Chinas neuer Imperialismus - Anton Stengl - E-Book

Chinas neuer Imperialismus E-Book

Anton Stengl

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Beschreibung

Im Gegensatz zur Auffassung mancher europäischer Linker kann Anton Stengl, der selbst viereinhalb Jahre in China arbeitete, keinerlei sozialistische Ausrichtung in der aktuellen Politik Chinas erkennen. Das Reich der Mitte ist seiner Analyse nach in wirtschaftlicher Hinsicht zur Fortsetzung des Kapitalismus und der Verteidigung seines Warencharakters angetreten und agiert geopolitisch als aufstrebende Hegemonialmacht. Im gigantischen Projekt der "Neuen Seidenstraße" ("One Belt, One Road") ortet der Autor den Dreh- und Angelpunkt des neuen chinesischen Imperialismus. Seiner Ansicht nach ist dieses Vorhaben einer klassischen kapitalistischen Überproduktionskrise geschuldet. Vehemente staatliche Eingriffe in die Ökonomie dienten auch historisch oft zur Überwindung einer Verwertungskrise. Der große Vorteil für chinesisches Kapital in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts besteht gerade in dieser kontinuierlichen staatlichen Absicherung seiner Verwertungsmöglichkeiten, der staatlichen Finanzierung und dem Ausbau staatlicher Infrastruktur. In einem eigenen Kapitel wird der Frage nachgegangen, welches Wirtschaftssystem in China vorherrscht: ein noch unterentwickelter Sozialismus (der den Umweg über den Kapitalismus nehmen muss, um voranzukommen)? Oder ein Staatskapitalismus der besonderen Art? Zwei Kriterien sind für die Beantwortung der Frage entscheidend: die Eigentumsfrage und – damit verbunden – die Frage nach den wirtschaftlichen Prinzipien. Beide beantwortet der Autor eindeutig: In China regieren Markt und Privat­eigentum und die Wirtschaft funktioniert nach den Regeln von Profit und Konkurrenz. In geopolitischer Hinsicht ist Vietnam ein gutes Beispiel dafür, welche konkreten Auswirkungen der chinesische Imperialismus auf die Länder in Asien hat. Es geht um die Ausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften an verlängerten Werkbänken in Sonderwirtschaftszonen bis hin zum territorialen Anspruch auf Inseln im Südchinesischen Meer, wenn dort Erdölfunde vermutet werden. Das Buch endet mit einer Analyse der Vorgänge in Hongkong und in Xinjiang.

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Anton StenglChinas neuer Imperialismus

© 2021 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

Coverfoto: Hiurich Granja/unsplash.com

ISBN: 978-3-85371-886-5(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-483-6)

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die »Neue Seidenstraße« (»Belt & Road«)
Athen-Piräus
Grönland und der Ferne Osten
Warum investiert China astronomische Summen in die »Neue Seidenstraße«?
Beispiel einer klassischen Überproduktionskrise: Stahl
Die Route über das Meer: die Politik Chinas an Asiens Küsten
Beispiel: Vietnam
Beispiel: Pakistan
Die Charakteristika des chinesischen Kapitalismus
Keine richtige »Marktwirtschaft«?
Ist der Kapitalismus überlegen?
Welches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem haben wir heute vor uns?
»China Is a Private-Sector Economy«
Die Entwicklung Chinas zum Kapitalismus
Jack Ma und 9−9−6
Die Arbeit
Die Überwachung
Wie sieht man die Zukunft?
Die vergessenen Arbeiter und Bauern
Die große Ungleichheit
Stellungnahmen
Merkwürdige Ansichten: James Petras
Merkwürdige Ansichten: Vladimiro Giacché
Merkwürdige Ansichten: »Marxistische Chinawissenschaftler«
Die andere Seite: Li Minqi – Vom liberalen Demokraten zum Kommunisten
Die heutige Kommunistische Partei Chinas und ihre Ideologie
Wer ist ihr Chef? Xi Jinping und seine Karriere
Zur Rechtfertigungsideologie des chinesischen Kapitalismus – der 19. Nationalkongress der KP im November 2017
Was macht man jetzt mit Marx und Mao?
Das Märchen vom krisenfreien Kapitalismus
Affirmative Kultur
Identität – Nicht kaiserliches China, nicht sozialistisches China, was bleibt?
Wie ich chinesischen Studenten erklärte, was der 1. Mai ist, und sie es vermutlich nicht verstanden haben
Wie tickt die Jugend? Was denken sich die StudentInnen?
Die Ehe
Die Sexualität
No smoking, no tattoos, no bikinis – auch im Internet herrschen Sitte und Anstand
Jeunesse dorée – die reichen chinesischen Studenten im Ausland
»Lazy economy«
Alltäglicher Warenfetischismus
Falsche Freunde
Hongkong – was will die Opposition?
Brave Islamisten in Xinjiang?
China und Corona
Ausgewählte Literatur

Über den Autor

Anton Stengl, geboren 1957 in Regensburg, studierte Philosophie in Neapel und arbeitete anschließend an der Universität Mersin/Türkei. Zurück in Deutschland, war er ab 2003 als Sprachlehrer tätig, schrieb sich an der Universität München in Sinologie ein und ging 2015 als Deutschlehrer nach Shenyang und Hangzhou (China). Seit Anfang 2020 unterrichtet er in Hai Duong und Hanoi (Vietnam).

Vorwort

Bewunderung, Neid und Gehässigkeit. Eine Folge der Fernsehkrimiserie Soko Leipzig namens »Tod auf der Seidenstraße«.1 Der Titel sagt schon alles. Ein deutsches Brüderpaar will mit chinesischen Geschäftspartnern ein millionenschweres Handelszentrum in Leipzig aufbauen. Einer der beiden beginnt eine Affäre mit seiner chinesischen Geschäftsfreundin, heimlich, still und leise, denn die Chinesen wollen keine Beziehungen mit Ausländern, auch wenn die Frau schon lange in Deutschland lebt. Ihre Schwester ist in Hongkong eingesperrt, sie ist also erpressbar. Der Deutsche wird daraufhin ermordet. Im Film wird wortwörtlich gesagt, dass man mit Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt werden, keine Geschäfte machen sollte,2 und das Ergebnis ist klar und deutlich: Sich mit Chinesen einzulassen, führt unweigerlich zum Verbrechen. Ein primitiver Propagandafilm gegen China, als Krimi verkleidet.

Selbstverständlich regt man sich in den Medien schon darüber auf, dass 2022 die Olympischen Winterspiele in China stattfinden sollen. Nur in Ländern mit demokratischem Gütesiegel darf man solche Spektakel organisieren.

In Wahrheit geht es darum, einen Konkurrenten auf der Überholspur schlecht zu machen. Die wissenschaftlich-technischen Erfolge Chinas sind großartig, von der »Grünen Mauer«, dem größten Projekt zur Wiederaufforstung in der Geschichte der Menschheit,3 zur Satellitenlandung auf der dunklen Seite des Mondes. Auch im Bereich Elektromobilität ist China führend. Zum Jahresende 2020 gab es weltweit 10,9 Millionen Elektroautos und Hybride. Fast die Hälfte des Bestands findet sich mit 5 Millionen in China, in den USA sind es 1,77 Millionen. Deutschland kommt auf rund 569.000.4

Von der Armutsbekämpfung auf dem Lande zum Sieg über COVID-19 in knapp vier Wochen: Man müsste China eigentlich bewundern. China übertrifft alles. Aber dies kann man einem Konkurrenten gegenüber nicht zugeben. Wirtschaftlich bricht China sowieso alle Rekorde: »Die chinesischen Exporte machten in den ersten beiden Monaten des Jahres (2021, in US-Dollar berechnet) einen Sprung um plus 60,6 Prozent im Vorjahresvergleich. Auch die Importe sollen mit 22,2 Prozent stark gestiegen sein. Damit kletterte der Außenhandel im Jahresvergleich um 41,2 Prozent. Dies übertrifft viele Erwartungen von Experten.«5

Das vorliegende Buch versucht eine Darstellung des chinesischen Kapitalismus und verzichtet auf Propaganda gegen den neuen großen, gelben Feind. Es scheint notwendig, China zu analysieren und zu kritisieren, ohne mit Klischees, althergebrachten Vorurteilen und der üblichen Propaganda zu arbeiten. Fake News schieben wir beiseite.

Ist China sozialistisch? Schön wär‘s. Manche möchten gern daran glauben – auf diesen Standpunkt wird hier auch ausführlich eingegangen. Aber es kann kein Zweifel dran bestehen, dass China eine kapitalistische, ja imperialistische Großmacht ist. In diesem Kontext steht die »Neue Seidenstraße« als ein Vorhaben weltweiten Kapitalexports zur Ausbeutung von Arbeitskraft und Rohstoffen. Beispielhaft wird dies an den Fällen von Vietnam und Pakistan gezeigt.

Die neue Supermacht bekommt von der anderen Seite den Vorwurf zu hören, ihre Wirtschaft und Gesellschaft sei immer noch zu »kommunistisch«. Wahrscheinlich meint man damit, der Kündigungsschutz in China sei zu arbeitnehmerfreundlich und müsse endlich abgeschafft werden. Ein Kapitel dieses Textes beschäftigt sich also mit der besonderen Form des chinesischen Kapitalismus, der chinesischen Marktwirtschaft. Trotz aller Vorteile stellt auch hier, wie überall auf der Welt, die zunehmende Ungleichheit ein immer größeres Problem dar. Der Mittelstand wird zur Kaste, Jack Ma verfügt über ein Vermögen von über 40 Milliarden US-Dollar und ist einer der 800 Milliardäre in China, während der Mindestlohn eines Arbeiters zwischen 145 Euro und 285 Euro monatlich beträgt. Das allgemeine Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 840 Euro im Monat.

Wie rechtfertigt die chinesische Parteiführung diese Situation? Wie Adenauer in den 1950er-Jahren: Boomt die Wirtschaft und einige, ganz wenige werden superreich, dann hat schließlich und letztendlich ein jeder etwas davon. Tatsächlich stieg der Lebensstandard in China in den vergangenen Jahrzehnten enorm. Auch das deutsche »Wirtschaftswunder« der Nachkriegszeit verblasst dagegen völlig. Die begründete Furcht der chinesischen Führungsclique vor einem Ende der bereits so lange andauernden Konjunktur hat hier ihre Wurzeln: Stagniert die Wirtschaft, verliert die Macht der Partei ihre Basis.

Diese Fixierung auf einen krisenfreien Kapitalismus, der die Voraussetzung zum »Chinesischen Traum« einer konfliktlosen Mittelstandsgesellschaft darstellt, in der Wohlstand und Konsum die einzigen Werte sind, determiniert die Kultur des Alltagslebens, so wie ich es während meiner Jahre in China erlebt habe. Jugend, Karriere, Sex und Prüderie, die völlige Entpolitisierung und der Westen als Garten Eden – dem ist ein langer Abschnitt gewidmet.

Selbstverständlich kann die Opposition nicht übergangen werden: der ernsthafte, tatsächliche Widerstand in den Metropolen, in vielen Bereichen; und die vom Westen gehätschelten Dissidenten in Tibet und Hongkong. Ein aktuelles Kapitel zur erfolgreichen COVID-19-Bekämpfung schließt dieses Buch ab.

Anton StenglHanoi, im März 2021

1 Staffel 21, Folge 22

2 Tatsächlich gilt dies natürlich nicht für Länder, die keine Konkurrenz für die althergebrachten Supermächte darstellen wie z.B. für Saudi-Arabien oder die Türkei. Mit denen werden Geschäfte gemacht.

3 1978 begonnen, soll es 2050 zu Ende gebracht werden: 350.000 Quadratkilometer Land werden aufgeforstet, eine Fläche von der Größe der Bundesrepublik Deutschland. Die Waldfläche in China soll von 23 Mio. ha auf 60 Mio. ha gesteigert werden, der Anteil der von Wald bedeckten Fläche im Land von 5 % auf 14,95 % erhöht werden. Resultate: Steigerung der Holzproduktion von 47 Mrd. Kubikmetern im Jahr 1977 auf 280 Mrd. Kubikmeter, Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch die Effekte des Schutzwaldes um 10 bis 15 %, Stopp der Desertifikation und des Wasserverlustes. Bis jetzt wurde bereits eine Fläche von 220.000 Quadratkilometern, das entspricht etwa dem Ausmaß Großbritanniens, neu bepflanzt. 国家林业和草原局 [Chinesisches Amt für Forstwirtschaft und Grasland]: 三北防护林体系建设工程总体规划 [Gesamtplan des Drei-Nord-Schutzwald-Projekts]. Guido Kuchelmeister, Wüstenbekämpfung in China. In: Entwicklung & ländlicher Raum, 2006, Nr. 4, (PDF-Datei, 4 S.).

4https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/auto-deutschland-ueberholt-die-usa-bei-stromer-neuzulassungen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210309-99-743416

5https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/china-wirtschaft-exporte-1.5227175

Die »Neue Seidenstraße« (»Belt & Road«)

»Dass Italien so offen seine Bereitschaft zeigt, der Belt & Road-Initiative beizutreten, weist drauf hin, dass seine populistischen Führer überaus pragmatisch und wirklich besorgt sind, ihrem Volk Gutes zu tun. Sie sind besonders motiviert, die Wirtschaft des Landes anzukurbeln, weil ihre Macht von den Menschen kommt.«6

Ein ganz erstaunliches Urteil, wenn man sich vor Augen hält, was die damalige (2019) Regierung in Italien alles angestellt hat. Einer Koalitionsregierung bestehend aus der rassistischen »Lega« und der im Kern ebenso rechten »Fünfsterne-Partei« wird unterstellt, das Wohlergehen des Volkes liege ihr am Herzen und ihre Macht käme vom Volk. Der Pragmatismus der italienischen Regierung entsprang der katastrophalen Situation der italienischen Wirtschaft, der Staat ist einer der höchstverschuldeten der Europäischen Union, und ihr besonderes Engagement betraf die Reduktion der Steuern für Reiche (»flat tax«) und die hemmungslose Diskriminierung der Flüchtlinge und Einwanderer.

Warum sollte dies für das chinesische Kapital interessant sein? Es geht nur um das Geschäft. Der chinesische Regierungschef Xi Jinping hat infolge seines Besuchs in Italien im März 2019 einige Abkommen im Rahmen des »Belt & Road«-Projekts abgeschlossen, die den Konkurrenten Deutschland und Frankreich überhaupt nicht gefielen. Das Mega-Projekt »Belt & Road«, die »Neue Seidenstraße«, läuft, rennt und überschlägt sich. Der aktuelle Stand ist aus den Medien zu erfahren.

Besonders aufsehenerregend war das italienische Business eigentlich nicht.7 Zehn private Unternehmen und neunzehn staatliche Institutionen in Italien haben mit China folgende Vereinbarungen getroffen: Finanzierung einiger italienischer Wirtschaftsvorhaben in China (Cassa depositi/ CDP, ein überwiegend staatliches Kreditinstitut in Italien und die Bank of China); Schürfrechte des Energiekonzerns Eni in China; Gasturbinen von Ansaldo Energia in technologischer Zusammenarbeit mit China sowie Lieferung von Turbinen an Shanghai Electric und Benxi Steel; finanzielle Zusammenarbeit zwischen der CDP, Snam und dem Silk Road Fund in Bezug auf einige Belt & Road-Projekte; Förderung des Verkaufs von italienischen Luxusprodukten durch das »Istituto per il commercio estero« und Sunning, einem chinesischen Elektronikkonzern und Eigentümer der Fußballmannschaft Inter Mailand, und die Errichtung eines Industriekomplexes zur Stahlgewinnung in Aserbaidschan durch die Gruppe Danieli und China Camc Engineering. Die 19 zwischenstaatlichen Vereinbarungen betreffen die Zusammenarbeit für innovative Start-ups und Elektronik – und einen gemeinsamen Satelliten zur geophysischen Forschung. Dazu kommt der Bereich der Landwirtschaft: der Export von Orangen, tiefgekühltem Schweinefleisch und Rindersamen nach China. Dann gesellt sich noch die Kultur hinzu: Verhinderung des Verkaufs von archäologischen Schätzen, die Rückgabe von 796 Funden an China und die gemeinsame Förderung von Unesco-Stätten. Und Verona wird die Schwesterstadt von Hangzhou, der Stadt von Ali Baba und Jack Ma.

Heftig diskutiert wurden jedoch die Vereinbarungen zu den italienischen Häfen Triest und Genua. China hat die Verwaltung dieser Häfen übernommen, die der chinesische Konzern China Communications Construction Company (CCCC) ausbauen wird. Damit bleiben auf der europäischen Seite des Mittelmeers nach der Übernahme von Athen-Piräus nicht mehr viele Häfen übrig, die nicht der chinesischen Autorität unterstehen würden.

Der Gründer des Think Tank »Center for China and Globalization«8 in Beijing, Wang Huiyao, erklärte in einem Interview mit der auflagenstärksten italienischen Tagezeitung Repubblica9: »Italien sollte nicht Frankreich und Deutschland folgen: Machen wir weniger Geopolitik und doch mehr Geschäfte.« Und dann: »Italien hat viele wirtschaftliche Schwierigkeiten, Europa ist in einer Krise. Belt & Road ist der einzige groß angelegte Plan globaler Investitionen. Als erste daran teilzunehmen bedeutet, Vorteile für die eigenen Unternehmen zu haben – so wie das Vereinigte Königreich, das der AIIB10 beigetreten ist.« »Die populistische Regierung hat verstanden, dass dieitalienische Wirtschaft sich nicht mehr bewegt, dass die Globalisierung ihr geschadet hat. Sie möchte jetzt etwas anderes tun, sie folgte nicht ideologischen Linien, sie greift nicht China an, sondern versucht, die Geschäfte für die Unternehmen zu erhöhen. Sie muss ermutigt werden.«

Klingt doch alles ganz gut. Nämlich nach Geld. Außer vielleicht, dass den Chinesen jetzt die italienischen Häfen gehören, so wie die Engländer früher Hongkong besaßen. Aber wer investiert sonst in Italien, wenn nicht China?

Die EU möchte die chinesischen Investitionen in Europa unbedingt bremsen. Ganz zu schweigen von den USA, die in Asien kaum mehr etwas zu sagen haben und weltweit gegenüber China an Bedeutung verlieren. Wer hat denn die Vorteile und wer hat die Nachteile? Oder ist es für Europa und China eine »Win-Win-Situation«, wie Xi Jinping behauptet? Ist es nicht egal, wem ein Betrieb gehört? Chinese oder Russe oder Deutscher? Welche Nachteile sollte es geben, wenn jetzt Chinesen die deutschen Unternehmen aufkaufen und nicht Amerikaner, Franzosen oder Russen?

Die traditionelle Schlossbrauerei im bayrischen Au in der Hallertau wurde von einem chinesischen Konzern aus Dalian aufgekauft (einschließlich der prächtigen Schlossanlage.11 Na und? Wird das Bier deswegen schlechter? Von den legendären Münchner Brauereien gehören Spaten, Franziskaner und Löwenbräu zu Anheuser-Busch InBev, der größten Brauereigruppe der Welt mit Sitz in Brüssel, und Paulaner sowie Hacker-Pschorr zu Schörghuber/BHI/Heineken, der zweitgrößten Brauereigruppe der Welt, die zu 49,9 % Eigentum von Heineken mit Sitz in den Niederlanden ist. Soll man deswegen kein Paulaner mehr trinken?

Die chinesischen Investitionen in Deutschland sind beträchtlich.12 Sie legten 2018 gegenüber dem Vorjahr um rund 400 Millionen Euro zu und erreichten 2,1 Milliarden Euro. Vergleicht man die Jahre 2004 und 2014, so steigerten sie sich in diesen zehn Jahren von 129 Millionen Euro auf 5,9 Mrd. Euro – sie haben sich vervierzigfacht. Aber in China waren im Jahr 2016 rund 8000 deutsche Unternehmen aktiv, in Deutschland nur 2000 chinesische – von insgesamt 16.000 ausländischen Unternehmen. Die US-Investitionen in Deutschland betragen mehr als das Hundertfache der chinesischen.13 Trotz zunehmender Kontroll- und Abschottungspolitik der Bundesregierung besonders bei Investitionen in sensiblen Technologiebereichen und wichtigen Infrastrukturen rechnet man damit, dass Deutschland und die EU auch künftig ein attraktiver Standort für chinesische Investoren bleibt.14

In diesen Rahmen gehört die »Neue Seidenstraße«: ein gigantisches, in der Menschheitsgeschichte einzigartiges Vorhaben zur Schaffung modernster, effektivster Infrastrukturen für die Verbindung zwischen China und Europa, das heißt zur Schaffung eines in seiner Infrastruktur neu angelegten Handelsweges zwischen den beiden Kontinenten. Insgesamt sind es Ende 2020 16+1, China und 16 europäische Länder, davon 13 EU-Mitglieder, die im B&R-Kontext zusammenarbeiten.

Berlin »warnt« vor der chinesischen Wirtschaftsmacht und dem Ausverkauf der europäischen Länder. Was macht denn Deutschland? Die deutschen Banken und Holdings treiben die wirtschaftlich schwächeren EU-Länder in ihre Zinsknechtschaft und profitieren von ihrer angeblichen »Rettung«. Beispiel Griechenland: Die Gremien der »Troika« – EU-Kommission, EZB und IWF – die faktisch den gesamten griechischen Staatshaushalt kontrollierten, wurden allesamt von Deutschland dominiert:

»Wir waren es, die die Griechen gedrängt haben, Staatsbesitz zu privatisieren, darunter den Hafen von Piräus«, sagte ehrlicherweise der deutsche Staatsminister Michael Roth.

Athen-Piräus

2015 prophezeite der Chef des norddeutschen Hafenlogistikers Eurogate, Tom Eckelmann, der Warenverkehr von Ostasien nach Europa werde sich zunehmend auf den Mittelmeerraum konzentrieren.15 Eurogate verfügt über sieben mediterrane Standorte zwischen Zypern und Gibraltar, die Aufgabe des Unternehmens ist das Transshipment, das Umladen von Riesenfrachtern mit bis zu 22.000 Standardcontainern (TEU) Frachtraum auf kleinere Schiffe.

Der Hafen von Piräus bei Athen wurde während der griechischen Finanzkrise 2009 von dem chinesischen Unternehmen COSCO (China Ocean Shipping Company) übernommen und ist der größte Container-Umschlagplatz im Mittelmeer. 368,5 Millionen Euro zahlte die COSCO für 67 % der Anteile an der Piraeus Port Authority und hat damit 35 Jahre lang die Rechte über den Piraeus Container Terminal.

Die COSCO steht an vierter Stelle in der Rangliste der globalen Containerschiff-Reedereien. Sie verfügt über die weltweit größte Transportkapazität bei Massengutfrachtern und Tankschiffen und besitzt 46 Containerterminals.

Seit 2008 hat sich der Warenumschlag in Piräus mehr als verzehnfacht. 2018 waren es 4,91 Millionen Containereinheiten (TEU), eine Steigerung von 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr – geplant ist eine weitere Verdoppelung auf zehn Millionen TEU. Die COSCO will zusätzlich noch vier Milliarden Dollar in den Hafen von Piräus investieren.

Was ist dagegen zu sagen? Wie macht man Gewinn? Durch Effizienzsteigerung (Rationalisierung, Automatisierung, Entlassungen) und Lohnsenkungen. Nach Aussagen der griechischen Hafengewerkschaft fanden Kürzungen bei Gehältern und Sozialleistungen statt, wurden Gewerkschafter entlassen, allgemein der Leistungsdruck erhöht. Auch in den oberen Etagen: Zuvor betrug das höchste Jahresgehalt 181.000 US-Dollar, 2012 dagegen bezahlte COSCO in keinem Fall mehr als 23.300 US-Dollar. Ganz normaler Kapitalismus.

Die Wirtschaftshomepage basicthinking.de schrieb 2009: »Woher kommt das viele Geld, so dass am Ende der Rechnung für die Telekom doch ein Plus steht? Es ist beinahe allein dem Auslandsgeschäft und hier vor allem Griechenland zu verdanken, wo die Telekom im vergangenen Jahr beim Telco OTEdick eingestiegen ist. Griechenland steuert so 1,5 Milliarden Euro Umsatz und 600 Millionen Euro beim EBITDA bei. Ohne diesen Deal würde im Telekom-Hauptquartier Katerstimmung herrschen. Darauf einen Ouzo.«16

Wie man Gewinn macht? Die deutsche Telekom hat ihren Anteil an der vormals staatlichen griechischen Telefongesellschaft OTE vergrößert, wurde so Hauptanteilseigner – und hat gleich mal 2000 Leute entlassen.

Der Ausverkauf Griechenlands? Auch die 14 ertragsreichsten Flughäfen des Landes gingen zum Schnäppchenpreis an die deutsche halbstaatliche Fraport.17 Vielleicht sind die chinesischen Unternehmen in Europa sogar etwas vorsichtiger im Umgang mit ihrem Personal. Sie haben hier nicht die Vorrangstellung – die hat zweifellos Deutschland inne (siehe »Troika« in Griechenland).

Es handelt sich immer nur um Kapital, das seine Interessen verfolgt – die nicht die Interessen der arbeitenden Bevölkerung sind. Das westliche Kapital fühlt sich natürlich von der neuen, fernöstlichen Konkurrenz bedroht.

Grönland und der Ferne Osten

Ein anschauliches Beispiel für die panische Angst vor diesem Konkurrenten, dem man sich im Westen augenscheinlich nicht so ganz gewachsen fühlt, liegt ein wenig außerhalb der Route von Europa nach Asien: in Grönland.18

Grönland, direkt vor Kanada gelegen, hat eine sechsmal größere Fläche als Deutschland, aber nur 56.000 Einwohner, die überwiegend vom Fischfang leben, von Kabeljau und Krabben. Damit wird 90 Prozent des Exports bestritten. Aber Grönland ist reich an Bodenschätzen, an Erz, Zink, Blei, Uran, Öl, Edelsteinen und Seltenen Erden, deren gewinnträchtige Erschließung aufgrund der geografischen und besonders der klimatischen Lage bisher nicht möglich war. 2014 wollte das chinesische Bergbauunternehmen General Nice Group (GNG) ein insolventes britisches Unternehmen mit dessen Lizenzen für Grönland aufkaufen. Die grönländische Regierung verband mit diesem Deal natürlich große Hoffnungen. Aber plötzlich tauchte die NATO auf. Außenpolitisch ist Grönland an Dänemark gebunden, einem NATO-Mitglied. Es handelt sich also um NATO-Gebiet – dort liegt auch der US-Militärstützpunkt Thule Air Base. Die USA witterten Gefahr, sie wollten keine »Arktische Seidenstraße«. Der dänische Verteidigungsminister erklärte nach einem Treffen Ende Mai 2018 mit seinem US-Kollegen Jim Mattis: Das Pentagon möchte keine chinesischen Investitionen in Grönland, egal, welcher Art, das bedrohe »die Sicherheit«, und Dänemark sehe das natürlich ganz genauso. Grönland hat ausgeträumt.

Warum investiert China astronomische Summen in die »Neue Seidenstraße«?

Was ist dieses »Belt & Road Project«19 genauer? Welche Rolle spielt es bei der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus?

Die Vorstellung von China als kostengünstiger Werkbank der Welt für die ausländischen Konzerne ist längst überholt. Nach dem »Center for China and Globalization« hat bereits 2015 der chinesische Kapital­export das in China vorhandene Auslandskapital übertroffen: Die direkten chinesischen Auslandsinvestitionen (OFDI) betrugen 145,6 Milliarden Dollar, das ausländische Kapital in China nur 135,6 Milliarden Dollar.20 Massiver Kapitalexport als Ausweg aus einer wirtschaftlichen Krise am Horizont?

Folgende Punkte dürften die wichtigsten wirtschaftlichen Ziele Chinas bei Belt & Road sein:

Lösung für zu große Produktionskapazitäten. Die chinesische Inlandsnachfrage steigt nicht, wie man es erhofft hatte, denn dazu wären massive Lohnerhöhungen nötig. Sie kann es nicht geben, wenn man China konkurrenzfähig halten will. Der Bevölkerungsanteil des konsumfreudigen, kaufkräftigen Mittelstands stagniert, zudem tendiert bei ihm die Nachfrage mehr zu Dienstleistungen, nicht zu Konsumprodukten. Betroffen sind besonders grundlegende Industriezweige: Stahl, Aluminium, Maschinen. »Belt & Road« kann über einen längeren Zeitraum ein Ausweg aus der sich abzeichnenden Überproduktion sein.

Direkte Auslandsinvestitionen. Die enormen, lang angesammelten Geldreserven Chinas müssen investiert werden. Eine besondere Rolle spielen die großen Staatsunternehmen als natürlich finanziell völlig abgesicherte Basis für spekulative Unternehmungen und die Staatsbanken mit überaus günstigen Zinsen für Privatunternehmen.21

Absicherung der Energieversorgung. China verfügt über zu wenige kostengünstige Ressourcen in diesem Bereich. Erdöl und Erdgas müssen aus Russland, dem Nahen Osten und Nordafrika importiert werden. Alternativ dazu wurden im Großraum Zentralasien eine Pipeline nach Kasachstan gebaut (Beineu–Bozoy–Shymkent), Anteile an Energieunternehmen erworben (Kashagan) und ein Abkommen mit Turkmenistan zur jährlichen Lieferung von 25 Milliarden Kubikmeter Erdgas getroffen.

Größerer Einfluss auf die Länder entlang der Seidenstraße. Bereits 2014 wurden 77 Freihandelsabkommen mit Staaten entlang der Route abgeschlossen. China wurde der wichtigste Handelspartner für Kasachstan und Turkmenistan, der zweitwichtigste für Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan. In allen ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens hat längst nicht mehr Russland das Sagen, sondern China. Als Währung für die internationalen Geschäftsabkommen wurde schon der chinesische Renminbi eingeführt.

Dazu kommen weitere politische und strategische Überlegungen verschiedenster Art, etwa die amerikanische Dominanz auf den Weltmeeren definitiv zu beenden, eine Achse Beijing–Moskau–Berlin gegen die USA zu bilden, usw.

Die Schaffung einer adäquaten Infrastruktur zur Verwirklichung dieser gigantischen chinesischen Wirtschaftsoffensive bedeutet die Überbrückung der Strecke zwischen Asien und Europa von rund 6000 Kilometern.

»The belt« umfasst drei Bahnstrecken in Richtung Europa, Route 1 verläuft über Russland nach Berlin, Route 2 über Zentralasien und den Mittleren Osten und Route 3 nach Südostasien.

»The road« ist der lange Weg durch das Südchinesische Meer, an Vietnam vorbei nach Singapur, durch den Indischen Ozean und den Suezkanal zum Mittelmeer.

Ein paar Zahlen vom »Center for Strategic & International Studies« (CSIS) in Washington zu diesem Projekt: Über 60 Länder werden davon erfasst, in ihnen leben 4,4 Milliarden Menschen – 62 % der Weltbevölkerung. Der Handel zwischen diesen Ländern erreichte auch ohne »Belt & Road« in den Jahren von 2014 bis 2016 die astronomische Summe von 3000 Milliarden Dollar.

Da lohnen sich die rund 1000 Milliarden Dollar, die China bereits investiert hat. 26.000 Milliarden Dollar sind laut CSIS insgesamt notwendig. Zum Vergleich – vorstellbar sind diese Summen alle nicht –: die italienische Staatsverschuldung betrug im Februar 2018 genau 2363 Milliarden Euro.22

Der eigentliche Anstoß für diese astronomischen Investitionen, für dieses Jahrhundertprojekt, für dieses Weltwunder, ist in erster Linie ein banaler Überschuss an Produktionskapazitäten.

Nehmen wir den Stahl als klassisches Beispiel für Überproduktion – wir kennen das Problem aus Deutschland. Von der Stahlkrise aktuell betroffen ist der frühere chinesische »Ruhrpott«: Nordostchina, die Mandschurei.

Beispiel einer klassischen Überproduktionskrise: Stahl

Krisen der Stahlindustrie gab es im Kapitalismus immer und überall. Was kann man dagegen tun? Mitte der 1960er-Jahre bildeten die 31 Stahlproduzenten in der Bundesrepublik Deutschland ein Verkaufskartell, um der ruinösen Konkurrenz aufgrund der weltweiten Überkapazitäten zu entgehen. Die eingehenden Aufträge wurden nach einem Quotensystem unter den Unternehmen aufgeteilt. Nach den Wirtschaftswunderjahren war der Bedarf an Stahl zuerst einmal gedeckt, dazu kamen einerseits der zunehmende Einsatz von Ersatzmaterialien – Keramik und besonders Kunststoffe – und andererseits die zunehmende internationale Konkurrenz durch staatlich hoch subventionierte Wettbewerber. Während z. B. Japan auf dem internationalen Stahlmarkt keinerlei Rolle gespielt hatte,23 änderte sich dies in den 1970er-Jahren. Auch Länder wie Brasilien, Algerien, Indonesien und Indien begannen mitzumischen – aber schließlich überholte China alle anderen Staaten.24

Stahlproduktion nach Regionen (Anteile in %)25

Region

1950

1970

1990

2000

2010

2011

2012

NAFTA

47,7

22,6

14,4

15,8

7,9

7,7

7,8

EU

32,5

32,4

24,9

22,8

12,2

11,7

10,9

SU/GUS

13,5

19,4

20,1

11,6

7,6

7,5

7,2

Japan

2,5

15,7

14,3

12,5

7,8

7,1

6,9

China

0,3

3,0

8,7

15,1

44,3

45,1

46,3

andere Länder

3,5

6,9

17,6

22,2

20,2

21,0

20,9

In den frühen 1980er-Jahren wurde die Konkurrenz innerhalb der EG wiederum durch ein Kartell, Eurofer, geregelt: Die Stahlhersteller durften ihre Produkte in den Nachbarländern nicht unter den Preisen der dortigen Konkurrenten anbieten. Zusätzlich gab es staatliche Beihilfen zum Abbau der Überkapazitäten. Trotzdem wurden Fabrikanlagen wie die Westfalenhütte und die Phönix-Hütte von Hoesch in Dortmund sowie die Heinrichshütte von Thyssen in Hattingen geschlossen – und die Anlagen in die Volksrepublik China verkauft. Gleiches geschah mit der Kokerei Kaiserstuhl, der damals modernsten Kokerei Europas: Das gesamte Werk wurde demontiert, an den chinesischen Bergwerkskonzern Yanzhou Coal Mining in der Provinz Shandong verkauft und dort wieder aufgebaut.

Diese Krise kostete vor allem im Ruhrgebiet rund 200.000 Arbeitsplätze. Die Überkapazitäten sind aber bis heute ein Problem geblieben: In Europa betragen sie immer noch 40 bis 50 Millionen Tonnen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl errechnete allerdings für China 2016 einen gigantischen Kapazitätsüberhang von 430 Millionen Tonnen – weltweit wurden im Jahr 2015 rund 1,6 Milliarden Tonnen Rohstahl erzeugt, davon die Hälfte in China.26 China hat in den Jahren 2018 und 2019 so viel Stahl produziert wie England in 150 Jahren – also seit Beginn der Industrialisierung.27

Das traditionelle Zentrum der chinesischen Stahlindustrie liegt im Nordosten des Landes, in den Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang.28 Die Zentralregierung will dort Kapazitäten abbauen – aber die Provinzverwaltungen wollen Betriebsschließungen und Entlassungen verhindern. Der »Chinesische Traum vom Wohlstand« soll nicht ins Wanken gebracht werden. Bis 2017 wurde ein Zehntel der Kapazitäten in der Stahl- und Kohleproduktion abgebaut. Allein der staatliche Konzern Wuhan, der achtgrößte Stahlerzeuger der Welt, kündigte an, nur 30.000 seiner 80.000 Stahlarbeiter noch länger zu beschäftigen. Insgesamt sollen in China in der näheren Zukunft 1,8 Millionen Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie wegfallen.

Ist der Wahnsinnsaufwand der »Belt & Road«, sind die Fantastilliarden29 für seine Verwirklichung die Lösung dieses Problems? Eine Überproduktion dieser Dimension zeigt wohl bereits eindeutig, dass von einer Planwirtschaft in China nicht mehr die Rede sein kann. Nur der weltweite Export von Waren und Kapital kann noch helfen. Der Westen ist ökonomisch und finanziell gegenüber seinem asiatischen Konkurrenten im Defizit – und zwar in einem hohen Ausmaß. 2018 betrug das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China 621 Milliarden Dollar, bei den EU-Staaten waren es 215 Milliarden Dollar, zusammen 836 Milliarden Dollar. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl bedeutet dies, dass jeder der 1,4 Milliarden Chinesen für 600 Dollar mehr Waren in den Westen exportiert, als er von dort bekommt. Xi Jinpings Erklärungen zur Förderung des Handels im Innern sind reine Propaganda.

Einige Daten von 2017:30

China: Export 2500 Mrd. US-Dollar, Import 2135 Mrd., Überschuss: 365 Milliarden. Handelswachstum 2,3 % – weltweit 3,5 %, also bedeutend geringer. Der Export entspricht 19,5 % des Bruttosozialprodukts (BSP), der Import 18,7 %.

Deutschland: Export 1560 Mrd. US-Dollar, Import 1290 Mrd., Überschuss 270 Milliarden. Handelswachstum: 3,15 %. Der Export entspricht 47,4 % des BSP, der Import 41,25 %.

Die Bedeutung des Exports für die deutsche Wirtschaft ist weltweit einzigartig. Der vergleichsweise geringe Anteil von Export/Import am BSP in China ist die Konsequenz der enormen Größe und Vielfalt dieses Landes – China ist eine Nation, die sich überwiegend selbst versorgt.

6 Italy’s plan to join the Belt and Road Initiative a pragmatic path to boosting its economy; Global Times vom 21. März 2019; http://www.globaltimes.cn/content/1142986.shtml (chinesische Tageszeitung in englischer Sprache)

7 F. Santelli, Italia-Cina, dai porti all’energia ai reperti archeologici: ecco i 29 accordi firmati; Repubblica vom 23. März 2019

8 »As of today, CCG has grown into the largest non-governmental think tank in China with headquarters in Beijing and offices in Shanghai, Shenzhen, Guangzhou, Qingdao and Hong Kong as well as representatives in major cities abroad, hiring nearly 100 in-house researchers and staff«. http://en.ccg.org.cn/

9 F. Santanelli, »L’economia italiana non va da nessuna parte, Roma ha bisogno della Cina«, Repubblica vom 22. März 2019

10 Die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), 2015 offiziell gegründet, hat – wie der Name sagt – den Zweck, die Entwicklung der Infrastruktur und anderer strategisch wichtiger Sektoren (Energie, Telekommunikation, etc.) in Asien zu finanzieren. Zu den 57 Mitgliedsstaaten gehört auch Italien. Fast eine kleine Weltbank. Der chinesische Staat hat einen Anteil von 26,1 Prozent und besitzt ein Vetorecht.

11 Fernsehbericht der Abendschau im BR unter dem verheißungsvollen Titel »Au wird chinesisch«.

12https://www.jungewelt.de/artikel/350518.direktinvestitionen-volksrepublik-auf-einkaufstour.html

13 Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständliche Notizen zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln 2018. Auszüge in: www.globallookpress.com und rt.deutsch vom 16. Dezember 2018

14 Am 12. März 2019 veröffentlichte die EU-Kommission ihre »Gemeinsame Mitteilung« an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat (Zehn-Punkte-EU-Papier): »EU-China – Strategische Perspektiven«.

15 Welthandelsmacht. Chinas milliardenschweres Megaprojekt einer »maritimen Seidenstraße«, Junge Welt vom 7. Dezember 2017. https://www.jungewelt.de/artikel/323152.welthandelsmacht.html

16 André Vatter, Danke Griechenland! Deutsche Telekom fährt Gewinne ein, https://www.basicthinking.de/blog/2009/11/05/danke-griechenland-deutsche-telekom-faehrt-gewinne-ein/

17Junge Welt vom 9. Juli 2020

18 Siehe Werner Rügemer, Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018.

19 Das Projekt »Belt & Road« schließt den Landweg wie auch die Meeresroute von China nach Europa ein. Auch letztere ist von enormer Bedeutung. Wie Perlen an einer Kette reihen sich die von China kontrollierten Häfen aneinander: Hongkong, Gwadar, Djibouti, Athen … Und diese Politik ist für die chinesische Wirtschaft sinnvoll: Der globale Handel spielt sich zu einem großen Teil auf dem Meer ab, beispielweise passieren 75 % der chinesischen Erdölimporte die Meeresenge von Malakka. In diesem Zusammenhang ist auch die imperialistische Politik Chinas gegenüber den vietnamesischen Inseln zu sehen, auf die später noch eingegangen wird. Der Landweg ist kürzer – 14 bis 18 Tage im Vergleich zu 30 bis 40 Tagen auf der See – aber um 25−30 % teurer. Allerdings kommen noch andere Faktoren hinzu, wie etwa die Zuverlässigkeit der Transporte auf dem Land, während es auf dem Meer doch Probleme mit Wetter und Klima geben kann. Z. B. können bei zu niedrigen Temperaturen im Winter elektronische Geräte nicht mit dem Schiff transportiert werden.

20http://en.ccg.org.cn/

21 Darunter besonders die China Development Bank und die Export-Import Bank of China.

22 Die Summe entspricht 132,2 % des italienischen Bruttosozialprodukts. Repubblica vom 6. April 2019

23 1913: 0,3 % der Weltrohstahlerzeugung, 1950: 2,5 %, 1973: 23 %. Zahlenangaben aus: https://www.chemie-schule.de/KnowHow/Stahlkrise

24http://www.stahl-online.de//index.php/statistiken#konjunkturlage.World Steel Association, Statistics.

25 2011 war das mit großem Abstand bedeutendste Herstellerland China mit 683,3 Millionen Tonnen, 2010 mit 626,7 Millionen Tonnen. Dies blieb so 2017 mit 832 Millionen Tonnen. Der chinesische Anteil an der weltweiten Produktion lag bei 45,1 %. 2017 wurden weltweit insgesamt 1691 Mio. Tonnen Stahl produziert.http://www.stahl-online.de//index.php/statistiken#konjunkturlage. World Steel Association, Statistics

26https://www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Fakten-Stahlkrise.Mai 2016/, Ausgabe 21

27https://www.finanzen100.de/finanznachrichten/wirtschaft/krasse-statistik-china-produziert-in-nur-zwei-jahren-so-viel-stahl-wie-england-in-150-jahren_H2004508578_258628/

28 Dort sind auch die Erdölfelder, auf denen während der Kulturrevolution die Kampagne »Lernt von Dajing« begann.

29 Ein Begriff von Dagobert Duck.

30https://wits.worldbank.org/CountryProfile/en/VNM

Die Route über das Meer: die Politik Chinas an Asiens Küsten

Der massenhafte Transport und Verkauf chinesischer Produkte in Europa – und entlang des Weges dorthin – bedarf ebenso wie der Kapitalexport in Form von Ankäufen und Industrieneuansiedlungen einer »mega-galaktischen« Infrastruktur. Finanziert wird diese über die »Asian Infrastructure Investment Bank« (AIIB), weitere Investitionen laufen über den staatlichen »Seidenstraßen-Fonds«, der über umgerechnet 20 Mrd. US-Dollar verfügt, staatliche Banken sagten weitere 55 Mrd. US-Dollar zu, usw.

Konzentrieren wir uns auf den Seeweg. Über die Bedeutung der Containerschifffahrt für den Welthandel gibt es keine Zweifel: 2017 wurden zehn Milliarden Tonnen Waren über die Weltmeere transportiert – 15-mal so viel wie 1980.31

Die »Maritime Seidenstraße« verläuft von China in Richtung Süden, an der Küste Vietnams vorbei, dann direkt zur Straße von Malakka, der Meerenge zwischen Sumatra und Malaysia – dem unverzichtbaren Verbindungsweg zwischen dem Südchinesischem Meer und dem Indischem Ozean. Dort liegt Singapur, der zweitgrößte Hafen der Welt, an dem Chinas Staatsreederei COSCO Anteile besitzt. Zur Absicherung schlug China Indonesien vor, gemeinsam den Bau von rund 30 modernen Häfen entlang seiner Küsten zu finanzieren. Auch in Kyaukpyu an der Küste von Myanmar, immer schon ein chinesischer Trabant, baut die Volksrepublik einen neuen Hafen und im benachbarten Bangladesch wird der Hafen von Chittagong erweitert und ein neuer Tiefwasserhafen in Sonadia angelegt.

Nächste Station ist Sri Lanka, dort hat China 2017 den Hafen von Hambantota zu 70 Prozent übernommen. Er soll zum Knotenpunkt des künftigen Warenverkehrs zwischen Südasien und Afrika werden.

Im Südwesten Pakistans hat die Volksrepublik in Gwadar einen Tiefwasserhafen errichtet – ihm ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Er wird über eine neue Eisenbahnlinie mit Chinas Region Xinjiang verbunden. Die Gesamtkosten der Projekte belaufen sich auf umgerechnet 54 Milliarden US-Dollar – Gwadar soll ein Drehkreuz zwischen Ostasien, Arabien, Afrika und Europa werden. Indien verfolgt die Aktivitäten wegen seiner Sicherheitsbedenken und aus der Sorge heraus, eigene Häfen würden ins Abseits gedrängt mit gehöriger Skepsis.

Einen kleinen Brückenkopf leistet sich Beijing auch auf den Malediven: Der Ausbau des Flughafens und seine Verbindung mit der Hauptinsel Malé durch eine gewaltige Brücke wird von China sowohl finanziert als auch bautechnisch verwirklicht. Dann Ostafrika: Im tansanischen Bagamoyo vor der Insel Sansibar entstehen ein supermoderner Tiefwasserhafen, eine Satellitenstadt, ein Flugplatz und ein Industriegebiet. Dieses Zehn-Milliarden-Dollar-Projekt wird von China und Oman finanziert. Mit chinesischem Kapital wurde auch ein Schienen- und Straßennetz vom kenianischen Hafen Mombasa zur Hauptstadt Nairobi finanziert. China hat sich im Gegenzug das Recht gesichert, für geschätzte 25,5 Milliarden Dollar nordöstlich von Mombasa den sogenannten Lamu-Komplex zu bauen – einen riesigen Containerhafen mit 32 Liegeplätzen, angrenzenden Industriearealen und neuen Verkehrsverbindungen bis in den Südsudan und nach Äthiopien. Die nötige Energieversorgung wird durch ein Zwei-Milliarden-Dollar-Kohlekraftwerk gesichert.

Auf dem Weg zum Mittelmeer besitzt China seit Sommer 2017 auch einen militärischen Stützpunkt – Dschibuti, am Golf von Aden, direkt neben den Kriegshäfen anderer Großmächte. Es handelt sich um den ersten Einsatz der chinesischen Armee außerhalb der Heimat in ihrer Geschichte.

Ob man will oder nicht – bei dieser stichwortartigen Beschreibung der Schaffung dieses neuen asiatisch-europäischen Handelsseeweges erinnert man sich an den alten britischen Kolonialismus – Queen Victoria, Britannia rules the waves – Gibraltar, Malta, Zypern, Somaliland, Indien …

Durch den Suezkanal gelangt man schließlich ans Ziel: Europa. Von Piräus und den italienischen Häfen, die bereits Eigentum Chinas sind, geht es weiter nach Westen: Etwa 2,5 Milliarden US-Dollar will Beijing in den Ausbau der Containerhäfen von Sines, Lissabon und Leixoes investieren: Portugal soll als globales logistisches Drehkreuz am Atlantik fungieren. Im Norden haben chinesische Firmen etliche Beteiligungen an Häfen, so etwa die COSCO in Rotterdam, die SIPG als Hafenbetreiber von Schanghai im belgischen Zeebrügge und CK Hutchison, ein privater in Hongkong ansässiger Konzern, in Rotterdam, Venlo, Duisburg, Felixstowe, Gdynia und Barcelona.

Fast zwei Drittel der 50 größten Häfen der Welt sind entweder in chinesischem Besitz oder China hat Anteile daran.

Um das Thema Eigentum gleich vorweg zu nehmen:32 Wenn man von Chinas Investitionen spricht, wer investiert denn eigentlich? Der chinesische Staat oder chinesische Privatunternehmen?

Beispiel Afrika. Der linke Journalist Jörg Kronauer – der Chinas Politik verteidigen will – schreibt unter Berufung auf den McKinsey-Bericht eines amerikanischen Beratungsunternehmens, 90 Prozent der chinesischen Unternehmen, die in diesem Kontinent arbeiten, seien Privatunternehmen.33 89 Prozent der dort Beschäftigten kommen aus dem jeweiligen afrikanischen Land – ganz im Gegensatz zu den chinesischen Unternehmen in Vietnam und Belutschistan. Wie arbeiten die chinesischen Firmen dort? Genauso wie die westlichen kapitalistischen Konzerne.

»Ein Drittel von ihnen habe zudem neue Technologien in den afrikanischen Markt eingeführt. Dadurch sei es in einer Reihe von Fällen gelungen, die Preise der hergestellten Waren für den afrikanischen Markt um bis zu 40 Prozent zu senken.«34

Problematisch ist diese Geschäftspolitik auf den afrikanischen Märkten, nicht auf denen der hoch entwickelten kapitalistischen Länder. Die Kleinproduktion in Landwirtschaft und Handwerk hat dort immer noch eine relativ große Bedeutung und wird von den chinesischen Produkten tendenziell eliminiert.35 Trotzdem stellte das »Afrobarometer«, ein Meinungsforschungsinstitut, das unter anderem vom US-State Department und der Bertelsmann-Stiftung finanziert wird, in einer Umfrage unter fast 54.000 Einwohnern aus 36 afrikanischen Staaten, die repräsentativ für den Kontinent sein sollen, Ende 2016 fest, dass 63 Prozent der Befragten Chinas Einfluss als »eher positiv« oder »sehr positiv« einschätzten, nur 15 Prozent hielten ihn für »negativ«. China wird anders gesehen als die früheren Kolonialmächte – das China zu Zeiten Mao Zedongs war nicht an Geschäftemacherei interessiert, sondern an der Unterstützung Afrikas gegen den gemeinsamen Feind, den westlichen Imperialismus. Heute ist China aus geschäftstaktischen Überlegungen darauf bedacht, dass Investitionen und Kredite wenigstens teilweise auch für die Bevölkerung einen Nutzen haben, beispielsweise werden auch Stromwerke und Eisenbahnen gebaut.

Die Schuldenfalle ist ein klassisches Machtmittel des modernen Imperialismus. China hat von 2000 bis 2015 Kredite in Höhe von 95,5 Milliarden US-Dollar an Afrika vergeben, wenn auch der größte Gläubiger für diesen Kontinent immer noch die USA sind, nicht etwa die ehemaligen europäischen Kolonialmächte. Die chinesischen Kredite haben vergleichsweise niedrige Zinssätze und lange Tilgungsperioden. Es handelt sich gerade bei Projekten im Rahmen von »Belt & Road« auch um längerfristige Investitionen. Ist es von daher wirklich gerechtfertigt, statt von »Hilfe« von »Falle« zu reden?

Im Rahmen des »Forums für Chinesisch-Afrikanische Zusammenarbeit« (FOCAC), das im September 2018 in Beijing zusammentrat, hat die »China Africa Research Initiative« (CARI), die von Jörg Kronauer zitiert wird, sich die chinesischen Darlehen für die afrikanischen Staaten genauer angesehen. Chinesische Kredite spielen in der Republik Kongo, in Dschibuti und in Sambia eine überaus große Rolle:

»Im Kongo war die Lage so unübersichtlich, dass der Präsident im Juli 2018 persönlich nach Beijing reiste, um herauszufinden, wie stark sein Land nun eigentlich verschuldet war; es sind wohl 7,1 Milliarden US-Dollar. Dschibuti wiederum wird mehr als drei Viertel seiner Außenstände an chinesische Banken zurückzahlen müssen. Und Sambia, das insgesamt Außenstände von 8,7 Milliarden US-Dollar hat, schuldet China 6,4 Milliarden US-Dollar.«36

»Diese drei Länder haben in der Tat wegen chinesischer Darlehen ein ernstes Problem. Wie Beijing damit umgeht, wird für seine Afrikapolitik eine Probe aufs Exempel sein.«37

Welche Politik betreibt China tatsächlich in jenen Ländern, die keine wirtschaftliche und politische Machtposition wie etwa Deutschland haben?

Für den Westen stellt China eine kapitalistische Konkurrenz dar. Die deutsche Bundesregierung ist in Sorge, US-Präsident Donald Trump in Panik. Die Interessen des einheimischen Kapitals müssen verteidigt werden. Den Arbeitern und Angestellten kann es aber egal sein, wem jetzt die Aktienmehrheit gehört. Anders ist es in den Ländern Asiens entlang der »Road«, in Staaten, die bis heute von den imperialistischen Mächten abhängig sind. Zwei Beispiele dafür sind Vietnam38 und Pakistan.

Beispiel: Vietnam