BIG B - Irene Leser - E-Book
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BIG B E-Book

Irene Leser

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Beschreibung

Auf dieses kuriose Nachschlagewerk hat Berlin gewartet: 40 Begriffe mit dem Anfangsbuchstaben B machen verständlich, wie die Hauptstadt tickt. Die essayistischen Texte vermitteln augenzwinkernd Fakten zu zentralen wie abwegigen Themen – von Baustelle und Berlinale über Bier und Bürgerbeteiligung bis hin zu Brandenburg und BVG. Das Buch ist kein gewöhnliches Lexikon mit Einträgen von A bis Z, sondern die Einladung, gesellschaftliche Zusammenhänge aus einem einzigen Buchstaben heraus zu begreifen: eben dem "BIG B". Die Beschränkung erweitert dabei den Denkhorizont und ermöglicht einen frischen Blick auf die deutsche Hauptstadt und ihre Eigenheiten.

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Inhalt

Beginn

Badewanne

Balkon

Ball

Bandenkrieg

Bär

Bar

Bargeld

Bauen

Baustelle

Bayern

Begehren

Benz

BER

Berghain

Berlin

Berlinale

Berlinerische

Berufsverkehr

Betteln

Bewegung

Bezirk

Bier

Bikulturalität

Bitch

Bitterfeld

Bolle

Bonze

Boxen

Brandenburg

Brandenburger Tor

Bruder

B-Status

Bühne

Bulette

Bundesrepublik

Bundestagsrede

Bunker

Bürgerbeteiligung

Bürgermeister:in

BVG

Beitragende

Beginn

2013, drei Jahre vor seinem Tod, schenkte David Bowie mit seinem Ohrwurm „Where Are We Now?“ Berlin eine Hymne. Der Song passt zur Stadt, genauso wie zu Bowie selbst. Es ist ein Text über (West-)Berlin, eine Stadt, in der Bowie in den wilden 1970ern lebte, eine Stadt, in die er immer wieder zurückkehrte. „As long as there’s sun / As long as there’s rain / As long as there’s fire / as long as there’s me / As long as there’s you.“

Berlin ist aber nicht nur West-Berlin, nein, Berlin ist auch Ost-Berlin. Berlin ist nicht nur Vergangenheit, sondern auch Gegenwart. Und Berlin hat mit seinen heute 3,850 Millionen Einwohner:innen einiges zu bieten: Frohsinn, aber auch Nachdenklichkeit, Innovationen wie auch Beständigkeit. Berlin ist eine Stadt, die manche vor dem Hintergrund ihrer Größe verschreckt, viele aber auch fasziniert. Es ist eine Stadt, die man aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann: den Orten, den Dingen, den Menschen, den großen und kleinen Geschichten, die diese Stadt zu der machen, die sie ist.

Dieses Buch greift die Eigenheiten dieser Stadt auf. Es ist ein Nachschlagewerk mit 40 Begriffen, die alle eines eint: ihr Anfangsbuchstabe. In essayistischen Texten erläutert das Buch, mit mitunter augenzwinkernden Fakten, zentrale wie abwegige Themen der Hauptstadt, eine Stadt, die einlädt, bunt und divers zu denken und zu handeln.

Dabei ist dieses Buch ein besonderes. Es ist kein gewöhnlicher Reiseführer. Es bietet keine wohlsortierte Übersicht über touristische Highlights, keine Sightseeing-, Restaurant-, Shopping- oder Ausgehtipps. Es ist auch keine klassische Enzyklopädie mit Einträgen von A bis Z. Es ist die Einladung, die Hauptstadt aus einem einzigen Buchstaben heraus zu begreifen: dem für die Hauptstadt passenden B.

Doch woher kommt die Idee, Berlin aus seinem Anfangsbuchstaben heraus zu schreiben? Die Inspiration dazu entstand bei einem stärkenden Picknick während einer sonnigen Herbstwanderung im wunderschönen Land Brandenburg. Zu viert waren wir unterwegs, setzten uns auf eine Lichtung, packten jegliche Kulinarik aus, die wir dabeihatten, und warfen uns beim Genuss des Mitgebrachten unterschiedliche Schlagwörter zu. Im Tun landeten wir recht schnell beim B. Fast alle uns in diesem Moment wichtigen Begriffe begannen damit: das getrunkene Bier, die mitgebrachten Bananen, das selbstgebackene Brot, die Beeren, die auch kalt genossene, leckere Bolognese. Schnell wurde uns klar, dass nicht nur das aus den Rucksäcken geholte Essen und die guten, vor Ort gekauften und damit noch kühlen Getränke mit diesem Buchstaben beginnen, sondern auch gesellschaftlich und politisch relevante Aspekte: Wir alle leben in der BRD, mit 16 Bundesländern, u. a. Berlin, Bremen, Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern, Bundesländer, die aus einer langen Geschichte hervorgegangen sind. Wir leben in Beziehungen, blödeln gerne herum, um die Ernsthaftigkeit des Lebens auch ein wenig lockerer sehen zu können. In dem kurzen stärkenden Break war eines schnell klar: Es gibt viele bedeutende Begriffe, die mit B anfangen.

Um Berlin in seiner Heterogenität zu illustrieren, haben vielfältige Autor:innen zu dem Buch beigetragen. Ihre Mischung ist bunt zusammengewürfelt. Geschrieben haben in diesem Buch Akademiker:innen unterschiedlicher Disziplinen, Journalist:innen, ein Theatermacher, ein Kabarettist, ein Begründer des Vereins Berliner Unterwelten, ein (ehemals) für den Bundestag arbeitender Redenschreiber und ein (ehemaliger) Berliner Bürgermeister. Sie alle haben ihre Expertise und ihren Blick auf Berlin eingebracht.

Entstanden ist ein Werk, das Berlin auf eine vielfältige, interdisziplinäre, geschichtlich interessierte und Gegenwart beschreibende Weise aus einem einzigen Buchstaben heraus liest und dabei zahlreiche, mitunter auch recht selten gehörte und doch äußerst interessante Fakten beinhaltet.

Als Leser:in können Sie sich ein eigenes Bild vom Sinn oder Unsinn dieses Buches machen. Sie können es gerne, beginnend mit der ersten Seite, in chronologischer Reihenfolge lesen. Sie können es, auf die die Beiträge einleitenden Teaser fokussiert, querlesen. Sie können es auch irgendwo aufschlagen und sich über einzelne Begriffe, sei es die Berlinale, das Bier oder die für Berlin wichtigen Bühnen informieren und darüber mehr über die Hauptstadt lernen. Darüber hinaus bietet es sich an, das Buch auf einen Berlin-Trip vorbereitend oder auch begleitend zur Hand zu nehmen. Beginnen Sie hierfür gerne mit dem Beitrag über Berlin. Er liefert Ihnen einen interessanten Überblick über die lange Stadtgeschichte. Wählen Sie anschließend die Sie interessierenden Orte. Besuchen Sie z. B. das Brandenburger Tor, einen Bunker oder eine Baustelle. Vergleichen Sie das Gesehene mit dem Gelesenen. Genauso gut eignet sich das Buch als Inspirationsquelle für Ausflüge in und von Berlin aus. Sie werden erstaunt sein, wie die Beiträge zu Bandenkrieg, Balkon, Bitterfeld, Brandenburg oder Bayern ihre je eigenen Geschichten erzählen und zu einer eigenen Exkursion einladen. Das Buch kann selbstverständlich auch aus Interesse an geschichtlichen Hintergründen genossen werden und dazu, Berlin in seiner Gegenwart besser verstehen zu lernen. Es kann ein Reisebegleiter in die morgendliche Bürotretmühle werden. Genießen Sie es, informieren Sie sich über die Stadt, schmunzeln Sie, wenn Sie das Bedürfnis dazu haben, lachen Sie auch gerne lauthals auf, wenn es Sie überkommt, halten Sie inne, wenn es im Buch doch nachdenklicher wird.

Gerne können Sie das Buch aber auch verschenken: an Berliner:innen und Besucher:innen, an sich selbst oder gute Freund:innen. Egal, was Sie mit diesem Buch machen, ich wünsche Ihnen viel Freude dabei und danke allen, die direkt oder indirekt zu diesem Buch beigetragen haben. Mein erster Dank geht an alle am Band beteiligten Autor:innen. Ohne sie gäbe es das Buch einfach nicht. Darüber hinaus danke ich meinen Freund:innen, Wegbegleiter:innen und Kolleg:innen. Sie haben mit ihren vielfältigen Fragen, Anmerkungen und Hinweisen dieses Werk gehaltvoller gemacht. Mein Dank gilt ebenfalls der das Projekt nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich bereichernden Lektorin Marijke Leege-Topp. Sie hat das Buch zu einem lesenswerteren gemacht, als es ursprünglich war. Zuletzt möchte ich Dirk Palm, dem Verleger des BeBra Verlags, danken. Er brachte dem Vorhaben von Anfang an Begeisterung und Vertrauen entgegen. Ohne ihn würden Sie dieses Buch nicht in den Händen halten.

Juli 2023, Irene Leser

Badewanne, die [ˈbaːdəˌvanə]

Der Begriff Wanne leitet sich aus dem lateinischen vannus »Futterschwinge« ab. Den wenigen zu findenden Definitionen des Begriffes ist gemein, dass die »Badewanne« als (meist längliches) Behältnis zum Hineinsetzen oder -legen bezeichnet wird, in welchem der Körper ganz oder teilweise mit Wasser bedeckt ist und welcher in erster Linie der Körperhygiene dient. Eine durchschnittliche Badewanne misst zwischen 75 und 80 Zentimeter Breite und zwischen 175 und 180 Zentimeter Länge. Badewannen fassen meist ein Volumen zwischen 150 und 180 Liter Flüssigkeit, wobei zu beachten ist, dass die tatsächliche Wassermenge direkt mit der Körperfülle des Badenden korrespondiert.

Ich bin umgezogen. An sich keine besondere Nachricht. Alltag in Berlin. Was diese Information aber relevant macht, ist die Ausstattung der neuen Wohnung: Es gibt nur eine Dusche!

Die Dramatik hinter diesen fünf Worten erschließt sich wohl nur eingefleischten Anhänger:innen eines guten Bades. Es brauchte viele gute Gründe für die neue Wohnung, um das Fehlen einer Badewanne auszugleichen. Das Baden in einer Badewanne war bis dato ein elementarer Teil meines Lebens. Es gibt keinen naheliegenderen Ort für Entspannung und Konzentration. Wo lässt sich besser ein Buch oder eine Zeitung lesen als in der Badewanne? An welchem Ort kann man sich fokussierter auf Prüfungen vorbereiten, wo lässt sich ungestörter den eigenen Gedanken nachhängen? Fern jeder Ablenkung bietet ein Bad die Möglichkeit vollkommener Entspannung und/oder höchster Konzentration.

Sicher war in der Menschheitsgeschichte ein Bad schon häufiger Inspirationsquelle weltbewegender Entwicklungen und Gedanken. So entdeckte beispielsweise der griechische Mathematiker Archimedes vor über 2000 Jahren die Auftriebskraft von Körpern in flüssigen Medien angeblich beim Baden. Dass es dann aber doch nur recht wenige Überlieferungen davon gibt, wie revolutionäre Umwälzungen ihren Ursprung beim Baden fanden, mag mit der Intimität des Moments zu tun haben. Zu verwirrend scheinen die Bilder, stellt man sich Größen der Weltgeschichte sinnierend in der Wanne vor. Was löst es bei Ihnen – den Lesenden – aus, wenn Sie sich einen Karl Marx nackt in der Stahlemaille-Wanne vorstellen, während er versunken über das Kapital nachdenkt? Spüren Sie noch die dunkle Seite der Macht, wenn Sie an Darth Vader in der Badewanne denken? Nur schwer lässt sich die Erhabenheit großer geistiger Schöpfungen mit der Nacktheit ihrer Schöpfer:innen während eines Bades zusammen denken.

Kalt und technokratisch betrachtet, ist eine Badewanne ein toter, seelenloser, meist weiß getünchter Hohlkörper, in welchem Wasser und Fleisch zum Zwecke der Reinigung geparkt werden, versteckt meist im pragmatischsten und unpersönlichsten Raum einer jeden Wohnung – dem Bad.

Ein eigenes Badezimmer war in Berlin lange ein seltener Luxus. 1910 verfügten fast 90 Prozent der Haushalte nicht über ein eigenes Bad, geschweige denn über eine Badewanne. Für die arbeitende Masse standen im rasant wachsenden Schmelztiegel Berlin Gemeinschaftswaschräume im Keller oder Wannen- und Duschbäder in den Volksbadeanstalten zur Verfügung. So verfügte das Stadtbad Mitte in Berlin, welches von dem jüdischen Kaufmann und Wohltäter Henri James Simon gestiftet und 1930 eröffnet wurde, nicht nur über das nach wie vor existierende 50-Meter-Becken. Es war zudem auch ausgestattet mit 80 Wannenbädern, 40 Duschzellen und 20 medizinischen Bädern.

Die Einführung kostengünstiger Badewannen wie die Volksbadewanne der Kraußwerke oder die Wellenbadschaukel des Berliner Klempners Carl Dittmann schuf zwar zu Beginn des letzten Jahrhunderts schon die Voraussetzung, das Wannenbad weniger begüterten Schichten zugänglich zu machen. Doch erst mit den Neubauprojekten im stark zerstörten Berlin nach 1945 wurde ein eigenes Badezimmer in jedem Haushalt normal. Mit den umfassenden Sanierungsmaßnahmen der Altbauten im boomenden Berlin der Nachwendezeit bekamen nun auch die letzten Berliner:innen ihr eigenes Badezimmer. Folgerichtig wurden 2007 die letzten verbliebenen öffentlichen Wannenbäder im Stadtbad Charlottenburg geschlossen.

Wie aber kann aus der gefliesten, glatten Kargheit eines Badezimmers, aus dem materialisierten Nichts einer Wanne ein Moment des Behagens, der Wohligkeit, des Genusses und des Völlig-bei-sich-Seins entspringen?

Ein Grund für diese Transformation liegt sicher gerade im asketischen Charakter der meisten Badezimmer-Umgebungen. Ohne in ein dystopisches Lamento zu verfallen, stellt es durchaus eine Herausforderung der Moderne dar, für sich Orte ohne Störung und Ablenkung, Orte der Kontemplation zu finden. Das Bad kann genau dieser Ort sein. Eine kleine, sehr überschaubare analoge Insel in der stürmischen See digitaler Ablenkungen. Ruhepol in einer hektisch pulsierenden Großstadt.

Natürlich wird in einer kapitalistischen Gesellschaft versucht, diesen privaten Luxus zu kommerzialisieren. In der uns umgebenden medialen Hochglanz-Ersatzrealität ist das Baden keine Tätigkeit körperlich leicht ramponierter Menschen, die in ihrem Badekämmerlein mal ganz ungestört und unbewertet sie selbst sein dürfen. In der Ersatzrealität findet das Baden vielmehr in lichtdurchfluteten ausufernden Badezimmerlandschaften statt, veredelt durch Rosenwasseressenzen und exklusive Duftkerzen.

Allerdings liegt ein massives Missverständnis vor, wenn ein ordinärer Prahlhans wie der ehemalige Limburger Bischof Tebartz-van Elst glaubt, die Exklusivität eines Bades setze eine 4000 Euro teure, freistehende Badewanne voraus. Euer Hochwürden hat nicht verstanden, dass die Exklusivität in der Ruhe und dem Moment für sich besteht. Natürlich lässt sich der Genuss mit dem Wohlgeruch einer – vielleicht auch etwas teureren – Badeessenz noch steigern. Eine Badewanne als Statussymbol, ein Jacuzzi gar, ist dagegen so sinnfrei wie ein SUV in Berlin. Platzverschwendung. Prollig und geschmacklos.

Wahrhaft passionierte Badewannen-Nutzer:innen werden sich von den Verlockungen der Lifestyle-Selfcare-Industrie kaum beeindrucken lassen. Wissen sie doch, dass ihre Badewanne genug ist; genug um sich einen exklusiven Moment gönnen zu können.

Und doch gibt es auch dieses unheimliche Moment, das in der Auseinandersetzung mit dem Thema Badewanne nicht verschwiegen werden darf. Die dunkle Ahnung, dass Ruhe und Sicherheit in der Wanne nicht absolut sind. Gemeint ist nicht der banale Moment, wenn vergessen wurde, die Tür abzuschließen und Mitbewohner:innen zu ungünstiger Zeit ebenfalls das Bad nutzen möchten; der peinliche Augenblick, wenn die aufeinandertreffenden Akteur:innen einer solchen Szene kurz in ihrer Scham, Rat- und Hilfslosigkeit vereint sind. Gemeint sind vielmehr jene potenziellen Augenblicke, wo sich die brachiale, gewalttätige Realität dieses letzten Rückzugsorts ermächtigt. Gerade weil das Bad in einer Badewanne so intim ist, wir hier nackt und verletzlich sind, reicht allein schon die Vorstellung einer solchen Grenzüberschreitung, um uns einen gehörigen Schrecken einzujagen. Unterbewusst wissen wir, dass dieser letzte Rückzugsort auch Falle sein kann. Der durch die zerschlagene Badezimmertür irre grinsende Jack Nicholson hat dieser Angst ein Gesicht gegeben.

In Kunst und Film ist die Badewanne nicht nur Symbol für Luxus oder Anlass für einen Akt. Immer wieder ist die Wanne auch Motiv eines stillen und damit umso eindrücklicheren Grusels. Die Darstellung des ermordeten Jakobiners Jean Paul Marat durch den Revolutionsmaler Jacques-Louis David (1793) oder das Bild des toten Uwe Barschel in der Badewanne bleiben wohl auch deshalb haften, weil sie von einer traurigen und unumkehrbaren Einsamkeit zeugen.

Lassen wir uns von solchen Bildern jedoch nicht zu sehr beeindrucken. Die Wanne lädt zwar zur Versunkenheit und zur Ruhe ein. Das Baden an sich war aber schon immer auch ein soziales Ereignis. In der Kindheit schien die Wanne groß genug für mehrere kleine Menschenwesen und einiges an Spielzeug. Wem als Erwachsener seine Wanne dafür zu klein ist oder eben keine zur Verfügung steht, der hat in Berlin verschiedene Möglichkeiten. Diverse Hamams laden zum Besuch ein. Ein eventorientierteres Publikum hört im Wasser treibend Musik im Liquidrom. Und wer mit Jung und Alt planschen möchte, packt die Badehose ein und fährt einfach raus zum Wannsee.

Stefan Neumann

Balkon, der [balˈkoːn]

Ein Balkon ist ein von einem Geländer o. ä. umgebener, vorspringender Teil an einem Gebäude, den man vom Inneren des Hauses aus betreten kann. Er ist eine grüne Oase, auf der sich das Wohnzimmer nach außen verlagern kann. Welch Genuss darauf zu sitzen und in lauer Sommerbrise bei einem guten Buch und einem gekühlten Bier die Sonne zu genießen.

Berlin ist in der Großstadtstatistik Spitzenreiter im Besitz von Balkonen: 71 Prozent aller Wohnungen haben einen! In München sind es gerade einmal 55 Prozent und in Essen leidliche 47 Prozent. Klar, die meisten der Balkone befinden sich in seit den 1970er-Jahren gebauten Mietskasernen: Fast jede Wohnung in Gropiusstadt, Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf hat einen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf rühmt sich gar mit seinem »Berliner Balkon«, der eigentlich gar kein Balkon ist. Es ist ein unbebauter Hang, auf dem man einen wunderbaren Blick über die Kaulsdorfer Seen, nach Mahlsdorf, Kaulsdorf und bei klarem Wetter gar bis Köpenick oder zu den Müggelbergen hat. Der sogenannte Berliner Balkon ist vor Millionen Jahren – ganz ohne menschliches Zutun – entstanden, als ein nordischer Gletscher sich in den Süden aufmachte, in Berlin in Gestalt einer wallartigen Aufschüttung zum Stillstand kam und damit das Urstromtal begründete. Das Berliner Urstromtal kann man beim Besuch des »Berliner Balkons« auf einer 164 Kilometer langen Distanz mit dem Fahrrad umrunden.

Der »Berliner Balkon« ist eine geologische Rarität und immer einen Ausflug wert. Wer keine Lust auf eine ausgedehnte Fahrradtour hat, kann auch vom beschaulichen Mahlsdorf aus, in das man mit der S5 gelangt, einen kleinen 20-minütigen Fußmarsch auf sich nehmen, um vom »Berliner Balkon« aus die Aussicht zu genießen. Nimmt man die S-Bahn zurück in die Innenstadtbezirke, kann man zur Besichtigung verschiedener Balkone Berlins wahlweise in Friedrichsfelde Ost, Lichtenberg, am Nöldnerplatz, dem Ostkreuz, der Warschauer Straße, am Ostbahnhof, der Jannowitzbrücke, am Alexanderplatz oder gleich an allen acht Haltestellen aussteigen. Man wird überrascht sein, was für vielfältige Balkone es in Berlin gibt.

Ist man auf der Strecke bis Friedrichsfelde Ost vorwiegend von Einfamilienhäusern oder Doppelhaushälften umgeben, die i. d. R. eher über einen Garten statt einen Balkon verfügen, trifft man in Friedrichsfelde Ost auf erste Platten des Typs WBS 70, mit ihren ans Wohnzimmer angeschlossenen großzügig geschnittenen Balkonen, die genauer gesagt Loggien sind, denn es sind überdachte, nur zur Frontseite hin offene Anbauten, die durch Glasfenster zum Wintergarten umfunktioniert werden können.

Am Nöldnerplatz sieht die Wohnstruktur ganz anders aus. Hier überwiegt der Altbau mit, wenn überhaupt, eher kleinen Balkonen, die es entweder schon seit dem Bau des Gebäudes gibt oder die ab den 2000ern zur Aufwertung der Eigentumswohnungen angebaut wurden. Einige wenige hochpreisige Wohnungen sind gar mit großen (Dach-)Terrassen ausgestattet, die einen perfekten Blick über die Stadt ermöglichen.

Zwischen Ostbahnhof und Jannowitzbrücke befindet sich der Holzmarkt, ein von den Hedonist:innen der BAR 25 und ihren Freund:innen gebautes »urbanes Dorf«, an dem sich Partys, Kunst und Kultur mit kleinen Betrieben mischen. Die dort Wohnenden haben eigene Balkone mit Blick auf die Spree, der aber, anders als anderswo, von allen genossen werden kann, denn der »Holzmarkt ist ein Ort für Menschen aus der Nachbarschaft und aus der ganzen Welt«, für die es »Arbeit und Muße, Austausch und Debatte, Platz für Kreativität und Träume – und natürlich gutes Essen« gibt, heißt es auf holzmarkt.com.

Steigen Sie aus und genießen Sie die Berliner Leichtigkeit. Fahren Sie nach einem kürzeren oder auch längeren Aufenthalt weiter mit der Bahn in die Innenstadt. Zwischen Jannowitzbrücke und Alexanderplatz werden Sie hochgeschossige Platten erblicken, vermutlich auch die Fischerinsel mit ihren 21-Geschossern und einigen großen Balkonen. Am Alex selbst besteigen Sie die Aussichtsterrasse im Park Inn und genießen den atemberaubenden Blick über die Stadt. Reflektieren Sie, wie unterschiedlich die Sicht von den verschiedenen Balkonen aus ist. Mal ist der Fernsehturm ganz nah, mal weit weg.

Aber nicht nur die Sicht vom Balkon ist interessant. Auch die Sicht auf den Balkon. Bei der Besichtigung der vielen Balkone werden Sie erstaunt sein, wie verschieden sie genutzt werden. Ein jeder erzählt von seinen Bewohner:innen, der eine mehr, der andere weniger. Die einen sind leer und ganz aufgeräumt, andere mit Möbeln, die indoor nicht mehr gebraucht werden, vollgestellt. Manch einen Balkon ziert nur ein teures Fixie-Bike, andere der mit Wäsche überfüllte Wäscheständer. Wieder andere sind als Spielwiese für den eigenen Haustiger umfunktioniert; weitere beherbergen Gartenzwerge, lebensgroße Leoparden oder Tiger aus Keramik. Gar viele sind reichlich bepflanzt, mit Efeu, spießigen Geranien oder dem Inventar eines vollumfänglichen Schrebergartens.

Kein Wunder, dass in einer so balkonreichen Stadt ein Film das Kleinod des Balkons zum Thema gemacht hat: Es ist der sehenswerte, 2004 von Andreas Dresen gedrehte Film Sommer vorm Balkon. Der Balkon rahmt den Film. Auf ihm sitzen die arbeitslose, alleinerziehende, zu Depressionen neigende Katrin und ihre beste Freundin Nike, die Balkonbesitzerin, die eine quirlige Altenpflegerin ist und sich rührselig um die Alten dieser Stadt kümmert. Auf ihrem Balkon geben sich die beiden Freundinnen bei billigem Rotwein die Kante und philosophieren über die Welt. Es ist der Ausschnitt Leben, der Berlin inhärent ist: die Sehnsucht nach Liebe, nach Leben und mehr.

Natürlich ist nicht jeder Balkon der Stadt so ideal gelegen wie der von Nike: oberste Etage am Helmholzplatz, mit Blick auf die gegenüberliegende Apotheke, in der die beiden Freundinnen häufiger anrufen, um dem schüchternen Apotheker einen Telefonstreich zu spielen. Manch ein Balkon befindet sich an einer lauten, vielbefahrenen Ausfallstraße ins Brandenburger Land. Wie gesund das Verweilen auf einem solchen Balkon ist, muss man wohl seine Hausärztin oder seinen Hausarzt fragen. Selbstverständlich kann man den einen oder anderen Balkon, besser gesagt, eine Loggia auch zum Wintergarten umfunktionieren. Man hänge einfach Fensterscheiben an die Frontseite und fertig ist der erweiterte Wohnraum, der gar nur die Hälfte des Mietpreises kostet, weil er ja offiziell Balkonien ist. Bei steigenden Mietpreisen wäre das doch eine wunderbare Idee für ein neues Arbeitszimmer, sofern das alte für den Nachwuchs geräumt werden muss, weil man keine neue bezahlbare Wohnung findet. Von da aus kann man dem familiären Theater auch mal mit etwas Distanz zuschauen. Apropos Theater: Berliner Balkone befinden sich natürlich nicht nur an Häuserfassaden oder in den Außenbezirken der Stadt. Man findet sie auch in zahlreichen Theatern und Kinos innerhalb des S-Bahn-Rings. Denken Sie an das Deutsche Theater, das Berliner Ensemble, den Admiralspalast u. v. m. Hier können Sie im ersten oder zweiten Rang auf die Bühne oder Filmleinwand schauen. Meist ist der Blick, zumindest in den ersten Reihen, viel besser als in den hinteren Reihen im Parkett. Von hier aus lässt sich eine Minna von Barnhelm, eine Dreigroschenoper oder ein Josef Hader ganz wunderbar verfolgen, ohne dass einem ein:e zu groß Gewachsene:r die Sicht versperrt. Das Berliner Balkonien lädt einfach zum Genießen ein.

Irene Leser

Ball, der [ball]

Berlin hat viele Bälle zu bieten: Von fern und nah sieht man aus fast jedem Winkel der Stadt den Fernsehturm mit seinem prominenten ballförmigen Drehrestaurant. In der Nähe vom Checkpoint Charlie befindet sich der heliumgefüllte Weltballon, von dem aus man aus einer Höhe von 150 Metern über die Metropole blicken kann. Auf dem Museum für Kommunikation in der Leipziger Straße stemmen drei 1895 von Ernst Wenck geschaffene Giganten eine Weltkugel. Regelmäßig trifft sich seit 1872 die Berliner High Society zum Vergnügen, Netzwerken und zur Unterhaltung auf dem berühmtberüchtigten Presseball. Und für einen jeden gibt es Geschichten, rund um den guten alten Ball.

Es gibt wenig Dinge auf der Welt, die Menschen so faszinieren wie ein fliegender Ball. Es gibt viele Bälle, die die Menschen verzaubern: Basketbälle, Fußbälle, Tennisbälle, Handbälle, snobige Golfbälle oder kleine Wasserbälle. Ungefähr einmal pro Woche trete ich gegen meinen kleinen Sohn im großen Luftballonduell an. Spielstätte: Wohnzimmer, Altbauwohnung, Berlin-Pankow. Wir spielen zwei Halbzeiten zu jeweils fünf Minuten; ein Timer in Form eines bellenden Hundes beendet die Halbzeiten. Wenn der Ballon platzt, wird die Zeit gestoppt, bis der Ersatzballon aufgepustet ist. Mein Tor ist die Außenwand zum Balkon, mein Sohn muss die Flurtür verteidigen. Hand ist nur als Torwart erlaubt, bei Unentschieden kommt es zum Elfmeterschießen. Wir spielen seit ca. fünf Wochen; es gibt viele enge Duelle, Zehenverletzungen am Sofa und Kopfverletzungen am Wickeltisch. Zurzeit liege ich 1:4 hinten, aber ich bin guter Dinge, dass ich das Ding noch drehe.

Der Ball begleitet mich, seit ich laufen kann. Als Kind war er eigentlich immer dabei. Bei jeder Reise lag der Ball im Kofferraum ganz oben, damit man auf jeder Autobahnraststätte auch schnell mal ein bisschen Ball hochhalten konnte (Eltern lieben so was!). Bei jedem Ausflug zum See oder ins Schwimmbad ist ein kleiner Ball dabei. Es gibt wenig Schöneres als den Ball übers Wasser flitzen zu lassen und mit einer geilen Parade abzuwehren, natürlich auch um den Opi zu schützen, der dahinter seine Bahnen schwimmt.

Aber kommen wir zum wichtigsten aller Bälle: König Fußball! Kickers Emden, SV Rödinghausen, JSG Kirchlengern, FC Muckum und Hansa Kreuzberg: So heißen die großen Clubs meiner eigenen Karriere. Ich war nie ein Trainingsweltmeister, aber es gibt kaum etwas, was ich so geliebt habe wie die 90 Minuten auf dem Platz. Der Moment vor dem Anpfiff, wenn du weißt, okay, jetzt zählts. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Aufstiegsspiel in die Kreisliga A mit dem FC Muckum gegen Sancaspor Spenge. Eigentlich ein typisches Spiel wie immer. Sonntagfrüh zehn Uhr Treffen; natürlich völlig übernächtigt, nachdem in der Nacht vorher bis drei Uhr gefeiert wurde. Die Fanszene des FC Muckums war natürlich auch am Start: hauptsächlich Ü60-Opis mit Bratwurst, Bier und großer Taktikexpertise. Das Spiel ging gut los. Nach 20 Minuten gingen wir nach einem Freistoß 1:0 in Führung, aber Anfang der zweiten Halbzeit waren wir nach einer Notbremse nur noch zu zehnt auf dem Feld und Sancaspor glich aus. Ich wurde aus dem Sturm in die Abwehr zurückgezogen und es folgte eine ewige Abwehrschlacht, bis wir uns ins Elfmeterschießen retteten. Hier verschossen wir gleich unseren ersten Elfmeter. Aber auch Sancaspor verschoss den zweiten und dritten Elfer. Am Ende gewannen wir das Ding mit 5:4 und stiegen in die Kreisliga A auf. Die Ektase nach dem Sieg kann man sich in etwa so vorstellen wie die Feier in Buenos Aires nach dem WM-Sieg gegen Frankreich.

Fußball hat so viel Zauber in sich. Aber natürlich gibt es auch Schattenseiten: Jugendliche Schiedsrichter, die ehrenamtlich Sonntagfrüh über den Platz rennen und sich permanent beleidigen lassen müssen, Schlägereien wegen Beleidigungen als Bastard und angeblich gefickter Mütter (König Zizou hat im WM-Finale 2006 ja gezeigt, wie man darauf reagiert) und viele unnötige Verletzungen.

Kommen wir zum Fußball in Berlin. Hier ist Licht und Schatten in Ost und West getrennt. Und wie so oft im Leben funkelt das Licht im Osten, genauer gesagt in der Alten Försterei in Köpenick. Den Weg, den Union genommen hat, aus der zweiten Liga auf dem Weg in die Champions League, organisch gewachsen mit einem der besten Trainer der Liga, steht im krassen Gegensatz zum Big-City-Club im Olympiastadion, die mit Großinvestor gegen den Abstieg spielen. Aber gut, die alte Dame setzt die letzten Monate wieder verstärkt auf Hertha-Lösungen, mal schauen, wie gut das mit den 777 Partnern laufen wird.

Auch meine eigene Zeit bei Hansa Kreuzberg hatte viel des oben beschriebenen Zaubers. Dabei zeigt sich die Vielfalt der Stadt auch in den vielen Fußballplätzen: Spiele zwischen Villen mit Pool im beschaulichen Gatow, Plattenbauten in Marzahn und Hellersdorf oder eben auch Derbies bei uns in der Wrangelritze in Kreuzberg. Die Liebe zum Spiel war und ist in allen Teilen der Stadt gleich, auch wenn es durchaus Unterschiede gibt, was z. B. die Auslegung gesunder körperlicher Härte angeht. Lustig waren auch die Spiele, die der Berliner Fußballverband auf Sonntagfrüh um acht Uhr angesetzt hat. Wenn man Sonntagfrüh um sieben Uhr mit der BVG zum Spiel nach Kreuzberg unterwegs ist, kommt es in der U-Bahn zur schönen Symbiose, von Menschen, die gerade erst aus den Clubs gefallen sind, und Menschen, die mit ihrer Sporttasche unterwegs sind und das glückliche Los der frühen Spielansetzung gezogen haben.

In dem Buch Fußball als Soziales Feld heißt es: »Fußball ermöglicht die Herstellung von Zugehörigkeit, Identität und von Zusammenhalt. Die Herausbildung von nationalen, regionalen und städtischen Kulturen wird über Fußball ermöglicht, unterstützt und partiell sogar initiiert. Zugleich und parallel kann über Fußball Abgrenzung und Differenz zu den ›Anderen‹ grundiert werden. Fußball ist ambivalent und polarisiert, nicht nur während des Spiels auf dem ›grünen Rasen‹, auch auf den Tribünen, in den Städten und vor dem Fernseher – Fußball ist immer ›mehr als nur das Geschehen auf dem Platz‹.«

Interessant ist auch ein kurzer Blick auf die historische Entstehungsgeschichte des Fußballs, die der Sportsoziologe Karl-Heinrich Bette wie folgt beschreibt: »So wurde beispielsweise in Gestalt des Fußballs aus einem weitgehend regellosen, lokal zwischen Dörfern ausgetragenen Volksspiel durch zeitliche, sachliche, soziale und auch räumliche Verregelungs- und Organisationsbildungsprozesse ein in Ligen durchgeführter Wettbewerbssport, der ab 1900 einen weltweiten Siegeszug antrat und bis heute die Massen begeistert.«

Und so kommen wir wieder zum Anfang: Denn die Begeisterung im Zuge der sachlichen, sozialen und auch räumlichen Verregelungsprozesse zeigt sich nirgendwo schöner als im großen Luftballonduell!

Ole Engel

Bandenkrieg, der [bændən ˈkʁiːk]