China-Pioniere - Ulrich Kausch - E-Book

China-Pioniere E-Book

Ulrich Kausch

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Beschreibung

Wagnis China? Das sehen diese Unternehmer positiv. Sie haben den Weg nach China riskiert – und davon profitiert. Statt Ängste zu schüren und Warnungen zu rezitieren, berichten in diesem Buch über 20 Manager aus den unterschiedlichsten Branchen von ihren Erfahrungen und Erfolgen.

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www.campus.de

Kausch, Ulrich

China-Pioniere

Unternehmer berichten von ihren Erfolgen im Reich der Mitte

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2007. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40311-3

|5|Für meine Frau Xinrong, meinen Sohn Phillip und meine Tochter Yale

|11|Vorwort

Im Jahr 1991 besuchte eine Unternehmerdelegation des Bundesverbands der Deutschen Industrie die chinesische Metropole Shanghai. Sie traf unter anderem den damaligen Oberbürgermeister, den späteren Ministerpräsidenten Zhu Rongji. Bei diesem Treffen präsentierte die Shanghaier Führung den deutschen Unternehmern ihre Pläne für den Stadtteil Pudong – damals noch Ackerland, auf dem Büffel weideten. Man kündigte zur großen Überraschung der Gäste an, dass dieses Gebiet schon sehr bald ein florierendes Wirtschaftszentrum sein werde. Die skeptischen Delegationsmitglieder konnten sich schon Mitte der neunziger Jahre davon mit eigenen Augen überzeugen.

Dieses Beispiel steht exemplarisch für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in China. Mit rasantem Tempo und großer Zuversicht wurde dort das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Deutsche Unternehmen waren von Beginn an dabei. Die deutschchinesischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfreulich entwickelt. China wird ein immer wichtigerer Abnehmer für deutsche Produkte. Nach einer Versechsfachung der deutschen Ausfuhren zwischen 1985 und 2005 war China im letzten Jahr der zweitwichtigste außereuropäische Abnehmer deutscher Waren. Rund 2000 deutsche Unternehmen produzieren außerdem mittlerweile vor Ort – hauptsächlich für Kunden in China und anderen asiatischen Ländern, aber auch für den Export: Etwa die Hälfte der chinesischen Exporte stammen derzeit von Unternehmen mit ausländischen Investoren.

|12|Die deutschen Importe aus China haben sich in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht, während sich unsere Exporte dorthin immerhin vervierfacht haben. Der deutsche Verbraucher profitiert vor allem von niedrigeren Preisen.

China und Deutschland haben vieles gemeinsam. Beide Länder stehen momentan vor großen Herausforderungen und werden in den kommenden Jahren gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen vollziehen müssen. Der Schlüssel zur Bewältigung der anstehenden Fragen liegt in der Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaften. Folgerichtig setzt die chinesische Regierung zu Beginn des neuen Jahrtausends verstärkt auf Veränderung als Treiber von Wertschöpfung und Wirtschaftswachstum. Sie investiert in Forschung und Bildung und bemüht sich, ein innovationsfreundliches Klima zu schaffen.

Dazu gehört natürlich vor allem der bessere Schutz geistigen Eigentums, aber auch die Vereinfachung von Zulassungen und Genehmigungsverfahren sowie von Unternehmensgründungen. Und drittens bemüht sich das Land um internationale Kooperation: Sei es der Beitritt zur WTO oder die Schaffung einer asiatischen Freihandelszone mit den ASEAN-Staaten – die Öffnung nach außen vollzieht sich in fulminantem Tempo. Diese Veränderungen beflügeln auch die Entwicklung der chinesischen Unternehmen. Insbesondere die Privatwirtschaft hat in den letzten Jahren einen erfreulichen Boom erlebt. In diesem Sektor finden Sie viele chinesische »Pioniere«, die mit nichts als einer Idee und ein wenig Startkapital teilweise zu inzwischen ernst zu nehmender Konkurrenz geworden sind.

Solche Wegbereiter braucht auch Deutschland: Menschen mit Unternehmergeist, die bereit sind, ein Risiko einzugehen. Denn ohne Risiko ist unternehmerisches Engagement nicht vorstellbar, weder in China noch in Deutschland.

»China-Pioniere« zeigt die Erfahrungen von deutschen Mittelständlern beim Gang nach China. Leute, die diesen Unternehmergeist hatten und in China etwas gewagt haben. Viele von ihnen waren |13|von Anfang an in China dabei. Auf sehr anschauliche Art und Weise wird von ihren Erfahrungen berichtet. Ich würde mich freuen, wenn das Buch dazu beiträgt, die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen.

Jürgen R. Thumann

Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI)

|14|Einleitung

In dem bekannten Gedicht »Stufen« von Hermann Hesse heißt es: »Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.«

Ein Neubeginn in einer fremden Umgebung birgt immer eine Vielzahl an Möglichkeiten und Freiheiten, die in der alten, gewohnten Umgebung nicht gegeben sind. Doch so ein Schritt erfordert auch viel Mut und Risikobereitschaft. In der heutigen Zeit befinden sich ganze Nationen im Umbruch, ihre wirtschaftlichen und sozialen Gefüge verändern sich erheblich. Auch Deutschland gehört dazu. Viele Abläufe, die in der Vergangenheit für selbstverständlich genommen wurden, wandeln sich und erzeugen natürlich ein Gefühl der Unsicherheit. Gerade weil die im Entstehen begriffene neue Ordnung noch nicht so recht greifbar ist, wächst in den traditionell wohlhabenden Ländern vielfach die Sorge vor der Zukunft. Das lähmt die Menschen häufig und hindert sie, Neues in Angriff zu nehmen und an seiner Gestaltung aktiv mitzuarbeiten.

Ich schreibe dieses Buch, weil ich gemeinsam mit anderen Menschen aktiv an der neuen Ordnung mitarbeiten möchte. Zuallererst braucht man Mut, überhaupt anzufangen. Und hierzu bieten Ihnen die Geschichten der Unternehmer, die in diesem Buch zu Wort kommen, eine passende Gelegenheit. Ihr Pioniergeist ist im Kern eine Kombination aus guter Vorbereitung, Konstanz in der Bemühung |15|und Pragmatismus im Vorgehen, die durch ein großes Geschick im Umgang mit Menschen zusammengehalten wird. Wer diesen Pioniergeist in sich trägt, kann auch Täler durchschreiten, um am anderen Ende einen Erfolg zu feiern, der vorher nicht absehbar war.

Ich sehe in der deutschen Zusammenarbeit mit China eine große Chance für beide Länder, sich für die gesamte Welt vorteilhaft zu entwickeln.

Neben einem nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlstand und einem harmonischen Miteinander der Völker wird jeder Beteiligte dadurch auch persönlich wachsen und so zum Garant der weiteren gemeinsamen Entwicklung. Diese Art der Zusammenarbeit ist kein Nullsummenspiel, denn das, was ich bekomme, fehlt dem anderen nicht. Es ist eher wie ein Lächeln oder ein Dankeschön. Es kostet mich nichts, aber bereichert uns beide.

Letztendlich sind Wachstum und Veränderung die Grundlage allen Lebens. Was sich nicht mehr verändert, kann nicht mehr wachsen und ist dem Untergang geweiht. Ich hoffe, dass mein Buch auf seine Leser so belebend wirkt wie die Kraft, die mich beim Start Richtung China in den Flugzeugsitz gepresst hat und alle trübsinnigen, lähmenden Gedanken fortgespült hat, um den Weg für kreatives, mutiges Handeln und Freude frei zu machen.

In diesem Buch gewähren 24 Unternehmer aus verschiedenen Branchen dem Leser einen ehrlichen Einblick in die praktische Vorgehensweise beim Aufbau ihres Geschäfts in China, ohne die Mühen, Hindernisse und Rückschläge auf dem Weg auszusparen. Die Gespräche zwischen Autor und Unternehmern haben in der Zeit von August 2005 bis März 2006 in Deutschland und China stattgefunden.

In den persönlichen Schilderungen ihrer Erlebnisse erfährt der Leser, was bei der Gründung eines Unternehmens wirklich wichtig ist und welche bewährten Möglichkeiten es gibt, die Herausforderungen im Tagesgeschäft zu meistern. Darüber hinaus wird deutlich, welche neuen Geschäftsmöglichkeiten für innovative Unternehmer und Unternehmen hinter den Herausforderungen in China |16|sowohl für Chinesen als auch für Ausländer stehen. Die Thematik ist von weltweiter Relevanz: Globalisierung der deutschen Stammhäuser, Verantwortung der Unternehmen für eine nachhaltige weltweite wirtschaftspolitische Entwicklung und die Bedeutung der Aus- und Weiterbildung für den dauerhaften Wohlstand eines Landes.

Gerade beim Markteintritt haben sich erfolgreiche Unternehmer an den wirtschaftspolitischen Bedürfnissen Chinas orientiert und einen Weg gefunden, mit ihren Produkten das gewollte Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Ob danach die Firmengebäude in China gemietet oder gekauft wurden, ist nicht so wichtig wie die Lokalisierung von Produkten und Services. Erfolgreiche Firmen schaffen es, durch genaue Prozesskenntnisse, teure Maschinen durch preiswerte Arbeitskräfte zu substituieren, ohne dabei die Qualität des Endprodukts zu verschlechtern. Auch Prozesse und Services müssen genau wie Produkte in China angepasst werden. Das geschieht am einfachsten durch frühzeitige Einbindung von chinesischen Mitarbeitern. Kontakte, gerade zu den verschiedenen Regierungsebenen, sind unabdingbar. Dabei ist manchmal der erreichbare Lokalpolitiker hilfreicher als der entfernte Spitzenpolitiker. Besonders gute Beziehungen zeichnen sich auch durch ihre Belastbarkeit in Krisensituationen aus, die anfangs niemand für möglich gehalten hatte. Diese Belastbarkeit resultiert aus der Verfolgung gemeinsamer Ziele, die bei dem Einsatz von Beratern nicht unbedingt gegeben ist, gerade wenn es um die Bereiche geht, die ein Unternehmen als Kernkompetenz definiert hat.

Einen großen Vorteil beim Aufbau des Chinageschäfts genießen die Firmen, die schon Strukturen in Asien haben und von dort die Entwicklung unterstützen können. Ob das Geschäft vor Ort von einem Geschäftsführer verantwortet wird oder nach Sparten auf mehrere Köpfe verteilt wird, ist nicht so entscheidend wie die Transparenz und Effizienz der Organisationsstruktur. Daher geht die Tendenz dahin, weltweit ähnliche Strukturen zu schaffen, denn wesentliche Teile der Managementfunktion sind kulturunabhängig. |17|Die sogenannten deutschen Tugenden wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Offenheit haben auch in China einen hohen Stellenwert. Wer es schafft, diese Tugenden zu leben und den Chinesen auf Augenhöhe zu begegnen, hat den ersten Schritt zum Erfolg in China geschafft. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Stetigkeit im Engagement. Viele erfolgreiche Firmen und Manager sind schon Jahrzehnte in China und kennen Tiefs und Hochs.

Die Sorge, Familie und Beruf im Ausland nicht unter einen Hut bringen zu können, schreckt gerade besonders wertvolle Mitarbeiter zwischen Mitte 30 und Ende 40 von China ab. Diese Sorge ist aber vor allem in den großen Städten an der Ostküste immer weniger gerechtfertigt. Der Punkt der privaten Stabilität für den beruflichen Erfolg wird häufig bei der Entsendung deutscher Mitarbeiter nicht genügend berücksichtigt und kann dann schnell zum Drama werden. Die Grundregeln, fähige Mitarbeiter an sich zu binden, sind nicht anders als in Deutschland: Vernünftige Bezahlung, stetige Karriereförderung und ein ordentliches Arbeitsumfeld sind die Haupttreiber. Kooperationen mit Spitzenuniversitäten in der Region sorgen für einen zusätzlichen Motivationsschub.

Bei der Personalführung chinesischer Mitarbeiter ist der erfahrene China-Manager immer auf der Hut, selbst die anstehenden Aufgaben zu erledigen, damit es schneller geht. Stattdessen delegiert er die Aufgaben wieder an die Mitarbeiter zurück und macht ihnen klar, dass sie für die Arbeitsergebnisse verantwortlich sind. Durch dieses Vorgehen ist ein Manager fast zu 50 Prozent mit detailliertem Personalmanagement ausgelastet. Auslandschinesen, die länger als fünf Jahre im Ausland waren, sind teilweise mit der Entwicklung in China nicht mehr so vertraut und haben sich auch charakterlich verändert, sodass eine Zusammenarbeit mit anderen chinesischen Mitarbeitern Konfliktpotenzial bieten kann.

Beim Thema Schulungen gehen einige Firmen sehr erfolgreich dazu über, mehr vor Ort in China zu veranstalten als viele Mitarbeiter häufig nach Deutschland zu fliegen. Besuche in Deutschland |18|haben nach wie vor ihren Wert als Mittel zur emotionalen Bindung an die Mutterfirma oder als Belohnung. Vor-Ort-Trainings von Experten, deren Vortrag simultan gedolmetscht wird, haben sich als sehr effiziente und preisgünstige Erweiterung von Trainingsmaßnahmen bewährt.

Die berufliche Ausbildung in China ist weit entfernt von dem Niveau in Deutschland. Daher sehen sich viele Firmen gezwungen, selber einen nicht unerheblichen Teil ihrer Ressourcen in die Ausbildung von Facharbeitern zu investieren. Die Zeiten, in denen ausländische Manager auf Englisch und mit einem Dolmetscher das gesamte Chinageschäft betreiben konnten, nähern sich dem Ende. Gerade jüngere Manager erarbeiten sich in Eigeninitiative ein Verständnis der sozialen und kulturellen Realität in China, das ihnen dann auf wirtschaftlichem Gebiet hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Um das Chinageschäft besser betreiben zu können, sind auch in Deutschland Anpassungen erforderlich, wie die Globalisierung der Headquarter. Etliche Unternehmen müssen noch Strukturen und Prozesse schaffen, um die weltweite Organisation aus dem Stammhaus besser unterstützen zu können.

Die Vorgehensweisen und Strategien der verschiedenen Firmen, wie sie in den Interviews deutlich werden, unterscheiden sich zum Teil erheblich, ähneln sich dann aber auch wieder sehr. Deutlich wird jedoch, dass allein die kluge Wahl des Modells und die richtige Ausführung über Erfolg und Misserfolg entscheiden: Es gibt keine in sich »falschen« oder »schlechten« Modelle. Jede Firma muss das Modell wählen, welches sie am besten ausführen kann.

In China erzählt man sich schon seit Jahrtausenden die Legende von Flusskarpfen, die über das Drachentor springen. Der Überlieferung nach wurden die Karpfen, welche die Mühe auf sich genommen hatten, flussaufwärts zum Drachentor zu kommen und so gut vorbereitet waren, den Sprung darüber zu schaffen, in Drachen verwandelt. Diejenigen, die den Sprung nicht schafften, verloren dabei ihr Leben. Das Drachentor ist hier ein Symbol für einen privaten und beruflichen Aufstieg, während der rote Karpfen in der chinesischen |19|Mythologie für Reichtum und Geld steht. Diese Legende ist auch als geflügeltes Wort in die chinesische Sprache eingegangen. Der durch den Sprung auf eine höhere Ebene vollzogene qualitative Wandel des Springenden wird als Li Yu Tiao Long Men bezeichnet.

Beim Erfolg ist oftmals allein das Ergebnis von Interesse, während völlig vergessen wird, welchen Mut, welche Risikobereitschaft und wieviel Mühe dieser Erfolg gekostet hat. Doch das Wissen über den Weg zum Erfolg, in der Kenntnis der Mühen, Gefahren und Risiken, ist von mindestens ebenso großer Wichtigkeit wie das Ergebnis selbst, denn nur so können andere aus diesen Erfolgen lernen. Dieses Wissen zu vermitteln und zum Aufbruch anzuregen, ist das Anliegen dieses Buches.

|20|Berlinwasser

»Das lösen wir chinesisch«

Berlinwasser International ist in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Unternehmen: Die Firma hat sich aus einem traditionsreichen kommunalen Wasserversorgungsunternehmen entwickelt und bietet im Rahmen von Public-Private-Partnership (PPP)-Modellen technische und kaufmännische Expertisen bei der Bereitstellung einer wichtigen Infrastrukturkompetenz an: der Wasserwirtschaft.

Ausgangssituation

Nachdem die Berliner Wasserbetriebe – immerhin einer der größten europäischen Wasserversorger und Abwasserentsorger – in den neunziger Jahren größere Umstrukturierungen und Umwandlungen erfolgreich hinter sich gebracht hatten, stand der Wunsch nach Export des Firmen-Know-hows an. Dabei bot der chinesische Markt die damals interessanteste geschäftliche Perspektive. Berlinwasser International entwickelte das Projekt gemeinsam mit chinaerfahrenen Experten und gewann die Zustimmung des Vorstands. Im weiteren Verlauf zeigte sich auf der Arbeits- und Managementebene immer stärker die immense Wichtigkeit guter Kontakte zu Chinesen.

Projektentwicklung

Das Projekt »China« ist langfristig ausgerichtet, wodurch eine sensible Steuerung des Projektverlaufs und eine nicht zu vernachlässigende |21|Risikominimierung erreicht werden. Dieter Ernst, Vorstandsvorsitzender von Berlinwasser International AG, berichtet, wie die China-Aktivitäten in Gang kamen:

»Im Jahr 1995 wurde im Vorstand der Berlinwasser-Gruppe eine internationale Entwicklungsstrategie formuliert. Zu dieser Zeit war ich im Aufsichtsrat verantwortlich für das Unternehmen. Unsere Strategie trug erstmalig 1997 mit der Vertragsunterzeichnung in Xi’an Früchte. Wir hatten als größtes kommunales Wasserunternehmen in Europa zu dieser Zeit einfach ungenutztes, brachliegendes Potenzial. Rückblickend würde ich sagen, dass das China-Engagement auch aus der Überzeugung heraus entstanden ist, dass es eine hoch spannende Herausforderung sein könnte, ohne dass wir schon im Detail eine Vorstellung hatten, wie sich das Engagement entwickeln könnte.

Dank der guten Kooperation mit unserem Partner, der chinesischen Wasserbehörde, haben wir dann Anfang 2000 den Entschluss gefasst, dass wir uns auf dem chinesischen Markt noch weiter entwickeln wollen. Bereits drei Jahre später konnte Berlinwasser das Klärwerk in Nanchang in Betrieb nehmen – eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne für China, wo Geschäftsentwicklungen traditionell viel mehr Zeit brauchen als im Westen, besonders, wenn es sich bei dem Geschäftspartner um Behörden oder Regierungseinrichtungen handelt. 2004 kam dann das Klärwerk in Hefei in der Provinz Anhui zustande. Ich denke, der wichtigste Punkt für ein erfolgreiches Engagement ist, dass man China erst einmal buchstäblich lernen muss, besonders wenn man neu im Auslandsgeschäft ist. Einer der prägnanten Sätze von den Kollegen war immer: ›Als wir nach China gingen, haben wir wieder gelernt, dass die Woche sieben Tage und der Tag 24 Stunden hat.‹ Unsere Leute haben bei all unseren Projekten stellenweise tatsächlich fast im ›7x24‹-Modus gearbeitet.«

Daneben betont Dieter Ernst, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen: Der Umgang mit der chinesischen Kultur muss erst einmal gelernt sein. Ein »Nein« ist zum Beispiel nicht immer ein |23|»Nein«, genauso wie ein »Ja« nicht unbedingt ein »Ja« ist. Obwohl die Mentalität von Deutschen und Chinesen in der Regel gar nicht so unterschiedlich ist, dauert es eine Weile, bis man sich hineingefunden hat. Dabei ist der Aufbau der Beziehungsgeflechte wahrscheinlich der wirklich entscheidende Faktor. Man braucht zuallererst die Beziehung, um einen erfolgreichen Abschluss miteinander zu entwickeln. Dass dazu Vertrauen notwendig ist, muss man lernen. Wenn man falsch hineinspringt, sind die Türen zu, bevor man eine Chance hatte, sie zu öffnen.

|22|

Ein PPP-Projekt wie das der Firma Berlinwasser International in China bedarf einer absolut hohen Sensibilität und Vorbereitung in Bezug auf die Etablierung politischer Beziehungen. Diese wurden gleichzeitig mit den industriellen Kontakten geknüpft, um einen möglichst reibungslosen und effektiven Ablauf zu erzielen. Auch die deutsche Politik war von Anfang an mit eingebunden, kann mir Dieter Ernst berichten. Da sich in den letzten Jahren der Wassersektor neben Chemie, Automobilbau und Maschinenbau zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Industrieexporte entwickelt hat, konnte er auf die Unterstützung von Landes- und Bundesministerien bis hin zum Bundeskanzler selbst setzen, erzählt er stolz.

Ganz ohne Risiko konnte das Chinaprojekt der Berlinwasser nicht vonstatten gehen. So betont Ernst, dass man sich der Schwierigkeiten der langfristigen Projektentwicklung bewusst sei und versuchen müsse, möglichst schnell die Investitionsmittel wieder zu realisieren, also die Pay-back-Periode so kurz wie möglich zu halten. Dabei kann die chinesische Gesetzeslage unverhofft für weitere Schwierigkeiten sorgen: Es gibt klare gesetzliche Regelungen für das notwendige Eigenkapital. Deutsche Unternehmen haben damit bisher nur die Möglichkeit, eigenes Kapital einzusetzen, was jedoch gleich zwei weitere Risiken mit sich bringt: den Verlust des eingesetzten Kapitals und das Währungsrisiko, dass also vertraglich vereinbarte Einnahmen in der Fremdwährung durch Wechselkursschwankungen an Wert in der Heimatwährung verlieren.

Beides sind massive Gefahren, gegen die man sich nur zum Teil |24|mit Mitteln wie Hermesdeckung, der Übernahme des unternehmerischen Risikos durch die Bundesregierung bei Zahlungsausfall eines ausländischen Geschäftspartners, oder anderen Versicherungen schützen kann. Denn, so Ernst, letztendlich hänge ein Vertrag, der über 20 Jahre oder mehr abgeschlossen werde, sehr stark von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung ab. Alles, was über die gesetzlichen Mindestbestimmungen zum Eigenkapital von rund 33 Prozent hinausgeht, wird laut Dieter Ernst über Banken finanziert. Konkrete Gespräche gab es dabei mit der Asia Development Bank, doch waren auch andere Institutionen, wie Weltbank und KfW, beständig im Blickfeld. Das Währungsrisiko konnte bei Berlinwasser als einem der ersten ausländischen Wasserbetreiber in China minimiert werden, indem die Projekte im Rahmen einer Projektfinanzierung in lokaler Währung finanziert wurden.

Da Wasserbetriebe ihr Geld von den Kommunen bekommen, sind sie in besonderem Maße von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung abhängig. Schließlich zahlen die Verbraucher für diese Dienstleistung eine Abgabe an die Kommunen. Wenn jedoch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung die Verbraucher weniger Geld haben, können sie keine oder weniger Abgaben entrichten, und die Kommunen können die Wasserbetriebe nicht bezahlen.

»Wir sind, anders als Industriebetriebe, nicht in der Lage, unseren Umsatz einfach durch eine Erhöhung der Produktion zu steigern. Bei Wasserprojekten liegen den Verträgen sehr transparente Finanzmodelle zugrunde, die in der Regel auch dem Kunden transparent sind. Daher hängt die Rentabilität stark von der Frage ab, ob sich die Tarife wie prognostiziert entwickeln. Das ist ein Risiko, gerade wenn der öffentliche Partner Tariferhöhungen aus politischen Erwägungen heraus den Bürgern so nicht zumuten möchte. Im Grunde vertraue ich auf die langfristige Entwicklung des Landes, der Wirtschaft, der Politik und der rechtlichen Stabilität. Täte ich das nicht, sollte ich in China besser nicht investieren.« Trotz aller Planungen entwickeln sich jedoch Projekte nicht immer wie |25|prognostiziert. So muss man nicht nur mit Überraschungen rechnen, sondern auch mit ihnen umgehen:

»Wir mussten unser erstes Projekt in Xi’an entgegen der Planung vorfristig verkaufen«, berichtet Dieter Ernst. »Wir hatten ein Contractual Joint Venture mit einer festen Rendite und waren somit eher Kapitalgeber als Beteiligter. Diese Regelung war für uns sehr günstig, da das gesamte finanzielle Risiko beim chinesischen Partner lag. Vor zwei Jahren jedoch traf die Zentralregierung die Grundsatzentscheidung, dass mit Ausländern gebildete Joint Ventures keine festen Verzinsungsregeln haben dürften, und unser Konstrukt wurde unzulässig. Aus chinesischer Sicht ist das wirtschaftspolitisch sicherlich richtig, da es für den Ausländer kaum ein unternehmerisches Risiko gibt. Obwohl die Entscheidung im Prinzip nachvollziehbar ist, hätte man das bei Wasser auch anders sehen können. Da man es aber nicht anders sehen wollte, mussten wir das Joint Venture auflösen. Wir haben aus der erfolgreichen Entwicklung dieses ersten Projektes aber bis heute hervorragende Kontakte in der Region.«

Perspektive und Ausblick

In China hat sich auf dem Gebiet der Wasserversorgung in den letzten Jahren laut Dieter Ernst viel getan. War es vor einigen Jahren noch undenkbar, dass sich Ausländer dort finanziell und wirtschaftlich engagierten, so gibt es heute ausgeschriebene Konzessionen, an denen sich Ausländer mit bis zu 50 Prozent beteiligen können. Die Regierung hat hier sehr schnell reagiert, zum Beispiel beim neuen Thema Abwasser. Binnen kurzer Zeit gab es die Entscheidung, dass bis zum Jahr 2010 große Städte 60 Prozent ihrer Abwässer zu klären haben. Faszinierend ist zu sehen, wie die Verantwortlichen buchstäblich am nächsten Tag mit der Überlegung zur Problemlösung starten. Im Gegensatz dazu gibt es in Europa zwar klare Umweltschutzauflagen, etwa für Polen, die jahrelang diskutiert wurden, aber bis heute nicht einmal ansatzweise verwirklicht sind. Das |26|hängt sicherlich auch mit der Staatsform zusammen, denn das zentral gelenkte System Chinas besitzt eine enorme Entschlussfähigkeit, welche ihm einen großen Vorteil verschafft. Es kommt nicht nur darauf an, sehr schnell und konkret auf erkannte Problemlagen zu reagieren, sondern Entscheidungen auch umzusetzen. Man darf aber in China nicht übersehen, dass es in der heutigen Entwicklung auch einen starken Trend zur Dezentralisierung gibt.

Die aktuellen wirtschaftlichen Aussichten in China hinsichtlich der Abwasserklärung sind laut Dieter Ernst sehr positiv, denn wie viele Länder auf der Welt hat China das Problem, dass es für Abwasser lange Zeit überhaupt keinen Tarif gab, weil man Abwasser letztendlich nicht behandelte. Die Frage lautet jetzt hier wie überall, wie man damit in Zukunft umgehen will. »In der Wasserwirtschaft«, sagt Dieter Ernst, »gibt es dazu nur eine Antwort: Wir brauchen kostendeckende Tarife, weil keine Volkswirtschaft und kein öffentlicher Haushalt in der Lage sein wird, die damit verbundenen Kosten langfristig über Gewinne aus anderen Bereichen zu finanzieren.« Die Chancen, ein entsprechendes Tarifmodell in China durchzusetzen, stehen nicht schlecht. Es gibt in China keine ideologische Debatte dahingehend, dass Wasser als ein Geschenk Gottes angesehen wird, das nichts kosten darf. Dennoch müssen diese Kosten auch dem Bürger in China verständlich gemacht werden. Er soll für etwas zahlen, was früher umsonst war. Das ist in der Wasserversorgung nicht einfach und in der Entsorgung umso schwieriger. Zudem müssen Abwassertarife auch objektiv bezahlbar sein. Die internationale Gemeinschaft und Weltbank halten in entwickelten Ländern eine Belastung von 3 bis 5 Prozent des Haushaltseinkommens für zumutbar. Da in China allerdings in weiten Teilen eine schwache Einkommenssituation vorherrscht, ist das Geld dafür oft nicht vorhanden. Daher hängen die Tarife im Wesentlichen auch von der gesamten Wirtschaftsentwicklung und der persönlichen Einkommensentwicklung ab. Bis zum Jahr 2010 will Berlinwasser seine Position im Wasser- und Abwassergeschäft nachhaltig ausgebaut haben und dazu ein eigenes Unternehmen in China besitzen, |27|das diese Entwicklungen im Land selbst gestalten kann. Nach der Öffnung Chinas durch Deng Xiaoping Ende der siebziger Jahre war es anfangs nur möglich, Gemeinschaftsunternehmen zu gründen. Diese Restriktion fiel dann aber ab 1986 immer häufiger weg und hundertprozentige Tochtergesellschaften wurden möglich. Damit wird das Unternehmen Berlinwasser ein wichtiger Player auf dem Wassermarkt in China sein. Das ist überlebenswichtig, denn die Konkurrenz schläft nicht. Weltmarktführer sind die Franzosen, die bereits vor Jahrzehnten mit dem internationalen Projektgeschäft begonnen haben. So hat ein französisches Unternehmen im letzten Jahr 450 Millionen Euro in China investiert. »Wir sind im Weltmarkt unter den ersten zehn Unternehmen und haben die Zielsetzung, auf Platz fünf zu kommen«, sagt Ernst. Dass andere Unternehmen, darunter auch einige deutsche Firmen, jetzt erste tastende Versuche machen, beunruhigt ihn nicht. »Wir haben mittlerweile zehn Jahre Erfahrung im Chinageschäft und es dauert Jahre, eine vergleichbare Basis zu bekommen. Große Unternehmen wie Siemens und GE haben verstärkt Wasseraktivitäten aufgenommen. Wir haben allerdings eine über 120-jährige kommunale Betriebserfahrung, die ein Industrie-, Consulting-, und Engineeringunternehmen nicht mitbringen kann.«

Auch chinesische Finanzinvestoren sieht Dieter Ernst im wachsenden Wettbewerb vorerst als keine große Bedrohung an: »Diese Investoren kaufen in China alles, was sie bekommen können, verstehen nichts vom Geschäft, zahlen überhöhte Preise und können zu einer Belastung für den Markt werden. Aber sie können nicht den notwendigen Service liefern. Hier werden wir von unseren guten Referenzen und der in China bekannten Kompetenz profitieren.« Die Historie und langjährige Tradition des Unternehmens stellt hier einen deutlichen Wettbewerbsvorteil dar.

So ist auch Produktpiraterie für die Wasserspezialisten aus Deutschland kein Thema. »Zuerst hat Deutschland Waren nach China exportiert. Heute exportieren wir eher Know-how. Nach unserem anfänglichen Fokus auf Technik sind wir heute in der Lage, ein ganzes |28|Versorgungssystem auf allen auch nicht-technischen Ebenen zu strukturieren. Dazu zählen insbesondere die Ebenen der Finanzstrukturen und Vertragsgestaltung. In unserem Geschäft ist die Technik nicht allein entscheidend, weil es gute Ingenieure auch in China gibt. Das, was wir an Know-how haben, kann man nicht abkupfern, sondern nur immer wieder neu entwickeln.« Darin zeigt sich laut Ernst auch ein genereller Trend in der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehung beider Länder: »Das, was wir nach China bringen, wird irgendwann wieder zurückkommen. Gesamtwirtschaftlich bedeutet das: In der ersten Stufe werden Waren exportiert, in der zweiten Know-how und dann komplexe Prozesse in Joint Ventures. Daraus folgt eine gewandelte Form der globalen Zusammenarbeit, auf die wir in der deutschen Gesellschaft nicht einmal ansatzweise eingestellt sind.«

Kultur und Soziales

Die große Herausforderung für China in den nächsten Jahren liegt für Dieter Ernst in der sozialen Frage, die für ihn zugleich auch das größte Risiko für die langfristig stabile Entwicklung des Landes darstellt. Die Einkommens- und Wohlstandsentwicklung klafft immer stärker auseinander, nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung hat tatsächlich Anteil am Fortschritt: »Beijing und Shanghai sind nicht das gesamte China. Allerdings sind wir als Unternehmen gebunden, in diejenigen Regionen zu gehen, in denen eine ausreichende wirtschaftliche Basis gegeben ist. Daher sind wir momentan im weitaus größten Teil des Landes geschäftlich nicht aktiv.«

Die Maßnahmen der chinesischen Regierung, mit denen zukünftig auch die Regionen, die nicht unmittelbar an der Küste liegen, aufgebaut werden sollen, hält Dieter Ernst für sehr wichtig.

»Es gibt die Flucht in den Südosten mit allen sozialen Randbedingungen. Wir sehen gerade in Frankreich, wie so etwas eskalieren kann, wenn man nicht sensibel genug damit umgeht. Wir kennen das aus der DDR. Warum konnte die Mauer letztendlich fallen? |29|Weil sich die Leute im Ostteil des Landes wohl auch gefragt haben, warum es den Menschen im Westen in vielerlei Hinsicht besser geht. Diese Transparenz, die Kommunikation, das Internet sind einfach nicht mehr aufzuhalten. Die große Herausforderung ist also, das ganze Land an dieser Entwicklung teilhaben zu lassen. Das ist nicht nur eine Frage von persönlichem Wohlstand, sondern auch von sozialer Absicherung, wie zum Beispiel einer Krankenversicherung. 80 Prozent der Chinesen sind derzeit nicht krankenversichert. Ob die Entwicklung nun in die richtige Richtung geht, kann ich nicht beurteilen. Mein genereller Eindruck ist, dass China eine sehr intelligente Politik macht: Wenn ein Problem erkannt ist, reagiert man sofort darauf. Bei dem Ziel, die wirtschaftliche Konzentration auf bestimmte Regionen auszudehnen, ist die Initiative ›Go West‹ zum Beispiel ein sehr pragmatischer Ansatz. Doch das alles sind Entwicklungen und Zyklen, die Zeit brauchen. Und die spannende Frage ist: Was ist überhaupt erreichbar?«

Einen Zusammenhang zwischen einer raschen Entwicklung zu einem stabileren wirtschaftlichen System und stärkeren Anreizen für ein Engagement in anderen Regionen sieht Ernst so nicht. Die Förderung der sozialen Balance dagegen ist für ihn ein wichtiges Thema: »Ich maße mir nicht an, die Instrumente dazu zu kennen. Wir mit unserem Demokratieverständnis haben es bei einer Beurteilung relativ leicht. Jeder sollte zum Beispiel an Bildung teilhaben. In China sind der Bildungshunger und der Lernwille enorm. Der Wille zum Erfolg ist für uns geradezu umwerfend.« Er sieht darin Parallelen zum Nachkriegsdeutschland, wo der Wunsch nach einer besseren Ausbildung und damit einem besseren Leben für die eigenen Kinder stark verbreitet war. Gleiches kann man im heutigen China in größerem Maßstab beobachten. In anderen Bereichen würde sich Dieter Ernst schnellere Fortschritte wünschen, etwa beim Thema Umweltschutz: »Nehmen Sie als Beispiel die Klärschlämme in der Abwasserwirtschaft. Da das Problem Klärschlammbehandlung noch nicht identifiziert ist, hat es noch keine politische Priorität. Das führt dazu, dass Klärschlämme einfach in die Umwelt |30|entsorgt werden. Unserer Einschätzung nach wird das schon in sehr kurzer Zeit zu einem substanziellen Problem werden, weil es je nach Kontamination der Klärschlämme zu Grundwasserverunreinigungen kommen kann und dadurch Folgeschäden entstehen. Im Zweifel wird es meiner Meinung nach keine Alternative zur Notwendigkeit einer Schlammverbrennung geben, die aber wieder eigene Risiken birgt.« Noch gibt es erhebliche Gefahrenpotenziale aufgrund der starken und teilweise unkontrollierten Entwicklung. Langfristiges Denken ist gefordert, um zu erkennen, was das eigene Tun heute für übermorgen bedeutet.

Stärkere Einflussnahme aus dem Ausland, um die Chinesen bei dieser Problembewältigung in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, ist nach Dieter Ernsts Einschätzung nicht nötig und eher kontraproduktiv: »Was man tun kann, wenn man gefragt wird, ist zu sagen, dass bei diesem Problem unserer Einschätzung nach das und das die richtige Lösung ist. Ich wäre sehr zurückhaltend, mich hinzustellen und zu sagen: ›Ihr müsst das so und so machen, das ist die Lösung.‹«

Mitarbeiterauswahl und -entwicklung

Bei der Mitarbeiterauswahl für das Projekt China schaute sich Dieter Ernst jeden Kandidaten persönlich an. »Wir sind ein Unternehmen von hoch qualifizierten Spezialisten. Bisher haben wir diese als Spezialisten gebraucht. Jetzt beginnen wir, unsere Mitarbeiter zu entwickeln und jüngere Leute einzustellen. Wir rekrutieren natürlich auch im chinesischen Markt. Der erste Ansatz ist, unsere Mitarbeiter in Projekten zu fördern und zu qualifizieren. In den Joint Ventures ist es wie bei anderen Firmen auch üblich, dass wir das Know-how mitbringen und der lokale Partner zum Teil die Leute.«

Die Schulung der Mitarbeiter erfolgt sowohl vor Ort in China als auch in Deutschland. »Hier in Deutschland haben wir den besonderen Vorteil«, betont Ernst, »den Leuten nicht nur erklären, sondern auch gleich zeigen zu können, wie es tatsächlich gemacht |31|wird. Einmal sehen ist besser als dreihundert Mal hören, so ein chinesisches Sprichwort. Wir schulen Technik und Management jeweils über mehrere Wochen.«

Bei der deutschen Belegschaft wurde das chinesische Engagement des Unternehmens durchweg positiv aufgenommen. Obwohl China einen Weg ins Unbekannte darstellte, überwogen doch die positiven Aspekte deutlich und, so Ernst, »je mehr ausländische Projekte wir akquirieren, desto mehr Arbeitsplätze stabilisieren wir in Deutschland.« Es war stets klar, dass es sich bei den China-Investitionen um ein Zusatzgeschäft handelte.

Trotz der positiven Einschätzung für das gesamte Unternehmen war in der Belegschaft die Bereitschaft, nach China zu gehen, eher verhalten. Das begründet Dieter Ernst vor allem damit, dass die Bereitschaft zur Mobilität in seiner Branche – wie auch in sämtlichen anderen – eher begrenzt ist. Die Beschäftigten seien oftmals nicht daran interessiert, ins Ausland zu gehen: Das private Umfeld, die fremde Kultur und die unbekannte Sprache hielten viele davon ab, diesen Schritt zu wagen. Wäre dies anders, so glaubt Ernst, könnten die internationalen Aktivitäten der deutschen Wasserunternehmen insgesamt schon viel weiter sein. Dennoch: »Wer das Chinageschäft mit Leib und Seele betreibt, geht da auch hin.«

Schließlich kann ein solcher Schritt auch positiven Einfluss auf die heimische Unternehmenskultur haben. »Engagement und Leistungsbereitschaft haben für uns in Deutschland wieder neue Bedeutung gewonnen«, berichtet Ernst. Außerdem führe die Erfahrung mit einem anderen Kulturkreis zu mehr Toleranz, Akzeptanz und Aufgeschlossenheit. Das seien zwar keine speziellen China-Effekte, aber sie hätten auch dort ihre Geltung. Und noch etwas hat das Engagement in China dem Unternehmen gebracht:

»Es gibt nun bei uns einen Ausspruch: ›Das lösen wir chinesisch.‹ Das bedeutet: sehr pragmatisch und wenig formal. Wo wir Deutschen hundert Seiten Vertrag haben, erstellen die Chinesen zehn, aber diskutieren vorher viel. Am Ende kommen sie damit zu einem sehr zielorientierten Ergebnis. Eine chinesische Lösung ist weniger |32|kompliziert, vielleicht nicht so rund, aber wesentlich günstiger und erfüllt im Grundsatz ihren Zweck. Das ist etwas, von dem man als Deutscher, der in seinen Strukturen relativ kompliziert veranlagt ist, viel mitnehmen kann.«

Fazit

Berlinwasser International hat auf Basis der 150-jährigen Erfahrung im Betrieb von Anlagen der Wasserwirtschaft seit über zehn Jahren ein sehr erfolgreiches internationales Projektgeschäft aufgesetzt. Da Tarife für Frisch- undAbwasser in China verhältnismäßig neu und politisch volatil sind, besteht für die Firma ein Hauptrisiko darin, über die gesamte Länge der Vertragslaufzeit von zwei oder drei Jahrzehnten einen Gewinn zu erwirtschaften.

Dieter Ernst bewegt sich mit seinem Unternehmen in dem idealen Rahmen von Projekten, die objektiv nötig, wirtschaftlich möglich und politisch machbar sind. Ein entscheidender Impuls wird für ein Projekt gegeben, wenn hochrangige Politiker in Beijing eine mittelfristige Zielvorstellung für einen Zeitraum von fünf Jahren kommunizieren. Untergeordnete Ebenen richten sich dann schnell neu aus, und plötzlich können objektiv sinnvolle Projekte realisiert werden.Das zeigt, dass gerade bei infrastrukturellen Vorhaben die Wirtschaft erst mit Unterstützung der Politiker zum Zug kommen kann.

Beeindruckend war für mich, wie stark die Erfahrung in China auf die Arbeitsweise des gesamten Unternehmens abgefärbt hat. Zum einen werden mit Fleiß, Ehrgeiz und Willen Unzulänglichkeiten überwunden, zum anderen werden Probleme nicht mit einem perfektionistischenAnspruch gelöst, sondern mit einem gesunden Pragmatismus, um schnell wieder zum Tagesgeschäft übergehen zu können.

Berlinwasser hat aus dem Chinageschäft auch Lehren für das gesamte Unternehmen gezogen. Die Erkenntnis »Das lösen wir chinesisch« hat sich in einer deutlich pragmatischeren und weniger formalen Arbeitsweise niedergeschlagen – und das kommt auch derArbeit am deutschen Stammsitz zugute.

|33|DORMA

»Wir müssen uns den Standort Deutschland auch leisten können«

Historisch liegen die Wurzeln von DORMA im Geschäft mit Türschließern – Geräte, die Türen über ein Hydrauliksystem automatisch schließen und seit dem Zweiten Weltkrieg bei DORMA produziert werden. In Singapur wurde 1979 eine Fabrik eröffnet, die ebenfalls Türschließer fertigt. Entgegen den Befürchtungen des Betriebsrats kam es damals nicht zu einem Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland, sondern zu einer gegenseitigen Befruchtung der beiden gegensätzlichen Standorte. Dr. Michael Schädlich, CEO der DORMA-Gruppe, berichtet, wie die Zusammenarbeit funktioniert: »Wir haben einen Produktionsverbund, in dem wir in den jeweiligen Werken bestimmte Produkte fertigen. Wir haben die Philosophie, ein Produkt nur an einem Ort zu machen. Produkte aus Singapur gehen genau wie aus Ennepetal nach Europa, Nordamerika und auch Asien. Das hat wiederum unseren Standort hier in Deutschland gestärkt. An den einzelnen Standorten mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen fertigen wir jeweils für die weltweite Distribution. In den sechziger Jahren kamen automatische Türen dazu, die nicht nur von selbst schließen, sondern auch öffnen. Danach kamen Sicherheits- und Glasbeschlagtechnik. Der letzte große Geschäftsbereich, der dazugekommen ist, sind die Raumtrennsysteme.«

Ausgangssituation

Singapur stellte nicht nur selbst eine Bereicherung für das Unternehmen dar, sondern erleichterte auch den Schritt in den chinesischen |34|Markt. In Suzhou begann DORMA Ende der neunziger Jahre das Chinageschäft:

»Zunächst haben wir eine Gießerei von Singapur nach Malaysia verlagert und ausgebaut«, erzählt Dr. Schädlich. »Durch unser Engagement in Singapur sahen wir uns nicht gezwungen, übereilt nach China zu gehen. Außerdem waren wir vertriebsseitig schon seit Ende der achtziger Jahre in China tätig, etwa zehn Jahre später kam dann die Produktion in Form von Assembling nach. Unser heutiger |35|Verkaufsleiter kam Anfang der neunziger Jahre aus Hongkong zu uns. Für die Produktion haben wir in Suzhou eine Fabrik gemietet. Diese wurde im Laufe der Zeit in mehreren Ausbaustufen vergrößert, bis die maximale Kapazität erreicht war. Nun sind wir dabei, auf einer Fläche von 30000 Quadratmetern zu bauen, damit unser bisheriges Werk nach Fertigstellung in das neue Gebäude umziehen kann.

Trotzdem ist China für uns nach wie vor ein wichtiger Absatzmarkt. Wir fertigen dort einen geringen Teil für den lokalen chinesischen Bedarf; am Markt sind wir jedoch mit wesentlich mehr Produkten – auch aus Ennepetal – vertreten. Anders als bei Firmen, die zum Beispiel aufgrund der Sperrigkeit oder des Gewichts ihrer Produkte lokal produzieren und verkaufen müssen, versenden wir unsere Produkte weltweit in alle Himmelsrichtungen.«

Im Vergleich zu anderen Firmen, die bereits in den siebziger und achtziger Jahren nach China gingen, fand der DORMA-Eintritt in das Chinageschäft vergleichsweise spät statt. Dennoch kam das Unternehmen aber genau zum richtigen Zeitpunkt, um eine hundertprozentige Tochterfirma in China zu gründen – denn dies war aufgrund rechtlicher Bestimmungen zuvor noch nicht möglich gewesen.

Projektentwicklung

»Wir hatten zwar Pläne für die jeweiligen Schritte des Ausbaus, aber eine große Strategie, in der man für jedes Quartal die Umsatzzahlen vorgibt, haben wir nicht erstellt und sind eher vorsichtig herangegangen. Das Geschäft ist mit der Infrastruktur gewachsen. Das Erfreuliche ist – so weit ich das überblicken kann – dass wir im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Firmen in China Geld verdienen. Einer unserer Erfolgsfaktoren liegt, denke ich, darin, dass wir gute Mitarbeiter dort haben. Das ist nicht selbstverständlich. Ich kenne eine Reihe von Unternehmen, die mit dem Management viel herumexperimentieren, Strukturen ändern und Leute einstellen und entlassen. Wir haben eine gute, stabile Mannschaft, die nur aus Chinesen |36|besteht. Bei all unseren Gesellschaften in 45 Ländern verfolgen wir den Grundsatz, Einheimische zu beschäftigen.

Allerdings haben wir in China derzeit einen deutschen Jungingenieur, der fern der Heimat lernen soll und dabei gleichzeitig als technische Liaison, also als Bindeglied zwischen deutschem und chinesischem Know-how dient. Das Management ist aber immer national. Mit diesem Grundsatz sind wir bisher sehr gut gefahren.

Ein zweiter Faktor ist, dass wir nur wenig von Deutschland aus gesteuert haben. Singapur hatte beim Auf- und Ausbau von China wesentlich größere Anteile. So haben unsere Singapur-Einheiten die Festland-Chinesen insbesondere in der Technik und Produktion angelernt, was dazu geführt hat, dass es für uns hier sehr übersichtlich geblieben ist.

Unsere fünf Geschäftsbereiche ziehen sich durch weltweit 13 DORMA-Regionen. Asien ist mittlerweile in zwei Regionen aufgeteilt worden, China und Fernost. Sie sind aber weiterhin miteinander verknüpft, sodass der Controller Far East auch noch als Obercontroller für China tätig ist. Dadurch haben wir von Singapur aus ein zusätzliches Paar Augen, das mit auf das Geschäft schaut.

Zwar haben sich nicht alle unsere Maßnahmen im Projekt China bewährt, doch insgesamt kann ich sagen, dass wir gute, vertrauensvolle Mitarbeiter gefunden haben, und dass wir mit Augenmaß expandiert haben. Dadurch haben wir Ungewissheit vermeiden können. Ob wir dadurch vielleicht zu langsam gewachsen sind, vermag ich nicht zu sagen. Wir sind zufrieden.«

Bei der Kontaktaufnahme zu chinesischen Partnern konnte DORMA damals noch nicht von seinem Markennamen profitieren, denn dieser musste in China erst einmal aufgebaut werden. Dabei waren wiederum die Vertriebserfahrungen der frühen neunziger Jahre in Hongkong hilfreich. Damals wurden die Produkte über Händler in Hongkong nach China verkauft. Obwohl die Marke DORMA mittlerweile etabliert ist, werden auch heute in vielen Bereichen die Waren nur über Händler an den Endkunden weitergegeben.

Gerade, weil sich DORMA in China einen Namen gemacht hat, |37|wird die Firma auch mit den Schattenseiten des Erfolgs konfrontiert. Als einer der weltweit führenden Anbieter der Branche werden die Produkte in großer Zahl kopiert. Aus diesem Grund gibt es seit zwei Jahren einen Spezialisten, der sich vor Ort ausschließlich darum kümmert, Kopisten zu finden und bekämpfen.

Ein sogenannter Counterfeit-Spezialist ermittelt in Zusammenarbeit mit örtlichen Detekteien zunächst verdächtige Betriebe. Gemeinsam mit den Behörden und der chinesischen Polizei werden Produktionen geschlossen. DORMA tritt außerdem an die Händler heran, die Fake-Produkte verkaufen und geht gegen Druckereien vor, die DORMA-Verpackungen ohne Erlaubnis drucken. Das beseitigt zwar das Problem nicht hundertprozentig, aber es spricht sich in einschlägigen Kreisen herum, dass es nicht so einfach ist, DORMA zu kopieren. Dr. Schädlich sieht sich im Erfolg dieser Maßnahmen bestätigt: »Ich glaube, dass es in China sinnvoll ist, in einen Mitarbeiter zu investieren, der sich hauptamtlich um die Raubkopierer kümmert, und vielleicht haben wir deswegen mit dem Urheberrecht in China weniger negative Erfahrungen gemacht als manch andere ausländische Firma.«