mädchen. Er hasst Aljechin. Aljechin ist ein sehr nervöser, unruhiger und ungemütlicher Mensch. Er macht den Eindruck eines genialen, aber tief unglücklichen Menschen. Er lebt nur vom Kopf her, sein Herz ist trocken. Seine Frau, eine Amerikanerin, bedeutend älter als er, lebt nur für ihn. Sie hat rote, gefärbte Haare. Das Gesicht einer älteren Katze. Sie liebt siamesische Katzen sehr. Der starke Duft ihres feinen Parfums passt nicht zu ihrem alten Hals und den verblassten Augen. Sie spricht sehr lieb, ist bescheiden und war einst eine schöne Frau. Aber beide leben irgendwie unwirklich, ohne von den Menschen ringsum Notiz zu nehmen, als ob sie von Nebel umgeben wären. Irgendwie tun einem die beiden leid und es scheint, dass ein genialer Verstand und Ruhm die Menschen nicht glücklich machen. Das Glück eines Menschen liegt zweifellos in seiner Fähigkeit, den andern Glück und Freude zu bereiten. Je mehr Freude man andern gibt, desto glücklicher wird man selbst. Für mich gibt es keine größere Freude als andern Glück zu bringen. Jeden Tag, wenn ich aus dem Haus gehe, denke ich daran – und jedem, den ich sehe, mache ich wenigstens eine kleine Freude!

27.6.1942

Mein Geburtstag. Ich bin 44 Jahre alt geworden! Und ich kann es selber gar nicht glauben, dass ich schon 44 Jahre alt bin. Vom Aussehen her gibt mir niemand mehr als 30; wer mich nicht kennt, sagt „Fräulein“, wenn er mich anspricht. Auf der Straße drehen fast alle den Kopf nach mir um, wenn ich vorübergehe. Braungebrannt vom Kopf bis zu den Füßen (ich gehe immer ohne Strümpfe), immer elegant gekleidet, mit einem völlig ungewöhnlichen Gesicht, das eine deutliche Individualität ausdrückt, mache ich auch auf jene Eindruck, die nicht einmal wissen, wer ich bin. Arno ist stolz auf mich und das freut mich. Eine Frau muss schön sein. Das ist ihre Schuldigkeit, ihre Pflicht. Eine Frau muss reizend sein, wenn sie wirklich eine Frau ist. Eine Frau muss bezaubernd sein und dazu muss sie nicht nur äußerlich interessant, sondern auch innerlich eine Persönlichkeit sein. Und ich kann mit Überzeugung und vielleicht mit Stolz sagen, dass ich durch Arbeit und unermüdliche Anstrengung aus mir einen Menschen und eine bezaubernde Frau gemacht habe, in die man sich bis jetzt verliebt! Eine Frau ist vielleicht auch mit 44 Jahren noch bezaubernd – eine Entdeckung, die für mich überraschend war!

Mein Geburtstag war nicht traurig. Meine Sonne Arno war rührend zärtlich, wie immer. Es kamen Glückwünsche von Lesern, und Blumen. Und das wichtigste: ein Brief von Schurotschka vom 17. Juni. Er machte uns eine Riesenfreude. Reiters brachten Blumen. Am Morgen rief Domanig an und sagte, sie würden am Nachmittag kommen. Dieser Besuch ging schief und verdarb mir meine ganze festliche Stimmung. Ich erzählte Domanig und Helene, eine „Freundin“ Domanigs habe mit mir gesprochen und mich ausgefragt, wer diese Helene sei, und einige Leute hätten Helene mit Domanig gesehen und mich ebenfalls gefragt, wer sie sei. Helene erzürnte schrecklich und sagte, wenn sie die „Freundin“ Domanigs sehe, die ihn jeden Tag auf dem Fahrrad ins Spital begleite – sie sei ihr schon einige Male begegnet –, werde sie ihr ihre Meinung sagen. Domanig geriet in Verwirrung, Helene, rot wie ein Krebs, ärgerte sich schrecklich. Sie ist in Domanig verliebt, ihr Mann ist eifersüchtig auf sie und es wäre natürlich wohl besser gewesen, ihnen nichts davon zu sagen, was man in der Stadt über sie redet. Aber andererseits verpflichtet die Freundschaft, aufrichtig zu sein, und vielleicht werden sie vorsichtiger sein. Schließlich war mir den ganzen Abend elend zumute. „Es ist unangenehm, die Wahrheit zu hören.“ Und ich spürte ein weiteres Mal, dass ich sie beide endgültig verloren habe. Domanig und Helene, beide verwirrt und erzürnt, gingen überhastet weg. Helene ärgerte besonders, dass die „Freundin“ sah, wie sie Domanig jeden Tag begleitete und abholte und wie er zu ihr in den „Österreichischen Hof“ ging.

29.6.1942

Frau Oberst Noeldechen43 war mit ihrem Sohn Peter da. Er ist blond und hat blaue Augen. Er macht einen sehr guten Eindruck. Er erzählte viel vom Winter in Russland. Der Krieg mit seinen Schrecken und Leiden kam auf einmal so nah. Wir sitzen hier still und ruhig, aber was dort die Soldaten an der Front mitmachen! Und plötzlich spürte ich mit ganzer Seele, dass meine Freude verflogen war. Ich kann nicht froh sein, wenn es so viele Leiden gibt … Den ganzen Abend weinte ich. Wie viele Qualen … wie viele Tränen … wie viel Leid … Wo bist du, mein armer Junge?

8.7.1942

Für den Roman

Warum tust du mir weh? Warum? <im Original deutsch>

Ernste Augen, leicht zusammengezogene Brauen. Dunkle, große, traurige Augen …

Ich litt, und du warst nicht bei mir. Ich weinte, aber du warst weit weg.

Für den Roman über Dostojewski nehmen.44

Ich war bei Weyrichs.45 Ernst ist gefallen.46 Ich bin völlig erschüttert. Ich kannte ihn, seit er acht Jahre alt war. Ein lieber, schöner, ernsthafter Junge. Wo sind die Worte, mit denen man die Eltern trösten kann? Wo sind die Worte, die den Schmerz des Verlustes stillen?

15.7.1942

Wir fahren nach München. Den Brief für Schurotschka mit der Nummer 215 schreiben.

Ich war in der Kirche an der Totenmesse für Pepi Weyrich. Ein Sarg, Palmen, Kerzen. Ein Sarg, aber er wurde in Afrika von einer Bombe zerfetzt. Viele Leute. Weyrich ergraut, Leni weinend, die kleine Lenerle47 mit erschrockenen, großen Augen … Alle Bekannten gehen auseinander. Den Eltern bleibt der Schmerz des Verlustes …

Regen … Es ist kalt … Wie ungemütlich, wie kalt und düster scheint manchmal das Leben!

„Lass für den Lebensweg dich eines lehren, acht stets die Ehre höher als die Ehren.“

17.7.1942

München. Die Menstruation hat begonnen, die letzte war am 1. Februar. Starke Schmerzen und sehr starkes Bluten. Trotzdem ging ich mit Arno auf alle Ausstellungen. Das Wichtigste ist, nicht schlapp zu werden und der Schwäche nicht nachzugeben.

20.7.1942

Wir waren in München. Auf dem Weg dorthin erzählte uns der Ingenieur Mettig48 vier Stunden lang, wie seine Frau ihn betrogen hat. Sie sind vierzehn Jahre verheiratet, sieben Jahre lebte sie gleichzeitig mit zwei Männern: Mit ihrem Mann und einem Liebhaber. Nachts war sie mit ihrem Mann zusammen, als der aber einen Zug verpasste, mit dem er nach Jugoslawien fahren wollte, und am Tag nach Hause zurückkehrte, fand er seine Frau mit einem andern im Bett. Er gab ihm ein paar Ohrfeigen. Vom Liebhaber hat die Frau ein Mädchen bekommen. Mettig hielt es für seine Tochter. Er freute sich maßlos, als es geboren wurde, schmückte die Zimmer und machte der Frau Geschenke. Nachdem er die Frau mit dem Liebhaber angetroffen hatte, stellte sich heraus, dass das Kind nicht von ihm ist. Er verlangte eine Blutuntersuchung. Die Untersuchung bestätigte endgültig die Tatsache. Ing. Mettig verlangte die Scheidung. Beim Prozess musste die Frau alles genau erzählen. Sie tat dies mit einem gleichgültig kalten Gesicht, als ob alles sie persönlich nichts anginge. Jetzt ist sie statt der reichen Frau eines Ingenieurs, der Bauten in ganz Deutschland und im Ausland leitet, Stenotypistin in einem Büro. Das ältere, achtjährige Mädchen wurde dem Mann zugesprochen, das jüngere vom Liebhaber der Frau. Ing. Mettig adoptierte das Mädchen vom Liebhaber und legte auf seinen Namen 20.000 Reichsmark bei einer Bank an. Der Liebhaber, der Polizeioffizier war, hat sich erschossen. Er hatte eine Frau und zwei Mädchen. Zwei Familien sind zerstört. Um der Liebe willen? Ing. Mettig macht einen sehr guten Eindruck. Ohne Zweifel ein ordentlicher und sehr talentierter Mensch. Seine Frau interessierte sich nach seinen Worten absolut nicht für das, was er beruflich machte, gab schrecklich viel Geld aus und tat nichts – sie hatte drei Bedienstete.

21.7.1942

In München verbrachten wir bei schrecklichem Wetter – Kälte, Regen Wind – ganze Tage auf Kunstausstellungen. Mir gefielen am besten Krieglers Bilder Die Quelle und In der Waldeinsamkeit.49 Am Abend waren wir im „Odeon“50, da wir im Theater kein einziges Mal Karten erhielten. Unwahrscheinlich laute Musik, Tänze in Kostümen und ohne Kostüme – alles ist irgendwie fremd und seltsam in der jetzigen Zeit, wo Krieg herrscht … Im Hotel Vier Jahreszeiten51 war es kalt und ungemütlich zum Schlafen. Im Café Luitpold52 war es schwül, es hatte schrecklich viele Leute, laute Musik und es war verraucht. Ich schrieb viele Autogramme. Besonders ein Fräulein überraschte mich: „Bitte, geben Sie mir ein Autogramm, mein Bruder ist vor ein paar Tagen an der Ostfront gefallen. Ihre Bücher haben mir im Leben viel geholfen!“ Wir beschlossen nach Hause zu fahren. Zu Hause ist es am besten. Arno ist so zärtlich und lieb, wir haben es zu Hause so gut!

Auf der Rückfahrt sah ich mit Freude zu, wie ein junger Leutnant einem Fräulein den Hof machte, das er zum ersten Mal sah. So etwas Junges, Frisches, Lebensfreudiges war in seinen grauen Augen, den strohblonden Haaren, in seiner großen, schlanken Gestalt mit der geschwellten Brust, auf der das Eiserne Kreuz und andere Auszeichnungen prangten. Er teilte freudig mit, er sei mit siebzehn als Freiwilliger eingerückt, er sei noch nicht neunzehn Jahre alt und Soldat zu sein sei der beste Beruf der Welt. Die junge Frau lachte die ganze Zeit, errötete charmant und bat, ihren Beruf zu erraten. Sie fuhr in Urlaub. Endlich, als der Leutnant die Art ihrer Beschäftigung einfach nicht erraten konnte, teilte sie mit, sie sei Modezeichnerin. Und beide lachten lange und freudig … Jugend, Jugend! Was ist das für ein Glück!

Ein Ingenieur, der von der Ostfront in Urlaub fuhr, erzählte viel von Russland. Sie waren im Winter einige Monate lang abgeschnitten, ergaben sich aber trotzdem nicht. In den russischen Truppen beginne der Zerfall. Er ist vom baldigen Sieg überzeugt. Die sowjetischen Truppen hätten schreckliche Verluste.

Zu Hause war ein lieber Brief von Schurotschka vom 10. Juli. Unser lieber Junge, wie sehnen wir uns nach ihm!

22.7.1942

Es sind dreizehn Monate her, seit Schurotschka im Krieg ist. Am Morgen war Norbert Zauner53 da. Er erzählte viel von Frankreich. Die Franzosen seien sehr faul und verhielten sich den Deutschen gegenüber schlecht. Zauner ist ein lieber, prächtiger Junge. Gott möge ihn erhalten!

Am Nachmittag waren sechs Verehrerinnen da. Sie beklagten sehr, dass meine Bücher verboten sind. Sie baten um Autogramme. Sie sagten, sie hätten zwei Nächte nicht geschlafen vor Aufregung, mich zu sehen. Ich war selber tief bewegt von der Stärke ihres Entzückens und ihrer Liebe zu mir. Jeden Tag wundere und freue ich mich über die Liebe, die man mir schenkt.

***

Vom Verlag Pustet kam ein Brief, in dem man uns mitteilt: „Unser Berliner Verlagsleiter teilte uns vor einigen Tagen mit, dass seine Erkundigungen im Propagandaministerium über eine Neuauflage ihrer Bücher vollkommen negativ verlaufen sind. Man sagte ihm dort, dass es sich um eine Verfügung des Ministeriums handle, die unanfechtbar ist.“

So gibt es also auf die Herausgabe unserer Bücher keinerlei Hoffnung mehr. Meine Sonne und ich zählten genau unsere Einnahmen und Ausgaben zusammen. Wir müssen uns völlig einschränken. Es bleibt nur der Lohn von Arno und ganz wenig vom Haus. Wir können nicht mehr im Gasthaus essen. Ich habe angefangen selber zu kochen. Aber das freut mich nur. Ich habe das seltsame Gefühl, dass die Bücher und der ganze „Ruhm“ nur ein Traum waren – jetzt hat wieder der liebe Alltag begonnen, das arbeitsreiche, bescheidene Leben! Das Wichtigste ist, dass Arno und ich uns ganz glücklich fühlen. Am besten fühlen wir uns zu Hause! Ich will nur eines: liebevoll und gut mit allen sein. In diesen schrecklichen, harten Tagen eine Sonne der Freundlichkeit und Güte sein!

23.7.1942

Von unserem lieben Jungen ist ein Brief gekommen. Wir sind furchtbar glücklich. Es ist ein so trüber, freudloser Tag, es ist so kalt, es gießt wie aus Kübeln, aber meiner Sonne und mir ist so freudig zumute! Von Schurotschka ist ein Brief gekommen! Am Morgen waren Arno und ich auf dem Markt. Wir kauften Gurken, Kartoffeln und Holzschuhe für die Gartenarbeit. Die Verkäuferin im Schuhladen erzählte aufgeregt, sie schlafe schon einige Nächte nicht, weil sie Studenten, Liebe, Tscheka und Tod lese. Und ich habe ein weiteres Mal gesehen, wie eine Leserin meiner Bücher zutiefst bewegt war.

Dann kochte ich das Mittagessen: Gemüsesuppe, Bohnen, Rohkost und Kompott. Es freut mich furchtbar, dass Arno mit Appetit isst. Nach dem Mittagessen arbeiteten Arno und ich im Garten. Wir setzten Erbsen. Abends machte ich Päckchen für Schurotschka und Arno tippte auf der Maschine. Draußen ist es kalt und düster. Zu Hause ist es warm und gemütlich. Die Liebe macht alles so gemütlich und lieb. Zum Abendessen gab’s für Arno Wurst, Salat und Himbeeren aus unserem Garten.

Ju-Kiao-Li. Ein chinesischer Familienroman54: „Etwas Höheres und Schöneres gibt es nicht als die Vereinigung von drei Personen, und ich halte Hiungiu viel zu hoch, um ihr Eifersucht zuzutrauen!“

26.7.1942

Einer der traurigsten, schrecklichsten und quälendsten Tage meines Lebens. Heute Morgen erhielt ich folgenden Brief:

Der Präsident der

Berlin-Charlottenburg 2,

Reichsschrifttumskammer

55

den 21. Juli 1942

[genaue Abschrift des Briefkopfs mit Absender- und Empfängeradresse]

Ihren Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, Gruppe Schriftsteller, bzw. auf Erteilung eines Befreiungsscheines lehne ich hiermit gemäss § 10 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammergesetz vom 1. November 1933 (RGB1.I.S.797) mangels der erforderlichen Zuverlässigkeit ab.

Der Ablehnungsgrund ist in Ihrer weltanschaulichen Haltung zu suchen, u.a. wird Ihnen eine judenfreundliche Einstellung zum Vorwurf gemacht.

Auf Grund dieser Entscheidung ist Ihnen jede Betätigung als Schrift stellerin untersagt. Im Übertretungsfalle müsste die Strafbestimmung des § 28 der genannten Durchführungsverordnung gegen Sie in Anwendung gebracht werden.

Sollten Sie gegen diese Entscheidung begründete Einwendungen zu erheben haben, so besteht die Möglichkeit, bei mir Beschwerde einzulegen, über welche der Herr Präsident der Reichskultur kammer56 zu entscheiden haben würde. Eine etwaige Beschwerdeschrift würde in doppelter Ausfertigung innerhalb eines Monats – gerechnet seit Zustellung dieser Entscheidung – einzureichen sein.

Im Auftrage:

Unterschrift unleserlich

Der Eindruck von diesem Brief war so niederschmetternd schrecklich, dass der erste Gedanke war: Nicht mehr leben! Sterben! Wozu leben, wenn die Menschen so grausam sind und das Leben so schrecklich ist!

Viel Schweres habe ich in meinem Leben durchgemacht. Viel Kummer, viele schwere Verluste hat mir das Leben gebracht – aber ich habe trotzdem den Glauben an die Menschen, den Glauben an das Leben, den Glauben an Deutschland nicht verloren! Und dass ich ausgerechnet hier in Deutschland diese schreckliche Ungerechtigkeit erleben muss, hat für immer mein Herz verletzt … Für immer … Nie kann ich diesen Schmerz, nie kann ich diese bitteren Minuten vergessen …

Und dennoch, trotz allem liebe ich Deutschland, meine zweite Heimat, die ebenso grausam mit mir umgeht wie die erste. Und darin liegt meine Tragödie.

Ich liebe Deutschland von ganzer Seele und wünsche ihm den Sieg und Wohlergehen, ich selber kämpfte elf Jahre lang gegen den Kommunismus57 und folglich auch gegen das Judentum … Schrecklich, schrecklich ist es auf der Welt zu leben! So viel Liebe, so viel Güte, so viel Mitgefühl gegenüber den Menschen hege ich in meinem Herzen – warum muss ausgerechnet ich so viele Enttäuschungen erleben? „Nicht mehr leben!“, dachte ich. Und plötzlich kam Arno zu mir, umarmte mich und sagte: „Du bist bei mir, also ist alles gut!“ Und ich begriff wieder einmal, dass die Liebe alles ist. Ja, ich muss leben! Ich muss leben für meinen Arno, für meinen Jungen, sie leben durch mich. Die Liebe hat mich vor der Verzweiflung gerettet! Herr, du hast mir viele Prüfungen geschickt, aber du hast mir auch das Teuerste geschickt, was der Mensch haben kann – die Liebe! Die Liebe Arnos und unseres Jungen, die Liebe der Menschen.

Mögen meine Bücher verboten sein, möge es mir verboten sein weiter zu schreiben, aber man kann die Liebe zu den Menschen und den Wunsch, allen, allen Gutes zu tun, nicht aus meinem Herzen reißen. Und trotz des neuen, schrecklichen Schlages werde ich bleiben, was ich bin: ein Mensch voll sonniger, freudiger Liebe zu den Menschen, ein Mensch, der allen Gutes und Glück wünscht!

17.8.1942

Schwere Momente meines Lebens sind diese Tage vom 26.7. bis zum 17.8. Zuerst das quälende Verfassen der Beschwerde58, dann die mühsamen Gänge zu den Ämtern. Das Verhalten ist überall erstaunlich herzlich und wohlwollend. In schweren Momenten ist dies besonders wertvoll. Und plötzlich wurde ich krank: Entzündung der Nieren, der Blase und des Harnleiters. Ich hatte so schreckliche Schmerzen, dass ich dachte, ich sterbe. Arno ließ Domanig kommen, er gab etwas gegen die Schmerzen. Meine Arme und Beine wurden steif und das Herz hörte fast auf zu arbeiten. Und so war ich also fast zwei Wochen lang krank. Und in diesen zwei Wochen spürte ich nochmals mit ganzer Seele, dass es in der ganzen Welt nur einen einzigen Menschen gibt, für den ich wirklich ein Teil seines Lebens bin – das ist Arno. Und natürlich mein Junge. Wenn ich heute sterbe, wird für lange Zeit in seinem Herzen eine riesige Leere sein. Für alle übrigen wird mein Tod fast unbemerkt vorübergehen. Ich habe so viele Verehrer, aber im letzten Moment bleibt der Mensch nur mit denen zusammen, die ihn wirklich lieben. Arno liebt mich 22 Jahre lang. Ich bin sein Leben. Und nur für ihn und nur für meinen Jungen will ich leben.

Mein ganzes Leben dachte ich schon, dass ich auch für die Menschheit lebe. Es schien mir, man müsse für alle leben. Aber meine Bücher sind verboten. Meine Stimme ist verstummt. Ich gleiche einer Nachtigall, der man den Hals umgedreht hat. Kraftlos hängt ihr Kopf herunter. Die Nachtigall in meiner Seele muss verstummen.

Und auch hier wieder hilft mir Arno. Er kochte nicht nur das Mittagessen für mich und ließ mich nicht einmal für ein paar Minuten aufstehen – aber wie viel Zeit erst verwendet er darauf, mich zu trösten. Er schlägt mir vor, mich mit Musik zu beschäftigen, mit Zeichnen, etwas zu schreiben und zu hoffen, dass man die Veröffentlichung irgendwann erlauben wird! Lieber Arno! Treuer, rührender Freund! Mein geliebter, mein zärtlich geliebter Tauber! Wie viel Sorge ist in seinen Augen, wie viel Zärtlichkeit und Güte!

„Du hast mir das Leben gegeben – von dem,

Der <mir> am teuersten ist.

In Deiner Hand haben sich seine und meine ineinandergelegt.“

Ich stehe an einem Scheideweg … Das ganze Leben dachte ich, ich sei geboren, um zu schreiben. Und zu schreiben ist mir verboten. Aber meine Seele ist voll schöpferischer Gedanken – was soll ich mit ihnen anfangen? Wohin mit ihnen? Wie soll ich es machen, dass sie nicht mehr leben?

Vorläufig habe ich beschlossen, mich mit der Haushaltung zu beschäftigen. Ich bin noch so schwach, dass die Zubereitung des Mittagessens für mich ein ganzes Ereignis ist. Zum ersten Mal ging ich für ein paar Minuten in den Garten … Ein sonniger Tag … Die Blät ter fallen schon, die Rosen sind verblüht … Die Salzach rauscht …

Das Leben geht weiter … Salzburg ist so schön wie je, die Pärchen küssen sich uns gegenüber am Ufer so sonnig wie je … Aus irgendeinem Grunde kam mir die Arie aus Dubrowski in den Sinn:

„Möge der Unglücksrabe weinen …“59

Arno trat an mich heran, umarmte mich und sagte: „Liebe, gehen wir nach Hause, sonst wirst du zu müde!“ Und er führte mich zärtlich die Treppe hinauf und bettete mich in den Liegestuhl … Und in meiner Seele wurde es sonnig und heiter. Wer geliebt wird wie ich, ist trotz allem glücklich … Arno, Arno, mein lieber Tauber, wie zärtlich, wie heiß liebe ich ihn! …

18.8.1942

Ich erwachte heute Nacht um drei Uhr. Ich öffnete das Fenster. Eine klare, kühle Augustnacht. Direkt mir gegenüber leuchtete ein ferner Stern und lächelte mir heiter zu. Der Himmel war silbrig-blau … Ich konnte bis halb sieben Uhr nicht einschlafen. Ich hatte Schmerzen in der Seite und es schien mir die ganze Zeit, dass der Tod mit seiner knöchernen Hand mich fest an der Seite hält. Nachts nicht schlafen zu können ist immer traurig. Nicht schlafen zu können, wenn man krank ist, ist noch trauriger … Ich lag ganz still, um Arno nicht zu wecken. Ich sah, wie der Stern immer tiefer und tiefer herabsank und sich hinter den Zweigen der Bäume versteckte. Ganz plötzlich begann ein Vogel zu singen – und ebenso plötzlich verstummte er wieder.

Mein ganzes Leben kam mir ins Gedächtnis. Es schien mir immer, dass ich noch ein weites Land, dass ich noch die Sonne vor mir habe. Jetzt ist zum ersten Mal in meinem ganzen Leben die Weite mit Nebel überzogen. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Zukunft habe. Alles, was das Leben ausmachte, ist vorbei. Gerade die Möglichkeit der schöpferischen Arbeit. Ohne schöpferische Arbeit kann ich nicht leben … Mein Tag neigt sich dem Ende zu. Und es scheint, dass bald die Nacht anbricht … Sie kommt früher, als ich dachte. Und grausamer, als ich dachte. Aber so ist mein Schicksal. Wie ich verstanden habe zu leben, so werde ich verstehen müssen zu sterben. Und jetzt ist es Zeit, mit dem Sterben-Lernen zu beginnen … Um halb sieben sprühten plötzlich die leuchtenden, freudigen und Leben spendenden Sonnenstrahlen hinter dem Gaisberg hervor … Es scheint, zum ersten Mal in meinem Leben freute ich mich nicht über die Sonne, die ich das ganze Leben wahnsinnig liebte, sondern ich dachte: Herr, wieder ein Tag … Ich werde aufstehen müssen, aufräumen, zu Mittag kochen, Päckchen machen, Gäste empfangen …

Mein lieber Alltag – heute schien er mir eine unerträglich schwere Last. Ich wollte die Augen schließen, liegen, liegen und weinen, weinen in qualvoller Trauer darüber, dass das Leben vorbei ist, dass die Gesundheit dahin ist und dass mir die Möglichkeit zu arbeiten genommen wurde …

Aber da erwachte meine Sonne Arno und sah mich mit Besorgnis an. Und ich lächelte ihm zu. Und seine Liebe wärmte mich wieder. Ich muss leben, sogar wenn ich krank, tief verletzt und abgequält bin, denn man braucht mich noch!

<eingefügt> Am 7.8.1942 bin ich schwer erkrankt. Ich dachte, dass ich sterbe, so schreckliche Schmerzen hatte ich in der Seite.

<20.8.1942 oder später>

[4 Hausbesuche von Domanig vom 7. bis 20. August mit Datum und Uhrzeit]

<eingefügt> Am 8.8.1942 wurde ich im Spital untersucht: Entzündung der Nieren, des Nierenbeckens und der Harnblase.

<eingefügt> 30.8.1942

Es sind vier Jahre her, seit ich kein Fleisch mehr esse.60

31.8.1942

Wieder einer der schwersten Tage meines Lebens. Es kam ein Brief von Schurotschka vom 22. August, in dem er schreibt, dass man ihn vom Sonderführer Z zum einfachen Soldaten zurückversetzt hat, weil er zu jung sei,61 und dass man ihn irgendwohin schickt. Nicht einmal seine Adresse kennen wir. Mein armer, armer Junge. Schwere Tage haben für ihn begonnen. Ich weinte den ganzen Tag. Vierzehn Monate habe ich ihn nicht gesehen. Herr, hilf ihm, rette und erhalte ihn, er ist unser einziges Kind …

Drückend heiße Tage. Die Salzach ist braun und wütet, offensichtlich gab es irgendwo ein Gewitter und sie hat den Zorn von Gewitter und Sturm in sich aufgenommen. Wie schwer ist es manchmal zu leben! Nur Arno wärmt mit seiner Liebe mein müdes Herz. Er ist ein treuer, geliebter Freund, der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der mich in meinem Kummer noch nie im Stich gelassen hat.