Birth. School. Work. Death. - Nils Mohl - E-Book

Birth. School. Work. Death. E-Book

Nils Mohl

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Beschreibung

Ohrenbetäubender Lärm. Kälte schlägt gegen die im Wind flatternden Wangen, die Spezialbrille gräbt sich in die Stirnhaut, der Luftdruck presst den Brustkorb zusammen. Der Pilot denkt an den Fallschirm oben im Flugzeug. Schüler auf Klassenreisen, Sportartikelvertreter und schweinsköpfige Aliens treibt Nils Mohl ebenso selbstverständlich zum völlig verblüffenden Showdown zusammen wie er eine rauschhafte Silvesternacht einfach am Höhepunkt implodieren lässt. Vier Storys, die zum Schnellsten und Spektakulärsten gehören, was dieses Genre hierzulande zu bieten hat: –Stadtrand Kuss Tier –Zwischen Fort Knox und G-Punkt, irgendwo –Entropische Anomie –Birth. School. Work. Death. «Eine bizarre, hoch beschleunigte Erzählmontage ...» Deutschlandfunk über «Birth. School. Work. Death.»

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Seitenzahl: 60

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Nils Mohl

Birth. School. Work. Death.

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Stadtrand Kuss TierZwischen Fort Knox und G-Punkt, irgendwoEntropische AnomieBirth. School. Work. Death.Weitere Werke des AutorsVon den Elefanten sprechen wir späterSchön, dass du da warstEs war einmal IndianerlandStadtrandritter
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Stadtrand Kuss Tier

Als er an einem Spätsommerabend von der Arbeit nach Hause kommt, fasst M. den Entschluss, zu seinem Geburtstag ein Fest zu feiern. Der Wagen seiner Frau steht in der Einfahrt, die Fahrräder der Kinder, ein Junge (13), ein Mädchen (11), sind gegen die Hauswand gelehnt. Er parkt an der Straße, sicher wie immer, ohne den Bordstein zu berühren. Beim Blick in den Außenspiegel sieht er auf dem Fußweg am Ende der Kurve seine Nachbarin, Hausnummer 7 (Buchenhecke). Mit kurzen Schritten kommt sie, tief über ihren Laufwagen gebeugt, näher. Ein Gießkannenschaft ragt aus dem Korb der Gehhilfe. Beinah täglich besucht sie das Grab ihres letzten Katers. M. schält sich aus dem Sitz, winkt der alten Frau zu.

Das klimatisierte Einkaufszentrum, eine Autobahnauffahrt, ein Swinger-Club, der Tierfriedhof – das seien die Attraktionen des Stadtteils, witzelt er zuweilen in Gesprächen mit Bekannten. Er selbst wäre nicht auf den Gedanken gekommen, an die Peripherie zu ziehen, aber seine Frau ist hier aufgewachsen, das Haus haben sie zur Hälfte geerbt, ein Kredit und ein paar finanzielle Klimmzüge haben es seinerzeit möglich gemacht, M.s Schwager auszuzahlen.

Ganz bestimmt komme sie zu seinem Fest, sagt die Nachbarin. Ihre Augen blicken trüb aus einem glänzenden Wachsgesicht. Rund ein halbes Jahrhundert ist sie älter als er. Er wird 39, bislang hatte ihn das nicht weiter beschäftigt, aber jetzt hört er sich sagen, er habe vor, alle Nachbarn einzuladen, ein Gartenfest zu feiern, staunt über das Gesagte selbst ein wenig. Er betrachtet das sonnige Grau der Straßenmitte, das an dem Schatten des Hauses, in dem er wohnt, scharf endet. Sein Blick wandert über den Asphalt, von dem hellen in den dunklen Teil, verliert sich am Rand des Bordsteins, wo die raue Fläche fast schwarz wirkt. Warum nicht auf der Stelle Nägel mit Köpfen machen?

 

Hausnummer 6 (Steingarten) sagt sofort begeistert zu. Hausnummer 4 (Doppel-Carport) ebenfalls. Bei Hausnummer 2 (Jägerzaun), vor kurzem verwitwet, macht niemand auf. Er holt Stift und Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts, legt eine Liste an. Dann wechselt er auf die andere Straßenseite zu den ungeraden Nummern. Hier wie drüben: gleichgroße Grundstücke, baugleiche Häuser, die Spitzdächer überall pfannengedeckt, aus den meisten ragen Gauben. Vogelgezwitscher ist zu hören, etwas weiter entfernt: Stimmen spielender Kinder und ein Rasenmäher. Autos fahren selten in dieser fast ausschließlich von den Anwohnern benutzten Nebenstraße.

Ein Fest, das sei doch eine wirklich wunderbare Idee, man werde bestimmt kommen, sagt Nummer 13 (weiße Sprossenfenster), bittet ihn auf eine Tasse Tee hinein. Keine Zeit, vielen Dank, gibt er zurück, die Familie wartet. Rauf bis zur 69 (Froschteich) will er noch und dort, am Ende der Straße, dann wieder rüber zu den geraden Nummern und so zurück bis zu sich, zur 8 (Apfelbaum). Alle in der Straße will er persönlich einladen, ein großes Fest soll es werden. Ja, ganz deutlich hat er es plötzlich vor Augen: Die beiden Pavillonzelte werden sie im Garten aufstellen, Bistrotische und Biergarnituren leihen, Fleisch und Würstchen grillen. Die Sommerbowle seiner Frau wird reißenden Absatz finden, eine Jazz-Kapelle spielen. Die Idee mit dem Fest gefällt seiner Frau sicher – darauf würde er wetten. Sie empfängt, auch wenn es selten vorgekommen ist in der Vergangenheit, gerne Besuch.

Er klingelt bei Nummer 15 (grüne Plastik-Regentonne, extra groß). Ein Fest? Man mustert ihn, grinst. Ja, schon wieder? Er riecht die Alkoholfahne.

Schon wieder? Er versteht nicht.

Man werde es sich überlegen, ist die Antwort. Die Tür fliegt ins Schloss. Er notiert ein Fragezeichen hinter Nummer 15, bemerkt, auf dem Weg zurück auf die Straße, den Mond; eine blasse Sichel am noch immer tagblauen Himmel. Er lockert die Krawatte, zieht sie sich über den Kopf, lässt das Stoffstück in der Seitentasche des Jacketts verschwinden.

 

Nummer 37 (überdachter Sandkasten) schüttelt ihm zur Begrüßung mit beiden Händen voller Überschwang die Hand, bedankt sich. Das Fest sei beeindruckend gewesen, man habe es noch in bester Erinnerung, und von der Hüpfburg würden die Kinder bis heute schwärmen, schade, dass man so früh habe gehen müssen.

In bester Erinnerung, aha. M. nickt, macht sich eine Notiz wegen der Hüpfburg – eine gute Anregung. Zumal er zuvor ohnehin gerade über ein Extra-Nachmittags-Programm für Familien nachgedacht hat. Je früher das Fest beginnen würde, desto besser. Eltern könnten dann erst mit ihren Kindern vorbeischauen und später, wenn der Nachwuchs ins Bett gebracht worden ist, noch einmal wiederkommen. Dann würde man sicher tanzen und gemeinsam feiern.

Hut ab, am Ende sei es doch ziemlich zur Sache gegangen. Nummer 49 (Holzveranda) boxt ihm augenzwinkernd gegen die Schulter, klasse Abend, ganz großes Tennis.

Nein, ein Fest von diesen Dimensionen hätte man im Traum nicht erwartet, sagt 53 (Tonskulpturen), dass so viele Nachbarn zwei volle Tage zusammen durchfeiern, ja, Wahnsinn.

Nummer 67 (Swimmingpool), die Mutter einer Schulkameradin von M.s Tochter, kommt im Kimono an die Tür. Es ist das vorletzte Haus auf dieser Straßenseite. Sie beugt sich zu ihm vor, berührt mit leicht geöffnetem Mund seinen Mund. Er schmeckt ihren Lippenstift, einen Hauch von Vanille, das Arom kommt ihm bekannt vor. Ein Kuss? Nie hat er seine Frau betrogen in den fünfzehn Jahren, die sie verheiratet sind, ist nicht einmal in Versuchung geraten in all der Zeit. Jetzt fährt die Mutter der Schulkameradin seiner Tochter ihm mit gespreizten Fingern durchs Haar.

Schön, dass er es doch noch habe einrichten können, sagt sie, sie habe schon geglaubt, er würde sie versetzen. Er spürt ihre Hand in seinem Nacken. Komm rein, sagt sie, dreht sich zur Tür um, öffnet dabei den Knoten ihres Kimonogürtels. Aus dem Inneren des Hauses ist Fernsehlärm zu hören, er erkennt die ihm vertraute Akkordfolge eines Werbespot-Jingles (Duschgel), putzt sorgfältig die Schuhsohlen an der Fußmatte ab, bevor er über die Schwelle tritt.

 

Sie hat es sich im Garten auf einer Liege am Swimmingpool bequem gemacht, saugt an einem Strohhalm, der im stumpfen Winkel aus einem bunten Getränk ragt. Der Kimono liegt im perfekt gestutzten Gras. Sonnenbrille, Bikinihöschen und weiße Riemchenstöckelschuhe sind alles, was sie trägt. Was würde es bedeuten, eine Geliebte zu haben? Er zieht das Jackett aus, setzt sich auf einen Klappstuhl, krempelt die Ärmel des Oberhemdes bis über die Ellenbogen auf, schlägt die Beine übereinander.

Ihre Tochter sei beim Vater, sagt sie, stellt ihr Glas auf dem Boden ab. Wie es denn ihm inzwischen gehen würde mit der Trennung? Sie habe gehört, es sei für die Kinder nicht einfach gewesen am Anfang, ob er denn noch Kontakt habe.

Trennung? Er lacht kurz auf, räuspert sich.

Sie sagt, es sei okay, wenn er nicht darüber reden wolle.

M. lässt den Blick über die Wasseroberfläche schweifen. Ein welkes Blatt treibt in der Mitte des Beckens. Sie setzt sich auf, hantiert an den kleinen, eckigen Schnallen ihrer Schuhe, schlüpft mit den Füßen heraus. Gehen wir schwimmen, sagt sie. Er schaut zu, wie sie mit ein paar wenigen, fast fließenden Bewegungen in den Pool steigt. Lichtreflexe tanzen über das Blau um sie herum.