Auf der Suche nach der authentischen Wahrheit - Horst Gerlach - E-Book

Auf der Suche nach der authentischen Wahrheit E-Book

Horst Gerlach

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Beschreibung

Die Autobiographie beginnt mit den Bombenangriffen der Alliierten 1943 und den Leiden des Autors als siebenjähriges Kind, der aus einer überzeugten Nazi-Familie stammte. Der Vater machte Karriere als SS-Offizier. Nach anfänglichem Stolz auf seinen Vater kam die Ernüchterung nach der Zerbombung des elterlichen Wohnhauses. Den einzigen sittlichen Halt fand der junge Horst Gerlach in seiner Oma aus Ostreußen, die eine entschiedene Christin war und bei der der Junge nach der erfolgten Heimatlosigkeit oftmals sein konnte. Sie lebte nach den ethischen Grundsätzen des Neuen Testamentes, und lehnte dementsprechend den Nationalsozialismus ab, ohne ihren Schwiegersohn, den ordensgeschmückten Vater des Autors, als Mensch abzulehnen. Der noch kleine Junge vertraute der Oma wegen ihrer christlichen Überzeugung mehr, als den Überzeugungen seiner Eltern, vor allen Dingen seines Vaters. In dieser Zeit legte sich der Grundstein für die Suche nach der Wahrheit des Lebens. Trost und Schutz fand er in den gemeinschaftlichen Gebeten mit seiner Oma. Obwohl die Eltern von dieser Nähe zur Oma nichts hielten, ließen sie die Miterziehung zu, was dann in der Folge zum wichtigen Baustein seines seelischen Überlebens wurde. Die Frage nach authentischer Wahrheit wurde mit dem Heranwachsen substanzieller. In den letzten Monaten des Krieges, Anfang 1945, kam die Flucht vor den sowjetischen Panzern mit dem Vater, der nur noch seine Frau und den Sohn retten wollte, und dabei riskierte, militärische „Fahnenflucht“ zu begehen. Ohne seinen Dienstgrad als SS-Obersturmführer wäre die Familie in die Hände der Sowjets gefallen. Die Flucht in einem Dienstwagen im Winter war grausig und endete nach Monaten im Gefangenenlager in Dänemark. Durch falsche Angaben des Vaters durfte die Familie zwei Jahre in den Lagern zusammenbleiben. Trotz Folterung des Vaters durch die Alliierten Verhöroffiziere, da diese denjenigen suchten, der im Krieg mit einem Spezialauftrag in Dänemark gewesen war, wurde die Familie 1947 frühzeitig nach Westdeutschland entlassen. Die „Sündenfolgen“ holen die ganze Familie ein und hinterlassen, wegen der mörderischen Vergangenheit seines Vaters, auch beim Autor Traumata. Die Frage nach authentischer Wahrheit wurde zur Therapie für ihn, weil das Finden der Wahrheit in Jesus Christus Gestalt annahm, und zur Gesundung seiner Seele führte. Nie wieder wollte er eine antichristliche Diktatur und so trat er in den folgenden Jahren für andere Betroffene innerhalb der sozialistischen Diktatur der DDR ein. Er war auch während der politischen Transformationsphase 1989 in Polen und organisierte Hilfstransporte dorthin. Nach vielen Recherchen unternahm er 1990 eine lange Reise in die Länder, in denen der Vater als Soldat militärisch zu tun hatte. Diese Reise, sowie die darauf folgenden waren oft abenteuerlich und mit etlichen Gefahren verbunden. Ebenso wird von anderen weltweiten Reisen, z.B. auf den amerikanischen Kontinent zu Studien der vorkolumbianischen Blut- und New-Age-Esoterik-Kulten sowie deren Sündenfolgen berichtet. Viele Erfahrungen aus diesen Feldstudien konnte Horst Gerlach sehr hilfreich in der individuellen therapeutischen Seelsorge verwenden. Das Buch bietet für jeden eine Menge Nachdenkenswertes, vor allem, wenn man auf der Suche nach „authentischer Wahrheit“ ist.

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Horst Gerlach

Auf der Suche nach der

authentischen Wahrheit

Mein Kampf um ein authentisches

Leben führte mich zur

authentischen Wahrheit

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2022 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE GMBH

Mainstraße 143

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Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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ISBN 978-3-8372-2550-1

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

Der Bombenkrieg 1940 - 1945

2. Kapitel

Der Vater und die nationalsozialistische Karriere

3. Kapitel

Die Flucht

4. Kapitel

Die Gefangenschaft – die Internierung in Dänemark

5. Kapitel

Die Entlassung aus dem dänischen Internierungslager und ein Neuanfang in Deutschland 1947?

6. Kapitel

Die Zeit in Brühl und ein neuer Anfang für mich und das Ende für meine Eltern

7. Kapitel

Der Versuch zum Aufbau einer bürgerlichen Karriere und weitere Erkenntnisse biblisch motivierter Wahrheiten

8. Kapitel

Die weitere Wahrheitssuche in der Evangelischen Kirche?

9. Kapitel

Die Berufung als Vorbereitung des noch unbekannten Auftrags

10. Kapitel

Die Berufung zur Erwählung des in weiteren Schritten erkennbaren Auftrags

11. Kapitel

Der Auftrag – Kampf gegen den destruktiven Geist, hervorgerufen durch das zielverfehlte (sündhafte) Verhalten des Menschen

12. Kapitel

Der weitere Auftrag

13. Kapitel

Die Berufung, auch in Nord- und Mittelamerika zu wirken

Epilog: Wahrnehmung oder Wahrheit? – Das ist die Frage.

Literaturverzeichnis

„Wer Verstand erwirbt, liebt seine Seele. Wer Einsicht erwirbt, findet Gutes ...

Kaufe Wahrheit und verkaufe sie nicht. Der Weg des Lebens geht aufwärts für den Einsichtigen, damit er dem Totenreich entgeht …

Wer mich findet, der findet das Leben.“

(Die Bibel, Sprüche Salomo)

Jesus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“

(Die Bibel, NT, Joh. 14,6)

Danksagung

Durch meine Sehbehinderung, die durch die OP-Phasen zur Heilung führt, habe ich drei Glaubensschwestern aus meinem Seelsorgewerk und der Gemeinde für die Computer-Schreibarbeiten zur Verfügung gehabt, so dass ich mich auf das Diktieren beschränken konnte.

Ich bin der Hanna, der Inge und der Magdalena sehr dankbar für alle Schreibarbeiten, Vorschläge und Korrekturen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Werk gelungen ist.

Der Autor

1. Kapitel

„Warum hat der HERR all dieses große Unheil über uns ausgesprochen?…Weil mich eure Väter verlassen haben und fremden Göttern nachgefolgt sind.“

Die Bibel, Jeremia 16,10+11

„Leihe der Weisheit dein Ohr, dein Herz wende der Einsicht zu und flehe um Einsicht. Du musst suchen und forschen. Dann wirst du den HERRN verstehen.“

Die Bibel, aus Sprüche 2,2-5

Der Bombenkrieg 1940 - 1945

Es ist der 20. April 1943, der 7. Geburtstag eines kleinen Jungen. Der Stolz in ihm war groß, da aus allen Häusern im pommerschen Stettin der in den 1930er Jahren gebauten Wohnsiedlung die Hakenkreuzfahnen flatterten. Die Menschen müssen mich doch lieb haben, wenn sie solches tun, dachte er. Ein Nachbar brachte ihn zu seiner Mutter zurück, denn der kleine Junge war zur Höflichkeit erzogen und ging am Morgen seines Geburtstages zum nächstliegenden Nachbarn, um Dankeschön zu sagen für die Fahne. Die Erwachsenen der Nachbarschaft, Frauen, Kinder und alte Männer kamen in sein Elternhaus und freuten sich über den so selbstständigen Jungen, der, ohne die Mutter zu fragen, sich bedankte. Sie lachten aber auch über das kleine „Dummerchen“, das nicht wissen konnte, dass die Beflaggung dem Führer galt, der das deutsche Land und die gesamte Welt ins Unglück führte. War doch auch die 6. Armee in Stalingrad im vergangenen Winter von der Sowjetarmee besiegt worden, hunderttausende Soldaten beider Seiten ums Leben gekommen und auch die Rommel-Armee in Nordafrika befand sich auf dem Rückzug. So war für die Mutter des Jungen und die Nachbarn das kleine „Dummerchen“ eine kurzweilige Ablenkung von ihren Sorgen und Nöten, denn alle von ihnen hatten Ehemänner und Kinder an den Frontabschnitten im kriegerischen Einsatz. Der kleine Junge war nicht nur für sein Alter selbstständig, sondern auch sehr neugierig, was die Erwachsenen mit „altklug“ bezeichneten. So gab er keine Ruhe, bis er rausbekam, dass nicht er sondern der Führer mit der Beflaggung gemeint war. Er sollte es bald erfahren, wer den Weltbrand entzündet hat und dass seine Feinde sich zu wehren wussten. Es sollte nun für den Kleinen auch seine letzte Geburtstagsfeier sein mit den Nachbarskindern.

Obwohl es draußen im Garten sonnig und für die Jahreszeit recht warm war, zog es die Kinder zum Kuchen essen ins Haus. Das Wohnzimmer war an den Wänden geschmückt mit drei Fotos: Hitler, Göring und Göbbels, die „Dreieinigkeit des Bösen“– für die Kinder normal, denn das hatten viele. Am Abend gingen alle Kinder von der Geburtstagsfeier nach Hause. Die Mutter brachte den kleinen Jungen früh ins Bett; vielleicht ahnte sie, dass in der Nacht zum 21. April ihre relativ unbekümmerte Welt nie mehr so sein würde, wie sie war. Und das betraf ebenso ihren noch kleinen Jungen und seinen Vater, der z. Zt. als Soldat in Italien stationiert war, von dem noch die Rede sein wird.

Der erste große Bomberangriff auf Stettin 1943 (400.000 Einwohner)

Der Militärhistoriker Jörg Friedrich schreibt in seinem lesenswerten Buch „Der Brand“ auf S. 187/188 „Stettin war eine der stärksten Festungen Europas, die Schweden, die Brandenburger, die Franzosen, die Russen, die Polen hatten sie belagert, oder waren darin belagert worden. […] Das Stettin der Gotik und Renaissance war von diesen Feldherren bis auf eine handvoll Reliquien beseitigt worden, doch schufen Barock und Klassizismus ein neues. So erhält die frühgotisch begonnene und im 14. Jahrhundert fertiggestellte Jacobikirche ein vollendetes Barockinterieur.“ Das Greifenschloss, Schlosskirche und andere bedeutende Bauten machten Stettin, nur 150 km von Berlin entfernt, auch mit seinem Hafen und dem Tor der Oder zur Ostsee zu einer kulturellen, sehenswerten Stadt, zum Vorzugsort für verkehrsmüde wohlhabende Berliner, vor allem Rentner.

Dabei gab es in den Außenbezirken des Hafens viel Industrie. „Die Oderwerke AG, die Vulcan AG, die weltberühmte Schiffe bauten, drei hatten das Blaue Band erobert, […] das 1940 angelaufene Pölitzer Hydrierwerk zur Flugbenzinerzeugung.“

Als wir ab Ende der 1980er Jahre mit Freunden einige Male Stettin besuchten, auf dem Weg nach Warschau, traf ich auf der Straße einen polnischen Mann, etwa 70 Jahre alt, der zuhörte, wie wir Deutsch sprachen. Wir bekamen guten Kontakt zu ihm. Er erzählte ohne Bitterkeit, dass er als junger Pole von den Deutschen zwangsverpflichtet wurde auf dem Pölitzer Hydrierwerk zu schuften. Er wusste auch, dass die Deutschen dort das für die neu entwickelten Düsenmaschinen benötigte Kerosin herstellten, die aber nie zum Einsatz kamen und deshalb auch nie zur Vernichtung der für Düsenmaschinen unterlegenen britischen Bomber geführt haben. Zu dem polnischen Jan hielten wir gute Freundschaft. Wenn wir wieder auf der Reise nach Polen über Stettin fuhren, besuchten wir ihn und seine Frau und manchmal schliefen wir auch bei ihnen. Jan besuchte uns im Seelsorgewerk und verstand und achtete vor allem mich, dass mein Hilfeeinsatz mit Medikamenten und Kleidung ein Zeichen war, als Deutscher Abkömmling, zeichenhaft wieder gutzumachen, was die Deutschen unter der Naziherrschaft auch an Polen angerichtet hatten.

Nach diesen zum Verständnis führenden Vorinformationen komme ich zurück zu mir, dem 7-jährigen kleinen Jungen, der müde in der Nacht vom 20. April auf den 21. April im leeren Bett seines Vaters, neben seiner Mama, sanft schlief. Die deutsche Lufthoheit war so gut wie eingebüßt im Jahr 1943 nach Stalingrad und der sich abzeichnenden weiteren Niederlage in Nordafrika.

„Bomber Command hatte die Anflugsroute(auf Stettin) über Dänemark gewählt, wo die Freiheitsbewegung das Datum als Geburtstagsgruß an Hitler auffasste und frohlockte, die Bomber auf die grünen Zielmarkierungen in der Südstadt gesetzt, ließen 276 Feuer und Flammensäulen von viertausend Meter Höhe entstehen. Die Stettiner Feuerwehr kam damit nicht allein zurecht. […] Der Stadt war jedoch noch eine 16-monatige Frist gegeben (bis zum Totalangriff am 17.08.1944) bis zur Totalzerstörung der Stadt.“ (Friedrich, der Brand, S. 189)

In der Nacht zum 21.04.1943 Sirenengeheul; die Mutter sprang aus dem Bett. Sie weckte ihren kleinen Jungen, der schlaftrunken sich nicht anziehen lassen wollte. Sie trug ihn die Treppe aus dem Obergeschoss in die Parterre der Wohnung, dann eine weitere Etage in den Luftschutzkeller, der dafür hergerichtet war mit Durchgang zum Nachbarkeller für alle Fälle. Auf einer Liege schlief er weiter trotz Erschütterung und herunterfallendem Mörtel von der Decke. So merkte er als kleiner Junge nicht, dass die Mutter nicht da war. Die alten Männer sollten auf ihn aufpassen, weil die Mutter Rauchgeruch bemerkte und durch die Stahltür nach draußen stürmte. Sie erzählte später, dass sie das Obergeschoss brennen sah, aus der Waschküche den Gartenschlauch anschloss und versuchte die obere Etage zu löschen. Sie verlor durch Überanstrengung und Rauchvergiftung das Bewusstsein. Ein deutscher Soldat in Uniform kam von draußen zur Hilfe, trug sie herunter aus dem brennenden Obergeschoss in den Garten und beatmete sie. Der Soldat stürmte dann zurück zur Brandstelle. Es gelang ihm, das Feuer zu löschen. Danach war der Soldat verschwunden. Niemand hat den Unbekannten wieder gesehen. Meine Mutter wurde ärztlich versorgt und konnte sich wieder um ihren kleinen Jungen kümmern, der sich bis zum späten Vormittag ausgeschlafen hat. Der Brand hatte fast die obere Etage mit drei Zimmern vernichtet. So konnte das Haus auch unten nicht bewohnt werden.

Die Brandbombe, so wurde erzählt, sei auf den neben dem Bett stehenden Nachttisch gefallen und hatte alles in Brand gesteckt. In dem Bett schlief vorher der kleine Junge.

In dieser Nacht wurden in Stettin 586 Menschen getötet. Meine Mutter und ich überlebten, hatten aber keine Wohnung mehr. Mein Vater war als Soldat von Nordafrika nach Catania auf Sizilien versetzt worden.

Meine Mutter fuhr mit ihrem kleinen Jungen zur Oma, ihrer Mutter nach Ostpreußen zu den Masurischen Seen. Dort war der Krieg noch nicht angekommen. Hitler saß noch mit seinen Generälen in dem Komplex des Befehlsbunkers in der Wolfschanze, etwa 20 km entfernt vom Wohnort meiner Oma. Wegen der Wichtigkeit komme ich auf diesen Ort noch zurück. Die Oma liebte mich von allen Enkeln am meisten, weil ich, entgegen meiner Erziehung, den Krieg anfing nicht mehr zu wollen und Fragen stellte „Warum? Warum?“. Das Bauernhaus war voll von verwandtschaftlichem Besuch, auch ein Onkel in Soldatenuniform hatte dort bei seiner Mutter seinen einwöchigen Heimaturlaub verlebt. Der kleine Junge saß auf dem Boden und hämmerte Flugzeuge, indem er dafür ein senkrechtes Holzstück nahm und eines waagerecht daran festnagelte. Der Onkel fragte den Jungen, was das für Flugzeuge sein sollten. Der Kleine antwortete: „Du weißt das nicht? Ich will Flugzeuge bauen, die den Krieg beenden. Der Führer hat uns doch nicht beschützt. Ich habe neulich unter dem Tisch gesessen, als ihr geredet habt. Da habe ich gehört, dass ihr so schlimme Dinge getan habt mit den Russen. Ich will das aber nicht. Nun haben wir auch keine Wohnung mehr.“ Der Onkel zog mich gewaltsam von dem Boden hoch und gab mir einige Ohrfeigen, dass Blut aus meiner Nase kam. Nur die Oma hat mich verteidigt, die anderen gaben dem Onkel Recht. Der Onkel sagte noch, dass durch solche Erziehung wir nie den Krieg gewinnen können. Der Kleine weinte lange und die Oma tröstete ihn. Die Oma betete zu Jesus und der Onkel fluchte noch mehr. Nach dem Krieg wolle er mithelfen, dass solche Feiglinge von Gläubigen weggeschafft werden. Seit dieser Auseinandersetzung gab es keinen Frieden mehr in diesem Haus. Dies berichtete mir meine Mutter detailliert, da ich als Kind nur den Rahmen, wozu auch die Prügel gehörten, berichten konnte. So wuchs langsam in mir die Frage nach Wahrheit und nach Frieden aus der Wahrheit. Ich suchte mir mit zunehmendem Alter Menschen aus, die nicht politisch korrekt dachten und meine vielen Fragen beantworteten. Diese Erwachsenen hatten Freude an mir, aber auch Angst vor Entdeckung. Meine Oma vor allem brachte mir die biblisch-neutestamentliche Ethik bei und behauptete immer, dass man sich ganz allein eines Tages vor Gott verantworten müsse und sich nicht kirchlich binden solle, denn die Kirche sei ja auch auf der Seite Hitlers. Als junger Erwachsener habe ich diese Antwort verstanden, als ich lesen konnte, wie katholische und evangelische Kirchenfürsten sich eins machten mit dem Nationalsozialismus.

Die Leser mögen bedenken, dass meine Oma eine ganz einfache, ungebildete Frau war, 1863 geboren und nur 4 Jahre Schule besucht hat.

Hier war Weisheit zu finden. Sie betete viel – und wurde von den meisten ihrer großen Familie verachtet, denn sie waren gebildeter als sie. Oma legte in mir den Samen zu einem praktizierenden Gläubigen in Christus, der durch aufrichtiges Tun den Glauben beweisen wollte. Ich kam wieder einmal im Sommer 1943 auf ihr Feld (nach der schrecklichen Nacht am 20./21.04.), um mir auf meine Frage ihre Antwort zu holen. Obwohl sie keine Zeit hatte, hörte sie zu und wir setzten uns auf die Schubkarre. „Oma, als ich vor 2 Jahren in den Kindergarten ging, sagte die Tante, dass wir nicht zu denen gehen sollten, die zu Jesus beten.“„Warum?“ fragte die Oma. „Die Tante sagte, weil Jesus Jude war und die Juden sind unser Unglück.“Die Oma fragte mich weiter: „Und was hast du dazu gesagt?“ „Ich habe meine Tasche gepackt und zur Tante gesagt: ’Jesus ist aber der Beste von allen Menschen. Bei Ihnen will ich nicht bleiben.’ Dann bin ich gegangen.“ Meine Mutter konnte mich, den damals 5-Jährigen, nicht bewegen wieder in den Kindergarten zu gehen. Die Oma gab dem kleinen Jungen Recht und schützte ihn vor denen, die ihm Prügel androhten, damit aus ihm doch noch ein deutscher Junge würde.

Ende des Jahres 1943 bekam ich TBC (Tuberkulose). Viele Kinder hatten diese Krankheit. Ich wurde für 4 Monate vom Staat zur Kur in ein Heim auf der Kurischen Nehrung (Ostpreußen) geschickt. Der westliche Teil gehört nach dem Krieg zu Russland, der östliche Teil zu Litauen.

Das Heim wurde geführt von den evangelischen Kaiserswerther Schwestern. Äußere Sauberkeit wurde hochgehalten, alles steril und die Mitarbeiter ebenso gefühlsmäßig steril gegenüber den Kindern. Wir lagen zu 6 Jungen im Grundschulalter in einem Zimmer. Alle hatten Sehnsucht nach ihren Eltern, mussten jedoch monatelang dort bleiben. Was christlich übrig geblieben war, war bei den Schwestern das Abendgebet, das formal abgeleiert wurde. Aber dann kam die Qual und die Enttäuschung über das Unrechte für mich: Die Schwester betete, „dass der Führer bald die Schlacht gegen die Untermenschen der Russen gewinnen möge.“ Der kleine Junge betete nicht mit. Er wollte nicht für den Krieg und Führer beten. Er wurde bestraft und musste zum Spott in der Ecke stehen. Am nächsten Abend zog er vor dem Gebet die Decke über den Kopf, um nicht beten zu müssen. Wieder Maßregelung. Er log und sagte, dass er sich besser konzentrieren könne, wenn er unter der Decke betete.

Ich wusste bereits mit 7-8 Jahren, dass Hitler ein böser Mensch und Führer war. Ich wollte leben und die Wahrheit finden, warum das so war. Unter der Decke flossen viele Tränen wie bei den anderen Jungen. Aber ein deutscher Junge weint doch nicht. Dann plötzlich bekam ich zusätzlich die sehr ansteckende Krankheit Scharlach und wurde für 6 Wochen ins Krankenhaus nach Königsberg gebracht. Viel Kummer, weil meine Mutter, den Vater hatte ich schon vergessen, innerlich verdrängt, nicht da war und vor allem die Oma, die ich immer fragen konnte und die ihre Liebe zu mir auch zeigte. Meine Mutter durfte den kleinen Jungen in seiner Quarantäne nur durch ein kleines Glasfenster in der Tür sehen – 6 lange Wochen, bis ich wieder gesund war und im Winter 1943/44 wieder ins Heim zur TBC Behandlung zurück musste. Woher hatte ich TBC?

Die Eltern meines Vaters wohnten in einer schicken Wohnung im Zentrum von Stettin. Meine Mutter fuhr mit der Straßenbahn mit mir zweimal in der Woche zu ihnen. Ich mochte die Oma nicht wegen ihrer Gefühlskälte – auch zu Kindern, obwohl sie doch 7 Kinder geboren hatte. Meine Mutter musste den kleinen Jungen immer ermahnen, der Oma artig mit Verbeugung die rechte Hand zu geben. Er versprach es. Jedes Mal, wenn es dann soweit war und er vor der Oma stand, verschränkte er beide Hände auf seinem Rücken. Manchmal bekam er dafür eine „Backpfeife“. Nachdem er ausgeweint hatte, beantwortete er der Mutter ihre Frage „warum?“ mit: „Das ist doch auch meine Oma und ich darf sie nicht drücken. Deshalb gebe ich ihr auch nicht meine Hand.“ Die Oma ignorierte ihn fortan. Ihn gab es gar nicht mehr für sie. Er flüchtete dann zum Opa, der viel Zeit hatte, weil er lungenkrank war und nicht mehr arbeitete. Er hatte es sogar gerne, wenn ich flink und fix auf seinen Schoß sprang und zusehen konnte, wie er auf dem großen Flügel, der das halbe Wohnzimmer einnahm, klassische Musik spielte. Das war dann sein Ausdruck von Zuneigung zu mir und das reichte mir von ihm.

Mir gefiel aber nicht an ihm seine Wut über die Franzosen, von denen er sprach als „unsere Erbfeinde“. Er hatte im 1. Weltkrieg gegen sie gekämpft. Er wartete auf einen Erlöser für Deutschland aus dem kaiserlichen Haus der Hohenzollern. Er sah sich als Deutschnationaler. Wenn mein Vater manchmal bei den Besuchen dabei war, gab es heftige Diskussionen, denn mein Vater war überzeugter Nationalsozialist, der seinen Erlöser in Hitler gefunden hatte. So hatten die beiden politischen Streit, der so weit ging, dass der Vater vor gut 8 Jahren nicht zur Hochzeit meiner Eltern kam. Der Opa redete viel über die deutschen und die antiken griechischen Philosophen, die er vergötterte und sich ärgerte, weil der Nationalsozialismus nicht standesgemäß zum intellektuellen bürgerlichen Bildungsbürgertum passte. Mein Vater dagegen hatte das goldene Sportabzeichen über Leichtathletik gemacht, was seinen Vater ärgerte, als sein Sohn dann noch Autorennen und Motocross Rennen mit Erfolg fuhr. Mein Vater wollte es der verstaubten Etikettengesellschaft mit Handkuss usw. zeigen, dass jetzt Tatmenschen gebraucht würden, um Deutschland aus der Kulturkrise herauszuholen. Den Hass auf das gesamte Christentum holte er sich von dem Philosophen Friedrich Nietzsche, der den „schwachen Gott am Kreuz“ bekämpfte. Auch mein Vater wollte die „Umwertung aller Werte, vor allem die christlichen Werte“ (Nietzsche) erreichen und richtete seinen Kampf gegen den „dekadenten jüdisch-amerikanischen Liberalismus“.

So kam mein Vater zu Besuch seiner Eltern in brauner SA-Uniform und Schaftstiefeln. In dieser Montur hatte er auch in der Garnisonkirche von Stettin 1935 meine Mutter geheiratet. Sein Vater schäumte vor Wut und kam nicht zur Zeremonie.

Kommen wir zurück zu meiner TBC Erkrankung als Ursache meiner „Kur-Verschickung“. Ich habe mich angesteckt von diesem meinem Opa in Stettin. Mein Opa verstarb dann plötzlich – nach dem Bombenangriff vom 21. April 1943 und wurde als Freimaurer Bruder eingeäschert mit 66 Jahren. Seine Frau folgte wenige Monate mit 63 Jahren. Ihre Wohnung wurde durch den ersten Bombenangriff nicht zerstört: Auch die Oma wurde feuerbestattet. Beide Male musste ich dabei sein auf dem Central Friedhof von Stettin. Ein Jahr später war mein Vater für einige Tage in Stettin. Meine Eltern ließen mich wieder bei der Oma in Ostpreußen. Ein weiterer Angriff aus der Luft kündigte sich an. Meine Eltern mieteten sich in ein Hotel ein, da sie in unserem beschädigten Haus nicht wohnen konnten.

Bei diesem Angriff durch die Royal Air Force kamen nach Friedrichs Recherchen (S. 27) 430 Zivilisten in Stettin ums Leben. Der Angriff kam des nachts zum 17.08.1944 (am 20.07.1944 war das Attentat auf Hitler erfolgt), das Stettin durch die „vierfündige“ „perfekte Bombe“, die eine Sprengbombe, Mine war, und die gesamte Stadt als Brandruine zurückließ. Dadurch bekam unser Haus den Rest und war nicht mehr. Der Krieg war für das Nazi-Deutschland so gut wie verloren. In Ostpreußen flüchteten, trotz anfänglichem Verbot der Reichsregierung, auch meine Großeltern mit einer jüngeren Enkelin. Der Großvater war 89, die geliebte Oma 83 Jahre alt. Wir haben die Oma erst 1949 in Gelsenkirchen NRW wieder gesehen voll echtem Glauben an Christus, was außer mir die anderen überlebenden Verwandten ärgerte. Auf den Werdegang meines Vaters werde ich noch zurückkommen. Außer dem Besuch unseres zerstörten Hauses in Stettin vom 20./21. April 1943 war ich fast immer bei der Oma in Ostpreußen.

Im Herbst 1944 organisierte mein Vater eine kleine 1 ½ Zimmer Wohnung auf einem Bauernhof im pommerischen Pribbernow für meine Mutter und mich, alles durch fernmündliche Befehle meines Vaters. Wir haben ihn nicht in dieser ganzen Zeit zu Gesicht bekommen. Am Abend des 06.01.1945 sahen meine Mutter und ich von dem Dorf aus auf das ca. 60 km entfernte Stettin die „Weihnachtsbäume“ der Royal Air Force. So nannten wir die funkelnden Lichter der Angreifer über der Stadt. Dann folgten die Explosionen, die in dieser Nacht der Stadt Stettin mit den dort verbliebenen Menschen den Rest gaben. Es waren nur noch wenige Zivilisten in der Stadt. Trotzdem wurden noch 244 Menschen getötet. Wir waren beide sehr erschüttert und einsam. Meine Mutter war verbittert und konnte nicht beten. Ich erinnere mich auch an diese Situation und ich tat, was die Oma mich gelehrt hatte: „Wirf dein Vertrauen nicht weg, dass eine große Belohnung hat“ so steht das im Neuen Testament – und ich betete mit viel Angst im Nacken als fast 9-Jähriger. Ich musste meine Mutter trösten. Sie war zu verbittert, eingemauert, um vertrauensvoll beten zu können. Hatte sie doch viele Verbrechen des eigenen Volkes notwendig geheißen und mitgetragen. Wenn ihr die unzensierten Schilderungen ihrer im Osten kämpfenden Brüder mit den Standgerichten zu viel wurden, dann mauerte sie alle ihre Gefühle ein und wurde gefühllos durch Ignoranz. Die Bösen waren dann die Anderen, die Feinde, die ihr Haus und Heimat nahmen. Sie hatte keine Reue und deshalb auch kein Bedürfnis zur inneren Umkehr. Für viele erwachsene Deutsche gab es deshalb auch – sofern sie wenigstens einen Rest von biblischer Ethik anerkannten – keine Vergebung und Befreiung von Gott sondern nur Verbitterung und Versklavung durch weiter gelebten Hass gegen die Täter der Royal Air Force. Die Verbitterung lehrte sie doch, dass sie Opfer waren. Davon verstand der fast 9-jährige Junge nichts. Er wagte nur nicht mehr die Fragen nach befreiender Wahrheit zu stellen. Trotzdem erinnere ich mich, dass ich zwar traurig war, aber ich hatte in mir Hoffnung, was ich auch nicht erklären konnte und musste. Und noch etwas: Ich hatte keinen Hass in mir auf die feindlichen Flieger.

Die Wertung des Spiegel-Magazins mit dem Titel: „Schillerndes Ungeheuer“ (49/2002)

Der Spiegel berichtet zunächst, dass durch die Luftangriffe etwa 500.000 Zivilisten im Deutschen Reich getötet worden sind.

Er versucht das Für und Wider in den britischen Medien zu dieser Tötung von Zivilisten in Deutschlandsachlich zusammenzutragen.

Der Beginn der Luftangriffe auf Zivilisten begann von Deutschland aus 1940 auf Ziele von Wohnbezirken in London durch die deutsche Luftwaffe der Aktion „Blitz“. 60.000 britische Zivilisten kamen ums Leben. Die Auseinandersetzungen in den Medien und der Politik Großbritanniens beschäftigten sich nach dem Krieg mit der Frage, ob der Vergeltungs-Feldzug der Royal Air Force verhältnismäßig gewesen sei. Einige fügen hinzu, dass doch 44 % der Bomberbesatzung von der deutschen Flakabwehr abgeschossen wurden, um sich zu rechtfertigen.

Der britische Premier Churchill, der die Gesamtverantwortung trug, wird z. B. von der Labour Politikerin Mo Mocolam verteidigt: „Er musste ein Ungeheuer sein, um das Land, das er liebte, vor Hitler zu retten.“

Allerdings sagte der so gelobte Churchill nach den brennenden Städten in Deutschland: „Sind wir Bestien, gehen wir zu weit?“

Der Bischof von Chichester, Bell, sieht ebenso keine Verhältnismäßigkeit.

Nach der Zerstörung von Dresden im Februar 1945 distanzierte sich Churchill von den „Terrormaßnahmen der Royal Air Force“.

„Das Denkmal von Sir Arthur Harris (Bomber Harris) steht seit 1992 im Zentrum Londons, in Bronze gegossen. Der Bomberstratege wanderte verbittert aus, weil er nicht zum „Lord“ ernannt wurde, sondern nur zum „Sir“. Protestierende britische Pazifisten wendeten sich lautstark gegen diese Würdigung (zum Sir) des „Massenmörders“. Er soll 1943 in Hamburg 75.000 Kinder bewusst durch Bomben getötet haben.“ Auch sollen „noch im Mai 1945 (die Kapitulation war am 8. Mai 1945) alliierte Bomber im Tagesschnitt über 1.000 deutsche Zivilisten getötet haben.“ So im Jahre 2002 das Magazin „Spiegel“.

Das hatte auch dazu geführt, dass in der deutschen Bevölkerung die Kriegsverbrechen der Nazi-Diktatur relativiert wurden, weil die anderen ja auch …

2. Kapitel

„Vor dem Zusammenbruch wird das Herz des Menschen hochmütig, aber vor der Ehre kommt die Demut.“

Die Bibel, Sprüche 18,12

Der Vater und die nationalsozialistische Karriere

Bevor ich vom Erscheinen meines Vaters mit dem jungen Soldaten in Pribbernow berichte, gehe ich zurück zu den Anfängen der Entwicklung meines Vaters, der 1906 geboren und ein deutscher Patriot war, sich aber vom Kaiserreich nicht repräsentiert sah, wegen des „Versagens“ im 1. Weltkrieg. Er sah keinen Sinn mehr so weiter zu machen und verließ mit der 12. Klasse das Gymnasium, um sich denen anzuschließen, die die typischen deutschen Ideale des philosophischen Idealismus der damaligen Zeit vertraten, nämlich die Ausprägung der völkischen Utopie mit der zweckgebundenen Rationalität miteinander zu verbinden. Durch sein Elternhaus war ihm eine evangelisch-christliche Ethik fremd, ja übte auf ihn Schwäche aus und er verachtete sie. Er war mehr bei Wettbewerben auf den Sportplätzen zu finden – als Leichtathlet machte er das goldene Sportabzeichen, Schwimmer und Taucher – als das er Freude gehabt hätte für ein von ihm verachtetes „bürgerliches“ Studium, um eventuell als Beamter hinter dem Schreibtisch zu sitzen. Sein Vater war sehr bürgerlich gebildet, liebte die Musik, und gab Lesungen im Kreis der Freimaurer über die deutsche Philosophie. Mein Vater hasste alle die dort gepflegten Konventionen. Der Vater musste seinen Sohn zwingen, nach Abbruch der Schule, eine kaufmännische Ausbildung zu machen, natürlich in einem gehobenen Feinkostgeschäft und Weinhandel, in dem die Bildungselite der Freimaurer Brüder seines Vaters einkauften. Trotz der wirtschaftlichen Nöte in der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre ging es diesen Herren weiter gut. Ihre Havanna-Zigarren gingen nie aus. Als „Gegengeschenk“ für die Bereitschaft zur Lehre, bekam mein Vater ein sportliches Auto, womit er Straßenrennen fuhr. Bei einem dieser Straßenrennen von Danzig bis Warschau überschlug er sich und war eine Woche wegen einem Schädelbasisbruch im Koma. Ein jüdischer Arzt rettete ihn, was ich meinem Vater als junger Erwachsener immer in unseren Diskussionen vorwarf, wenn er seine Abneigung gegen Juden mal wieder loswerden musste. Man könnte nun anmerken, dass es unwichtige Kleinigkeiten sind darüber zu schreiben. Aber diese „Kleinigkeiten“ bildeten die Basis, dass er sein Leben ganz extrem, wie viele andere Deutsche auch, „an die Wand fuhr“, aus der Sicht seines Sohnes. Er konnte als Kriegsfreiwilliger im 2. Weltkrieg nicht Kampfflieger werden wegen der durch den Autounfall verursachten Halswirbelverletzung. Er stieg in noch Friedenszeiten sportlich um auf Motorrad Kunstfahren – und wurde so entdeckt von der späteren NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrzeug Korps) der sportliche Propagandazweig der SA. So wurde er bereits um 1926 Mitglied der späteren Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und geriet trotz vieler Warnungen in die völkische Armee der NSDAP. Er trat in die Reichswehr ein. Als Freiwilliger unter der Flagge der Nazis marschierte er als Obergefreiter der Wehrmacht am 01.10.1938 in die Tschechei ein. Ich kannte meinen Vater als Kleinkind kaum. Er feierte viel mit den Kameraden die Machtergreifung Hitlers von 1933. Mit Stolz trug er das goldene Parteiabzeichen. Nach dem Feldzug übernahm ihn die Wehrmacht 1939 in die Luftwaffe und bildete ihn aus zur Wachmannschaft für britische Gefangene in Barth/Ostsee. Meine Mutter und ich konnten für einige Zeit in seiner Nähe sein, weil wir dort eine Wohnung hatten. Die Partei wurde auf ihn aufmerksam und schickte ihn im Jahre 1941, mittlerweile als Unteroffizier, nach Nordafrika in die Rommel-Armee. Er gehörte dort zum Flieger Bodenpersonal. Die SS holte ihn und machte ihn zum Organisator der Organisation Todt (OT). Das war auch der Deckname bei eventueller Gefangennahme. Er hatte, von dem Auslandsgeheimdienst der SS, dem Sicherheitsdienst (SD), beauftragt, als guter Organisator dafür zu sorgen, dass die u. a. Ernährungs- und Waffentransporte aus Italien für die Afrika-Armee unter Rommel auch nach Tobruk und Tripolis ankamen. Die Mafia in Süditalien hatte auch Erfolg einige Transporte für sich zu rauben. Zur Überwachung gehörte auch, dass der SD, als Teil der Gestapo, der Sicherheitspolizei unterstand. Der oberste Chef bis zu seiner Tötung im Juni 1942 war Heydrich. Mein Vater stieg im Rang dort auf, er brachte den geforderten arischen Ahnennachweis und es wurde ihm der „Ehrendolch“ verliehen. Die evangelische Konfession musste er abgeben – sie bedeutete ihm ohnehin nichts – und er erhielt die Konfession: gottgläubig (ggl). Die Heiratsbewilligung mit meiner Mutter erhielt er nachträglich.

Von dem SD und der Gestapo, als Teil der Sicherheitspolizei hieß es: „Die Polizei ist Arzt des deutschen Volkskörpers.“

Im Jahr 1942 wurde er versetzt nach Sizilien, mittlerweile als Unter-Sturmführer der SS (im Offiziersrang). Er hatte die führende Aufgabe, die „ideologisch-unzuverlässigen“ italienischen Soldaten zu überwachen. Da er gut die italienische Sprache gelernt hatte, schulte er sie in der „NS-Weltanschauung“. Er war immer unterwegs auf der Suche nach weltanschaulichen Gegnern. Er und seine Untergebenen wurden „Braune Bomber“ genannt. Die Überwachungsdienste befanden sich vor allem in den Hafenstädten: Catania, Syrakus, Palermo, Marsala, Trapani.

Anfang April 1943 (Bombenangriff am 20./21.04. auf Stettin) kam ein Befehl nach Berlin zu kommen. Meine Mutter und ich wussten nichts davon wegen seiner Geheimhaltungspflicht. Er besuchte uns vor dem 21. April und musste nach zwei Tagen wieder weg. Der Vater nahm den nun stolzen kleinen Jungen mit im Dienstwagen nach Berlin zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in die Prinz-Albrecht-Str. 7 oder 8, als seine höchste Dienststelle. Er musste Kaltenbrunner – dem Nachfolger des getöteten Heydrich – der gerade dort war, Bericht erstatten. Er erhielt den Auftrag, den Theologen Dietrich Bonhoeffer am 05.04.1943 zu verhaften. Als 18-Jähriger habe ich mich besonders durch sein Buch „Nachfolge“ zu Jesus bekehrt. Im April 1945 wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. Wenn ich den Bericht so schreibe, kalt und sachlich, dann sollen Sie als Leser wissen, dass mein Herz dabei weint. Sie werden im Laufe dieser Arbeit auch erfahren, warum.

Ich berichte weiter von der Reise zum RSHA nach Berlin und über die stolze Reaktion von mir als 7-jährigem Jungen. Wir gingen zu Fuß vom Parkplatz in die Prinz-Albrecht-Str. zum RSHA. Es kam ein Trupp von Soldaten über den breiten Bürgersteig auf uns zu. Ängstlich fasste ich meinen Vati fester an die Hand und wollte ihn mit mir bewegen auf die Straße auszuweichen. Er hielt mich fest und ich durfte nicht. Warum? Wir blieben beide auf dem Bürgersteig stehen. Die Soldaten riefen: „Achtung“ und salutierten militärisch. Mein Vater grüßte militärisch zurück und die Soldaten gingen an uns vorbei. Ich wollte wissen, warum das so ablief. Der kleine Junge: „Vati, woher kennst du diese Soldaten?“ Vati: „Warum fragst du? Ich kenne sie nicht persönlich.“ Junge: „Sie haben dich aber gegrüßt.“ Vati: „Sie haben nicht mich gegrüßt, sondern mein Ehrenkleid.“

Der kleine Junge verstand nichts, wagte auch nicht weiter zu fragen. Er wurde bei der Vorzimmerdame abgegeben, bekam Spielzeug und musste sehr lange warten.

Als Erwachsener habe ich eine Strafe Gottes in den Bombenangriffen auch auf unser Haus gesehen. 1 Jahr später wurde es noch einmal so stark getroffen, dass nur noch Trümmer übrig blieben. Als kleiner Junge hatte ich auch die Frage: Warum hat uns Jesus nicht beschützt? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass alle anderen Häuser in der langen Johannes-Rickmers-Str. nicht getroffen worden waren.

Mein Vater musste wieder zurück nach Sizilien. Dieser Auftrag gehörte wohl mit zum Rapport bei seinem Chef Kaltenbrunner. Kurz vor der Landung der Alliierten auf Sizilien sprangen etwa um den 5. Juli 1943 acht britische Fallschirmjäger zu Erkundungen ab, die jedoch von der Wehrmacht gefangen und dem SD zum Verhör übergeben wurden. Mein Vater war bei den Verhören „tatkräftig“ dabei. Am Ende wurden die Fallschirmjäger erschossen.

Die Leser werden sicher fragen, woher weiß der Autor das alles? Eine von vielen Antworten ist, dass ein angeheirateter Onkel, mit Namen Werner, mir vieles erzählt hat, zu dem mein Vater ein Vertrauensverhältnis hatte, obwohl sie politisch und ideologisch Gegner waren. Eine weitere Frage könnte sein, warum ich diese geheimnisvolle Familiengeschichte so in die Öffentlichkeit bringe, das eigene Nest beschmutze? Erinnern Sie sich, es geht mir um die Suche nach Wahrheit und um Auflösung der vielen seelischen Folgen, die auch für uns als Abkömmlinge entstanden sind. Es geht ebenso um Befreiung von Schuld und darum das Gegenteil zu tun, damit die authentische Freiheit wieder Wirklichkeit werden kann. Die Antworten sind fundiert biblisch-neutestamentliches Gut.

Der Auftrag gegen die dänischen Juden (September 1943)

Mein Vater war wieder einmal längere Zeit fern von seiner kleinen Familie. Wir wussten nie genau, wo er war. Ein Spion ist immer ein Geheimnisträger. Nach dem Krieg erfuhr ich, dass das RSHA in Berlin ihn im September 1943 als Organisator von Juden Deportationen nach Dänemark beauftragt hatte. Zum Glück, so sage ich, wurde der Plan verraten, sodass die dänische Bevölkerung von den etwa 7.500 dänischen Juden etwa 7.000 retten konnte. 481 Juden wurden verhaftet. Meine Mutter sagte zu der Entsendung meines Vaters nach Dänemark, dass er wegen seiner Malaria-Erkrankung, die er seit Libyen/Afrika hatte, eine Kur in Dänemark machen würde, was die Unwahrheit war. Die deutsche Armee musste sich auch nach der Niederlage in Nordafrika aus Sizilien zurückziehen. Die Alliierten eroberten Süditalien. So wurde mein Vater im Dezember 1943 wieder nach Italien beordert, um eine erneute Organisation vorzunehmen, nämlich die Verhaftung der norditalienischen Juden. Der Waffenstillstand der Italiener mit den Alliierten am 8. September 1943 führte zu einer neuen Lage für die Deutschen durch den Verlust ihrer faschistischen Kameraden, so dass sie Rom am 10.09.1943 besetzten. Die Entsendung führte ihn nach Bologna, Verona, Brescia und Milano. Der SD und Polizeiführer von Rom, SS General Kappler, wurde sein höchster Vorgesetzter und ihm als einer seiner Adjutanten unterstellt. Die Judenverhaftungen wurden nun auch gegen die Italiener rücksichtsloser durchgeführt, ab ihrem Ausstieg nach September 1943. Von den 50.000 Juden Ober-Italiens sollten 7495 nach Ausschwitz zur Ermordung deportiert werden. Die vielen Proteste von italienischen Frauen hatten jedenfalls erreicht, dass „nur“ ca. 1.590 deportiert werden konnten.

Als Bevollmächtigter des SS Generals Kappler hat mein Vater als SS-Untersturmführer auch aus dem berüchtigten römischen Gefängnis „Regina Coeli“ 700 Juden deportiert. Als Adjutant von Kappler war er der Verbindungsoffizier zum Papst.

Der Massenmord vom 24.03.1944 in der Fosse Ardeatine bei Rom

Die Ermordung hatte eine Vorgeschichte. Bevor ich sie nacherzähle, zunächst über die Personen des Beauftragten vom SS General, dem SD und Polizeiführer von Rom, Kappler. Den Oberbefehl übergab er dem SS Hauptsturmführer Erich Priebke, der den Krieg überlebte und sich als nun 82-Jähriger vom Militärgericht in Rom im Jahr 1995 für das Massaker in der Fosse verantworten musste.

Mein Vater, der bereits 1956 verstorben ist, war der rangmäßig unter Priebke stehende Unter-Sturmführer und moralisch und faktisch ebenso verantwortlich für diesen erfolgten Massenmord.

Der für beide höchste Vorgesetzte war SS General Kappler. Dieser wurde bereits 1948 zu lebenslanger Haft in Italien verurteilt. Kappler entkam 1977 und lebte dann in der BRD. Ohne Zusammenarbeit beider staatlicher Dienststellen wäre das nicht möglich gewesen. Zur Flucht wurde er von seiner Ehefrau befreit und in ihrem Auto ohne Kontrolle in einem großen Koffer über die Grenze gebracht. Mein Vater lebte seit dem bis zu seinem Tode immer auf der Flucht. Angst vor Entdeckung war unser aller Begleiter. Weitere fünf Mitangeklagte des Massakers wurden 1948 freigesprochen. „Sie hätten unter Befehlsnotstand gehandelt.“ Mein Vater lebte zu dieser Zeit noch und ist nicht gefasst worden. Die Leiden und Beschränkungen auch für mich in meiner gesamten Entwicklung waren sehr bedrückend. Ich wurde immer mit der Schuld meines Vaters identifiziert. Wie ich als junger Mensch damit umgegangen und fertig geworden bin, wird noch in diesem Buch berichtet.

Nun zum Hergang und der Ausführung des Massakers als Antwort zum Mord von italienischen kommunistischen Partisanen: Am 23.03.1944 marschierte die II. Kompanie des III. Bataillons des Polizeiregiments Bozen in Rom in die Via Rasella ein. Lassen wir uns erinnern, dass bis zum Ende des 1. Weltkriegs 1918 Südtirol mit der Hauptstadt Trento (Trient) zu Österreich gehörte, dann durch Okkupation zu Italien kam und Österreich seit 1938 durch Hitler ins Deutsche Reich überführt wurde. So wurden die deutschsprachigen Südtiroler Deutsche durch ein Abkommen mit Mussolini: „Das Polizeiregiment Bozen gehörte zu den nach deutschem Wehrmachtsvorbild organisierten Verbänden.“ Für dieses Gebiet mussten, wie im übrigen Reichsgebiet, alle männlichen Personen von bestimmten Jahrgängen bis 1925 ihren Kriegsdienst ableisten. Für ihren „tapferen und erfolgreichen Einsatz wurden diese Polizeiregimenter vom Reichsführer der SS, Himmler, der der Chef der deutschen Polizei war, zu SS-Polizeiregimentern erhoben.“ Der Name, auch der tragischen Kompanie, erhielt den Namen SS-Polizeiregiment Bozen. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Bekämpfung von Partisanen.

Das war zum besseren Verständnis, kurz gefasst, die Vorgeschichte dieser tragischen Kompanie.

Nun der Tathergang: Die 156 Mann dieser II. Kompanie marschierten über die Via Rasella in Rom am 23. März 1944 hinauf zu ihrem Quartier. Diese Straße ist sehr schmal. Ein Straßenkehrer der Stadtreinigung von Rom kam ihnen mit einer Tonne für Abfall entgegen. In dieser Tonne befand sich versteckt eine geballte Ladung aus 18 kg Sprengstoff. Der „Straßenkehrer“ stellte plötzlich seine Karre ab und verschwand. Die Ladung ging hoch, als die Südtiroler Kompanie in der Höhe des Abfallkübels angelangt war. „Mehr als 50 Soldaten und Zivilisten lagen zum Teil zerrissen oder verletzt am Boden.“ 33 von ihnen starben. Alle weiteren Details sind noch zu lesen in dem Buch von E. Theil, Kampf um Italien, 1983. Diese 33 Südtiroler wurden jedoch die Basis der deutschen Rechtfertigung, dass 335 wehrlose italienische Geiseln von der SS ebenso grauenvoll, einen Tag später am 24.03.1944, in der Fosse Ardeatine bei Rom, erschossen wurden. Unter den Geiseln befanden sich 72 jüdische Römer. Sie wurden aus dem Gefängnis von „Regina Coeli“ geholt. Nach der „Haager Landkriegsordnung“ von 1907 und 1919 waren Geiselerschießungen „gesetzlich“ vorgesehen, wenn die Täter nicht zu ergreifen waren, im Verhältnis 1:10. Der Wehrmacht-Stadtkommandant von Rom, Wehrmachtsgeneral Mälzer, unterrichtete den Polizeiführer von Rom, SS-General Herbert Kappler, nach der Devise „Polizei ist betroffen, Polizei soll sühnen (der Anschlag galt dem Polizeiregiment Bozen). Die Durchführung der Vergeltungsmaßnahmen wurde somit dem SD, der Auslandsspionageabteilung übertragen. Hitler verlangte in seiner ersten Wut aus dem Führer-Hauptquartier in Rastenburg/Ostpreußen (Wolfschanze), dass für einen toten deutschen Soldaten 100 italienische Geiseln erschossen werden sollten. Nach Diskussion mit weiteren Generälen senkte Hitler die Zahl auf 1:50.

Generalfeldmarschall Kesselring, dem Ober-Kommandierenden für die Italienfront, gelang es, die Geiselerschießungen von 1:50 auf 1:20 zu senken. Am Ende wurde dann, nach vielem Hin und Her durch Hitler, auf 1:10 gesenkt. Das bedeutete, dass für die 33 getöteten deutschen Soldaten 330 Geiseln erschossen werden sollten. Zunächst von 1:100 bis 1:10, dem Endergebnis, wurde am Abend des 23. März in den Stäben bis kurz vor Mitternacht gerungen. SS General Kappler wurde befehligt, 330 Geiseln zu beschaffen.

Ob mein Vater als Unter-Sturmführer mit Priebke, dem Oberbefehlshaber des Exekutionskommandos, in diese Diskussionen der Generäle der Wehrmacht und der SS eingebunden waren, weiß ich nicht. Ich weiß allerdings, dass mein Vater mit den Wehrmachtsgenerälen Kesselring, dem Stadtkommandanten von Rom, Mälzer, in Eigenschaft als Unter-Sturmführer im SD, Adjutant vom SS General Kappler war und viele militärische verbindliche Befehle zu überbringen oder durchzuführen hatte. Viele der Geiseln „stammten zum Teil aus dem Gefängnis der SD in der Via Tasso in Rom, die als verdächtig am Ort des Attentats aufgegriffen, und aus Juden, die im Rahmen der antijüdischen Maßnahmen von den italienischen Faschisten festgenommen worden waren.“ Es fehlten immer noch 50 Geiseln. Der italienische Innenminister Guidi genehmigte dem Polizeidirektor von Rom, Angelo Caruso, die fehlenden 50 Geiseln zu suchen. Das geschah alles im Morgengrauen des 24. März 1944.

Bis 13:00 Uhr sollte Kappler die fehlenden 50 Namen erhalten. Von dem Büro des Polizeidirektors wurden 50 Namen aus den Akten des Gefängnisses durchgegeben, also aus einem regulären italienischen Gefängnis. Kappler schickte nun meinen Vater, „den Unter-Sturmführer mit Lastwagen nach Regina Coeli, um die Geiseln abzuholen. Nach längerem Warten betrat der Beauftragte (mein Vater) des deutschen Polizeichefs mit seinen Leuten das Gebäude und ließ sich die Zellentüren öffnen. Während die ersten Gefangenen im Begriff waren die Lastwagen zu besteigen, trafen endlich die Listen aus den Akten ein … Bei diesem unbeschreiblichen Durcheinander wurde anstatt der Angeforderten 50 Geiseln 55 weggebracht.“Statt der nach der Haager Landkriegsordnung juristisch „korrekten“ 330, wurden 335 Geiseln zur Hinrichtungsstelle zu den Tuffsteinhöhlen der Fosse Ardeatine gefahren. Es war der Freitag. „Das Massaker dauerte von 15:00 bis 20:00 Uhr. Dann wurde der Zugang zu den Kavernen mit einer Dynamitsprengung zum Einsturz gebracht.“

Mein Vater wurde befördert zum Ober-Sturmführer und von SS General Kappler per Flieger zur Berichterstattung zu Hitlers „Wolfschanze“ nach Rastenburg/Ostpreußen gesandt. Rastenburg liegt nur 20 km vom Heimatort meiner geliebten Oma entfernt. Ohne von den Vorgängen in Rom und von seinem Aufenthalt in der Wolfschanze zu wissen, fuhren wir mit dem Zug, meine Mutter und ich als 8-jähriger Junge, ein letztes Mal vor der Flucht Ende März 1944 in die Heimat meiner Mutter nach Rauschenwalde im Kreis Lötzen an den Masurischen Seen.

Wir kamen aus Camin/Po, wo wir einige Zeit bei dem erwähnten Onkel Werner und Familie untergekommen waren.

Onkel Werner war immer ein strammer Sozialdemokrat und mit meinem Vater politisch und ideologisch nie einig. Aber er war meinem Vater sehr dankbar, denn dieser hatte ihn vor seiner Hinrichtung wegen „Wehrkraftzersetzung“ gerettet. Was war geschehen? Onkel Werner war als Soldat in Russland. Seine Frau, die Tante Anni, bekam einmal in einem einzigen Jahr zwei Kinder, was auffiel. Als Soldat bekam er Sonderurlaub bei Geburt eines Kindes, in demselben Jahr auch ein zweites Mal. Aber zwei Kinder in einem Jahr von der gleichen Frau und keine Zwillinge? Da auch sonst seine politischen Überzeugungen nicht konform mit dem Regime waren, war das Urteil klar: Tod durch Erschießen. Mein Vater erfuhr davon, setzte seinen politisch, militärischen Einfluss ein und erreichte, dass Onkel Werner nur zu einer Strafkompanie versetzt wurde, und auch das Kriegsende überlebte. Diesem Onkel verdanke ich seit den 1960er Jahren viele Informationen über den Werdegang meines Vaters. Dieser Onkel hat auch 1947 unsere Familie frühzeitiger als andere aus dem Internierungslager in Dänemark herausholen können. Von diesen Verwandten, Werner und Anni aus Camin in Po, fuhr meine Mutter mit mir als 8-Jährigem per Zug Ende März 1944 nach Ostpreußen zur Oma. Wir kamen mit dem Zug bis Widminnen an und mussten die letzten 3 km zu Fuß nach Rauschenwalde gehen.

Plötzlich Flugzeuggeräusch. Der kleine Junge schrie: „Ein russischer Flieger.“ Er sprang in den Straßengraben, versteckte sich, indem er die Augen zu machte und betete. Seine Mutter sprang hinterher. Dann das angstmachende Rattern, das Feuer aus dem Maschinengewehr, das über die Straße und in die Gräben feuerte. Vor uns einige hundert Meter tote Rinder, die vom Flieger getötet worden waren. Uns war nichts passiert. Meine Mutter war stolz auf die lebensrettende, schnelle Reaktion ihres Jungen. Das waren bereits Ende März 1944 Kontrollflüge der Sowjets, ohne dass sie darin gehindert werden konnten. So kamen wir schreckensbleich zur Oma, wo uns mit Freude und Erstaunen – völlig unerwartet – der Vater empfing. Er ist wenige Tage vorher zur Berichterstattung beim „Führer“ gewesen in Rastenburg in der Wolfschanze. Dies hat er uns erst nach dem Krieg erzählt. Er erhielt Sonderurlaub für die Tragödie in der Fosse Ardeatine. Die Oma war wie immer fit und hatte weiterhin ein feines christlich geprägtes Gewissen.

Ich war als Kind sehr neugierig, wenn sich Erwachsene unterhielten. Ich wollte doch leben. Deshalb glaubte ich auch mit 8 Jahren, alles wissen zu müssen, um überleben zu können. Die Kindheit war ohnehin gestohlen, deshalb saß ich sogar manchmal heimlich unter einem größeren Esstisch, um alles Wichtige mitzubekommen. Heute muss ich auch meinen Vater sehr achten, dass er immer im Familien- und Freundeskreis politischen Widerspruch – auch ideologischen – duldete und schweigend nachdachte, aber nie als „braunen Bomber“ jemanden verraten hat. Die „braunen Bomber“ waren die SS Soldaten, die ideologisch nur A. Hitler eidlich verpflichtet waren und seine Befehle überzeugend durch Schulungen oder Gewalt durchzusetzen hatten; ähnlich wie auf der sowjetischen Seite die Polit-Kommissare.

Der neugierige 8-jährige Horst hielt einmal sein Ohr wieder an die Tür eines Zimmers, in dem der Vati sich mit der Oma unterhielt. Meine Mutter war mal wieder nicht dabei. Sie wollte nichts wissen, weil sie nach der Devise lebte: Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß. Das hieß: Wenn ich von den Verbrechen nichts gewusst habe, kann ich nicht zur Rechenschaft gezogen werden, auch von Gott nicht. Ein tragischer, großer Irrtum, denn der Geist des Nationalsozialismus saß fest in ihrer Seele; aber sie leugnete ihn. Kommen wir zurück zu dem belauschten Gespräch. Ich konnte meinen Vater durchs Schlüsselloch sehen, wie er sich die Tränen aus den Augen wischte.

Oma: „Heinz, du bist zu weit gegangen. Du hättest aussteigen müssen. Ich habe dich auch vor längerer Zeit gewarnt. Der Führer ist antichristlich. Er wird uns alle ins Unglück stürzen. Meine in Russland kämpfenden Söhne haben mir erzählt, dass sie für unsere Heimat als Patrioten kämpften und dabei die Zivilpersonen schonten, die als Dank uns sogar mit Brot versorgten. Und hinter uns kamen dann die Einsatzgruppen der SS und machten diese Unbewaffneten einfachen, meist älteren Bauern nieder und steckten ihre Hütten an.“

Vater Heinz: „Das weiß ich alles. Im Krieg dieser Art kam ich seit einiger Zeit in die Krise und habe kein Vertrauen mehr in die Führung; aber der Führer wird von seinen Generälen betrogen, er ist nicht schuld. Jetzt komme ich nicht mehr da heraus seit unserem Massaker in Rom. Es ist zu spät für mich. Ich will jetzt nur noch die Leni (meine Mutter) und Horst retten.“

Der noch kleine Junge schrie und heulte vor Entsetzen, so dass er vor der Tür entdeckt wurde. Die Oma schützte ihn, so dass ihm keine Ohrfeige erteilt werden konnte. Mein Vater nahm mich dann auf den Schoß und wir weinten beide. Aber ein deutscher Junge weint doch nicht und ein erwachsener harter Krieger? Der kleine Junge durfte dann noch seinem Vater sagen, dass er schon in der Kur in der Kurischen Nehrung gewusst hat, dass der Führer böse ist und erzählte seinem Vater die Geschichte mit beten unter der Decke versteckt. Draußen lag noch Schnee. Der Junge wurde warm angezogen und er ging gerne mit seinem Vater in den nahegelegenen Wald auf einen Hochsitz, um eventuell ein Reh oder sogar Hirsch zu beobachten oder zu schießen. Mein Vater konnte mit Waffen gut umgehen, denn er wurde als Scharfschütze ausgebildet, aber von der Seele eines Kindes wusste er nicht viel.

Er erwischte nur einen Fuchs, aber ich war deshalb unzufrieden, denn der Fuchs hatte doch nichts getan und konnte auch nicht gegessen werden. Wir gingen nicht zum toten Fuchs hin und ließen ihn einfach liegen.

Das war’s, die Sinnlosigkeit des Tötens und der Frust, der Hass gebiert und zur Todesorgie wird, in der sich der Mensch mit dem TOD vereinigt, den die Bibel Teufel nennt.

Im Übrigen ist der Dialog zwischen der Oma und Heinz von Erwachsenen aufgezeichnet worden, den beide bestätigt hatten. Der Kleine hat die Schwere des Gesprächs kaum verstanden.

Wenn die Frustration über meinen Vater hereinbrach, dann griff er zur Waffe und schoss. Am nächsten Tag vor seinem Abflug von Rastenburg (Wolfschanze) nach Rom ging er mit mir hinter den Viehstall, warf mehrere leere Blechkonserven in die Luft und schoss auf sie – und traf sie. Dann ging es ihm besser.

Am Abend war der Kleine auch seelisch erschöpft und er ließ sich nur von der Oma ins Bett bringen. Sie legte sich neben ihn und sie sang eines ihrer Lieblingslieder, in dem es in einer Strophe heißt: „In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind, es will die Augen schließen und glauben blind.“

Von der seelischen Spannung in meinem Vater habe ich erzählt. Als Kind in diesem Vorschulalter merkte ich an meinem Vater diese Widersprüche; aber weil ich ihn liebte, auch wegen seiner relativen Offenheit zu mir und auch wusste, dass er mich ebenso liebte, lernte ich stetig und mit zunehmender Reife nur seine Sünden zu hassen, um ihn weiter lieben zu können. Weder er noch ich hätten den anderen jemals verraten. Später merkte ich in der Jugendzeit, dass ich viele Gaben, gute und böse Eigenschaften von ihm geerbt hatte. Der Unterschied bestand nur darin, dass ich die bösen Eigenschaften nie tat, weil ich sie nicht wollte und mich zur Ausübung verweigerte, während mein Vater sie wollte und sie, bedingt durch die Vernetzung mit dem völkischen Zeitgeist, auch ausführte. Mein Gewissen, als Warnungsinstanz, wurde offensichtlich sehr geprägt durch den lebensschaffenden Glauben an Jesus durch meine Oma. Mein Vater übersprang aus Rebellion alle Warnungen seiner Schwiegermutter, die anders als seine eigene Mutter sein Gewissen wachzuhalten und bemüht war, es mit Sehnsucht zum Erlöser Jesus zu füllen. Das gelang nicht, weil mein Vater eine neue Welt schaffen wollte, ein Tausendjähriges Reich – übrigens ein endzeitlich biblischer Begriff, ohne Gott in Jesus, durch ein völkisches Deutschland als Weltführer einer befriedeten Welt: Adolf Hitler als Messias Erlöser. Meine Mutter liebte ich auch, aber weniger. Sie lag mir nicht, allein deshalb, weil sie nicht bereit war, über die Vergangenheit zu reflektieren. Sie lehrte mich immer: „Du musst vergessen, sonst kannst du nicht weiterleben.“ Mein Vater als Spion musste seine Aufträge quasi vergessen, eine neue Identität annehmen und alles Vorherige in für andere unerreichte tiefe Keller vergraben. Er hielt es jedoch nicht durch als Diener des Abgottes Hitler. Er begab sich in tödliche Gefahren und erzählte einigen wenigen Erwachsenen von seinen Zweifeln ab 1943 den Krieg zu gewinnen. Ich, als Kind, spürte immer seine persönliche Gewissensnot. Wenn es aber zum befreienden Durchbruch hätte kommen können, waren Trotz und Rebellion die brutalen Führer und Sklavenhalter, die Totschläger seines unterdrückten Gewissens. Ich lernte dann spätestens als Jugendlicher, dass „vergessen“ eigentlich verdrängen bedeutet und man die Herrschaft über sein Ich damit dem Machthaber des Bösen überlassen hat, der seine Beute vergrößern kann durch Hinzufügung weiteren Unrechts, das Folgen hervorbringt. So kann keine Heilung des seelischen Zerbruchs geschehen.

Als Kind ahnte ich, als reifer Erwachsener weiß ich, dass „vergessen“ kein neues Leben schaffen kann. Den schwerwiegenden Sünden und ihren Folgen entkommst du so nie. Sich dagegen „erinnern“, sich widersetzen diesem größten humanistischen, hier: völkischen, Betrug, ist ein Weg in eine neue Zukunft. Wenn dann noch zum Erinnern, Einsicht zur eigenen Mitschuld sich entwickeln kann und Umkehrwilligkeit signalisiert wird, kann neues Leben durch gereinigte Maßstäbe wieder entstehen.

Da ich als Kind bereits immer die Wahrheit als Basis-Elixier für Leben wahrgenommen habe, bohrte ich solange, bis ich am Ende alles belastende, auch erbliche „Material“, aus Sündenfolgen im Laufe der Zeit verbannen konnte. Ein Ergebnis zu meinem Weg war jedenfalls, dass ich nie verbittert wurde, was leider bei meiner Mutter nicht der Fall war. Wie die Leser noch erfahren werden, hätte es für mich viele Gründe gegeben, verbittert zu werden, Depressionen zu haben oder ein ominöses „burn out“ zu bekommen.

Die gespaltene Persönlichkeit in Gut und Böse

Ich erzähle noch einige Begebenheiten, die die psychische Spaltung der Seele meines Vaters verdeutlichen, die vor allem durch das Einsmachen mit dieser perversen völkischen Ideologie entstanden sind.

Noch im Krieg, wenn wir uns wiedersahen zwischen seinen Aufträgen, fragte ich ihn z. B. auch als 8-Jähriger: „Vati, wie kann man so einfach Menschen töten, geht das denn?“ Antwort: „Das kannst du nur, wenn du selbst in deinem Inneren den Tod empfangen hast.“ Darauf konnte der kleine Junge nichts mehr sagen. Jahrzehnte später, in meiner Arbeit gegen esoterische Kulte, fand ich diesen abscheulichen Gedanken bei diesen Okkultisten wieder und bekämpfte ihre Praktiker noch mehr. Der kleine Junge von damals wollte leben und die Wahrheit finden, deshalb hasste er den Tod. Leben und Tod sind wie Feuer und Wasser zueinander. Da ich in diesen Vierzigerjahren vom Tod bedroht war, gab der kleine Junge seine eigenen Botschaften an die Erwachsenen. Der Kleine fing an, sich für eine Puppe zu interessieren. Er pflegte sie spielerisch, wie es eigentlich vor allen Dingen Mütter tun. Wenn allerdings ein Junge aus der Nachbarschaft ihn dafür hänselte mit „Mädchen, Mädchen“-Rufen, dann konnte er sehr wütend werden und auch zuschlagen. Die Burg mit den Soldaten und Panzern, die die Burg einnehmen sollten, schenkte er ausgerechnet einem Mädchen aus der Nachbarschaft, das lieber Krieg spielte als er. Der Familienkrach danach wurde so gelöst, dass meine Eltern, mein Vater war gerade wieder zu Hause, zu einem Psychiater mit mir gingen, um ihn zu befragen, ob ich wohl noch gesund sei.

Nach dem Krieg haben dies meine Eltern oft erzählt. Mein völkischer, überzeugter Nazi-Vater war so überrascht vom Arzt zu hören, dass nach seiner Beurteilung der Kleine ganz gesund sei, ein bisschen zu vorlaut und zu kritisch zu Erwachsenen. Er habe nur eine für ein Kind sehr ausgeprägte soziale Ader. „Lassen sie ihm Zeit. Er wird sicher noch ein echter deutscher Junge werden.“ Wie ich von meinem Vater hörte, war dieser Arzt auch noch Parteimitglied in der NSDAP. Mein Vater hatte mich jedenfalls nicht geschlagen. Wie ich auch erst nach dem Krieg erfuhr, war ich zum 10. Lebensjahr vorgesehen, ins Internat auf die Wewelsburg/NRW zu kommen, um dort die Schulabschlüsse zu machen, um als „hoher Führer der SS“ ausgebildet zu werden. Ich war auch noch leider am 20. April, am Geburtstag des „Führers“, geboren. Wie mein Vater später sagte, hat er mich deshalb nicht bestraft, weil er selbst schon Zweifel über diesen Weg „der neuen Weltordnung“ hatte. Mein Vater erzählte öfter von einem Erlebnis als Soldat auf Sizilien. Das war die Zeit der Zweifel. Die Offiziere von Wehrmacht und SS saßen beim Abendessen und Umtrunk im Offiziers-Casino. Wie immer, wurde viel Wein getrunken. Etwas schwankend verließ mein Vater mit einem Kameraden das Casino. Sie kamen an einem Katholischen Corpus Cruzifixus vorbei. Sein Kamerad wollte seine Walther-Pistole ziehen. Mein Vater konnte ihn nicht davon abhalten auf das Kreuz zu zielen. Er schoss auf den Kopf und in die Herzgegend und fluchte gegen den christlichen Erlöser. Hatte sich doch der Nationalsozialismus angemaßt, für Deutschland und die ganze Welt „Erlöser“ zu werden. Mein Vater, wie er sagte, war auch aus pietätsvollen Gründen, sowie aus politisch taktischen Gründen dagegen zu schießen wegen den noch mit den Deutschen verbundenen italienischen Kriegskameraden, um sie nicht zu verprellen. Jedenfalls ging die Sache so aus, dass dieser „Revolverheld“ zwei Tage später erschossen aufgefunden wurde mit den gleichen Todeswunden, die er dem imaginären Christus zugefügt hatte. Meine kritische Frage an meinen Vater war als Jugendlicher: „War das nicht nachdenkenswert, wie auch dein jugendlicher Autounfall und danach die Rettung durch einen jüdischen Arzt?“ Mein Vater wollte darauf nicht antworten. So erhielt er auch hier eine Chance zur Umkehr. Seine verspätete Antwort war dann, dass er den Irrtum seines Glaubens erkannt habe, und dass es zu spät sei umzukehren. Er sei zu tief verstrickt gewesen.

3. Kapitel

„So werft nun eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat!“

Die Bibel, Hebräer 10,35

Die Flucht

Anfang Januar 1945, an einem grimmig kalten Wintertag hält ein PKW Opel P 4 in unserer Bleibe in Pribbernow an, und mein Vater, immer noch sportlich, springt mit einem jungen Mann heraus. Mein Vater, in verdreckter Uniform eines SS Obersturmführers, der junge Mann, Angehöriger der Waffen SS. Meine Mutter bringt die beiden noch in weitere Zimmer des Bauernhofes unter. Die beiden Männer laden aus: ein frisch geschlachtetes Schwein, das sie auf ihrem Rückzug in einem verlassenen Bauernhof gefunden haben. Es wurde von meinem Vater getötet, ausgeblutet und zum Teil zerlegt. Nur die brauchbaren Teile wurden mitgenommen. Kleintierschlachtung hatte mein Vater in seiner Ausbildung in dem Feinkostgeschäft gelernt. Das kam uns zugute, die wir alle sehr ausgehungert waren. Meine Mutter hatte die ganze Nacht die besten Stücke vom Schwein weiter zerlegt und sie gebraten, während die beiden Männer mit ihrer Reinigung, nebst der Reinigung ihrer Uniformen beschäftigt waren. Spät in der Nacht, während für mich ein Schlafplatz im leeren Viehstall zurechtgemacht wurde, eröffnete mein Vater meiner Mutter, dass wir im Laufe des kommenden Vormittags unbedingt Richtung Nord-Westen über Swinemünde und der Insel Rügen flüchten müssen. Zum Schlafen war nun für die drei Erwachsenen keine Zeit. Nach der Brataktion der Kottelets und nachdem sich alle satt gegessen hatten, wurden diese ins Auto verladen, Mein Vater erzählte den Rest der Nacht die Geschichte seiner Flucht mit dem jungen Soldaten, während ich zu meinem Schlafplatz gebracht wurde und eingeschlafen bin.

Mein Vater erzählte meiner Mutter:

„Ich wurde im Spätherbst 1944 als Kompaniechef einer SS-Einsatzgruppe nach Schneidemühl in Pommern versetzt. Gleich wurde ich mit einer für mich sehr schweren Belastung konfrontiert. Ich musste aus diesem demoralisierten Haufen der Waffen SS, die ihren SS-Führer durch Tod verloren hatten, wieder eine nach militärischen Regeln kämpfende Kampftruppe formen. Es war aber keine Zeit dafür da, diese zu disziplinieren. Sie brachten mir bei meinem Eintreffen zwei gefangene polnische Männer, die von deutschen Frauen denunziert worden waren, sie vergewaltigt zu haben. Wegen der Eile und der Angst im Nacken habe ich das Urteil für die beiden Männer gesprochen: Erschießen, was auch dann geschah.“

In den 1950er Jahren habe ich als 14-15-Jähriger mit meinem Vater darüber diskutiert, während er einen depressiven „Anfall“ bekam. Er sagte, dass er sich Vorwürfe mache, dass er die beiden polnischen Männer überhaupt nicht befragt habe. Später habe er auf der Flucht mit dem jungen Soldaten aus der Einheit der Waffen SS erfahren, dass mehrere Soldaten seiner Kompanie die deutschen Frauen vergewaltigt hätten. Damit waren die polnischen Männer unschuldig hingerichtet worden. Die objektive Eile erzeugte aber Angst. So lösten sich die Reste von kleinen Einheiten auf, denn sie hatten kräftemäßig den überlegenen Sowjetarmisten gegenüber, die nur wenige Kilometer entfernt lagen, keine Chance.

Diese Angst löste, wie so oft auch bei meinem Vater, überschnelle Reaktionen aus, wie hier in dieser Situation. Ich habe mich sehr oft gefragt, wie viele Male war so eine übereilte Reaktion die Triebfeder für das verbrecherische Handeln meines Vaters?

Das Gewissen als Warnsignal funktionierte nicht mehr. Der innewohnende Tod hatte es in seiner Hand. Die angeklagten Menschen waren nur noch lästig, und wenn dann diese noch entsetzte Gefühle zeigten, weil sie unschuldig waren, dann schoss man eben schneller.

Wir erinnern uns: „Den Tod kann man nur geben, wenn man ihn vorher in seiner Seele schon empfangen hatte.“

Mein Vater gab dann den Auflösungsbefehl zur Flucht, was er eigentlich nicht durfte. Die meisten Soldaten, auch er, waren desillusioniert und wollten nur noch sich selbst retten. Mein Vater verletzte den Eid auf Hitler als „Brauner Bomber“ wissentlich; denn entsprechend seines Eides als einer der Statthalter der nationalsozialistischen Ideologie, hätte er auch für sich das Todesurteil sprechen müssen: „Feigheit vor dem Feind“. Diese Gedanken hatte mein Vater, wie er mir in unseren Diskussionen später sagte. Er hätte dann nur noch an mich gedacht. „Die Sowjets dürfen unter keinen Umständen meine Frau und meinen Sohn in die Hand bekommen. Als Angehörige eines ’Braunen SS-Bombers’ würden sie abgeschlachtet.“ So erzählte es mein Vater, und ich konnte es ihm glauben – bis heute.

Die Leser mögen fragen: Wie ereignete sich der Rückzug, die Flucht meines Vaters mit dem jungen Soldaten, der Wilfried hieß und sehr an Zuckerkrankheit litt? Ich erzähle diesen Teil aus meiner Erinnerung weiter: