"Da verdient man ja nichts!" -  - E-Book

"Da verdient man ja nichts!" E-Book

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Beschreibung

Wie sind Lebensgeschichte und Pfarrberuf miteinander verknüpft? Dieser Frage geht Michael Heymel anhand von 21 Berufsbiographien evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer nach. Wie sehen sie in verschiedenen Lebensaltern sich selbst und ihren Beruf? Welche Rolle spielen Vorbilder, Pfarrbilder, Kirchenbilder und berufliche Ziele? Wie beschreiben sie ihren persönlich gelebten Glauben? Welche Bedeutung hat die Theologie für ihre berufliche Praxis? Die Antworten regen an zur Reflexion der eigenen Berufsbiographie und zum Gespräch über den Sinn des Pfarrberufs. Das Buch liefert zugleich einen qualitativ-empirischen Beitrag zur Pastoraltheologie. Es gibt darüber Auskunft, welche biographischen Faktoren die Bildung von Pfarrpersonen beeinflussen und wie diese ihren Berufsalltag bewältigen. [Professional Biographies of Pastors] The life story and the vocation of a pastor, how are they connected with each other? Michael Heymel keeps track of this question on the basis of twenty-one professional biographies of Protestant pastors. How are they reflecting themselves and their profession at different ages? Which role do individual role models play, views on pastoral behaviour and the church as well as professional goals? How do they describe their personal faith? Which relevance does theology have for their professional practice? The responses stimulate the reader to reflect on his own professional biography and to talk about the meaning of the pastor's vocation. At the same time the book makes a qualitative empirical contribution to pastoral theology. It gives information about the questions which biographical factors influence the development of pastors and how pastors cope with their daily professional life.

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Michael Heymel (Hrsg.)

»DA VERDIENT MAN JA NICHTS!«

BERUFSBIOGRAPHIEN VON PFARRERINNEN UND PFARRERN

Michael Heymel, Dr. theol., Jahrgang 1953, studierte Evangelische Theologie und Philosophie in Frankfurt/Main und Heidelberg. Er ist Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und war als habilitierter Theologe bis 2012 Privatdozent für Praktische Theologie an der Universität Heidelberg. Seit 2016 lebt Heymel im Ruhestand, ist aber weiterhin aktiv als Mitglied der Paul-Gerhardt-Gesellschaft, der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie und der Deutschen Dante-Gesellschaft.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Zacharias Bähring, Leipzig

Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-37404922-6

www.eva-leipzig.de

VORWORT

»Da verdient man ja nichts!«, sagt ein Vater zu seinem Sohn, als dieser ihm seinen Berufswunsch mitteilt: Pfarrer. Der Vater hat in einer großen Firma Karriere gemacht. Er versteht einfach nicht, wie man als Akademiker einen Beruf anstreben kann, der »nichts« einbringt, verglichen mit den Gehältern, die Leitungskräften in der Wirtschaft gezahlt werden. In gewisser Hinsicht hat der Mann sogar recht: So viel »verdienen« kann man im Pfarrberuf nicht. Das relativ gesicherte Einkommen ist, wie es auf Kirchenamtsdeutsch heißt, »auskömmlich«, aber geringer als das, was Mediziner und Juristen für ihre Leistungen erhalten.

Doch wer »verdient« schon, was er verdient? Wer Pfarrer oder Pfarrerin1 werden will, denkt nicht zuerst an den Verdienst, auch nicht an Verdienste, um derentwillen man geehrt wird. Menschen, die den Pfarrberuf ergreifen, sind Überzeugungstäter. Sie wollen in ihrem Berufsleben etwas tun, wovon sie überzeugt sind. Sie wollen auf eine besondere, eigensinnige Weise dem Leben dienen und etwas mitteilen, was dem Leben Sinn gibt; welcher Lohn, welches Gehalt dafür bezahlt wird, ist für sie von nachrangigem Interesse. Auch wenn Pfarrer als religiöse Dienstleister in Anspruch genommen werden – ihr Beruf ist ein anderer. Ihr Beruf ist: Gnadenausteiler zu sein. Gott und den Menschen zu dienen, indem sie Gottes Gnade austeilen. Gnade sei mit euch und Friede von Gottund dem Herrn Jesus Christus! Und dabei erfahren sie, was andere vor ihnen erfahren haben: dass alles Wesentliche des Lebens wie das Leben selbst uns frei und umsonst, gratis eben, sola gratia zuteilwird. Was hast du, das du nichtempfangen hast? Alle werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade.

Wem das einmal aufgegangen ist, der kann es nur weitergeben. Ja, es ist wahr, man verdient nichts dabei – und empfängt doch unverdient alles! So teilen wir aus, was keiner verdient, auch die anderen nicht.

Als ich Kollegen mitteilte, dass ich Material für eine Untersuchung über Berufsbiographien von Pfarrern sammelte, kamen sofort zustimmende Reaktionen. Ein Emeritus schrieb mir: »Ich habe meine Antworten – und vorher natürlich den Fragebogen – zwei Freunden und inzwischen auch pensionierten Kollegen zugestellt. Wir werden uns demnächst darüber austauschen. Sie sehen, Sie haben mit Ihrem Projekt das ›mutuum colloqium fratrum‹ in Bewegung gebracht!« Eine Pfarrerin und Dozentin: »Das ist ja ein hoch spannendes und hochrelevantes Thema! Sehr, sehr gerne bringe ich mich in diesem Zusammenhang ein!« Ein immer noch sehr aktiver Emeritus gestand, das Buchprojekt habe ihn »zunehmend begeistert«, und fügte hinzu: »wer reflektiert schon mal ausführlich über sein Leben als Pfarrer von sich aus und bringt dies dann auch noch zu Papier. Die Mühe und Arbeit lohnen sich […]«. Und die älteste Beiträgerin, eine Pfarrerin von 91 Jahren, erklärte mir, »grundsätzlich« freue sie sich über mein Interesse an ihrem Werdegang.

Das wechselseitige Gespräch mit den Brüdern und Schwestern im Pfarrdienst war also in Gang gekommen. Kein Wunder, dass nun auch Bedenken und Einwände geäußert wurden. Auf vier will ich kurz eingehen.

Erstens: Theologen sollten von sich selbst schweigen und kein Geschwätz verbreiten. Erinnert wurde an Calvin: ein Theologe soll »Wahres, Gewisses und Förderliches lehren und dadurch die Gewissen aufrichten!« (Inst. I, 14,4) Wenn die vornehmste Aufgabe eines Theologen, einer Theologin darin besteht, Gott und sich selbst zu erkennen, dann tun sie allerdings gut daran, von ihrer eigenen Person und ihrer Vita nicht mehr als nötig zu reden und Geschwätzigkeit zu meiden. Aber es könnte ihre Selbsterkenntnis fördern, sich und anderen über ihren Berufsweg nüchtern Rechenschaft zu geben.

Zweitens: Mit der Befragung werde nur »historisches Herbstlaub« eingesammelt. Das gelebte Leben erfasse man damit nicht – siehe Ernst Jüngers Sammlung aufgespießter Schmetterlinge. Ein sehr berechtigter Einwand! Es wäre Selbsttäuschung, würden wir annehmen, aus den Antworten »das gelebte Leben« erfassen zu können. Aber womöglich helfen sie uns, dem gelebten Leben einer Pfarrperson ein wenig näher zu kommen und zu erkennen, wie sie dieses Leben geführt und »bewältigt« hat.

Dritter Einwand: Der eigene Lebenslauf werde in einen großen Container von Pfarrer-Statistik eingeworfen. Das unverwechselbar Besondere drohe zu verschwinden. Um genau dies zu vermeiden, habe ich einen qualitativ-empirischen Zugang gewählt. Die einzelne Pfarrperson kann ihre Vita darstellen, ohne sie in einen engen Schematismus hineinzupressen. Jede kann sich in ihrer Besonderheit zeigen. Jede stellt sich mit ihren Antworten den Leserinnen und Lesern vor, die selbst überprüfen können, ob die Auswertung dem Einzelfall gerecht wird.

Der vierte Einwand: »Lebensbilder« bewegten sich doch nur auf der Ebene erbaulicher Traktate. Das sei für praktisch-theologische Theoriebildung uninteressant. In diesem Einwand steckt eine normative Behauptung: nur auf der Basis quantitativ-empirischer Befunde lasse sich eine solide zeitgemäße Theorie des Pfarrberufs formulieren. Eine möglichst große, repräsentative Zahl von Pfarrern müsste dann befragt werden. Dabei würde aber von vornherein unbeachtet bleiben, dass Lebensbilder, wie sie aus individuellen Auskünften zur Berufsbiographie heutiger Pfarrer zu erschließen sind, etwas leisten, was für die Pastoraltheologie unentbehrlich ist. Sie bieten nämlich der Leserin, dem Leser verschiedene Möglichkeiten der Identifikation an, zu denen sie oder er sich in Beziehung setzen, Gestalten, in die sie oder er sich hineinversetzen kann. Gerade eine persönlich erzählte pastorale Lebensgeschichte2 dient der Selbstvergewisserung: ich kann am Gegenüber des Anderen sehen, wie einer in diesem Beruf lebt, was ihm dabei hilft, welche Krisen ihm zu schaffen machen und wie er sie überwindet. Was mir solche Einsichten vermittelt, dient letztlich demselben Ziel, dem, Calvin zufolge, alle christliche Lehre und auch mein Umgang mit der Bibel zu dienen hat: »wir sollen bei dem Lesen der Schrift stets das aufsuchen und bedenken, was der Auferbauung dient«.

In der Auseinandersetzung mit den Einwänden wurde mir deutlicher, weshalb die gesammelten Auskünfte für viele Pfarrer nützlich sein können: sie regen dazu an, die eigene Berufsbiographie zu reflektieren und sich mit anderen darüber auszutauschen. In mehrfacher Hinsicht ist eine solche Sammlung für sie gut:

Sie kann eine Quelle der Inspiration sein für Leser, die wissen wollen, wie Pfarrer mit ihrer je eigenen Lebensgeschichte ihre Aufgabe bewältigt haben.

Sie kann zur Verständigung zwischen verschiedenen Generationen der Pfarrer beitragen. Man versteht besser die Sicht und den Zugang des anderen zum Pfarramt, wenn man weiß, welche Einflüsse ihn geprägt haben und welchen Herausforderungen er sich gestellt hat.

Sie kann unseren Blick neu auf die gemeinsame Aufgabe, den Sinn unseres Pfarrberufs richten, indem sie uns bewusstmacht, wofür wir da sind.

Darin steckt auch die Möglichkeit, die Lebensarbeit von Pfarrern zu würdigen. Gewöhnlich nehmen Andere (Mitarbeiter, Dienstvorgesetzte, Gemeindeglieder, die Öffentlichkeit) nur einen Bruchteil davon wahr.

Schließlich hat die Sammlung auch einen seelsorglichen Aspekt: Pfarrer schreiben, was sie zu ihrer Berufswahl bewogen hat und wie sie selbst ihr Berufsleben (curriculum vitae) sehen. Es kann für sie selbst und für die Leser hilfreich sein, die eigene Lebensgeschichte mit ihren Licht- und Schattenseiten durchzugehen.

Dieses Buch richtet sich also zunächst an Pfarrer. Es ist aber darüber hinaus auch für Dozenten interessant, die Theologiestudenten und Vikare ausbilden, sowie für die Studenten und Vikare, die sich auf den Pfarrberuf vorbereiten. Diese können daraus ersehen, wie Männer und Frauen mit ihrem Leben als Pfarrer zurechtkommen, was ihnen dabei geholfen und was sie behindert hat. So können die Beispiele zur Berufsorientierung und Klärung der Frage beitragen: Ist das der richtige Beruf für mich? Jene erfahren mehr darüber, wie Einzelne in ihrer besonderen Lebenssituation den Pfarrberuf wahrgenommen haben und in welchem Umfang die komplexen Einflüsse auf ihrem Bildungsweg sich steuern lassen. So lässt sich genauer unterscheiden: Was kann ich denen, die Pfarrerin oder Pfarrer werden wollen, vermitteln – und worauf kann ich sie, weil sie es anders als durch sich selbst, durch ihr Leben nicht lernen, nur eben aufmerksam machen?

Allen Pfarrern, die ihre Berufsbiographie zu diesem Buch beigesteuert haben, danke ich herzlich. Ich widme es vier emeritierten Pfarrern, die mich auf unterschiedlichen Wegstrecken begleitet haben und mir dabei, jeder auf seine Weise, zu Freunden geworden sind: Hans Siebert, Frank Philipps, Kurt Oppel und Burkard Hotz.

Die Publikation wurde überwiegend aus privaten Mitteln finanziert und durch Druckkostenzuschüsse der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) gefördert. Dafür sei allen Beteiligten gedankt.

Wiesbaden, im September 2016

Michael Heymel

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Einführung

Fragen

Ergebnisse der Befragung

Zusammenfassung

»BERUFSBIOGRAPHIEN« – »EINE ART CURRICULUM VITAE«

Kurt Oppel VDM

1. Das schwere Leben als »Diener am göttlichen Wort«

Emeritierter Gemeindepfarrer

Karl Schmitt

2. Gottes wunderbare Zuwendung zur Welt aufzeigen

Emeritierter Pfarrer und A-Kirchenmusiker

Hans Siebert

3. Missionarisches Bewusstsein und ökumenische Offenheit

Emeritierter Pfarrer mit enger Beziehung zur Kirchenmusik

Fritz Schubring

4. »Glauben und Verstehen«: Programm der Verkündigung

Emeritierter Pfarrer

Burkard Hotz

5. Trainer im gelebten Glauben an Jesus Christus

Emeritierter Pfarrer

Roswitha Velte-Hasselhorn

6. »Ein Christ lebt nicht im Schneckenhaus«

Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde

Manuela Rimbach-Sator

7. Seelsorgerin in einer weltoffenen Kirche

Pfarrerin und stellvertretende Dekanin

Volkmar Thedens-Jekel

8. Verantwortung in der Welt übernehmen

Pfarrer in einer städtischen Kirchengemeinde

Kurt Racky

9. Ich bin gerne Landpfarrer

Pfarrer im Vogelsberg

Felizitas Muntanjohl

10. Traumberuf Pfarrerin

Altenseelsorgerin und Gemeindepfarrerin

Matthias Loyal

11. Arbeit mit behinderten und alten Menschen

Pfarrer im Ev. Verein für Innere Mission in Nassau (EVIM)

Dorothea Hess

12. Menschen den christlichen Glauben nahebringen

Pfarrerin in einer städtischen Kirchengemeinde

Monika Lüdemann

13. Schwerpunkt: Angebote zur Spiritualität

Pfarrerin in einer kleinstädtischen Kirchengemeinde

Zanda Ohff

14. Ich rede ziemlich offen über meinen Glauben

Eine lettische Pfarrerin in der Großstadt Hamburg

Mirko Webler

15. Ich würde mich gerne noch weiter ausprobieren

Vikar vor dem Abschluss der Ausbildung

Benedikt Hensel

16. Freude am biblischen Text und Liebe zu den Menschen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pfarrer im Ehrenamt

Anonym

17. Das Evangelium mit dem Leben der Menschen verbinden

Eine Pfarrvikarin

Joachim Schwarzbeck

18. Jesus von der jüdischen Wurzel her sehen

Emeritierter Pfarrer

Frank Georg Philipps19. Christen sind trotz allem fröhliche Menschen

Emeritus in Ostdeutschland

Inge Volp

20. »Ich wünschte, alle könnten so gut erzählen wie die Inge!«

Emeritierte Pfarrerin im Schuldienst

Annette Cornelia Müller

21. Pfarrerin zu sein ist unglaublich erfüllend und schwer

Pfarrerin und Dozentin

Ausgedient? Die Kirche und ihre Pfarrer im »Ruhestand«

Über den Herausgeber

Fußnoten

EINFÜHRUNG 

Über den Pfarrberuf ist schon viel geschrieben worden. Die Pastoraltheologie als Disziplin und die praktisch-theologische Literatur zum Thema haben aber einem Aspekt bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet: der Verknüpfung von Lebensgeschichte und Pfarrberuf oder den Berufsbiographien evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer. Merkwürdig ist das geringe Interesse der neueren Forschung deswegen, weil sich aus den Biographien wichtige Einsichten gewinnen lassen, wie Pfarrer früherer Zeiten ihren Beruf »bewältigt« haben; überdies kann aus ihnen auch viel für die eigene pastorale Praxis gelernt werden. Die ältere pastoraltheologische Forschung hat das eindrücklich demonstriert.

Johann Christian Friedrich Burk (1800–1880) war im deutschen Sprachraum der Erste, der 1838/39 eine umfangreiche »Evangelische Pastoral-Theologie in Beispielen« in zwei Bänden herausbrachte.3 Der Verfasser war ein Vertreter des württembergischen Pietismus und gab 40 Jahre lang den »Christen-Boten. Ein kirchlich-religiöses Sonntagsblatt« heraus. Diese Herausgebertätigkeit war mit einer ständigen Sichtung der pastoraltheologischen Literatur verbunden, aus der sich auch das zweibändige Werk speist: »Ich wollte mich hinstellen unter die Kanzeln, hinter die Beichtstühle, in die Krankenzimmer, in die Studierstuben und in die geheimen Betkämmerlein der erfahrensten, treuesten und in ihrem Berufe glücklichsten evangelischen Seelsorger, und wollte zusehen und zuhören, wie sie es gemacht, um ihrem heiligen Berufe Genüge zu leisten, um das unwissende und ungläubige Volk zu belehren, Irrende zurecht zu führen, hartherzige Gemüter zu erweichen und lindernden Balsam in verwundete Herzen zu gießen. […] Ich glaube ohne Ruhmredigkeit behaupten zu dürfen, daß wenige der jetztlebenden Theologen diesen Quellen der praktischen Pastoraltheologie, namentlich derjenigen, die sich auf das eigentliche Mark der evangelischen Wirksamkeit bezieht, mit gleicher Emsigkeit nachgegangen sind wie ich« (Vorrede, III–IV).

Burks »evangelische Pastoraltheologie in Beispielen« (V) bringt aus dieser Fundgrube Textzitate von über 700 geistlichen Schriftstellern von J. V. Andreä und Arndt bis zu Zinzendorf und Zwingli. Das Ganze gliedert sich in sechs vielfach unterteilte Abschnitte: 1. Von der Bestimmung und Vorbereitung zum geistlichen Amt und von der Berufung. 2. Das Lehr- oder Predigtamt (Die Vorbereitung und das Halten der Predigt, der evangelische Prediger in Kriegszeiten, bei Seuchen, unter Katholiken, bei Hofe, unter verwahrlosten Christen, bei Juden und Heiden etc.). 3. Das liturgische und priesterliche Amt. 4. Das Seelsorgeramt (bei entzweiten Eheleuten, bei Lasterhaften, bei Kindern, bei leiblich Kranken und Gemütskranken, Selbstmördern, Maleficanten etc., Behandlung sektiererischer Leute, Vorsicht gegen Klatscherei). 5. Das Kirchen- und Ortsvorsteheramt. 6. Das Privatleben eines Pastoren. Wie Burk zeigt, erfreut sich die Theorie »in mancherlei Hinsicht einer Bereicherung durch den Hinblick auf die dreihundertjährige Praxis der evangelischen Kirche« (IX).

Hier hat Pastoraltheologie weisheitlichen Charakter: sie will Einsichten der Väter vermitteln und den Pfarrer durch Vorbilder anleiten, wie er seine Amtspraxis auszuüben und sein Leben zu führen hat. Dieser Anspruch lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Heute haben Pfarrpersonen teil an dem, was sich als »Befindlichkeit der Entwickelten Moderne« des 21. Jahrhunderts kennzeichnen lässt: die Welt, in der sie leben, ist »individualisiert und multioptional, segmentiert und multikulturell, säkular und multireligiös«.4 Eine Pastoraltheologie, die den Bedingungen dieser Zeit entspricht, kann nur dann zur beruflichen Orientierung der Pfarrerinnen und Pfarrer dienen, wenn sie die Unterschiedlichkeit ernst nimmt, in der sie ihren Beruf verstehen und wahrnehmen,5 und ihre Lebensgeschichten als individuell-besondere Bildungswege würdigt. Dann können Einsichten der Väter und Mütter im Pfarramt durchaus für die Jüngeren aktuell werden. Die Älteren können ihnen etwas weitergeben, tradieren, das womöglich ihren Horizont erweitert.

Die klassische pastorale Berufsbiographie ist bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts männlich. Bemerkenswert ist daher, dass Burk als »Seitenstück« zu seinem Werk auch einen »Spiegel edler Pfarrfrauen« geschrieben hat.6 Seiner Ansicht, dass »die gesegnete Führung des Predigtamts zum großen Theil davon abhänge, ob auch die Frauen der Prediger ihren priesterlichen Beruf erkennen und mit Liebe und Treue zu erfüllen bemüht sind« (III), werden viele Pfarrer und viele Gemeinden zustimmen. »Der Geist im Pfarrhaus«, so formuliert Carl Büchsel pointiert, »hängt davon ab, wes Geistes Kind die Frau Pastorin ist«.7

Seit Friedrich Schleiermacher bezeichnet der Begriff »Pastoraltheologie« die Lehre vom Amt und Beruf des Pfarrers, seit dem 20. Jahrhundert auch der Pfarrerin. Die klassischen Pastoraltheologien stellen den Pfarrer in Werdegang, Ausbildung, Auftreten im Amt, Lebenswandel und Lebensverhältnissen sowie in seiner amtlichen Tätigkeit dar. Dazu gehören die Arbeiten von Alexandre Vinet,8 Wilhelm Löhe,9 Christian Palmer,10 August F.C. Vilmar11 und August Hardeland.12 Sie werden ergänzt durch die kulturgeschichtliche Arbeit von Paul Drews.13 Die vielfach aufgelegten Memoiren von Carl Büchsel14 sind eine Quelle ersten Ranges, aus der sich eine eigene biographische Pastoraltheologie erheben lässt. Einen Überblick über die Geschichte der Disziplin bis 1970 bietet der Heidelberger praktische Theologe Gerhard Rau,15 dessen Prognose vom Ende der Pastoraltheologie sich allerdings nicht erfüllt hat – ganz im Gegenteil. Denn seither erschienen einige neuere Beiträge zur Pastoraltheologie von Manfred Josuttis,16 Dietrich Rössler,17 Michael Klessmann18 und Jan Hermelink.19 Karl-Wilhelm Dahm20 lieferte eine Sozialgeschichte des Pfarrberufs, Isolde Karle21 entwarf eine Berufstheorie des Pfarrberufs als Profession. Eine vergleichende Studie über Berufsbiographien ist aber, soweit ich sehe, noch nicht versucht worden.

Heute wird Pastoraltheologie als »wissenschaftliche Reflexion des Auftrags der Kirche unter dem Aspekt des pastoralen Dienstes« bzw. als »wissenschaftlich-theologische Reflexion pastoraler Praxis« definiert.22 Es versteht sich, dass die pastorale Praxis nicht nur Werdegang und Ausbildung sowie das amtliche Handeln umfasst (das heute in gesonderten Disziplinen wie Homiletik, Katechetik, Poimenik bedacht wird), sondern auch die subjektive Wahrnehmung des pastoralen Dienstes durch die Pfarrperson. Wie sie ihren Dienst wahrnimmt, hängt u.a. von persönlichen Erfahrungen ab sowie von der Fähigkeit, diese konstruktiv zu verarbeiten und in ein Pfarrbild oder Berufsbild zu integrieren. Nach einer neuen Untersuchung zum Pfarrberuf wird die »individuelle Realisierung der Berufsrolle […] bestimmt von komplexen Anforderungen, Erwartungen und Bedingungen und ist abhängig vom jeweiligen soziokulturellen Kontext, von den persönlichen Voraussetzungen und den organisatorisch-institutionellen Gegebenheiten. Der Pfarrperson wird dabei einerseits eine weit gehende Gestaltungsfreiheit zugestanden und andererseits eine umfassende Integrationsfähigkeit zugemutet«.23 Beide Pole in den Spannungsfeldern des Pfarrberufs mit seinen zunehmend funktional differenzierten Aufgaben auszubalancieren ist die Herausforderung, der sich heute jede Pfarrerin, jeder Pfarrer stellen muss.

Michael Klessmann hat darauf hingewiesen, dass Pfarrer »ihr Berufsbild selbst entwickeln müssen. Sie haben die Chance, ein ›persönlichkeitsspezifisches Berufsbild‹ zu erarbeiten«.24 Wenn sich im Berufsbild eines Pfarrers »die persönlich-biographischen Lebenserfahrungen sowie die theologisch-spirituellen Schwerpunkte und Vorlieben dieses Menschen widerspiegeln«,25 dann lässt sich an den Berufsbiographien unterschiedlicher Pfarrpersonen studieren, wie ihre Pfarrbilder sich entwickelt haben. Dabei wäre zu beachten, dass Pfarrbilder niemals nur Produkte einzelner, sondern immer auch auf konkrete soziale Situationen bezogen sind. Zudem beziehen sie sich auf »biblische und reformatorische Einsichten zum Verständnis des Amtes«26 und setzen sich direkt oder indirekt mit pastoraltheologischen Konzepten auseinander. Schließlich ist auch damit zu rechnen, dass Pfarrbilder beeinflussen, wie Pfarrpersonen mit bestimmten Lebenserfahrungen umgehen.

Berufsbiographien von Pfarrern geben Auskunft über das Verhältnis der Person zum Amt. Dieses Verhältnis ist zu reflektieren, nicht allein nach theologischen Kriterien, sondern auch unter Gesichtspunkten, die sich aus der Erforschung autobiographischen Erzählens und Einsichten der Biographiearbeit ergeben. Wie kaum ein anderer Beruf nimmt der Pfarrberuf die Person in Anspruch,27 zumal dann, wenn er als Berufung verstanden wird. Diese Besonderheit ist ebenso zu bedenken wie die spirituelle Grundhaltung zum Leben, die für die Wahrnehmung des Pfarrberufs unabdingbar ist.28 In der Chance des Berufs, sich selbst ein Berufsbild zu erarbeiten, liegt zugleich die Gefahr, sich in Fiktionen und Wunschbildern zu verlieren, die der Realität nicht standhalten. Gerade deswegen ist der kollegiale Austausch über Pfarrbilder wichtig: er hilft, eigene Vorstellungen zu korrigieren und ein realistisches Berufsbild zu entwickeln, das den persönlichen Möglichkeiten und Grenzen entspricht.

Mich interessierte, was Männer und Frauen verschiedener Lebensalter dazu veranlasst hat, diesen Beruf zu ergreifen; welche Einflüsse, Begegnungen, Lektüren auf dem Weg dorthin und im Berufsleben prägend sind, und wie eine Pfarrerin, ein Pfarrer diese Einflüsse verarbeitet. Ein genauerer Blick auf ihre Berufsbiographien hilft, die Arbeit von Pfarrpersonen besser zu verstehen und zu würdigen.

Gespräche mit sogenannten »Ruheständlern«29 zeigten mir, wie viel Bitterkeit und Enttäuschung über die Institution Kirche und frühere Kollegen und Kolleginnen hier zum Ausdruck kamen, öfter verbunden mit Einschätzungen wie: »Diese Kirche ist mir fremd (geworden)« und: »Die Jüngeren verstehen das nicht«, aber auch: »Ich verstehe nicht, wie die Jüngeren sich so verhalten können«. Manche leiden darunter, nicht mehr gefragt und gebraucht zu werden. Keineswegs nur Emeriti, sondern auch nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer im aktiven Dienst fühlen sich mit ihrer Arbeit in ihrer besonderen Lebenssituation nicht gewürdigt und unverstanden. Solche Wahrnehmungen hängen nicht nur mit den äußeren, objektiv fassbaren Bedingungen zusammen, sondern in hohem Maß auch mit individuellen Prägungen, Einstellungen und charakteristischen Eigenarten der Pfarrperson, die in ihrem Leben gelernt hat, auf ihre Weise an die Berufsaufgaben heranzugehen, mit Chancen und Einschränkungen so oder so umzugehen, mit Erfolgen und Niederlagen zurechtzukommen. Herkunft, Nähe oder Distanz des Elternhauses zu Kirche und Christentum, religiöse Erziehung und Sozialisation, Theologiestudium, Lehrerinnen und Lehrer, erste Erfahrungen mit einer Gemeinde, Erfahrungen mit der Institution Kirche (»Amtskirche«), Beziehungen zu Kollegen und kirchlichen Mitarbeitern u.a. üben prägende Einflüsse auf die Pfarrperson aus. Hinzu kommen die sozialen Lebensbedingungen, kulturelle, politische und wirtschaftliche Strömungen, Tendenzen und Ereignisse der Zeitgeschichte, die sich auf Kirche und Pfarrerschaft auswirken.

Die historische Betrachtung lehrt, dass sich die Bedingungen des Pfarrberufs und das pastorale Berufsbild in Deutschland in den vergangenen 150 Jahren, vor allem aber nach 1900 und nach 1960 stark gewandelt haben.30 Zwei Weltkriege haben das Gesicht der Kirche und der Pfarrerschaft verändert; sie haben auch die Theologie umgeformt. Drei Tendenzen in der Geschichte nach 1945 seien hervorgehoben.

Erstens: der Weg der Frauen ins Pfarramt.31 Während des Kirchenkampfes hatten evangelische Theologinnen (Vikarinnen) bereits Pfarrstellen verwaltet; nach 1945, wenn die Stelleninhaber aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt waren, durften sie jedoch nur Alten- und Krankenseelsorge sowie Schulpfarrstellen übernehmen. Erst seit den 1960er Jahren können Frauen in der evangelischen Kirche Gemeindepfarrerinnen werden. Ihre rechtliche Gleichstellung mit den Pfarrern wurde 1970 von der EKHN als erster Landeskirche, dann in der EKD 1978 vollzogen,32 aber es dauerte noch mehr als zehn Jahre, bis sie in allen Landeskirchen umgesetzt war.

Zweitens: der kontinuierliche Bedeutungs- und Machtverlust der christlichen Kirchen in Deutschland. Dieser Trend ist vielfach unter den Stichworten Entkirchlichung, Traditionsabbruch, Privatisierung und Pluralisierung der Religion (Patchwork-Religiosität oder Cafeteria-Religion) beschrieben worden.33 In Ostdeutschland zeigt sich der kirchliche Bedeutungsverlust verschärft. Hier haben ca. 80 Prozent der Bevölkerung, die dem konfessionslosen Milieu angehören, nicht einmal an Religionskritik Interesse; Gott ist »kein Gesprächsthema« mehr.34

Drittens: die durch Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen (KMU) empirisch erhärtete zunehmende Bedeutung der Pfarrer als Repräsentanten von Kirche, die das Evangelium kommunizieren.35 Für die Mitglieder ist die Institution Kirche primär über die Pfarrperson erfahrbar. Von ihr wird hohe Glaubwürdigkeit erwartet. »Das Evangelium wird für so gut gehalten, wie die Pfarrerin oder der Pfarrer ist, die es predigen« (Fulbert Steffensky).36

Die Annahme liegt nahe, dass geschichtliche Umbrüche und Neuerungen wie diese sich im Bewusstsein der verschiedenen Generationen und ihrer Wahrnehmung des Pfarrberufs widerspiegeln.

Berufsbiographien zeigen, wie Pfarrpersonen mit veränderten Bedingungen und Anforderungen ihrer Profession umgehen oder umgegangen sind. Sie vermitteln etwas, was eine Berufstheorie nicht liefern und nicht ersetzen kann, worauf aber pastoraltheologische Reflexion angewiesen ist: konkrete Beispiele gelebten Lebens, d.h. »Lebensbilder«. Inzwischen ist die »Auflösung von institutionell garantierten Formen« so weit fortgeschritten, dass gegenläufig »ein neues Interesse an verbindlichen Lebensentwürfen [entsteht], die in überzeugender und vorbildlicher Weise von einzelnen Menschen glaubwürdig repräsentiert werden. Man kann dieses neuerliche Interesse an persönlich verbürgten Lebensweisen als postmoderne Gegenbewegung zum Differenzierungsprozess der Moderne verstehen und darin eine Form der Re-Personalisierung sehen«.37

Um aussagekräftiges biographisches Material zu erhalten, lud ich 33 Personen aus der EKHN und anderen Landeskirchen der EKD zur Mitwirkung an einem Buchprojekt ein. Pfarrerinnen und Pfarrer unterschiedlicher Dienstalter sollten anhand eines vorgegebenen Fragenkatalogs über ihren Werdegang und ihr Berufsleben berichten. Ihre Antworten sollten unter Fragestellungen der Pastoraltheologie und der Biographiearbeit ausgewertet und in einem Sammelband von mir herausgegeben werden. Der Einladung war dieser Begleittext beigefügt:

Was haben evangelische Pfarrer verschiedener Generationen gemeinsam, was unterscheidet sie in ihrer Selbstwahrnehmung? Wie sehen sie sich selbst und ihren Beruf als Anfänger, als erfahrene Pfarrer, und welche Bilanz ziehen sie im Ruhestand? Welche Rolle spielen Vorbilder, Pfarrbilder, Kirchenbilder und berufliche Ziele? Wie wird der persönliche gelebte Glaube beschrieben? Welche Bedeutung hat die Theologie für die berufliche Praxis? Dies soll an drei Gruppen von Aktiven und Ruheständlern aus der EKHN und anderen Landeskirchen untersucht werden: a) bis fünf Dienstjahre, b) mindestens 20 Dienstjahre, c) seit fünf Jahren oder länger im Ruhestand. Ausgewählte Pfarrpersonen werden eingeladen, sich an der Untersuchung zu beteiligen, indem sie schriftlich Fragen zu ihrer Berufsbiographie beantworten. Ihre Antworten sollen 2016 in einem Sammelband zusammen mit einer Auswertung veröffentlicht werden. Das Ziel der Untersuchung ist, zu ermitteln,

a) ob es generationsspezifische Pfarrer-Typen und generationsspezifische Muster gibt, den Pfarrberuf wahrzunehmen, und

b) wie sich aus der Sicht der Akteure die Bedingungen des Pfarrdienstes in der Nachkriegszeit verändert haben.

Der von mir ausgearbeitete Fragebogen enthält Fragen zur Berufsbiographie unter sieben Gesichtspunkten:

Beziehung des Elternhauses und der eigenen Familie (Kinder, Ehepartner) zur Kirche (Fragen 1–5)

Relevanz schulischer Bildung für den Pfarrberuf und Berufsmotivation (Fragen 6–7)

Theologische Ausbildung und Studienbedingungen (Fragen 8–16)

Praktische Ausbildung und Pfarrdienst (Fragen 17–22)

Vorstellungen von Pfarrer/Pfarrerin und Gemeinde, familiäres Umfeld (Fragen 23–25)

Wahrnehmung von Kirche und Pfarrberuf (Fragen 26–31)

Verständnis von Theologie, Glaube und Christsein (Fragen 32–35)

»Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler«, schreibt Robert Musil im »Mann ohne Eigenschaften«.38 Sie erzählen gern von sich selbst. Dieser elementar-menschlichen Neigung gab die Befragung einen Raum, der unterschiedlich genutzt wurde. Für eine qualitativ-empirische Untersuchung entscheidend ist, dass die Fragen dazu anregen, den eigenen individuellen Bildungsweg zum und im Pfarrberuf sowie die kommunikativen Beziehungen auf diesem Weg darzustellen. Zugleich sollten sie den Befragten die Freiheit lassen, mehr oder weniger ausführlich über ihre Vita Auskunft zu geben.

21 Personen waren dazu bereit, zwölf Männer und neun Frauen. Acht Personen sind Emeriti bzw. »Ruheständler«, zehn im regulären parochialen Pfarrdienst (darunter eine Pfarrerin mit 50-Prozent-Dienstauftrag in der Altenseelsorge), ein Pfarrer im Ehrenamt, ein Pfarrer in einer Einrichtung der Inneren Mission (EVIM), ein Vikar, der gerade seine praktische Ausbildung beendet hat. Pfarrer in funktionalen Diensten sind unterrepräsentiert.39 Der hohe Anteil an Pfarrpersonen im Gemeindedienst lässt sich jedoch damit rechtfertigen, dass die Ortsgemeinden aus der Sicht der Kirchenmitglieder, entgegen jahrelanger Gemeindemissachtung durch Kirchensoziologen und falsch beratene Kirchenleitungen, die Basis kirchlicher Arbeit sind.40 Drei der befragten Pfarrer kommen aus Ostdeutschland, einer von ihnen lebt dort als Emeritus. 16 Befragte stammen aus Westdeutschland, eine Pfarrerin aus Lettland. Ihre Antworten wurden von mir unter den oben erwähnten Gesichtspunkten ausgewertet.

FRAGEN

Wie würden Sie das Verhältnis Ihrer Eltern zur evangelischen Kirche beschreiben?

Stammen Sie aus einem evangelischen Pfarrhaus?

Haben Sie Kinder, die Pfarrer oder Pfarrerin werden wollen oder geworden sind?

Arbeitet oder arbeitete Ihr Ehepartner in einem kirchlichen Dienstverhältnis?

Wenn ja, in welchem Beruf?

Haben Sie während Ihrer Schulzeit etwas gelernt, was nach Ihrer Einschätzung für Ihren zukünftigen Pfarrberuf von besonderem Nutzen war?

Was hat Sie dazu veranlasst, sich für den Beruf des Pfarrers oder der Pfarrerin zu entscheiden?

Wann und wo haben Sie Theologie studiert?

Haben Sie weitere Fächer studiert?

Welche Berufsausbildung haben Sie außerdem?

Sind Sie vor dem Studium oder während des Studiums einer Erwerbsarbeit nachgegangen?

Wenn ja, in welchen Bereichen?

Welche Hochschullehrer und andere Personen aus Ihrem Umfeld haben Sie während Ihres Studiums besonders beeindruckt und sind Ihnen zu Vorbildern geworden?

Was haben Sie diesen Lehrern und anderen Personen zu verdanken?

In welcher theologischen Disziplin bzw. welchen Disziplinen haben Sie hauptsächlich studiert?

Was hat Sie daran am meisten interessiert?

Worin sehen Sie im Rückblick den Ertrag Ihrer Vikarsausbildung (Predigerseminar und Gemeinde)?

Was kam dabei zu kurz oder worüber hätten Sie gern mehr erfahren?

Wie viele Jahre und an welchen Orten waren bzw. sind Sie im Pfarrdienst?

Welche Aufgaben haben Sie in dieser Zeit wahrgenommen?

Welche davon haben Ihnen am meisten Freude gemacht?

Welche kirchlichen Dienste haben Sie neben dem Gemeindepfarramt übernommen?

Was zeichnet für Sie einen guten Pfarrer bzw. eine gute Pfarrerin aus? (Wie sollten sie sein, was sollten sie können?)

Was kennzeichnet nach Ihrem Verständnis eine Christengemeinde?

In welcher Weise war oder ist Ihr Lebenspartner oder Ihre Familie an Ihrem beruflichen Alltag beteiligt?

Wenn Sie die evangelische Kirche beschreiben, was würden Sie allgemein und im Blick auf Ihre Landeskirche als besondere Merkmale (positiv und negativ) nennen?

Was ist für Sie das Beste und Schönste der evangelischen Kirche, und worin besteht ihre Schwäche oder Schattenseite?

Wie sehen Sie die EKD auf dem Weg der Reformationsdekade bis 2017: hoffnungsvoll, skeptisch, enttäuscht, …?

Welches ist oder war Ihr Hauptanliegen und Ihr vornehmstes Ziel im Pfarrberuf?

Haben sich Ihr Anliegen und Ihr Ziel im Lauf Ihrer Dienstzeit verändert?

Gibt es etwas, was Sie im Rückblick auf Ihre (bisherige) Dienstzeit als Pfarrer bedauern oder gern anders gemacht hätten bzw. machen möchten?

Wofür ist nach Ihrer Ansicht theologische Arbeit im Pfarrberuf unabdingbar?

Wenn Sie nach Ihrem Glauben gefragt werden, was antworten Sie?

Was gehört für Sie persönlich zu einem Leben als Christ oder Christin?

Die Antworten, die ich dazu von den Beiträgern erhielt, habe ich unter den erwähnten sieben Gesichtspunkten verglichen und ausgewertet. Sie werden so weit wie möglich in der Form wiedergegeben, die die Befragten gewählt haben.

Zwölf von 33 Befragten, alle noch im Pfarrdienst, beantworteten meine Umfrage nicht. Aus Mangel an Interesse? Weil ihnen der Nutzen der Umfrage nicht einleuchtete? Oder fanden sie im Tagesgeschäft keine Zeit, den Fragebogen auszufüllen? Die Vielzahl an Informationen und Aufgaben, die im Pfarralltag zu verarbeiten und zu erledigen sind, führt dazu, dass manches übersehen oder »aussortiert« wird. Auch das gehört zur Realität im Pfarrberuf. Nach meiner Erfahrung ist es gut, sich diese Realität hin und wieder genauer anzuschauen. Die Chance der Selbstbesinnung und Introspektion der eigenen beruflichen Vita kann zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlicher Weise von Pfarrpersonen genutzt werden. Was sie dabei gewinnen können, zeigt dieses Buch.

ERGEBNISSE DER BEFRAGUNG

(1) KIRCHENBEZUG DER HERKUNFTSFAMILIE UND DER EIGENEN FAMILIE

Noch immer kommen erstaunlich viele Pfarrer aus Pfarrhäusern. Sechs von 21 Personen sind Pfarrerskinder. Allerdings verbürgt diese Herkunft nicht selbstverständlich, dass der Sohn oder die Tochter den Pfarrberuf ergreifen. Für drei der befragten Pfarrerskinder stand das Berufsziel relativ früh fest. Es ergab sich aus der Familientradition und war positiv konnotiert; ein Pfarrerssohn entdeckt erst nach dem 1. Examen, dass ihm der Pfarrberuf Freude machen könnte (Nr.8). Motivation kam aus dem Wunsch, es besser zu machen als der Vater (Nr.5), aus einem Gefühl missionarischer Verpflichtung (Nr.3) oder der Erkenntnis, eine bessere Alternative sei nicht zu finden (Nr.4). Die beiden Pfarrerstöchter sehen jedoch, anders als die vier Pfarrerssöhne, deutlicher die Ambivalenzen dieses Berufs (Nr.12 und 17). Sie sehen, was er den Eltern abfordert und wie er sich auf die Familie auswirkt. Eine lernt, dass Gemeinde zwar etwas Tolles, Kirche als übergeordnete Institution aber problematisch sei. Die andere hat von beiden Eltern gelernt, Kirche und kirchliche Entwicklungen kritisch zu sehen (ähnlich ein Pfarrerssohn, Nr.8); Vater und Mutter waren bzw. sind im Pfarrdienst (Nr.17). Sie interessiert sich zunächst für Theologie, ohne deshalb Pfarrerin werden zu wollen. Der Pfarrberuf war für sie nicht wegen der Herkunftsfamilie attraktiv, er erwies sich »trotzdem« als attraktiv.

15 Personen kommen aus anderen Herkunftsfamilien. Eine gelebte, auch im Alltag praktizierte Beziehung zur Kirche, Formen christlichen Lebens sind bei der Mehrzahl vorhanden. Eine Minderheit kommt jedoch aus Verhältnissen, die von Kirchendistanz bis Ablehnung der Kirche und der christlichen Botschaft geprägt sind.

Ein Emeritus berichtet über das gute Verhältnis seiner Eltern zur evangelischen Kirche (Nr.2). Die Mutter ist in der Kirchengemeinde aktiv beteiligt. Dazu gehören Teilnahme am Gottesdienst, lange Mitgliedschaft in der Frauenhilfe und im Kirchenchor und anderes. Auch der Vater besucht oft den Gottesdienst und ist als Kirchenrechner tätig. Das Handeln als Christ ist ihm wichtiger als sein Glaube. Dies alles schafft eine familiäre Atmosphäre selbstverständlicher, nicht grundsätzlich befragter Kirchlichkeit. Für einen anderen war es die »sehr christlich[e] Mutter«, die Elementares vermittelte und den Sohn in den Kindergottesdienst schickte (Nr.19). Für eine aus Lettland stammende Pfarrerin wurde ebenfalls das Beispiel der Mutter wichtig. Nach dem Ende des sowjetischen Regimes findet die lutherisch getaufte Mutter »eine Möglichkeit, am Konfirmandenunterricht teilzunehmen und sich konfirmieren zu lassen. Seitdem ist sie ein aktives Mitglied ihrer Ortsgemeinde« (Nr.14). Ein Pfarrer im Ehrenamt erlebt die Eltern als grundsätzlich für Kirche aufgeschlossen. An seiner freikirchlichen Mutter beobachtet er, dass die Form der Kirchlichkeit sich verändern und eine positive Beziehung zu einem vorher abgelehnten Kirchentypus entstehen kann (Nr.16). Vor diesem Hintergrund ist es möglich, Kirche in fremden sozialen Kontexten offen zu begegnen, aber auch, eine in hohem Maß selbstbestimmte pastorale Tätigkeit zu übernehmen.

Die gläubige Mutter (vgl. Nr.20) und die Großmutter väterlicherseits haben einer Befragten das Beten vermittelt (Nr.6). Dieser Einfluss und der regelmäßige Kirchgang beider Eltern wirken religiös prägend auf die Tochter, daneben aber wohl auch die skeptische, jedoch gesprächsbereite Haltung des Vaters. Eine Pfarrerin erfährt im Elternhaus, wie sich die pietistische Frömmigkeit der Mutter und die bildungsbürgerlich liberale Kirchlichkeit des Vaters einander annähern (Nr.10). In einem anderen Fall ist der Vater religiös erzogen, bezeichnet sich aber als Atheist, die Mutter volkskirchlich eingestellt; beide betrachten den Gottesdienstbesuch nicht als wichtig. Aber eine Großmutter ist da, die »täglich nach dem Aufstehen Bibel gelesen und gebetet« hat (Nr.13). Wie geht eine Frau mit einer solchen, durchaus ambivalenten und spannungsvollen Prägung um? Eine andere Pfarrerin beschreibt ihre Prägung durch die gemischt-konfessionellen Eltern: der Vater »kirchenferner Katholik«, die Mutter »praktizierende Protestantin« (Nr.21). Singen und Beten waren in ihrem Elternhaus selbstverständlich, Glauben und Verstehen ergänzten einander.

ZUR HERKUNFT AUS KIRCHENDISTANZIERTEM ELTERNHAUS:

Politische und finanzielle Gründe, innere Vorbehalte bewegen den Vater eines Befragten zum Kirchenaustritt (Nr.1). Das überzeugende Beispiel eines Lehrers veranlasst ihn zu einer bewussten Hinwendung zur evangelischen Kirche; mit 15 Jahren lässt er sich taufen. Ein Befragter aus volkskirchlich geprägtem Elternhaus hat sich im »kirchenfeindlichen Umfeld« der DDR für den Pfarrberuf entschieden (Nr.11). Vor dem Hintergrund familiärer Erfahrungen während der NS-Zeit sind die Eltern eines anderen Pfarrers reserviert gegenüber allzu enger Kirchenbindung. Man hat nichts gegen die Kirche, bildet aber kein Gefühl enger Zugehörigkeit aus (Nr.9). Auf Umwegen führt dann der Weg ins Pfarramt. Ein Emeritus stuft das Verhältnis der Eltern zur Kirche als »typisch volkskirchlich-distanziert« ein (Nr.18), ein Berufsanfänger als »von ›gering‹ bis ›nicht vorhanden‹« (Nr.15). Eine Pfarrerin beschreibt das Kirchenverhältnis der Eltern als sehr volkskirchlich mit den Stichworten »konservativ, unkritisch«. Der Vater ist desinteressiert, die Mutter angepasst (Nr.7). Interesse an Kirche und Theologie wird in solchen Fällen durch andere Bezugspersonen geweckt, hier durch Religionsunterricht, musikalische Ausbildung und das frühe Engagement im Kindergottesdienst, anderswo durch einen hartnäckigen Pfarrer und einen engagierten Kirchenvorsteher (Nr.9).

Auf den Kirchenbezug in der eigenen Familie der Befragten wird in Abschnitt (5) näher eingegangen.

(2) Relevanz schulischer Bildung für den Pfarrberuf und Berufsmotivation

Der schulische Unterricht in den Fächern Religion und Deutsch und eine Lehrerpersönlichkeit, die deutlich ihren Glauben bekennt, beeindrucken einen Emeritus (Nr.2), ein anderer erhält auch Anregungen im Schulchor (Nr.3). Ein für Jugendliche ansprechender Religionsunterricht, d.h. vor allem die Person des Lehrers, wird von zehn Befragten erwähnt; eine emeritierte Pfarrerin hat ihren Religionslehrer als wunderbaren Erzähler biblischer Geschichten erlebt (Nr.20). Das spricht für die Bedeutung dieses Schulfachs, aber auch dafür, den Unterricht möglichst von besonders dafür Befähigten erteilen zu lassen. Eine Pfarrerin würdigt die »fundierte[n] literale[n] Kompetenzen« (Nr.21), die sie der Schule verdankt und für ein erfolgreiches Theologiestudium als unabdingbar ansieht. Ein Pfarrer wählte den Religionsunterricht in der Oberstufe ab, weil er ihn als sozialkritisch und politisch instrumentalisiert empfand (Nr.9). Zu der ansonsten positiven Erfahrung im Religionsunterricht kommt ein guter Unterricht in Geschichte (Nr.4), Philosophie und Gemeinschaftskunde (Nr.5) sowie Sachkunde (Nr.17). Zwei Emeriti haben durch das altsprachliche Gymnasium bereits alle drei für das Theologiestudium erforderlichen Sprachen gelernt (Nr.4 und 5). Fünf Befragte lernten auf dem Gymnasium Latein und Griechisch (Nr.4, 8, 12, 17, 18). Ein Emeritus aus Ostdeutschland entdeckt während seiner Schul- und Berufsschulzeit, dass er Freude daran hat, anderen etwas zu vermitteln; das seien seine »pädagogischen Anfänge« gewesen (Nr.19).

In der Herkunftsfamilie einer Pfarrerin dominiert die Gymnasiallehrer-Tradition, in der ferneren Verwandtschaft gab es auch Pfarrer (Nr.10). Bildungseinflüsse während der Schulzeit sind bedeutsam und werden sehr eigenständig verarbeitet. Sie bereiten wesentlich die Berufswahl vor, weil die Liebe zur Sprache, die Lust am Lesen und Schreiben sowie das Interesse an religiösen Fragen ernst genommen werden. Zwei der Befragten loben die Grund- bzw. Allgemeinbildung, die sie der Schule verdanken (Nr.8 und 17), eine Pfarrerin hebt die Bedeutung eines »Debating Club« in der Oberstufe und eines dreimonatigen Schulbesuchs in England für ihren späteren Beruf hervor (Nr.17). Für eine andere Pfarrerin war ein christlicher Andachts- und Gebetskreis, der sich jeden Morgen vor dem Schulunterricht traf, von Bedeutung, weil er im linken sozialkritischen Milieu der 1970er Jahre eine Form des religiösen Protests darstellte (Nr.12).

Die Musik ist für einige Männer und Frauen auf dem Weg zum Pfarrberuf besonders wichtig geworden. Ein Emeritus entschied sich für eine doppelte, theologische und kirchenmusikalische Ausbildung, weil die Musik ihn im Glauben stärkte und der Pfarrberuf ihm mit seiner eingeschränkten Sehkraft am ehesten möglich erschien (Nr.2). Ein anderer sah sich vor die Wahl zwischen Kirchenmusik und Theologie gestellt; letztlich wählte er den Pfarrberuf (Nr.3), um mehr Menschen das Evangelium zu bezeugen. Ein Pfarrer kam geradezu durch die Kirchenmusik zur Theologie (Nr.9), für zwei Pfarrerinnen ist die Musik bzw. das Singen als Mittel und Ausdruck des Glaubens bedeutsam (Nr.7 und 10).

Als Motive für den Pfarrberuf werden von Männern genannt: Liebe zur Musik, besonders zur Kirchenmusik (Nr.2, 9; dieses Motiv war auch für eine Frau wichtig, vgl. Nr.7), der Wunsch, dem Vorbild eines Schulpfarrers nachzueifern (Nr.4), der Eindruck des väterlichen Vorbilds (Nr.5), ein intellektuelles Interesse, »der Sache des christlichen Glaubens auf den Grund [zu] gehen« (Nr.8) oder die »Suche nach einer ganzheitlichen Welterklärung«, verbunden mit der Suche nach sich selbst (Nr.18). Ein Vikar möchte seinen Glauben stärker für sein Leben in Anspruch nehmen und den Ertrag mit anderen teilen (Nr.15). Hier führt das Interesse am Glauben als einer das Leben formenden Kraft in den Pfarrberuf. Bei einem anderen Befragten gaben Erfahrungen in kirchlicher Jugend- und Posaunenarbeit sowie ein Zivildienst im humanitären Bereich den Ausschlag (Nr.16). Einen Emeritus, der früh seinen Vater verlor, ließ die »Frage nach dem Sinn des Lebens« nicht mehr los. Neben schönen Erfahrungen in Jungschar und Junger Gemeinde trug ein Jugendwart wesentlich dazu bei, dass »der Wunsch reifte, Theologie zu studieren« (Nr.19).

Bei zwei Befragten, die in Ostdeutschland aufwuchsen, war die Erfahrung der durch den christlichen Glauben eröffneten Freiheit ein wesentliches Motiv, den Pfarrberuf zu ergreifen. So berichtet ein Emeritus von dem »Gespräch der Bibel, des Christentums mit der Kultur und Literatur der Weltgeschichte« sowie den Vorträgen und Diskussionen, die in einer Kirchengemeinde in der sowjetischen Besatzungszone möglich waren (Nr.1). Für einen Pfarrer verband sich in der DDR der Glaube als »eine Form des Gehens ins Weite und Offene« mit dem Willen, die Kirche als »Raum der Freiheit« verantwortlich mitzugestalten (Nr.11). Dies erschien ihm sinnvoll in einer Gesellschaft, in der es den Menschen »vor allem an Zuversicht und Hoffnung [mangelte]«.

Was macht den Pfarrberuf für Frauen attraktiv? Bei ihnen ist es der Wunsch, für Menschen dazusein, und die Suche nach einer Quelle der Kraft (Nr.6), das Engagement in Kindergottesdienst, Jugendarbeit und Kirchenmusik (Nr.7) oder die verlockende Aussicht, den »schönste[n] und freieste[n] Beruf« zu haben, in dem evangelische Religiosität zum Lebensthema werden könnte (Nr.10). Es können positive Erfahrungen mit kirchlicher Jugendarbeit sein (Nr.12) sowie das frühe Eingebundensein in kirchliches Leben (sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Gemeinde) durch viele ehrenamtliche Tätigkeiten, aus dem der Wunsch erwächst, hauptberuflich dort zu arbeiten, wo die Begegnung mit anderen Menschen und der persönliche Glaube wesentliche Bedeutung haben (Nr.13). Die älteste Befragte, eine 91jährige Pfarrerin, wollte biblische Geschichten so erzählen, dass junge Menschen davon etwas Wichtiges und Hilfreiches für ihr Leben mitnehmen (Nr.20). Eine Pfarrerin aus Lettland, die im Pfarrberuf früh einen Weg sah, auf dem sie »Jesus nachfolgen und seine Zeugin sein kann«, entscheidet sich schließlich in Deutschland für diesen Beruf, um so zur Gestaltung der Kirche beizutragen (Nr.14). Für eine andere Pfarrerin wird das Berufsbild »Pfarrerin« erst interessant, als sie während des Studiums in der Homiletik die Herausforderung entdeckt, »theologische Reflexion mit konkreter Lebenswelt und Lebensgeschichte zu verbinden«, und im Vikariat erfährt, dass der Pfarrberuf einen »großen Gestaltungsraum« für die selbständige Arbeit »mit Menschen aller Altersstufen« bietet (Nr.17). Eine weitere Pfarrerin benennt den positiven Einfluss, den das Pfarrehepaar ihrer Kirchengemeinde nach der Konfirmation auf sie hatte: »Ausschlaggebend für die Wahl des Theologiestudiums war für mich, dass ich von ihnen in meiner intellektuellen Neugier gefördert und in meiner existentiellen Sinnsuche begleitet wurde« (Nr.21).

Charakteristisch für die jüngere Generation (bis fünf Dienstjahre) dürfte sein, dass sie zunächst nur ausprobieren wollten oder wollen, ob der Pfarrberuf zu ihnen passt (Nr.15, 17, nur auf das Vikariat bezogen: Nr.14).41 Dieselbe Einstellung ist aber auch bei älteren Pfarrern zu finden, die aus eher intellektuellen Motiven zur Theologie kamen (Nr.8). Die Bedeutung des Vikariats, vor allem der Gemeindephasen, als einer Zeit, die das Sich-Ausprobieren und zuweilen mühsame Prozesse der Selbst- und Rollenfindung ermöglicht (vgl. Nr.18), muss auch in diesem berufsbiographischen Zusammenhang gesehen werden.

(3) THEOLOGISCHE AUSBILDUNG UND STUDIENBEDINGUNGEN

Bei vergleichender Lektüre der Fragebögen zeigen sich erhebliche Unterschiede, sowohl was die Relevanz des Theologiestudiums und der zweiten Ausbildungsphase (Vikariat) betrifft wie auch die Bedingungen, unter denen das Studium erfolgt. Besonders deutlich treten hier Unterschiede zwischen den Generationen hervor.

Ein Emeritus studiert nach dem Zweiten Weltkrieg sechs Jahre in Ost- und Westdeutschland, nach der praktischen Ausbildung erhält er ein Stipendium für einen einjährigen Studienaufenthalt in Basel, der eine Promotion ermöglichen soll; diese kommt jedoch aus mehreren Gründen nicht zustande (Nr.