Couple of Men - Karl Krause - E-Book
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Couple of Men E-Book

Karl Krause

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Beschreibung

Pilgern in Japan, Gay Ski Weeks in Kanada, Zip-Lining durch die Baumkronen des tropischen Regenwaldes in Costa Rica, eine Zugsafari durch den Süden Afrikas, Städtetrips zu Pride Parades, Disneyland in Florida – die beiden sympathischen Reiseblogger Karl und Daan haben zusammen bereits mehr als 50 Länder auf fünf Kontinenten erkundet. Als »Couple of Men« erzählen sie von den Sonnen- und Schattenseiten ihrer bisherigen Erlebnisse unterwegs und gewähren spannende Einblicke in ihr gemeinsames Leben und die LGBTQ+-Communities auf der ganzen Welt. Ein persönlicher und sehr berührender Bericht und ein Appell für ein offeneres und respektvolleres Miteinander – nicht nur auf Reisen.

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Seitenzahl: 295

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Impressum

© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

POLYGLOTT ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Redaktion und Projektmanagement: Anne-Katrin Scheiter

Lektorat: Regina Carstensen

Schlusskorrektur: Sarah Tekath

Covergestaltung: Bettina Arlt, favoritbuero; Daan Colijn

eBook-Herstellung: Maria Prochaska

ISBN 978-3-8464-0888-9

1. Auflage 2022

Bildnachweis

Karten & Piktogramme: Jaime Hayde

Fotos: Couple of Men; Maartje Hensen; laif: Redux/VII/Ed Kashi; Unsplash: Haoward Nguyen; Alwin Piona; Jasper Pride Festival Society

Coverfoto: Matthew Schuller

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

Wichtiger Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es gilt gleichermaßen für alle Geschlechter.

Alle Schilderungen in diesem Buch basieren auf subjektiven Erinnerungen. Die Dialoge geben nicht wortwörtlich, sondern sinngemäß vergangene Gespräche wieder. Die meisten Namen und die Merkmale einzelner Personen wurden zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert.

»Vielfalt ist nicht nur ein beliebiges Label, das man auf eine Verpackung kleben kann und schwups, einfach so, verändert sich der Inhalt. Vielmehr sollte Diversität zu einem Bekenntnis für jeden von uns werden, den bunten, auch queeren Teil unserer Gesellschaft als Bereicherung zu verstehen. Neugierig sein, das Gespräch suchen und respektvoll voneinander lernen: Aufgeschlossenheit gehört in jede Reisetasche. Denn genau diese Offenheit gegenüber anderen Kulturen ist es, die für uns zu einem essenziellen Teil des Reisens geworden ist. Denn was bedeutet ›reisen‹ sonst, wenn nicht Vielfalt (er)leben und Geschichten von diesen Erlebnissen miteinander teilen?«

Karl & Daan

Die Reise kann losgehen!

ÜBER UNS

Wie der Name schon vermuten lässt, stecken hinter »Couple of Men« zwei Männer. Wir, Karl aus dem Erzgebirge und Daan aus Amsterdam, begegneten uns in einem Berliner Club. Es war Liebe auf den ersten Blick, sozusagen. Seit diesem Ostermorgen im März 2013 gehen wir gemeinsam durchs Leben.

Hier wollen wir die Geschichte über die Reise unseres Lebens erzählen, die schon vor unserem ersten Kuss begann. Aufgewachsen in zwei unterschiedlichen Welten – die DDR auf der einen Seite, das tolerante Amsterdam auf der anderen –, gehörte das Reisen nicht nur zwischen Berlin und Amsterdam von Beginn an zu unserer Beziehung. Auf der ersten Fernreise, die uns nach Japan führte, lernten wir uns erst richtig kennen, und erfüllten uns, ganz nebenbei, einen lang gehegten Traum. Hier, mitten in den japanischen Wäldern, beschloss Karl, unsere Reisen in einem Blog zu dokumentieren. Die besondere Sicht eines schwulen, reisenden Männerpaars faszinierte und gab gleichzeitig Reiseinformationen, die bisher kaum zur Verfügung standen. Besonders auf Instagram erkannte man uns als jene Blogger, die auf der ganzen Welt Hand in Hand vor der Kamera posieren, während sie über fantastische, schwulenfreundliche Reiseziele berichten.

Dass dies zwei Männer tun, ist auch heute noch ungewöhnlich. Eine kleine Geste der Zuneigung wird somit zu einem besonderen Zeichen der Sichtbarkeit. Besonders für Lesben, G ays (also Schwule), B isexuelle sowie t ransidente und q ueere Personen (kurz LGBTQ+), die an Orten leben, an denen es noch immer illegal ist, queer zu sein. Demgegenüber stehen Initiativen, die sich für Vielfalt und Gleichberechtigung einsetzen und verteilt über den ganzen Globus bunte LGBTQ+-Subkulturen entstehen ließen, eine vielfältiger, bunter und einladender als die andere.

Mit unserem Buch möchten wir abenteuerlustige Reisende – queer oder nicht – dazu inspirieren, die LGBTQ+-Community weltweit zu unterstützen und gleichzeitig aufgeschlossen, respektvoll und mit einem glücklichen Herzen zu reisen.

DAAN ERZÄHLT

KARL ERZÄHLT

Auf dem Balkon des The Bernic Hotel in Manhattan

USANew York City

NEW YORK – SO FING ALLES AN …

»Happy Pride! Happy Pride!«, rufe ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr jedes Jahr aufs Neue voller Leidenschaft in die an mir vorbeiziehende Menge und wedele dabei wie wild mit einer Regenbogenfahne durch die Luft, ein breites Grinsen auf den Lippen. Ich bin voller Energie. Bei sommerlichen Temperaturen und einem strahlend blauen Himmel ist das auch kein so großes Problem. Zudem ist Pride-Monat. Mit dem Monat Juni beginnt die Zeit für meine Regenbogenfahne und bei jeder passenden Gelegenheit kann ich endlich wieder »Happy Pride!« rufen, ohne irritierte Blicke zu ernten. Diesen zwei so unscheinbar wirkenden Wörtern kommt in dieser Zeit des Jahres eine wichtige Bedeutung zu – nicht nur als Grußformel in der Community.

Seit über fünfzehn Jahren gehe ich zusammen mit Tausenden queeren Menschen und ihren Unterstützern, den Allies, bei Christopher-Street-Day (CSD)- und Pride-Veranstaltungen auf der ganzen Welt für Gleichberechtigung und Akzeptanz auf die Straße – und habe viel erlebt. Auch unangenehme Momente, abwertende Bemerkungen oder Menschen, die mir voller Hass und Wut vor die Füße spuckten.

Natürlich stört mich dieser Umstand sehr, genauso wie die hasserfüllten Kommentare und Todesdrohungen auf so manch einem Post in den sozialen Medien. Doch auf der anderen Seite erhalte ich dadurch neue Kraft, um weiterzumachen, nicht nachzugeben und immer mehr Menschen, die anders sind, die Angst zu nehmen, damit sie so akzeptiert werden, wie sie sind. Die Worte »Happy Pride« erinnern mich daran, wie wichtig es ist, ein Lächeln auf ein skeptisches Gesicht zu zaubern. Denn häufig sind es unbeantwortete Fragen und Stereotype, die der Ursprung für Vorurteile und unwissende Beschuldigungen sind.

»Happy Pride« – ich würde es mit »fröhlichem Stolz« übersetzen. Ja, das passt. Es beschreibt das Gefühl, das aufkommt, wenn ich gemeinsam mit der Liebe meines Lebens Hand in Hand auf einer Pride-Parade die Straßen entlanglaufe und mich nicht allein fühlen muss. Ich bin umringt von Gleichgesinnten, glücklichen Gesichtern. Die einen tragen wie ich eine Regenbogenflagge in der Hand, die anderen eine knallbunte Perücke und selbst gebastelte Pappschilder, auf denen so etwas wie »Ich bin schwul, und das ist auch gut so!« steht.

Ein Ausspruch, der für viele Menschen Gültigkeit besitzt, nicht erst seit der berühmten Rede des einstigen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit. Genauso wenig scheinen Geschlechterrollen und -identitäten, Nationalitäten oder andere, von der Gesellschaft, also von uns selbst geprägte Unterscheidungsmerkmale wichtig zu sein. Mut und Kraft aus den Gemeinsamkeiten zu ziehen und für eine bessere Sichtbarkeit in unserer Gesellschaft zu sorgen, darum soll es gehen. Denn wir marschieren für alle queeren Menschen, damit sie sich heute und in Zukunft nicht mehr als Außenseiter zu Hause unter der Bettdecke verstecken müssen. Sondern stolz darauf sein können, selbstbewusst anders und zugleich für jeden normal zu sein.

In solchen Momenten bin auch ich stolz und dankbar. Auf das, was andere vor mir erreicht haben, um mir eine einfachere Zukunft zu ermöglichen. Darauf, den langen und steinigen Weg gegangen zu sein, vom inneren Coming-out bis zum Referenten für sexuelle Vielfalt an Schulen. Als Aktivist der LGBTQ+-Community gab ich den Regenbogenstaffelstab weiter. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die mir als junger, zweifelnder, queerer Mensch entgegengebracht wurde. Stolz auf mich, denn ich habe die wohl schwierigste Zeit meines Lebens gemeistert und kann heute sagen: Ich stehe dazu, wie ich bin. Wer ich bin. Anders. Schwul.

Das war nicht immer so. Erzählt habe ich davon in unserem Reiseblog. Es geht hier also um kein Coming-out-Tagebuch (also auch, aber eher am Rande), vielmehr zeichnen wir eine spannende, noch immer andauernde Reise auf. Begonnen hat sie vor über neun Jahren, als Daan und ich uns begegneten. Daan ist aus Amsterdam und ich, Karl, bin aus dem Erzgebirge. Zwei Menschen aus zwei so gegensätzlichen Regionen in Europa verliebten sich ineinander. 637,32 Kilometer Luftlinie liegen zwischen diesen zwei Welten: Auf der einen Seite die Niederlande, die als erstes Land weltweit die gleichgeschlechtliche Ehe einführten. Auf der anderen Seite das deutsche Mittelgebirge, das mir bis heute als konservative, zurückgezogene und verschlafene Region im Osten Deutschlands in Erinnerung geblieben ist – meine Heimat. In meinem Zimmer verbrachte ich als Jugendlicher viele traurige Momente voller Zweifel, Sehnsucht und dem tiefen Wunsch, einfach so sein zu können, wie ich mich fühlte, während ich versuchte, hineinzupassen in eine Welt, die ganz andere Erwartungen an mich hatte als ich an mein eigenes Leben.

THEATERERLEBNIS SLEEP NO MORE

Shakespeares Tragödie Macbeth einmal ganz anders: Das Stück wird in einem Theater in Chelsea über vier Etagen in einem Labyrinth aus Räumen und Treppen inszeniert, wobei Tanz die Hauptausdrucksform dieses Experiments ist. Auch wenn wir in den drei Stunden nur Bruchstücke gesehen haben, war dieser Abend unvergesslich.

mckittrickhotel.com

Mein erster richtiger Freund zeigte mir die Welt und steckte mich mit dem Reisefieber an. Auf Achse fühlte ich mich frei, ungebunden und hatte gleichzeitig das Gefühl, ich sein zu können, ohne bewertet und verurteilt zu werden. Dabei lernte ich gleichgesinnte Reisende kennen, denen es offenbar egal war, wen ich sexuell anziehend fand. Für viele Jahre waren mein Rucksack und ich schier unzertrennlich. Mit ihm erkundete ich tropische Inseln in Südostasien mit dem Kanu, schlenderte mit Dreadlocks über duftende Märkte in Indien, flog mit Yeti Airlines über Nepal und um den Mount Everest und reiste durch nahezu alle Länder Westeuropas. Alle, bis auf eines: die Niederlande.

Dann, nach vierzig Ländern und mindestens doppelt so vielen Gepäcklaufbändern, flog ich vom Flughafen Berlin-Tegel nach Amsterdam. Damals ahnte ich noch nicht, dass in der niederländischen Hauptstadt eine ganz neue, aufregende Geschichte ihren Anfang nehmen würde. Aus dem Dream-Team Karl mit Rucksack wurde das schwule Männerpaar auf Reisen.

LA-Pride in West-Hollywood

LGBTQ+-COMMUNITY IN DEN USA

Der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) in den Vereinigten Staaten erklärte 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe für rechtmäßig – was wir zusammen mit Freunden und Bekannten aus Übersee feierten. Doch von einer rechtlich einheitlichen Lage kann weiterhin keine Rede sein. Die US-amerikanischen Staaten handhaben die Gesetzgebung zu LGBTQ+-Rechten unterschiedlich. Als besonders queer-freundlich gelten Kalifornien, New York, Oregon, Colorado, Illinois und New Jersey – sie schreiben unter anderem die Aufklärung über LGBTQ+-Themen in der Schule vor. In den ländlichen Regionen sieht es dagegen anders aus. Das Land der Freiheit grenzt dort queere Menschen immer noch aus. Gerade in konservativen und ziemlich gläubigen Gegenden wird Homosexualität von Evangelikalen oft als Sünde betrachtet. Dort versucht man, Homosexuelle weiterhin mit abstrusen Therapien umzupolen, die in anderen Staaten bereits verboten sind. Am 15. Juni 2020 hat der Supreme Court entschieden, dass homosexuelle und Transgender-Arbeitnehmer nicht mehr aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminiert und entlassen werden dürfen. Städte wie San Francisco, New York, Chicago, Fort Lauderdale, Palm Springs oder Portland sind für eine lebendige Queer-Kultur mit Pride-Veranstaltungen bekannt.

Auf den Spuren eines folgenschweren Aufstands

Über fünfzig Jahre ist es her, dass die Gay Liberation, die schwule Befreiungsbewegung, in New York ihren Anfang nahm. Fünfzig Jahre, in denen Aktivistinnen, Aktivisten und Mitglieder der LGBTQ+- Community nicht müde wurden, nicht müde werden, sich für gleiche Rechte, Freiheit und Akzeptanz für lesbische, schwule, bisexuelle, transidente und queere Personen einzusetzen.

Daan genießt die Sonne vor Pinky’s Space in Greenwich Village.

Etwa fünfzig Jahre später liefen Daan und ich in kurzen Hosen, Socken mit kleinen Regenbogen-Aufnähern und einer Kamera um den Hals die Treppe von der U-Bahn hinauf. Wir beide waren ziemlich aufgeregt, zusammen in New York zu sein und den Spuren der modernen LGBTQ+- Community zu folgen.

PIZZA FÜR EINEN US-DOLLAR

Unser bevorzugter Boxenstopp, wenn wir die Straßen von New York erkundeten, waren die Pizzerien, in denen man ein Stück Pizza schon für einen US-Dollar bekam. Für den kleinen (und großen) Hunger zwischendurch. Unser Highlight war die Bleeker Street Pizza in der Nähe vom Stonewall Inn.

bleeckerstreetpizza.com

»Eigentlich sollte Greenwich Village besser queeres Viertel genannt werden«, murmelte Daan mit immer nachdenklicher werdendem Blick in seinen dichten roten Vollbart. »Schließlich wohnt hier nicht nur die schwule Community von New York, sondern auch viele andere queere Menschen.« Recht hatte er. Augenscheinlich war das ganze schwule Stadtviertel in Manhattan regenbogenbunt und aufgeschlossen. Zahlreiche Regenbogenfahnen hingen von Balkonen, queere Menschen jeden Geschlechts, jeder Geschlechtsidentität, jeder ach so individuellen Manier, sich zu kleiden oder zu schminken, saßen schnatternd in den zahlreichen Cafés am Straßenrand. Und kleine Regenbogenaufkleber zierten die Eingangstüren der Lokale und Geschäfte in der ganzen Nachbarschaft. Mittendrin, irgendwo in diesem kunterbunten Mix aus Autos, Menschen und Fahnen, liefen wir, ein schwules Männerpaar, Hand in Hand die breiten Straßen entlang. Immer wieder bogen wir in mit alten Bäumen begrünte Seitenstraßen ab, um noch mehr von dem New Yorker Leben einzufangen. An jeder Ecke roch es anders, nach indischem Curry, Frittiertem oder einer Pizza. Und immer dann, wenn wir an den Straßenübergängen für die großen, vorbeibrummenden SUVs stehen blieben, gaben wir uns einen flüchtigen Kuss – und niemanden schien das zu stören. Im Gegenteil.

Queere Paare kamen uns entgegen und der ein oder andere bärtige Mann warf uns im Vorbeigehen ein verschmitzt-charmantes Lächeln zu. Wir waren auf dem Weg zum Stonewall Inn, einem der für die LGBTQ+- Community wichtigsten Orte in den USA, vielleicht sogar auf der ganzen Welt.

Doch anstatt mit der Kamera die Sehenswürdigkeiten der Umgebung festzuhalten, nutzten Daan und ich die Zeit, uns darüber zu unterhalten, wie es damals, also in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, wohl gewesen sein musste, homosexuell zu sein. In einer Zeit, in der Begriffe wie »gay« oder »queer« fast ausschließlich Schimpfwörter waren.

»Kannst du dir eigentlich vorstellen, dass wir so, wie wir gerade unterwegs sind, also Händchen haltend, dass man uns für dieses Verhalten damals eingesperrt hätte?« Ich blickte in ein betroffenes Gesicht. »Ich weiß nicht, wie ich das überlebt hätte. Oder wären wir bereits mit Frauen verheiratet? Würden wir uns heimlich mit Männern treffen?«

Daan antwortete: »Wahrscheinlich würden wir jeden Tag aufs Neue schauspielerische Höchstleistungen vollbringen, vollbringen müssen. Unsere Gedanken und Gefühle würden wir, denke ich, in der Öffentlichkeit verstecken. Doch alles das aufgeben, was mich ausmacht, wofür ich heute stehe, nur um das Gesicht und den Status in der Gesellschaft nicht zu verlieren? Ich kann mir das auch nicht vorstellen.«

»Und wenn dein Überleben davon abhinge, egal wohin du auswandern würdest?«, fügte ich hinzu.

»Mmmhh, guter Punkt. Zum Glück müssen wir diese Entscheidung nicht treffen.«

Mit den Augen erkundeten wir weiter die Umgebung und sahen dieses Stückchen New York plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive. »Wir würden uns wahrscheinlich nicht einmal kennengelernt haben«, erwiderte Daan.

Reisen als offen schwul lebendes Paar bringt uns ein Stück näher zusammen und lässt uns über die eigenen Erfahrungen nachdenken und jedes Reiseziel mit ganz persönlichen Erlebnissen in Verbindung bringen. Für unsere New-York-Reise ist es unser Besuch des Stonewall Inns. Stehen die letzten Junitage des Jahres 1969 und die Unruhen im und vor dieser Bar doch für den Beginn der modernen LGBTQ+-Rechtsbewegung, mit der Befreiungsbewegung der Homosexuellen ganz am Anfang.

Doch war das wirklich so?

WORLDPRIDE, EUROPRIDE, INTERPRIDE

Pride-Paraden gibt es überall auf der Welt. Die Demonstrationen tragen entscheidend dazu bei, die Rechte der LGBTQ+-Community zu stärken und für eine größere Akzeptanz zu sorgen. Aber eine Pride-Veranstaltung in New York, Tokio oder Berlin bedeutet noch längst nicht, dass Homo- oder Transphobie dort oder anderswo auf der Welt kein Problem mehr darstellen. Erinnerten CSD-Veranstaltungen in den Neunzigerjahren und Anfang des 21. Jahrhunderts manchmal an eine Berliner Loveparade, werden diese aktuell wieder politischer, was damit zu tun hat, dass Rechtpopulismus, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus erneut zunehmen, sogar rechte Parteien sich als offen schwulenfeindlich positionieren. Im Mittelpunkt der meisten Prides steht nach wie vor die Pride-Parade, bei der die LGBTQ+-Gemeinschaft und ihre Verbündeten zusammenkommen und die Bedeutung der Vielfalt demonstrieren. Seit 1991 wird der Titel »Europride« jährlich an eine europäische Stadt vergeben, die neben der traditionellen Pride-Parade mehrere sportliche, künstlerische und auf Menschenrechte ausgerichtete Veranstaltungen organisiert. Der WorldPride wird seit 2000 in unregelmäßigen Abständen von Ländern wie Italien, Israel, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Spanien und den Vereinigten Staaten veranstaltet. 2019 feierten New York und die ganze Welt anlässlich des fünfzigstens Jahrestags der Stonewall-Aufstände auf der Christopher Street die größte internationale Pride der Geschichte. Allein in Manhattan nahmen fünf Millionen Menschen an ihr teil. 2021 richteten Dänemark und Schweden die Veranstaltung zum ersten Mal gemeinsam aus. Wie einmal vom Schwulen Netzwerk NRW gesagt wurde, bleiben Prides authentisch und erfolgreich, wenn sie stets Repression und Verfolgung in Vergangenheit und Gegenwart thematisieren und über den Tellerrand hinausschauen.

Video

Pride-Paraden weltweit

Manhattan – flog ein Backstein oder ein Stöckelschuh?

Historiker, die sich intensiv mit dem Leben von Lesben, Schwulen, Transidenten und Queers beschäftigt haben, weisen jedoch darauf hin, dass die Bestrebungen für Gleichberechtigung bereits viele Jahre vor 1969 ihren Anfang nahmen. Schon im späten 19. Jahrhundert, 1897, um genau zu sein, gründete Magnus Hirschfeld in Berlin zusammen mit Max Spohr, Franz Joseph von Bülow und Eduard Oberg das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, die erste Schwulenrechtsorganisation der Welt. Mit dem Beginn von Nazi-Deutschland erlebten Homosexuelle, die in den Zwanzigerjahren eine bunte Subkultur geschaffen hatten und kaum verfolgt wurden, einen herben Rückschlag. Die gesellschaftliche Meinung wurde politisch motiviert, es wurde denunziert, und Homosexuelle wurden kriminalisiert, ihnen wurde nachgestellt und sie wurden an der Seite von Juden und anderen »ungewollten« Minderheiten in Konzentrationslager verschleppt. Man geht davon aus, dass bis zu 10 000 Männer mit dem Rosa Winkel im Rahmen des Holocausts den Tod fanden.

Verhaftet, gefoltert oder getötet: in Gedenken an verfolgte LGBTQ+

Dieses Erbe als Deutscher beeinflusst mein und unser Handeln und Denken bis heute. Nicht nur, weil ich aus Deutschland komme, sondern weil wir als schwule Männer in der damaligen Zeit dieser verfolgten Minderheit angehören würden. Sensibel gegenüber dieser Geschichte und mit den eigenen Erfahrungen, als schwuler Mann beschimpft und verfolgt zu werden, bin ich mir gleichzeitig meiner Verantwortung bewusst, etwas dafür zu tun, dass diese Grausamkeiten nicht erneut geschehen werden. Nicht in Deutschland und nirgends auf dieser Welt.

Es dauerte seine Zeit, bis sich die Situation für Schwule und Lesben nach dem Zweiten Weltkrieg wieder beruhigte. Die ersten Schritte setzten dann auch Homosexuelle in den USA in Richtung Gleichstellung mit der »Homophilenbewegung« zwischen 1951 und 1971. Mit dem Begriff »homophil«, was so viel bedeutet wie »dem Gleichen zugewandt«, versuchten schwule Männer, den Fokus von ihrer Sexualität abzulenken und rechtliche Probleme und politische Verfolgung zu vermeiden. Bereits 1951 wurde unter dieser Prämisse in Los Angeles die Mattachine Foundation gegründet, mit dem Ziel, die Rechte schwuler Männer zu schützen und zu verbessern. Nur zwei Jahre später folgte die Mattachine Society, die sich in den ganzen Vereinigten Staaten ausbreiten konnte. Doch auch lesbische Frauen begannen sich zu organisieren. Mit den Daughters of Bilitis wurde 1955 die erste amerikanische Lesbenorganisation ins Leben gerufen.

Doch bei allen Fortschrittsgedanken und erfreulichen Entwicklungen dieser Zeit darf nicht vergessen werden, dass Homosexualität noch bis zum 17. Mai 1990 von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation der UNO, als Krankheit eingestuft wurde. In Deutschland wurden einige Männer bis in die Neunzigerjahre hinein aufgrund ihrer Homosexualität ausgemustert. Auch in den USA galten verschiedene Gesetze und Regulierungen, die die Rechte für Homosexuelle einschränkten und teilweise illegalisierten. So war es in den frühen Sechzigerjahren im Bundesstaat New York sogar illegal, als schwuler Mann in einer Bar Alkohol zu trinken (wenn man ihn denn als solchen erkannte). Es ging sogar so weit, dass jede Bar oder jedes Restaurant wegen »ungebührlicher Verhaltensweisen« von der Polizei durchsucht oder geschlossen werden konnte. Auch wenn sich dieser Zustand ab 1967 entspannte, galt es als äußerst schwierig für Barbetreiber, eine Schankerlaubnis für ein offen schwules Etablissement zu erhalten. Somit lässt sich auch das von der Mafia betriebene Stonewall Inn zum Teil erklären.

Historisch betrachtet, war es damals also gar nicht so ungewöhnlich, dass Polizeirazzien in dieser und anderen Bars der Umgebung stattfanden. Doch der Zusammenprall von lesbischen, transsexuellen und schwulen Gästen mit der Polizei, die unter anderem auch die Personalien der Gäste aufnehmen wollte, schien ein volles Glas zum Überlaufen zu bringen.

QUEERES NACHTLEBEN IN NYC

New York City hat ein buntes queeres Nachtleben mit vielen Clubs und Bars – jeder findet etwas nach seinem Geschmack. Wir mögen die REBAR in Chelsea, klar, bei so vielen bärtigen Männern. Mit unseren lesbischen Freundinnen besuchten wir auch die gut gefüllte Bar Cubbyhole, eine der drei Lesbenbars in NYC.

rebarchelsea.comcubbyholebar.com

Und dann flog der erste Backstein – oder war es doch ein Stöckelschuh? Der Video-Dokumentation The Stonewall You Know Is a Myth. And That’s O. K. zufolge, die von der New York Times gemacht wurde, mit Interviews von Zeitzeugen der Stonewall-Aufstände, wären beide Gegenstände möglich. Der Schuh ist natürlich dramatischer. Wie bei so vielen geschichtlichen Momenten legen ungenaue, unvollständige Aufzeichnungen und sich widersprechende Augenzeugenberichte den Grundstein für Legenden. So auch hier. Das mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass damals nur wenige lokale Medien über die Zusammenstöße berichteten. Doch es dauerte nicht lange, bis sich das Ereignis wie ein Lauffeuer von der New Yorker LGBTQ+- Community in allen Bundesstaaten und weiter bis nach Europa verbreitete.

Bereits im darauffolgenden Monat wurde der erste Schwulenmarsch in New York vom Washington Monument zum Stonewall Inn organisiert – die Schwulenbefreiungsbewegung, auch bekannt als Gay Liberation Front, war geboren. Nur ein Jahr später folgten die ersten Pride-Demonstrationen in Los Angeles, San Francisco und New York City, denen weitere US-amerikanische Städte folgten. Die erste Demonstration der LGBTQ+- Community in Europa fand im November 1970 in London statt, wo zwei Jahre später auch der Begriff »Gay Pride March« zum ersten Mal verwendet wurde. Die erste Demonstration in Deutschland wurde am 29. April 1972 in Münster abgehalten. Bereits am 30. Juni desselben Jahres folgten die ersten Christopher-Street-Day-Demonstrationen in Bremen, Berlin, Köln und Stuttgart. Heute können LGBTQ+-Reisende an über sechzig CSD-Demonstrationen für gleiche Rechte oder für die Anpassung der Gesetze für Transidente und Regenbogenfamilien in ganz Deutschland teilnehmen.

Von Angst oder Unterdrückung konnten wir im queeren Stadtviertel Manhattans zum Glück nichts mehr wahrnehmen. Keinen einzigen Gedanken mussten wir daran verschwenden, aufzupassen, ob irgendjemand unser Händchenhalten als Provokation aufnehmen und uns physisch oder verbal angreifen könnte. Wie selbstverständlich schlenderten wir vorbei an markanten Hochhausbauten, Eingängen zur Untergrundbahn und zahlreichen Graffiti, die so manch eintönige Häuserfassade in ein lebendiges Kunstwerk verwandelten. Homosexuelle und queere Kulturen haben sich im heutigen New York – wie in vielen Großstädten weltweit – gesellschaftlich etabliert, vor allem in den Stadtteilen Greenwich Village, Chelsea, Brooklyn und auch Queens. Darauf sind die Menschen, die hier wohnen, sichtlich stolz. So auch Meg, eine US-amerikanische Frauen- und Lesbenaktivistin, die wir einmal in Kanada kennengelernt hatten. Die temperamentvolle und selbstbewusste Frau hat den Blog »EveryQueer« und erzählte uns: »Ich liebe meine Stadt und bin besonders stolz darauf, wie sich die Community in New York City in den letzten Jahrzehnten verändert hat und mehr und mehr zu einer queeren Community geworden ist. Außerhalb der Stadtgrenzen, wie in so vielen anderen Metropolen auch, haben es LGBTQ+ jedoch immer noch deutlich schwerer, Gleichgesinnte zu finden und sich in einer queeren Kultur sicher aufgehoben zu fühlen.«

New York City war immer anders und in gewissen Themen dem Rest der USA voraus. Vor allem im ländlichen Raum und den besonders religiös geprägten Gebieten in den Südstaaten, im sogenannten Bible Belt (Bibelgürtel), herrscht weiterhin eine grundsätzliche Ablehnung von queeren Lebensweisen vor, was das Leben der dortigen LGBTQ+- Community bis heute maßgeblich beeinflusst. Wir konnten uns bisher allerdings noch nicht vor Ort überzeugen und hoffen, dies in den nächsten Jahren nachholen zu können. Vor allem in den Gegenden, die in Reichweite von Großstädten liegen, scheint es sich mit einer wachsenden Offenheit der jüngeren Generation langsam zu verändern.

Kuss vor dem Graffiti von Hektad

HOMOSEXUALITÄT WELTWEIT

In Europa, speziell in Deutschland, wurden die Ablehnung und Ausgrenzung von Homosexuellen und deren Handlungen seit 1872 per Gesetz festgeschrieben und im Strafgesetzbuch im Paragrafen 175 geregelt. Sowohl die DDR als auch die BRD behielten die 1935 durch die Nationalsozialisten verschärfte Fassung sogar bei. Jedoch wurden die Verfolgungen und Verurteilungen unterschiedlich gehandhabt und die Formulierungen im Laufe der Zeit mehrfach geändert. Erst einige Jahre nach der Wiedervereinigung, 1994, wurde der Paragraf 175 ersatzlos gestrichen. Heute wird jedes Jahr am 17. Mai ( 17.5., in Anspielung auf den Paragrafen) der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie beziehungsweise -feindlichkeit in Gedenken an die WHO-Entscheidung und die Opfer der strafrechtlichen Verfolgung gefeiert. Dazu hängen wir unsere Regenbogenfahnen aus dem Fenster, posten ein Kussbild mit dem Regenbogen und versuchen so, ein motivierendes Zeichen zu setzen, um weiter gegen die noch immer herrschenden Ungerechtigkeiten und weltweiten Verfolgungen von queeren Menschen zu kämpfen.

Hand in Hand durch New York Citys Straßen

Das Stonewall Inn, die Mafia und Barack Obama

»Hey Karl, alles in Ordnung, du bist auf einmal so still?« Daan schaute mich mit leicht besorgtem Gesichtsausdruck an.

»Ja, alles in Ordnung«, antwortete ich kurz. »Bin wohl ein wenig in Gedanken versunken. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich wirklich hier bin. Aber alles gut.« Mit einem kurzen Händedruck und einem Nicken gab ich Daan zu verstehen, dass dieser Augenblick ein außergewöhnlicher für mich ist.

»Kein Problem! Ich geh schon mal auf die andere Straßenseite und positioniere die Kamera. Ich ruf dich, wenn ich so weit bin, okay?«

Emotional aufgewühlt starrte ich auf das rote Backsteingebäude, das mit unzähligen Regenbogenfähnchen geschmückt ist. Ein Wirrwarr aus traurigen und schönen Erinnerungen ging mir durch den Kopf. Erinnerungen an meine Kindheit, mein Coming-out, meine ersten Freunde aus der LGBTQ+- Community. Und während ich immer und immer wieder den roten Neon-Schriftzug »Stonewall Inn« im riesigen Schaufenster halblaut vor mich hin las, überkamen mich Wut auf die Ungerechtigkeiten, denen queere Menschen ausgesetzt sind, und Freude über das Erreichte zugleich. Ich war tatsächlich hier, an dem Ort, an dem vor fünfzig Jahren alles begann. Und nicht allein, sondern mit dem Mann meines Lebens an meiner Seite.

Mein Blick wanderte über eine kleine Gedenktafel neben dem Eingang. Was ich in diesem Moment noch nicht wusste: Unter Barack Obama, dem vierundvierzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten, wurden diese von außen so unscheinbar wirkende Gay Bar und der nahe gelegene Park zu einem historischen Monument der USA erhoben. Und die Eigentümer des Stonewall Inns sind sich auch heute noch der besonderen Bedeutung bewusst. Regelmäßige Veranstaltung von und für die LGBTQ+- Community finden genauso statt wie der fortlaufende Barbetrieb. Fotos und Gedenktafeln an den Wänden der Bar und in den Toiletten erinnern zusammen mit weiteren Details an die Geschehnisse Ende Juni 1969. Ein Stück queere Zeitgeschichte, ohne die wir heute vielleicht noch ganz andere Verhältnisse in unserer Gesellschaft bezüglich Homosexualität und anderer Lebensweisen vorfinden würden.

»Ich bin fertig. Mit dieser Einstellung bekommen wir die gesamte Vorderseite des Stonewall Inn auf das Bild. Steck dein Regenbogen-T-Shirt noch in die Hose, und hier hast du dein Regenbogenstirnband!« Daan lief zu mir rüber und dann zurück zur Kamera, um mich mit gekonnten Handbewegungen in die richtige Position zu manövrieren. Schließlich sollte dieses Erinnerungsfoto auch glücken.

STONEWALL NATIONAL MONUMENT

Das Stonewall Inn, der gegenüberliegende Christopher Park sowie der angrenzende Häuserblock bilden heute das Stonewall National Monument – das erste in den USA, das auf die Rechte der LGBTQ+-Community hinweist. Eingeweiht wurde es 2016 durch US-Präsident Barack Obama. 2021 kam inoffiziell eine Bronzebüste der Aktivistin Marsha P. Johnson hinzu.

nps.gov/ston/index.htm

Noch während ich mir das Shirt in die Hose steckte, hörte ich auf einmal ein fast hysterisches Geschrei hinter mir: »Hey Karl, Kaaaaaaaarliii«, rief eine quietschende Stimme.

Ryan. Natürlich. Unseren kanadischen Freund würde ich immer und in jeder Menschenmenge heraushören. Ich hatte die Zeit völlig aus den Augen verloren. Wir waren an diesem Ort mit einigen Reisefreunden für ein Erinnerungsfoto verabredet. Ryan machte den Anfang. Zum ersten Mal begegneten wir dem quirligen jungen Mann mit dem Reiseblog »Out With Ryan« in Stockholm, und seitdem standen wir in engem Kontakt. Kurz darauf traf das lesbisch-queere Paar Maartje und Roxanne aus Amsterdam ein. Beide zählen zu unserem engsten Freundeskreis und inspirieren LGBTQ+-Reisende durch fantastische Fotos auf ihrem Blog »Once Upon a Journey«. Ihnen auf den Fersen folgten Meg und die nicht-binäre Lindsay sowie das lesbische Bloggerpaar von »27 Travel« Gabi und Senna aus New York.

Wir hatten uns alle aufgrund unserer Arbeit als queere Content Creators (Storyteller), LGBTQ+-Reiseblogger und Mitglieder des Netzwerks IGLTA (International LGBTQ+ Travel Association) kennengelernt und besuchten nun gemeinsam New York auf der Suche nach dem Ort, an dem unsere freiheitliche Geschichte ihren Anfang nahm.

Meg, Karl, Bailey, Ryan, Roxanne, Gabi, Senna, Lindsay, Maartje und Daan (von links) mit einem Stonewall-Inn-Zeitzeugen in der Mitte

Vor fast vier Jahren hatten Daan und ich unseren ersten Artikel auf unserem Reiseblog »Couple of Men« veröffentlicht. Ich arbeitete bereits seit mehreren Jahren als Redakteur, Werbetexter und Übersetzer und Daan als Schauspieler, Theatermacher und Regisseur. Dazu passte unsere Liebe zu Fotografie und Filmen. Et voilà, unser Blog war geboren. Was als persönliches Reisetagebuch mit kurzen Berichten und schönen Aufnahmen begann, entwickelte sich mit der Zeit zu einem Fundus an relevanten Reiseinformationen, die vor allem von schwulen Männern, aber auch von anderen für ihre Reiseplanung genutzt werden.

Nach nur wenigen Monaten wurde uns klar, dass diese Arbeit mehr war als nur ein Hobby. Unser Blog wurde immer bunter, regenbogenbunter, denn wir begannen unseren Fokus – neben fantastischen Reiseabenteuern –, darauf zu legen, ausschließlich LGBTQ+-freundliche Reiseziele vorzustellen, CSD- und Pride-Veranstaltungen zu begleiten und zu bewerben und mithilfe von Journalisten wie Sarah Tekath auf die prekäre Situation queerer Menschen in homophoben Ländern aufmerksam zu machen. Nachhaltiger und bewusster zu reisen und dabei besonderen Augenmerk auf die schwule Kultur zu legen, das bestimmt unsere heutige Arbeit, die hier in New York City kurz vor dem sechsten World Pride eine ganz neue Bedeutung bekam. Was hatten wir in über fünfzig Jahren erreicht? Wie gehen wir damit um, dass aus der Schwulen- und Lesbenbewegung nun eine queere LGBTQ+-Bewegung geworden ist? Was waren unsere nächsten Ziele für Gleichberechtigung, Toleranz und Respekt? Wie unterstützen wir LGBTQ+ in Ländern, in denen auch heute noch queere Menschen verfolgt, eingesperrt und ganz legal hingerichtet werden? Wie stabil und sicher ist die Situation in den Ländern, die als queer-freundlich gelten?

»Alle auf eure Plätze, bitte«, rief Daan von der anderen Straßenseite zu uns herüber, bevor er auf den Selbstauslöser drückte. Aufgedreht begannen wir uns aufzustellen und zu sortieren, den Schriftzug des Stonewall Inn immer gut lesbar im Rücken. Und hätte ich nicht so lachen müssen, weil Ryan wieder einen seiner witzigen Sprüche fallen ließ, hätte ich wahrscheinlich geweint, vor Freude. Die Regenbogenfahne in der einen, meinen Mann in der anderen Hand fühlte ich Stolz in mir aufsteigen. Stolz, ein Teil dieser Freundesgruppe zu sein. Stolz darauf, das Erbe der LGBTQ+-Freiheitsbewegung aus den Sechzigern in die Gegenwart zu holen. Stolz, fünfzig Jahre nach den Aufständen genau an diesem Ort so sein zu können, wie ich bin und nicht beurteilt, verfolgt oder beschimpft zu werden. Den anderen ging es, ihren Gesichtern nach zu urteilen, nicht anders. »Happy Pride!«

Doch wo begann unsere gemeinsame Reise eigentlich? Wo nahm das Abenteuer von »Couple of Men – ein Männerpaar auf Reisen« seinen Anfang?

NOCH MEHR ÜBER DIE USA

In späteren Jahren gingen wir auf Shopping-Tour in San Francisco, wo wir queere Artikel auf der Castro Street Fair erstanden, machten eine Ballonfahrt über die grünen Hügel von Galena in Illinois und besuchten alle Freizeitparks des Disney World Resorts und der Universal Studios in Orlando, Florida. Scanne den QR-Code und lies mehr über unsere USA-Abenteuer auf:

coupleofmen.com.

coupleofmen.com

Sonnenaufgang im Dresdner Zwinger

DEUTSCHLANDErzgebirge · Dresden · Berlin

»DU BIST VERRÜCKT, MEIN KIND, DU MUSST NACH BERLIN«

Es war Ostern 2013 in Berlin, und ich erwartete jeden Augenblick Besuch von meinen besten Freunden Alessandro, Amir, Richard, Martin und Tom. Wir hatten uns in meiner kleinen Wohnung in Berlin-Moabit verabredet. Snacks und Getränke hatte ich vorbereitet und ein paar Outfit-Ideen für die Nacht aufs Bett gelegt. Wir wollten gemeinsam ausgehen, in den berühmt-berüchtigten KitKatClub. Der Abend stand unter dem Motto »Sports Night«, und wir waren in sportlicher Laune nach unseren wöchentlichen Trainingseinheiten auf dem Volleyballfeld. Zusammen mit ein paar weiteren Berliner Volleyballern, allesamt Mitglieder im Berliner Sportverein für Schwule und Lesben, kurz Vorspiel SSL Berlin e. V., spielten wir auf Turnieren gegen andere LGBTQ+-Sportvereine aus ganz Europa.

Madonna sang gerade eine Ballade, als es an der Tür klingelte. Alessandro und Amir waren die Ersten. Wir drei strahlten um die Wette, als Amir eine Flasche Prosecco hinter seinem Rücken hervorzauberte. Aus ihm, einem gebürtigen Berliner mit türkischen Wurzeln, platzten Klatsch und Tratsch schon mit dem ersten Schritt über die Türschwelle heraus. Ich spürte, wie sehr er sich darauf freute, mit uns gemeinsam auszugehen. Mit einem Glas Prosecco ließ er sich auf mein Bett fallen, drehte sich auf den Bauch und bewegte seine Beine in der Luft hin und her. Alessandro, ein ruhiger, gebürtiger Italiener, der in Berlin Mode und Fashion Design studierte, setzte sich auf meine Couch. Ihn interessierte das neue Design-Magazin, das auf dem Beistelltischchen lag. Wir drei hatten uns beim Volleyballspielen kennengelernt und dabei sehr schnell bemerkt, dass wir nicht nur auf dem Spielfeld harmonierten.

Karl in »seiner« Stadt: Berlin

Kurz darauf standen auch Tom, Martin und Richard vor der Tür. Unser Team für den Abend war komplett. Wir quatschten alle wild durcheinander, einige von uns tanzten zwischendurch zu Lady Gaga, und Alessandro inspizierte meine Outfits. Selten war meine Auswahl gut genug für eine Partynacht mit ihm, schon jetzt war er eben eine echte Fashion-Ikone. Tom und Martin waren ein Paar und die organisatorischen und kreativen Köpfe hinter dem SchwuZ, meinem queeren Lieblingsclub in Berlin. Dort hatte ich die beiden und auch Richard kennengelernt, und so entwickelte sich das SchwuZ zu meiner Stammkneipe, natürlich auch wegen meiner Jungs.

QUEERE NÄCHTE IN BERLIN

Daan und ich haben uns im KitKatClub kennengelernt, gehen gelegentlich ins Berghain und lassen gern Dampf ab in der Schwulensauna Boiler. Natürlich gehört auch ein Besuch im Prinzknecht in Schöneberg oder im SchwuZ dazu. Pop-up-Partys und Kunstinstallationen machen Berlin zur Partyhauptstadt mit dem wohl besten queeren Nachtleben weltweit.

Aufwachsen in einem Land, das es nicht mehr gibt

Mein zwölfjähriges Ich konnte von einer solchen Welt nur träumen, hatte ich doch gerade erst mit dem Volleyballtraining begonnen und war damit beschäftigt, meinen wirren Kopf zu sortieren. Bis zu meinem Coming-out, also über sechs Jahre lang, wusste ich, dass ich mich mehr für Männer und nicht – oder nur sehr wenig – für Frauen interessierte. Gedanken und Gefühle, die ich in mir spürte – eigentlich wollte ich am liebsten einen Freund haben und keine Freundin –, unterdrückte und verdrängte ich. Die einschlägigen Jugendmagazine wie die Bravo sprachen von einer Phase, die jeder Jugendliche durchmachen würde. Mir gaben sie (eine falsche) Hoffnung, vielleicht doch normal zu sein. Normal im Sinne von, so zu denken und zu fühlen, wie man es von einem heranwachsenden Jungen erwartete.