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Ulrich Berls

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Beschreibung

Die CSU steht vor einer großen Schicksalswende. Es geht um alles oder nichts – in München wie in Berlin. Die Opposition ist keine Option, will Seehofers Partei bun-despolitisch weiter eine Rolle spielen. Doch Siegesgewissheit sieht anders aus: Immer wieder stolpert die CSU über Pannen, Krisen und Affären.

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Ulrich Berls

Bayern weg, alles weg

Warum die CSU zum Regieren verdammt ist

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Einführung: Der wankende Riese1. Kapitel: Franz Josef Strauß und die Zwerge – Die CSU auf dem Weg zum NormalmaßÜberlebensgroßDas große kleine LandProfiteur der deutschen TeilungBayern auf und davonDie CSU beinahe als Zünglein an der WaageDie CSU und die DDRSchwache CDU, starke CSUKrise der VolksparteienHoch hinaus: Die gefährlichen Triumphe des Edmund StoiberErster Akt: AbgehobenZweiter Akt: DaheimgebliebenDritter Akt: AufgelaufenMit dem Tandem Richtung AbgrundStoibers langer AbschiedSeifenoperSelbstprovinzialisierungKlein-KleinAusgeradeltWer bleibt?2. Kapitel: Eiche im Sturm oder Blatt im Wind? Horst Seehofer und seine ÄraAuf Umwegen in die StaatskanzleiVon untenNach BonnDer Herr BundesministerOpposition und andere MisslichkeitenComebackIm BananenministeriumPapa eiskaltDoch noch MünchenDas Prinzip Seehofer: Beweglich oder beliebig?Ausstieg vom Ausstieg aus dem AusstiegZu viele rote Linien»Angéla«»Das können Sie alles senden!«Ein Glühwürmchen: K.-T.Der Aufsteiger von obenVerpufft3. Kapitel: Der Gamsbart auf Facebook – Ist die CSU noch zeitgemäß?Von Kronprinzen und -prinzessinnenKaderschmiede JUUde, Aiwanger und die anderenDie SPDDie Freien WählerDie GrünenDie FDPGlobalisierung und Südstaaten-SeparatismusKonservativBayern könnte es auch alleinAuch das noch: Innerbayerischer Föderalismus»Wo bleibt die Revolution?«Fazit: Die CSU am Ende – oder am Ende doch wieder CSU?Quellen und LiteraturDankNachbemerkung
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Einführung: Der wankende Riese

Die CSU ist das politische Unikum unseres Landes. Und sie ist ganz zweifelsfrei die erfolgreichste Partei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1957 regiert sie ununterbrochen den Freistaat Bayern, fast immer sogar mit absoluter Mehrheit. Auch bundespolitisch ist die CSU eine feste Größe: Errechnet man den Durchschnitt aller bisherigen siebzehn Bundestagswahlen, dann kommt die CSU auf überragende 52,2 Prozent. Keine andere Partei hat Ähnliches geschafft.

Wahlergebnisse von dauerhafter Opulenz. Ebenso üppig waren dann allerdings auch die Verluste bei der Landtagswahl 2008: Um sage und schreibe 17,3 Prozent rauschte die Partei gegenüber der vorherigen Landtagswahl des Jahres 2003 in den Keller. Aber was heißt hier schon »Keller«? Sie lag mit diesem Ergebnis ja immer noch bei 43,4 Prozent. Um den stabilen Restbestand eines solchen »Fiaskos« dürfte nahezu jede andere demokratische Partei in Europa die CSU beneiden. Ausnahmslos alle Direktmandate hatte die CSU gewonnen, kein einziger Wahlkreis ging bei diesem von allen Kommentatoren doch als »historisch« apostrophierten Absturz verloren. Eine Partei von offenbar unverwüstlicher Substanz.

Innerhalb von wenigen Tagen entmachtete die Partei die Wahlverlierer, die unglückliche Doppelspitze, die Ministerpräsident Beckstein und Parteivorsitzender Huber ein Jahr lang gebildet hatten. Mit Horst Seehofer stand sofort ein politisches Schwergewicht parat, das beide Funktionen übernehmen konnte. Langes Personalgezerre blieb der CSU letztlich erspart. Kurzum, die Partei schien in der Stunde der Bewährung doch ziemlich krisenfest. Mit der FDP wurde notgedrungen, aber gleichwohl rasch eine Koalition gebildet. Die Bayerische Staatskanzlei und nahezu alle Schlüsselressorts blieben fest in CSU-Hand, nur im Wirtschafts- und im Wissenschaftsministerium mussten CSU-Minister für FDP-Nachfolger ihre Schreibtische räumen. Jede andere Partei, die zweistellige Niederlagen bei Wahlen einstecken muss, verschwindet in der Opposition – nicht so die CSU.

Hinzu kommt: Die Strukturen der Partei wirken bis heute intakt. Wie alle Volksparteien beklagt zwar auch die CSU seit Jahren einen Mitgliederschwund. Doch bei diesem Rückgang verhält es sich ganz ähnlich wie bei den Wahlverlusten: Das Ausgangsniveau ist so hoch, das Polster so dick, dass von einer ernsthaften Mitgliederkrise partout nicht die Rede sein kann. Die CSU hat derzeit rund 150000 Mitglieder. Eine stolze Zahl, wenn man bedenkt, dass man CSU-Mitglied nur in Bayern werden kann und dass im Freistaat lediglich 12,5 der insgesamt 82 Millionen Einwohner Deutschlands leben. Die CDU, in die man in allen restlichen Bundesländern eintreten kann (die beiden Schwesterparteien haben sich auf das sogenannte Wohnortprinzip geeinigt), hat augenblicklich etwa 480000 Parteibücher vergeben. Genauso viele sind es bei der SPD, die in der ganzen Republik Mitglieder aufnimmt. Das heißt, in relativen Zahlen ist die CSU mit riesigem Abstand die mitgliederstärkste Partei Deutschlands. Obwohl sie nur regional antritt, hat sie sogar deutlich mehr Mitglieder als die beiden Bundesparteien FDP und Die Grünen zusammengenommen.

Die notorischen Nachwuchssorgen, über die viele politische Parteien klagen, sind bei der CSU eher unbekannt. Die »U 50« der CSU kann sich sehen lassen: Im Europaparlament und im Bundestag sitzen etliche jüngere Abgeordnete mit Profil und Potenzial. Als Horst Seehofer bei seinem Amtsantritt 2008 das bayerische Kabinett radikal verjüngte, hinterließ das zwar Narben bei verdienten Ministerinnen und Ministern, die keine Lust auf Vorruhestand hatten; aber große Mühe, die Posten mit geeigneten Nachwuchspolitikern aus dem Landtag zu besetzen, hatte Seehofer nicht.

Ein erster Blick auf die Christlich Soziale Union führt zu dem Befund: Solche Sorgen möchte man haben!

Kraftstrotzende Symbolik findet sich schließlich in einem weiteren vielsagenden Detail: Auch das Emblem der CSU ist anders als das aller anderen deutschen Parlaments-Parteien. Die Partei-Logos von SPD, CDU und FDP reduzieren sich auf eine graphische Gestaltung der schieren Buchstaben. Die Grünen haben eine Sonnenblume, das traditionelle Signet der Kernkraftgegner, hinter dem Parteinamen abgebildet. Die Piratenpartei deutet ein Segelschiff an, was an die Schrecken der Meere erinnern und den Anspruch der Piratenpartei als Schrecken der Parlamente evozieren soll. Kein deutsches Parteilogo ist freilich so unverfroren wie das der CSU – sie kopiert ganz einfach Teile des bayerischen Staatswappens und setzt Raute und Löwe neben die Initialen ihres Namens. Die Botschaft ist ganz unzweideutig: CSU und Bayern, das ist eins.

Man kann diese Gleichsetzung von Partei und Staat als anmaßend, ja undemokratisch deuten. In der Symbolik des Parteiwappens steckt jedoch auch eine letztlich bittere Wahrheit: Das Logo zeigt nämlich zugleich, ohne Bayern kann die CSU nicht existieren. Der Freistaat ist ihre Basis, wohlgemerkt: ihre einzige Basis. Edmund Stoiber hat oft an die alte CSU-Weisheit erinnert: »Bundestagswahlen sind die Kür, Landtagswahlen die Pflicht.« Dieser Satz gilt im Doppelwahljahr 2013 für die CSU mehr denn je.

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag sind der CSU selbstverständlich nicht unwichtig, sie legt ja immer größten Wert darauf, mehr als eine Regionalpartei zu sein, und natürlich will man in Berlin mitregieren. Aber wie die CSU im Bund abschneidet, entscheidet nicht über ihr Schicksal. Immerhin schon zwanzig Jahre in der bundespolitischen Opposition (1969 bis 1982 und 1998 bis 2005) hat sie völlig unbeschadet überstanden. Bei einer Bundestagswahl geht es, auch wenn das im Wahlkampfgebrüll vergangener Jahrzehnte oft anders klang, für die CSU niemals um alles oder nichts. Selbst die Fünf-Prozent-Hürde, die sie bisher immer locker übersprang, müsste sie in einem besonders schlechten Wahljahr nicht fürchten, denn aufgrund ihrer vielen Direktmandate würde es auch dann reichen, um in Berlin mit dabei zu sein.

»Opposition ist Mist«, heißt die zu einiger Berühmtheit gelangte Sentenz von Franz Müntefering über die Rolle der Bundes-SPD. »Opposition ist Mord« kann das nur für die CSU heißen. Wenn es zum Wesen einer Volkspartei gehört, dass sie strukturell regierungsfähig sein muss, dann gilt in einer parlamentarischen Demokratie der logische Umkehrschluss: Sie muss prinzipiell auch oppositionsfähig sein. Doch das ist die CSU in Bayern nicht. Auch in dieser Hinsicht ist sie ein Unikum des deutschen Parteiensystems.

Wenn die CSU die Regierungsmacht in München verlöre, wäre das wohl der Anfang von ihrem Ende. Ohne die Machtbasis im großen und starken Bayern ist diese so übermächtig scheinende Partei nämlich ein Nichts. Stellen wir uns einen Moment lang folgendes Szenario vor: Die CSU rutscht bei der kommenden Landtagswahl nochmals um ein, zwei Prozent ab (mehr müssten es arithmetisch gar nicht sein) und von den anderen Parteien geht niemand mit ihr zusammen, sondern diese verständigen sich auf eine wie auch immer geartete »Servus-CSU-Koalition«, dann stünde die ehemalige Staatspartei splitternackt da. Die jahrzehntealte Verflechtung mit Verbänden und Interessengruppen, ihre enge Vernetzung nicht nur mit staatlichen Institutionen, sondern auch im vorpolitischen Raum würden zwangsläufig brüchig, wenn die CSU keine landespolitischen Entscheidungen mehr durchsetzen könnte und bei der Vergabe von Posten jedweden Einfluss verlöre.

Doch – ist das nicht bei jeder Wahl so, wo liegt denn der Unterschied zu CDU oder SPD? Wenn die beiden anderen Volksparteien eine Bastion verlieren, gehen nicht automatisch alle Lichter aus. Als die SPD zum Beispiel nach vier Jahrzehnten Dauerregierung 2005 Nordrhein-Westfalen verlor oder die CDU nach einem halben Jahrhundert 2011 sogar ihre Festung Baden-Württemberg, waren das katastrophale Zäsuren für die Landesverbände, aber keine Existenzkrisen für die nationalen Gesamtparteien. SPD und CDU sind nun mal keine Regionalorganisationen, diese Parteien ruhen auf vielen Fundamenten, eine Regeneration nach Niederlagen ist aus diversen Richtungen möglich. Die Ein-Land-Partei CSU hat hingegen nur ein einziges Fundament, das aus ihrer Sicht unter gar keinen Umständen wegbrechen darf: Bayern.

Auch die Berliner Situation wäre in unserem Szenario mehr als schwierig: Völlig stimmenlos im Bundesrat wäre die CSU auf ihre drei bis vier Dutzend Bundestagsabgeordneten reduziert, die in ständigem Clinch mit einer Staatsregierung im dann wahrlich fernen München lägen. Die Medien würden sich um den ehemaligen Kraftprotz aus Bayern nicht mehr viel scheren. Die Stimme des CSU-Vorsitzenden: ein Votum des südostdeutschen Wählervereins. Diese Art von Rest-CSU geriete im Nu zu einem traurigen Veteranen der Politik, auf den niemand mehr recht hören würde. Die politischen Gegner würden, wo immer es ginge, die alte Übermacht, die ganz Deutschland jahrzehntelang mit ihrem hosenträgerschnalzenden Selbstbewusstsein genervt hat, der Lächerlichkeit preisgeben. Die Provinz-Nische, in die die CSU-Kontrahenten die Partei heute schon gerne zu schieben versuchen, wäre dann wohl tatsächlich erreicht – was für ein kläglicher Standort. Dass zusätzlich zu alldem auch parteiinterne Diadochenkämpfe ausbrechen würden, wenn die Partei auf Landesebene gerade mal noch die Pöstchen des Fraktionsvorsitzenden und des Landtagspräsidenten zu vergeben hätte, muss angenommen werden. Wer sollte dann verhindern, dass die Partei nicht im Chaos versinken würde?

Es spricht einiges dagegen, dass es bereits 2013 zu der hier skizzierten Situation kommt, gleichwohl ist das Szenario nicht völlig an den Haaren herbeigezogen: 17 Prozent Verlust waren es beim letzten Mal, jetzt nochmals ein paar wenige Pünktchen abwärts, und aus ist’s.

Im Übrigen sollte sich die CSU nichts vormachen: Die Trennung der Union in fünfzehn CDU-Verbände und einen CSU-Verband wird heute schon bei einem Großteil der nichtbayerischen Bevölkerung der Bundesrepublik als Anachronismus, als folkloristisches Relikt in unserer globalisierten Welt empfunden. Wenn weder ein Jahrhundertereignis wie die deutsche Teilung noch ein Mythos wie die D-Mark Ewigkeitscharakter hatten, warum denn dann dieser Partei-Sonderling zwischen Spessart und Karwendel?

Auch auf die Geschwisterliebe der CDU ist nicht ewig Verlass, sie hält nur so lange, wie dieser seltsame, oft schwierige weiß-blaue Familienspross am Südrand der Republik überdurchschnittlich viele Stimmen für das Gesamtergebnis der Union liefern kann. Dass jedoch, wenn’s darauf ankäme, ein sechzehnter Landesverband der CDU im Nu gegründet und die Teilung der Unionsfamilie leicht zu beenden wäre, verdrängen viele in der CSU allzu gerne.

Zum Auftakt des Doppelwahljahrs 2013 bei den beiden traditionellen Klausurtagungen der Landesgruppe im Deutschen Bundestag und der Landtagsfraktion berauschte sich die CSU an Umfragen, die 46 oder 47, wenn nicht gar 48 Prozent für die Landtagswahl prognostizierten, was wohl zu einer Rückkehr in die Alleinregierung reichen könnte. Die Parteispitze signalisierte, was alle Parteiführungen vor Wahlkampagnen verbreiten müssen: Optimismus und Aufbruchsstimmung. Nur motivierte Mitglieder und Helfer nehmen die Mühen eines Wahlkampfes auf sich. Dabei können Horst Seehofer und die Seinen doch nicht vergessen haben: Ähnliche Umfragezahlen gab es vor der letzten Landtagswahl auch! Im Mai 2008 waren bespielweise 48 Prozent gemessen worden. Ein solches Ergebnis, bei dem die CSU heute jubelt, wurde damals noch als Katastrophenzahl gewertet.

Nun gut – was soll denn passieren? Bayern blüht doch, es ist die Lokomotive an der Spitze des deutschen Zugs, kein anderes Bundesland kann eine solch brillante Erfolgsbilanz vorweisen. Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer hat Anlass genug, demonstratives Selbstbewusstsein zur Schau zu tragen. Und dennoch – seine Gelassenheit ist gespielt: Dass der Urnengang 2013 in Wahrheit eine Alles-oder-nichts-Wahl für die CSU ist, hat er längst verraten. Wenn er von der Landtagswahl in Bayern spricht, dann sagt er, das werde »Die Mutter aller Schlachten«. Ein seltsam schiefes Sprachbild, denn genau das war die orientalisch-blumige Parole, die der irakische Diktator Saddam Hussein 1991 zu Beginn des Zweiten Golfkrieges ausgegeben hatte. Und für Hussein endete diese Schlacht bekanntlich nach kurzer Frist in einem gewaltigen militärischen Debakel. Es muss wohl der pazifistischen Grundierung der SPD und der Grünen in Bayern geschuldet sein, dass sie bisher noch nicht genüsslich ausgeweidet haben, was für eine gigantische Niederlage hinter der Assoziation von der »Mutter aller Schlachten« eigentlich steht.

Nun – Metaphern sind bekanntlich Glückssache. Seehofers martialische Wortwahl zeigt aber vielleicht doch den wahren Ernst der Lage. Man muss nicht in Bayern leben, und man muss die CSU auch nicht mögen, um sich für die Zukunft dieser Partei zu interessieren. Sie war in sechs Jahrzehnten Bundesrepublik stets eine systemrelevante Partei. Franz Josef Strauß, Theo Waigel und Edmund Stoiber sind als prägende Politikerpersönlichkeiten in Erinnerung – nicht nur im Freistaat. Die Integrationskraft der CSU im Lager der demokratischen Rechten war weit über Bayern hinaus ein womöglich niemals ausreichend gewürdigter Segen für ganz Deutschland.

Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit, lernt man im Fach Staatsbürgerkunde in den ersten Unterrichtsstunden. Doch den demokratischen Normalzustand, als Partei auch einmal in die Opposition zu gehen, kann sich die CSU einfach nicht leisten. Wenn sie ihr bayerisches Fundament verlieren sollte, kräht kein Hahn mehr nach ihr. Nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie dann das Schicksal der einst von ihr an den Rand gedrängten Bayernpartei teilen müsste. Auch möglich wäre, dass die CDU-Parteizentrale in Berlin in einem solchen Fall den exotischen bayerischen Verhältnissen rasch ein Ende bereiten würde. Die CSU ist aktuell so bedroht wie selten zuvor. Und es ist nicht ganz klar, ob sie sich dessen wirklich bewusst ist.

Kommunalwahlen, Bundestagswahlen, Europawahlen kann die CSU verlieren, das tut weh, geht aber nie an die Substanz. Bei bayerischen Landtagswahlen ist sie jedoch in einer äußerst kuriosen Position: Sie ist zum Regieren verdammt!

Im folgenden Streifzug soll beleuchtet werden, wie die Chancen stehen, dass sie Bayern weiter dominiert. Wir wollen erkunden, wann dem bayerischen Löwen die ersten Zähne gezogen wurden. Gibt es womöglich ein weiß-blaues Paradoxon: Wird ausgerechnet das erfolgreichste deutsche Land von einer Partei im Niedergang geführt?

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1. Kapitel: Franz Josef Strauß und die Zwerge – Die CSU auf dem Weg zum Normalmaß

Überlebensgroß

Berlin, Samstag, der 24. Oktober 2009, halb elf Uhr in der Früh, Bundespressekonferenz. Viel mehr als eine Mütze voll Schlaf hatte Horst Seehofer nicht gehabt diese Nacht. Und dann das: Guido Westerwelle thront in der Mitte des Podiums, links von ihm sitzt Angela Merkel, rechts nimmt der CSU-Vorsitzende Platz. Der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung steht.

Westerwelle spricht, er ist euphorisiert, etwas überdreht. Seine Stimme droht zu kippen. Seehofer hebt gerade sein Wasserglas Richtung Mund, da donnert ihm Westerwelles Hand auf den Rücken. Beinahe verschluckt sich Seehofer. »Um 2 Uhr 12 waren wir mit der Arbeit fertig«, schäkert Westerwelle, »seit 2 Uhr 15 sagen wir Horst und Guido zueinander.« Damit nicht genug, das unvermeidliche Film-Zitat aus Casablanca setzt Westerwelle noch obendrauf: »Das ist der Beginn einer großen Freundschaft.«

Selten ist Gedankenlesen so einfach wie in dieser Szene. Seehofer lacht ein bisschen mit, so unentspannt hat man ihn freilich selten gesehen. Ausgerechnet er, der Sozialpolitiker, der Mann, der sich nicht ärgert, wenn man ihn den letzten wahren Sozialdemokraten Bayerns nennt, muss sich jetzt von der Speerspitze des deutschen Neoliberalismus, von diesem Westerwelle, von diesem »Sensibelchen«, wie er ihn im Wahlkampf genannt hatte, auf die Schulter klopfen lassen. Die FDP hat bei der Wahl mehr als doppelt so viele Bundestagsmandate wie die CSU erzielt. Und die Christsozialen enttäuschen mit nur 42,5 Prozent schon wieder völlig. Eine FDP-Fraktion doppelt so groß wie die CSU-Landesgruppe, das hatte es noch nie gegeben. Gerade einmal sieben Jahre ist es her, dass die CSU noch elf Bundestagsabgeordnete mehr zu bieten hatte als die FDP.

Doch Horst Seehofer ärgert nicht nur das Triumphgebaren des FDP-Mannes neben ihm. Diese Koalitionsverhandlungen insgesamt waren nicht so gelaufen, wie ihm das lieb gewesen wäre. Zu Hause in München hatte die Staatskanzlei seit Monaten seine erste große Auslandsreise als Ministerpräsident vorbereitet. Mitte November hätte es nach China gehen sollen. Das wurde alles kurzfristig abgesagt. »Ich habe so viele Koalitionsverhandlungen in meinem Leben mitgemacht«, hatte Seehofer Münchner Journalisten erzählt, »ich weiß genau: Was man vor Beginn einer Regierung nicht sorgfältig aushandelt und detailliert in den Koalitionsvertrag reinschreibt, sorgt dann eine Legislaturperiode lang für Streit und Ärger.« Im Nachhinein besehen, keine ganz falsche Analyse. »Und wenn wir bis Weihnachten tagen, das muss gründlich sein, deshalb habe ich meine Chinareise verschoben.«

Doch dann verhandeln sie nur neunzehn Tage. Westerwelle zieht es wohl schnell ins Amt. Aber vor allem die Kanzlerin drückt aufs Tempo. Sie will den Rücken frei haben, die Euro-Krise drängt, viele außenpolitische Termine stehen an, sie meint, nur als wiedergewählte Regierungschefin kann sie mit Überzeugungskraft bei internationalen Konferenzen auftreten. Auch den neuen Finanzminister will sie in diesen komplizierten Zeiten so rasch wie möglich vereidigt sehen. Schnell ist also der Koalitionsvertrag fertig, einhundertvierundzwanzig Seiten. Am Rande der Bundespressekonferenz witzelt Seehofer, glücklicherweise sei er nicht geflogen, sondern fahre mit dem Auto zurück nach Bayern, da habe er reichlich Zeit: »Da kann ich das endlich mal lesen«, sagt er – sogar in offene Mikrofone. Er lächelt seinen Frust beiseite, die 42,5 Prozent CSU-Stimmen in Bayern waren umgerechnet auf den Bund nur jämmerliche 6,5 Prozent, das zweitschlechteste Bundestags-Wahlergebnis aller Zeiten für die CSU. Westerwelles FDP kam auf 14,6 Prozent, das beste Resultat ihrer Parteigeschichte. Doch nicht nur das: Auch die Linke und die Grünen haben mehr Sitze im Berliner Reichstag. Die bittere Wahrheit lautet: Die CSU ist die kleinste Partei im Deutschen Bundestag.

***

Ist das jetzt ihre normale Dimension? Wie groß ist dieses Bayern eigentlich wirklich? Wieso maßt sich ein Gliedstaat der Nation mit einer eigenen Partei eine Sonderrolle an? Man hat nicht den Eindruck, dass dies Fragen sind, mit denen sich die CSU selber beschäftigen würde: Deutsche Wiedervereinigung, Europäischer Einigungsprozess, Globalisierung – wenn der 1988 verstorbene Franz Josef Strauß morgen zurückkäme, er würde diese Welt kaum wiedererkennen. Vor allem die Wiedervereinigung hat die Parteien-Tektonik in Deutschland verändert. Genau genommen, ist die CSU von den vier Altparteien der Bonner Republik der Hauptverlierer der Entwicklung von 1989/90 gewesen.

Da die CSU sich immer als die Vorkämpferin der Deutschen Einheit verstanden hat, wollte kaum jemand in der Partei erkennen, dass die Wiedervereinigung vielleicht auch negative Begleiterscheinungen haben könnte. Im neuen deutschen Maßstab schrumpfte Bayern nun mal, ein kommender Bedeutungsverlust hätte antizipiert werden können. Die Zahlen sprachen doch eine nüchterne Sprache: Bayern wurde ein Bundesland unter sechzehn Ländern und war nicht mehr eines von elf. Die Bayern stellten fortan nicht mehr ein Fünftel, sondern nur noch ein Siebtel der deutschen Bevölkerung. Bayern wurde einfach deutlich kleiner im vereinten Deutschland. Das Ganze blieb freilich jahrelang weitgehend unbeachtet von der CSU, weil zwei Sonderentwicklungen die simplen geographischen und demographischen Wahrheiten verdeckt haben:

Erstens, der bayerische Wirtschaftsboom war eine Erfolgsstory ohnegleichen, das faktische Schrumpfen Bayerns innerhalb der neuen Bundesrepublik wurde ökonomisch glanzvoll verhüllt. Nicht die Verzwergung des Freistaats in den 1990er und frühen 2000er Jahren war das Thema, sondern das Gegenteil: Bayerns endgültiger Aufstieg zum ökonomischen Riesen.

Zweitens führte die Existenzkrise, in die die Schwesterpartei CDU mit der Parteispenden-Affäre 1999 geriet, die unbelastete CSU in die Situation, vorübergehend die Führung der Union übernehmen zu müssen. Einige Jahre lang wackelte der Unions-Schwanz also mit dem Hund. Erst als der CSU-Kanzlerkandidat 2002 scheiterte und sich die neue CDU-Parteichefin freigeschwommen hatte, normalisierte sich das Kräfteverhältnis, und die große CDU sagte der kleinen CSU wieder, wo es langgeht.

Der wirtschaftliche Erfolg und die zeitweilige Dominanz in der Union haben eine realistische Selbsteinschätzung länger behindert. Das richtige Gefühl für die eigene Größe und das wahre Gewicht in der neuen Bundesrepublik wollte sich nie recht einstellen in der CSU. Deshalb trafen die beiden Wahlschlappen 2008 im Land und 2009 im Bund weite Teile der verwöhnten Partei vollkommen unvorbereitet. Hätte die bayerische Erfolgsgeschichte nicht die Köpfe benebelt, dann hätte in der CSU früher und intensiver eine Diskussion beginnen können, die in den beiden anderen Volksparteien SPD und CDU längst geführt wurde: Alle deutschen Volksparteien erodieren. Die »Krise der Volksparteien« ist keine politikwissenschaftliche Seminarweisheit, sondern äußerst konkrete Realität – sogar für die exzeptionelle Volkspartei in Bayern.

Das große kleine Land

Rudolf Augstein, der wohl größte Gegner, den die CSU je hatte, erinnerte 1988 in einem filmischen Nachruf für Spiegel-TV anlässlich des Todes von Franz Josef Strauß daran, dass »dieses katholische, bäuerliche Land am Rande der Alpen« das »einzige traditionell gewachsene föderative Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland« ist.

In der Tat: Bayern, in seinem heutigen Zuschnitt von Napoleon vor mehr als zweihundert Jahren geschaffen, in seinem Kernbestand weit über tausend Jahre alt, unterscheidet sich von den vielen Bindestrich-Ländern der Bundesrepublik – diesen Erfindungen am Kartentisch der Alliierten – durch ein gewachsenes Traditionsbewusstsein. In mancherlei Hinsicht hätte Bayern in der Zeit der Bismarckschen Einigungspolitik wohl besser zu Österreich gepasst als zu Preußen. Auch ein selbständiger Weg als Mittelmacht wäre zumindest theoretisch denkbar gewesen. Der eigene historische Gravitationspunkt ist ein erstes und bis heute zentrales Merkmal, warum Bayern »anders« ist als andere deutsche Länder.

Bayern unterscheidet sich auch durch seine Ausdehnung: Das mit Abstand weiträumigste Bundesland ist flächenmäßig für mitteleuropäische Maßstäbe eine richtig große Region: Von Berchtesgaden nach Aschaffenburg sind es über fünfhundert Kilometer. Bayreuth liegt näher an Berlin als am bayerischen Lindau. Bayern ist mit seinen 70000 Quadratkilometern flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie Nordrhein-Westfalen.

Der Aufstieg Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt von ganz unten. Noch 1957 befanden sich unter den vierunddreißig ärmsten Landkreisen der Bundesrepublik zweiunddreißig in Bayern. Aufgrund einer glücklichen Mischung aus positiven Einflüssen von außen, aber auch richtiger Landespolitik zu Hause schafft Bayern einen rasanten Aufstieg, den der Historiker Hans Woller so zusammenfasst: »Wir hatten von 1949 bis 1973 einen weltweiten wirtschaftlichen Boom. Hinzu kam eine moderne Politik der Staatsregierung sowie eine großzügige Hilfe von außen: Das waren die Marshall-Gelder und ein außergewöhnliches Engagement des Bundes in Bayern, wie die Zonenrand-Förderung, Zuschüsse für den Straßenbau, vor allem aber für den Ausbau von Hochschulen.«[1] Es flossen Milliarden nach Bayern, und mit dieser Hilfe konnte sich der agrarisch geprägte Freistaat zum Industrieland wandeln. Die Regierung unter Alfons Goppel, der mit sechzehnjähriger Dienstzeit den Rekord unter Bayerns Ministerpräsidenten hält, verstetigte den Trend. Als Franz Josef Strauß 1978 Goppel aus der Staatskanzlei verdrängte, löste er weitere wirtschaftspolitische Schübe aus. Die Förderung der Luft- und Raumfahrtindustrie durch Strauß steht dafür pars pro toto. Das junge Industrieland Bayern begann sich teilweise abzukoppeln von den ökonomischen Trends anderswo in Deutschland. Gemessen am Ballast, den zum Beispiel alte Kohle-, Stahl- oder Werftregionen mit sich trugen, konnte Bayern viel unbeschwerter nach vorne preschen.

Profiteur der deutschen Teilung

Auch die deutsche Teilung nützte Bayern. Das Beispiel der beiden heutigen Weltkonzerne Siemens und Allianz steht für viele andere. Der amerikanische Sektor galt in den unberechenbaren Nachkriegsjahren als der sicherste Standort. Siemens und Allianz verlegten ihren Sitz weg von Berlin nach München. Der Elektronik-Riese und der Versicherungs-Gigant wurden als Arbeitgeber und Steuerzahler rasch zum bayerischen »Pfund«. Franz Josef Strauß betont in seinen Memoiren, was für ein Glücksfall der Umzug von Siemens und Allianz gewesen sei, eine Chance, für die sich, so betont er ausdrücklich, seine CSU nicht die Federn an den Hut stecken dürfe.

In Ermangelung einer echten deutschen Metropole rutschte München zunehmend in die Rolle der »heimlichen Hauptstadt«. Dabei spielte die Industrie nur eine Nebenrolle, es war eher die Kultur- und Medienszene, die das neue München-Bild prägten: Die Stadt an der Isar stieg auf zum zweitgrößten Buchverlagsstandort der Welt und zum deutschen Film- und Fernsehzentrum.

In den Münchner Musikstudios produzierten die Top-Bands der internationalen Popszene ihre Platten. Die alte Residenzstadt durchlief einen radikalen Imagewechsel: München wurde »jung«, die vielen Hochschulen lockten Studierende an, und 1972 schließlich traf sich auch noch die Jugend der Welt zu betont modernen Olympischen Spielen. Ob ökonomisch oder kulturell, Bayern schien nur eine Richtung zu kennen: aufwärts.

Als es 1990 zur Wiedervereinigung kam, gab es etliche Propheten, die voraussagten, so wie Bayern einst von der deutschen Teilung profitiert habe, so werde es jetzt unter der Wiedervereinigung leiden und die Zeche zahlen müssen. Zum Beispiel könnten sich doch nach 1945 eingewanderte Firmen wie etwa Siemens und Allianz auf ihre Berliner Wurzeln besinnen und den Freistaat wieder verlassen, was einer ökonomischen Katastrophe gleichkäme. In einer siebzehnseitigen Story malte der Spiegel1991 den Niedergang Münchens an die Wand: »An keiner anderen Stadt, außer Bonn, wird die Sogwirkung Berlins so zehren wie gerade an München.« Auch die heimische Abendzeitung stieß in dieses Horn: »Das Münchner Kindl ängstigt sich sehr.«

Bayern auf und davon

Nichts davon ist eingetroffen, weder für München noch für Bayern. Natürlich hat München seinen Status als »heimliche Hauptstadt« eingebüßt, aber seitdem die Deutschen wieder eine echte Hauptstadt haben, brauchen sie ja auch keine Ersatz-Kapitale mehr. Es gab und gibt einen Berlin-Drain vor allem in der Kulturszene. München bleibt bedeutend als Metropole von internationalem Rang im Bereich der Klassischen Musik, als Stadt mit einer, gemessen an ihrer Größe, stupenden Museums-Dichte. Auch werden weiterhin in keinem anderen Medienstandort noch mehr Filme und Fernsehserien gedreht als in München und seinem fotogenen Umland. Trotzdem – wirklich »hip« ist München derzeit nicht mehr.

Am ökonomischen Erfolg der Stadt ändert das so gut wie nichts. Als Wirtschafts-, Forschungs- und Wissenschaftsstandort ist München attraktiver denn je. Alleine in den Forschungslabors von Siemens werden pro Arbeitstag vierzig neue Patente angemeldet. Sechs der DAX-30