China to go - Frank Sieren - E-Book
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China to go E-Book

Frank Sieren

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Beschreibung

TikTok und Gaming, Wasserknappheit und virtuelle Popstars, autonomes Fahren und fleischloses Fleisch: Wissenswertes über China kurz und informativ – von Chinakenner und Bestsellerautor Frank Sieren

Der Wirtschaftsjournalist und herausragende Chinakenner Frank Sieren berichtet seit fast 30 Jahren aus Peking über Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Alltag der aufstrebenden Weltmacht. In seinem neuen Buch erklärt er in kurzen, prägnanten Texten selbst komplexe Zukunftstrends anschaulich, schildert Neues und Überraschendes, Ausgefallenes und Alltägliches, Rätselhaftes und Selbstverständliches aus der Mitte einer Gesellschaft, die zwischen autoritärem Sozialismus und technologischer Überschallmodernisierung, individueller Entfaltung und sozialer Überwachung schwankt. Entwicklungen, die wir kennen sollten, weil sie auch für unser Leben wichtig sind oder werden könnten. Ideale Lektüre für alle, die sich schnell und knapp informieren möchten, die auf die eine oder andere Weise mit China zu tun haben oder einfach neugierig auf das Land sind.

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Seitenzahl: 394

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TikTok und Gaming, Wasserknappheit und virtuelle Popstars, autonomes Fahren und fleischloses Fleisch: Wissenswertes über China kurz und informativ – von Chinakenner und Bestsellerautor Frank Sieren

Der Wirtschaftsjournalist und herausragende Chinakenner Frank Sieren berichtet seit fast 30 Jahren aus Peking über Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Alltag der aufstrebenden Weltmacht. In seinem neuen Buch erklärt er in kurzen, prägnanten Texten selbst komplexe Zukunftstrends anschaulich, schildert Neues und Überraschendes, Ausgefallenes und Alltägliches, Rätselhaftes und Selbstverständliches aus der Mitte einer Gesellschaft, die zwischen autoritärem Sozialismus und technologischer Überschallmodernisierung, individueller Entfaltung und sozialer Überwachung schwankt. Entwicklungen, die wir kennen sollten, weil sie auch für unser Leben wichtig sind oder werden könnten. Ideale Lektüre für alle, die sich schnell und knapp informieren möchten, die auf die eine oder andere Weise mit China zu tun haben oder einfach neugierig auf das Land sind.

Frank Sieren ist einer der führenden deutschen China-Experten. Der Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer lebt seit 1994 in Peking – länger als jeder andere westliche Wirtschaftsjournalist. Hautnah erlebt er den Aufstieg der neuen Weltmacht mit. Er hat im vergangenen Vierteljahrhundert als Korrespondent für die »Süddeutsche Zeitung«, die »Wirtschaftswoche«, die »Zeit«, das »Handelsblatt«, den »Tagesspiegel« und die Deutsche Welle gearbeitet. Nun auch für »China.Table«. Sieren hat bereits mehrere Bestseller veröffentlicht, zuletzt »Zukunft? China!« und »Shenzhen«.

»Sehr lesenswert.« Wolfgang Hirn, Deutschlandfunk Kultur Lesart, über »Shenzhen«

www.penguin-verlag.de

FRANK SIEREN

CHINA TO GO

Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur – 100 innovative Trends und erhellende Einblicke

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Heike Gronemeier

Mitarbeit: Donata Hardenberg

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagabbildungen: © Shutterstock/smx12;

© Shutterstock/Flat.Icon

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-29967-5V003

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Vorwort

1  Der Kopf des Drachen

2  Transrapid 2.0

3  Chinas Gedankenleser

4  Strom aus dem Weltall

5  Mikrochip-Wettrüsten

6  Chinesischer Frieden?

7  Wählerische Inseln

8  Weltmacht BRICS

9  Systemrelevante Klonschweine

10  Inhaftierte Journalisten

11  Chinesische Querköpfe

12  Weniger Wanderarbeiter

13  Selbstheilungsnetz

14  Voll autonom

15  Wasser marsch!

16  Betont eigensinnig

17  Unglück im Goldrausch

18  Allseits ausschwärmen

19  Strahlendes Glas

20  Hyperschallflieger

21  Verdächtiger Gläubiger

22  Metahumans

23  Weggesperrt

24  Hamsterkäufe

25  Indiens China-Handys

26  Den Hunger besiegen

27  Neuer Spielraum

28  Algorithmen der Ausbeutung

29  Keine Entkopplung

30  Prähistorisches Prosit

31  Aufs Dach gestiegen

32  Freiheitlicher Eigennutz

33  Ja, aber

34  Verkehrte Welt

35  Endlich Eigenständig

36  Kasse vier, bitte

37  Fidschis Freunde

38  Initiative Der Mehrheit

39  Innovation Tracker

40  Chinas Alte

41  Konstruktive Dominanz

42  Virtuell voraus

43  Fleischloses Fleisch

44  kraftvoll, aber nicht explosiv

45  Stresstest Afghanistan

46  Innere Werte

47  Tod in der Tiefe

48  Die Zunge

49  Mit Bauchgefühl

50  Zwischen Transparenz und Überwachung

51  Kriegsmüde

52  Mega-Musik-Monopolist

53  Sendungsbedürfnis

54  LGBTQ China-style

55  Der widerspenstigen Zähmung

56  Machtvolle Lügen

57  Wie WeChat

58  Volvos Wende

59  Nachhaltig in den Himmel

60  Orkanwellen

61  Reine Haut und reines Gewissen

62  Separate Datenwelten

63  Autonome Flugtaxis

64  Den Affen töten

65  Tauwetter für Eisenerz

66  Renitente Intransparenz

67  Xi schrumpft Putin

68  Gute Mine

69  Pan-Asien-Züge

70  Chinas geistiges Erbe

71  Apples China-Innovation

72  Grüner Wasserstoff

73  Im Zweifel britisch

74  Dehnbarer Geheimnisverrat

75  Sozialistische S-Klasse

76  Werkzeuge Des Drucks

77  Amerikanische Softpower

78  Der Evergrande-Kollaps

79  Wetter in Sekunden

80  TikTok

81  Wassermachtkampf am Mekong

82  Rausgedrückt

83  Chinesischer Spitzenwein

84  Wem gehört der Mond?

85  Bezahlbare Krebstherapie

86  Rivalen in Asien

87  Big Data aus der Tonne

88  Parallelwelten

89  Eigenverantwortung

90  Machtverschiebung

91  Kaufrausch

92  »Blöder Ballon«

93  Ferngesteuert töten

94  Afrika Im Weltraum

95  Polit-Samba

96  Wie Feuer und Wasser

97  Harte Zeiten

98  Neues Weltgeld

99  Taiwans Balanceakt

100  »Gemeinsam nachhaltig handeln«

Ausblick

Bildnachweis

Die Bedeutung der Icons

Geopolitik

Nachhaltigkeit

Mobilität

Innovation

Wirtschaft

Regeln

Kultur

VORWORT

Dies ist ein Buch für Neugierige, mit kurzen Geschichten aus vielfältigen Bereichen des chinesischen Lebens. Geschichten, die einen großen Bogen spannen von Politik über Wirtschaft, Innovation und Nachhaltigkeit bis hin zu Kultur. Geschichten, die überraschen, in denen sich neue, erhellende, manchmal verblüffende und manchmal auch für uns durchaus konstruktive Sichtweisen offenbaren. Die eine große Klammer dieser Geschichten: Sie zeigen den Blick der Chinesen auf sich und die Welt. Und daher werden in ihnen auch Haltungen deutlich, die sich mit unseren Vorstellungen nicht so leicht in Einklang bringen lassen. Manche sind sogar verstörend. Beide Seiten – das faszinierend Neue und das befremdlich Andere – gehören untrennbar zur Wirklichkeit des heutigen China. Die andere große Klammer: Die Geschichten drehen sich auch darum, wie wir gemeinsam die Herausforderungen unserer Welt meistern können, und darum, welche Vorstellungen die Chinesen davon haben.

Man kann in diesem Buch fast so stöbern, wie man im Internet surft, und sich treiben lassen. Es ist ein Buch, das ich auch für die TikTok-Generation geschrieben habe, für junge, aufgeschlossene Leute, die bei manchen meiner anderen Bücher sagen: Puh, ist das dick. Deshalb diesmal kurze, aber durchaus aufschlussreiche Stücke. Sie sind auch für Manager und Entscheider hilfreich, deren Welt aus Powerpoint-Präsentationen besteht. Die kleinen komprimierten Geschichten können ihnen bei der Aufgabe helfen, verflochtene, komplexe Entwicklungen übersichtlich werden zu lassen. Und es ist für all diejenigen geschrieben, die schnell und kompakt wissen wollen, wie die neue Welt sich dreht.

Denn was die Chinesen so zu sagen haben, wird immer wichtiger, ob uns das passt oder nicht. Während dieses Buch entstanden ist, wurde China in einem Maße zum Vorreiter einer Bewegung von aufsteigenden Ländern verschiedener Kontinente, wie ich es mir noch vor fünf Jahren nicht hätte vorstellen können. Indien gehört ebenso zu dieser Bewegung wie Brasilien oder Südafrika. Diese so unterschiedlichen Länder, mit unterschiedlichen politischen Systemen und wirtschaftlichen Entwicklungsständen, geprägt von unterschiedlichen Religionen und Philosophien, ziehen nun erstaunlicherweise mehr denn je an einem Strang. Ihr gemeinsames Ziel: Sie wollen nicht mehr nur, dass ihre Sicht der Welt wahrgenommen wird. Nein, sie wollen mehr: Sie kämpfen um mehr Mitbestimmung in globalen Fragen. Und weil China nun mal das politische und wirtschaftlich stärkste Land in dieser Bewegung der globalen Aufsteiger ist, ist es besonders wichtig zu wissen, wie die Chinesen die Welt sehen.

Es reicht nicht mehr, uns wie in den vergangenen Jahrhunderten auf unseren westlichen Blickwinkel zu konzentrieren. Die großen Herausforderungen, vor denen wir im Westen, in Europa, in Deutschland stehen, sind globale Herausforderungen, denen sich alle Länder und ihre Bewohner stellen müssen. Dazu gehört der Kampf gegen den Klimawandel, die Notwendigkeit, dauerhaft Frieden zu schaffen, Armut und Hunger zu bekämpfen oder auch die Risiken der künstlichen Intelligenz zu zähmen.

All diese Herausforderungen sind so komplex geworden, dass wir mehr und mehr gezwungen sind, Überlegungen aus unterschiedlichen Perspektiven und Kulturen in unterschiedlichen Weltregionen miteinander abzuwägen. Nur so finden wir Lösungen, die sich auch umsetzen lassen, weil die Mehrheit der Welt hinter ihnen steht.

Auch darum dreht sich das Buch. Die Zeiten, in denen die Minderheit des Westens allein die Spielregeln der Welt bestimmen konnten, sind vorbei. Das mag man bedauern, weil wir nicht mehr bestimmen können, wo es langgeht. Aber dieser Wandel ist wichtig und richtig: Die Forderung nach mehr Mitbestimmung ist keine Einbahnstraße, in die wir nach Gutdünken einbiegen können, wenn sie unseren Anliegen nutzt, und gegen die wir uns stellen, wenn sie unseren Interessen zuwiderläuft. Wenn wir es mit mehr globaler Mitbestimmung ernst meinen, werden wir uns bei so machen Entscheidungen der Mehrheit beugen müssen. Das Gute daran ist, dass so eine neue multipolare und vielfältigere Weltordnung entsteht, in der es darum geht, einen globalen nachhaltigen Konsens zu finden. Eine Entwicklung, die durchaus zum Kern unserer westlichen Wertvorstellungen gehört. Je früher wir damit anfangen, desto besser und desto größer die Chance, dass möglichst viele unserer Werte in die neue Weltordnung einfließen.

Frank Sieren, Peking im August 2023

1  DER KOPF DES DRACHEN

Der Hafen von Piräus ist das wohl erfolgreichste Projekt Chinas in der EU, die sich dabei selbst ein Bein gestellt hat.

»Kopf des Drachen«, so heißt in Brüssel der chinesische Hafen von Piräus in Griechenland. Und das kam so: 2016 ist Griechenland pleite. Brüssel hilft, verlangt jedoch den Verkauf von Staatsfirmen, damit zusätzlich Geld in die Kasse kommt. Viel Druck übt dabei der damalige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble aus. Doch in der EU will niemand Piräus übernehmen. Die Hafenbetreiber in Rotterdam, Bremerhaven oder Hamburg winken ab, denn Piräus ist ein potenzieller Wettbewerber. Die Europäer sehen die Risiken, die Chinesen die Chance: Piräus ist der erste europäische Hafen hinter dem Suezkanal, eine der Lebensadern des Welthandels. Würde das Containerterminal ausgebaut, könnten mehr Waren per Zug weitertransportiert werden, die bisher noch umständlich per Schiff um die Iberische Halbinsel nach Norden gelangen. Das könnte die anderen europäischen Player Umsatz kosten und den Hafen überaus erfolgreich machen.

Der chinesische Hafenbetreiber COSCO, einer der größten der Welt, erkennt das Potenzial und investiert, obwohl ihm bereits Seebrügge in Belgien zu 90 Prozent gehört, Bilbao in Spanien zu 40 Prozent, Rotterdam zu 30 Prozent und Antwerpen in Belgien zu 20 Prozent. Ende 2022 hat der neue Betreiber COSCO mehr als eine Milliarde Euro in den Hafen investiert. 3000 direkte Arbeitsplätze wurden geschaffen und 10 000 indirekte. Nun ist Piräus der größte Containerhafen im Mittelmeer, der fünftgrößte in der EU, und er gehört zu den dreißig größten Häfen der Welt. »Damit wurden die optimistischsten Voraussagen übertroffen«, sagt Adonis Georgiadis, griechischer Minister für Entwicklung und Investitionen. Die Zahl der Container ist von 800 000 auf 5,3 Millionen gestiegen. 2022 macht der Hafen 52 Millionen Gewinn nach Steuern, eine Steigerung von 43 Prozent zum Vorjahr. Eine Zugstrecke nach Budapest ist bereits im Bau. China zahlt, nicht die EU. Und auch den Hafen baut Peking weiter aus. Athen hat nun Oberwasser gegenüber Brüssel, das eine wichtige Chance vertan hat. Nicht nur im Wettbewerb mit China.

Im Juni 2023 dann unterzeichnen eine COSCO-Tochter und die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) einen Deal über eine 24,9-Prozent-Beteiligung am Terminal Tollerort. Vorausgegangen war eine heftige monatelange politische Debatte, die es in der Form bei den China-Beteiligungen an Häfen in anderen EU-Ländern nicht einmal im Ansatz gegeben hat. Auch nicht in den USA. Allerdings verweigerte der damalige US-Präsident Trump COSCO 2019 eine Mehrheitsbeteiligung an dem Hafen von Long Beach. Long Beach ist der zweitgrößte Hafen der USA nach Los Angeles und vor New York. Minderheitsbeteiligung an fünf anderen Häfen, darunter 40 Prozent am West Basin Container Terminal in Los Angeles, durfte COSCO behalten – ohne öffentlichen Sturm der Entrüstung.

Die Beteiligung der Chinesen bringe Geld, Know-how und Geschäft für den Hamburger Hafen, so die HHLA, die verhindern will, dass noch mehr Ladung in Konkurrenzhäfen wie Rotterdam oder eben Piräus abwandert. Gut für Deutschland. Nur noch Rotterdam gehört zu den zehn größten Häfen der Welt. Der niederländische Hafen liegt auf Platz zehn. Sieben der Top 10 liegen in China, einer in Singapur und einer in Südkorea. Hamburg schafft nur noch einen 19. Platz. Eigentlich müssten sich alle europäischen Hafenbetreiber zusammenschließen, um im Wettbewerb gegen die mächtigen Hafenbetreiber aus Asien bestehen zu können.

2  TRANSRAPID 2.0

China und Europa im Wettbewerb um Züge, so schnell wie Flugzeuge

Es klingt wie eine Hollywood-reife Technologie-Saga. Vor dreißig Jahren: Deutschland entwickelt den Transrapid, eine Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahn. Hightech von ThyssenKrupp und Siemens, auf der Grundlage eines deutschen Patents aus dem Jahr 1934. Der Ingenieur Hermann Kemper aus Osnabrück meldete es damals für den Urtyp der Magnetschwebebahn an. 1984 wird der Testbetrieb im emsländischen Lathen aufgenommen. Das Ziel: eine kommerzielle Strecke für den Hochgeschwindigkeitszug in Deutschland.

©  AdobeStock/iaremenko

Doch Berlin traut sich nicht. Die Grünen, Koalitionspartner der SPD in der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sind dagegen. Sie setzen auf die traditionelle Rad-Schiene-Technologie. Peking hingegen riskiert eine Teststrecke in Shanghai, nachdem der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ihnen Fahrzeugtechnologie im Wert von 100 Millionen Euro schenkt, die er zuvor einem deutschen Unternehmen abgekauft hat. Die 100 Millionen waren der Fehlbetrag zwischen dem, was Siemens und Thyssen haben wollten, und dem, was die Chinesen bezahlen wollten. Gesamtkosten: 1,5 Milliarden Euro. Die Teststrecke in Shanghai führt dazu, dass der Transrapid auch in Deutschland gebaut werden kann.

2002 wird die erste Teststrecke der Welt eingeweiht, nach nur 22 Monaten Bauzeit. Schröder ist bei der Jungfernfahrt in Shanghai dabei. Der deutsch-chinesische Zug schwebt in China mit 423 km/h über die Schienen, Schröder schwebt mit. Doch die Grünen bleiben skeptisch. Die Strecke Berlin–Hamburg platzt. Die Chinesen sammeln hingegen weiter Erfahrung, als Einzige weltweit. In zwanzig Jahren fahren neunzig Millionen Passagiere. Und sie entwickeln die Technologie weiter. Schweben 2.0 mit 600 km/h. In der Vakuumröhre sogar so schnell wie ein Flugzeug, mit 800 km/h und mehr. Die Pekinger Regierung gibt in einem ihrer langfristigen Pläne das Ziel vor: In 3,5 Stunden von Peking nach Shenzhen/Hongkong. Die Züge sollen so schnell werden, dass sie Flugzeuge ersetzen und so den Klimawandel bremsen.

Ein Traum? Für die deutsche Politik Spinnerei, für Elon Musk 2012 in den USA und später für Richard Branson und Virgin in Europa immerhin einen Versuch wert. Doch beiden geht die Luft aus. Das sind Projekte, die von privaten Start-ups entwickelt werden können, aber ohne staatliche Hilfe kaum umzusetzen sind.

Staatspräsident Xi Jinping legt sich fest: 2060 soll China klimaneutral werden. Also weniger Flugzeuge. Bis 2030 sollen erste Langstrecken für den Transrapid 2.0 fertig sein. Der Zug muss durchgehend in einer Vakuumröhre fahren, sonst wäre bei diesen Geschwindigkeiten der Luftwiderstand zu groß und damit die Energiekosten zu hoch.

Der Zeitdruck, Xi Jinpings ehrgeizigen Plan umzusetzen, ist groß. Gleich mehrere chinesische Firmen entwickeln parallel. Die Chinesen wollen nun ihre Version in Lathen testen, auf der alten Transrapidstrecke. Das spart Bauzeit. Sie wollen den Zug gemeinsam mit den Europäern fertig entwickeln. Zusammen gehe es schneller, sagen die Chinesen. Die holländische Firma Hardt Hyperloop ist am weitesten, aber auch deutsche Technologie soll eingesetzt werden.

Wird sich Berlin diesmal trauen? In vierzig Minuten von Berlin nach München? Bayern traut sich ein wenig und kündigt den Bau einer Teststrecke an. Der Spatenstich erfolgt im Herbst 2022. Die Strecke wird aber nur 24 Meter lang werden.

Gleichzeitig haben die Chinesen schon Tests auf einer zwei Kilometer langen Strecke im Vakuum erfolgreich abgeschlossen. In Datong im Norden Chinas. Und sie beginnen mit dem Bau einer sechzig Kilometer langen Teststrecke. Im April 2023 dann der Durchbruch: Als erstes Land der Welt verkündet China, dass sie eine Strecke für den Alltagsbetrieb bauen werden. Von der Zehn-Millionen-Hightech-Metropole Hangzhou, der Heimat von Alibaba, dem chinesischen Amazon, nach Shanghai. Statt einer Stunde im Hochgeschwindigkeitszug wird die Fahrzeit dann nur noch 15 Minuten betragen. 2035 soll der Zug schweben. Die Chinesen sind bekannt dafür, dass sie solche Pläne einhalten. Sie können nicht auf die Europäer warten. Denn der Klimawandel wartet auch nicht. Es sieht so aus, als ob auch in diesem Technologiebereich die Europäer allenfalls Zulieferer und nicht Technologieführer werden. Wohl wieder eine große Chance vertan.

3  CHINAS GEDANKENLESER

Chinesische Forscher haben einen Helm entwickelt, der sehen können soll, was wir denken.

Ein auf künstliche Intelligenz spezialisiertes Forschungsteam von der Beijing Jiaotong University hält diesen neuen Hightech-Helm für einen großen Durchbruch auf dem Weg, menschliche Gedanken lesen zu können. Der Helm identifiziert intensive Gedankengänge in Gehirnwellen. Er kann zum Beispiel sehen, wenn sich jemand Pornografie anschaut. 15 männliche Studenten im Alter zwischen zwanzig und 25 Jahren wurden mit dem auf Machine Learning basierenden KI-Tool vor einen Computerbildschirm gesetzt. Jedes Mal, wenn ein Foto mit entsprechenden pornografischen Inhalten erschien, löste der Helm einen Alarm aus – immerhin mit einer Treffsicherheit von 80 Prozent. Das Team konnte selbst Reaktionen im Gehirn messen, wenn die Pornobilder nur für eine halbe Sekunde in einem Fluss anderer Bilder zu sehen waren. Und die Gehirnwellen schlugen auch dann noch aus, wenn die Testperson müde war, die Bilder nur noch überflog oder die Inhalte in einen komplexen visuellen Hintergrund eingebettet waren.

»Der Prototyp hat bewiesen, dass die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine bei der Erkennung von Informationen möglich ist«, so Xu Jianjun, Direktor der Versuchsreihe. Die Testergebnisse wurden im chinesischen peer-reviewed Fachmagazin Journal of Electronic Measurement and Instrumentation vorgestellt, eine internationale Evaluierung fehlt noch.

Das Ziel der Forscher: Die KI soll genauso gut im Erkennen von Bildern werden wie das menschliche Team Gehirn/Auge, besonders, wenn es um Bilder vor komplexem Hintergrund geht. Schon jetzt ist der Prototyp so ausgefeilt, dass die KI sich an die Gehirnwellen der Probanden anpassen kann und jene herausfiltern kann, die etwa durch Ängste oder andere Gefühle ausgelöst werden.

Es ist allerdings eine ambivalente Technologie. Die eine Entwicklungsrichtung: KI-gestützte Tools könnten Gedanken von Menschen lesen, die sich zum Beispiel nach einem Schlaganfall nicht mehr äußern können, und dann in deren Auftrag Handlungen ausführen oder Äußerungen tätigen. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Die andere Entwicklungsrichtung: Die Technologie könnte dem chinesischen Staat dabei helfen, seine Zensur zu perfektionieren. Pornografie ist in China verboten, seit 2003 löschen die Behörden konsequent entsprechende Inhalte aus dem Netz. Auch ein Einsatz im Bereich des Militärs ist denkbar. Angeblich forscht die Volksbefreiungsarmee ebenfalls an Helmen mit Gedankenlesefunktion, die es Soldaten ermöglichen sollen, intelligente Waffen zu steuern.

Einige Fabriken in China setzen bereits Helme mit Gehirnsensoren ein, um Arbeitsunfälle zu vermeiden; die Sensoren kontrollieren das Aufmerksamkeitslevel der Arbeitnehmer. Erschreckend und sinnvoll zugleich. Beim Stromerzeuger Zhejiang Electric Power in der südöstlichen Stadt Hangzhou sollen die Unternehmensgewinne seit der Einführung der Helme 2014 um 315 Millionen Dollar gestiegen sein. Das Programm, das unter der Bezeichnung »Emotionale Überwachung« läuft, sei auch ein wichtiger Marker für Stress, so ein leitender Beamter. Man könne dem betroffenen Mitarbeiter dann nahelegen, sich einen Tag freizunehmen.

Im Falle Chinas könnten solche Geräte Grundlage für dystopische Überwachungsszenarien werden, im positiven wie im negativen Sinne. Positiv: Verbrechen könnten verhindert werden, indem die Technologie bei notorisch Straffälligen, zum Beispiel Sexualstraftätern, Alarm schlägt, weil sie an eine Tat denken. Negativ: Menschen könnten auf ihre Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei geprüft werden, wobei die Ausschläge wohl geringer sein dürften als bei Pornografie. Und möglicherweise will die KP auch gar nicht so genau wissen, was die Menschen wirklich über sie denken.

In den USA wird übrigens in einer ähnlichen Richtung geforscht. 2021 hat das kalifornische Start-up Kernel einen 50 000 Dollar* teuren Helm entwickelt, der durch Infrarotlicht die Gehirnaktivität entschlüsselt. Schon in drei Jahren, verspricht Kernel-Chef Bryan Johnson, sollen seine Gedankenhelme zur Grundausstattung des menschlichen Alltags gehören. Während das noch Zukunftsmusik ist, gelang es Forschern der Johns Hopkins University bereits, einen Roboterarm zu entwickeln, den Gelähmte über ein Interface im Gehirn steuern können. Sensorische Rückmeldungen, die wirklich für ein haptisches Erlebnis sorgen könnten, seien allerdings noch nicht möglich. Aber immerhin kann der Gelähmte zugreifen, wenn er an Zugreifen denkt. Ein großer Fortschritt.

Auch Meta-Chef Mark Zuckerberg forscht seit langem an einem Gedankenhelm, der mit Hilfe von Lichtwellen und Blutzirkulation Wörter und Sätze entziffern soll. Die wird man dann nicht mehr ins Smartphone tippen müssen, sondern sie werden wie von Geisterhand auf dem Display erscheinen, sobald der User diese Sätze und Wörter denkt. Auch das ist noch Zukunftsmusik.

Damit wir von dieser Zukunft nicht unvorbereitet überrollt werden, wäre es jetzt an der Zeit, über wichtige Fragen nachzudenken. Zum Beispiel: Wie wird die Autonomie und freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert, wenn Firmen und der Staat das menschliche Gehirn beeinflussen können?

*Bei der Bezeichnung Dollar handelt es sich im gesamten Buch um US-Dollar.

4  STROM AUS DEM WELTALL

China übernimmt die Führung bei dem Menschheitsprojekt, die Energie der Sonne im All besser zu nutzen.

Seit rund sechzig Jahren versuchen Forscher einen Traum zu verwirklichen: Mit Sonnenenergie aus dem All die Energieprobleme für immer lösen und damit den Klimawandel stoppen.

Noch 2023 wird im westchinesischen Chongqing die weltweit erste Basisstation für Weltraumstrom fertiggestellt. Ein großer Schritt, aber noch nicht die größte Hürde. Die größte Herausforderung der Weltraumgestützten Solarenergie (Space-Based Solar Power, SBSP) liegt darin, die Energie über Mikrowellen zielgerichtet und ohne Streuverluste zur Erde zu schicken. Gebündelt hätten die Wellen dann die Sonnenintensität von etwa einem Viertel der normalen Sonneneinstrahlung am Äquator. Sie wären also nicht gefährlich für Mensch und Material und könnten nicht als Waffe missbraucht werden.

Anfang Juni 2022 konnten Forscher der Xidian University in der Provinz Shaanxi einen Forschungserfolg vermelden. Erstmals ist es ihnen gelungen, mit ihrem SPS-OMEGA (Space Solar Power Station via Orb-Shape Membrane Energy Gathering Array) Sonnenenergie in Strom zu verwandeln und diesen über eine Strecke von 55 Metern zu einer Bodenstation zu schicken. Es ist ein großer Durchbruch, dass dies technisch überhaupt geht. Die nächste Stufe: zwanzig Kilometer. Am Ende müssen es aber 36 000 Kilometer sein. Denn erst ab dieser Höhe verdeckt die Erde die Sonne nicht mehr, und man hat 24 Stunden Strom.

Das Projekt ist der chinesischen Regierung so wichtig, dass sie parallel zwei Systeme entwickeln lässt. Neben dem SPS-OMEGA kommt auch ein weiteres System gut voran: Das Multi-Rotary Joints SPS (MR-SPS) der China Academy of Space Technology (CAST), dem wichtigsten staatlichen Raketenbauer. 2030 soll es die erste Teststation im All geben. Spätestens 2049, zum hundertsten Gründungstag der Volksrepublik, soll ein Solarkraftwerk im Orbit ein Gigawatt Strom produzieren. Es wird also ein Wettlauf gegen den Klimawandel. Damit das Kraftwerk funktioniert, müssen hundert Long-March-9-Raketen rund 10 000 Tonnen Infrastruktur in den Orbit transportieren, die dort von im All schwebenden Robotern zusammengebaut werden. Das Weltall wird also voller.

Das Gegenstück der NASA ist das SPS-ALPHA. Es kommt aber nicht so recht voran. Auch das California Institute of Technology forscht. Der Milliardär Donald Bren hat 100 Millionen Dollar gestiftet. Ein Satellit soll 2023 im Weltall getestet werden. Eine bessere Lösung für den Energietransport als die Chinesen haben die Amerikaner auch noch nicht. Immerhin hat das Pentagon kürzlich ein neues Weltraum-Solarpanel getestet. »Den USA fehlt ein klarer Plan, und sie sind in höchster Gefahr, hinter ihre Wettbewerber zurückzufallen«, warnte das amerikanische Magazin SpaceNews.

Das Problem: Solche Projekte reichen weit über zwei Wahlperioden hinaus – nicht attraktiv für westliche Politiker, die zudem weniger Geld dafür auftreiben können als China. Doch der Handlungsdruck wird durch den Klimawandel für alle Länder höher werden. Möglich, dass der Westen den Wettbewerb um eine bahnbrechende Technologie verliert. Es wäre nicht das erste Mal. Eines darf man dabei nicht vergessen: Bei jedem Technologieschub verschiebt sich die geopolitische Machtbalance wieder ein Stück zugunsten der Erfinder.

5  MIKROCHIP-WETTRÜSTEN

Donald Trump hat mit seinen Tech-Sanktionen gegen China schlafende Hunde geweckt. Die Folge: knappe Mikrochips und eine globale Tech-Aufrüstung, und China verknappt wichtige Rohstoffe.

Der Weltmarktanteil der Chiphersteller aus den Vereinigten Staaten sinkt seit Jahrzehnten stark: Hatte er 1990 noch bei 37 Prozent gelegen, sind es im Jahr 2020 nur noch 12 Prozent. Europas Marktanteil bricht noch stärker ein: von 44 auf 9 Prozent. China dagegen stürmt von null auf 15 Prozent und damit an die Weltspitze. Was die Entwicklung betrifft, ist China schon weit gekommen. Huaweis 7 nm Kirin 980 zum Beispiel gehört zu den global besten Chip-Sets. Allerdings ist es noch nicht in der Lage, sie ohne amerikanische und europäische Technologie wie etwa die Optiken der deutschen Firma Zeiss massenhaft herzustellen. Eine Schwachstelle, die der damalige US-Präsident Donald Trump nutzt. Im Herbst 2020 schließt er China von der heimischen Chiptechnologie aus: America First, amerikanische Chips den Amerikanern und den Europäern, wenn sie artig sind. Die Chinesen müssen draußen bleiben.

China macht Hamsterkäufe. Die Chips werden knapp. Die Folge: Bis zu 110 Milliarden Dollar Verlust im Jahr 2021 allein in der Autobranche. Werke von Ford und General Motors stehen im April jenes Jahres teils komplett still. Ein politisches Eigentor von Trump.

Gleichzeitig investiert Peking stark in Technologie und Produktionskapazitäten: Ein 170 Milliarden Dollar schwerer National Integrated Circuit (IC) wird aufgelegt. Viele Start-ups werden gegründet, Experten aus Taiwan abgeworben. Zu diesen Top-Leuten, die mit viel Geld gelockt wurden, zählt auch der derzeitige Co-CEO Liang Mong Song des chinesischen Halbleiterherstellers SMIC, der fünftgrößte der Welt. Zuvor war er in Taiwan beschäftigt. Auch seinem Know-how ist es zu verdanken, dass China bereits 2022 in der Lage ist, 7-nm-Chips herzustellen. In Nanometern (nm), also einem Millionstel Millimeter, wird der Abstand zwischen den Transistoren gemessen, die sich auf einem Chip befinden. Kleinere Abstände ermöglichen eine höhere Anzahl an Transistoren auf gleicher Fläche. Das ist energiesparender und effizienter.

»Ein großer Meilenstein«, urteilt denn auch der IT-Branchendienst Heise über den Zwischenschritt auf diesem Weg. SMIC habe in zwei Jahren geschafft, wozu der südkoreanische Hersteller Samsung fünf Jahre gebraucht habe. Und ComputerBase schreibt: Obwohl Hersteller aus Taiwan und Südkorea »nicht nur im 7-nm-Bereich mittlerweile viel weiter fortgeschritten sind, kann der Erfolg von SMIC nicht kleingeredet werden«. Die bemerkenswerte Leistung von SMIC besteht darin, dass es gelungen ist, die 7-nm-Chips auf älteren deep-ultra-violetten Lithografie-Maschinen (DUV) herzustellen. Allerdings ist das Verfahren noch rückständiger und fehlerhafter als das der Wettbewerber. Es bleibt ein Zwischenschritt.

In den meisten unserer Handys stecken TSMC-Chips aus Taiwan (56 Prozent Weltmarktanteil), gefolgt von Samsung mit 18 Prozent. Beide produzieren mit US-Technologie. Als Reaktion auf die chinesische Offensive hat der Senat in Washington inzwischen Präsident Joe Bidens Vorschlag für eine Mikrochipförderung in Höhe von 52 Milliarden Dollar durchgewunken. Plus 29 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung. Doch Intels CEO Patrick Paul Gelsinger befürchtet, es werde viele Monate, »vielleicht sogar einige Jahre dauern«, bis das Geld überhaupt ankommt. China ist schneller. Die EU reagiert 2022 und stellt den European Chips Act vor: 43 Milliarden Euro an Investitionen bis 2030. Ob das reichen wird? Längst ist der Wettkampf zwischen China und den USA um die Vorherrschaft im Chipbereich entbrannt. »Wer das Wettrennen um die Technologien der Zukunft gewinnt, wird die Weltwirtschaft anführen«, sagt Chuck Schumer, Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat.

Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen China und den USA, mit Europa weit abgeschlagen in deren Fahrwasser. Gleichzeitig setzten mehr chinesische Start-ups für autonomes Fahren auf US-Chips. Daran sieht man, wie vernetzt die globale Tech-Welt ist. Zu einigen dieser Chips hat China noch keine eigene Alternative. Im Sommer 2022 legte Washington noch einmal nach. US-Bürger dürfen nicht mehr in der Entwicklung oder Herstellung von Mikrochips in China tätig sein, ohne zuvor eine Sondergenehmigung zu beantragen. Das Problem: Hunderte Chipunternehmer und -entwickler sind US-Bürger chinesischer Abstammung. Und im September 2022 beendete Washington die Zusammenarbeit bei speziellen Spitzenchips. Nvidia ist es nun verboten, A100- und H100-Chips nach China zu verkaufen. Auf dem Schwarzmarkt in Shenzhen gibt es im Sommer 2023 den A100 von Nvidia noch für 20 000 Dollar das Stück, das Doppelte des üblichen Preises. Allerdings keine größeren Mengen und ohne Garantie und Service. Die Mengen reichen nicht. Nvida hat Glück: Die Nachfrage an Chips für künstliche Intelligenz steigt so an, dass der US-Hersteller den Verlust aus dem China-Geschäft kompensieren kann, mit einem Wachstum von 50 Prozent im zweiten Quartal 2023.

China hält ab August 2023 dagegen und führt Exportkontrollen für Produkte wie Chips ein, die mit den Rohstoffen Gallium and Germanium hergestellt werden, sowie für die Rohstoffe selbst, die nicht nur in Chips, sondern auch in E-Autos und Glasfaserkabeln verbaut werden. China ist mit großem Abstand der größte Gallium-Hersteller und einer der führenden Produzenten und Exporteur von Germanium, stellt ein US-Geologie-Bericht nüchtern fest.

Dann im Juli 2023 die große Überraschung: Bei Huawei sickert durch, dass man zusammen mit dem chinesischen Chiphersteller Semiconductor Manufacturing International Co. (SMIC) in der zweiten Hälfte des Jahres die Massenproduktion von selbst entwickelten 5G-Chipsätzen für Smartphones beginnen will. 2024 sollen dann die ersten Smartphones mit Top-Chips im Äquivalent von 7 nm in den Handel kommen. Nun kann Huawei seine verlorenen Marktanteile wieder zurückholen. Huaweis weltweiter Marktanteil war nach den Trump-Sanktionen von 17,6 Prozent auf rund 2 Prozent eingebrochen. Kurzzeitig hatte Huawei weltweit sogar Apple überholt.

Washingtons Sanktionspolitik bringt kurzfristig innenpolitischen Beifall, wäre aber dann ein dreifaches Eigentor. Erst hat der Staat mit den Sanktionen Umsatz und Gewinne seiner Unternehmen geschmälert. Hier könnte man noch den Standpunkt vertreten, dass die Unternehmen dies dem nationalen Interesse zuliebe aushalten müssen. Gleichzeitig allerdings beschleunigt Washington damit die innovative Aufholjagd der Chinesen. Und zum Dritten besteht die Gefahr, dass China, sobald es technologisch unabhängig in diesem Bereich ist, wiederum den Marktzugang für die US-Player einschränkt. Rache ist süß, zumal, wenn sie das Resultat einer weitsichtigen Politik ist.

China ist also wendiger, zäher und in mancher Hinsicht innovativer, aber – noch – ohne Alternative zu westlicher Produktionstechnologie und nicht in allen Bereichen schon vorne. Die USA sind rückständiger, behäbiger, aber politisch mächtiger, mit Top-Zugang zu den Produktionsmarktführern. Die EU wird vom Gewinner dieses Machtkampfes abhängig sein.

6  CHINESISCHER FRIEDEN?

Das amerikanische Wall Street Journal spricht bereits von »Chinas Modell einer neuen Diplomatie«. Peking ist gelungen, was Washington nicht geschafft hat: die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien.

Peking hat seine Rolle als Mediator vorab nicht an die große Glocke gehängt. Präsident Xi Jinping war allerdings im Dezember 2023 in Saudi-Arabien und der iranische Präsident und Hardliner Ebrahim Raisi im Februar in Peking.

Nach fünf Tagen Verhandlungen in Peking gelang der Durchbruch: Innerhalb von nur zwei Monaten konnten danach die Botschaften wie vereinbart wieder eröffnet und eine Vereinbarung der Sicherheitszusammenarbeit implementiert werden. John Kirby, Sprecher des National Security Council, sagte, die USA seien »über die Gespräche informiert« gewesen, hätten aber keine Rolle dabei gespielt.

Das chinesische Außenministerium betonte seltsamerweise: Man habe »keinerlei Eigeninteressen« in der Region, obwohl China 40 Prozent seiner Öl- und Gaslieferungen von dort bezieht. China habe »kein Interesse, ein sogenanntes Vakuum in einem geostrategischen Wettbewerb zu füllen oder exklusive Blocks zu bilden«, betonte ein Sprecher.

Iran und die Saudis hatten seit 2016 nicht mehr miteinander geredet, nachdem die Saudis einen prominenten schiitischen Geistlichen exekutiert hatten. Daraufhin hatten Iraner die saudische Botschaft in Teheran gestürmt.

Schiiten (Mehrheit in Iran) und Sunniten (Mehrheit in Saudi-Arabien) streiten seit dem 7. Jahrhundert um die Frage, wer der legitime Nachfolger des Propheten Mohammed sei. Bis heute geht es aber auch um die Hegemonie am Persischen Golf. Trita Parsi, ein Schwede persischer Herkunft, der den National Iranian American Council gegründet hat und nun Vizepräsident des Washingtoner außenpolitischen Thinktanks Quincy Institute ist, erklärt die Lage: »Die USA haben sich mehr und mehr auf eine Seite in diesen regionalen Konflikten geschlagen und wurden Kriegsverbündete. Das hat es sehr schwierig werden lassen, eine Vermittlerrolle zu spielen.« Die Chinesen hätten es hingegen vermieden, sich auf eine Seite zu schlagen und so in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Deshalb könnten sie nun die Rolle als Friedensstifter spielen.

Die Amerikaner sind seit Jahren die mit Abstand größten Waffenlieferanten der Saudis, während Washington gegen Iran Sanktionen verhängt hat. Dass Iran, Saudi-Arabien und China nun so gut klarkämen, sei eine »Verlierer-Entwicklung für amerikanische Interessen«, sagt Mark Dubowitz, Chef der Foundation for Defense of Democracies in Washington. »Das ist ein deutliches Zeichen einer sich wandelnden Weltordnung«, resümiert Sina Toossi, Senior Fellow am Washingtoner Center for International Policy, einem der wichtigen US-Thinktanks. »Die Zeit der Amerikaner als globale Supermacht ohne Herausforderer nach dem Ende des Kalten Krieges endet nun.« Für Länder wie Saudi-Arabien seien die USA in den vergangenen Dekaden der einzige brauchbare Partner gewesen. »Mit einem stärker werdenden China hat sich nun eine Alternative entwickelt.«

Die Aufgabe für Peking in den vergangenen Jahren bestand darin, als enger Verbündeter Irans nun das Vertrauen der Saudis zu gewinnen und die anderen Länder der Region einzubeziehen. Ein wichtiger Schritt waren dabei strategische Partnerschaften: mit Algerien, Ägypten und Katar 2014, Irak 2015, Marokko, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien 2016. 2018 folgten Oman und Kuwait. Im Dezember 2021 entschieden China und die arabischen Staaten, bei der strategisch wichtigen Satellitennavigation zusammenzuarbeiten – als Grundlage für eine spätere Kooperation im Raumfahrtbereich. Stand Mitte 2023 haben zudem zwanzig arabische Länder Kooperationsvereinbarungen im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI) unterzeichnet.

Währenddessen musste US-Präsident Joe Biden schon Mitte 2022 einen Rückschlag hinnehmen: Nach seinem Treffen mit Kronprinz Mohammed bin Salman hat die Saudi-dominierte OPEC+ entgegen Bidens Bitte die Ölproduktion gedrosselt. Ende desselben Jahres wurden die Beziehungen zwischen Riad und Peking zu einer »Comprehensive Strategic Cooperative Partnership« aufgewertet. Damit steigen auch die Chancen für Frieden in Jemen, wo Riad und Teheran seit acht Jahren einen Proxy-Krieg mit bislang über 400 000 Toten führen: Teheran unterstützt die Huthi-Rebellen, Riad die Regierung.

7  WÄHLERISCHE INSELN

China baut seinen Einfluss im Südpazifik stetig aus – auf Kosten der USA und Australiens.

Die Salomonen liegen quer zur Schiffsroute USA–Australien. Zwischen diesen beiden Ländern und China gibt es seit Längerem starke politische Spannungen. Als die Regierung des Inselstaates mit Sitz in der Hauptstadt Honiara eine strategische Partnerschaft mit China eingeht, fühlen sich sowohl Washington als auch Canberra in ihren Sicherheitsinteressen gestört. Der Pakt der Pazifikinseln mit Peking erhöht dessen Einfluss in der Region, man fürchtet eine mögliche Militärpräsenz. Denn nun könnten sich Chinas Militärschiffe in Honiara mit Nachschub versorgen.

Washingtons Reaktion: Wenn Schritte unternommen würden, um de facto eine permanente Militärpräsenz zu etablieren, hätten die USA »erhebliche Bedenken« und würden »entsprechend reagieren«. Canberra lässt verlauten: Wenn eine Militärbasis käme, sei eine »rote Linie überschritten«. Was dann genau passieren würde, sagen weder die australische noch die amerikanische Regierung. »Wir werden keine chinesische Militärbasis in unserer Region dulden«, betont Scott Morrison, seinerzeit australischer Premierminister, und wirft Honiara vor, »nicht transparent« zu agieren.

»Wir haben diese Vereinbarung mit China mit offenen Augen unterschrieben, geleitet von unseren nationalen Interessen«, sagt dagegen Manasseh Sogavare, Premierminister der Salomonen. »Wir bitten darum, dies zu respektieren.« Die bestehenden Sicherheitsvereinbarungen mit Australien blieben davon unberührt. Dazu passen die Äußerungen aus Peking: »Die Kooperation richtet sich nicht gegen Drittländer und ersetzt keine anderen bilateralen oder multilateralen Kooperationen.«

Die strategisch wichtigen Salomonen bestehen aus sechs Haupt- und 900 kleineren Inseln mit rund 650 000 Einwohnern. Sie sind die erste Inselgruppe auf dem Weg vom US-amerikanischen Hawaii nach Australien und Neuseeland, beides enge Alliierte der USA. Hawaii, der östliche Nachbar der Salomonen, war 1895 von den Vereinigten Staaten annektiert worden und ist seit 1959 der fünfzigste Bundesstaat der USA, 3200 Kilometer westlich des nordamerikanischen Festlands gelegen.

Die Salomonen selbst waren lange eine britische Kolonie. Erst seit 1978 sind sie unabhängig, aber immer noch Teil des Commonwealth of Nations. 1998 brachen schwere ethnische Konflikte aus, die die Regierung nicht in den Griff bekam. Nach fünf Jahren politischer Unruhen bat man 2003 um internationale Hilfe. Unter Führung Australiens kamen rund 8000 Soldaten und Polizisten auf die Inseln – und blieben bis 2017. Zwei Jahre später beendete Honiara nach 36 Jahren die diplomatischen Beziehungen zur Insel Taiwan, um von nun an mit der Volksrepublik China zu kooperieren. Peking hatte umfassende Investitionen in die Infrastruktur der Inseln angekündigt. Taiwan unterhält damit nun nur noch mit 14 der 194 UN-Staaten diplomatische Beziehungen.

Der außenpolitische Kurswechsel stößt nicht überall auf Beifall. Auf der Insel Malaita, einem Teil der Salomonen, werden chinesische Investitionen verboten, hier setzt man weiter auf Hilfe aus den USA. Im November 2021 kommt es in der Hauptstadt Honiara zu Demonstrationen und Ausschreitungen, Geschäfte in Chinatown werden geplündert. »Ausländische Kräfte« hätten die Unruhen geschürt, sagt die Regierung. Australische Sicherheitskräfte sorgen für Ordnung. Wenig später unterzeichnet Honiara eine Polizeikooperation mit China. Es geht um Ausrüstung und Training der Einsatzkräfte. Im April 2022 schließlich werden Details einer weiterreichenden Sicherheitskooperation bekannt: Das weit gefasste Abkommen umfasst humanitäre Hilfe bei Katastrophen, aber die Regierung in Honiara kann auch Chinas Polizei oder Militär anfordern, »um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten«.

Mit Dschibuti, dem ostafrikanischen Land am Horn von Afrika, hat Peking 2015 eine Sicherheitskooperation mit »Logistikzentrum« unterzeichnet. Inzwischen sprechen selbst chinesische Medien von Chinas erstem Marinestützpunkt. Werden die Salomonen zum nächsten? Premierminister Sogavare sagt klipp und klar: »Kein Stützpunkt ist geplant.«

Klar ist aber auch: Als aufsteigende Weltmacht wird China nicht nur seine wirtschaftlichen Kooperationen intensivieren, sondern gleichzeitig den eigenen globalen Sicherheitsspielraum ausbauen. In Kiribati, einer Inselrepublik mit rund 121 000 Einwohnern, zwischen den Salomonen und Hawaii gelegen, baut Peking gerade einen »zivilen« Flugplatz auf dem Atoll Kanton. Seit 2019 unterhalten Kiribati und China diplomatische Beziehungen.

All das untergräbt den Einfluss der USA. Nach der Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens mit den Salomonen reiste eine US-Delegation umgehend nach Honiara und bot unter anderem an, die seit 1993 geschlossene Botschaft wieder zu eröffnen. Auch die Entwicklungshilfe wurde nach oben geschraubt. Der renommierte australische Publizist David Llewellyn-Smith schrieb, das Abkommen mit China sei »das faktische Ende unserer Souveränität und Demokratie«. Und forderte: »Bombardiert Honiara.«

Das chinesische Staatsblatt Global Times übertreibt: Die Reaktionen aus Washington und Canberra seien »viel hysterischer als das, was bis zum 24. Februar aus dem Kreml zu Kiew kam«. Der Solomon Star ist überzeugt: »China hat sich stets mehr auf gemeinsame Wirtschaftsfortschritte konzentriert – eine Win-win-Situation – als auf militärischen Wettbewerb oder Nullsummenspiele.«

Fakt ist: Im August 2022 beauftragt die Regierung Huawei mit dem Bau von 161 Mobilfunkmasten und nimmt dafür einen Kredit einer chinesischen Bank in Höhe von umgerechnet 58 Millionen Euro auf. Gleichzeitig verweigern die Salomonen sowohl einem Schiff der US-amerikanischen Küstenwache als auch einem Patrouillenboot des britischen Militärs das Anlaufen des Hafens von Honiara auf der Hauptinsel Guadalcanal.

8  WELTMACHT BRICS

Die BRICS-Staaten werden immer wichtiger: Sie sind – gemessen an Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft – inzwischen größer als die G7.

Das war im Westen so schnell nicht erwartet worden: Während die G7-Länder 11 Prozent der Weltbevölkerung vertreten und kaufkraftbereinigt 30 Prozent des globalen BIP erwirtschaften, stellen die BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika 40 Prozent der Weltbevölkerung und mehr als 30 Prozent des globalen BIP. Sie bestimmen inzwischen auch die Richtung von G20: Indien hat dort 2023 den Vorsitz, 2024 wird es Brasilien sein und 2025 Südafrika. Die Nato-Staaten sind in diesem Gremium längst in der Minderheit und werden es voraussichtlich auch bleiben.

Wie begrenzt ihr Einfluss ist, zeigt sich auch an der Ukraine. Die übrigen BRICS-Staaten kritisieren Russland zwar, brechen aber nicht mit Moskau. Es gibt Streit im Club, die Länder verurteilen Putins Angriffskrieg, doch der Ausschluss eines Mitgliedes kommt nicht in Betracht. Die BRICS sind gegen Sanktionen gegen Russland und haben dafür eine Mehrheit in der Welt gefunden. Gut 170 von 193 Ländern der UN beteiligen sich nicht an den Sanktionen gegen Moskau. Diejenigen, die Sanktionen gegen Russland durchsetzen, repräsentieren nur 16 Prozent der Weltbevölkerung. Keines der BRICS-Länder schlägt sich auf die Seite der Nato, obwohl Brasilien, Indien und Südafrika Demokratien sind. Sie wollen sowohl zu Russland als auch zu den USA gute Beziehungen unterhalten – und eben mehr und mehr auch zu China.

Südafrika, das wichtigste Land des aufstrebenden Kontinents (3,8 Prozent Wachstum 2022) veranstaltet mit China und Russland im Frühjahr 2023 gar ein gemeinsames Seemanöver vor der Küste Südafrikas. Die Neutralität Südafrikas bedeute, mit vielen verschiedenen Ländern Manöver durchzuführen. Neben den USA oder Deutschland eben auch mit Russland und China, so die Regierung in Pretoria.

Die neuen Richtlinien des südafrikanischen Außenamts lauten: Südafrika solle sich mit jenen globalen Kräften verbünden, »die der Dominanz des Westens und der liberalen internationalen Wirtschaftsordnung etwas entgegensetzen«. Es geht dabei also weniger um die traditionellen Beziehungen des ANC zu Moskau, das die damalige Protestbewegung schon zu Apartheid-Zeiten unterstützt hat, sondern um mehr Mitbestimmung des globalen Südens gegen die Minderheit des Westens.

Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa kritisiert Putin zwar und sagt, sein Land »könne die Anwendung von Gewalt und die Verletzung der internationalen Rechtsordnung nicht dulden«. Aber er mahnt auch die Nato: »Der Krieg hätte verhindert werden können, hätte die Nato über die Jahre auf die Warnungen ihrer eigenen Offiziellen und führenden Politiker gehört, dass die Expansion nach Osten mehr und nicht weniger Instabilität bringt.« Ramaphosa sieht keine militärische Lösung des Konfliktes: »Wir bestehen auf Dialog.«

Man will es sich mit Moskau nicht verscherzen, aber auch nicht mit den Vereinigten Staaten. Bei einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden im September 2022 in Washington betont Ramaphosa: »Die USA spielen eine Schlüsselrolle bei Sicherheitsthemen in Afrika.« Umgekehrt schmeichelt US-Vizepräsidentin Kamala Harris Pretoria: »Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig unsere Beziehungen für die Menschen in den USA sind, unsere Sicherheit und unsere Prosperität.« Kritik an Ramaphosas Position zu Russland ist in offiziellen Stellungnahmen des Weißen Hauses nicht zu vernehmen. Auch als Ramaphosa verkündet, er wolle Putin im August als Gastgeber zum 15. BRICS-Gipfel einladen, ist die Reaktion erstaunlich moderat. Im März 2023 hatte der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Putin ausgestellt. Eigentlich müsste die südafrikanische Regierung Putin dann verhaften. Putin entscheidet schließlich, nicht daran teilzunehmen.

Im Juni 2023 dann reist Ramaphosa zusammen mit dem Präsidenten der Afrikanischen Union Azali Assoumani und einigen anderen Staatschefs aus afrikanischen Ländern nach Russland und in die Ukraine. Selbst wenn die Mission am Ende nichts bringt, ist sie ein historisches Ereignis: Die erste afrikanische Friedensmission überhaupt, bei der afrikanische Regierungschefs nach Europa reisen, um dort in einem Krieg zu vermitteln.

Die Position Indiens, der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt, ist ähnlich. Premierminister Narendra Modi möchte sich ebenfalls nicht auf die Seite der Nato schlagen. Er fordert zwar eine »unverzügliche Einstellung der Feindseligkeiten« und die Rückkehr zu »Dialog und Diplomatie« und versichert, »jede Art von Friedensverhandlungen« zu unterstützen. Zu Putin sagte Modi bei einem Treffen im September 2022: Man sei »nicht mehr im Zeitalter von Kriegen«. Seine Begegnung fasste er wie folgt zusammen: »Ich hatte ein wundervolles Treffen mit Präsident Putin.« Eine Tonlage, die Stirnrunzeln in Washington und Brüssel auslöste. Was er meinte: Man solle seinen Einfluss in der Weltpolitik nicht unterschätzen.

Neu-Delhi mag sich nicht so positionieren, wie der Westen sich das wünscht. Indien hat 2022 den Anteil der russischen Ölimporte auf 23 Prozent mehr als verzehnfacht. »Wir fordern unsere Ölfirmen nicht auf, russisches Öl zu kaufen, sondern das billigste Öl auf dem Weltmarkt im Interesse des indischen Volkes«, verteidigte sich Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. Parallel dazu vereinbarte Modi 2022 eine »strategische Technologiepartnerschaft« mit den USA, bei der es auch um die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich geht. Konsequenterweise sollte Washington Indien ebenfalls mit Sanktionen belegen, als Strafe, dass sie die Sanktionen des Westens unterlaufen. Doch Indien ist zu wichtig. US-Präsident Joe Biden verkauft den Indern lieber 200 Boeings, der größte Deal mit Indien bisher. Er betont, er schaffe damit Arbeitsplätze für eine Million Amerikaner.

Ende Juni dann ein weiteres Treffen zwischen Modi und Biden. Im Mai hatte der Anteil des russischen Öls bei Indiens Importen bereits bei 43 Prozent gelegen. In keinem anderen Land weltweit, auch in China nicht, ist der Anteil höher. Dennoch heißt es in dem gemeinsamen Statement nach dem Treffen: »Die Partnerschaft hat eine neue Ebene an Vertrauen und gegenseitigem Verständnis in der warmen familiären Bande der Freundschaft erreicht.« Die USA und Indien gehörten »zu den engsten Partnern der Welt – eine Partnerschaft der Demokratien«. Statt Indien für seine Russlandpolitik abzustrafen, bilden die Amerikaner nun indische Astronauten aus. Weiter heißt es, die amerikanisch-indische Verteidigungspartnerschaft sei »eine Säule für den globalen Frieden und die Sicherheit«. Erst unter Punkt 23 drücken beide Länder ihre Sorge um den »Konflikt in der Ukraine« aus, eine neutrale Formulierung, die Peking geprägt hat und für die es aus Washington viel Kritik bekommen hat. Putin und Russland werden nicht erwähnt. Myanmar und Nordkorea werden kritisiert, China nicht.

An diese »Sowohl-als-auch-Haltung« musste sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz im Frühjahr 2023 bei seiner Reise nach Indien gewöhnen. Bei seinem Treffen mit Brasiliens Präsident Inácio Lula da Silva Ende Januar 2023 hatte er sich damit noch schwerer getan. Von Lula hatte Scholz mehr Solidarität im Ukrainekrieg gefordert und damit auf Granit gebissen. Er blitzte mit seinem Wunsch nach 300 000 Stück 105-Millimeter-Munition für die deutschen Gepard-Panzer in der Ukraine ab. »Wir sind ein Land des Friedens«, erläuterte Lula. »Wir wollen keine Beteiligung an diesem Krieg, auch nicht indirekt.« Derzeit höre man »das Wort Frieden sehr wenig in der internationalen Diskussion«. Lulas Vorschlag hingegen: »Es ist notwendig, eine Gruppe von Ländern zu bilden, die sich mit den beiden an einen Verhandlungstisch setzen. Multilaterale Initiativen gefallen mir sehr.« Die neue Weltordnung müsse »auf Dialog basieren, auf Multilateralismus und Multipolarität«, forderte Lula, der – wie Peking – überzeugt ist, dass die globalen Institutionen nicht mehr zeitgemäß sind. »Seit vielen Jahren kämpfen wir für einen Sitz im Weltsicherheitsrat der UN. Dafür, dass afrikanische, asiatische, lateinamerikanische Länder ebenfalls einen Sitz bekommen.« Diese Forderungen gehen weit über BRICS hinaus: So lautet auch die Position Argentiniens, Saudi-Arabiens, Mexikos, Malaysias, Indonesiens und selbst des Nato-Mitglieds Türkei.

Der wichtigste Unterschied in den Vorstellungen des Westens und der BRICS als Voraussetzungen für Friedensverhandlungen: Anders als die Nato spricht derzeit kein Vertreter der BRICS-Länder von einem kompletten Rückzug Putins aus den von seinen Truppen besetzten Gebieten in der Ukraine als Voraussetzung. Doch in der ersten Hälfte des Jahres 2023 wurde diese Position aufgeweicht. Vor allem, nachdem Chinas Präsident Xi Jinping Ende April 2023 erstmals seit Beginn des Krieges mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen hatte. Man habe über den Ausbau der chinesisch-ukrainischen Beziehungen geredet. China und nicht etwa die EU war vor dem Krieg der wichtigste Handelspartner der Ukraine. Zuvor hatte Selenskyj China immer wieder als »neutral« in dem Konflikt bezeichnet, während die Nato-Staaten China vorwerfen, auf der Seite Russlands zu stehen. China hat die russische Invasion nicht verurteilt. Pekinger Diplomaten betonen hinter den Kulissen: China tue dies, um seinen Einfluss auf Putin nicht zu schmälern und damit seine Verhandlungsmacht für ein schnelles Ende des Krieges zu wahren.

Selenskyj jedenfalls setzt auf das Verhandlungsgeschick Pekings. Die Unterredung mit Xi, die er als »lang und bedeutsam« bezeichnete, habe ein »besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zur Schaffung eines gerechten und nachhaltigen Friedens für die Ukraine« gelegt. Noch im Februar hatte Selenskyj betont, Gespräche seien nur möglich, wenn Russland seine Soldaten abziehe, seinen Fehler eingestehe und es vielleicht eine neue Führung in Moskau gebe: »Nur dann kann die Situation gelöst werden. Nur dann sind Verhandlungen möglich.« Nach dem Gespräch mit Xi zeigte er sich erstmals kompromissbereiter: Es könne »keinen Frieden auf Kosten von territorialen Kompromissen geben«. Für Friedensgespräche hingegen nannte er keine Vorbedingungen mehr.

9  SYSTEMRELEVANTE KLONSCHWEINE

Die Chinesen essen immer mehr Schweinefleisch. Die Schweine vermehren sich jedoch nicht schnell genug. Deshalb werden sie nun von KI-Robotern geklont.

Die Wissenschaftler vom College of Artificial Intelligence an der Nankai University halten ihre Forschungen für bahnbrechend. Die Universität liegt in der 14-Millionen-Stadt Tianjin südöstlich von Peking. Hier wurden im März 2022 die ersten sieben geklonten Schweine von einer Surrogatsau auf die Welt gebracht.

Jeder Schritt bis zur Geburt sei automatisiert, erklärt Liu Yaowei, ein Forscher, der das Verfahren mitentwickelt hat: »Der Mensch greift nicht mehr ein.« Die Roboter würden so arbeiten, dass die Zellen nicht beschädigt werden. Die menschlichen Hände seien hingegen zu grobmotorisch, um verlässlich zu klonen.

Die gebräuchlichste Methode zum Klonen von Tieren war bislang der sogenannte somatische Zellkerntransfer (SCNT). Dabei entfernt ein Wissenschaftler per Hand den Kern aus der Eizelle eines Tieres. Den ersetzt er dann durch einen Kern, der aus einer anderen Körperzelle entnommen wurde. Der Embryo mit dem transplantierten Kern wird dann in ein Leihmuttertier eingepflanzt.

In den letzten fünf Jahren sei es gelungen, die Erfolgsrate von maschinell geklonten Embryonen von 21 auf 27,5 Prozent zu verbessern. Per Hand liege die Erfolgsrate nur bei etwa 10 Prozent. »Unser KI-gestütztes System kann die Belastung innerhalb einer Zelle berechnen und den Roboter anweisen, den Klonprozess mit minimaler Kraft auszuführen. Dadurch werden die normalerweise durch menschliche Hände verursachten Zellschäden reduziert«, so die Forscher aus Tianjin. Allerdings müssen sie ihren Durchbruch erst noch von der internationalen Wissenschaftswelt in einem Peer-Review-Papier begutachten lassen: Das soll demnächst im Engineering Journal passieren.