Behind his Eyes & One crazy Week - Claire Kingsley - E-Book

Behind his Eyes & One crazy Week E-Book

Claire Kingsley

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Beschreibung

Roman 1 und 2 der großen Jetty-Beach-Reihe in einem E-Book!

Behind his Eyes.

Manche Wunden kann nur die Liebe heilen.

Ich hätte nie gedacht, dass Nicole Prescott jemals wieder nach Jetty Beach und in mein Leben zurückkehren würde. Nun ist sie hier – und sie ist schöner denn je. Früher hat sie mich nicht wahrgenommen, aber jetzt sieht sie mich mit anderen Augen. Sieht den starken, durchtrainierten Kerl, den ich allen vorspiele. Wie es in mir aussieht, das lasse ich mir nicht anmerken. Immer wieder überfällt mich Dunkelheit und droht mir die Luft zu nehmen. Immer wieder wird mir klar, dass ich niemals werde vergessen können. Immer wieder wird mir klar, dass ich niemals wieder jemanden in mein Leben lassen werde. Darum bin ich der absolut falsche Typ für Nicole. Mich auf sie einzulassen, wäre der größte Fehler, den ich machen könnte … 


One crazy Week.

Es bedeutete nichts, wirklich …

Nur, weil ich allein in einer Bar sitze lasse ich mich nicht von jedem dahergelaufenen Typen anquatschen. Auch wenn er absolut heiß aussieht. In seinem schicken Anzug und mit seinem umwerfenden Lächeln. So erstaunt wie er ist, scheint er nicht oft einen Korb zu bekommen. Kein Wunder, stellt sich doch heraus, dass er Jackson Bennett ist – Milliardär, charmant, gutaussehend und ein absoluter Playboy. Was Jackson Bennett will, das bekommt er auch. Und er macht mir ein Angebot, das mehr als verlockend klingt: Eine Woche nur wir zwei. Keine Bedingungen. Keine Erwartungen. Nur ein paar verrückte Tage, wie ich sie wohl nie wieder erleben werde. Mal ehrlich – was soll schon passieren? Unsere beiden Welten sind so verschieden, da ist Verlieben komplett ausgeschlossen …



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Informationen zum Buch

Band 1 und 2 der großen Jetty Beach reihe in einem E-Book!

Behind his Eyes.

Manche Wunden kann nur die Liebe heilen.

Ich hätte nie gedacht, dass Nicole Prescott jemals wieder nach Jetty Beach und in mein Leben zurückkehren würde. Nun ist sie hier – und sie ist schöner denn je. Früher hat sie mich nicht wahrgenommen, aber jetzt sieht sie mich mit anderen Augen. Sieht den starken, durchtrainierten Kerl, den ich allen vorspiele. Wie es in mir aussieht, das lasse ich mir nicht anmerken. Immer wieder überfällt mich Dunkelheit und droht mir die Luft zu nehmen. Immer wieder wird mir klar, dass ich niemals werde vergessen können. Immer wieder wird mir klar, dass ich niemals wieder jemanden in mein Leben lassen werde. Darum bin ich der absolut falsche Typ für Nicole. Mich auf sie einzulassen, wäre der größte Fehler, den ich machen könnte … 

One crazy Week.

Es bedeutete nichts, wirklich …

Nur, weil ich allein in einer Bar sitze lasse ich mich nicht von jedem dahergelaufenen Typen anquatschen. Auch wenn er absolut heiß aussieht. In seinem schicken Anzug und mit seinem umwerfenden Lächeln. So erstaunt wie er ist, scheint er nicht oft einen Korb zu bekommen. Kein Wunder, stellt sich doch heraus, dass er Jackson Bennett ist – Milliardär, charmant, gutaussehend und ein absoluter Playboy. Was Jackson Bennett will, das bekommt er auch. Und er macht mir ein Angebot, das mehr als verlockend klingt: Eine Woche nur wir zwei. Keine Bedingungen. Keine Erwartungen. Nur ein paar verrückte Tage, wie ich sie wohl nie wieder erleben werde. Mal ehrlich – was soll schon passieren? Unsere beiden Welten sind so verschieden, da ist Verlieben komplett ausgeschlossen …

Über Claire Kingsley

Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen. Ein Leben ohne Kaffee, E-Reader und neu erfundene Geschichten ist für sie nicht vorstellbar. Claire Kingsley lebt mit ihrer Familie im pazifischen Nordwesten der USA.

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Claire Kinglsey

Behind his Eyes & One crazy Week

Band 1 und 2 der großen Jetty Beach Reihe in einem E-Book!

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

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Behind his Eyes

Kapitel 1: Nicole

Kapitel 2: Nicole

Kapitel 3: Ryan

Kapitel 4: Nicole

Kapitel 5: Ryan

Kapitel 6: Nicole

Kapitel 7: Nicole

Kapitel 8: Ryan

Kapitel 9: Nicole

Kapitel 10: Nicole

Kapitel 11: Ryan

Kapitel 12: Nicole

Kapitel 13: Ryan

Kapitel 14: Nicole

Kapitel 15: Ryan

Kapitel 16: Ryan

Kapitel 17: Nicole

Kapitel 18: Ryan

Kapitel 19: Ryan

Kapitel 20: Nicole

Kapitel 21: Nicole

Kapitel 22: Ryan

Kapitel 23: Nicole

Kapitel 24: Nicole

Kapitel 25: Ryan

Kapitel 26: Nicole

Epilog: Nicole

Nachwort

One Crazy Week

Kapitel 1: Melissa

Kapitel 2: Jackson

Kapitel 3: Melissa

Kapitel 4: Jackson

Kapitel 5: Melissa

Kapitel 6: Melissa

Kapitel 7: Melissa

Kapitel 8: Jackson

Kapitel 9: Melissa

Kapitel 10: Jackson

Kapitel 11: Melissa

Kapitel 12: Melissa

Kapitel 13: Jackson

Kapitel 14: Melissa

Kapitel 15: Jackson

Kapitel 16: Melissa

Kapitel 17: Jackson

Kapitel 18: Jackson

Kapitel 19: Melissa

Kapitel 20: Melissa

Kapitel 21: Jackson

Kapitel 22: Jackson

Kapitel 23: Melissa

Kapitel 24: Melissa

Kapitel 25: Jackson

Kapitel 26: Melissa

Kapitel 27: Jackson

Kapitel 28: Melissa

Epilog: Melissa

Nachwort

Impressum

Claire Kinglsey

Behind his Eyes

Übersetzt von Cécile Lecaux aus dem amerikanischen Englisch

Kapitel 1 Nicole

Als mir bewusst wird, dass ich betrunken bin, ist es bereits zu spät.

»Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?«, nuschele ich und lehne den Kopf an Melissas Schulter. Melissa ist seit ewigen Zeiten meine beste Freundin. Am Kühlschrank meiner Mom hängt heute noch ein verblichenes Kinderfoto von uns beiden in den gleichen T-Shirts mit Farbklecks-Motiv und neonrosa Radlerhosen mit lächerlich abstehenden Zöpfen.

»Ich weiß, Baby«, entgegnet Melissa und tätschelt meine Hand wie eine Mutter, die ihrem Kind gut zuredet, ins Bett zu gehen.

Die Bedienung kommt an unseren Tisch, ein fröhliches Lächeln auf dem Gesicht. »Kann ich den Ladys noch etwas Gutes tun?«

»Du bist ein Schatz«, sage ich. »War ich nicht dein Babysitter, als du noch ein Dreikäsehoch warst?« Ich strecke die Hand in Kopfhöhe eines Kleinkindes aus und muss feststellen, dass es mir unglaublich schwerfällt, sie ruhig zu halten. »Du bist ja so hübsch geworden.«

»Okay, ich denke, es ist Zeit für die Rechnung«, meint Melissa seufzend und schiebt das Glas mit dem Rest meines Mojitos ans andere Tischende.

»Hey!«

Die Bedienung nickt und geht wieder.

»Du hast mir meinen Drink weggenommen«, beschwere ich mich und lasse mich auf der Bank in unserer Nische zurücksinken. »Was machen wir überhaupt hier? Ich hasse dieses Lokal.«

Ich habe, als ich auf der Highschool war, zwei Sommer im Porthole Inn gejobbt. Was soll dieser Name überhaupt bedeuten? Wie die meisten Lokale in Jetty Beach ist es im maritimen Stil dekoriert. Taue und alte Schiffsruder hängen an den holzvertäfelten Wänden, die meisten Lampen sind alte Laternen, und beim Eintreten werden die Gäste als Erstes von einem ausgeblichenen Rettungsring begrüßt.

»Wenn du den Laden so sehr hasst, warum hast du ihn dann vorgeschlagen?«, sagt Melissa und spielt am Reißverschluss ihres Hoodies. Sie trägt Destroyed-Jeans, ein schwarzes Tanktop, eine lässige Kapuzenjacke um die schmalen Schultern und an den Füßen vermutlich Flipflops. Trotzdem sieht sie umwerfend aus. Melissa sieht immer umwerfend aus, ganz egal, was sie anhat.

»Warum bist du so schön?«, frage ich.

»Du bist betrunken.«

»Gar nicht.«

»Oh doch«, widerspricht sie. »Wenn du betrunken bist, erzählst du immer allen, wie schön sie sind.«

»Tue ich gar nicht.« Natürlich hat sie recht, das tue ich tatsächlich. »Warum bist du eigentlich nicht betrunken? Ich sollte nicht allein betrunken sein.«

»Du solltest gar nicht betrunken sein«, entgegnet sie. »Was soll ich nur deinen Eltern sagen?«

Ich pruste los, und ein Speichelregen geht auf den Tisch nieder. Aus einem unerfindlichen Grund, der auf den Rum zurückzuführen sein muss, finde ich das urkomisch. Ich schlage eine Hand vor den Mund und kämpfe gegen einen Lachflash an.

»Wenigstens hast du jetzt bessere Laune«, stellt Melissa fest.

»Ich bin immer gut gelaunt.«

Melissa grummelt etwas Unverständliches. Okay, das stimmt so nicht ganz. Ich war in letzter Zeit furchtbar schlecht drauf. Aber kann man mir das verdenken? Ich bin zurück in dem Kaff, in dem ich aufgewachsen bin. Schlimmer noch – ich wohne mit siebenundzwanzig wieder bei meinen Eltern. Entgegen den Gerüchten ist meine Generation keineswegs scharf darauf, sich ewig und drei Tage von Mommy und Daddy durchfüttern zu lassen. Ich bin eine selbstständige Frau. Ich habe mir anderswo ein Leben aufgebaut. Ich bin viel rumgekommen. Bis …

Mir entfährt ein Schluchzen, und die von zu vielen Mojitos künstlich erzeugte gute Laune ist schlagartig verflogen, als mich die niederschmetternde Wahrheit wieder einholt.

»Hey, Süße«, sagt Melissa tröstend und streichelt mir den Rücken.

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sie von ihrem Platz mir gegenüber aufgestanden ist und sich neben mich gesetzt hat.

»Was soll ich nur tun, Melissa?«, frage ich zwischen zwei Atemzügen. »Das ist das Schlimmste, was mir je passiert ist.«

»Also, ich für meinen Teil denke, dass es wahrscheinlich das Beste ist, was dir je passiert ist«, kontert sie. »Das hast du nur noch nicht realisiert.«

»Unmöglich«, lalle ich. Ich lasse mich nach vorn sinken und lege den Kopf auf den Tisch.

Für mich fühlt es sich an, als wäre meine ganze Welt in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Vor einer Woche habe ich noch im Büro an meinem Schreibtisch überlegt, was mein Freund Jason und ich am Freitagabend anstellen könnten. Und nur wenige Stunden später habe ich ihn zu Hause mit einer anderen im Bett erwischt. Die Frau war nackt. Splitterfasernackt. Und sie saß auf ihm.

Ich bin so deprimiert, dass ich es an manchen Tagen kaum von der Couch schaffe. Melissa hat mich heute förmlich ins Bad geschleift, damit ich dusche und mich zurechtmache, weil sie meinte, ich müsse mal raus. In Anbetracht der Tatsache, dass ich mich bei meinen Eltern verkrochen habe, hat sie vermutlich recht. Aber jetzt sitze ich an einem Tisch im blöden Porthole Inn, wo Jason und ich fast immer vor dem Ausgehen gegessen haben, als wir noch auf der Highschool waren, und mir geht langsam auf, dass das eine ziemlich bescheuerte Idee war.

Mein Magen rebelliert, und plötzlich bereue ich auch die fünf Mojitos, die ich in mich hineingeschüttet habe. Oder waren es sechs? Keine Ahnung.

»Jason ist ein Vollhonk«, sagt Melissa. »Der notgeile Arsch soll in der Hölle verrotten.«

Ich setze mich wieder auf und wische mir mit dem Handrücken unter der Nase lang. »Dieses Riesenarschloch.«

»Allerdings«, gibt Melissa mir recht. »Braves Mädchen.«

Ich schniefe noch einmal und trinke einen Schluck Wasser. Ich hatte geglaubt, Jason sei die Liebe meines Lebens. Alles schien perfekt. Er war der heiße Footballspieler, hinter dem alle her waren, aber er hatte sich für mich entschieden. Wir waren zwei Jahre zusammen, als er das Footballstipendium in Linfield bekommen hatte. Das war zwar nur ein kleines College und dazu noch in Oregon, doch Jason und ich waren füreinander bestimmt, und so hatte ich beschlossen, ihn dorthin zu begleiten. Jason schien sich über meinen Entschluss zu freuen. Wir hatten damals viel Spaß zusammen. Wir gingen viel aus und besuchten das College. Nach dem Studium hatte ich eigentlich mit einem Antrag gerechnet. War das nicht so üblich? Highschool, College, Karriere, Heiraten? Er bekam eine Stelle bei einem großen Versicherungsunternehmen in Seattle, und ich war froh über die Rückkehr nach Washington. Ich fing bei einer Event- und PR-Agentur an, wir nahmen uns eine Wohnung in der Stadt, und alles war gut. Sicher, er war manchmal etwas übellaunig, und wir haben auch öfter gestritten, aber ich dachte, es läge daran, dass er den Football vermisse. Der Übergang vom Studentenleben ins Erwachsenendasein war schon ein großer Schritt. Ich dachte, er brauche nur etwas Zeit, um sich daran zu gewöhnen.

Dass er nach weiteren fünf Jahren Beziehung noch nicht um meine Hand angehalten hatte, hätte mich stutzig machen müssen.

Melissa hebt ihr Glas – ist das immer noch ihr erstes Getränk? – und reicht mir mein Wasser. »Keine großkotzigen Angeber mehr!«

Ich proste ihr zu. »Keine großkotzigen Angeber mehr!«

Die Bedienung kommt mit der Rechnung zurück. Melissa legt ihre Kreditkarte auf das schwarze Plastiktablett. »Du bist eingeladen.«

»Auf keinen Fall«, nuschele ich und suche nach meiner Geldbörse. »Ich kann für mich selbst zahlen.«

»Nicole Marie Prescott«, sagt sie mit strenger Lehrerinnenstimme.

»Ja, Miss Simon?«

Sie gibt mir einen Klaps auf den Arm.

»Autsch!« Ich reibe mir die Stelle, als hätte sie mir wehgetan, und schiebe die Unterlippe vor, aber tatsächlich fühlt sich das leichte Brennen ganz gut an. Besser als die Leere in meiner Brust.

»Das Mindeste, was ich tun kann, ist, dir ein paar Drinks auszugeben. Na ja, vielleicht auch ein paar mehr«, erwidert Melissa, dreht die Rechnung zu sich herum und studiert sie genauer.

»Tut mir leid«, sage ich betreten.

»Schon okay, Nic. Ich … ich weiß einfach nicht, wie ich dir sonst helfen soll. Wir haben Unmengen Eis in uns reingeschaufelt, sein Sweatshirt am Strand verbrannt, unser Gewicht in Wein in uns reingeschüttet, und wenn ich Wie ein einziger Tag jemals wieder ansehen muss, steche ich mir eigenhändig die Augen aus.«

Tränen schießen mir in die Augen und laufen mir über das Gesicht. »Sie sind zusammen gestorben, Mel.« Schnief, schluchz. »Er hat sie so sehr geliebt, dass er mit ihr in den Tod gegangen ist.«

Ich schluchze so herzzerreißend, dass meine Schultern beben, und Melissa reibt mir kreisförmig den Rücken.

»Himmelherrgott, Nicole, jetzt reiß dich mal zusammen.« Sie hebt mein Kinn an, fährt mit einem Finger über meine Wange und hält ihn dann hoch. Er ist schwarz von meiner verschmierten Wimperntusche. »Du siehst furchtbar aus.«

Ich schniefe erneut. »Ist mir egal.«

»Sollte es aber nicht«, entgegnet sie. »Komm mit auf die Toilette und wisch dir die Schminke ab, bevor dich jemand so sieht. So verheult solltest du nur aussehen, wenn wir unter uns sind, okay?«

Hätte das jemand anders gesagt, hätte es mich vermutlich verletzt, doch trotz des Alkoholpegels weiß ich, dass sie es nur gut mit mir meint. Ich würde dasselbe für sie tun.

Sie bringt mich zur Toilette und hält dabei meinen Arm fest, damit ich nicht stolpere. Es ist Dienstagabend, und der Frühling fängt gerade erst an, sodass das Porthole ziemlich leer ist. In der Feriensaison ist das Restaurant auch unter der Woche immer proppenvoll, aber heute haben wir es fast für uns allein, und eine leise Stimme sagt mir, dass ich morgen noch dankbar dafür sein werde.

Ich bin nicht ganz so wacklig wie befürchtet. Der Boden hört nach den ersten Schritten auf zu schwanken, und obwohl mein Hirn leicht umnebelt ist, kann ich einigermaßen geradeaus gehen. Melissa bringt mich auf die Damentoilette, und die Tür schlägt hinter uns zu.

Das Gesicht, das mich im Spiegel anstarrt, sieht übel aus. Mascara ist mir in schwarzen Rinnsalen über die Wangen gelaufen, und mein Lippenstift klebt jetzt an den Mojito-Gläsern. Melissa kramt ein Feuchttuch aus der Tasche und versucht, zu retten, was noch zu retten ist, während ich schmollend dastehe und die Prozedur über mich ergehen lasse.

Urplötzlich meldet sich meine Blase. Meine Knie geben nach, und ich drücke eine Hand auf den Unterleib. »Scheiße, ich muss pinkeln.«

»Geh.« Melissa schiebt mich auf eine der Kabinen zu.

Ich fummele am Schließmechanismus herum, während sich meine Blase anfühlt, als würde sie jeden Moment platzen. Was für ein Tod. Ich werde nicht in den Armen meines Liebsten friedlich einschlafen, sondern auf dem Boden der Damentoilette des Porthole an einer geplatzten Blase sterben, weil ich zu betrunken bin, um die Tür abzuschließen.

»Lass gut sein«, stöhnt Melissa. »Ich passe auf, dass keiner reinkommt.«

Ich öffne ungeschickt Knopf und Reißverschluss meiner Jeans, ziehe die Hose herunter und setze mich auf die Klobrille. Grenzenlose Erleichterung durchströmt mich. Bis ich hochfahre, einen Moment unsicher, ob ich auch meinen Slip heruntergezogen habe.

»Alles okay da drin?«

»Ja.« Schlüpfer-Check. »Ich … vergiss es.«

Melissas Telefon gibt eine lächerliche Elektropopmelodie von sich. »Nic, alles klar? Ich muss rangehen. Ich warte draußen.«

Die Tür der Kabine bewegt sich leicht, und ich höre das klatschende Geräusch ihrer Flipflops, als sie davongeht. Als ich fertig bin, ziehe ich die Jeans wieder hoch und achte darauf, Knopf und Reißverschluss ordentlich zu verschließen – so betrunken bin ich nun auch wieder nicht. Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, hänge ich mir die kleine schwarze Handtasche über die Schulter und mache mich auf die Suche nach Melissa.

Ich gebe mir alle Mühe, möglichst nüchtern zu wirken, auch wenn man mir meinen tatsächlichen Zustand wahrscheinlich auf den ersten Blick ansieht. Die Bedienung blickt auf, als ich die Eingangstür aufstoße, einen missbilligenden Blick in den Teenager-Augen.

Wart’s nur ab, Prinzessin. Noch ist deine Welt in Ordnung. Deine Brüste sind noch fest und deine Zähne noch nicht schief, weil du die Klammer Jahre nicht getragen hast. Aber auch du wirst eines Tages sturzbetrunken aus dem Porthole Inn torkeln, weil die Liebe deines Lebens dir das Herz gebrochen hat und jeder in diesem verfluchten Scheißkaff Bescheid weiß.

Auf dem Weg nach draußen stolpere ich über die eigenen Füße. Melissa ist nirgendwo zu sehen. Mir ist klar, dass sie mich niemals einfach stehen lassen würde, obwohl ich streng genommen auch zu Fuß gehen könnte. Jetty Beach ist ja recht überschaubar. Fast alles hier ist fußläufig erreichbar, und das Haus meiner Eltern liegt ziemlich nah am Zentrum. Nachdem ich ein paar Jahre in Seattle gelebt habe, ist Jetty Beach für mich nur noch ein Dorf. Im Ortskern gibt es viele kleine Läden, die Strandaccessoires und Drachen verkaufen, sowie eine Handvoll Restaurants.

Nichts Besonderes. Aber trotz der kurzen Entfernung bis zu meinem Elternhaus wird mir bald klar, dass zu Fuß gehen nicht wirklich eine Option wäre, für den Fall, dass Melissa mich untypischerweise doch im Stich gelassen haben sollte. Der halbe Ort würde mich nach Hause stolpern sehen, und morgen früh würden sich alle das Maul über mich zerreißen.

Hast du Nicole Prescott gestern Abend gesehen? Sie ist sturzbetrunken nach Hause getorkelt. Das arme Ding. Du weißt ja von der Sache mit Jason. Ja, es stimmt. Das Traumpaar hat sich getrennt. Jason sei fremdgegangen, sagt man, aber es gehören ja immer zwei dazu. Er wird seine Gründe gehabt haben.

Dieser gottverdammte Jason. Alle haben ihn geliebt. Er war der Goldjunge von Jetty Beach. Sein Vater ist der einzige Anwalt im Umkreis von dreißig Meilen und zählt somit zur Lokalprominenz. Und Jason selbst war der Star, der Lokalmatador. Footballspieler, erstklassiger Schüler, mit einem strahlenden Lächeln und einem perfekten Knackarsch.

Das mit uns machte Sinn. Ich war das weibliche Pendant. Zwar keine Starathletin, ich spielte aber ganz gut Volleyball. Meine Noten waren top. Ich war bodenständig und wusste, was ich im Leben tun wollte, hatte einen Plan, den ich konsequent verfolgte. Die Leute gingen davon aus, dass ich es im Leben zu etwas bringen würde, dass ich erfolgreich meinen Weg gehen würde.

Und ich hatte alle Erwartungen erfüllt, bis Jason alles zerstörte.

Frische Tränen steigen mir in die Augen. Wo zum Teufel ist Melissa abgeblieben? Ich schniefe, wische mir mit dem Ärmel die Nase ab und wanke quer über den Parkplatz zu ihrem Wagen. Ich will nur noch heim, meinen schweren Kopf auf ein weiches Kissen betten und schlafen.

Melissa bleibt verschwunden. Ich versuche umständlich, das Handy aus der Handtasche zu kramen, und lehne mich dabei haltsuchend an ihr Auto. Der Reißverschluss klemmt, und meine vergeblichen Versuche, an mein Telefon zu kommen, machen mich fuchsteufelswild. Jason ist schuld, dass ich allein auf dem Parkplatz des beschissenen Porthole Inn im beschissenen Jetty Beach stehe und mein beschissenes Telefon nicht aus der beschissenen Handtasche bekomme. Hätte er mich nicht betrogen, wäre das alles nicht passiert.

Verfluchter Mist.

Tränen laufen mir über das Gesicht, aber es sind keine Tränen der Verzweiflung mehr, sondern Tränen des Zorns. Zähneknirschend trete ich nach einem Stein, woraufhin mir – zu spät – einfällt, dass ich offene Sandalen trage.

»Autsch, verdammte Scheiße!«

Ich hebe den verletzten Fuß an und hüpfe auf dem anderen auf der Stelle, während ich versuche, den pochenden Zeh zu fassen zu bekommen. Keine gute Idee, wenn man vier Mojitos intus hat. Oder waren es fünf? Sechs?

Unmittelbar vor dem Umkippen und einer unsanften Landung auf dem Asphalt umschließt eine starke Hand meinen Ellbogen. Meine Handtasche fällt herunter, deren Reißverschluss sich wie durch Zauberhand öffnet, sodass sich der ganze Inhalt auf dem Parkplatz verstreut.

Es dauert länger, als es eigentlich sollte, bis ich die Situation erfasse. Ich starre auf die Handtasche, den Lippenstift, alte Quittungen und das übrige Sammelsurium auf dem Boden, während mich jemand an den Armen festhält und mich stützt.

»Oh nein.« Ich nuschele etwas Unverständliches und versuche, mich aufzurichten, stolpere jedoch erneut und verliere das Gleichgewicht, woraufhin die Hände wieder fester zupacken.

»Hab dich.«

Ich erkenne die Stimme nicht, aber sie klingt angenehm: tief, melodisch und ein klein wenig rau. Ich sehe auf, blinzle, und als ich in das Gesicht des Mannes schaue, verschlägt es mir buchstäblich die Sprache.

Ryan Jacobsen?

Kapitel 2 Nicole

Mir stockt der Atem, und ich habe plötzlich ein Kribbeln im Bauch. Ich habe Ryan Jahre nicht mehr gesehen. Da steht er, ausgewachsen, und sieht aus wie ein richtiger Mann, was mir irgendwie nicht in den Kopf will. Seine Wangen sind leicht stoppelig, und das zerzauste dunkle Haar fällt ihm ein wenig in die Stirn. Das weiße T-Shirt spannt über dem muskulösen Brustkorb und den breiten Schultern. Er kneift leicht die grünen Augen zusammen und lächelt schief. Ich kenne Ryan schon fast so lange wie Melissa, aber in meiner Erinnerung ist er noch ein halbes Kind, das sich in der Pubertät anders entwickelt hat als die anderen Jungs. Ich erinnere mich vage daran, wie meine Mom sich mit einer anderen Mutter über ihn unterhalten und ihn als Spätzünder bezeichnet hat. Offensichtlich hat er irgendwann in den letzten zehn Jahren doch noch »gezündet«. Und wie.

Viel zu spät wird mir bewusst, dass ich ihn mit offenem Mund anstarre.

»Hey«, sagt er, und seine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Komm schon, Nicole, reiß dich zusammen. Das ist Ryan Jacobsen und nicht irgendein heißer Typ, den du noch nie zuvor gesehen hast.

Aber er ist heiß, verdammt heiß sogar. Oder es liegt an meinem Alkoholpegel?

»Hey«, entgegne ich, und mir geht durch den Kopf, dass ich furchtbar aussehen muss. Ich fahre mit den Fingern unter den Augen her und klemme mir das Haar hinter die Ohren, als könnte das noch irgendwas retten.

»Alles okay mit dir?«

Beim besorgten Klang seiner Stimme breche ich um ein Haar wieder in Tränen aus, aber ich reiße mich zusammen. Es ist mir peinlich, dass er mich so sieht, und ich möchte es nicht noch schlimmer machen.

»Ja, alles okay«, erwidere ich, bemüht, deutlich zu sprechen. »Ich … suche Melissa.«

»Okay.« Er schaut mich immer noch eindringlich an und hält nach wie vor meine Arme fest, obwohl ich mich wieder gefangen habe. Als würde ihm plötzlich ebenfalls bewusst, dass er mich noch festhält, lässt er mich hastig los. Meine Haut glüht, dort, wo mich eben noch seine Hände berührt haben. Ich habe wieder dieses Kribbeln im Bauch und fühle, wie mir brennende Röte ins Gesicht steigt. Und das bei meiner hellen Haut …

»Du hast deine Handtasche fallen lassen.« Auf ein Knie gestützt sammelt er meine Habseligkeiten ein und stopft sie zurück in die Tasche. Dann blickt er zu mir auf.

Wie er da vor mir kniet und mich mit diesem unwiderstehlichen sexy Lächeln angrinst …

Moment mal, Nicole, immer langsam. Das ist Ryan. Ryan Jacobsen. Wir haben zusammen im Sandkasten gespielt.

Warum zum Teufel wird mir dann plötzlich so warm im Schritt?

Meine Wangen brennen wie Feuer. »Danke. Du siehst toll aus. Ich meine … warte. Habe ich das gerade wirklich gesagt?«

Sein Grinsen wird breiter. Er reicht mir die Handtasche, steht wieder auf und fährt sich mit einer Hand durch das dunkle Haar.

»Danke«, sage ich verlegen und nehme die Tasche an mich.

»Ich habe schon gehört, dass du wieder da bist.«

»Ja, aber nur vorübergehend. Und was machst du hier?«

Wieder dieses Lächeln. »Ich lebe hier.«

»Du … oh.« Ich hatte gedacht, Ryan wäre nach der Highschool weggezogen. Doch, ja, das war er. »Du bist hierher zurückgezogen?«

Er nickt. »Vor etwa sechs Monaten.«

Mein Blick fällt auf die Tattoos an seinen Armen. Eins lugt unter dem Ärmel seines T-Shirts hervor, ein zweites prangt auf dem anderen Unterarm. Er hat jetzt so einen coolen Look. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das wahrhaftig derselbe Ryan sein soll, mit dem ich aufgewachsen bin. Und das liegt nicht nur am Alkohol. Tatsächlich bin ich inzwischen schon wieder ziemlich nüchtern.

»Warum?«, möchte ich wissen.

Er öffnet leicht den Mund, und Überraschung spiegelt sich auf seinen Zügen. Mist, das war indiskret.

»Eigentlich wollte ich fragen, wann«, stammele ich. »Aber das sagtest du ja bereits. Vor sechs Monaten.« Verflucht, das läuft gar nicht gut. Andererseits muss es das auch nicht. Was soll’s also? Ich hänge mir den Riemen der Handtasche über die Schulter und sehe mich suchend um. »Hast du Melissa Simon gesehen? Ich war mit ihr hier, aber dann hat sie einen Anruf bekommen und ist verschwunden.«

»Ich habe sie nicht gesehen«, entgegnet Ryan. »Soll ich dich nach Hause fahren?«

Wie auf Kommando gibt mein Handy ein Pling von sich. Ich krame es umständlich aus der Handtasche, und diesmal gelingt es mir sogar, sie nicht fallen zu lassen.

Eine Textnachricht von Melissa.

Wo steckst du?

»Hm«, brumme ich und tippe eine Antwort.

Parkplatz

»Nicht nötig, wie es aussieht. Sie hat mir gerade eine Nachricht geschickt.«

Ryan mustert mich. Ich werde nicht schlau aus seinem Gesichtsausdruck, aber plötzlich wünschte ich, Melissa hätte mich sitzenlassen und ich bräuchte tatsächlich jemanden, der mich nach Hause bringt.

»Ich warte noch, bis sie da ist«, erwidert er.

»Danke.«

Ich brauche Wasser. Und ein Bett. Schon jetzt weiß ich, dass ich morgen einen mordsmäßigen Kater haben werde. Mir ist ganz schwummrig. Ich hasse dieses Gefühl, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe. Ich sollte etwas Schlaues sagen. Oder etwas Witziges. Wie um alles in der Welt kann es sein, dass Ryan Jacobsen mit mir hier auf dem Parkplatz des Porthole Inn steht? Und warum muss ich ständig dem Drang widerstehen, auf die Beule zu starren, die sich unter seiner Jeans abzeichnet?

Dass ich mich zwinge, ihm stattdessen ins Gesicht zu sehen, macht es auch nicht besser. Der Mann sieht wirklich umwerfend aus. Da ist so ein Ausdruck auf seinem Gesicht … Ist das Verwunderung oder Missbilligung? Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht bilde ich mir das mit der Missbilligung ja nur ein, aber gleich darauf geht mir durch den Kopf, was er gerade denken muss: Arme Nicole Prescott. Betrogen und gezwungen, sich bei ihren Eltern in Jetty Beach zu verkriechen. Mir geht ein Licht auf. Jetzt weiß ich, was es ist. Mitleid. Er bemitleidet mich.

»Da bist du ja!« Melissa kommt aus dem Restaurant und hastet auf mich zu. »Ich habe dich überall gesucht.«

»Was dachtest du denn, wo ich bin?«, entgegne ich.

»Keine Ahnung, Schnapsdrossel«, sagt sie. »Hey, Ryan.«

Ryan schenkt ihr ein schiefes Lächeln. Die Grübchen in seinen Wangen sind süß. »Bringst du sie nach Hause?«

»Na klar«, antwortet Melissa und zieht eine Braue hoch. »Miss Mojito muss ins Bett.«

»Was soll das, Melissa?«, erwidere ich gereizt.

»Na dann, wenn du alles im Griff hast«, sagt Ryan.

»Klar, alles bestens. Danke.«

Ryan lächelt wieder. »Also dann, Ladys. Noch einen schönen Abend. War toll, dich wiederzusehen, Nicole.«

»Dito.«

Ich blicke ihm nach. Die Jeans sitzt am Hintern perfekt. Nicht zu eng wie bei manchen Möchtegernhipstern, aber eng genug, um zu erkennen, dass er einen richtigen Knackarsch hat.

»Hallo.« Melissa wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Erde an Nicole. Hör auf, Ryan auf den Arsch zu starren.«

»Habe ich gar nicht.«

»Hast du wohl«, widerspricht Melissa. »Ich muss zugeben, dass er tatsächlich einen Knackarsch hat, aber komm schon, das ist Ryan.«

Ja, es ist Ryan.

Melissa schiebt mich in ihren Wagen, und ich schnalle mich an. »Er ist also zurück?«

»Ja.« Melissa wirft mir einen sonderbaren Blick zu. »Seit etwa sechs Monaten. Er hat die alte Kirche am Ortsausgang gekauft, die auf der Klippe.«

»Und da wohnt er?«

»Ich denke schon«, meint Melissa. »Soweit ich weiß, hat er sie umgebaut.«

»Ich dachte, er wäre nach L. A. gezogen.«

»Ist er auch. Doch jetzt ist er zurück.«

Mir entfährt ein Stöhnen. »Der Arme. Und warum?«

Melissa wirft mir wieder einen Seitenblick zu. »Nicht jeder hasst Jetty Beach so sehr wie du.«

Ich seufze. »Tut mir leid, Mel. So habe ich das nicht gemeint.«

Melissa ist gleich nach dem Studium nach Jetty Beach zurückgekehrt und unterrichtet jetzt Fünftklässler an der Grundschule, die wir selbst früher besucht haben. Ich verstehe nicht, wieso, aber Melissa liebt Jetty Beach. Sie ist glücklich hier. »Ich hasse den Ort nicht.«

»Schon gut. Außerdem gibt es ein anderes, geeigneteres Ziel für deinen ganzen Zorn.«

»Jason das Riesenarschloch?«

»Genau.« Sie legt den Gang ein und fährt aus der Parklücke. »Ich denke, ich muss meinen Fehler eingestehen. Ausgehen war wohl definitiv nicht das Richtige für dich heute.«

Ich belasse es bei einem Achselzucken.

Vielleicht nicht, vielleicht aber doch.

Kapitel 3 Ryan

Nicole Prescott. Als ich in den Ort gefahren bin, um ein paar Besorgungen zu machen, hätte ich niemals erwartet, ausgerechnet ihr über den Weg zu laufen.

Dann habe ich sie sichtlich betrunken aus dem Porthole Inn stolpern sehen. Sie hat toll ausgesehen. Natürlich. Das war schon immer so. Sie hat ein lässiges Shirt getragen, von dem ein Zipfel vorn in ihrer Jeans steckte und das ihre atemberaubenden Rundungen betonte. Ihr Haar war völlig zerzaust, aber ich habe die ganze Zeit nur daran denken müssen, dass es nach einer langen Liebesnacht genau so aussehen würde.

Toll. Ich laufe meiner Sandkastenfreundin über den Weg und stelle sie mir sofort nackt in meinem Bett vor. Ich sollte mir so was nicht vorstellen. Nicht mit Nicole. Und auch mit keiner anderen Frau.

Ich habe sie vor drei Jahren zuletzt gesehen, und damals hat sie mich gar nicht wahrgenommen. Wir waren in einem Café in Seattle, und sie hat durch mich hindurchgesehen. Kein Funken des Wiedererkennens. Ich wollte sie anlächeln und Hallo sagen, vielleicht mit ihr über alte Zeiten plaudern. Sie war allein. Der großkotzige Jason war nirgends zu sehen. Doch ihr Blick ist über mich hinweggeglitten, als wäre ich unsichtbar. Ich habe vor Überraschung keinen Ton herausgebracht. Nicht dass ich erwartet hätte, dass sie mir um den Hals fällt, aber verdammt, wir kannten uns seit Kindheitstagen. Andererseits hat sie mich vielleicht nur nicht erkannt, immerhin habe ich mich äußerlich doch ziemlich verändert.

Als ich den Restaurantparkplatz verlasse, wünschte ich, Melissa wäre nicht aufgetaucht. Nein, es ist gut, dass sie aufgetaucht ist. Nicole war beschwipst. Und die Art, wie sie mich angesehen hat, war eindeutig. Grund genug, sofort zu verschwinden. Das Letzte, was ich brauche, ist eine Affäre mit einer Frau aus dem Ort. Oder überhaupt mit einer Frau.

Normalerweise achte ich nicht weiter auf den lokalen Tratsch, doch sogar ich habe mitbekommen, dass Nicole zurück ist. Ich werde meine Mutter fragen, warum. Sie weiß bestimmt mehr darüber. Ich überlege, ob es etwas mit dem Vollhonk zu tun hat. Vielleicht hat sie Jason ja verlassen.

Ich mache mir aber keine allzu großen Hoffnungen. Als Nicole und Jason auch das gesamte Studium über ein Paar geblieben sind, habe ich meine Hoffnungen begraben. Dachte, die beiden würden heiraten und kleine blonde Jason-Klone in die Welt setzen. Zumindest nach außen hin schien sie glücklich zu sein. Wir hatten als kleine Kinder zusammen gespielt, in der Pubertät waren wir dann auseinandergedriftet. Ich war so ein schlaksiger Spargeltarzan, bei dem der Bartwuchs erst mit neunzehn einsetzte. Sie hingegen war schon früh zur Frau herangereift und bescherte allen Jungs feuchte Träume.

Niemand war überrascht, als sie und Jason ein Paar wurden, aber auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum, hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass die beiden nicht wirklich zueinanderpassten. Damals waren wir unserer Sandkastenfreundschaft bereits entwachsen, wie das häufig der Fall ist bei Leuten, die so verschieden sind. Ich war nicht direkt eifersüchtig. Nicole war verdammt heiß, und ich hatte oft an sie gedacht, während ich mich befriedigte. Aber Jason war ein Großmaul und sie war viel zu gut für ihn. Leider hatte ich in der Sache nichts zu melden.

Und jetzt ist sie zurück. Ihrem verschmierten Make-up nach zu urteilen, hat sie geweint. Eigentlich sollte es mir egal sein. Nicole ist nicht mein Problem.

Ich habe genug eigene Probleme. Im Augenblick komme ich klar, und das soll auch so bleiben.

Und doch hat ihr Anblick genügt, um mich scharf zu machen. Was hat das zu bedeuten? Ich zupfe im Gehen meine Hose zurecht. Wie gesagt, höchste Zeit, Abstand zu wahren. Trotz der starken Anziehung, die von ihr ausgeht, weiß ich, dass ich mich jetzt auf niemanden einlassen darf. Vielleicht nie mehr. Ich bin nach Jetty Beach zurückgekommen, um wieder zu mir zu finden. Die Entschleunigung tut mir gut. Ebenso die Nähe meiner Familie. Ich habe schon deutliche Fortschritte gemacht, aber ich bin noch lange nicht so weit, wieder jemanden an mich heranzulassen. Vielleicht werde ich das nie wieder sein.

Nicht einmal Nicole Prescott. Auch wenn sie ausgesehen hat wie ein wunderschöner, angeschickerter Engel.

Ich steige in meinen Wagen und verlasse den Ort in nördliche Richtung. Bis zu meinem Haus ist es nicht weit. Es ist kein gewöhnliches Haus, ich habe eine Schwäche für das Außergewöhnliche. Nach meiner Rückkehr habe ich eine alte verlassene Kirche gekauft und in den vergangenen sechs Monaten ausgebaut. Meine Eltern halten mich für verrückt, aber sie haben mich noch nie wirklich verstanden. Für meinen Dad bin ich ein »weltfremder Künstler«, während meine Mom einfach nur froh ist, dass ich jetzt so nah wohne, dass sie mich jederzeit besuchen kann.

Was die Kirche betrifft, ist die Substanz solide, und das Licht … mein Gott, dieses Licht. Riesige spitz zulaufende Kirchenfenster öffnen sich zum Ozean hin. Als Fotograf bin ich etwas besessen von Licht. Die Art, wie die Sonne durch diese Fenster fällt, ist einfach perfekt. Ich habe versucht, meinem Vater zu erklären, warum ich die Kirche gekauft habe, und er hat zustimmend genickt, auch wenn er kein Wort verstanden hat. Im Grunde habe ich das auch nicht erwartet. Er hält meinen Beruf immer noch für eine Spielerei und fragt sich vermutlich, wann ich endlich etwas »Richtiges« lerne.

Als mein Handy klingelt, antworte ich über die Freisprechanlage. »Hey Mom.«

»Wo steckst du, Schatz? Bist du zu Hause?«

Ich hatte eigentlich gedacht, wenn ich wieder in Jetty Beach wohne, wäre meine Mom beruhigt und würde mir nicht mehr ständig hinterhertelefonieren, aber das hat sich als Trugschluss entpuppt. Sie ruft mindestens einmal täglich an. Ich weiß, sie hat ihre Gründe. Egal wie oft ich ihr versichere, dass es mir gut geht, scheint sie davon auszugehen, die Stimmung würde jeden Moment wieder kippen. Ich kann es ihr nicht verdenken. Manchmal glaube ich das auch.

»Alles bestens. Ich bin gerade auf dem Heimweg. Bin gleich zu Hause.«

»Gut.«

»Wolltest du etwas Bestimmtes, oder ist das nur ein Kontrollanruf?« Ich habe versucht, meiner Mom beizubringen, wie man Textnachrichten verfasst, damit sie mir schreiben kann, wenn sie ein Lebenszeichen zur Beruhigung braucht. Technik ist aber leider nicht so ihr Ding. Ich fürchte, sie wurde in die falsche Zeit hineingeboren – eigentlich gehört sie in die 1950er Jahre.

»Ich habe einen Pie gebacken.«

»Klasse, Mom.« Sie backt ständig irgendetwas. Meine Rede: fünfziger Jahre. »Es ist schon etwas spät, um noch vorbeizukommen, findest du nicht auch?«

»Ja, es ist schon spät. Ich gehe gleich schlafen.«

Warum rufst du mich dann an, um mir zu erzählen, dass du einen Pie gebacken hast?

»Tu das.« Dann erkundige ich mich spontan nach Nicole. »Hey, Mom. Ich bin vorhin Nicole Prescott begegnet. Wusstest du, dass sie wieder da ist?«

»Natürlich«, entgegnet sie in dem vertrauten verschwörerischen Tonfall. Ja, sie ist bestens unterrichtet. »Ich bin letztens auf der Bank ihrer Mutter begegnet. Offenbar hat Nicole sich von dem Jungen getrennt, wie heißt er noch gleich? Jason.«

»Jason ist kein Junge mehr, Mom«, erwidere ich, obwohl ich weiß, dass für sie alle unter dreißig Kinder sind. Ich zögere. Ich sollte es dabei belassen. Aber ich kann mir die Frage einfach nicht verkneifen. »Weißt du auch, warum?«

»Ich glaube, es hat da ein anderes Mädchen gegeben«, sagt sie.

Zorn wallt in mir auf. Er hat Nicole betrogen? Wer tut denn so was? Nun, offenbar dieser Vollhonk von Jason.

»Das ist übel«, entgegne ich.

»Denkst du an das Meeting?«, fragt Mom.

»Meeting?«

Ein tiefer Seufzer. »Ja, Ryan, das Meeting. Du hast versprochen, bei der Organisation des Jetty Beach Art Festivals zu helfen, erinnerst du dich?«

Ich stöhne. Das habe ich tatsächlich. Ich habe ein paar Bier mit meinem Dad gezischt, als Mom das Thema angesprochen hat, und damals schien es mir eine gute Idee zu sein. In Jetty Beach findet jedes Jahr ein Kunstfestival statt. Früher wurde es von der größten Kunstgalerie am Ort organisiert, deren Inhaber jedoch im vergangenen Jahr in Rente gegangen ist. Das Stadtkomitee möchte das Festival weiter abhalten und sucht nun ehrenamtliche Helfer. Ich bin sicher, dass meine Mom mich schon als Freiwilligen eingetragen hat, noch bevor sie mit mir darüber gesprochen hat. Sie war sehr hartnäckig, als es darum ging, mich zu überreden.

»Mom, ich weiß nicht, ob ich aktuell Zeit habe für so was.«

»Unsinn«, kontert sie.

»In der Kirche ist noch viel zu tun. Direkt neben meinem Bett ist ein großes Loch in der Wand. Ich kann bis nach draußen sehen.«

»Du hast Zeit genug«, erwidert sie mit einem leisen Lachen. »Ich denke, das wird dir guttun. Außerdem geht es um ein Kunstfestival. Ist das nicht dein Gebiet? Vielleicht solltest du ein paar von deinen Fotos ausstellen.«

Ich muss wider Willen lächeln. Es gibt tatsächlich Bilder von mir, die gut genug wären für eine Ausstellung, aber die meisten meiner Arbeiten würde ich nicht unbedingt meiner Mutter zeigen wollen. »Ich weiß nicht.«

»Das Meeting ist morgen, Schatz. Im Old Town Cafe. Um zehn.«

Ich folge der langen Zufahrt, und meine Reifen knirschen auf dem Schotter. »Okay, Mom, du hast gewonnen.«

»Gut. Ich habe dich lieb, Kleiner.«

»Ich dich auch, Mom.«

Ich schnappe mir meine Jacke, gehe ins Haus und lege Portemonnaie und Handy auf den kleinen Tisch neben der Tür. Es ist kalt, doch ich liebe dieses Haus. Die hohen Decken mit den freiliegenden Balken, die hohen Fenster, die fantastischen Hartholzböden. Es gibt hundert perfekte Fotomotive. Ein paar meiner ehemaligen Kunden haben schon von meinem neuen Studio erfahren, und die meisten scheuen die weite Anreise nicht.

Von draußen dringt gedämpft das Rauschen des Ozeans herein. Ich muss wieder an die tränenüberströmte, betrunkene Nicole denken. Ich weiß, wie sich ein gebrochenes Herz anfühlt. Jason mag ein Idiot sein, aber die beiden waren lange zusammen. Sie muss am Boden zerstört sein. Und doch war da etwas in ihren Augen. Ein Lodern. Ich habe es gespürt, als sie mich angesehen hat. Und dann die Berührung ihrer Haut, als ich sie festgehalten habe, um sie vor einem Sturz zu bewahren.

Ich fahre mir mit der Hand durch das Haar und zupfe wieder an meiner Hose herum. Verflucht, warum bekomme ich jedes Mal, wenn ich an Nicole denke, einen Steifen?

Ich durchquere das Studio und steuere die Tür zu meiner Wohnung an, die sich seitlich neben dem Hauptgebäude befindet. Es gibt nur ein Zimmer mit einer Kochnische und einem angrenzenden Bad. Mein Kingsize-Bett sieht etwas lächerlich aus mitten im Zimmer, aber ich habe gerne viel Platz zum Schlafen. Außerdem wohne ich allein und brauche sonst nicht viel Platz.

Ob Nicole wohlbehalten nach Hause gekommen ist?

Ich ziehe mein T-Shirt aus, werfe es in den Wäschekorb und nehme zwei Pullover aus der Kommode. Mein Blick fällt auf den ungeöffneten Brief auf dem Möbel. Ich habe ihn schon lange. Vielleicht bin ich ja bald so weit, ihn zu öffnen.

Nicht heute.

Ich schüttle den Kopf, steige aus der Hose und schlüpfe in beide Pullover. Ich muss aufhören, an Nicole zu denken. Jetzt und überhaupt. Ich muss mich auf mich selbst konzentrieren. Auf mein inneres Gleichgewicht. Sie tut mir leid, aber sie kommt schon zurecht. Und wenn nicht, bin ich der Letzte, den sie braucht.

Kapitel 4 Nicole

Der Morgen kommt viel zu früh. Die Töne der eingehenden E-Mails auf meinem Handy wecken mich, lange bevor ich ausgeschlafen habe. Mir brummt der Schädel, und ich habe einen widerlichen Geschmack im Mund, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich gestern nicht einmal mehr die Energie aufgebracht habe, mich vor dem Zubettgehen auszuziehen, könnte es schlimmer sein. Ich greife nach meinem Telefon auf dem Nachttisch. Es sind schon zwölf E-Mails von meiner Chefin Sandra eingegangen.

»Okay, okay, ich stehe ja schon auf.«

Sandra hat sich großartig verhalten mir gegenüber. Nachdem ich Jason in flagranti erwischt hatte, bin ich in ihrem Büro in Tränen ausgebrochen. Wahrscheinlich hätte ich mich an diesem Tag krankmelden sollen. Den Freund im eigenen Bett mit einer anderen Frau zu erwischen, dürfte Grund genug sein für eine Auszeit, oder? Ich habe versucht, die Zähne zusammenzubeißen, und gehofft, die Arbeit würde mich von dem Scherbenhaufen ablenken, der von meinem Leben übrig geblieben war, doch dann saß ich heulend vor ihrem Schreibtisch. Sie hat mir angeboten, nach Hause zu gehen, aber ich hatte kein Zuhause mehr. Mein Zuhause war Jasons Zuhause, und ich konnte mir nicht vorstellen, weiter mit ihm unter einem Dach zu wohnen. Letztlich kamen wir überein, dass ich ein paar Wochen im Homeoffice arbeiten sollte, bis ich mich gefangen habe. Und so packte ich ein paar Sachen ein und fuhr zu meinen Eltern.

Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, und es wird definitiv Zeit, mich am Riemen zu reißen. Mich unter der Woche zu betrinken, bringt mich auch nicht weiter.

Ich beantworte rasch ein paar Mails und hieve mich dann aus dem Bett. Meine Haare sind eine einzige Katastrophe und noch ganz verklebt von dem Haarspray, das ich am Vorabend großzügig aufgetragen habe, aber darum kümmere ich mich später. Jetzt muss ich erst mal an die Arbeit. Ich schnappe mir meinen Laptop und stelle ihn auf der Kücheninsel ab, um mir ein koffeinhaltiges Heißgetränk zuzubereiten.

Ohne allzu große Hoffnung durchwühle ich die Schränke. Seit ihrem fünfzigsten Geburtstag ist meine Mom ein Gesundheits-Freak. Meinem Vater geht das gegen den Strich, aber sogar er muss zugeben, dass sie beide besser aussehen als in den vergangenen Jahren. Meine Mom läuft regelmäßig und macht Yoga. Ich habe kein Problem damit, auf Nudeln oder Brot zu verzichten, aber der Kaffee-Verzicht geht mir dann doch zu weit. Mom hat offenbar sogar die Kaffeemaschine entsorgt. Ich werde mir eine French Press kaufen.

»Morgen«, höre ich die besorgte Stimme meiner Mutter hinter mir, als ich einen weiteren Küchenschrank durchsuche.

»Morgen«, antworte ich. Ich gebe die Suche nach Koffein auf und setze mich vor meinen Laptop an die Kücheninsel. »Wie kann es sein, dass schon wieder sieben neue Mails eingegangen sind? Es ist doch gerade erst fünf Minuten her, dass ich mein Postfach gecheckt habe.«

»Kann ich dir etwas Gutes tun?«, fragt Mom.

»Kaffee wäre toll.«

Sie lächelt schmallippig. Das Haar hat sie zu einem Dutt geschlungen, und ich kann die grauen Strähnen in ihrem dunkelblonden Haar sehen. Sie trägt ein Tanktop zu einer Yoga-Hose und ist barfuß.

»Gehst du nicht arbeiten?«, will ich wissen.

»Heute nicht«, entgegnet sie. »Ich fahre später deinen Dad zum Arzt und habe mir den ganzen Tag freigenommen.«

»Zum Arzt? Wieso? Ist etwas mit Dad?«

Mein Vater ist Bauunternehmer. Er hat die Hälfte der Häuser in Jetty Beach gebaut. Dad ist in Orlando aufgewachsen, und Mom nennt ihn ihren City Boy, aber er liebt das Kleinstadtleben. Er arbeitet hart und hat ganz schwielige Hände vom Bau. Abgesehen von dem einen Mal, als die ganze Familie Grippe hatte – damals war ich zehn –, ist mein Vater meines Wissens nie krank gewesen.

»Nichts Schlimmes«, sagt Mom. »Er hat seit einiger Zeit Schmerzen in der Schulter, und ich habe ihn endlich überreden können, das mal untersuchen zu lassen. Und wir wissen beide, dass er nicht hingeht, wenn ich ihn nicht begleite.«

Ich lächle. Das ist wohl wahr. »Okay, aber mal im Ernst, Mom. Dieser Kaffee-Boykott muss ein Ende haben. Zumindest solange ich hier bin.«

Mom zieht einen Barhocker unter der Insel hervor, setzt sich und stützt sich mit den Ellbogen auf. Dad hat die Küche vor ein paar Jahren umgestaltet, mit wunderschönen Arbeitsflächen aus weißem Marmor und maßgefertigten Schränken.

»Und was glaubst du, wie lange das sein wird, Liebes?«

Ich erstarre. Ich bin gerade erst ein paar Tage hier. Oder ist es schon länger? Ich werfe einen Blick auf den Kalender an der Wand. Welcher Tag ist heute?

»Ich weiß nicht«, antworte ich defensiv. »Mir wurde gerade der Boden unter den Füßen weggezogen. Hast du es so eilig, mich wieder loszuwerden?«

»Nein, natürlich nicht. Niemand will dich loswerden«, erwidert Mom. »Wir möchten nur wissen, ob du einen Plan hast.«

Ich starre auf den Bildschirm meines Laptops. Sie hat recht. Ich brauche einen Plan. Ich liebe Pläne. Checklisten, Tabellen, Roadmaps. Ich bin ein richtiger Planungs-Junkie. Aber zum ersten Mal in meinem Leben habe ich keinen Schimmer, wie es weitergehen soll.

»Ich …« Weil mir keine Antwort einfällt, verstumme ich wieder. »Ich brauche etwas Zeit, um mir Klarheit zu verschaffen«, sage ich schließlich. »Und jetzt muss ich an die Arbeit. Ich habe zu tun.«

»Ich weiß«, entgegnet Mom mit demselben mütterlichen Lächeln wie in meiner Kindheit. »Hattest du gestern einen schönen Abend mit Melissa?«

Typisch. Sie missbilligt, was ich tue. Ich bin mir ganz sicher. »Ja, es war nett.«

»Geht es dir gut?«

»Ich habe zu tief ins Glas geschaut und muss jetzt Mails beantworten von Leuten, die eigentlich etwas von ihrem Job verstehen sollten, aber einfach nur inkompetent sind.«

Hierauf entsteht eine längere Pause, in der Mom stumm dasitzt. Ich schließe daraus, dass sie mir noch etwas mitteilen will.

»Also …«, sagt sie schließlich, bricht jedoch dann wieder ab.

Ich tippe eine Mail zu Ende. »Also was?«

Sie antwortet nicht.

»Was ist, Mom?«

»Ich hätte da eine Idee.«

Mir gefällt die Wende des Gesprächs schon jetzt nicht. »Ich höre«, erwidere ich argwöhnisch.

»Ich habe letztens mit Howard Nelson gesprochen, dem Besitzer der Sunset Gallery in der Main Street, die vor einiger Zeit geschlossen wurde.«

»Sie wurde geschlossen?«

»Er ist letztes Jahr in Rente gegangen«, erklärt mir Mom. »Ich habe dir davon erzählt.«

Ich zucke die Achseln. Wahrscheinlich hat sie das, doch ich höre bei den Lokalnachrichten aus Jetty Beach mangels Interesse nicht so genau hin.

»Wie auch immer. Howard kann sich mit knapp achtzig nicht mehr um die Organisation des Kunstfestivals kümmern. Es gibt ein kleines Komitee, aber niemand kennt sich so recht aus mit Eventmanagement. Ich dachte, du mit deiner Erfahrung könntest vielleicht …«

»Meiner Erfahrung?« Ich arbeite an vielen Events, bin jedoch nicht wirklich für deren Organisation verantwortlich. Nicht einmal annähernd. Trotz meiner kürzlich erfolgten Beförderung zur Eventmanagerin mache ich eigentlich im Großen und Ganzen einen eher langweiligen Job. Auf dem Papier liest sich das großartig. Unsere Firma arbeitet mit vielen Großunternehmen und Wohltätigkeitsorganisationen zusammen. Ich habe mit wohlhabenden Geschäftsleuten zu tun, und immer, wenn ich erzähle, was ich mache, sind die Leute tief beeindruckt. Die Alltagsroutine ist aber tatsächlich oft eintönig. Nur Papierkram.

»Natürlich. Du wärst die ideale Besetzung für die Aufgabe«, sagt Mom. »Was meinst du?«

Ich blinzle sie wortlos an. Mein unter akutem Koffeinmangel leidendes Gehirn kommt nicht ganz mit. »Was meine ich wozu?«

»Darüber, ehrenamtlich das Kunstfestival zu organisieren.«

»Es organisieren? Mom, ich weiß doch noch nicht einmal, wie lange ich noch hier bin. Und auch wenn meine Frisur gerade nicht darauf schließen lässt, arbeite ich. Ich habe einen Job und alle Hände voll zu tun.«

»Das weiß ich doch, Liebes, aber ich dachte, das würde dich mal auf andere Gedanken bringen. Wie effizient kannst du überhaupt von hier aus arbeiten?«

Sie hat nicht so ganz unrecht. »Wann ist das denn überhaupt?«

»Das Meeting ist um zehn.«

Ich seufze. »Das bestehende Komitee macht seine Sache bestimmt gut. Die kennen sich doch mit der Orga aus. Ich wäre da nur im Weg.«

Mom trommelt mit den Fingernägeln auf die Kücheninsel. »Na ja … nicht wirklich. Offenbar tun sie sich sehr schwer. Genau deshalb habe ich ihnen versprochen, dass du ihnen helfen wirst. Sie sind ziemlich verzweifelt.«

»Du hast ihnen versprochen …« Ich hebe in einer fassungslosen Geste die Hände und verdrehe die Augen so sehr, dass ich beinahe meinen Schädel von innen betrachten kann. »Echt jetzt, Mom? Ich bin gerade mal ein paar Tage hier, und du hast mich schon als ehrenamtliche Helferin verplant?«

Sie legt mir eine Hand auf den Rücken. »Howard Nelson wäre am Boden zerstört, wenn das Festival nicht mehr stattfände. Er hat ein so schlechtes Gewissen, weil er sich nicht mehr darum kümmern kann, aber er packt das einfach nicht länger. Sie brauchen jemanden, der etwas davon versteht. Außerdem kommst du dann mal raus und auf andere Gedanken.«

»Ist das der eigentliche Grund für das alles?«, frage ich. »Du willst mich aus dem Haus haben?«

»Das wäre ein Anfang.« In ihrer Stimme schwingt Belustigung mit, und sie schenkt mir ein leises Lächeln. »Liebes, dein Vater und ich, wir machen uns Sorgen um dich. Ich weiß doch, wie hart die Trennung von Jason für dich ist, und ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist.«

Ich ziehe skeptisch eine Braue hoch.

»Im Ernst, Nicole. Nichts ist für eine Mutter schlimmer, als ihr Kind leiden zu sehen. Irgendwann wirst du das verstehen.« Sie steht auf und legt mir eine Hand an die Wange. Sie ist weich und kühl. »Du leidest, und das ist ja auch normal. Aber davon, dass du in den Laptop starrst und mit Melissa Filme ansiehst, wird es auch nicht besser. Du musst raus, unter Leute. Vielleicht solltest du sogar ausgehen.«

»Ausgehen?« Ich rücke von ihr ab. »Ich soll mich mit Männern treffen?«

»Es muss ja nichts Ernstes sein, Schatz. Melissa würde mir sicher recht geben.«

Ich seufze. Das ist allerdings richtig. Melissa hat bereits entsprechende Andeutungen gemacht. Aber mit wem um alles in der Welt sollte ich hier wohl ausgehen?

Nicht an Ryan denken. Nicht an Ryan denken.

»Du bist rot geworden«, stellt Mom fest.

»Es ist warm hier drin«, erwidere ich ausweichend. »Und ich brauche einen Kaffee.«

»Perfekt«, entgegnet sie. »Das Meeting des Planungskomitees findet im Old Town Cafe statt. Da gibt es übrigens vorzüglichen Kaffee.«

Ich kneife die Augen zu und massiere meine Nasenwurzel. Die Kopfschmerzen werden schlimmer. »Also gut. Ich werde hingehen, aber ganz unverbindlich. Ich rede mit ihnen und schaue mal, wo es hakt.«

Sie tätschelt mir die Wange. »Braves Mädchen. Allerdings …« Sie rümpft die Nase. »… solltest du vorher noch duschen.«

»Ich tue das nur wegen des Kaffees«, rufe ich ihr nach, als sie die Küche verlässt.

Ein Kunstfestival. Ich habe keinen Schimmer, wie man so etwas auf die Beine stellt. Allerdings kann es nicht allzu kompliziert sein, und die übrigen Freiwilligen werden schon wissen, was zu tun ist. Vielleicht hat Mom ja gar nicht so unrecht. Ich könnte tatsächlich eine Ablenkung von Jason brauchen.

Und von Ryan.

Kapitel 5 Ryan

Auf der Fahrt in die Stadt lege ich mir eine Reihe von Ausreden zurecht. Warum habe ich mich nur von meiner Mutter bequatschen lassen? Ich bin nicht im Geringsten daran interessiert, an der Organisation eines Kunstfestivals mitzuwirken. Es ist mir egal, ob das »mein Fachgebiet« ist. Es war nicht gelogen, dass ich mit dem Ausbau der Kirche noch lange nicht fertig bin. Es gibt tatsächlich ein Loch in der Außenwand, das dringend verfüllt werden muss, und das ist nur einer von vielen Punkten auf meiner endlosen To-do-Liste. Ganz zu schweigen von den Fotoshootings. Ich habe Kunden, um die ich mich kümmern muss.

Mir ist klar, was meine Mutter damit bezweckt. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass ich mehr ausgehen muss. Ich weiß, dass sie sich Sorgen macht, so etwas tun Mütter eben, aber ich habe ihr wiederholt versichert, dass es mir gut geht. Ich kann es wahrlich nicht brauchen, dass sie sich Mittel und Wege ausdenkt, um mich aus dem Haus zu locken. Ich bin nur froh, dass sie nicht versucht, mich zu verkuppeln. Ehrenamtlich für eine lokale Veranstaltung zu arbeiten, ist schon schlimm genug.

Der Ausbau der Kirche ist eine glaubhafte Entschuldigung. Das sollte genügen. Ich werde ihnen sagen, dass ich bis zum Hals in den Renovierungsarbeiten stecke und das den anderen Komiteemitgliedern gegenüber unfair wäre, weil ich mich nur in geringem Umfang einbringen könnte und die meiste Arbeit an ihnen hängenbliebe. Außerdem stimmt das im Großen und Ganzen sogar. Ich könnte sicher etwas Zeit freischaufeln, doch offen gestanden habe ich einfach keine Lust. Ich weiß ja, dass meine Mom es nur gut meint, aber ihre wohlmeinenden Einmischungen haben mich schon oft genug in Schwierigkeiten gebracht.

Ich parke den Wagen und betrete das Café. Sofort weht mir der Duft frisch gemahlenen Kaffees in die Nase. Da ich etwas zu früh dran bin, beschließe ich, einen Kaffee zu trinken und vielleicht sogar einen Happen zu frühstücken. Ich schaue mich nach den anderen Mitgliedern des Festivalkomitees um und stutze, als ich Nicole Prescotts Blick begegne, die mich über den Rand einer riesigen Tasse hinweg mustert.

Natürlich, warum sollte sie auch nicht hier sein? Das hier ist Jetty Beach. In diesem Ort läuft man sich zwangsläufig ständig über den Weg.

Ein rosiger Hauch überzieht ihre Wangen. Das lange blonde Haar fällt ihr in weichen Wellen über die Schultern, und anders als am Vorabend ist sie tadellos geschminkt. Sie hat auch mit verschmierter Schminke süß ausgesehen, aber heute ist sie eine wahre Schönheit. Sie beißt sich auf die Unterlippe und lächelt scheu zu mir auf.

Ich gehe zu ihr rüber. »Hey.«

»Hey.« Sie blickt in ihre Kaffeetasse, sichtlich verlegen. Scheiße, die Frau ist der Hammer.

Tu das nicht, Ryan. Du bist wegen des Kunstfestivals hier. Lass es.

»Darf ich mich zu dir setzen?«

Zu spät. Ich habe es getan.

»Klar.« Die Farbe ihrer Wangen wechselt von Rosa zu Rot, und sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht. »Hör zu, gestern Abend, das …«

Ich nehme ihr gegenüber Platz. »Mach dir keinen Kopf deswegen. Glaub mir, ich kenne das.«

»Nicht gerade einer meiner besten Momente«, seufzt sie. »Tut mir leid, dass du mich so gesehen hast.«

Mit verwuscheltem Haar und blitzenden blauen Augen? »Kein Ding, wirklich. Du hast nur deine Handtasche fallen lassen. Das hätte jedem passieren können.«

»Ja, und ich wäre um ein Haar auf die Nase gefallen. Noch mal danke für deine Hilfe.«

»Gern geschehen.«

Sie nippt an ihrem Kaffee. »Und was treibst du so?«

»Ich arbeite, renoviere die alte Kirche …«

»Melissa hat erzählt, dass du dort wohnst.«

»Das stimmt. Etwas unkonventionell, schätze ich, aber das Innere ist perfekt für meine Arbeit.«

Sie zieht fragend die Brauen hoch. »Deine Arbeit? Was arbeitest du denn?«

»Ich bin Fotograf.«

»Echt? Ich würde gerne mal deine Bilder sehen.«

»Sehr gerne.«

Nicole kaut wieder auf der Unterlippe. Mann, ich liebe es, wenn sie das tut. Ich würde auch gerne daran knabbern …

Das Gespräch gerät etwas ins Stocken. »Äh … wow, es ist irgendwie verrückt, dich wiederzusehen. Ich hätte dich fast nicht wiedererkannt.«

»Ich weiß. Sieh uns an. Wir sind erwachsen geworden.« Ich möchte sie nach Jason fragen, will aber nicht unsensibel rüberkommen. Oder als wollte ich Salz in die Wunde streuen. »Bist du nur zu Besuch, oder möchtest du bleiben?«

Sie lässt die Schultern hängen und schluckt. »Ich bin nur vorübergehend hier. Erinnerst du dich an Jason Baker? Wir waren lange zusammen … wir haben uns getrennt.«

Ohne nachzudenken, lege ich eine Hand auf ihre. Sofort durchfährt mich ein kleiner elektrischer Schlag. Sie zuckt nur leicht, entzieht mir die Hand aber nicht. »Das tut mir leid.«

Sie öffnet die Lippen. Als sich unsere Blicke treffen, erstarre ich förmlich, die Hand auf ihrer … nur im Schritt regt sich was.

»Schon okay«, entgegnet sie. Sie zieht ihre Hand weg, und der Bann ist gebrochen. »Der Scheißkerl hat mich betrogen, ist also kein großer Verlust.«

Verdammt, das macht mich wieder wütend. Es von ihr selbst zu hören, ist noch schlimmer. »Zur Hölle mit dem Wichser.« Ich versuche, etwas zurückzurudern, indem ich lächle, damit es nicht so krude klingt, auch wenn ich es genauso meine, wie ich es gesagt habe.

Sie lächelt. »Genau. Zur Hölle mit dem Wichser.«

»Ryan! Nicole! Da seid ihr ja schon.«

Ich blicke auf, geradewegs in das strahlende faltige Gesicht von Mrs Johnson. Sie trägt eine pfirsichfarbene Strickjacke und das, was mein Bruder Cody als »Mama-Jeans« bezeichnen würde. An ihrem Pullover klebt schief ein Schildchen mit ihrem Namen in blauer Schrift: Cheryl. Trägt sie das für das heutige Treffen oder ist das noch von einer anderen Veranstaltung?

»Hallo, Mrs Johnson«, grüße ich sie leicht verwirrt. Ich weiß, dass Cheryl Johnson dem Festivalkomitee angehört, insofern dürfte es sie nicht überraschen, mich hier anzutreffen, doch was meinte sie mit »Ihr seid ja schon da«?

»Sagt einfach Cheryl«, entgegnet sie mit einem Wink und setzt sich zu uns. »Schön, euch zu sehen. Danke, dass ihr bereit seid, uns ehrenamtlich zu unterstützen. Ich muss gestehen, dass wir ziemlich in der Klemme stecken.«

Nicole beißt sich wieder auf die Lippe. »Mrs Johnson …«

»Cheryl.«

»Richtig, Cheryl. Ich weiß nicht, was meine Mutter Ihnen erzählt hat, aber ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen wirklich von Nutzen sein kann. Ich bin nur vorübergehend hier. Vielleicht wäre es besser, wenn sich jemand kümmert, der hier ansässig ist.«

Oh Scheiße. Nicole soll auch bei der Orga helfen? »Unsinn«, fegt Cheryl ihren Einwand beiseite. »Es gibt zwar viel zu tun, doch so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Du wirst uns eine große Hilfe sein.«

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich fürchte, allein zeitlich …«

»Schon gut, Liebes«, fällt Cheryl ihr ins Wort. »Die Komitee-Mitglieder waren schon immer Ehrenamtler. Die Aufgaben lassen sich leicht an deinen Terminkalender anpassen. Und wir müssen einfach einen Weg finden, dieses Festival auf die Beine zu stellen. Für Howard. Für Jetty Beach. Das Event ist immer der eigentliche Saisonauftakt.«

»Und wo sind die anderen Komitee-Mitglieder?«, möchte ich wissen.

»Wir sind das Komitee«, erwidert Cheryl, und Lachfalten bilden sich an ihren Augen.

»Nur wir drei?« Ich bin gelinde gesagt perplex.

»Genau.«

Nicole starrt mich mit offenem Mund an.

Fuck.

»Und was ist mit den anderen?«, hake ich nach. Das darf doch alles nicht wahr sein.

»Nun ja, mit der Zeit sind die Mitglieder ausgeschieden«, erklärt Cheryl. »Joyce Merton ist vor ein paar Jahren gestorben. Howard würde helfen, wenn er könnte, aber seine Gesundheit lässt es nicht zu. Und die anderen sind entweder weggezogen oder haben nach und nach das Interesse verloren.«

»Das heißt, wir drei sollen die ganze Organisation des Festivals allein stemmen?«, haucht Nicole.

»Nun, um ehrlich zu sein, wärt ihr damit weitgehend allein auf euch gestellt«, antwortet Cheryl. »Meine Tochter ist diese Woche mit den Kindern in der Stadt, und wir haben Urlaub geplant …«

Cheryl Johnson führt noch weitere Gründe an, weshalb sie nichts zur Planung des Festivals beitragen kann, aber ich höre gar nicht mehr zu, sondern starre stattdessen Nicole an. Sie ist aschfahl geworden und hat die Stirn gerunzelt, sieht extrem angespannt aus. Am liebsten würde ich sie in die Arme nehmen und fest an mich drücken. Ihre weichen Lippen küssen, mit der Zunge …

»Ryan?«

»Entschuldigung, was hast du gesagt?« Mit glühenden Wangen blinzle ich Cheryl an.

»Dann bist du also dabei? Du hilfst Nicole bei der Organisation des Festivals?«

Zögernd blicke ich wieder auf Nicole, die mich aus großen blauen Augen flehend ansieht. Ich will das nicht, und so groß die Versuchung auch sein mag, halte ich es für keine gute Idee, so viel Zeit mit Nicole zu verbringen. Ich bin noch vollauf mit dem Scherbenhaufen meines eigenen Lebens beschäftigt, und sie hat gerade eine lange Beziehung hinter sich. Das kann nur in einer Katastrophe enden.

Nicoles Lippen formen stumm ein »Bitte«, bevor sie sich ein weiteres Mal auf die Unterlippe beißt. Ich bin am Arsch.

»Sicher«, höre ich mich sagen, wobei es mir vorkommt, als betrachtete ich die Szene als unbeteiligter Beobachter. »Ich helfe ihr.«

Nicole atmet sichtlich auf und ergreift über den Tisch hinweg meine Hand. Wieder verspüre ich bei der Berührung so etwas wie einen elektrischen Schlag, und ihrem Blick nach zu urteilen geht es ihr genauso.

»Danke.«

»Großartig!« Cheryl schiebt mit einem schabenden Geräusch ihren Stuhl zurück und steht auf. »Ich danke euch beiden von ganzem Herzen. Hier in der Kiste sind noch ein paar Unterlagen, damit ihr beide euch ans Werk machen könnt.«

Mit einem Seufzer lasse ich mich in meinem Stuhl zurücksinken. Was habe ich mir da nur eingebrockt? Oder genauer, was hat meine Mutter mir da nur eingebrockt? Ich habe später noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen.

Trotzdem muss ich Nicole angrinsen. »Ich schätze, das verlangt nach einer Extraportion Kaffee.«

Kapitel 6 Nicole

Die Sunset Art Gallery hat schon bessere Zeiten gesehen. Ich stelle meinen Wagen auf dem leeren Parkplatz ab und betrachte das weiß getünchte Gebäude. Es hat einen gewissen schäbigen Charme, aber die abblätternde Farbe an der Fassade und der ausgebleichte Giebel sind unübersehbare Zeichen der Vernachlässigung. Howard Nelson hat die Galerie eröffnet, als Jetty Beach noch ein Dorf war mit nur einer Handvoll Einwohnern. Es heißt, die ersten Touristen seien wegen Howards Kunstgalerie nach Jetty Beach gekommen und nur ihr sei es zu verdanken, dass der Ort sich so prächtig entwickelt hat. Auch wenn die Einheimischen gerne über die Touristen schimpfen, insbesondere über deren unmögliches Fahrverhalten, ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle von Jetty Beach. Ohne die vielen Urlauber wäre der Ort dem Untergang geweiht.