Auf der Alm – Vom Glück des einfachen Lebens - Julia Barbarino - E-Book

Auf der Alm – Vom Glück des einfachen Lebens E-Book

Julia Barbarino

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Beschreibung

Sattgrüne Wiesen, das Bimmeln der Kuhglocken, der Duft von frischem Heu – Almen wecken unsere Sehnsucht. Doch wie ist es, wenn man selbst Misthaufen umsticht, Milchkannen schleppt und Käse herstellt? Julia Barbarino weiß es ganz genau: anstrengend – und erfüllend zugleich. Seit 2008 packt das Almfieber sie jeden Sommer aufs Neue. Dann schnappt sie sich ihre Kinder und wird zur Sennerin mit allem, was dazugehört …

Eine Geschichte von der Freude am einfachen Leben mit und in der Natur – inklusive einer Fülle stimmungsvoller Fotos und vielen Lieblingsrezepten von der Alm.

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Es braucht so wenig, um glücklich zu sein!

Sattgrüne Wiesen, das Bimmeln der Kuhglocken, der Duft von frischem Heu – Almen wecken unsere Sehnsucht. Doch wie ist es, wenn man selbst Misthaufen umsticht, Milchkannen schleppt und Käse herstellt? Julia Barbarino weiß es ganz genau: anstrengend – und erfüllend zugleich. Seit 2008 packt das Almfieber sie jeden Sommer aufs Neue. Dann schnappt sie sich ihre Kinder und wird zur Sennerin mit allem, was dazugehört …

Eine Geschichte von der Freude am einfachen Leben mit und in der Natur – inklusive einer Fülle stimmungsvoller Fotos und vielen Lieblingsrezepten von der Alm.

JULIA BARBARINO

MITSABINEWÜNSCH

AUF DER ALM

Vom Glück des einfachen Lebens

Sommer in den Bergen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2021 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Boos-Körner

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,

unter Verwendung der Fotos von Kay Blaschke

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Verwendung der Liedtexte auf den Seiten 11 und 131

mit freundlicher Genehmigung

der Kärntner Volksmusikanten Die fidelen Mölltaler

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-26627-1V001

www.ludwig-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Romantische Vorstellung und Realität

Wie alles begann

Der erste Almsommer – wie man Sennerin »lernt«

Der Almalltag

Almwellness

Wehrhaftes Getier und Gewächs

Prügel von den Bauersleuten

Ach Gott, wie weh tut Scheiden!

Alm für Alm zur routinierten Sennerin

Heulieferung

Stöckelschuh für die Kuh

Edolas »Spritzfahrt«

Eine neue Herausforderung

Käsetage

Nichtkäsetage

Unverhofft kommt oft

Alles hat zwei Seiten

Besser ein Ende mit Schrecken …

Auf ein Neues!

Neuer Almfriede

Die Unwetter-Alm

Sophie, ich und die Mausefalle

Gipfelübernachtung – ein Abenteuer

Auszeit von der Alm

Die Alm im Blut

Es geht wieder los

Erneuter Einsatz für die Hageldecke

Von null auf hundert

Zusammenhalt und Rosenkranzbeten

Fünf herrliche Jahre auf Labegg

Besuch, Besuch und noch mehr Besuch

Das Bayrische Fernsehen zu Gast

Erst zwei, dann drei, dann vier – mit Kindern auf der Alm

Die Alm – ein einziger, riesiger Abenteuerspielplatz

»Ja, ist das denn nicht gefährlich?«

Die Alm – eine gute Schule fürs Leben

Die große Freiheit

Rund um die Kuh – Melken, Hüten und anderes Wissen

Der Durchbruch

Mutterglück

Sämi

»Kugalan« für kranke Kühe

Kuh Alma macht Zicken

Von Hühnern, Schweinen und Ochsen

Hahn Hugo und anderes Federvieh

Ferdinand und Fridolin

Anton, der Ochs

Wie geht es wohl weiter?

Weitere Rezepte

Nützliche Adressen

Glossar bayerischer Ausdrücke

Danksagung

Bildteil

Für Magdalena, Luise, Josef und Karolina

Eine Herde weißer Schafe

ist mein Königreich

und die kleine Hütte

mein Palast.

Und das Edelweiß am Felsen

ist mein Diamant.

Ich bin so stolz

auf mein geliebtes Land.

Hohe Berge, steile Felsen, Alpenglühn.

Schafe weiden, wo die schönsten Blumen blühn.

Alpenrosen, Arnika und Edelweiß

ja meiner Heimat gilt der höchste Preis.

Anfang eines Liedtextes der Kärntner Volksmusikanten Die fidelen Mölltaler

Vorwort

© Privatarchiv Julia Barbarino; Nachbergalm 2012

Was ist das, wenn einen beim ersten Läuten von Kuhglocken im Frühling eine Sehnsucht überkommt, man ein Ziehen im Herzen fühlt, am ehesten vergleichbar mit Heimweh? Das ist das »Alpweh«. Auf einmal hat man den Geruch des Almsommers in der Nase, eine unvergleichliche Mixtur aus altem, sonnenverbranntem Holz, Kuhmist, warmer Kuh, an die man sich beim Morgenmelken schlaftrunken anlehnen kann, aus dem harzigen Duft des Waldes und dem Aroma würziger Kräuter und saftiger Gräser. Man hört die Kuhglocken bimmeln, das Feuer im Holzofen knistern. Man verspürt das wohlige Gefühl, das einen am Abend überkommt, wenn man erschöpft, mit schmerzenden Händen und wehem Rücken von des Tages Arbeit, aber unendlich glücklich und zufrieden auf der Hausbank vor der Almhütte sitzt und zuschaut, wie im Tal langsam immer mehr Lichter angehen und über einem nach und nach unzählige Sterne am Nachthimmel erstrahlen. Man fühlt den Frieden, der einen erfüllt, wenn man sich vom Klang der Kuhglocken in den Schlaf wiegen lässt.

Seit 2008 bin ich – mit nur zwei Unterbrechungen in den Jahren 2013 und 2014 – jeden Sommer mit meinen anfangs zwei, dann drei und inzwischen vier Kindern für einige Wochen als Sennerin auf einer Alm. Auch meine Kinder hat das »Almfieber« gepackt. Wie ich fiebern sie schon ab dem Herbst auf den nächsten Almsommer hin und können es kaum erwarten, bis es wieder losgeht. Ich empfinde es als großes Privileg, meine Freude am einfachen, auf das Wesentliche beschränkten und doch so wunderbaren Leben in und mit der Natur mit meinen Kindern teilen zu können. Und ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass ich meinen Kindern etwas für mich ungemein Wichtiges vermitteln konnte: Es braucht wenig, um glücklich zu sein.

Oder, um es mit den Worten eines Freundes zu sagen: Die Einfachheit der Einfachheit liegt in ihrer Einfachheit.

Romantische Vorstellung und Realität

© Privatarchiv Julia Barbarino; Nachbergalm 2012

Seit einigen Jahren gibt es einen regelrechten Hype, immer mehr junge Menschen gehen für einen Sommer auf die Alm, und mittlerweile kann man die Fernsehbeiträge und zig Bücher zu diesem Thema schon gar nicht mehr zählen. Ich merke ja selbst, wie mir die Menschen regelrecht an den Lippen hängen, wenn ich von dem Leben auf der Alm erzähle. Ich weiß nicht, woher das Interesse und die Faszination kommen. Vermutlich liegt es daran, dass wir desto mehr Sehnsucht nach der Natur und einem naturnahen Leben verspüren, und sei es nur auf Zeit, je mehr wir uns im Alltag davon entfernen. Warum sonst zieht es so viele Leute aus der Stadt am Wochenende in die Berge? Warum sonst ist Wandern auf einmal ein Massensport? Warum sonst herrscht dieses unglaubliche Interesse am Wald, warum sonst gibt es gar einen Trend, der sich »Waldbaden« nennt? Sicher spielt auch eine Rolle, dass vor allem die jüngere Generation ein immer stärkeres Bewusstsein für die Natur und generell die Umwelt entwickelt. Das fängt bei Urban Gardening an, dem Gärtnern auf kleinen städtischen Flächen, und hört bei Fridays for Future noch längst nicht auf.

Die meisten Menschen haben aber recht romantische Vorstellungen vom Almleben, und so erwarten viele, die sich erstmals als Senn oder Sennerin verdingen, ein paar Wochen reinster Bergidylle, in denen sie mal eine Kuh tätscheln und die übrige Zeit die Natur genießen. Ich kenne einige Möchtegern-Almer und -Almerinnen, die bereits nach einer Woche das Handtuch schmissen, weil die Realität halt ganz anders aussieht. Es gibt die romantischen Momente, wenn man Besuch von seinem Schatz hat und abends mit ihm vor der Hütte sitzt, über sich einen funkelnden Sternenhimmel, oder sich vor dem alten Holzofen in der Hütte aneinanderkuschelt. Es gibt die Idylle mit friedlich grasenden Kühen, mit Gämsen, die leichtfüßig die Bergwände hochklettern, mit Murmeltieren, die sich spielerisch vor dem Bau balgen, oder manchmal einem Reh, das sich, mehr vorsichtig als mutig, am Waldrand zeigt.

Almleben ist jedoch vor allem Arbeit, bisweilen harte, anstrengende Arbeit. Das Umstechen des Misthaufens, das Schleppen schwerer Milchkannen oder das Herumhieven großer Heuballen erfordern Kraft. Und man muss das Alleinsein lieben oder zumindest gut aushalten können. Ich selbst war zwar bislang immer nur für ein paar wenige Tage allein, sonst waren immer die Kinder – und oft auch ein anderer Erwachsener – auf der Alm, aber diese wenigen Tage habe ich, meine Kinder mögen es mir verzeihen, unglaublich genossen. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte, und ganz nach meinem eigenen Rhythmus leben.

Wer als Senn oder Sennerin auf eine Alm gehen möchte, um Geld zu verdienen, sollte es besser bleiben lassen, denn die Almarbeit ist schlecht bezahlt. Das gilt zumindest in Deutschland und Österreich. In der Regel ist der Lohn so gering, dass er nicht einmal die Unkosten deckt, die zu Hause an Miete, Nebenkosten et cetera weiterlaufen. Und bezahlt wird meistens nur ein Senn oder eine Sennerin. In den ersten beiden Jahren, in denen meine Schwester Sophie mit auf der Alm war, mussten wir uns den Lohn also teilen. Und wenn mein Mann Schorschi sozusagen in Teilzeit auf der Alm arbeitete oder meine Großcousine Karolina mithalf, gab es ebenfalls nicht mehr Geld. Wenn man Käse herstellt und ihn zu einem guten Preis verkaufen kann, geht man mit etwas Glück ohne Verlust in den Herbst. Es braucht also sehr viel Liebe zu Tieren und zur Natur und ein gewisses Maß an Leidenschaft und an Idealismus, um eine Alm zu bewirtschaften. Dann allerdings winken als Lohn Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und Glück. Auf der Alm, mitten in der Natur, wird man empfindsamer und lebt mehr mit allen Sinnen. Man konzentriert sich auf das Wesentliche, denn viele »Störfaktoren« wie Fernseher, Mobiltelefon und soziale Medien fallen weg. Man erlebt eine Art Entschleunigung. Für mich persönlich steht die Natur über allem, ich lebe am liebsten draußen, wo ich das Zusammenspiel von Farben, Gerüchen und Geräuschen ungefiltert aufnehmen kann. Wenn es mir nicht gut geht, reicht ein Spaziergang in der Natur, damit ich mich besser fühle. Wenn ich dabei schneeverschneite Berge sehe oder bunt blühende Wiesen, vielleicht auch nur ein Blümchen, das sich durch eine Laubschicht gekämpft hat und seine Farbe entfaltet, wenn ich Vogelgezwitscher höre – all solche vermeintlichen Kleinigkeiten öffnen mir das Herz.

Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum ich mich auf der Alm so wohlfühle: Ich lebe dort sehr nah in und mit der Natur. Selbst beim schlechtesten Wetter muss man hinaus ins Freie, um sich die Zähne zu putzen oder auf die Toilette zu gehen. Aber das macht mir – und auch den Kindern – nichts aus, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass ich dadurch wesentlich intensiver und mit allen Sinnen lebe. Ich rieche, höre, fühle und schmecke bewusster. Und man braucht nur vor die Tür zu gehen, um Pilze, Beeren, Kräuter und weitere Leckerbissen zu finden.

Ich habe vor meinem ersten Almsommer Unmengen von Büchern gelesen – das Handbuch Alp kannte ich fast auswendig – und habe mich viel mit Almbauern, Sennen und Sennerinnen unterhalten. Erst, als ich die Zusage für eine Almstelle hatte, habe ich noch schnell das Melken gelernt, bin davon abgesehen jedoch sozusagen ins kalte Wasser gesprungen. Wenn man bereit ist, zu lernen und vor allem zuzupacken, geht es also auch ohne große Vorkenntnisse. Wer sich das nicht zutraut, kann einen Vorbereitungskurs besuchen. Infos dazu gibt es reichlich im Internet.

Dass ich später doch noch für ein Jahr mehrmals pro Woche die Schulbank drückte, um mich zur Facharbeiterin Landwirtschaft auszubilden, lag schlicht daran, dass mich das Almvirus gepackt hatte und ich mich für die Milchwirtschaft interessierte. Außerdem arbeite ich gern eigenverantwortlich und bitte ungern andere um Hilfe. Also lernte ich alles über die Haltung und den Umgang mit Kühen, Melkhygiene, betriebswirtschaftliche Grundlagen, wie man landwirtschaftliche Maschinen pflegt, wartet oder zum Beispiel die Deichsel eines Anhängers kürzt. Es stand zwar auch einiges auf dem Lehrplan, was auf einer Alm nicht unbedingt von Nutzen ist, aber wer weiß, ob ich es nicht irgendwann noch brauchen kann, wie zum Beispiel Forstwirtschaft sowie die Pflanzung, Pflege und Veredelung von Obstbäumen.

Wie alles begann

© Privatarchiv Julia Barbarino; Wanderung zur Gindelalm 2007

Schon von klein auf verspürte ich eine Art Sehnsucht nach dem einfachen Leben und einem Leben mit und in der Natur, wobei ich das damals natürlich nicht so hätte benennen können. Während andere Mädchen mit ihren Puppen spielten, spielte ich am liebsten »arme Kinder«: Mit meinem Bruder und meinem Cousin als »Mitdarstellern« auf einem Leiterwagen, zog ich in den Wald, wo wir aus Erde Knödel formten, Brennholz für einen imaginären Ofen sammelten und dergleichen. Die beiden Buben mochten das Spiel überhaupt nicht, aber ich war immer schon recht hartnäckig, um nicht zu sagen penetrant, wenn ich etwas wollte. Schnickschnack oder Luxus war nie meine Sache, und ich brauche beides bis heute nicht. Viel lieber gehe ich mit meinen Kindern zum Zelten als in eine Pension oder gar ein Hotel.

Die Berge waren schon immer meine Welt, und das Leben auf einer Alm beschäftigte mich, seit ich achtzehn war. Damals las ich in einer Zeitschrift einen Artikel über eine alte Sennerin, der etwas in mir anrührte und seither in meinem Tagebuch lag. Während des Studiums jobbte ich dann auf einer Jausenstation im Zillertal als Bedienung. Ein Stück unterhalb dieser kleinen Gaststätte lag eine Milchviehalm, und wann immer sich die Gelegenheit bot, lief ich dorthin und löcherte den Senn mit Fragen. Ein Jahr später, 2005, kehrte ich beim Wandern auf der Scharnitzer Alm ein und unterhielt mich lange mit der Sennerin, die Kräuter und Beeren sammelte und die Milch ihrer Kühe zu Joghurt und Käse verarbeitete. Bei ihr fiel mir das Handbuch Alp in die Hände, in dem zwanzig Almleute ihr Handwerk und das Leben auf der Alm beschreiben: realistisch statt verklärend, doch spiegelt jede Seite die Liebe zu diesem Leben. Verträumt blätterte ich durch das Buch und wäre am liebsten gleich direkt auf der Alm geblieben, um auch so ein Leben führen zu können. Spätestens da stand für mich fest, dass ich einmal selbst Sennerin sein wollte – irgendwann einmal, nach dem Studium. Es war kein konkretes Ziel, eher ein loser Gedanke, der sich in meinem Hinterkopf einnistete und ab und an kurz in den Vordergrund drängte. Gleich nach dem Studium wurde ich mit dem ersten Kind, meiner Magdalena, schwanger. Die Alm blieb vorerst ein Traum, der wie eine Wolke am Himmel schwebte und nicht greifbar war.

Ende Mai 2007 änderte sich das schlagartig. Mein Mann Schorschi und ich waren kurz zuvor nach Fischbachau gezogen und wohnten recht einsam im Zuhaus eines wunderschönen alten Bauernhofs. Magdalena war mittlerweile ein Jahr alt und ich erneut schwanger – und nicht sehr glücklich. Ich haderte mit mir selbst, fragte mich, wozu ich eigentlich studiert hatte, wollte mein Wissen anwenden, wollte arbeiten, stattdessen saß ich mit einem Baby zu Hause, das viel schlief und sehr brav war, und fühlte mich alles andere als ausgelastet. Mir fiel regelrecht die Decke auf den Kopf. Hin und wieder las ich im Handbuch Alp, das mir Schorschi 2005 zu Weihnachten geschenkt hatte, weil ich seit meiner Einkehr auf der Scharnitzer Alm ständig von diesem Buch und vom Almleben schwärmte. Am 28. Mai, ein Datum, das ich nie vergessen werde, kam mich meine Schwester Sophie besuchen, und wir wanderten – ich mit Magdalena in der Kraxe und mit Luise im Bauch – zur Gindlalm oberhalb des Schliersees. Sophie, gerade achtzehn Jahre alt geworden, stand ein Jahr vor ihrem Abitur und machte sich genauso viele Gedanken über ihre Zukunft wie ich über meine.

Es war eine wunderschöne Wanderung, während der wir über das Leben philosophierten und intensive Gespräche über unsere Pläne und die Zukunft führten. Zwar trennen Sophie und mich zehn Jahre Altersunterschied, und wir sind in vielem recht verschieden, aber wir sind uns wiederum in manchen Dingen sehr ähnlich und haben immer schon unsere Sorgen und Freuden geteilt. Bis heute ist meine wunderbare Schwester meine beste Freundin, und ich hoffe, das wird immer so bleiben.

Damals, aber beileibe nicht zum ersten Mal, erzählte ich Sophie von meinem Traum, einmal als Sennerin auf einer Alm zu arbeiten. Als wir die herrlich gelegene Gindlalm mit ihren drei urigen Almhütten und dem fantastischen Blick auf die Berge ringsum erreichten, kam uns eine Idee: Warum es nicht gemeinsam angehen? Das wäre doch was! Einen Sommer gemeinsam eine Alm bewirtschaften. Ein lustiges Unterfangen: zwei Mädels aus der Stadt auf der Alm … Und zu zweit, so alberten wir herum, konnten wir uns das Hüten der Kühe und meiner zwei Kinder teilen. Wir waren beide ganz begeistert von dem Gedanken, und der Umstand, dass wir absolut kein Vorwissen hatten, hinderte uns nicht daran, Pläne zu schmieden. Schnell waren wir uns einig: Im nächsten Sommer greifen wir an!

Ich rechne es Sophie bis heute hoch an, dass sie sich damals darauf eingelassen hat, denn es war ja mein Traum, nicht ihrer. Und welche andere Achtzehnjährige hätte sich einverstanden erklärt – und das auch noch mit Begeisterung –, mit ihrer viel älteren Schwester und deren zwei kleinen Kindern wochenlang auf einer Alm »herumzusitzen«? Das findet man in dem Alter nicht unbedingt cool.

Die Frage war nun, wie kommen wir – beziehungsweise ich als sozusagen federführende Sennerin – an eine Alm? Gleich am nächsten Tag informierte ich mich beim Almwirtschaftlichen Verein in Holzkirchen. Ich solle, so hieß es, kurz zusammenschreiben, was ich für Vorstellungen hätte – ob auf der Alm Jungvieh oder Milchkühe sein sollten oder beides, ob sie mit oder ohne Bewirtung sein sollte und dergleichen – und wie ich zeitlich verfügbar wäre. Also schickte ich eine Art Bewerbung und wartete von da an gespannt und voller Erwartung Tag für Tag auf den Briefträger, der hoffentlich eine positive Antwort bringen würde. Doch nichts geschah. Nach vier Wochen rief ich beim Almwirtschaftlichen Verein an. Noch sei keine passende Anfrage eingegangen, aber es sei ja noch Zeit, vertröstete mich die sehr nette Frau Eberhard. Ich solle einfach warten. Das war für mich als ziemlich ungeduldigen Menschen eine echte Herausforderung. Einen Monat hielt ich durch, dann rief ich erneut an. Und wieder und wieder. Alle vier Wochen.

Der erste Almsommer – wie man Sennerin »lernt«

© Privatarchiv Julia Barbarino; Krumbachalm 2009

Frau Eberhard blieb geduldig und freundlich, und meine Hartnäckigkeit zahlte sich letzten Endes aus. Zwar hatte der Almwirtschaftliche Verein keine Alm für uns in Aussicht, doch Frau Eberhard hatte bei einem Almkurs eine Sennerin getroffen, die den nächsten Sommer nicht mehr auf die Alm gehen konnte oder wollte. Sie gab mir deren Telefonnummer und sagte, ich solle die Frau doch einfach mal anrufen. Der Haken an der Sache war, dass die Alm in Tirol lag und dass es dort zwölf Milchkühe gab, die gemolken werden müssten. Da Sophie und ich überhaupt keine Erfahrung mit dem Bewirtschaften einer Alm hatten, mit Melken schon gar nicht, hatten wir uns eigentlich mit einer reinen Jungviehalm an das Ganze herantasten wollen. Die Tiere aus dem Stall und wieder hinein zu treiben konnte so schwierig nicht sein, dachten wir zwei Möchtegern-Sennerinnen. Als ob es damit getan wäre!

Nun also auch Milchvieh. Ich wollte jedoch auf keinen Fall riskieren, dass wir schließlich gar keine Alm bekommen würden. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, bin ich bereit, Berge zu versetzen. Ich rief die Sennerin an, und während des Telefonats lösten sich viele meiner Bedenken in Wohlgefallen auf. Auch sie war mit zwei Kindern auf der Alm gewesen und hatte einen Sommer lang sogar schwanger die Almarbeit gemeistert. Sie gab mir die Telefonnummer von den Bauersleuten in Brandenberg in Tirol, und nach Rücksprache mit meiner Schwester rief ich dort an. Ich hatte schreckliche Angst, dass sie mich auslachen würden: Zwei junge Frauen, ohne jegliche Erfahrung, dafür mit zwei kleinen Kindern wollen eine Alm bewirtschaften, zwölf Kühe melken und obendrein zwölf Jungrinder und zwei Kälbchen versorgen.

Aber ich wurde nicht ausgelacht. Im Gegenteil, die beiden schienen froh zu sein, dass sich ein Interessent meldete, und auf meine ehrliche Aussage, dass ich keine Erfahrung hatte, meinten sie nur: »Wennst mogst, lernst ois« (Wenn man will, kann man alles lernen). Sie luden mich ein, gleich am kommenden Wochenende bei ihnen vorbeizuschauen. Da meine Schwester keine Zeit hatte, begleitete mich mein Mann. Mit unseren beiden Mädchen im Gepäck – im Dezember war Luise auf die Welt gekommen – machten wir uns auf den Weg. Als wir schließlich die abenteuerliche Kurvenstraße nach Brandenberg hinauffuhren, ging mir das Herz auf. Der Ort liegt auf einem wunderschönen Hochplateau, und an den steilen Abhängen ringsum stehen verstreut viele alte Bauernhöfe. Die Wegbeschreibung führte uns immer weiter hinauf, sodass wir schon dachten, wir hätten uns verfahren. Aber dann tauchte doch noch ein Weiler und der gesuchte Bauernhof vor uns auf, ein uraltes uriges Gebäude. Lisbeth und Albert baten uns in die gemütliche Stube, und mein erstes »Vorstellungsgespräch« als Sennerin begann. Die beiden erzählten mir, dass die Krumbachalm, für die sie mich bräuchten, eine sogenannte Hochlegeralm sei und was es damit auf sich habe: Den ersten Teil des Almsommers verbringen die Kühe auf einer Niederlegeralm, die, wie der Name schon anklingen lässt, niedriger liegt, weshalb dort früher Gras wächst. Wenn die Almwiesen auf der Niederlegeralm abgegrast sind, ziehen die Kühe für ungefähr sechs bis acht Wochen hoch zur Hochlegeralm. Wenn sich dort das Gras dem Ende zu neigt, geht es für die Kühe zurück auf die Niederlegeralm, auf der in der Zwischenzeit das Gras nachwachsen konnte. Dort bleiben die Kühe bis in den Herbst und kehren anschließend zurück auf den Hof.

Brandenberg ist eines der wenigen Gebiete, in dem viele Bauern noch ihre eigene Almhütte haben und manchmal eben auch zwei: Niederleger und Hochleger. Der Unterhalt, die Instandhaltung, das Bewirtschaften – egal ob die Bauern es selbst übernehmen, wodurch ihre Arbeitskraft im Tal fehlt, oder ob sie einen Senn oder eine Sennerin dafür bezahlen –, all das kostet Geld, weshalb viele Bauersleute in anderen Gebieten und leider auch zunehmend in Brandenberg eine ihrer Hütten und manchmal sogar beide aufgeben. Vorzugsweise trifft es den Hochleger, aus dem einfachen Grund, dass er weiter vom Hof entfernt ist und dort die Weideflächen kleiner sind. Letzteres bringt es mit sich, dass sich die Tiere weniger weit verstreuen können und die Weiden daher stärker beansprucht werden. Früher konnte sich die Natur über den Winter regenerieren, doch seit die Kühe immer mehr auf Ertrag gezüchtet und dadurch immer schwerer werden, richten sie zum Teil massive Schäden auf den Böden an. Manche Hochlegeralm ist am Ende des Sommers völlig zertrampelt. Wenn klar ist, dass die Weiden auf der Niederlegeralm nicht den ganzen Sommer alle Kühe satt machen, müssen die Milchkühe im Tal bleiben, und nur das Jungvieh darf auf die Alm. Oder es wird zugefüttert. Mit der Auflassung von Almhütten und dem Aufgeben der Almwirtschaft im ursprünglichen Sinn, deren Hauptzweck nicht die Verköstigung von Wanderern war, geht wieder ein Stück Bauernkultur und Tradition verloren. Wie schade.

Die Bauersleute erklärten mir, was sie von mir erwarteten, und meinten lapidar, das Melken solle ich halt vorher noch lernen. Da Schorschi und ich bei Bauern zur Miete wohnten, die etwa vierzig Milchkühe hatten, sollte das kein Problem sein. Schließlich besiegelten wir meinen »Arbeitsvertrag« per Handschlag. Ich bin Albert und Lisbeth bis heute unendlich dankbar und rechne es ihnen hoch an, dass sie das Risiko eingingen, mir, dem unerfahrenen Stadtkind, die Almstelle zu überantworten, und vor allem, mir ihre Kühe anzuvertrauen. Ohne die beiden wäre mein Traum von einem Almsommer damals geplatzt und vielleicht für immer ausgeträumt gewesen.

Wieder in Fischbachau, rief ich überglücklich meine Schwester an. Ich kam mir wie eine Eroberin vor, die erfolgreich von einem Feldzug zurückgekehrt war.

Nun mussten wir also melken lernen. Wie ich vermutet hatte, waren die Bauern, in deren Zuhaus ich wohnte, gern bereit, es mir beizubringen. Im April startete ich meinen »Lehrgang«. Drei, vier Mal in der Woche ging ich in der Früh, sobald ich Luise gestillt hatte, in den Kuhstall, ließ mir die nötigen Handgriffe zeigen und übte am lebenden Objekt. Voller Stolz trug ich dann die frische, noch kuhwarme Milch nach Hause. Ich hatte gute Lehrer und lernte schnell. Ich verstand bald, dass man viel Gespür braucht, dass jede Kuh anders ist, dass man die Euter einer jeder Kuh kennen kann, dass Hygiene eine wichtige Rolle spielt und dass man gute Karten bei den Kühen hat, wenn man ruhig und gelassen mit ihnen umgeht. Praktischerweise stammte Sophies Schulfreundin von einem Bauernhof, der Milchkühe hatte, sodass auch meine Schwester ohne großen Aufwand erste Melkerfahrungen sammeln konnte.

Mitte Mai fuhren Sophie und ich mit den Kindern nach Brandenberg, um uns die Almhütte anzuschauen und uns ein Bild davon zu machen, was wir alles einzupacken hätten. Auf der Alm war die Natur gerade erst aus ihrem Winterschlaf erwacht, alles stand in einem sanften Grün, geschmückt von unzähligen Frühlingsblumen. Über eine schmale, steile Treppe traten wir in die Stube der Hütte mit einem großen Ofen, einem Tisch und einer Eckbank. Von der Stube führte eine Tür in ein kleines Zimmer mit Bett und, wie es bei vielen Almhütten üblich ist, eine weitere direkt in den Kuhstall. Über eine ebenfalls recht steile und schmale Treppe ging es nach oben in das Schlaflager und auf den Heuboden. Die Hütte war einfach, aber gemütlich und recht komfortabel: Wir hatten Strom und einen Boiler, der das Spülbecken vor der Hütte mit warmem Wasser versorgte, was mit zwei kleinen Kindern von unschätzbarem Wert war. Schon fließend Wasser ist ein Luxus, den man nicht auf jeder Almhütte vorfindet, erst recht heißes Wasser. Das »stille Örtchen«, ein Plumpsklo, lag genau neben dem Misthaufen. Von außen war es nicht gerade ein Genuss für Auge und Nase, dafür hatte man, wenn man drinnen saß, einen herrlichen Ausblick. Da die Alm in einem weiten Kessel lag, konnte der Blick zwar nicht unendlich weit schweifen, aber die Natur ringsherum war wunderschön und die Stille Balsam für die Seele.

Almbeginn für Sophie und mich war der 1. Juli, und bis dahin gab es noch einiges zu tun. Sophie musste ihr Abitur schreiben, und ich musste packen, packen, packen. Und zwar genau so, wie es hier steht: drei Mal – beziehungsweise für drei verschiedene Bestimmungsorte. Mein Mann würde ab Juli einen Italienischkurs in Siena machen zur Vorbereitung auf ein Auslandssemester in Bergamo. Da die Kinder und ich ihn nach Bergamo begleiten würden und wir es uns schlicht nicht leisten konnten, über ein halbes Jahr lang Miete für eine nicht genutzte Wohnung zu bezahlen, hatten wir schweren Herzens den Mietvertrag zum 1. Juli gekündigt. Und das bedeutete, dass die Wohnung komplett leer geräumt werden musste. Ich musste also, erstens, für die Alm packen. Da wir natürlich einiges nach Bergamo mitnehmen würden, musste ich, zweitens, für das Auslandssemester packen und schließlich, drittens, alles das, was nicht mit nach Bergamo oder auf die Alm kam, für das Zwischenlager Burghausen, sprich mein Elternhaus. Gott sei Dank war dort genug Platz, dass wir alles unterstellen konnten, was wir in den nächsten Monaten nicht brauchen würden. Aber es war eine Mammutaufgabe, zu entscheiden, was auf welchen Stapel kam.

Meine Unerfahrenheit in Sachen Almleben brachte es mit sich, dass viel zu viel auf dem Stapel für die Alm landete: Gartentisch samt Stühlen, Sonnenschirm, Puppenküche, Puppenwagen, jede Menge weiteres Spielzeug, Laufrad, Kinderradanhänger, Kinderwagen, Kinderbadewanne, alle meine Kräutertöpfe samt Lavendelstöcken, Werkzeugkasten, Wasserkocher, haufenweise Küchenutensilien und vieles mehr. Da Luise gerade mal sieben Monate alt war, kamen neben der Wickelunterlage Unmengen von Windeln, Feuchttüchern und haufenweise Gläschen mit Babynahrung sowie Pakete mit Brei zum Anrühren dazu, damit wir nicht alle paar Tage ins Tal fahren mussten, um Nachschub zu besorgen. Als wir vollgepackt bis unters Dach bei Lisbeth und Albert ankamen, um die Schlüssel für die Hütte zu holen, schlugen die beiden die Hände über dem Kopf zusammen und fragten ungläubig, ob wir etwa unseren gesamten Hausstand dabeihätten.

Die Kühe waren schon seit einigen Tagen auf der Alm und daher bereits wieder an den Stall und die Umgebung gewöhnt. Kaum hatten wir alles eingeräumt und uns die Hütte, die für die nächsten acht Wochen unser Zuhause sein würde, ein bisschen wohnlich gestaltet, kamen die Bauersleute, um uns in die Stallarbeit einzuweisen und uns beim Melken zur Hand zu gehen. Sie erklärten uns, welche Kuh wo ihren Platz hat und dass es wichtig sei, diese Einteilung einzuhalten. Schnell fertigte ich für Sophie und mich eine Skizze an, in die ich die Namen und die Ohrmarkennummern der Tiere eintrug. Das machte ich auch in den Folgejahren so, bis meine Kinder anfingen, die Plätze mit DIN-A4-Blättern zu bestücken, auf die sie die Namen der Kühe malten, denn, so sagten sie, die Kühe sollten es wohnlich und hübsch haben.

Als ich am ersten Abend Magdalena in unserem kuscheligen Schlaflager zu Bett brachte, sagte ich zu ihr, sie solle mal ganz leise sein, um zu hören, wie schön die Glocken der Kühe klingen. Sie lauschte aufmerksam, schaute mich ruhig an und sagte: »Dahoam.« Vor Rührung und Erleichterung stiegen mir die Tränen in die Augen. In den vergangenen Wochen hatten wir zwischen Kartons und Kisten im Chaos gelebt, und ich war alles andere als entspannt gewesen, da mir die Packerei über den Kopf zu wachsen drohte und ich fürchtete, nie und nimmer rechtzeitig damit fertig zu werden. Außerdem hatte ich ständig Angst, dass bei dem ganzen Stress die Kinder zu kurz kamen und sich vernachlässigt oder womöglich sogar nicht mehr geliebt fühlen könnten. Das »Dahoam«, also »Daheim« meiner Tochter nahm mir diese Angst, entschädigte mich für all die Arbeit und die Mühen der letzten Wochen und bestärkte mich darin, dass die Entscheidung, einen Sommer als Sennerin zu verbringen, gut und richtig war. In diesem Moment fielen der ganze Ballast und der Stress von mir ab, und wie meine Tochter spürte ich: Wir waren angekommen.

Der Almalltag

Schon um Viertel nach fünf klingelte am nächsten – und an allen folgenden – Morgen der Wecker. Wo aufstehen doch so gar nicht meine Stärke ist! Was habe ich mir da nur angetan, dachte ich, als ich mich aus den warmen Federn quälte, doch schon beim ersten Blick aus dem Fenster hüpfte mir das Herz in der Brust. Voller Tatendrang schlüpfte ich in mein Stallgewand und heizte den Holzofen an. Während aus dem Radio Volksmusik drang, trank ich eine Tasse Tee und aß eine Scheibe Honigbrot. Und fühlte mich herrlich!

Während sich Sophie um Magdalena und Luise kümmerte, machte ich mich daran, die Kühe zu holen beziehungsweise erst einmal aufzustöbern. Diese Aufgabe zählt für mich bis heute zu den schönsten eines Almsommers. In der frischen Morgenluft eines neuen, unverbrauchten Tages auf der Suche nach den Kühen über die Wiesen zu gehen – und je nach Alm auch ein Stück durch den Wald –, die Bergwelt beim Erwachen zu beobachten, den Geruch von Gras, Bergblumen und -kräutern in der Nase und das Bimmeln von Kuhglocken und das Muhen der Tiere in den Ohren, das macht mich unglaublich glücklich und erfüllt mich mit Frieden. Da reichen Kleinigkeiten wie ein Spinnennetz, in dem Tausende Tautröpfchen glitzern, ein schillernd roter Käfer auf einem grünen Blatt oder wie sich die aufgehende Sonne über die Bergspitzen schiebt, dass mir das Herz aufgeht. Mit diesem »Schatz« in mir wandere ich zusammen mit den Kühen zurück zur Hütte und beginne wie frisch mit Energie aufgeladen mit der eigentlichen Arbeit.

Je nach Witterung und Laune der Kühe geht das Heimholen mal recht schnell, kann aber auch eineinhalb Stunden dauern, vor allem, wenn man die Umgebung und die Lieblingsweideplätze der Tiere noch nicht kennt.

Die Tiere dazu zu bringen, zum Stall zu gehen, war meist recht einfach, sie dazu zu bewegen, in den Stall zu gehen, oft eine ganz andere Sache. An manchen Tagen wollte mal diese, mal jene Kuh partout weiterhin das freie Almleben genießen, und da ich den Umgang mit den Tieren nicht gewohnt war, war es selbst mit der Hilfe von Sophie ein ziemlicher Kampf, das störrische Vieh in den Stall zu bugsieren – und wir manchmal den Tränen nahe. Doch mit jedem Tag, den wir die Tiere besser kennenlernten, ging es uns leichter von der Hand.

Wer sich jetzt wundert, warum wir die Kühe morgens holen gingen: Im gesamten Brandenberger Gebiet ist es üblich, dass die Tiere tagsüber im Stall stehen und nach dem Melken am Abend auf die Weideflächen gelassen werden, dann aber die ganze Nacht draußen bleiben. Auf meine Frage, warum das so sei, hieß es, das sei in Brandenberg immer schon so gewesen. Die Kühe hätten im Stall mehr Ruhe vor Fliegen, Bremsen und anderen Plagegeistern, und je entspannter die Kühe seien, umso mehr Milch würden sie geben.

Wenn endlich alle Kühe im Stall und jedes Tier an seinem Platz angehängt war, bekamen sie ihre Portion Kraftfutter, und wir machten uns ans Melken. Schnell hatten Sophie und ich gelernt, dass es ratsam ist, eine Nachzüglerin nicht mehr in den Stall zu lassen, wenn die anderen bereits ihr Kraftfutter vertilgten. Kühe sind total verrückt nach Kraftfutter und verstehen überhaupt keinen Spaß, wenn sich eine andere Kuh über ihre Ration hermachen will. Auch anderes lernten wir aus Fehlern, zum Beispiel, dass es sinnvoll ist, den Eimer mit dem Waschwasser zum Säubern der Euter in Sicherheit zu bringen, bevor man die Melkmaschine anstöpselt, weil diese schlicht alles, was flüssig ist, ansaugt.

Das Melken selbst ging uns überraschend gut von der Hand, obwohl wir nur wenig Erfahrung damit hatten, geschweige denn Routine. Nach dem Melken musste das Melkgeschirr gereinigt werden, und die beiden Kälber bekamen ihre Ration Milch aus einem sogenannten Tränkeeimer, einem Eimer mit einem überdimensionalen Sauger, an dem die Kälbchen wie an einer Zitze zuzeln können. So süß die Kälber waren, so anstrengend waren sie. Zum einen musste man ständig darauf achten, alles außer Reichweite zu bringen, was sie womöglich als Zitze identifizieren könnten, und dazu zählten die Finger ebenso wie Handschuhe oder sogar ein Plastikstrick. Zum anderen stinkt Kälberkacke ganz fürchterlich. Dass die Kleinen alle paar Tage auch noch Durchfall hatten und sich der Gestank dann ins Unerträgliche steigerte, machte die Sache nicht besser.