Das Spiel mit den Seejungfrauen - Günter Dönges - E-Book

Das Spiel mit den Seejungfrauen E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! In dieser Nacht wollten sie den endgültigen Beweis herbeischaffen. Tom Haley und Peter Ward hockten seit Stunden in den Steilklippen der Küste und sahen immer wieder hinunter in die Brandung. Dort beobachteten sie vor ein paar Tagen die beiden Seejungfrauen. Sie hatten sich ganz bestimmt nicht getäuscht, aber leider etwas vorschnell in der Dorfkneipe davon erzählt. Sie waren von ihren Freunden und Bekannten nach allen Regeln der Kunst durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen worden. Doch jetzt wollten sie es wissen. Sie hatten sich mit einem großen, grobmaschigen Fischernetz bewaffnet, mit dem sie wenigstens eine der Seejungfrauen an Land ziehen konnten. Sie freuten sich schon jetzt auf die Sensation, die ihr Fang hervorrief. Es war für sie klar, daß die geheimnisvollen Wesen auch in dieser Nacht wieder aus der See auftauchten. »Ob das noch was wird?« fragte Tom Haley skeptisch, als sich auch nach Stunden immer noch nichts tat. »Die kommen«, behauptete Peter Ward hartnäckig, »die Brandung hat sich beruhigt. Sie werden bestimmt auftauchen.« Tom Haley wollte antworten, doch genau in diesem Augenblick machte er eine Entdeckung, die ihn förmlich elektrisierte. Im Wasser trieb ein Gegenstand, den man auf den ersten Blick für ein Stück Treibholz halten konnte. Doch es war kein Treibholz, es handelte sich um einen Menschen, dessen Arme jetzt deutlich auszumachen waren. Die Gestalt wurde um einen mächtigen Felsklotz gespült, der wie ein Turm in der Brandung stand. Sie arbeitete sich dann mit kraftvollen Kraulschlägen an den schmalen Sandstreifen heran, der unten zwischen den Steilklippen zu sehen war. »Da ist eine«, stieß Tom Haley

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Butler Parker – 112 –

Das Spiel mit den Seejungfrauen

Günter Dönges

In dieser Nacht wollten sie den endgültigen Beweis herbeischaffen.

Tom Haley und Peter Ward hockten seit Stunden in den Steilklippen der Küste und sahen immer wieder hinunter in die Brandung. Dort beobachteten sie vor ein paar Tagen die beiden Seejungfrauen. Sie hatten sich ganz bestimmt nicht getäuscht, aber leider etwas vorschnell in der Dorfkneipe davon erzählt. Sie waren von ihren Freunden und Bekannten nach allen Regeln der Kunst durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen worden. Doch jetzt wollten sie es wissen.

Sie hatten sich mit einem großen, grobmaschigen Fischernetz bewaffnet, mit dem sie wenigstens eine der Seejungfrauen an Land ziehen konnten. Sie freuten sich schon jetzt auf die Sensation, die ihr Fang hervorrief. Es war für sie klar, daß die geheimnisvollen Wesen auch in dieser Nacht wieder aus der See auftauchten.

»Ob das noch was wird?« fragte Tom Haley skeptisch, als sich auch nach Stunden immer noch nichts tat.

»Die kommen«, behauptete Peter Ward hartnäckig, »die Brandung hat sich beruhigt. Sie werden bestimmt auftauchen.«

Tom Haley wollte antworten, doch genau in diesem Augenblick machte er eine Entdeckung, die ihn förmlich elektrisierte. Im Wasser trieb ein Gegenstand, den man auf den ersten Blick für ein Stück Treibholz halten konnte. Doch es war kein Treibholz, es handelte sich um einen Menschen, dessen Arme jetzt deutlich auszumachen waren. Die Gestalt wurde um einen mächtigen Felsklotz gespült, der wie ein Turm in der Brandung stand. Sie arbeitete sich dann mit kraftvollen Kraulschlägen an den schmalen Sandstreifen heran, der unten zwischen den Steilklippen zu sehen war.

»Da ist eine«, stieß Tom Haley hervor. »Mann, Peter, da ist eine!«

»Schon gesehen«, erwiderte Peter Ward, »komm’, wir steigen weiter runter!«

Sie kannten sich in den Klippen aus und fürchteten nicht die Dunkelheit. Zudem gab der Mond ausreichend Licht. Auf dem Wasser lag ein silbriger Schein, der bis hinauf in die Klippen wirkte. Schnell und geschmeidig stiegen die beiden jungen Männer weiter nach unten. Das Jagdfieber hatte sie erfaßt.

Das seltsame Wesen brauchte einige Minuten, bis es die Brandung endgültig überwunden hatte. Zu dieser Zeit standen Tom Haley und Peter Ward bereits neben dem »Nußknacker«, einem bizarr geformten Felsen, der von der See tief ausgewaschen worden war. Die Höhlungen in diesem Felsen hatten eine Art Gesicht geformt, das an das eines riesigen Nußknackers erinnerte.

Das Wesen aus der See hatte das relativ stille Wasser hinter dem Nußknacker erreicht. Es saß auf einem tischartigen Felsen und war im Mondlicht deutlich zu erkennen.

Nein, sie hatten sich wirklich nicht getäuscht!

Das dort war eine Seejungfrau. Ihr Oberkörper war nackt und zeigte feste Brüste. Das triefend nasse Haar fiel über die Schultern und war mit Seetang vermischt. Der Unterleib ging in einen schuppenartigen Fischkörper über, der in einer kräftigen Schwanzflosse endete. Dieses unheimliche Wesen strähnte sich das Haar mit seinen gespreizten Fingern, bewegte den fischartigen Leib und zog ihn noch weiter hoch auf den Felsen.

»Sagenhaft«, flüsterte Tom Haley.

»Ich kann’s kaum glauben«, gab Peter Ward fast andächtig zurück, »’ne echte Seejungfrau. Mann, werden die im Dorf Augen machen!«

»Warten wir noch auf die zweite?«

»Eine reicht vollkommen, Tom. Los, wir müssen sie erwischen, bevor sie wieder abhaut!«

Die beiden jungen Männer hatten sich vorher alles genau überlegt. Einzelheiten brauchten sie nicht mehr zu besprechen. Sie nickten sich zu und rannten aus ihrem Versteck, hielten das flatternde Netz zwischen sich und hetzten ins seichte Wasser. Die Beute war ihnen so gut wie sicher.

Sie hatten wirklich eine echte Chance, die Seejungfrau ins Netz zu ziehen, denn sie drehte ihnen den Rücken zu, sah auf die See hinaus und schien keine Ahnung zu haben, in welcher Gefahr sie schwebte. Von der drohenden Nähe der beiden Männer hatte sie nichts bemerkt.

Sie war jetzt in allen Einzelheiten genau zu erkennen. Es handelte sich tatsächlich um ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch. Die seltsame, faszinierende Gestalt, die aus den unergründlichen Tiefen des Meeres stammte, wandte sich plötzlich langsam um, sah die beiden heranjagenden Männer und ... lächelte auf geheimnisvolle Weise. Erschrecken zeigte dieses Fabelwesen überhaupt nicht. Das Lächeln war lockend und vielleicht auch ein wenig melancholisch.

Tom Haley und Peter Ward waren bereits bis zu den Oberschenkeln im Wasser der auslaufenden Brandung. Sie ahnten nicht, daß der Tod bereits nach ihnen griff.

*

Lady Agatha Simpson saß vor ihrer elektrischen Schreibmaschine und sah das weiße, unbeschriebene Blatt beschwörend an. Sie wartete schon seit gut einer halben Stunde darauf, von der Muse geküßt zu werden. Bisher hatte ihr die Muse diese Gunstbezeigung allerdings hartnäckig verweigert.

Die große, etwas zu Fülle neigende Dame arbeitete bereits seit einigen Monaten an dem Bestseller, den sie schreiben wollte. Lady Agatha hatte die feste Absicht, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Sie hielt es für selbstverständlich, daß ihr das gelang.

Hinderlich an diesem Vorhaben war vielleicht die Tatsache, daß sie sich nicht auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren vermochte. Zu viele Ideen befanden sich in ihrem Kopf.

Lady Agatha Simpson war schon eine recht bemerkenswerte Dame. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel Englands, immens reich und Witwe, konnte sie sich jede gewünschte Extravaganz leisten. Auf dem glatten Parkett der Gesellschaft bewegte sie sich ebenso sicher wie in der Unterwelt. Bissig meinte sie ungeniert, daß es da kaum Unterschiede gab.

Ihre oft ruppige Offenheit paßte ausgezeichnet zu ihrem Aussehen.

Lady Agatha erinnerte an die Walküre einer Wagneroper. Sie war eine stattliche Erscheinung und bewegte sich auf großen Füßen, die meist in bequemen und ausgetretenen Wanderschuhen steckten. Mit Vorliebe trug sie Chanel-Kostüme, die durchweg recht ausgebeult wirkten.

Ihr weißes Haar war meist in neckische Locken gelegt, die keineswegs zu den kühl dreinschauenden Augen paßten. Unter einer Art Adlernase befand sich ein auffallend großer Mund, der gefährlich schmal werden konnte.

Die Dame, die auf die sechzig Jahre zuging, war noch ungewöhnlich rüstig und unternehmungslustig. Und kriegerisch dazu war sie ebenfalls. Man konnte sie leicht reizen und in Schwung bringen. War das mal geschehen, ließ sie sich kaum noch aufhalten oder gar bremsen. Der kleine, perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk konnte dann zu einer beeindruckenden Waffe werden.

Lady Agatha kämpfte vor der Schreibmaschine mit ihrer Unlust. Sie hatte die Suche nach dem ersten Satz ihres Romans bereits aufgegeben und sehnte sich nach Abwechslung. Ihr stand im Moment wieder mal der Sinn nach einem netten, komplizierten Kriminalfall. Sie war nämlich Detektiv aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet recht erfolgreich. Was wohl mit einem Mann zusammenhing, der sich Josuah Parker nannte.

Der Butler erschien wie auf ein Stichwort hin im Arbeitszimmer der Lady, nachdem er vorher diskret angeklopft hatte.

»Du lieber Himmel, Mister Parker, müssen Sie denn immer stören?« fragte Agatha Simpson gereizt. »Gerade wollte ich den ersten Satz schreiben.«

»Mylady mögen die kleine Störung gütigst entschuldigen«, schickte Parker gemessen voraus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sir Edwards vom Geheimdienst Ihrer Majestät bittet um eine Unterredung.«

»Aber doch nicht jetzt«, erregte sich Parkers Herrin. »Ich stecke mitten in meinem ersten Kapitel.«

»Es scheint sich offensichtlich um einen Fall zu handeln, der Myladys Hilfe bedarf.«

»Papperlapapp, Mr. Parker, mein Roman ist wichtiger.«

»Sehr wohl, Mylady. Sir Edwards sollte sich demnach allein mit den Seejungfrauen befassen.«

»Natürlich«, grollte Agatha Simpson, »machen Sie ihm klar, daß ich keine weiteren Fälle mehr übernehme. Mein Roman ist wichtiger als der interessanteste Kriminalfall.«

»Wie Mylady befehlen.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an und wollte das Zimmer verlassen. In diesem Augenblick erst zündete es in der kriegerischen Dame.

»Seejungfrauen?« fragte sie und stieg aus ihrem Arbeitssessel. In ihren Augen glitzerte es.

»Besagte Fabelwesen, Mylady, scheinen sich an Schottlands Ostküste ein Stelldichein zu geben, wie Sir Edward meint.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Agatha Simpson sah ihren Butler strafend an. »Seejungfrauen ändern natürlich die allgemeine Sachlage.«

»Dennoch scheint es sich nur um einen Kriminalfall zu handeln, Mylady.«

»Ausnahmen bestätigen die Regel«, schickte die ältere Dame voraus, »ich trenne mich zwar nur sehr ungern von meinem Roman. Aber wenn Elizabeth meine Hilfe braucht, kann ich sie schlecht verweigern.«

»Ihre Majestät werden das zu schätzen wissen«, antwortete der Butler. Er hatte den Vornamen sofort richtig interpretiert. Lady Simpson war selbstverständlich auch mit dem britischen Königshaus verschwägert.

»Ich weiß doch, wie schlecht ihr Geheimdienst ist«, fügte die Detektivin grimmig hinzu. Die Dame machte plötzlich einen sehr animierten Eindruck. Sie hatte sich innerlich bereits fest entschlossen, den geplanten Bestseller noch etwas hinauszuschieben. Man merkte es daran, daß sie die Abdeckhaube über die Maschine spannte, nachdrücklich und erleichtert.

Damit war für Parker bereits alles gelaufen. Die Seejungfrauen in Schottland konnten sich auf etwas gefaßt machen. Lady Simpson nahte!

*

»Ich hab’ doch Augen im Kopf«, sagte Buddy Frazer gereizt. »Ich hab’ sie ganz deutlich gesehen. Die paddelten in der Brandung wie Robben.«

»Wieviel hattest du denn vorher inhaliert?« erkundigte sich der Wirt der Hafenkneipe. Herb Malone war ein untersetzter, stämmiger Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Spottlust war in seinen Augen. Er zwinkerte jetzt den übrigen Männern zu, die am Tresen standen und ihr Bier tranken. Es ging auf die nächtliche Sperrstunde zu, und die Männer am Tresen beeilten sich, in möglichst kurzer Zeit noch möglichst viel Alkohol zu vertilgen. Malone schloß seit einiger Zeit überpünktlich. In jüngster Vergangenheit hatte er bereits einige Male Ärger mit der Polizei gehabt. Er wollte seine Lizenz nicht aufs Spiel setzen.

Sein Umsatz im Pub steigerte sich von Woche zu Woche. Trinkfeste Männer waren hierher nach Panrose gekommen, die ihr Geld springen ließen. Seitdem in der Nordsee Öl und Erdgas gefunden wurden, erlebte die nordöstliche Region Schottlands einen geradezu erregenden Aufschwung. Draußen auf dem Meer standen die Bohrinseln, die mit Material versorgt werden mußten. Pipelines wurden unter Wasser verlegt, Öltanks und Raffinerien schossen aus dem Boden.

Das kleine Fischernest Panrose war bis vor wenigen Monaten noch völlig unbekannt gewesen. Wenn man von Aberdeen hinauf nach Fraserburgh fuhr, hatte man hier kaum angehalten. Jetzt aber war das anders. Hinter der Steilküste wurde eine Raffinerie gebaut. Es herrschte eine wahre Goldgräberatmosphäre. Barackenstädte waren aus dem Boden gestampft worden, die die Raffineriearbeiter aufnahmen. Viel Abwechslung gab es in dieser kargen Gegend nicht, und man war froh, sich in einem Pub treffen zu können.

Buddy Frazer merkte natürlich, daß man ihm nicht glaubte und ihn sogar auf den Arm nehmen wollte. Der kleine zähe Mann mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht winkte ab. Es war zu erkennen, daß er über dieses Thema nicht weiter sprechen wollte. Frazer war Fischer geblieben und tuckerte mit seinem kleinen Kutter Tag für Tag hinaus auf die See. Er hatte keine Lust, seine Freiheit aufzugeben, auch wenn er weniger verdiente.

»Du hast also auch Seejungfrauen gesehen«, wiederholte Malone und sah Buddy gespielt ernst an.

»Nee, war ein Irrtum«, antwortete Buddy Frazer.

»Nun hab’ dich nicht, so«, meinte Herb Malone, »aber du mußt doch zugeben, daß das ziemlich unwahrscheinlich klingt. So was gibt’s doch nur in Märchen.«

»Ich sag’ doch schon, daß ich mich getäuscht habe.« Frazer war nicht bereit, sich über dieses Thema noch mal zu verbreiten. Er trank sein Bier aus und verließ die Kneipe. Er war verärgert. Warum hatte Malone ihn durch den Kakao ziehen wollen? Herb wußte doch verdammt genau, was mit Tom Haley und Peter Ward passiert war. Die beiden armen Teufel hatte man doch erst vor knapp einer Woche aus der Brandung gefischt. Gut hatten sie wirklich nicht mehr ausgesehen.

Und warum waren sie raus zum Nußknacker gegangen?

Die Seejungfrauen hatten sie sich ansehen wollen, davon sprachen hier alle Fischer. Es gab sie, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Und Buddy Frazer hatte sie schließlich auch gesehen. Das war in der vergangenen Nacht gewesen, als er mit seinem Kutter zurück nach Panrose geschippert war. In der Brandung waren zwei Seejungfrauen gewesen, wie sie in alten Märchenbüchern abgebildet sind ...

Buddy Frazer hatte an diesem Abend leider eine Menge getrunken. Die Sticheleien ärgerten ihn maßlos. Er ließ sich nicht gern für einen abergläubischen Trottel halten. Er nahm sich vor, sofort zum Nußknacker zu fahren. Vielleicht hatte er Glück und konnte die beiden Seejungfrauen noch mal sehen. Und vielleicht klappte es auch, eine davon zu erwischen.

Würden die Burschen in Malones Kneipe Augen machen, wenn er mit einer Seejungfrau anrauschte!

Buddy Frazer machte sich sofort auf den Weg – und ging seinem Tod entgegen ...

*

»Mylady hätten sich vielleicht nicht bemühen sollen«, stellte Josuah Parker fest.

»Hören Sie endlich auf, mich wie eine alte Frau zu behandeln«, raunzte Agatha Simpson ungnädig. »Sorgen Sie lieber für eine kleine Erfrischung!«

»Bevorzugen Mylady Tee oder Cognac?«

»Fangen Sie mit dem Cognac mal an«, erwiderte die Sechzigjährige. »Ich glaube, mein Kreislauf braucht eine kleine Beschleunigung.«

Parker war ein perfekter Butler.

Er lagerte mit Lady Simpson in den steilen Felsklippen der Küste und hatte das Versteck mit viel Sinn für Komfort hergerichtet. Über ihren Köpfen befand sich eine dunkle Plastikhaut, die den aufkommenden Sprühregen abhielt. Mylady saß auf einem zusammenfaltbaren Polster und ließ sich von Parker verwöhnen. Er hatte den schwarzen Picknickkoffer geöffnet und servierte seiner Herrin zuerst einen Cognac. Anschließend klappte er die Beine des Koffers heraus und verwandelte ihn in einen kleinen praktischen Tisch.

»Ein wenig Schildkrötensuppe?« fragte er weiter. »Darüber hinaus könnte ich noch mit kaltem Huhn und einigen Sandwiches dienen, Mylady.«

»Wollen Sie mich mästen?« grollte sie.

»Nur, wenn Mylady darauf bestehen«, gab Parker gemessen zurück. »In Anbetracht der Nachtkühle sollten Mylady aber an eine intensivere Verbrennung denken.«

»Ruhe! Was war das gerade?« Lady Simpson hob ruckartig den Kopf und schob dann vorsichtig die dunkle Plane zur Seite. Sie beugte sich vor und sah auf die Brandung hinunter. Die Flut lief gerade auf und schäumte gegen die Klippen.

Parker war das seltsame Geräusch ebenfalls nicht entgangen. Um sofort einsatzbereit zu sein, packte er den Picknickkoffer wieder zusammen. Die Cognacflasche allerdings ließ er draußen. Er kannte den Kreislauf seiner Herrin nur zu gut. Er brauchte in nächster Zeit mit Sicherheit noch einige freundliche Ermunterungen.

»Da war doch was«, stellte Lady Simpson gereizt fest.

»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.«

»Hörte sich dumpf an, wie?«

»In der Tat, Mylady!« Parker sah längst hinunter in die Brandung und versuchte etwas zu erkennen. Die Sicht war leider sehr schlecht. Der Sprühregen war kompakter geworden.

Er und Lady Simpson saßen nun schon seit zwei Stunden in den Steilklippen und hielten Ausschau nach Seejungfrauen. Sie waren gegen Mittag in Peterhead angekommen, jenem alten Fischereihafen, der von Touristen gern besucht wurde. Von dort aus waren sie nach Anbruch der Dunkelheit losgefahren. Parkers Wagen stand ein paar hundert Meter entfernt von diesem Versteck in einer schmalen Bodenfalte und konnte von der Küstenstraße aus nicht gesehen werden.

Agatha Simpson und Josuah Parker wußten von Sir Edward, daß vor knapp einer Woche zwei Fischer umgekommen waren. Es handelte sich um zwei Männer, die laut Aussage ihrer Freunde Jagd auf Seejungfrauen machen wollten. Mit gebrochenem Genick waren sie später in der Brandung entdeckt worden.

Jagd auf diese Seejungfrauen machten nun auch Lady Simpson und ihr Butler. Sie befanden sich an der Stelle, wo die beiden jungen Männer sich versteckt haben mußten. Die Polizei hatte hier zwischen den Klippen eine leere Whisky-Taschenflasche und einige Zigarettenkippen gefunden. Die kriminaltechnischen Untersuchungen ergaben eindeutig, daß die beiden jungen Männer aus der Flasche getrunken und die Zigaretten geraucht hatten.

Parker beobachtete inzwischen die Brandung durch ein lichtstarkes Marineglas. Von Seejungfrauen war leider nichts zu sehen. Dafür erschien in der Optik eine Gestalt, die über den schmalen Pfad zur Brandungszone hinunterrutschte.

Parker tauschte das Marineglas gegen ein Nachtsichtgerät aus, das auf der Basis der Restlichtmenge arbeitete. Selbst die schwächsten Lichtspuren wurden durch die Elektronik dieses Geräts vertausendfacht.

Die Gestalt entpuppte sich als ein schmaler, nicht gerade großer Mann, der offensichtlich nicht fest auf den Beinen stand. Vielleicht hatte er auch nur zuviel Schwung. Er rutschte schon nicht mehr über den steilen Pfad nach unten, er rannte eigentlich und lief Gefahr, jeden Moment nach unten in die Brandung zu stürzen.

Josuah Parker hegte einen schlimmen Verdacht. Wurde der Mann etwa verfolgt und gehetzt?

Er richtete sein Nachtsichtgerät weiter nach oben und fand seine Vermutung bestätigt. Zwei schmale, geschmeidige Gestalten, die in schwarze Trikots gehüllt zu sein schienen, waren hinter dem Mann her.