Choreografien des Lernens und Lehrens im Fachbereich Bewegung und Sport - Eric Jeisy - E-Book

Choreografien des Lernens und Lehrens im Fachbereich Bewegung und Sport E-Book

Eric Jeisy

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Beschreibung

Mit der methodischen Gestaltung des Unterrichts im zeitlichen Verlauf werden, bewusst oder unbewusst, immer auch die Lernverläufe von Schülerinnen und Schüler gegliedert und strukturiert. Um Lehrpersonen eine Orientierungsgrundlage zur theoriegeleiteten Planung, Gestaltung und Analyse von Lernverläufen im Sportunterricht zu geben, werden in dieser Arbeit vier Lern-Lehrmodelle (sogenannte Basismodelle) entwickelt. Sie bieten Lehrkräften eine Strukturierungshilfe, um den zeitlichen Unterrichtsverlauf mit den Lernverläufen der Schülerinnen und Schüler in Einklang zu bringen. Die Basismodelle (problembasiertes Lernen, erfahrungsorientiertes Lernen, Lernen am Modell, differenzielles Lernen) wurden mithilfe einer design-based research-Strategie entwickelt und überprüft. Videoanalysen von basismodellorientiertem Unterricht und anschließende Interviews mit den Lehrpersonen zeigen u. a., dass die vier Basismodelle eine wertvolle und von den Lehrpersonen geschätzte Orientierungshilfe zur variablen und theoriegeleiteten Lernverlaufsgestaltung im Sportunterricht darstellen. Sie helfen Lehrpersonen den Unterricht aus der Perspektive der Lernenden zu planen und die Unterrichtsverlaufsstruktur an den intendierten Lernprozessen der Schülerinnen und Schülern auszurichten.

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Seitenzahl: 408

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SportforumBand 30

Choreografien des Lernens und Lehrensim Fachbereich Bewegung und Sport

Sportforum

Dissertations- und Habilitationsschriftenreihe

Band 30

Eric Jeisy

Choreografien des Lernens undLehrens im Fachbereich Bewegungund Sport

Eine design-based research-Studie zur

Entwicklung von Lern-Lehr-Modellen für die

Lernverlaufsgestaltung im Sportunterricht

Dissertation

zur Erlangung des Doktorgrades im

Interfakultären Fachbereich für Sport- und Bewegungswissenschaft

der Paris-Lodron-Universität Salzburg

eingereicht bei:

Prof. Dr. Rudolf Stadler (Erstgutachter)

Prof. Dr. Dietrich Kurz (Zweitgutachter)

Salzburg, März 2013

Meyer & Meyer Verlag

Herausgeber der Schriftenreihe Sportforum:

Prof. Dr. Hans-Peter Brandl-Bredenbeck

Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider

Prof. Dr. Christoph Breuer

Prof. Dr. Ulrike Burrmann

Prof. Dr. Dieter Hackfort

Prof. Dr. Erich Müller

Prof. Dr. Ralf Sygusch

Prof. Dr. Walter Tokarski

Betreuer dieses Bandes:

Prof. Dr. Ralf Sygusch

Prof. Dr. Ulrike Burrmann

Choreografien des Lernens und Lehrens im Fachbereich Bewegung und Sport

Eine design-based research-Studie zur Entwicklung von Lern-Lehr-Modellen für die

Lernverlaufsgestaltung im Sportunterricht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2014 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Hägendorf, Indianapolis, Maidenhead, Singapur, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World

Sport Publishers’ Association (WSPA)

ISBN 9783840335297

E-Mail: [email protected]

www.wissenschaftundsport.de

www.dersportverlag.de

Inhalt

DANK

1   EINLEITUNG

1.1   PROBLEMSTELLUNG UND FORSCHUNGSZIELE

1.2   DESIGN-BASED RESEARCH ALS FORSCHUNGSSTRATEGIE

1.3   DISZIPLINÄRE VERORTUNG UND AUFBAU DER ARBEIT

2   CHOREOGRAFIEN DES LERNENS UND LEHRENS

2.1   BASISMODELLE ALS RHYTHMUS DES LERNENS

2.1.1   Sichtstruktur und Basisstruktur des Unterrichts

2.1.2   Lernzieltypen, Basismodelle und Lernetappen

2.1.3   Forschungsergebnisse

2.1.4   Rezeption, Kritik und Einschätzung

2.2   LERNEN UND LEHREN AUS SICHT DER SPORTDIDAKTIK

2.2.1   Lern-Lehr-Modelle in der Sportdidaktik

2.2.2   Instructional Models for Physical Education

2.3   UNTERRICHTSMODELL DES LERNENS UND LEHRENS IM SPORT

2.3.1   Sportunterricht als erlebnishaftes Handlungsgeschehen

2.3.2   Kompetenzorientierung und Lehr-Lernziel-Formulierung

2.3.3   Ein Unterrichtsmodell für den Fachbereich Bewegung und Sport

3   BASISMODELLE IM UNTERRICHTSFACH BEWEGUNG UND SPORT

3.1   ZUR GENESE FACHSPEZIFISCHER BASISMODELLE

3.1.1   Selektion und Modifikation bestehender Basismodelle

3.1.2   Designprinzipen

3.1.3   Ausgewählte Basismodelle für den Sportunterricht

3.2   PROBLEMBASIERTES LERNEN

3.2.1   Definition und Begriffsverständnis

3.2.2   Zielsetzung und Kompetenzorientierung

3.2.3   Prozessmodell und Lernetappen

3.2.4   Hinweise zur Lernbegleitung und Instruktion

3.2.5   Tipps zur Umsetzung und kommentiertes Beispiel

3.2.6   Ergänzende Bemerkungen, Kritik und persönliche Einschätzung

3.3   ERFAHRUNGSORIENTIERTES LERNEN

3.3.1   Definition und Begriffsverständnis

3.3.2   Zielsetzung und Kompetenzorientierung

3.3.3   Prozessmodell und Lernetappen

3.3.4   Hinweise zur Lernbegleitung und Instruktion

3.3.5   Tipps zur Umsetzung und kommentiertes Beispiel

3.3.6   Ergänzende Bemerkungen, Kritik und persönliche Einschätzung

3.4   LERNEN AM MODELL

3.4.1   Definition und Begriffsverständnis

3.4.2   Zielsetzung und Kompetenzorientierung

3.4.3   Prozessmodell und Lernetappen

3.4.4   Hinweise zur Lernbegleitung und Instruktion

3.4.5   Tipps zur Umsetzung und kommentiertes Beispiel

3.4.6   Ergänzende Bemerkungen, Kritik und persönliche Einschätzung

4   LERN-LEHR-BROSCHÜRE

4.1   KONZEPTION DER LERN-LEHR-BROSCHÜRE

4.2   UNTERRICHTEN MITHILFE VON BASISMODELLEN

4.3   ALLGEMEINES PLANUNGSRASTER

5   METHODE

5.1   FORSCHUNGSSTRATEGIE UND METHODENWAHL

5.1.1   Design-based research (DBR)

5.1.2   Design-based research in der Forschungslandschaft

5.1.3   Richtlinien und Umsetzung

5.1.4   Zur Methodenwahl zwischen Videostudie und Expertenbefragung

5.2   UNTERSUCHUNGSDESIGN UND INTERVENTIONSGESTALTUNG

5.2.1   Iterative Entwicklungs- und Erhebungszyklen im Untersuchungsdesign

5.2.2   Auswahl der Schulen und Stichprobengewinnung

5.2.3   Schulung der Lehrpersonen im Umgang mit den Basismodellen

5.3   UNTERRICHTSBEOBACHTUNGEN

5.3.1   Wahl des Kamerasystems und der Beobachtungsart

5.3.2   Kameraskript

5.3.3   Aufnahmeprotokoll

5.3.4   Datenschutz

5.4   WEITERE ERHEBUNGS- UND ANALYSEINSTRUMENTE

5.4.1   Systematisches Beobachtungsinstrument

5.4.2   Videogestütztes Interview mit den Lehrpersonen

5.4.3   Kurzfragebogen für Lehrerinnen und Lehrer

5.4.4   Kurzfragebogen für Schülerinnen und Schüler

5.5   AUSWERTUNGSSTRATEGIE UND ANALYSEVERFAHREN

5.5.1   Leitfadeninterview

5.5.2   Fragebogen

6   ERSTER ZYKLUS

6.1   ZIELSETZUNG UND FRAGESTELLUNGEN

6.2   AUFGABENSTELLUNG UND IMPLEMENTIERUNG

6.3   VERSUCHSTEILNEHMERINNEN UND VERSUCHSTEILNEHMER

6.3.1   Lehrpersonen

6.3.2   Schülerinnen und Schüler

6.4   VARIABLENBÜNDELUNG UND SKALENBILDUNG

6.4.1   Faktorenanalyse

6.4.2   Reliabilitätsanalysen

6.5   DIE UNTERRICHTSBEOBACHTUNG – EIN ERFAHRUNGSBERICHT

6.5.1   Datenerhebung und Datenaufbereitung

6.5.2   Videoanalyse und Experteninterviews

6.6   RESULTATE

6.6.1   Die gefilmten Unterrichtssequenzen aus Sicht der Lehrpersonen

6.6.2   Die Rahmentheorie und die Lern-Lehr-Broschüre

6.6.3   Die Basismodelle im Unterrichtsalltag

6.6.4   Innovationsgehalt und Lerneffekt

6.6.5   Allgemeine Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge

6.6.6   Basismodellorientierter Unterricht aus Sicht der Schülerinnen und Schüler

6.7   DISKUSSION

6.8   RE-DESIGN

6.8.1   Überarbeitung der Lern-Lehr-Broschüre

6.8.2   Erweiterung der Basismodelltheorie

7   ZWEITER ZYKLUS

7.1   ZIELSETZUNG UND FRAGESTELLUNGEN

7.2   DIFFERENZIELLES LERNEN

7.2.1   Definition und Begriffsverständnis

7.2.2   Zielsetzung und Kompetenzorientierung

7.2.3   Prozessmodell und Lernetappen

7.2.4   Hinweise zur Lernbegleitung und Instruktion

7.2.5   Tipps zur Umsetzung und kommentiertes Beispiel

7.2.6   Ergänzende Bemerkungen, Kritik und persönliche Einschätzung

7.3   AUFGABENSTELLUNG UND IMPLEMENTIERUNG

7.4   METHODISCHES VORGEHEN UND STICHPROBE

7.5   RESULTATE

7.5.1   Zur Planung der Unterrichtssequenz

7.5.2   Differenzielles Lernen im Unterrichtsalltag

7.5.3   Innovationspotenzial und Lerneffekt

7.5.4   Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge

7.5.5   Die Basismodelle und der erste Zyklus im Rückblick

7.6   DISKUSSION

8   GESAMTDISKUSSION UND AUSBLICK

8.1   BILANZIERUNG DER ENTWICKLUNGSZIELE

8.2   WEITERFÜHRENDE FORSCHUNGSFRAGEN

8.3   KONSEQUENZEN FÜR DIE UNTERRICHTSPRAXIS UND ZU WEITERFÜHRENDEN IMPLEMENTIERUNGSMÖGLICHKEITEN

8.4   REFLEXIONEN ZUR GEWÄHLTEN FORSCHUNGSSTRATEGIE

9   ZUSAMMENFASSUNG DER ARBEIT

LITERATUR

ANHANG

Dank

So viele Menschen haben mich auf dieser langen und spannenden Reise begleitet, unterstützt, motiviert, verstanden und ertragen. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank!

Ich beschränke mich an dieser Stelle darauf, diejenigen Personen zu erwähnen, die mit konstruktiver Kritik diese Arbeit mitgeprägt und mit ihren Sprachkenntnissen Schlimmeres verhindert haben oder die als Entwicklungspartnerinnen und -partner für das Gelingen dieses Forschungsvorhabens unentbehrlich waren.

Ein Merci an Prof. Walter Mengisen, Dr. Roberta Antonini Philippe und Prof. Dr. André Gogoll für die sehr großzügige institutionelle Unterstützung und vertrauensvolle Betreuung dieser Arbeit.

Meiner Familie, besonders meiner Schwester Nicole, sowie Florian, Tabea, Matthias, Corinne, Isolde und Anania danke ich für die Unterstützung bei den Videoaufnahmen, vielfältigste Lektorats- und Korrekturarbeiten und vieles, vieles mehr.

Den Lehrkräften des Gymnasiums Burgdorf und ihren Schülerinnen und Schülern danke ich für ihre Bereitschaft, sich im Unterricht filmen zu lassen und für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Basismodelle.

Ganz besonders möchte ich meinen Betreuern und Gutachtern danken: Prof. Dr. Günter Amesberger, Prof. Dr. Dietrich Kurz und Prof. Dr. Rudolf Stadler. Die fachkundige Unterstützung, die Geduld, das Vertrauen sowie die Empathie, mit der sie mir in fachlichen und persönlichen Krisenzeiten beigestanden sind, haben mich tief beeindruckt und sowohl fachlich wie menschlich geprägt. Herzlichen Dank!

1    Einleitung

1.1   Problemstellung und Forschungsziele

Wenn Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht planen und gestalten, dann strukturieren sie dabei unter anderem den zeitlichen Verlauf des Unterrichts. Ausgehend von der jeweiligen Zielsetzung, gliedern sie die einzelnen Schulstunden in verschiedene Phasen, mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Organisationsformen. Dabei strukturieren sie – bewusst oder unbewusst – auch den zeitlichen Verlauf der Lernprozesse ihrer Schülerinnen und Schüler. Videostudien im Physikunterricht und in anderen Fachbereichen haben gezeigt, dass diese Strukturierung der Lernverläufe entscheidend zu einem gelingenden Lernen beitragen kann (Draxler, 2006; Haenni, 1996; Sarasin, 1995; Trendel, Wackermann & Fischer, 2007, 2008; Wackermann, 2008; Wagner, 1999) und dass eine theoriegeleitete Strukturierung des Lern-Lehr-Prozesses auf der sogenannten Basis- oder Tiefenstruktur des Unterrichts ein entscheidendes Qualitätsmerkmal guten Unterrichts darstellt (Bähr, 2009; Helmke, 2009; Kiper & Mischke, 2004; Klette, 2007; Kunter & Voss, 2011; Meyer, Pfiffner & Walter, 2007; Pauli & Reusser, 2006; Prenzel, 2009; Messner & Reusser, 2006).

Lehren, so die viel geteilte Meinung unter Unterrichtsforschern und Didaktikern, sollte konsequent aus der Perspektive der Lernenden geplant werden, und die Kunst des Unterrichtens besteht im Wesentlichen darin, den Unterrichtsverlauf mit dem Lernverlauf der Schülerinnen und Schüler in Einklang zu bringen (Alexander, Schallert & Reynolds, 2009; Helmke, 2009; Mayer, 2008; Meyer, 2004; Prenzel, 2009; Sawyer, 2006). Hascher (2009, S. 169) fordert für die Schule der Zukunft, dass Lehrpersonen sich zu Expertinnen und Experten des Lernens entwickeln müssen, welche ihr Lehren primär am Lernen der Schülerinnen und Schüler ausrichten, und Helmke (2009) gibt zu bedenken, dass die Wirksamkeit des Unterrichts eigentlich nur dann begriffen werden kann, wenn man „vom Lernen her denkt“ (S. 15). Dieser Grundgedanke liegt auch einer allgemeindidaktischen Theorie von Oser und Patry (1990) zugrunde. Ihnen ist es gelungen, Lernverläufe aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern zu beschreiben, und als Lern-Lehr-Modelle (Basismodelle) so aufzubereiten, dass Lehrpersonen bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung darauf Bezug nehmen können. Zahlreiche fachdidaktischen Adaptionen dieser Theorie haben den Nutzen der Basismodelle für die variable Lernverlaufsgestaltung unter Beweis gestellt. Im Fachbereich Bewegung und Sport hingegen finden wir bisher keine gleichermaßen elaborierte und empirisch geprüfte Lern-Lehr-Theorie.

In der Vergangenheit wurde das Verhältnis zwischen Lernen und Lehren zu einseitig interpretiert und man begnügte sich damit, methodische Hinweise zum Lehren zu formulieren, die sich direkt auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler auswirken sollten. Erdmann und Amesberger (2008) bilanzieren im historischen Rückblick, dass lange Zeit das Sportlehrerhandeln im Mittelpunkt pädagogisch-didaktischer Überlegungen für den Sportunterricht stand und eine „nahezu deterministische Verknüpfung von Lehren und Lernen die Ansätze bestimmte“ (S. 663). Während man in älteren Didaktik- oder Methodiklehrbüchern (z. B. Egger, 1991; Grössing, 2007: Erstauflage 1977; Fetz, 1996: Erstauflage 1979; Bielefelder Sportpädagogen, 2007: Erstauflage 1998) noch allgemeine Hinweise zur Lernverlaufs- oder Lernwegsgestaltung findet, fehlen entsprechende Angaben in neueren Werken teilweise vollständig. Lernen wird von Autoren wie Lange und Sinning (2010) oder Prohl (2012) in einem bildungstheoretischen Verständnis als selbstverantwortender Lernprozess betrachtet, der möglichst frei zu gestalten und deshalb auch nicht näher (schon gar nicht bewegungswissenschaftlich) zu bestimmen ist.

Der rote Faden einer Sportlektion wird in der Regel in einer thematischen Schwerpunktsetzung gesehen und die Wahl der Aktions- und Organisationsformen orientiert sich am Thema und weniger an den Lernprozessen der Schülerinnen und Schüler (vgl. Eidgenössische Sportkommission, 2005; Gower, 2010; Mally, 2009; Reckermann, 2004). Gemäß einer empirischen Untersuchung von Schmoll (2005, S. 215) folgt die Unterrichtsplanung von Sportlehrpersonen einem fixen Schema. Zuerst wird ein Themenbereich festgelegt und nach einer inhaltlichen Klärung des gewählten Themas folgt eine Planung über den zeitlichen Verlauf des Unterrichtsvorhabens. Zielführende und erfolgreiche Stundenverläufe werden von der Lehrperson abgespeichert und bei Bedarf in gleicher oder ähnlicher Form mit neuen Klassen reproduziert. So entwickeln Lehrpersonen über kurz oder lang ein „individuelles Strickmuster“ (Meyer, 1987, S. 133) der Phasierung des Unterrichts. Meyer (2004) sieht eine der wichtigsten Aufgaben der Didaktik darin, solche erfahrungsbasierten Muster immer wieder zu durchbrechen und auf einer theoretischen Basis kritisch zu hinterfragen. Diese theoretische Basis ist aber im Unterrichtsfach Bewegung und Sport bislang erst auf der sogenannten Oberflächenstruktur des Unterrichts hinreichend begründet und soll mit dieser Arbeit um den tiefenstrukturellen Aspekt der Lernverlaufsplanung ergänzt werden (vgl. Oser & Patry, 1990).

Die Bedeutung einer theoriegeleiteten Lernverlaufsgestaltung für die Unterrichtspraxis wird von Laging (2006) wie folgt beschrieben: „Auch wenn sich nur sehr schwer, und je nach Theorie in unterschiedlicher Weise, Aussagen über den Prozess des Lernens machen lassen, so muss jedes methodische Handeln und jedes Methodenkonzept eine Vorstellung davon haben, was Lernen ist“ (S. 71). Die Frage, was Lernen ist, oder präziser, wie Lernen im zeitlichen Verlauf theoriegeleitet gestaltet werden kann, muss deshalb je nach gewählter theoretischer Position jeweils neu gestellt werden. Was ist für einen Lernenden wichtig, um an einem Modell lernen zu können? Was sind wichtige Zwischenziele auf einem erfahrungsorientierten Lernweg? Was kann eine Schülerin oder ein Schüler bei der Lösung eines Problems lernen? Wie lerne ich in möglichst kurzer Zeit eine sportliche Bewegungsfertigkeit? Auf solch vielfältige Fragen wollen wir im Rahmen dieser Forschungsarbeit Antworten finden, um Lehrkräften Orientierungshilfen für eine theoriegeleitete Lernverlaufsplanung bieten zu können. Wie sehen theoretisch begründete und empirisch überprüfbare Lernverläufe im Sport aus und wie lassen sie sich im Unterricht realisieren, lautet die übergeordnete Forschungsfrage, an der wir uns in dieser Entwicklungsarbeit orientieren. Daraus lassen sich drei miteinander verbundene Forschungsziele ableiten. Die vorliegende Dissertation soll

1. … einen Beitrag zur fachdidaktischen Theorieentwicklung liefern, indem Lern-Lehr-Modelle (Basismodelle) zur Lernverlaufsgestaltung im Sportunterricht entwickelt, überprüft und optimiert werden.

Wir teilen die Auffassung von Kinchin (2010), Metzler (2005) sowie Dyson, Griffin und Hastie (2004), dass Lern-Lehr-Modelle oder Instruktionsmodelle ein geeigneter Weg sind, um Sportlehrkräfte für Planungs- und Gestaltungsaspekte im Sportunterricht zu sensibilisieren und ihnen einen praxisbezogenen Orientierungsrahmen für ein lernerzentriertes Lehrerhandeln bieten. Die Modelle erheben den Anspruch, nicht bloß praxisbezogen, sondern praktikabel zu sein. Um dies zu gewährleisten, werden die Basismodelle in enger, partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Sportlehrpersonen im Feld entwickelt. Daraus ergibt sich das zweite Entwicklungsziel. Die Dissertation soll

2. … auf lokaler Ebene dazu beitragen, Unterrichtspraxis theoriegeleitet zu verbessern und mithilfe einer Lern-Lehr-Broschüre Orientierungsgrundlagen zur modellbasierten Lernverlaufsgestaltung im Sport zu schaffen.

Die Lern-Lehr-Broschüre als Informationsträger soll die Lehrpersonen bei der Umsetzung eines basismodellorientierten Sportunterrichts unterstützen und sie soll auf einen Entwicklungsstand gebracht werden, der weitere Vermittlungszwecke ermöglicht. Die Umsetzung wird im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit mittels einer videogestützten Unterrichtsbeobachtung erfasst und anschließend ausgewertet. Für den Fachbereich Bewegung und Sport liegen noch keine Erhebungsinstrumente zur Erfassung der sogenannten Basis- oder Tiefenstruktur des Lernens im Unterricht vor (vgl. Jeisy, 2009). Aus diesem Defizit in der Methodenentwicklung leitet sich das dritte Forschungsziel dieser Arbeit ab. Die Dissertation soll

3. … das Methodeninstrumentarium der sportbezogenen Lehr-Lern-Forschung um ein systematisches Beobachtungsinstrument zur Lernverlaufsanalyse erweitern.

Anstelle von sportbezogener Lehr-Lern-Forschung könnte es auch „Schulsportforschung“ (Kleiner, 2009a), „Schulsportentwicklungsforschung“ (Balz, 2011a) oder „empirische Unterrichtsforschung auf der Grundlage sportpädagogischer Theorie“ (Bähr, 2008) heißen. Wir teilen die Auffassung von Gräsel (2006a, S. 98), dass Unterrichtsforschung grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet ist, und wir orientieren uns bei der Methodik an den Vorgaben der Lehr-Lern-Forschung und bei der Theorieentwicklung am sportdidaktischen Forschungsstand.

1.2   Design-based research als Forschungsstrategie

Die vorliegende Arbeit beruht auf einer Forschungsstrategie, die entwickelt wurde, um fachbezogene Theorieentwicklung zugunsten einer verbesserten Unterrichtspraxis zu betreiben und Erkenntnisziele mit Nutzenzielen zu verbinden. Design-based research (DBR) oder design research sind die gebräuchlichsten Bezeichnungen für diese noch junge Forschungsstrategie, die sich dadurch auszeichnet, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in enger Zusammenarbeit mit Personen aus dem Bildungswesen Innovationen (Theorien und Materialien) entwickeln und diese in „naturalistisch-kultürlichen Umgebungen“ erproben und weiterentwickeln (vgl. Hug, Friesen, & Rourke, 2007, S. 182). Erklärtes Forschungsziel ist, sowohl zur Theorie als auch zur Praxis einer intelligenten Lern-Lehrprozess-Gestaltung im Schulalltag beizutragen. Barab und Squire (2004) definieren design-based research wie folgt: „Design-based research is not so much an approach as it is a series of approaches, with the intent of producing new theories, artifacts, and practices that account for and potentially impact learning and teaching in naturalistic settings“ (p. 2).

Charakteristisch für DBR-Projekte ist eine iterative, zyklische Vorgehensweise, bei der neuartige „Produkte oder Lehr-Lern-Umgebungen“ entwickelt werden, die im Unterrichtsalltag erprobt und evaluiert werden. Die Entwicklung vollzieht sich in kontinuierlichen Zyklen aus Design (im Sinne von Entwicklung), Erprobung, Analyse und Re-Design (Weiterentwicklung, Überarbeitung). Durch die verschiedenen Zyklen (design-cycles) soll ein möglichst hoher Theoriesättigungsgrad (theory refinement) erreicht werden und gleichzeitig sollen die Produkte zur Herstellung innovativer Lern-Lehr-Umgebungen (hier eine Lern-Lehr-Broschüre) so weit entwickelt werden, dass sie von Lehrpersonen im Unterrichtsalltag produktiv genutzt werden können (vgl. Bannan-Ritland & Baek, 2008; Ejersbo et al., 2008; Juuti & Lavonen, 2006). Veränderte, theoriegeleitete Praxis auf der einen und praxisrelevante, „adaptive Theorien“ (Barab & Squire, 2004, p. 11) oder „Prototheorien“ (Design-based Research Collective, 2003, p. 5) des Lernens und Lehrens (hier die Basismodelle) auf der anderen Seite bilden schließlich die Endprodukte eines DBR-Forschungsprojekts.

Da der DBR-Ansatz in der Sportwissenschaft bisher kaum genutzt wurde, wird er im Methodenteil dieser Arbeit ausführlich beschrieben. Für den Aufbau und das Verständnis der Arbeit ist es allerdings notwendig, die mehrzyklische Vorgehensweise in einem DBR-Forschungsprojekt und die an der doppelten Zielsetzung orientierte Entwicklung von Modellen (den Basismodellen) und Materialien (die Lern-Lehr-Broschüre) zu kennen. So folgt die Berichterstattung in dieser Arbeit nicht der üblichen Darstellung von Forschungsergebnissen, da die theoretische und empirische Forschungsarbeit nicht zeitlich vor- und nachgeschaltet verläuft, sondern zyklisch oder spiralförmig aufeinander aufbaut.

1.3   Disziplinäre Verortung und Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit mit ihrer breiten Zielsetzung zwischen fachdidaktischer Modellgenese und Methodenentwicklung in unterrichtspraktischer Absicht orientiert sich am Forschungsstand unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen. Die Rahmentheorie ist der allgemeinen Didaktik als Teilbereich der Erziehungswissenschaft entnommen, während sich die Entwicklung der Erhebungsinstrumente an methodischen Standards der pädagogischen Psychologie (empirische Lehr-Lern-Forschung) orientiert.

Für die fachdidaktische Adaption gilt es, mehrere Teildisziplinen der Sportwissenschaft zu beachten. Neben der Sportpädagogik und -didaktik evoziert die lerntheoretische Grundlegung der Basismodelltheorie, auch die Sportpsychologie und Bewegungswissenschaft ins Blickfeld zu nehmen, da in diesem Bereich substanzielle Beiträge zum Lernen und Lehren im Sport generiert werden. Damit wird ein transdisziplinärer Weg eingeschlagen, der seit einigen Jahren insbesondere von den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken (Biologie, Chemie und Physik) und der Mathematikdidaktik sehr erfolgreich beschritten wird und unter dem Schlagwort der „fachdidaktischen Lehr-Lern-Forschung“ seine semantische Entsprechung fand (vgl. Terhart, 2002, 2005; Arnold, 2006, 2009).

Charakteristisch für die fachdidaktische Lehr-Lern-Forschung ist die produktive Verbindung (fach-)didaktischer, normativer Theorien und Modelle mit dem empirischen Prüfanspruch und den Erhebungsinstrumenten der Lehr-Lern-Forschung. Beides wird im Rahmen dieser Studie entwickelt.

Bevor die fachspezifischen Basismodelle in Kap. 3 auf der Grundlage großer Lerntheorien deduktiv hergeleitet werden, wird in Kap. 2 ein deskriptives Unterrichtsmodell für den Fachbereich Bewegung und Sport skizziert. Es soll dazu beitragen, die präskriptiven und deskriptiven Forschungsziele zu vereinen. Die Darstellung der allgemeindidaktischen Rahmentheorie und ausgewählter Lern-Lehr-Modelle oder Instruktionsmodelle in der Sportdidaktik findet ebenfalls in Kap. 2 Platz.

In Kap. 4 wird die Lern-Lehr-Broschüre beschrieben. Als materiales Produkt (artifact) dieser DBR-Studie dient sie dazu, den Lehrpersonen die Basismodelltheorie näherzubringen und Ideen für die theoriegeleitete Lernverlaufsplanung zu generieren. Sie wird im Theorieteil der Arbeit vorgestellt, weil sie Bestandteil der forschungsbasierten Entwicklungsarbeiten ist. Wie die Basismodelle kann sie empirisch begründet weiterentwickelt und überarbeitet werden (Re-Design).

Die gewählte Forschungsstrategie (design-based research), das Untersuchungsdesign, die einzelnen Erhebungsinstrumente und die Dokumentation der Auswertungsverfahren bilden die Hauptbestandteile des Methodenkapitels 5.

Kap. 6 und 7 umfassen die beiden Entwicklungs- und Erhebungszyklen, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit durchgeführt wurden.

Da die Resultate der beiden Erhebungszyklen in den Kap. 6 und 7 ausführlich diskutiert werden, beschränkt sich die Gesamtdiskussion in Kap. 8 auf eine Bilanzierung der Entwicklungsziele und auf die Formulierung zentraler weiterführender Forschungsfragen sowie Schlussfolgerungen für die Unterrichtspraxis. Eine kritische Würdigung der design-based research-Strategie mit Blick auf ihre Einsatzmöglichkeiten in der sportbezogenen Lehr-Lern-Forschung schließt die Gesamtdiskussion ab.

In Anlehnung an Straka (2007) verwenden wir in der Begriffskombination von Lernen und Lehren den Lernbegriff jeweils an erster Stelle (z. B. Lern-Lehr-Modelle, Lern-Lehr-Broschüre etc.).1 Mit dieser ungewohnten Schreibweise soll betont werden, dass die verschiedenen Basismodelle primär das Lernen modellieren, auf das sich das Lehren als Ermöglichungsstrategie beziehen kann.

Eher ungewohnt dürfte auch die Verwendung des design-based research-Begriffs im englischen Original sein. Da die Entwicklung der Forschungsstrategie auf der Grundlage der englischsprachigen Originalliteratur vollzogen wurde und die Übersetzungen ins Deutsche zum Teil missverständlich (z. B. Design-Forschung) oder begrifflich bereits besetzt sind (z. B. Entwicklungsforschung, vgl. Kap. 5.1.2), haben wir uns für die Originalbezeichnung entschieden. Auch bei wichtigen Ansätzen, wie den instructional models for physical education (Metzler, 2005), wofür es keine korrespondierenden Entwürfe im deutschsprachigen Raum gibt, wird jeweils die Originalbezeichnung in kursiver Schrift verwendet.

1 Eine Ausnahme bildet der Begriff Lehr-Lern-Forschung, da es sich hierbei um die Bezeichnung einer Forschungsdisziplin innerhalb der pädagogischen Psychologie handelt (vgl. Terhart, 2002).

2    Choreografien des Lernens und Lehrens

Die Choreografien des Lernens und Lehrens im Fachbereich Bewegung und Sport stellen eine fachdidaktische Konkretisierung einer allgemeindidaktischen Theorie auf lernpsychologischer Grundlage dar, welche von Oser, Patry und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen eines durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekts entwickelt wurde (vgl. Oser, Patry, Elsässer, Sarasin & Wagner, 1997).2 Die Bezeichnung „Bewegung und Sport“ steht dabei für den obligatorischen Bewegungs- oder Sportunterricht in der Schule, für den verschiedene Fachbezeichnungen gebräuchlich sind (vgl. Fries, Baumberger & Egloff, 2008, S. 34). Mit der Wahl des Terminus „Bewegung und Sport“ wurde die in Österreich übliche Benennung des Fachbereichs übernommen, welche auch im Entwurf eines sich in Arbeit befindlichen Lehrplans für die deutschsprachigen Kantone in der Schweiz zu finden ist (Geschäftsstelle der deutschsprachigen EDK-Regionen, 2010).3 In Deutschland wird vielfach die Bezeichnung „Bewegung, Spiel und Sport“ verwendet.

Die Eingrenzung auf den Bereich des Unterrichts folgt den Vorarbeiten von Oser und Patry (1990). Als Unterricht verstehen wir in Anlehnung an Arnold (2006) „didaktisch geplante und deshalb sowohl thematisch abgrenzbare als auch zeitlich hinreichend umfassende Sequenzen des Lehrens und Lernens im Kontext pädagogischer Institutionen“ (S. 17). Formales Lernen in pädagogischen Institutionen kann dabei als „Lernen unter den Bedingungen des Lehrens“ (Straka & Macke, 2002, S. 36) begriffen werden. Straka und Macke (2002) stellen das Lernen ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens, auf das sich Lehren als Ermöglichungsstrategie beziehen soll. Sie vertreten eine Position, die in der Erziehungswissenschaft an Zuspruch gewinnt, da sie das Verhältnis der beiden Säulen des Unterrichts neu regelt. Gemäß Kiper und Mischke (2004, S. 14) wird didaktisches Denken zunehmend zu einem Nachdenken über die Förderung von Lernprozessen. Auch wir betrachten das Auslösen und Optimieren von Lernprozessen als Ziel des Lehrens, das dem Lernen somit zweckrational vor- und untergeordnet zugleich ist (vgl. Hasselhorn & Gold, 2006, S. 213).

Wir vertreten ein moderat (Duit, 1995) oder gemäßigt (Reinmann & Mandl, 2006) konstruktivistisches Lernverständnis. Lernen im Sinne eines Aufbaus von Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und der Konstruktion von Bedeutung ist ein aktiver und konstruktiver Prozess, bei dem durch die selbst organisierte Verarbeitung äußerer Anregungen und innerer Impulse die eigene Reflexions- und Handlungskompetenz verändert wird (Jank & Meyer, 2002; Helmke, 2009; Lipowsky et al., 2005; Reusser, 1995). Lernen kann nicht direkt vermittelt werden, sondern höchstens von außen angeregt und (vor-)strukturiert werden. Meyer (2004) fasst diese Grundprämisse mit Blick auf das Unterrichtsgeschehen wie folgt zusammen: „Kein Lehrer kann Lernen machen. Lehrer nehmen auf das Lernen nur einen indirekten, wenn auch wichtigen Einfluss, indem sie die Gestaltung der Unterrichtsstrukturen an den vermuteten Lernstrukturen orientieren“ (S. 168).4 Lernverläufe als zeitliche Beschreibungen des Lernens während dem Unterricht sind subjektgebunden und planungsbedürftig zugleich. (Sport-)Lehrpersonen orientieren sich beim Unterrichten immer an mehr oder weniger bewussten Vorstellungen über das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler (Laging, 2006; Light, 2008; Meyer, 2004; Rink, 2009; Rovegno, 2008). Sich dieser Vorstellungen bewusst zu werden und den Unterrichtsverlauf von den Lernverläufen her zu denken, ist das vorrangige Ziel eines basismodellorientierten Unterrichts, der in dieser Arbeit vorgestellt und für den Fachbereich Bewegung und Sport ausgearbeitet wird.

2.1   Basismodelle als Rhythmus des Lernens

„Choreografien unterrichtlichen Lernens“, „Basismodelltheorie“ oder „Theorie der Basismodelle“ sind die gebräuchlichsten Bezeichnungen für die von Oser und Patry (1990) entwickelte allgemeindidaktische Theorie (vgl. Elsässer, 2000). Sie wurde mit dem Ziel geschrieben: „(…) Unterricht auf wissenschaftlicher Grundlage zu verbessern, ohne den Lehrerinnen und Lehrern mehr als notwendig Vorschriften zu machen“ (Oser & Patry, 1990, S. 53). Hintergrund war die Einschätzung, dass sich Lehrpersonen bei der methodischen Gestaltung des Unterrichts stark an den Inhalten orientieren, um einen sachbezogenen roten Faden in den Unterrichtsverlauf zu bringen. Dabei wird häufig die Ebene der theoriegeleiteten und bewussten Lernprozessgestaltung vernachlässigt. Gemäß Oser und Patry (1990) ist dies bedenklich, da zu vielen Aspekten der Lernprozessgestaltung ein reichhaltiges Theorieangebot und empirisch gesichertes Wissen zur Verfügung stehen würde. Allerdings ist dieses Wissen nur selten Bestandteil didaktisch-methodischer Lern-Lehr-Konzeptionen. In einem historischen Abriss über bedeutende didaktische Modelle in der europäischen Tradition und verschiedene angloamerikanische Instruktionsansätze weisen Oser und Baeriswyl (2001) auf diesen blinden Fleck in der didaktischen Theoriebildung hin. Bridging instruction to learning lauten der Untertitel und das Motto des Beitrags von Oser und Baeriswyl (2001) über den eigenen Didaktikentwurf, der das Lernen zum Ausgangspunkt des Lehrens macht und Lehrpersonen Hinweise zur theoriegeleiteten Lernverlaufsgestaltung im Unterricht liefert.

Oser und Patry (1990) führten für ihr Lern-Lehr-Verständnis die Metapher der „Choreografie des Lehrens und Lernens“ ein. Wie beim Tanz geben die Gesetzmäßigkeiten des Lernens den Takt vor, welcher der Lernende (Tänzer) bei der freien Gestaltung seiner Lernprozesse (Tanz) zu beachten hat. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, den Unterricht so zu orchestrieren, dass bei aller Freiheit in der methodischen Ausgestaltung der Grundrhythmus des Lernens eingehalten werden kann. Konkret bedeutet dies, dass Lehrpersonen bei der Gestaltung des Unterrichts (methodische Entscheidungsebene) viele Freiheiten haben, solange sie die Unterrichtsverläufe in Einklang mit den Lernverläufen der Schülerinnen und Schüler bringen. Um Lehrpersonen aus Sicht der Wissenschaft Orientierungshilfen zur theoriegeleiteten Lernverlaufsplanung zu geben, entwickelten die genannten Autoren verschiedene Lern-Lehr-Modelle (Basismodelle). Diese orientieren sich für eine einfache Implementierung an den Planungs- und Handlungsroutinen der Lehrpersonen und enthalten Aussagen über einen gelingenden Lernverlauf im schulischen Kontext. In den folgenden Kapiteln werden die wichtigsten Grundzüge dieser choreografischen Lern-Lehr-Theorie samt ausgewählten Forschungsergebnissen präsentiert.

2.1.1 Sichtstruktur und Basisstruktur des Unterrichts

Ein grundlegendes Element in der Theorie der Basismodelle liegt in der Unterscheidung zwischen einer Sichtstruktur (visible structure/sight stucture) und einer Basisstruktur (basis structure) des Unterrichts (Oser & Patry, 1990; Oser & Baeriswyl, 2001). Die Ebene der Sichtstruktur umfasst alles, was im Unterricht direkt beobachtbar und objektiv feststellbar ist und was frei gestaltet werden kann. „The visible structure represents the free and freely structurable moment in learning”, schreiben Oser und Baeriswyl (2001, p. 1043). Darin enthalten sind Organisationsformen, Sozialformen, Methoden, Kontextbedingungen, Medien etc. Die Sichtstruktur ist die Ebene beziehungsweise der Gegenstandsbereich, worauf die meisten klassischen didaktischen Modelle operieren (vgl. Elsässer, 2000; Reusser, 2009a; Oser & Baeriswyl, 2001). Sie beinhaltet die handlungsbezogenen Elemente und den „methodischen Gang“ des Unterrichts.5 Wenn wir uns eine beliebige Sportstunde ins Gedächtnis rufen, entstehen vor unserem inneren Auge sofort Bilder eines typischen Unterrichtsverlaufs. Wir sehen beispielsweise eine Sportlehrerin, die den Schülern anhand eines Reihenbildes die Technik des Fosburyflops erklärt und Schüler, welche sich anschließend mithilfe einer methodischen Übungsreihe, verteilt auf mehrere Übungsanlagen, der Zieltechnik nähern. Die konkreten Sport-Unterrichtshandlungen sind geprägt von curricularen Vorgaben, situativen und personalen Lern- und Lehrvoraussetzungen und Überlegungen zu den kompetenzorientierten Lern-Lehr-Zielen sowie zu den Unterrichtsinhalten.6 Die Gestaltungsformen auf der Sichtstrukturebene sind äußerst vielfältig, da die verschiedenen Unterrichtselemente fast beliebig kombinierbar sind. Hier ist die Kreativität und Erfahrung der Lehrperson gefordert und die Lehrfreiheit sollte gemäß Oser und Patry (1990) nicht eingeschränkt werden.

Mit der Strukturierung des Unterrichts im zeitlichen Verlauf werden auch die Lernwege der Schülerinnen und Schüler vorgezeichnet und die individuellen Lernverläufe gegliedert. Gemäß Oser und Baeriswyl (2001) bleiben die Lernprozesse und Lernverläufe als innere mentale Operationen (mental operations) des Lerners für Außenstehende verborgen und können nur indirekt aus Beobachtungen erschlossen werden. Sie befinden sich auf der sogenannten Basisstruktur des Unterrichts, die quasi unterhalb und parallel zur Sichtstruktur verläuft. Die Basisstruktur umfasst die durch den Unterricht angeregten Lernprozesse. Der Kerngedanke der „Choreografien unterrichtlichen Lernens“ liegt darin, dass sich diese Lernprozesse als Lernwege im zeitlichen Verlauf typologisieren lassen. Gemäß Oser und Patry (1990) gibt es eine endliche Anzahl schulischer Lernwege, die sich hinsichtlich ihrer Zielsetzung unterscheiden und die jeweils spezifischen lernpsychologischen Gesetzmäßigkeiten folgen: „Die Basisstruktur besteht aus einer für jeden Lernenden absolut notwendigen Kette von Operationen, die nicht durch etwas anderes ersetzt werden kann. Der ganzheitliche Charakter dieser jeweiligen Kette wird bestimmt durch lernpsychologische Gesetzmäßigkeiten einerseits und durch den Typ des Ziels bzw. die Inhalte andererseits“ (S. 3). Für diese notwendige Kette von Operationen formulieren Oser und Patry (1990) zu verschiedene Zieltypen des Lernens sogenannte Basismodelle. Diese enthalten theoretisch begründete Annahmen darüber, wie die verborgene formale Basisstruktur inklusive ihrer lerntheoretischen Gesetzmäßigkeit mit den freien Gestaltungsmöglichkeiten auf der öffentlichen Sichtstrukturebene sinnvoll miteinander zu verknüpfen sind und wie die Freiheit des Lehrens mit den Gesetzmäßigkeiten des Lernens in Einklang gebracht werden kann.7

Die von Oser und Patry (1990) geprägte Unterscheidung in eine handlungsbezogene Sichtstruktur und eine verborgene Lern-Lehrprozess-Ebene (Basisstruktur) hat sich für die empirisch orientierte fachdidaktische Lehr-Lern-Forschung als produktiv erwiesen und in zahlreichen Videostudien bewährt (Gerber, 2007; Göbel, 2007; Helmke, 2009; Klieme & Rakoczy, 2008; Klette, 2007; Pauli & Reusser, 2006; Prenzel, 2009; Reyer, 2004; Trendel et al., 2007, 2008; Wagner, 1999). Dort werden oberflächliche Unterrichtsmerkmale meist mittels niedrig-inferenter Beobachtungssysteme erfasst, während die tiefer liegende Struktur mittels hoch-inferenter Kategoriensysteme registriert wird (ausführlicher in Kap. 5.4.1). Anstelle von Sicht- und Basisstruktur werden die beiden Unterrichtsebenen deshalb auch als Oberflächen- und Tiefenstruktur bezeichnet.8 Reyer (2004) spricht in Anlehnung an die Transformationsgrammatik von Chomsky (1965, zitiert nach Reyer 2004, S. 57) von Oberflächenmerkmalen und Tiefenstrukturen im Unterricht. Auch in der (allgemeinen) Didaktik findet man diese Differenzierung zwischen den genannten Unterrichtsebenen. Meyer (2007, S. 134) geht mit Bezugnahme auf die Theorie von Oser und Patry (1990) sogar so weit zu behaupten, dass sich heute ohne die Unterscheidung von Oberflächenund Tiefenstrukturen kein anspruchsvolles Unterrichtsmodell mehr gestalten lässt.

2.1.2 Lernzieltypen, Basismodelle und Lernetappen

Der theoretische Mehrwert der Choreografien unterrichtlichen Lernens besteht darin, dass die lernpsychologischen Gesetzmäßigkeiten auf der Basisstruktur als Lern-Lehr-Modelle didaktisch ausgearbeitet und nach verschiedenen Zieltypen des Lernens gegliedert werden. Der Begriff „Zieltyp des Lernens“ (vgl. Tab. 1) oder Lernzieltyp (type of learning goal) ist erklärungsbedürftig, da er etwas völlig anderes darstellt, als in den meisten didaktischen Konzeptionen als Lernziel verstanden wird.9 Ein Lernzieltyp lässt sich nicht hierarchisch gliedern (in Richt-, Grob- und Feinziele, vgl. Möller, 1994: Erstauflage 1969) oder nach verschiedenen Persönlichkeitsdimensionen in kognitive, affektive und psychomotorische Bereiche unterteilen, wie in der bekannten Lernzieltaxonomie von Bloom (vgl. Anderson & Krathwohl, 2001). Er besitzt auch keine formale und inhaltliche Komponente (vgl. Elsässer, 2000, S. 11). Ein „Lernzieltyp“ ist eine qualitative Beschreibung eines spezifischen inhaltsübergreifenden Lernwegs, der sich als Verkettung verschiedener Lernoperationen modellieren lässt. „The teleology of the goal type corresponds to the logic of a sequence of steps that stimulates the shortest and most efficient operation” (Oser & Baeriswyl, 2001, p. 1046). Tab. 1 enthält 15 verschiedene Lernzieltypen, mit den jeweils zentralen Lernoperationen und den Titeln der von Oser et al. dazu entwickelten Basismodellen:

Tab. 1: Übersicht über die Basismodelle nach Oser und Baeriswyl (2001, p. 1046)

 BasismodellZieltyp des Lernens1aLernen durch EigenerfahrungAneignung von Erfahrungswissen1bEntdeckendes LernenAneignung durch Suchprozesse in der Wirklichkeit, generalisierendes Lernen2Entwicklung als ErziehungszielTransformation von Tiefenstrukturen (z. B. moralisches Urteil)3ProblemlösenLernen durch Versuch und Irrtum4aWissensaufbau (Begriffsverständnis)Sachverhalte erklären, die Bedeutung eines Wortes verstehen4bKonzeptbildungAufbau von vernetztem Wissen5Kontemplatives LernenReflexive Abstraktion6StrategielernenLernen lernen (Metalernen)7Routinebildung und FertigkeitsentwicklungAutomatisierung8Lernen durch MotilitätTransformation affektiver Erregung in kreative Tätigkeiten9aSoziales LernenBindungsfähigkeit entwickeln durch sozialen Verhaltensaustausch9bLernen durch angewandte DiskurseKonflikte lösen, Bedürfnisausgleich10Aufbau und Identifikation mit WertenEntwicklung, Klärung und kritische Analyse von Werten11HypertextlernenNeuordnung und Neubewertung von Informationseinheiten12Verhandeln lernenKonsensbildung in verschiedenen Situationen

Zu jedem Lernzieltyp gibt es ein Basismodell als Satz von „Regeln und Theorien zur optimalen Lernweggestaltung“ (Oser & Patry, 1990, S. 7). Basismodelle sind lerntheoretisch begründete Hypothesen über einen gelingenden Lernverlauf im schulischen Kontext. Sie beschreiben, welche „mentalen Operationen“ ein Lernender oder eine Lernende innerlich vollziehen muss, damit ein erfolgreiches Lernen stattfinden kann. Solche Operationsfolgen geben quasi den Grundrhythmus des Lernens vor, der im Unterricht eingehalten werden sollte. Sie sind auf einer mittleren Abstraktionsebene angesiedelt und umfassen nur die wesentlichen Merkmale eines vollständigen Lernprozesses.

Der Begriff der Operationen ist bei Oser et al. unscharf und wird unterschiedlich verwendet (vgl. die Kritik bei Wagner, 1999, S. 45f.).10 Oser verwendet auch die Bezeichnung „Handlungskette“, um wichtige Lernfunktionen in einer Schrittfolge zusammenzufassen. Gerber (2007) ersetzt den Begriff der Handlungskette durch den Terminus „Lernetappe“, um den mittleren Abstraktionsgrad hinter der Operationskette zu verdeutlichen. Er definiert eine Lernetappe als einen „zeitlichen Abschnitt auf der unterrichtlichen Basisstruktur auf einer Mesoskala“ (Gerber, 2007, S. 36). Innerhalb einer Lernetappe sollen Lernende eine Vielzahl von Lernhandlungen ausführen, um ein Zwischen- oder eben Etappenziel auf einem spezifischen Lernweg zu erreichen. Jedes Etappenziel stellt den Ausgangspunkt und die notwendige Voraussetzung für die nächste Etappe auf einem Lernweg dar.

Natürlich unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Lernvoraussetzungen, ihrer Lernbereitschaft und ihrer Lernfortschritte, was zu individuellen Lernverläufen führt. Dennoch sollte die Lehrperson im Unterricht darauf achten, dass möglichst alle Lernenden die wesentlichen mentalen und motorischen Operationen einer Lernetappenfolge vollziehen können.11 Exemplarisch werden in der folgenden Aufzählung die Handlungsketten/Lernetappen zum Basismodell Konzeptbildung aufgeführt (vgl. Oser & Baeriswyl, 2001, p. 1054)12:

1. Direkte und indirekte Bewusstmachung bestehender Kenntnisse zu einem neuen Konzept.

2. Vorstellen und Durcharbeiten eines Prototyps als ein gültiges Beispiel des neuen Konzepts.

3. Analyse wesentlicher Eigenheiten und Prinzipien des neuen Konzepts (positive und negative Attribute).

4. Aktiver Umgang mit dem neuen Konzept (Anwendung, Synthese und Analyse).

5. Anwendung des neuen Konzepts in anderen Bereichen (Kombination ähnlicher Konzepte zu größeren Denksystemen).

Alle Basismodelle enthalten solche, meist vier- oder fünfgliedrige, Lernetappenfolgen, die auf einer mittleren Abstraktionsebene liegen. Diese mittlere Ebene, auch Mesoebene (middle-level) genannt, ist charakteristisch für die Basismodelle und wurde aus methodischen Gründen gewählt. Als unterrichtliche Strukturierungshilfen sind Lernetappenfolgen besonders erfolgreich, wenn sie spezifischer als ein starres, allgemeingültiges Phasenmodell sind. Gleichzeitig sollten sie so allgemein gehalten sein, dass inhaltsübergreifende Hinweise zur Lernprozessgestaltung möglich sind, ohne jedes Mal eine Mikroanalyse des Unterrichts durchführen zu müssen.13

Die jeweilige Lernetappenfolge eines Basismodells dient den Lehrpersonen als Strukturierungshilfen bei der Unterrichtsplanung, -gestaltung und -reflexion.14 Wichtig bei der Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung ist gemäß Oser und Patry (1990) auf einem einmal eingeschlagenen Lernweg möglichst alle Lernetappen vollständig und in der richtigen Reihenfolge zu durchlaufen. Wird zum Beispiel beim oben dargestellten Basismodell Konzeptbildung die letzte Lernetappe (Anwendung des neuen Konzepts in anderen Bereichen) aus- oder weggelassen, besteht die Gefahr, bruchstückhaftes oder „träges“ Wissen (Renkl, 2005) zu generieren. Basismodelle lassen sich kombinieren. Oser und Patry (1990) sprechen in dem Fall von einer „Verkettung von Basismodellen“, bei der Handlungsketten/Lernetappenfolgen ineinander verwoben werden (vgl. Abb. 1):

Abb. 1: Lernen am Modell als ein in einem problembasierten Lernweg eingefügtes Basismodell

Abb. 1 zeigt, wie Basismodelle kombiniert werden können. Man stelle sich beispielsweise einen problembasierten Lernweg vor, bei dem ein Volleyballspiel nicht zustande kommt, weil die Schülerinnen und Schüler überfordert sind (1).15 Die Formulierung (2) und Analyse (3) des Problems hat mangelnde technische Fertigkeiten beim oberen Zuspiel als Haupthindernis beim Spielaufbau identifiziert. Als Lösungsansatz (4) wurde beschlossen, das obere Zuspiel gezielt zu verbessern. Dafür wird ein neuer Lernweg beschritten, bei dem am Modell gelernt wird. Nachdem die Lehrperson die technisch korrekte Ausführung des oberen Zuspiels demonstriert hat (1), bauen die Lernenden eine mentale und motorische Repräsentation der Zielhandlung auf (2). Anschließend ahmen sie das Bewegungsverhalten der Lehrperson so lange nach (3), bis sie das obere Zuspiel beherrschen (4). Bevor eine positive Erwartungshaltung aufgebaut werden kann (5), wird nun die Lösungsidee (oberes Zuspiel verbessern) als zweitletzte Lernetappe (5) beim problembasierten Lernen im Spiel getestet. Bei erfolgreicher Problemlösung kann versucht werden, den reflektierten Lernweg auf neue Kontexte zu übertragen (6). Bei einer Kombination von Basismodellen sollte jeweils im Detail geklärt werden, ob allenfalls einzelne Lernetappen eines eingefügten Basismodells redundant sind und ausgelassen werden können.

Es besteht keine hierarchische Ordnung zwischen den verschiedenen Basismodellen. Jeder Lernweg hat Vor- und Nachteile und spezifische Einsatzgebiete, die es (auch) aus Sicht der Wissenschaft näher zu bestimmen gilt. Letztlich liegt es aber immer an der Lehrperson, zu beurteilen, welcher Lernweg den Schülerinnen und Schülern, dem Thema und den situativen Unterrichtsbedingungen gerecht wird. Auch pädagogischdidaktische Wertvorstellungen oder bewegungsbezogene Technikleitbilder können die Wahl des Lernwegs beeinflussen.

Die Anzahl der Basismodelle ist Resultat empirischer Untersuchungen und lerntheoretischer Überlegungen. Die Basismodelltheorie ist aber grundsätzlich für Neuentwicklungen offen und lässt sich durch neue, lerntheoretisch begründete und empirisch überprüfbare Basismodelle erweitern. Die Prinzipien zur Genese eines Basismodells werden in Kap. 3.1.2 ausführlicher beschrieben, da sie in leicht modifizierter Form der Entwicklung der Basismodelle für den Fachbereich Bewegung und Sport zugrunde liegen.

2.1.3 Forschungsergebnisse

Im Gegensatz zu den meisten allgemeindidaktischen Theorien sind die Choreografien unterrichtlichen Lernens seit der ersten Projektskizze von Oser und Patry (1990) Ausgangspunkt und Ergebnis empirischer Untersuchungen. Dabei lassen sich zwei Phasen der Forschung unterscheiden. In einer ersten Phase der Theorieentwicklung und Überprüfungen waren es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nationalfondprojekts um Oser und Patry, die in zahlreichen Qualifikationsarbeiten zur Konkretisierung der Basismodelltheorie beigetragen haben. Eine Renaissance erfährt die Basismodelltheorie seit einigen Jahren in der fachdidaktischen Lehr-Lern-Forschung.

Die Forschungsergebnisse sind zu zahlreich, um sie hier vollständig wiedergeben zu können. Wir beschränken uns darauf, ausgewählte Ergebnisse aus beiden Forschungsphasen darzustellen, die in einem engen Zusammenhang mit dieser Arbeit stehen, weil sie (a) zur Modellgenese beigetragen haben, (b) Erkenntnisse zur Implementierung der Theorie liefern oder (c) für die Entwicklung der Forschungsmethode von Bedeutung sind.16

Modellgenese und Implementierung

Für die Entwicklung der Basismodelle wurden in den Kantonen Solothurn und Luzern insgesamt 85 Unterrichtsstunden in verschiedenen Schultypen und Fachbereichen gefilmt und analysiert. Die an der Studie beteiligten Lehrpersonen, die über keine Kenntnisse der Basismodelltheorie verfügten, wurden gebeten, jeweils zwei übliche Unterrichtsstunden in ihrem Fachbereich zu unterrichten. Die Forscherteams prüften anhand des Videomaterials, ob es möglich ist, von der Sichtstruktur auf die Basisstruktur des Unterrichts und dessen Gestaltung zu schließen.

Die empirische Erfassung der Basisstruktur mittels hoch-inferenter Beobachtung gelang dabei ohne größere Probleme und es zeigte sich, dass die beiden Lernwege „Wissensaufbau (Begriffsbildung)“ und „Konzeptbildung“ in insgesamt 71 % der beobachteten „alltäglichen“ Unterrichtsstunden vorkommen. Andere Lernwege, wie beispielsweise das Problemlösen, wurden in weniger als 1 % der gefilmten Stunden beschritten. Interessante Ergebnisse ergaben sich auch bei der Analyse der zeitlichen Dauer einzelner Lernetappen. So zeigte sich zum Beispiel, dass Lehrpersonen beim Wissensaufbau (Begriffsbildung) den größten Teil der Lern-Lehr-Zeit für die Analyse und den aktiven Umgang mit neuen Konzepte und Begriffen aufwenden. Dem Transfer des neu erworbenen Wissens hingegen wurde kaum Zeit und Beachtung geschenkt (vgl. Oser & Baeriswyl, 2001; Oser et al., 1997).

Die Implementierung der Basismodelltheorie wurde in einer Reihe von Qualifikationsarbeiten untersucht. Sarasin (1995) bestätigte den Nutzen des Basismodells „Strategielernen“ für die Vermittlung von Lernstrategien und Haenni (1996) dokumentierte erfolgreich, wie sich Emotionen beim „Lernen durch Motilität“ im Kunstunterricht produktiv und kreativitätsfördernd nutzen lassen.

Wagner (1999) gelangte in einer quasiexperimentellen Interventionsstudie mit Gymnasiallehrkräften zum Schluss, dass sich Basismodellunterricht positiv auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkt und ihnen hilft, die Unterrichtsverlaufsstruktur und ihre eigenen Lernverläufe besser nachzuvollziehen und nachträglich zu beschreiben. Beim gezielten Auslösen von Lernetappen bei den Schülerinnen und Schülern zeigen sich allerdings große individuelle Unterschiede und es gelang nicht allen Lernenden, die jeweiligen Lernetappenziele im Unterricht zu erreichen. Die Lehrpersonen entdeckten dank der vielen Lernzieltypen und Basismodelle neue Lernwege, welche sie ausprobieren und auch in Zukunft beschreiten möchten. Sie nutzten die Beschäftigung mit der Theorie als willkommene Anregung, sich vertieft mit dem Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler auseinanderzusetzen. Bei der Umsetzung in die Unterrichtspraxis wurden die Lernetappenfolgen allerdings relativ frei interpretiert und die Lehrpersonen wiesen darauf hin, dass sie schon mal die eine oder andere Lernetappe weglassen, wenn dies die Unterrichtssituation erfordern würde.

Pfiffner und Walter (2007) untersuchten die Basisstrukturen in der Grundstufe und im allgemeinbildenden Unterricht der Berufsschule. Zusätzlich analysierten sie den Einfluss der Basismodelle auf die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler. Im Gegensatz zum fächerorientierten Unterricht in den Erhebungen von Oser et al. (vgl. Oser & Baeriswyl, 2001) war die Verteilung der Basismodelle im themenzentrierten Unterricht der Grund- und Berufsschule deutlich ausgeglichener. Wissenserwerb (Begriffsbildung) und Konzeptbildung machen in beiden Stunden bloß zwischen 20-25 % der Unterrichtszeit aus. In der Grundstufe dominiert das Basismodell „Routinebildung und Fertigkeitsentwicklung“ (47 %) während in der Berufsschule kein einzelner Lernweg die anderen überragt (alle unter 25 %).

Bei der Motivationsausprägung pro Basismodell zeigten sich deutliche Unterschiede. Insgesamt war die Motivation beim Wissensaufbau, unabhängig von der Schulstufe, deutlich geringer als bei den anderen Basismodellen. Auf der Berufsschulstufe wird das Problemlösen mit sehr hohen Motivationswerten taxiert. Stufenübergreifend fällt auf, dass bei der Verkettung von mehreren Basismodellen die Motivation der Schülerinnen und Schüler in den negativen Bereich fällt. Damit bestätigen sich frühere Untersuchungen von Oser et al., die ebenfalls bei der Verkettung von Basismodellen eine negative Unterrichtswahrnehmung bei den Lernenden erfasst haben (Oser & Baeriswyl, 2001).17

Fachdidaktische Modifikationen der Basismodelle

Die Basismodelltheorie wurde in einer zweiten Phase von Vertreterinnen und Vertretern der fachdidaktische Lehr-Lern-Forschung aufgenommen. Diese zweite Phase lässt sich durch fachdidaktische Präzisierungen einzelner Basismodelle und durch eine Weiterentwicklung der Erhebungsund Analysemethoden charakterisieren.18 Besonders in der Physikdidaktik sind einige technisch und methodisch anspruchsvolle Videostudien auf der Grundlage der Theorie der Basismodelle durchgeführt worden (Draxler, 2006; Fischer, 2008; Gerber, 2007; Labusch & Tiemann, 2003; Reyer, 2004; Trendel et al., 2007; Wackermann, 2008).

Reyer (2004) analysierte mittels einer eigens entwickelten Mustererkennungssoftware Oberflächenmerkmale und Tiefenstrukturen im gymnasialen Physikunterricht in Deutschland. Auf der tiefenstrukturellen Unterrichtsebene zeigt sich ein wenig variables Bild der Lernweggestaltung. „Lernen durch Eigenerfahrung“ und „Theoriebildung“ dominieren das Unterrichtsgeschehen. „Konzeptwechsel“ und „Problemlösen“ hingegen finden kaum statt.19 Auch wichtige „Lernhandlungen“ (entspricht einer Lernetappe), wie die „Abstraktion“ von einer isolierten Handlungserfahrung auf einen allgemeineren Handlungskontext (beim Basismodell „Lernen durch Eigenerfahrung“) oder von einem spezifischen Merkmal hin zu einem allgemeinen Prinzip (beim Basismodell „Theoriebildung“), finden kaum statt.

Gerber (2007) bestätigt dieses Bild der einseitigen Lernweggestaltung in einer Untersuchung im Schweizerischen Physikunterricht (Gymnasialund Sekundarstufe 1, neuntes Schuljahr). Mittels einer visualisierenden „Basisstruktur-Analyse“ konnte er nachweisen, dass in zwei Dritteln der insgesamt 40 videografierten Physikstunden das Basismodell „Lernen durch Eigenerfahrung“ (Schülerexperiment) vorkommt. Problemlösen kam nur in sechs von 40 Doppellektionen vor. Die Basisstrukturen unterscheiden sich signifikant zwischen den zwei beobachteten Schultypen (Volksschule vs. Gymnasium) und bezüglich der Unterrichtsthemen (Optik vs. Kraft). In der Volksschule und zum Thema Optik kommt „Lernen durch Eigenerfahrung“ in 84 % der gefilmten Doppellektionen vor. Detailanalysen zu den einzelnen Lernetappen zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler das eigene Handeln beim „Lernen durch Eigenerfahrung“ fast nie selbst planen und auch keine eigenen Konzepte entwickeln müssen (Basismodell „Strukturaufbau“).

Wie bei Reyer (2004) zeigt sich auch bei Gerber (2007), dass die letzten Lernetappen (eigene Handlungen mit Fremderfahrungen vergleichen etc.) im Physikunterricht vernachlässigt werden. Beide Autoren fordern, diesen kritischen Aspekt in der Lehrpersonenbildung zu thematisieren und die Beschäftigung mit der Basisstruktur als wesentliche Aus- und Weiterbildungsinhalte für Physiklehrer zu etablieren.

Genau das hat die Dortmunder Forschungsgruppe um Fischer getan, indem sie die Wirkungen eines Basismodelltrainings in der Lehrpersonenweiterbildung untersucht hat (vgl. Trendel et al., 2007, 2008; Wackermann, 2008). Aufbauend auf den Vorarbeiten von Reyer (2004), konzentrierte sie sich auf die Schulung von Lehrkräften im Umgang mit den Basismodellen Konzeptbildung, Erfahrungslernen und Problemlösen. In einer quasiexperimentellen Studie konnte sie zeigen, dass sich durch ein videogestütztes Basismodelltraining mit Lehrpersonen die Lernverlaufsgestaltung im Unterricht bezüglich Vollständigkeit der Lernetappenfolge und Variabilität der Lernwege verbessern lässt. So wurde beispielsweise das Basismodell Problemlösen nach der Intervention häufiger unterrichtet und in Lektionen, bei denen die Umsetzung der Basismodelle besonders gut gelang, zeigten sich positive Effekte auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Unterricht und auf die Lehrervorstellungen über die intendierten Lernprozesse.

Bezüglich der Lernleistungen konnten über den (zu) kurzen Zeitraum allerdings keine signifikanten Verbesserungen erzielt werden. Zudem bestätigte sich, dass die Initiierung der letzten beiden Lernetappen im Unterricht schwierig ist. Die Autoren vermuten, dass 45-minütige Lektionseinheiten zu kurz bemessen sind, um die Lernprozesse im Physikunterricht vollständig abzuschließen (vgl. Trendel et al., 2007, S. 27). In einer anderen Untersuchung kommt Draxler (2006) ebenfalls zum Schluss, dass die Beschäftigung mit Basismodellen des Lernens und Lehrens die professionelle Handlungskompetenz von Physiklehrkräften stärken kann. Bilanzierend lässt sich festhalten, dass sich die Basismodelltheorie in zahlreichen Interventionsstudien nicht bloß als praxisrelevant, sondern auch als praktikabel erwiesen hat und mit positiven Effekten auf eine variable Lernweggestaltung und auf das Unterrichtserleben der Schülerinnen und Schüler verbunden ist. Kritisch anzumerken bleibt, dass einige Untersuchungen aus der ersten Forschungsphase methodische Schwächen aufweisen und zahlreiche Studien aufgrund der aufwendigen Erhebungsmethode bloß explorativen Charakter haben (z. B. Gerber, 2007).

2.1.4 Rezeption, Kritik und Einschätzung

Die „Choreografien unterrichtlichen Lernens“ werden ihrem allgemeindidaktischen Selbstanspruch, die Lernverläufe in unterschiedlichen Unterrichtsfächern zu modellieren, gerecht. So findet die Basismodelltheorie in zahlreichen Fachdidaktiken und Einsatzgebieten vielfältige Verwendung. Von der Physikdidaktik (Draxler, 2006; Fischer, 2008; Gerber, 2007; Labusch & Tiemann, 2003; Reyer, 2004; Wackermann, 2008; Trendel et al., 2007), Religionsdidaktik (Reich, 2003), Politikdidaktik (Caduff, 2009; Richter, 2005), Mathematikdidaktik (Schneider, 2006), Deutschdidaktik (Wagner, 1999), Kunstdidaktik (Haenni, 1996), Designerziehung (Welch, 2007)20, dem naturwissenschaftlicher Unterricht (Duit, 2007) bis hin zu einem Konzeptionsansatz für eine Berufsfelddidaktik (Elsässer, 2000, 2001) werden Verwendungsbeispiele dokumentiert. Auch bei der Entwicklung von elektronischen Lernumgebungen oder digitalen Lern- Lehr-Medien wird gerne auf die Basismodelltheorie zurückgegriffen. Niegemann et al. (2004, S. 74) bezeichnen die Basismodelltheorie in diesem Zusammenhang als „Instructional-Design-Ansatz von überragender Bedeutung“, da sie ein theoretisches Gerüst zur Konzeption geführter, digitaler Lernwege bietet.

In der allgemeinen Didaktik und der pädagogischen Psychologie werden die Choreografien unterrichtlichen Lernens breit und mehrheitlich positiv rezipiert. Zwar gehen bloß Kiper und Mischke (2004, S. 35) so weit, von einem „Durchbruch in der didaktischen Diskussion“ zu sprechen, dennoch loben zahlreiche Autoren den Versuch, Lehren aus der Sicht des Lernens zu beschreiben und somit eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Forschungsarbeiten aus der Didaktik (Unterrichtsforschung) und der pädagogischen Psychologie (Lern-Lehr-Forschung) in einem präskriptiven und deskriptiven Theoriegebäude zu vereinen. Die Konzeption wird als ein vielversprechender Versuch betrachtet, das komplexe Verhältnis von Lehren und Lernen im Unterricht zu klären und empirisch zugänglich zu machen (Abs, 2004; Helmke, 2009; Heymans & Mönk, 2004; Klette, 2007; McAlpine, 2004; Meyer, 2004, 2007; Nuthall, 2004; Reusser, 2009a; Richert, 2006; Straka, 2007; Tomlinson, 2008). Positiv hervorgehoben wird auch der unmittelbare Praxisbezug durch die Orientierung an den Planungs- und Handlungsroutinen der Lehrpersonen bei der Theorieentwicklung. Der Praxisbezug wird durch fachbereichsspezifische Adaptionen der Basismodelle in den einzelnen Fachdidaktiken weiter gesteigert (z. B. Reyer, 2004). Auf der Ebene der Allgemeindidaktik verbinden Kiper und Mischke die Oserschen Basismodelle mit allgemeinen Überlegungen zur Theorie des Unterrichts und integrieren die Basismodelle in modifizierter Form in ihr eigenes Modell einer integrativen Didaktik (Kiper & Mischke, 2004, 2006). Sie entledigen sich dabei der Lernetappenfolgen und beschreiben ohne Angabe von Etappenzielen summarisch verschiedene Grundformen des Lernens (Lernzieltypen sensu Oser und Baeriswyl, 2001). Ohne Lernetappen verlieren die Basismodelle allerdings ihre strukturgebende Funktion für die Lernverlaufsgestaltung. Die von den Autoren proklamierte „Weiterentwicklung der Basismodelle“ ist aus unserer Sicht ein Rückschritt.21

Neben vielen positiven Aspekten gibt es auch zahlreiche Kritikpunkte, die von Oser, Patry und den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Nationalfondsprojekt teilweise bereits selbst formuliert wurden (Elsässer, 2000; Oser et al., 1997; Wagner, 1999). Reusser (2009a) kritisiert die Konzeption der Basismodelltheorie dafür, dass die psychologische Tiefenstruktur der Handlungsketten nicht präzise genug herausgearbeitet wird und es offenbleibt, ob es sich bei den mentalen Operationsfolgen um trennscharfe, genuin unterscheidbare Prozessstrukturen handelt. Außerdem bleibt das Lehren als Ermöglichungsstrategie weitgehend undefiniert: „Nicht nur das Lernen, sondern auch das Lehren als dessen Anleitung und Unterstützung hat seine – formal zu nennenden – Strukturmomente“ (Reusser, 2009a, S. 891). Diese Kritik wird auch von anderen Autoren geteilt und bezieht sich auf die ganze Sichtstruktur und das methodische Handeln der Lehrpersonen und der Lernenden. Oser und Baeriswyl (2001) weisen zwar dezidiert auf die Bedeutung der Sichtstrukturgestaltung hin („(…) be aware of the sight structure!“, p. 1045), liefern hier allerdings keine didaktischen oder methodischen Hinweise. Nuthall (2004) kritisiert an den Choreografien des Lernens und Lehrens, dass das Verhältnis der Lernenden untereinander und deren Einfluss auf den Lernverlauf nicht berücksichtigt wird.

Ebenfalls offenbleibt gemäß Nuthall (2004), was die Schülerinnen und Schüler letztlich bewegt, basisstrukturelle Lernangebote zu nutzen, damit Unterrichtshandlungen auch lernwirksam werden. Nuthall (2004) sieht in der Sinnperspektive der Lernenden den zentralen Link zwischen der handlungsbezogenen Oberflächenstruktur und der lernbezogenen Tiefenstruktur des Unterrichts. „It is this ongoing process of making sense of and managing their participation in classroom activities that changes their knowledge, skills, and motivation, and creates the link between classroom activities and learning (…)” (p. 278).22 Auch der fehlende Kontextbezug durch die inhaltsübergreifende Verallgemeinerung der Basismodelle wird als Schwäche in der Konzeption ausgemacht (Klette, 2007; Gerber, 2007). Weiter wird auf begriffliche und definitorische Unklarheiten hingewiesen und bei der Formulierung der Lernetappenfolgen wird stellenweise die Perspektive der Lernenden verlassen.23 So wurden einige Etappen als Instruktionsaufgaben und nicht als schülerbezogene Lernfunktionen formuliert (Elsässer, 2000; Wagner, 1999; Reyer, 2004).

Während die Basismodelle in zahlreichen Fachdidaktiken einen Verwendungszweck gefunden haben, ist uns in der Sportdidaktik oder der sportbezogenen Unterrichts- und Lehr-Lern-Forschung bloß ein einziger Versuch bekannt, die Theorie der Basismodelle für gezielte Unterrichtsanalysen zu nutzen. Kleiner (2009b) nutzt die Basismodelltheorie, um Muster in der bewegungsbezogenen Kommunikation von Sportlehrkräften zu identifizieren.24 Eine detaillierte Berichterstattung dieser Forschungsergebnisse steht noch aus. Die Rezeption im Fachbereich Bewegung und Sport wird dadurch erschwert, dass bei der Konzeption der Basismodelle motorische Lernprozesse kaum eine Rolle gespielt haben (vgl. Kap. 3.1).

Wir haben uns für eine fachdidaktische Adaption dieser allgemeindidaktischen Theorie entschieden, weil sie trotz der genannten Kritikpunkte viele Stärken in sich vereint. Die Stärken liegen im Bereich des Brückenschlags zwischen der Lernpsychologie und der Didaktik und in der Verbindung der Gesetzmäßigkeiten des Lernens mit den Freiheiten des Lehrens. Das Zwei-Ebenen-Modell mit der Unterscheidung zwischen einer Sicht- und Basisstruktur bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für eine deskriptive empirische Überprüfung der Theorie und die Implementierungsstudien in anderen Fachbereichen haben die Praktikabilität und den präskriptiven Nutzen zugunsten einer theoriegeleiteten Unterrichtspraxis bereits unter Beweis gestellt.

Kritische Aspekte, wie die unklaren Definitionen und Begriffsverwendungen, gilt es jedoch auszumerzen, da sich diese Schwächen bei der Adaption auf einen neuen Fachbereich mit eigenen Begrifflichkeiten potenzieren dürften, was zu Verständnisproblemen bei den an der Studie beteiligten Lehrpersonen führen kann. Aus Umsetzungsperspektive ist auch die mangelhafte Konzeptionierung des Zusammenspiels von Sichtund Basisstruktur kritisch zu betrachten. Für die Implementierung der Theorie in die Praxis sind solche Umsetzungsfragen zentral. Deshalb werden in der Lern-Lehr-Broschüre (Anhang A) auch methodische Hinweise zur Umsetzung und zur Lernbegleitung ausgeführt, die sich auf Sichtstrukturaspekte des Unterrichts beziehen. Zur Auswahl geeigneter Unterrichtsinhalte werden ebenfalls unverbindliche Empfehlungen ausgesprochen. Zunächst wird jedoch die Theorie der Basismodelle in Bezug zur Sport- und Bewegungswissenschaft gebracht und ein einfaches Unterrichts- und Planungsmodell des Lernens und Lehrens im Unterrichtsfach Bewegung und Sport definiert. Dieses liefert einen begrifflichen Rahmen für die vorliegende Dissertation und soll insbesondere den Lehrpersonen das Verständnis der komplexen Basismodelltheorie erleichtern.

2.2   Lernen und Lehren aus Sicht der Sportdidaktik

Neben den traditionellen Wissenschaftsdisziplinen der Pädagogik und Erziehungswissenschaft inklusive ihrer Tochterdisziplinen, der Sportpädagogik und Sportdidaktik und der (Pädagogischen) Psychologie respektive Sportpsychologie, beschäftigt sich auch die Bewegungswissenschaft oder Bewegungslehre explizit mit Fragen des Lernens und Lehrens im Sport.25 Alle diese Disziplinen liefern hilfreiche Erkenntnisse zur Lernverlaufsgestaltung im Sport. Lernen im Sportunterricht ist eine hochkomplexe Angelegenheit, die von zahlreichen Faktoren (Person, Aufgabe, Umwelt usw.) beeinflusst wird und sich auf verschiedene Aspekte (Wissen, Fertigkeiten, Haltungen usw.) in einem breiten thematischen Spektrum (Bewegung, Spiel und Sport) beziehen kann (vgl. Silverman & Ennis, 2003). Lernen im Sport beinhaltet meist soziales, motorisches und kognitives Lernen gleichzeitig, wobei die Akzentuierung je nach Lernverlauf unterschiedlich ausfällt.26