BlutGrab - Andreas Schmidt - E-Book

BlutGrab E-Book

Andreas Schmidt

4,4

Beschreibung

Überfall am helllichten Tag mitten in der Wuppertaler Innenstadt auf einen Juwelier: Die Täter schießen sich brutal den Fluchtweg frei und können unerkannt entkommen. Maja Klausen, Kriminalhauptkommissarin des Zentralen Kriminaldienstes in Hameln, möchte ihren Freund Ulbricht in Wuppertal überraschen. Doch aus dem Besuch im Bergischen Land wird mehr als eine mörderische Fahrt mit der weltberühmten Schwebebahn. Eine Leiche im Wuppertaler Zoo, eine Hetzjagd quer durch das Bergische, denn die Täter hinterlassen, wo immer sie auftauchen, eine Spur der Verwüstung. Der alte Kommissar steckt plötzlich tiefer in dem Fall, als ihm lieb ist. Wird dies der letzte Fall von Kommissar Ulbricht? Der Countdown beginnt, denn die Bande plant bereits den letzten großen Coup: Einen Einbruch in das Fort Knox des Bergischen Landes.

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Über den Autor

Widmung

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Danksagung

Andreas Schmidt

BlutGrab

Im Verlag CW Niemeyer sind bereits

folgende Bücher des Autors erschienen:

HahnBlues

TodesDuft

Tödlicher Schnappschuss

WattenMord

WeserTod

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2013 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Der Umschlag verwendet Motive von shutterstock.com,

Disguised attacker … Bruno Passigatti 2012/

Luxury golden texture R-studio 2012

eISBN: 978-3-8271-9835-8

Der Roman spielt hauptsächlich in allseits bekannten Stätten des BergischenLandes, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen undCharaktere sind frei erfunden.

Über den Autor:

Andreas Schmidt ist verheiratet und Vater zweier Kinder, er lebt und arbeitet mit seiner Familie in Wuppertal. Die Leidenschaft für das Schreiben entdeckte er als Jugendlicher; so schrieb er als Schüler diverse Kurzgeschichten und arbeitete an Schülerzeitungsprojekten mit. Nachdem er zahlreiche Heftromane für große Verlage geschrieben hatte, gab er 1999 mit „In Satans Namen“ sein Krimi-Debüt. 2002 gelang ihm mit „Das Schwebebahn-Komplott“ der Durchbruch. Inzwischen sind sechs Wuppertal-Krimis, eine Anthologie sowie der Thriller „Mein ist die Nacht“ erschienen. Seit 2008 ist er hauptberuflich als Autor und Texter für verschiedene Agenturen und Verlage sowie als Freier Redakteur tätig.

Mehr über Andreas Schmidt und seine Aktivitäten erfahren Sie unter www.andreasschmidt.org

Für meine Familie.

Ohne euch gäbe es dieses Buch nicht.

PROLOG

Es war ein ganz normaler Abend. Als er vor das Mietshaus trat, lag die Straße still und verlassen vor ihm. Ein kalter Wind wehte das Quietschen einer vorbeifahrenden Schwebebahn an seine Ohren. Er blieb im Hauseingang stehen und verharrte einige Sekunden.

Atmete tief durch.

Die feuchtkalte Luft roch nach Schnee.

Als er den Blick schweifen ließ, sah er den zu einem Stummel zurückgebauten Schornstein des Barmer Heizwerkes in den wolkenverhangenen Himmel ragen.

Die Kälte kroch ihm unter die Kleidung. Fröstelnd zog er den Reißverschluss seines Anoraks zu und stellte den Kragen auf.

Der Regen, der die Stadt in den letzten Stunden fest im Griff gehabt hatte, war nach Süden weitergezogen. Nun fegte ein eisiger Wind um die Häuserecken. Ihm konnte es recht sein. Er klemmte sich den Rucksack zwischen die Stiefel, zündete sich eine Zigarette an und paffte gedankenverloren den Rauch zum Himmel. Als er sich zum Haus umwandte, sah er, dass in zwei Fenstern trotz später Stunde noch das Licht brannte. Das Fenster der einen Wohnung gehörte zu einem einsamen Typen, der bei der Polizei arbeitete. In der anderen Wohnung hauste Alma Meyer, eine kauzige alte Frau, die nichts Besseres zu tun hatte, als den Putzplan für das Treppenhaus und die Einhaltung der Mittags- und Nachtruhe pedantisch zu überwachen. Das Recht, bei Verstößen der Mitmieter einzuschreiten, nahm sie sich einfach heraus. Immerhin wohnte Alma Meyer schon seit mehr als vierzig Jahren in dem Sechsparteienhaus.

Natürlich bewegten sich die Gardinen in ihrer Wohnung, kaum dass die schwere Haustür mit einem satten Geräusch ins Schloss gefallen war. Erwartungsgemäß tauchte Alma Meyers Silhouette hinter der Gardine auf. Sie schien ernsthaft zu glauben, dass man sie von hier unten aus nicht sah.

Doch es war ihm sogar recht, dass sie mitbekam, wie er das Haus verließ. Es war schließlich ein ganz normaler Abend. So sollte es zumindest für die Nachbarn aussehen. Ganz bewusst ließ er sie denken, dass er einmal mehr zur Spätschicht aufbrach, so, wie er es schon seit vielen Jahren tat.

Doch dieser Abend war anders.

Er würde sein Leben verändern.

Das ahnten die neugierigen Nachbarn jedoch nicht.

Nachdem er einige Züge an seiner Zigarette genommen hatte, warf er den Stummel achtlos in den Rinnstein. Der nahe gelegene Gulli gluckerte leise. Als die Glut in das Wasser fiel, zischte sie leise, dann hauchte die Zigarette ihr Leben aus. Es würde wahrscheinlich noch weitere Tote in den nächsten Tagen geben, durchzuckte es ihn. Doch er konnte keine Rücksicht nehmen. Für ihn konnte es nur besser werden. Er schulterte den Rucksack und marschierte die Straße hinunter. Fast körperlich konnte er dabei die Blicke von Alma Meyer spüren, die ihn verfolgten, bis er um die Straßenecke bog und ihrem Sichtfeld entschwunden war.

Während er den Fußmarsch zur Schwebebahnhaltestelle „Alter Markt“ zurücklegte, bereitete er sich auf die kommende Nacht vor. Sie hatten alles gut durchdacht.

Eigentlich konnte nichts mehr schiefgehen, und in wenigen Stunden würde ein neues Leben für ihn beginnen. Das kalte Licht im Eingangsbereich der Schwebebahnstation blendete ihn. Mit der Rolltreppe fuhr er zum Bahnsteig hinauf. Ein junges Pärchen hockte auf einer Bank; sie saß auf seinem Schoß und hatte einen Arm um seine Schulter geschlungen. Das Mädchen, er schätzte sie auf siebzehn Jahre, blickte kurz auf, dann barg es seinen Kopf wieder am Oberkörper des Freundes, der stur auf den Bahnsteig starrte, als hätte er dort etwas Bewegendes entdeckt.

Ein Betrunkener lehnte an dem orangefarbenen Fahrkartenautomaten.

Alles lief gut, niemand schenkte ihm mehr als die nötige Aufmerksamkeit. Sie würden ihn bald schon wieder vergessen haben, so, wie er sie vergessen würde.

Die Schwebebahn in Richtung Elberfeld näherte sich. Ratternd öffneten sich die vier Türpaare, und er bestieg den leicht an Gerüst pendelnden Zug, um sich auf einen der Hartschalensitze in Fensternähe zu setzen. Die Bahn war relativ leer, kein Wunder, war es doch ein ganz normaler Wochentag, und viele Menschen waren längst zu Hause. Nachtschwärmer traf man nur am Wochenende an.

Mit einem leisen Surren der Triebwerke auf dem Dach der Bahn setzte sich der Zug in Bewegung.

Er sank in die Lehne des Sitzes und schloss die Augen.

Sein neues Leben konnte beginnen.

EINS

Mit einem dumpfen Knall schlug die Kneipentür hinter dem alten Mann zu und schnitt das Stimmengewirr und Gelächter ab. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und erst jetzt bemerkte er, dass er betrunken war. Noch vor wenigen Minuten, als er mit den anderen an der Theke der Altherren-Kneipe gestanden und gezecht hatte, war es ihm gut gegangen. Doch jetzt, als er an der frischen Nachtluft stand, war ihm, als hätte ihm ein Unsichtbarer eins übergebraten. Unsicher stand Hans Halbach an der obersten der drei flachen Stufen, die Kneipentür und Bordstein voneinander trennten, und umklammerte den eisernen Handlauf.

Er war nicht betrunken – er war sternhagelvoll, und die Wirkung des Alkohols entfaltete sich erst hier draußen. Obwohl er Probleme hatte, das Gleichgewicht zu halten, war es gut so wie es war. Hans Halbach hatte seine Freunde, die er schon seit vielen Jahrzehnten kannte, getroffen und sich mit ihnen betrunken. Das kam nicht allzu oft vor, und dennoch hatte niemand der anderen gefragt, warum er ausgerechnet heute, an einem Freitagabend, so viel trank. Natürlich, er war Rentner und musste nicht mehr früh raus, zudem war Wochenende, doch wirklich interessiert hatte sich niemand für den Grund seines Besäufnisses.

Vielleicht, sinnierte Halbach in seinem vom Alkohol vernebelten Gehirn, war es auch gut so.

Es ging sie nichts an.

Es war sein Ding.

Und er war niemandem Rechenschaft schuldig. Jetzt schon gar nicht mehr.

Erst heute Morgen war er beim Arzt gewesen. Doktor John hatte ihm mit ernster Miene eröffnet, dass er sich über den Tumor, der in der Leber seines Patienten entdeckt worden war, ernsthafte Sorgen machte. Dringend sollte sich Halbach zur Behandlung ins Klinikum begeben. Sicherlich konnte man ihm helfen, zumindest sein Leben verlängern.

Für einen unbestimmten Zeitraum zwar, aber immerhin: Es bestände Hoffnung.

Halbach registrierte, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten, die er mit einer hektischen Handbewegung fortwischte. Prompt musste er wieder gegen den Schwindel ankämpfen.

In der Arztpraxis war ihm gewesen, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Erst hatte er an den Worten des Arztes gezweifelt, sie für einen makabren Scherz gehalten, doch an der verschlossenen Miene von Doktor John hatte er gesehen, dass die Situation ernst war.

Es besteht Hoffnung, hallten die Worte seines Hausarztes in ihm nach. Obwohl er Doktor John seit vielen Jahren kannte und vertraute – diesmal hatte der Mediziner gelogen, das hatte Halbach verspürt. Was war das für eine Behandlung? Eine Operation, die sicherlich nicht ohne Risiken ablief, eine Bestrahlung, womöglich noch eine anschließende Chemotherapie, die seinen vom Krebs geschwächten Körper noch weiter zerfraß und den Tod schließlich begünstigte. Oft genug hatte Halbach Zeitgenossen erlebt, die an den Folgen der Therapie elendig verreckt waren.

Nein, das wollte er sich nicht antun.

Niemand würde um ihn weinen, dachte er verbittert. Seine Frau Ilse war schon seit vielen Jahren tot, und Kinder hatten die beiden nie gehabt. Verwandte gab es so gut wie keine mehr – also bitte! Wer scherte sich schon um einen alten Mann? Niemand, und so nahm er sich die Freiheit, zu wählen.

Nein, er würde sich nicht zur Behandlung ins Krankenhaus begeben, um diesen vermeintlichen Halbgöttern in Weiß als Versuchskaninchen zu dienen. Er war Kassenpatient, somit blieb ihm die bevorzugte Behandlung durch Spitzenmediziner und mit besonderen Medikamenten versagt. Und elendig zu verrecken, das hatte Halbach nun wirklich nicht vor. Somit hatte seine Entscheidung schnell festgestanden: Er würde jegliche Behandlung ablehnen und irgendwann an den Folgen der Krankheit sterben.

Früher oder später, aber sein Schicksal legte der alte Mann mit dieser folgenschweren Entscheidung in die Hände Gottes.

Immerhin, so machte er sich Mut, starb er dann aber an den Folgen der Krankheit und nicht an den Folgen der Behandlung, die ihm nur eine Linderung auf Zeit versprachen. Heilbar war Krebs in den wenigsten Fällen, so viel wusste Halbach, der schon viele seiner Freunde durch die heimtückische Krankheit verloren hatte. Er war im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen, als er den Entschluss gefasst hatte, wenigstens die letzten Wochen und Monate seines Lebens zu genießen.

Und deshalb hatte er heute mehr als üblich getrunken, als er sich zur Herrenrunde in der Kneipe eingefunden hatte. Doch niemand hatte ihn gefragt, ob es einen Grund dafür gab, ein sicheres Zeichen dafür, wie egal er den anderen Männern war.

Verbittert schritt Hans Halbach die Steinstufen hinab. Unten angekommen, überzog der feine Nieselregen seine Kleidung mit einem feuchten Netz, das ihn erschaudern ließ. Ein eisiger Wind fegte ihm ins Gesicht. Der alte Mann schlug den Kragen seiner abgewetzten Jacke hoch, schob die Hände in die Hosentaschen und überquerte die verlassen daliegende Lüttringhauser Straße.

Er wandte den Kopf nach rechts. Schräg gegenüber schleuderte die Schaufensterbeleuchtung des Matratzen-Discounters ihr kaltes Licht in die Nacht. Früher hatte sich an dieser Stelle ein Autohaus befunden, und nachdem die Immobilie lange Zeit leer gestanden hatte, war im Erdgeschoss einer dieser Billigmärkte für Matratzen eingezogen.

Die Dinger schossen wie Pilze aus dem Boden, dachte Halbach mit gerümpfter Nase.

Links neben dem Ladenlokal zweigte eine kleine, nur spärlich beleuchtete Straße ab, die Zandershöfe. Halbach zögerte. Nachts machte die kleine Straße keinen sehr einladenden Eindruck, und dennoch beschloss er, die Abkürzung zu nehmen.

Die Kriminalitätsrate war in diesem Stadtteil Wuppertals überschaubar, und sicherlich würde ihm heute niemand eins überbraten, dachte er, als er losmarschierte.

Wer sollte sich schon an einem alten, betrunkenen Mann vergreifen?

An einem schwer kranken alten Mann, fügte er in Gedanken hinzu, während sein Blick über die unansehnlichen Reste des alten Autohauses strich.

Abweisend erhob sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite die ehemalige Mützenfabrik wie eine Trutzburg in die Höhe. Staubblinde Fenster und bröckelnder Putz an der Fassade.

Nur unter dem Dach des alten Gebäudes gab es noch Leben – hier hatte sich ein Chor sein Vereinsheim eingerichtet. Doch um diese Zeit lagen die Sänger längst schon in ihren Betten.

Halbach befand sich auf der rechten Seite der kleinen Einbahnstraße und betrachtete die ehemalige Autowerkstatt. Inzwischen hatten sich hier einige kleinere Unternehmen eingemietet.

Menschenleer lag die Straße vor Hans Halbach, und er war froh, dass sich der Schleier, der sich über seine Gedanken gelegt hatte, langsam lichtete. Noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, schritt er an den geparkten Fahrzeugen vorüber. Der Regen perlte im Licht der Straßenlaternen auf den Blechdächern.

Wenige Meter weiter bemerkte er einen Kombi, der mitten auf der Straße parkte. Die große Heckklappe stand offen, und die Rücklichter warfen ihren rot glühenden Schein auf den nassen Asphalt. Ein Mann saß, so hatte es den Anschein, hinter dem Steuer. Worauf wartete er?

Halbach verlangsamte seine Schritte und duckte sich an eine Hauswand. Etwas weiter gab es den Glas- und Altpapiercontainer. Entsorgte um diese Zeit noch jemand seinen Müll?

Halbach lauschte und stellte fest, dass das typische Klirren von Glas und das blecherne Scheppern der Containerklappen ausblieben.

Was hatte das zu bedeuten?

Der alte Mann schlich ein paar Meter weiter und versuchte, den Schatten nicht zu verlassen. Dann duckte er sich hinter einen großen Holunderbusch. Von hier aus konnte er die Container beobachten. Die Tatsache, dass weit und breit kein Mensch zu sehen war, verstärkte seinen Verdacht, dass hier etwas faul war.

Halbach wunderte sich, wie gut sein vom Alkohol benebeltes Gehirn plötzlich funktionierte.

Seine Sinne waren geschärft, und in diesem Moment vergaß er sogar die heimtückische Krankheit, die bald schon sein Leben verändern, nein, die sein Leben beenden würde. Nun tat sich etwas. Zwei dunkel gekleidete Gestalten erschienen auf der Bildfläche. Beide trugen schwere Holzkisten und stöhnten unter der Last, die sie zum bereitstehenden Wagen schleppten.

Halbach fragte sich, woher die beiden Männer kamen. Er wunderte sich, dass sie Sturmhauben trugen. So etwas kannte er nur aus dem Fernsehen, wenn über einen Banküberfall berichtet wurde. Aber hier gab es weit und breit keine Bank.

Nur das alte Amtsgericht, aber das denkmalgeschützte Gebäude barg sicherlich keine Wertgegenstände. Im vorderen Bereich gab es zwar eine kleine Polizeidienststelle, die allerdings nur tagsüber besetzt war. Der hintere Trakt des Baus stand schon seit vielen Jahren leer – also, was schleppten die schwarzen Gestalten dort heraus?

Halbach trat einen halben Schritt aus dem Schatten, um sich davon zu überzeugen, dass die Männer tatsächlich aus dem alten Gerichtsgebäude kamen. Der Hintereingang lag ein wenig abseits von der Straße unter einem Vordach. Tatsächlich, die Tür stand offen.

Halbachs Herzschlag beschleunigte sich. Was ging hier vor?

Obwohl er der Überzeugung war, dass es in dem alten Amtsgericht nichts zu holen gab, setzte er mutig einen Fuß in den Lichtkegel der Straßenlaterne.

Die Männer hatten ihn noch nicht bemerkt. Sie standen mit dem Rücken zu ihm und waren gerade damit beschäftigt, die beiden Holzkisten in den Kombi zu verfrachten. Während dieser Aktion herrschte eine geradezu gespenstische Stille in der kleinen Straße.

„He – was tun Sie denn da?“, krächzte Hans Halbach in die Stille hinein.

Die Männer fuhren auf und wirbelten herum. Während einer der beiden schon die Heckklappe zuschlug und zur Beifahrertür hechtete, zog sein Komplize eine Pistole. Die Mündung zeigte geradewegs auf den alten Mann.

Halbach glaubte zu träumen. Er wollte zurückweichen, Schutz hinter einem der Container am Straßenrand suchen, als er sah, wie das Mündungsfeuer aufblitzte.

Im gleichen Augenblick schien sein Brustkorb von innen heraus zu explodieren. Mit weit aufgerissenen Augen berührte er die Stelle, an der ihn die Kugel getroffen hatte. Blut klebte zwischen seinen gespreizten Fingern, und er stöhnte gequält unter der Hitze auf, die sich rasend schnell in seinem Körper ausbreitete.

Die Kraft wich schnell aus dem von der Krankheit geschwächten Körper des alten Mannes. Im Zeitlupentempo ging Halbach zu Boden. Er sah noch, wie der Schütze sich in den Fond des Kombi fallen ließ. Der Fahrer hatte inzwischen den Motor gestartet und gab nun Vollgas. Mit quietschenden Reifen verschwand der Kombi aus Halbachs Sichtfeld.

Der alte Mann versuchte noch, sich das Kennzeichen einzuprägen, als er Blitze vor seinen Augen sah und das Leben aus ihm wich. Er hatte eine gute Entscheidung getroffen, die strapaziöse Krebsbehandlung abzulehnen, dachte er noch, während er in ein tiefes schwarzes Loch fiel.

*

In einem irrwitzigen Tempo raste der Audi Avant durch die verlassenen Straßen von Remscheid-Lüttringhausen, dann war das Ortsausgangsschild passiert. Die letzte größere Ortschaft, gleich würde es über einsame Landstraßen tiefer ins Bergische Land gehen. Seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt, und er spürte, wie das Blut in seinen Adern pochte. Es hatte bei dem Bruch in die Polizeiwache einen Toten gegeben. Achim Fritz hatte keine Sekunde gezögert, als der alte Mann sie nach dem Einbruch ins alte Gerichtsgebäude angesprochen hatte. Mit einem einzigen Schuss hatte er das Leben des Mannes beendet.

Ein Toter, der nicht geplant war. Nun war aus einem Einbruchdiebstahl ein Mord geworden.

„Du verdammter Idiot“, brüllte er wütend, während seine Hände auf dem Lederlenkrad des Kombi ruhten. Die dunklen Häuserzeilen schienen an ihnen vorüberzufliegen. Er warf seinem Komplizen, der auf dem Rücksitz des Kombi hockte, über den Innenspiegel einen vernichtenden Blick zu. „Niemand hat gesagt, dass du den alten Knacker umpusten sollst!“

„Rede keinen Stuss!“, bellte der Mann im Fond des Kombi zurück. „Keine Zeugen, darüber waren wir uns vorher im Klaren. Also – welche Wahl hatte ich, als wir von dem Opa angequatscht wurden? Er wird nichts mehr verraten, und das muss genügen.“ Fritz, ein dunkelhaariger Hüne, der auf den ersten Blick als Südländer durchging, winkte ab.

„Ich fasse es nicht.“ Er schüttelte den Kopf und wäre beinahe in eine Radarfalle gerast. Im letzten Moment trat er auf das Bremspedal und drosselte das Tempo. „Da knallst du einen alten Mann ab.“

„Wir haben Regeln, und an diese Regeln halte ich mich.“ Achim Fritz nestelte am Kragen seines schwarzen Pullovers herum. „Ich frage dich nicht um Erlaubnis, um mich an die Regeln zu halten, die wir lange vorher festgelegt haben.“

Am liebsten hätte er am Straßenrand angehalten und Fritz aus dem Wagen geworfen. Hier, zu später Stunde und mitten in der Pampa. Doch dann musste er damit rechnen, dass der Typ bei den Bullen auspackte. Natürlich würde er sich dann auch vor einem Richter verantworten müssen, aber er würde seine Freunde hochgehen lassen, daran zweifelte er keine Sekunde.

Er warf Michels, der offenbar gelangweilt auf dem Beifahrersitz hockte und aus dem Fenster stierte, einen flüchtigen Blick zu. „Sag du doch auch mal was.“

Bernd Michels, ein Mann wie ein Kleiderschrank, grunzte. „Was willst du hören? Dumm gelaufen. Der Alte ist tot, aber wir konnten unerkannt entkommen. Also bitte – das Opfer war es wert.“ Nun grinste er. „Und es wird nicht die letzte Leiche sein, die unseren Weg zum Reichtum pflastert, darüber waren wir uns im Vorfeld schon im Klaren, Alter. Also kack dich nicht an.“

Während er den Audi über die kurvenreichen Landstraßen in Richtung Radevormwald steuerte, dachte er nach. Es war nicht gut gelaufen. Zwar hatten sie gute Beute gemacht und konnten nun mit ihrer Mission beginnen, aber, nein, es war nicht gut gelaufen. Und zum ersten Mal wurde er sich darüber bewusst, dass noch mehrere Menschen ihr Leben verlieren würden.

Wuppertal-Barmen, An der Bergbahn, 1.25 Uhr

Ulbricht erwachte von seinem eigenen Schnarchen und fluchte ungestüm, als er feststellte, dass er sich getäuscht hatte: Es war nicht sein Schnarchen, sondern das Klingeln des Telefons gewesen, das ihn geweckt hatte. Wie so oft war er nach Dienstschluss in seine Wohnung an der Straße Zur Bergbahn gefahren, hatte sich eine Alupackung Lasagne in den Backofen geschoben, geduscht und danach ferngesehen, um mit der Lasagne im Bauch und drei Flaschen Bier die nötige Bettschwere zu bekommen.

Während die Nudeln ihm schwer wie ein Betonklotz im Magen gelegen hatten, war ihm das Einschlafen schwergefallen, und so hatte sich Ulbricht stundenlang im Bett herumgewälzt und dem Regen gelauscht, der stakkatoartig gegen sein Schlafzimmerfenster getrommelt hatte. Irgendwann, es musste inzwischen längst nach Mitternacht gewesen sein, war er in einen tiefen und traumlosen Schlaf gefallen.

Der Hauptkommissar blinzelte zum altmodischen Wecker mit den rot glühenden Quarzziffern. Halb zwei Uhr in der Früh – das konnte nichts Gutes zu bedeuten haben.

„Warum immer ich?“, brummte er schlecht gelaunt, als er die Bettdecke zur Seite stieß und so schnell wie möglich in den dunklen Flur seiner Wohnung stapfte. Hier steckte das Telefon in der Ladestation.

„Lasst einem alten Mann doch ein einziges Mal seine Nachtruhe“, jammerte er ins Telefon, nachdem er die restliche Müdigkeit abgeschüttelt hatte.

„Es tut mir leid, Hauptkommissar.“

Frank „Brille“ Heinrichs, sein nerviger Assistent, klang putzmunter.

Der Typ wirft sich doch irgendwas ein, wenn der immer fit wie ein Turnschuh ist, dachte Ulbricht verächtlich. Aufputschmittel, weiß der Geier.

Während er selber sein festes Schlafpensum benötigte, schien dieser nervige Jungspund niemals zu ruhen. Und noch etwas war Ulbricht aufgefallen: Es war kein gutes Zeichen, wenn Heinrichs die Anrede „Chef“ oder „Hauptkommissar“ wählte – so viel hatte Ulbricht in der Zeit ihrer Zusammenarbeit längst kapiert.

„Spucken Sie es aus, und verschonen Sie mich mit allem Unwichtigen“, grollte Ulbricht, bevor er herzhaft gähnte.

„Ein Mann wurde auf offener Straße erschossen, der oder die Täter konnten unerkannt entkommen.“

„Wie schön. Oberbarmen also.“ Ulbricht hatte in den letzten Jahren gelernt, dass die Hemmschwelle, ein Verbrechen zu begehen, in Oberbarmen am geringsten war, warum auch immer.

„Nein, nicht wirklich. Unser Toter liegt in Ronsdorf.“

Ronsdorf, gehörte das überhaupt noch zu Wuppertal? Eigenartiges Bergvolk. „Wenigstens mal was anderes.“ Ulbricht wanderte mit dem Telefon am Ohr durch die dunkle Wohnung.

„Noch etwas, Chef.“

„Sagen Sie nicht immer…“

„Chef, ich weiß – entschuldigen Sie. Also – es gibt noch etwas: Der Mordanschlag kann mit einem Einbruchsdelikt zusammenhängen. Die Kollegen fanden Einbruchspuren an der Hintertür des alten Amtsgerichts.“

„Also hat jemand um jeden Preis verhindern wollen, dass man ihn beim Einbruch erwischt“, kombinierte Ulbricht, der inzwischen im Wohnzimmer angelangt war und auf die Sessellehne sank. Der Duft von kaltem Rauch und den Resten der Lasagne hing schwer im Raum. Ulbricht sprang auf und öffnete die Balkontür, um zu lüften. Es war eine eisige Nacht, und der Wind blähte die Gardinen auf, die seine Frau vor Jahrzehnten liebevoll von Hand genäht hatte.

„Den Anschein hatten die Kollegen von der Kriminalwache auch, die schon vor Ort sind und gerade den ersten Angriff fahren.“ Heinrichs räusperte sich am anderen Ende der Leitung. „Aber Sie haben doch darauf bestanden, informiert zu werden, falls es ein Tötungsdelikt gibt.“

„Ja, ich weiß, zu jeder Tag- und Nachtzeit, ich erinnere mich.“ Wieder gähnte Ulbricht und bereute, diese verdammte Anweisung gegeben zu haben. Er sog die frische Luft tief in seine Lungen ein und schüttelte den Rest seiner Müdigkeit ab. „Also gut, ich komme raus. Aber, nur um das festzuhalten: Als ich die Anweisung, mich rund um die Uhr anzurufen, erteilt habe, war ich gefühlte dreißig Jahre jünger.“ Ulbricht ließ sich die Anschrift des Leichenfundortes geben und unterbrach die Verbindung. Danach begab er sich ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, bevor er in die Kleidung schlüpfte, die auf dem kleinen Hocker neben der Badewanne immer für solche Fälle bereitlag. Die Nacht war vorbei, daran gab es nichts zu rütteln. Als Ulbricht keine zehn Minuten später vor das Haus trat und ihm ein dicker Regentropfen in den Nacken rann, überlegte er, einen Antrag auf vorzeitige Pensionierung zu stellen. Vielleicht war er wirklich langsam zu alt für solche Aktionen.

ZWEI

Obwohl es nachtschlafende Zeit war, hatten sich bei Ulbrichts Eintreffen in der kleinen Seitenstraße zahlreiche Schaulustige eingefunden. Sogar ein Pressefotograf huschte herum und schoss seine Aufnahmen. Die Kollegen von Streifendienst und Kriminalwache hatten großflächig Absperrband gespannt, das im Wind flatterte. Da die Einfahrt in die Zandershöfe mit einem quer zur Fahrtrichtung geparkten Streifenwagen versperrt war, parkte Ulbricht den alten Vectra hinter dem blausilbernen Passat Variant. Blaulicht zuckte durch die Nacht, und kaum dass Ulbricht einen Fuß aus dem Auto gesetzt hatte, legte sich der Nieselregen auf Gesicht und Kleidung. Mit einer angewiderten Miene schlug er den Kragen seiner wetterfesten Jacke hoch. Das gute Stück hatte er im letzten Herbst von Maja Klausen geschenkt bekommen, nachdem sein geliebter bügelfreier Columbo-Trenchcoat zu dünn geworden war.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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