Culmanns Rom - Otfried H. Culmann - E-Book

Culmanns Rom E-Book

Otfried H. Culmann

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Beschreibung

Viele Reisen nach Italien und ein Stipendium in der Villa Massimo führten Otfried Culmann nach Rom, das er über und unter der Erde erforschte. Er begegnete Menschen, die wie er ihre Phantasie in Bildern, Büchern und Filmen festhalten. In Culmanns römischen Tagträumen erscheinen mysteriöse Gladiatorinnen, die vor aufkommenden Ereignissen warnen, riesige Holzpferde, die an den Strand bei Terracina gespült werden; ein Erfinder, dessen Phantasie ins Maßlose geht. De Chirico, Fellini, sowie weitere Künstler und Schriftsteller kreuzen seinen Weg, der zu imaginären Brunnenanlagen, Ruinen und phantastischen Bauwerken in der Campagna di Roma und zu redenden Statuen führt.

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Meine persönliche Leidenschaft zu Italien begann vor mehr als vierzig Jahren. Zuerst erkundete ich das Land mit dem Zelt, dann mit dem Caravan. Nach 1977 war ich als Stipendiat mehrmals Gast der Villa Massimo in Rom. Für den Winter 1983/84 erhielt ich ein Stipendium in der Casa Baldi bei Olevano Romano. Öfters wohnte ich bei Freunden in Rom und Latium. Die Eindrücke waren und sind prägend für viele meiner Bilder und phantastischen Romane, wie ‘Der Mann mit der Arena im Kopf ’ (1980) und dem, in den Villen des Veneto spielenden, Bilder-Roman ‘Aurelias-Tagtraum’ (1996).

Rom ist ein Konglomerat aus Realem und Phantastischem. Während früher Cäsare ihre Pferde zum Konsul ernannten, lenkte im heutigen Jahrhundert ein schillernder Musikentertainer als Ministerpräsident das Land; Clowns sitzen in einem Regierungskabinett, das mehr mit sich selbst beschäftigt ist als mit den Problemen des Landes. Das alltägliche Leben geht unbeeindruckt weiter...

In diesem Buch zeige ich anachronistisch Ölbilder, Grafiken und Fotografien, die in Rom und seinem Umfeld entstanden sind und erzähle von Personen, die mir real und in meinen Tagträumen begegneten.

Dank an meine Frau Gabriele, meine Söhne Cornelius und Philipp, sowie allen, die mir in irgendeiner Weise behilflich waren, dieses Werk zu realisieren.

Inhaltsverzeichnis

Rom und die geheimnisvollen GladiatorinnenDer Erfinder und seine AltarmaschinenRömische WahlverwandtschaftenRömische CampagnaRömische BrunnenSprechende Statuen

Rom und die geheimnisvollen Gladiatorinnen

Als ich durch die Porta del Populo ging, stand der Verkehr still, die Brunnen hörten auf zu fließen und die Königin der Zikaden zirpte aufgeregt hoch oben vom Pincio herab. Mit langsamen, schlurfenden Schritten kreuzte ein Buckliger, der eine bunte Fahne in den Händen hielt, meinen Weg.

Es war das Zeichen von kommenden erstaunlichen Ereignissen!

Der beschwerliche Weg über die Alpen, die Hitze auf der Autostrada in der Po-Ebene und das Verkehrschaos auf dem Grande raccordo anulare waren vergessen.

„Endlich in ROM!“, rief ich aus. Die Autos setzten sich wieder in Bewegung und das Wasser in den Brunnen begann wieder zu fließen.

Die Muse der Gladiatoren

1978 Öl auf Tafel 15 x 12,5 cm

Gladiatorin westlich von Rom

1976 Öl auf Tafel 15 x 12,5 cm

1977 erhielt ich ein Stipendium für die Deutsche Akademie Villa Massimo in Rom und bewohnte dort das Studio 6. Vom kühlen Morgen bis zur Mittagszeit arbeitete ich an meinen Bildern. Nach dem Mittagessen, wenn es zu heiß war um zu arbeiten, saßen meine Frau und ich in Liegestühlen im Schatten der Bäume und lasen. Am späten Nachmittag fuhren wir meist mit dem Bus zu Besichtigungstouren in die Stadt und auf dem Rückweg fütterten wir hinter der Villa die heiligen Gänse, deren Vorfahren durch ihr alarmierendes Geschnatter das schlafende Rom vor den anrückenden Kelten gerettet hatten.

Die Nächte waren so unerträglich heiß, dass ich oft nicht schlafen konnte und das Haus verließ, um in antiken Ruinen herum zu streifen. Hierbei beobachtete ich Gladiatorinnen, die von ihrem Eisen- und Lederpanzer befreit, auf Marmorsockeln und in leeren Nischen von Nymphäen liegend, ihren nackten Körper vom Mondschein bestrahlen ließen. Eines Nachts sah ich, wie eine Frau aus einem Marmorbecken ohne Wasser stieg, sich nach ihrem Mondbad einen weißen Federumhang um die Schultern legte und eine Zypressenallee hinab schritt.

Forum romanum

1993 Öl auf Tafel auf Glas 68 x 83 cm

Ich malte in meinem Studio Bilder mit Frauen, die zwischen Büschen stehen oder monumental über römische Bauwerke herausragen und mich anschauen. Einige blicken hinter Kellerfenstern oder hinter Türen von gigantischen Grotten hervor.

Die Hüterin der Wölfe

1975 Öl auf Tafel 15 x 12,5 cm

Gladiatorin mit Holzschild

1976 Öl auf Tafel 15 x 12,5 cm

Eines Tages, als ich vor dem geöffneten Küchenfenster stand, sah ich auf der anderen Straßenseite einige Frauen, die zu mir herüber blickten und sich gegenseitig etwas zuflüsterten. Sie erhoben die rechte Hand, so als wollten sie mich vor etwas warnen. Weitere Frauen traten hinzu und die gleiche Szene wiederholte sich! Unter ihren weiten Mänteln, Umhängen und Gewändern zeichneten sich Rüstungen ab. Sogar nachts, wenn ich von der Staffelei aufstand und auf die schwach beleuchtete Straße blickte, konnte ich die Frauen sehen, deren glänzende Augen mein erleuchtetes Fenster suchten. In der Stadt gab es gewaltige politische Demonstrationen, bei denen ein Anführer erschossen wurde. Durch die seltsamen Zeichen der Frauen beunruhigt, warnte ich die anderen Stipendiaten davor, das Gelände der Villa zu verlassen, womit ich auch bald Recht haben sollte. Am nächsten Vormittag erschütterte eine Explosion mit einem gewaltigen RRRRRUUMMMSSSS!!! das ganze Viertel. Eine Autobombe war einige hundert Meter von der Villa Massimo entfernt an einer großen Bushaltestelle auf der Piazza Bologna explodiert. Autos und Kioske brannten - sämtliche Fensterscheiben der umliegenden Geschäfte und Wohnungen waren zersplittert. Von überallher ertönten die Sirenen von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten.

„Ferragosto“, die Zeit der Sommerferien begann. Viele Familien fuhren hinaus aufs Land oder ans Meer, da die Temperaturen in der Stadt tagsüber unerträglich waren und die Häuserwände die Hitze noch bis tief in die Nacht ausdünsteten. Diese Hitze, die aus der Sahara herübergezogen war, hatte sich wie ein Krake in den Straßen festgesaugt. Selbst die Statuen in den Parks litten und hatten ihre Sockel verlassen. Ich ging davon aus, dass sie fortgegangen waren und hoffte, dass sie im Herbst, wenn die Hitze nachließ, wieder zurückkämen.

Eines Morgens klingelte das Telefon. Als ich den Hörer abnahm, hörte ich die Stimme von Fabius von Gugel. In der vergangenen Nacht hatte es das erste Sommergewitter gegeben und er hatte bis Mitternacht an Bühnenbildentwürfen gearbeitet, als durch einen Blitzschlag plötzlich im ganzen Viertel der Strom ausfiel und alles dunkel wurde. Gugel, ein äußerst ängstlicher Mensch, hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht, da er befürchtete, der Blitz könnte auch in sein Haus einschlagen und ihn treffen, so wie er es schon in Zeichnungen dargestellt hatte. Er war noch immer von dem nächtlichen Höllenspektakel verwirrt. Solche bedrohlichen Erlebnisse trafen ihn bis ins Mark und er wäre am liebsten den ganzen Tag, die ganze Woche, ja eigentlich überhaupt nicht mehr aus dem Haus gegangen. Seine Weltangst war in manchen Augenblicken so extrem, dass er befürchtete: „Wenn mich nicht der Blitz trifft, dann vielleicht ein Meteorit!“ Ein winziger Meteorit würde reichen und der würde nicht in den Sabiner Bergen oder im Meer einschlagen, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit ihn treffen! Trotzdem ließ er sich dazu überreden, am kommenden Vormittag ins Caffè Greco zu kommen.

Römischer Herbst

1982-83 Öl auf Leinwand 120 x 150 cm

Im Zentrum, nicht weit von der Spanischen Treppe, befindet sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts das weltweit bekannte Caffè Greco. In diesem Café trafen sich Maler, Dichter und Schriftsteller aus ganz Europa und besonders aus Deutschland, weshalb es zeitweise auch „Caffè dei Tedeschi“ genannt wurde. Die sogenannten Deutsch-Römer und die Nazarener waren dort zu Hause und Schriftsteller von Casanova bis Goethe saßen oft schreibend und Freunde empfangend an den Tischen. Im 19. und 20. Jahrhundert traf man dort Arthur Schopenhauer, Alberto Moravia, Orson Welles und viel andere Persönlichkeiten. Im Caffè konnte man auch seine Post abholen, es diente als Verkaufsgalerie und wenn ein Maler kein Geld hatte, gab er ein Bild in Zahlung. Vielleicht hängen deshalb so viele Ölbilder aus dem 19. Jahrhundert, von Zigarrenqualm gebräunt, an den Wänden? König Ludwig I. von Bayern, der in der nahe gelegenen Villa Malta die Wintermonate verbrachte, spendierte den Künstlern so manche Lokalrunde. Philipp Fohr fertigte 1816 von den sich im Caffè befindenden Künstlern Zeichnungen an, um ein großes Ölbild zu malen, dessen Ausführung aber durch seinen frühen Tod 1818 beim Baden im Tiber verhindert wurde. 1976 realisierte Renato Guttuso ein ‘Caffè Greco’ - Bild, das sich heute im Museum Ludwig in Köln befindet.

Begegnung im Caffè Greco -

Fellini, Rosendorfer, Chirico, Culmann, Clerici, Piranesi, Gugel

2014 Öl auf Tafel 30 x 40 cm

Auf diesem von mir gemalten Bild ‘Begegnung im Caffè Greco’ habe ich mich im Kreise meiner römischen Wahlverwandten im Caffè Greco im Zimmer mit dem Namen ‘Sala Omnibus’ dargestellt. Dieser Raum ist einem Abteil des Orient-Express nachempfunden mit dem Unterschied, dass die Gäste nicht aus dem Zugfenster, sondern auf Ölbilder mit römischen Landschaften blicken.

Auf der linken Seite sitzt der Regisseur Federico Fellini, ein Phantast der Kinoleinwand, der zwei Straßen weiter in der Via Margutta wohnte. Hinter ihm steht der Schriftsteller Herbert Rosendorfer. Daneben sitzt Giorgio de Chirico, der fast täglich von seinem großen Appartement an der Spanischen Treppe ins Caffè Greco kam. Rechts von mir befindet sich der Maler Fabrizio Clerici, hinter dem Giovanni Battista Piranesi hervor schaut. Vorne rechts sitzt der Grafiker Fabius von Gugel.

Fabius von Gugel von Brandt und Diepoltsdorf (1910-2000), geboren in Worms am Rhein, aufgewachsen in München, zog 1929 nach Rom, um dort die Kunstakademie zu besuchen. Nachdem er in den Dreißiger Jahren einige Zeit in Paris gewohnt hatte, belegte er 1936 an der Münchner Knirrschule Kurse für Maltechnik bei Prof. Max Doerner. Kurz vor einer in Paris geplanten Ausstellung wurde er 1939 zur Wehrmacht eingezogen. Nach dem Krieg kehrte er nach Rom zurück und hatte 1953 eine Ausstellung in der Galleria dell’Obelisco. In Rom begegnete er Fabrizio Clerici, Leonor Fini, Giorgio de Chirico, Roberto Matta und Federico Fellini. Nach 1956 lebte Gugel wieder in München und entwarf neben seinen phantastischen Zeichnungen, Bühnenbilder und Porzellan. Viele Reisen führten ihn nach Nordafrika und Indien. Wieder zurück in Paris teilte er sich zeitweise ein Atelier mit Max Ernst. Er hatte seinen ständigen Wohnsitz in München, lebte aber mehrere Wochen im Jahr in Rom, in der Nähe des Campo dei Fiori. Fabius von Gugel, mit dem ich mehrmals zusammen ausstellte, hatte eine Kopie des Bildes ‘Goethe in der Campagna’ geschenkt bekommen. Da er den Anblick von Goethe nicht mehr ertrug, kopierte er das Bild, mit dem Unterschied, dass Goethe nun dem Betrachter den Rücken zukehrt und in die Campagna blickt.

Goethe-Kunstdruck, der viele Jahre im Wohnzimmer meiner Mutter hing.

Unser Freund Antonio Cenciarelli (1936-2012) in den Ruinen der Stadt Castro in Goethe-Pose ein Gedicht schreibend (2010).

Der Palast im Botanischen Garten

2001 Öl auf Tafel 24,5 x 38 cm

Fabrizio Clerici (1913-1995), der in Rom an der Piazza Navona ein Appartement und ein Haus in der Toskana besaß, gehört zu den bedeutendsten italienischen, phantastischen Künstlern. Seine Arbeiten lernte ich durch Gustav René Hocke kennen. Clerici arbeitete anfangs als Architekt und erst 1943 wurden Grafiken von ihm in einer Ausstellung gezeigt. Nach dem Krieg begann er zu malen und gestaltete Bühnenbilder für die bedeutendsten Opernhäuser Europas. Zahlreiche Buchausgaben seiner Zeichnungen, Radierungen und Lithografien wurden veröffentlicht. Herausragend ist die Serie zu ‘Orlando’ und ‘Die Reise des Marco Polo’. Seine Ölbilder von verlassenen Städten, römischen Kulten und geheimnisvollen, ägyptischen Zimmern faszinieren mich besonders.

Längere Zeit hatte ich Kontakt mit seinem Schüler Titus Vossberg (1934), der nicht weit von Clerici in der ‘Via del Governo Vecchio’ wohnte. Vossberg, der unter der Leitung von Giorgio Strehler Kostüme für die Mailänder Oper entwarf, malt phantastische Architekturen und arbeitet als Set-Decorateur für zahlreiche Fernseh- und Spielfilme, wie z. B. ‘Paganini’ von Klaus Kinski.

Die erste Begegnung mit Giorgio de Chirico (1888-1978) fand im Jahr 1972 statt. Gabriele und ich standen am späten Nachmittag gegenüber der ‘Spanischen Treppe’, als ein Blitz aus einer Gewitterwolke mit lautem Knall die Elektroleitungen an der Fassade des Hauses Nr. 31 entlang zuckte. Einen Moment später öffneten sich, wie bei einer Kuckucksuhr, in einer oberen Wohnung zwei Türläden und ein Mann trat an das Balkongeländer.