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Im täglichen Leben, auf Reisen, beim Betrachten von Kunst: Überall treffen den Autor blitzartig Erkenntnisse und Einsichten, die die Fassaden des Alltags einreißen und zum Festhalten auffordern. Liebe, Alter, Tod sind die existenziellen Probleme, an denen niemand vorbeikommt. Dabei gewinnt das Thema des Alterns und Altseins - in der Lyrik sonst eher beiläufig aufgegriffen - in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Ein eigener Themenkreis beschäftigt sich in diesem Band damit, in dieser Dichte vielleicht einmalig. Sammlung geschenkter Augenblicke: Schnappschüsse, zufällig eingefangen. Bilder mit bewundernswerter Präzision, gestochen scharf. Überblicke, Weitblicke.
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Seitenzahl: 40
Inhaltsverzeichnis
Impressum 3
I 4
II 20
III 34
IV 50
V 78
VI 94
VII 107
VIII 117
ANMERKUNGEN 138
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2019Vindobona Verlag
ISBN Printausgabe: 978-3-946810-49-0
ISBN e-book: 978-3-946810-50-6
Lektorat: Annette Debold
Umschlagfoto: Benjavisa Ruangvaree | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Vindobona Verlag
Innenabbildung: Eva Gerner
www.vindobonaverlag.com
I
Unterm Eis
Mäßig getarnt
unter gläsern verpackten
Schwänzen der Wasserpest
die Äsche.
Bedrohlich knisternd oben
das milchige Sohlenprofil
in unerreichbarer
tödlicher Leere.
Dem drohenden Schatten
mit zitternden Flossen
standzuhalten, heißt
überleben.
Frühling
Frühling ist, wenn
auf den Grünstreifen
neben der Fahrbahn
Teppiche von blauen Sternchen
blühen, über denen die
Hunde ihre Notdurft
verrichten.
Sommermittag
Zerknittertes verblassendes
Gelb der mannshohen
Nachtkerze vor
zartlila Schmetterlingsflieder
im sattgrünen Meer.
Das nutzlos aufgeschlagene
Buch, die wandernden
Sonnenflecken.
Du neben mir,
endlos die
Handbreit Zwischenraum.
Stunde der
eifrigen Bienen.
Mücken
Gefangen
in einem breiten Balken
Abendsonne, spielen Dutzende
winziger Mücken. Jede einzelne
zuckt zwischendurch weit
nach links, nach rechts,
bleibt dann wieder eine
Weile in der Mitte. Der
Schwarm aber schwebt als
Kugel auf derselben Stelle,
unbeeindruckt vom Vögelchen,
das unter ihm hindurchfliegt.
Sechs Wochen Lebenslust,
schwereloser, sorgloser Tanz
in vollendeter Harmonie.
Auf der Terrasse
Hinter den Augen
eine Halde aus
kleinteiligem Müll,
zusammengelesen
in der letzten halben Stunde.
Wenn der Blick
über den Rand der Zeitung
hinausgleitet,
hält sich das
kräftige Blau der Glockenblume,
das satte Gelb der Goldruten
eine halbe Minute
oben
auf dem Kamm des
Unrats, um dann ins
Bodenlose zu rutschen.
Abstieg
Der Schweiß abschüssiger Pfade
durchs kantige Kalkgestein liegt
hinter uns. Schuppige Fichten,
samtene Buchen, gefurchte Kiefern
zwingen den laubgepolsterten Weg
zu sanfterem Gefälle. Die Knie
gehorchen mechanisch. Zwischendurch
weit unten, hinter dem Dorf,
der Friedhof. Spätnachmittagskühle,
erfüllt von Gipfelblick, von Vorfreude
auf die Ruhe. In einer knappen Stunde
schließt sich der Kreis. Die Kirchenglocken
werden die Nacht herbeirufen.
Winterspaziergang
Versprengte Flocken
spielen mit dem Wind.
Die Gipfel untergegangen im Grau.
Filmkulisse
Struppige Kiefern durchbrechen
das Gitternetz weiß gestäubter
Birken- und Erlenzweige.
Schon gesehen: japanischer Farbholzschnitt
Am Steilufer zieht sich
der Bach zusammen und schlüpft
in einen Tunnel aus Schnee.
O. k., passt so weit
Eine halb verwehte Hasenspur,
quer zum Weg, betupft
den makellosen Harsch.
Gerade noch Kitsch vermieden
Kein Laut außer
dem Knirschen
unter meinem Stiefel.
Wer hat das letzte Wort?
Baum der Erkenntnis
Die Äpfel am
Baum der Erkenntnis
leuchten verführerischer
denn je. Die
alt gewordene Schlange
zischelt nur noch
kaum hörbar.
Mit Leitern und Stangen
sammeln wir, wie viel
die mitgebrachten Körbe
fassen. Keine
Druckstellen mehr,
keine Fäulnis. Aber
der würzige Geschmack
ist vergangen, seit uns
kein Engel mehr
aus dem Paradies vertreibt.
Rodins Denker
Rodins Denker
muss ich irgendwann
im Original gesehen haben,
ich vergaß, wo.
Er saß da
und dachte nach
über Gott und die Welt.
Gott kam uns inzwischen
abhanden. So analysiert er
nur noch diese Welt,
ihre Verrücktheiten und Bestialitäten und
den Abscheu vor der Vergangenheit,
die Angst vor der Zukunft.
Sein Kopf ist unmerklich
noch etwas nach unten gesunken.
Jedenfalls werde ich ihn
in den Weiten des Internets
besuchen und sein
Haar, das ihm wie ein Kamm
zu Berge steht, kräftig
grün und rot färben.
… und der bestirnte Himmel über mir
Über mir ein paar Sterne.
Mehr sind in der Großstadt
nicht zu sehen. Es gibt
Sternbilder über Sternbilder,
ich weiß. Mein Vater kannte
viele davon. Unnützes Wissen,
wir fahren nicht zur See.
Bewundernswert die Präzision
der Raketen, die Planeten
und Kometen besuchen und
gestochen scharfe Bilder liefern.
Milliarden Himmelskörper, die
gezählt und katalogisiert sind,
die meisten meinen Augen entzogen.
Wozu noch ins Freie gehen, wenn
die Wirklichkeit per Internet
frei Haus geliefert wird?
Aufstieg
Befreie dich vom Geschwätz
des Handys, das
dein Gehirn verklebt.
Tauche ein in den Wirbel der Musik,
in das Rauschen des Regens,
in die Stille.
Steige auf
in der mondlosen Nacht
zu den Zwischenräumen der Sterne,
kalt, luftleer, einsam,
und schrumpfe
zum Punkt.
Dann bist du am Ziel.
La Condition Humaine
Wie gemähtes Gras im Regen
werden sie faulen, alle, auch
die Berühmten. Mag sein,
wir nähren später eine
ansehnliche Blume, die
Monat um Monat
Insekten und Wanderer
erfreut, bis sie selbst
im Boden versinkt. Versteinert
durch glückliche Umstände –
Wahrscheinlichkeit eins zu
siebenundzwanzig Billionen –
schmückt sie in anderen Erdzeitaltern
als zartes Schattengespinst
eine Vitrine im Museum
uns unbekannter Wesen.
II
Viertelfinale
Reihenweise starrer Blick,
jetzt bloß nicht sprechen.
Der Kommentator
versteht sein Handwerk,
Spirale für Spirale
schraubt sich die Spannung
hoch. Feuchte Hände.
Dann endlich: Der Schuss.
Die Fernsehnation
ist glücklich:
Eine Kugel aus Leder