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Beschreibung

Der zweite Fall für den Eberhofer Franz Gerade läuft's für den Eberhofer Franz mit der Susi einwandfrei, sein heimischer Saustall ist so gut wie fertig eingerichtet, da überschlagen sich die Ereignisse in Niederkaltenkirchen: »Stirb, du Sau!« hat jemand mit roter Farbe an Realschulrektor Höpfls Eigenheim geschmiert, und kurz drauf liegt er auch noch tot auf den Gleisen! Selbstmord? Mord? Mal wieder Stress pur für den Franz … 

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Rita Falk

Dampfnudelblues

Ein Provinzkrimi

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Kapitel 1

STIRB, DUSAU!, steht auf dem Höpfl seiner Hauswand.

Ärgerlich. Und nicht nur für den Höpfl.

Weil, wenn am Montag in aller Herrgottsfrüh das verdammte Telefon läutet, noch dazu das dienstliche, dann ist das halt scheiße. Erst recht vor dem Frühstück.

Dran ist eben der Höpfl. Der Höpfl wohnt hier am Dorfrand, ist Rektor in der Realschule und er will jetzt, dass ich komm.

Sofort.

Weil es natürlich meine Aufgabe ist, bin ich quasi schon unterwegs.

Zwei Marmeladensemmeln und die Eier mit Speck, die mir die Oma brät, müssen dann leider reichen. Für den Früchtequark bleibt keine Zeit.

»Was ist jetzt mit dem Quark?«, schreit mir die Oma hinterher, grad wie ich zur Tür raus will. Weil sie schon seit Jahren nichts mehr hört, deut ich bloß auf die Uhr und meine Waffe und sie kapiert’s.

 

Wie ich dann mit dem Streifenwagen die kleine Anhöhe zu seinem Haus hinauffahr, kann ich es schon lesen:

STIRB, DUSAU!, steht da also in riesigen Buchstaben an seiner Rauputzwand. Groß und rot, und Farbnasen verlaufen nach unten wie Tränen über eine Backe. Der Höpfl rennt mir schon entgegen und deutet auf die Botschaft, als könnt ich die nicht selber finden.

»Da, schauen Sie her, Eberhofer!«

Er ist schweißgebadet und nervös, und offensichtlich hat sich sein gesamtes Blut in seinem Schädel versammelt. Er streicht eine irrsinnig lange Haarsträhne quer über die hohe Stirn und der Schweiß fixiert sie dort. Außer dem Geschwitze ist aber alles tipptopp. Hemd tipptopp, Hose tipptopp, Schuhe tipptopp. Nur das blöde Geschwitze macht natürlich das Gesamtbild zunichte, ganz klar. Da kannst du daherkommen wie ein Lagerfeld, wenn du schwitzt wie ein Schwein, ist alles dahin.

Aus der Hosentasche fummelt er eine Handvoll loser Tabletten und schmeißt sie sich in den Rachen. Mit einem routinierten Kopfschwung und komplett ohne Wasser versenkt er sie dann in der Gurgel.

»Baldrian«, murmelt er und grabscht erneut in seine Vorratstasche. Er hält mir die verschwitzten Pillen auffordernd unter die Nase, aber ich schüttele den Kopf. Mir graust es.

»Was wollen die denn von mir?«, sagt er, fingert ein Taschentuch hervor und tupft sich übers Gesicht.

»Wer genau sind die?«

»Ja, das weiß ich doch nicht! Die das halt geschrieben haben.«

»Vielleicht sind ja Sie gar nicht gemeint?«

»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt. Schließlich steht’s auf meiner Mauer. Wen bitte sollten sie denn sonst wohl meinen, wenn nicht mich?«

Keine Ahnung. Vermutlich hat er recht.

»Irgendjemand mag Sie wohl nicht«, überleg ich jetzt so und mach ein erstklassiges Foto von dem Schriftzug.

Er seufzt.

»Stellen Sie sich doch kurz davor, Herr Höpfl«, sag ich und er platziert sich genau vor der Wand.

Erstklassiges Foto. »Und jetzt noch mal ein bisschen freundlicher, wenn’s keine Umstände macht«, sag ich und er lächelt.

Wunderbar.

»Haben Sie denn irgendeinen Verdacht?«

Er schüttelt den Kopf.

»Einer von Ihren Schülern vielleicht? Weil, sagen wir einmal so, Rektor ist jetzt auch nicht unbedingt der beliebteste Job. Grad so bei den Schülern.«

»Ja, aber als Polizist hat man doch auch nicht nur Freunde, oder?«

»Aber an meiner Hauswand steht halt jetzt nicht: STIRB, DUSAU!«

Er nickt.

»Und, was werden Sie jetzt unternehmen?«, will er wissen.

»Ja, nix.«

»Wie: nix?«

»Ja, soll ich vielleicht jetzt eine Großfahndung einleiten nach einem mutmaßlichen Wandbeschmierer? Womöglich noch mit SEK und Hubschrauberstaffel?« Ich muss lachen und geh zurück zum Auto. »Ich muss jedenfalls weiter. Schließlich sind Sie auch nicht der Einzige, der wo die Polizei benötigt, gell.«

 

Jetzt hab ich natürlich ein bisschen übertrieben, was meine polizeilichen Einsätze angeht. Weil, seien wir einmal ehrlich, so unbedingt der Teufel ist nicht los, hier bei uns in Niederkaltenkirchen. Da kann so eine Wandschmiererei schon gut der Höhepunkt einer ganzen Dienstwoche sein.

Natürlich ist das nicht immer so. Einmal hatten wir hier sogar einen hammermäßigen Vierfachmord. Erstklassige Sache. Eine ganze Familie wurde da niedergemetzelt. Und das alles nur wegen einem Grundstück! Völlig dubios das Ganze. Aber freilich hab ich den Fall geklärt. Na gut, nicht ich alleine direkt. Der Birkenberger Rudi war mit von der Partie. Großartige Teamarbeit, wirklich. Aber andererseits kann man ja bei einem Dorf von knapp tausend Einwohnern nicht ständig einen Vierfachmord erwarten. Ja, wie lang gäb’s uns denn dann wohl noch? Wenn man bedenkt, dass immer vier sterben und mindestens einer in den Knast muss. Und darum sollte man dann auch mit so unspektakulären Einsätzen wie bei einer Wandschmiererei zufrieden sein, gell.

 

Wie ich mittags daheim zur Tür reinkomm: ein Albtraum allererster Klasse. Kein würziger Essensduft im Hausgang, kein zischendes Brutzeln in den Pfannen, kein Geschirrklappern.

Gar nichts.

Stattdessen ein scharfbeißender Gestank nach Desinfektionsmittel und zwei Menschen in Ganzkörperschutzanzügen. Die Oma und der Papa, beide in geblümten Schürzen über den Overalls, Kopftücher im Nacken gebunden und Gummihandschuhe bis hinter zum Ellbogen.

»Um Gottes willen! Was ist denn passiert?«, frag ich jetzt, weil mir gleich ein Atomunfall im nahen KKI Ohu durchs Hirn schießt.

»Der Leopold kommt doch am Wochenende«, hör ich den Papa durch eine Sagrotanwolke frohlocken.

»Ja, und?«

»Und er bringt die Mädchen mit!«

Jetzt muss ich vielleicht kurz erklären, dass der Leopold erstens mein Bruder (worauf ich wirklich nicht stolz bin) und zweitens grad Vater geworden ist. Und wenn der Papa von den Mädchen redet, so ist das nicht ganz verkehrt. Weil nämlich die zukünftige Frau vom Leopold, übrigens dann seine dritte, die ist gerade erst volljährig geworden und schaut auch noch viel jünger aus. Wie er sie das erste Mal mitgebracht hat, hab ich ihn direkt gefragt, ob sie denn schon zur Schule geht. Sie ist übrigens Thailänderin und praktisch ein Souvenir aus seinem letzten Urlaub.

Das zweite Mädchen ist die gemeinsame Tochter der beiden, gerade mal zehn Wochen alt und ständig in Unmengen Tücher gewickelt. Sie heißt Uschi, nach ihrer Großmutter. Weil das aber der Name von meiner verstorbenen Mama ist, nenn ich sie lieber Sushi. Sushi passt ganz einwandfrei, weil es sich hierbei auch um ein kleines, asiatisches Röllchen handelt. Also, noch mal: Der Papa sagt, dass der Leopold die Mädchen mitbringt.

»Und deshalb macht ihr jetzt hier alles keimfrei, oder was?«

»Ja, freilich! Ja, was meinst denn du, wie empfindlich so ein kleines Kind überhaupt ist. Besonders so ein Mischling. Da weiß doch das Immunsystem noch gar nicht, auf was es jetzt reagieren soll. Auf asiatische oder europäische Keime. Brandgefährlich, sag ich dir.«

Ich geh zum Ofen und schau in die Töpfe. Leer.

»Ja, Franz, heut gibt’s nix zum Essen«, sagt die Oma, zieht mit den Zähnen einen der Gummihandschuhe aus und kramt dann in ihrer Schurztasche. Fingert einen Fünfer hervor und drückt ihn mir in die Hand.

»Da, schau her. Gehst rüber zum Simmerl und kaufst dir ein paar schöne Leberkässemmeln. Weißt, wir müssen da jetzt weitermachen. Weil, was glaubst denn du, wie empfindlich so ein Kleinkind ist. Besonders, wenn es ein Mischling ist!«

Vielleicht sollten wir die Sache mit dem Hörgerät für die Oma doch noch mal in Angriff nehmen.

»Aha«, sag ich und hol erst mal den Ludwig, der wie verreckt im Hof rumliegt, ganz benebelt vor lauter Sagrotan. Wie er mich sieht, wedelt er mit dem Schwanz und wir machen uns auf den Weg.

 

»Ein paar Warme gibst mir«, sag ich gleich, wie ich zur Metzgerei reinkomm und mein damit die Leberkässemmeln. Der Simmerl weiß genau, was ich will.

»Drei oder vier?«, fragt er und öffnet die heiße Vitrine.

»Zwei«, sag ich und greif körpermittig nach dem Winterspeck, der sich dort in den letzten Wochen angesammelt hat. Die Leberkäswolke findet auf Anhieb den Weg direkt in meine Nasenlöcher. Mir trieft der Zahn.

»Vier«, sag ich. »Mach vier, Simmerl!«

Der Metzger schneidet vier dicke Scheiben ab und legt sie jeweils zwischen die halbierten Semmeln.

Senf drauf – Händlmaier – fertig.

»Du sag einmal, Simmerl, den Höpfl, den kennst du doch auch? Dein Max geht doch zu dem in die Schule, oder?«, frag ich genau zwischen der ersten und zweiten Semmel.

»Den Höpfl-Arsch? Ja, den kenn ich schon. Ziemlich gut sogar, würd ich meinen. Wir haben so eine Art Standleitung direkt in sein Büro«, sagt der Simmerl.

Interessant.

»Eine Standleitung? Wie meinst du jetzt das?«

»Ja, weil wir halt ständig in Kontakt sind, der Höpfl und ich.«

»So speziell seid’s ihr mitnander?«

»Speziell könnte man es auch nennen«, sagt der Simmerl und dann schweigt er. Dass man dem jetzt ein jedes Wort aus der Nase ziehen muss!

»Herrschaft, dass man dir jetzt ein jedes Wort aus der Nase ziehen muss«, sag ich. Ich könnt niederknien vor dem Simmerl seinem Leberkäs.

»Er ist halt ein unglaubliches Arschloch, der Höpfl. Beschwert sich praktisch über alles, wirklich alles, was der Max tut. Oder nicht tut.«

»So ein Hund ist dein Max also? Ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

Der Simmerl war seinerzeit auch ausgesprochen beliebt bei den Lehrern. Wir müssen grinsen.

»Ja, wegen was beschwert er sich denn so alles, der Höpfl?«, frag ich ziemlich exakt zwischen der zweiten und dritten Warmen.

»Ja, wegen nix halt. Wegen lauter Schmarrn. Hausaufgabe vergessen zum Beispiel. Mitschülerin an den Haaren gezogen. An den Haaren gezogen, verstehst!«

Der Simmerl schüttelt dramatisch den Kopf und hat so ein hämisches Lachen drauf. »So was halt, was kein Schwein interessiert. Bei uns damals hätt’s einen gescheiten Anschiss gegeben oder eine auf den Hinterkopf und aus. Aber heutzutage haben diese mordswichtigen Pädagogen ein Mitteilungsbedürfnis, das ist einfach unglaublich.«

»Unglaublich«, sag ich und wackel kooperativ auch mit dem Kopf.

»Am Anfang hat er ja noch bei mir eingekauft, der Höpfl-Arsch. Ein Pfund Tartar meistens. Wie sich dann diese Ärgernisse angehäuft haben, hab ich ihm immer in das Fleisch reingespuckt. Das hat der gar nicht gemerkt, weil ich’s hinten im Schlachthaus frisch durchgelassen hab. Jetzt kauft er beim Niederer in Landshut. Mit dem hab ich seinerzeit die Meisterprüfung gemacht. Und der spuckt ihm jetzt auch ins Tatar. Stellvertretend sozusagen. Ja, wir Metzgermeister müssen schon zusammenhalten.«

Er wischt mit einem Tuch über den Tresen und schaut mich an. »Wegen was fragst jetzt du ausgerechnet nach dem Höpfl?«

»STIRB, DUSAU!, steht auf dem Höpfl seiner Hauswand. Direkt auf dem wunderbaren Rauputz.«

Der Simmerl grinst. Zufrieden. Sehr zufrieden sogar.

»Da hat sich aber mal einer was getraut. Respekt!«, sagt er noch.

Kapitel 2

Ein paar Tage später rollt wie angekündigt die Kleinfamilie vom Leopold an. Die Oma hat gekocht, grad so, als käm eine ganze Kompanie direkt aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Der Papa ist ganz aufgeregt und hängt ständig am Fenster, damit er die Ankunft der Hochherrschaft auch ja nicht verpasst. Dann schreiten sie einher in unsere alte Wohnküche, in Glanz und Gloria. Der Leopold schiebt vornweg sein winziges Weib durch die Tür, er selbst mit dem Balg auf dem Arm dahinter.

Brust raus – stolzstrotzend.

Wenn man bedenkt, dass er im Grunde nur ein popeliger Buchhändler ist, dem ständig seine Weiber abhauen, wirkt das natürlich lächerlich. Aber wenn es darum geht, den Papa zu beeindrucken, ist ihm jedes Mittel recht. Eine panzerbreite Schleimspur geht vom Leopold aus direkt auf den Papa zu. Schon immer. Und jetzt erst recht, mit dem Kind – Treffer Ziel Mitte, würd ich mal sagen.

Logischerweise müssen wir dann alle das junge Familienglück umkreisen und bestaunen. Das erwartet der Leopold. Das erwartet auch der Papa, immerhin ist er mindestens genauso stolz. Um die junge Mutter nicht ganz auszuschließen, die ja kein Wort Deutsch beherrscht, findet das alles auf Englisch statt. Na gut, alles ist jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben.

»Very nice«, sagt der Papa.

»It is a very nice baby«, sag ich.

Die Mutter freut sich darüber und darüber freut sich wiederum der Leopold. Die Oma sagt, das Essen ist fertig und der junge Vater gibt sein Bündel großzügig an die Mutter weiter. Er ist als Erster am Esstisch und beginnt gleich seinen gierigen Schlund zu stopfen.

»Schmeckt gut, gell? Tastes good, Panida?«, sagt er.

Da schau her, der Leopold praktisch bilingual. Panida heißt übrigens seine zukünftige Ehefrau. Sie nickt.

»Bist du jetzt eigentlich von der Roxana schon geschieden?«, frag ich so. Roxana heißt seine noch amtierende Ehefrau.

»Nein«, sagt er und häuft sich noch ein paar Scheibchen Rindfleisch auf den Teller.

»Und wann wollt ihr zwei Hübschen dann heiraten?«, will ich jetzt wissen.

»Sobald ich geschieden bin.«

Das leuchtet ein.

Das Kind fängt an zu plärren. Es hat Hunger. Die Panida legt die Gabel beiseite und knöpft ihre Bluse auf. Entblättert die jugendliche Brust und legt das Kind an. Das fängt an zu schmatzen und dem Papa haut’s die Augen raus. Mir eigentlich auch, bloß weil ich seh, wie dämlich das beim Papa ausschaut, reiß ich mich zusammen. Reiß mich zusammen und konzentrier mich außerordentlich auf meinen Teller.

»Das Kohlrabigemüse ist wunderbar«, sag ich. Der Papa wendet langsam seinen Kopf zu mir rüber und nickt geistesabwesend.

»Kohlrabigemüse kann die Panida gar nicht essen, gell, Panida? Weil sie da nämlich Blähungen kriegt. Und dann kriegt die Uschi nämlich auch Blähungen«, sagt der Leopold und wirft einen mitfühlenden Blick auf die beiden, bevor er sich einen Mordshaufen Gemüse in den Rachen schmeißt.

Die Oma steht auf und holt ein Kissen. Das legt sie dann der Stillenden unter den Ellbogen. So geht es gleich besser. Die Oma erntet dankbare Blicke. Auch vom Leopold. Und der Papa weiß überhaupt nicht, wo er eigentlich hinschauen soll.

Später beim Kaffee gibt’s einen erstklassigen Erdbeerkuchen von der Oma und unvermeidlicherweise die Beatles. Den ganzen Vormittag lang hat der Papa seine alten Platten poliert und den Plattenspieler abgepustet. Wenn man bedenkt, dass er alle Beatles-Songs vorwärts und rückwärts und aus dem Effeff kennt, ist so was wie »very nice« natürlich erbärmlich. Aber gut.

»Ah, herrlich, Papa. Kaffee und Kuchen und die Beatles«, sagt der Leopold, die alte Schleimsau, und lehnt sich behaglich zurück. »Das hab ich ja schon lang nicht mehr gehabt.«

Der Papa lächelt selig.

Der Leopold lächelt selig.

Und ich muss gleich kotzen.

»Obwohl ich jetzt schon sagen muss, dass die Panida auch gut backen kann«, sagt er weiter und nimmt eine Gabel voll Kuchen. Er redet mit vollem Mund, was unappetitlich ist. »Kochen übrigens auch. Sie ist überhaupt eine ganz tolle Hausfrau geworden, seit sie hier in Deutschland da ist, ganz toll, ehrlich.«

»Ja, sie ist ja noch jung. Da kann man sie schon noch prima dressieren«, sag ich so.

Der Papa hebt eine Augenbraue und schaut mich an. Vorsicht!

»Nein«, sagt der Leopold und schmeißt seinen Erdbeerbatz von einer Backe in die andere. »Nein, überhaupt. Ihr könnt euch das gar nicht vorstellen, wie das so ist mit der Panida. Die Thaifrauen … die Thaifrauen sind halt wirklich ganz anders. Viel anschmiegsamer und so. Und bescheidener halt. Keine so Emanzenweiber. Ein Traum.«

Er legt den Arm um die Traumfrau und faselt ein paar englische Brocken.

»Ich weiß jetzt eigentlich nicht direkt viel über Thailänderinnen«, sag ich so. »Das Einzige, was ich noch im Kopf hab, ist, dass vor ein paar Jahren eine Thailänderin mitten in der Nacht ihrem Gatten den Schwanz abgebissen hat. Ohne jede Vorwarnung. Oder war das eine Vietnamesin …?«

Das musste ich loswerden. Auch wenn der Leopold jetzt das Husten kriegt und sein Erdbeerbatz stückerlweise auf den Teller zurück fliegt.

»Franz!«, schreit der Papa.

Das mit der Augenbraue lässt er aber bleiben, weil’s eh nix bringt.

Ich steh auf.

»Wunderbar«, sag ich zur Oma. Beug mich hinunter und geb ihr ein Bussi auf die Backe. »Dein Essen war wunderbar, Oma.«

Sie freut sich.

Dann geh ich in meinen Saustall rüber und hol den Ludwig. Das sind die zwei Dinge in meinem Leben, auf die ich um gar keinen Preis verzichten möchte: Mein umgebauter Saustall, mein Refugium, mein Königreich, meine Oase völliger Ruhe oder heißer Sexorgien. Na gut, vielleicht keine Orgien. Aber so ab und zu geht schon mal die Post ab, mein lieber Schwan! Es war aber auch eine Menge Arbeit, das kann man kaum glauben. Nachdem der Papa aus alterstechnischen Gründen seine Schweinezucht aufgegeben hat und ich aus disziplinarischen Gründen von München in die Heimat zurückversetzt wurde, hab ich mit dem Umbau angefangen. Hab den alten Saustall zu einem Wohnhaus umgebaut. Fertig bin ich noch immer nicht ganz. Aber so weit kann man gut drin leben. Und es erspart mir die ständige Gegenwart der Familie. Und die der Beatles. Und das allein ist es schon wert.

Das zweite unverzichtbare Etwas in meinem mickrigen Dasein ist der Ludwig. Mein bester Freund. Mein treuer Begleiter. Und mein Fitnesstrainer. Jeden Tag eine Tour von über einer Stunde. Das hält fit. Da gibt’s nix zu deuteln. Also schnapp ich mir jetzt den Ludwig und wir wandern los. Wir brauchen eins-achtzehn dafür, was absoluter Durchschnitt ist. Unsere persönliche Bestzeit ist eins-sechzehn, allerdings war das nur ein einziges Mal.

Wie ich heimkomm, ist der Leopold schon weg, mitsamt seiner Asia-Perle. Aber das Kind ist noch hier.

Der Papa macht ein finsteres Gesicht wegen zuvor, und trotzdem muss ich ihn fragen: »Du, sag einmal, kann das sein, dass die das Kind vergessen haben?«

»Die zwei müssen mal raus. Und die Uschi bleibt heut ein bisserl bei uns, gell, Uschi«, sagt der Papa.

»Für wie lang genau?«, frag ich nach.

»Was geht jetzt dich das eigentlich an? Sie ist doch da bei mir herüben. Und nicht etwa bei dir.«

»Das würd auch grad noch fehlen«, sag ich so.

Dann geh ich zum Stubenwagen, wo das kleine Bündel drin liegt und rausschaut. Die Schlitzaugen sind nicht mehr ganz so schlitzig wie bei ihrer Geburt. Mehr mandelförmig. Das ist schön. Die Haut ist dunkel und hat auch nicht den komischen Gelbstich wie die von ihrer Mutter. Eine Farbe wie Milchkaffee eher. Sehr schön. Aber die Nase! Die Nase, muss man sagen, hat so gar nichts asiatisch-stupsiges. Mehr so der typische Eberhofer-Zinken. Vielleicht nicht gar so schlimm wie beim Leopold oder bei mir, aber immerhin.

»Schön ist sie gell, unsere Uschi«, sagt der Papa, jetzt schon sehr viel versöhnlicher.

»Eigentlich schon«, sag ich.

»Ja, gut, die Nase halt. Ein richtiger Eberhofer-Zinken, oder?«, grinst er stolz.

»Wer Zinken sät, wird Zinken ernten. Das müsste sogar der Leopold wissen. Und wann, sagst du, kommen die zwei zurück?«

»Das kann nicht so spät werden. Schließlich braucht ja die Uschi ihre Brust«, sagt der Papa und schaut mit seinem Dutzi-Dutzi-Dutzi-Blick runter auf die Enkelin.

»Freust dich, dass sie den Namen von der Mama gekriegt hat?«, frag ich so.

»Ja. Eine größere Freude hätte mir der Leopold gar nicht machen können«, sagt der Papa leise.

Ja, das war klar.

 

Dann klopft es kurz an der Tür und herein stürmt die Mooshammer Liesl. Sie schiebt den Papa mit einem »Servus, Eberhofer« zur Seite und wetzt durch das Zimmer. Schmeißt mir ein »Servus, Franz« herüber und versinkt dann mit dem ganzen Oberkörper im Stubenwagen.

»Ist das etwa der neue Eberhofer?«, will sie wissen.

»Eberhoferin, wenn schon«, sagt der Papa.

»Ein Mäderl? Ist nicht so schlimm. Hauptsache gesund, sag ich immer«, sagt die Liesl. Dann erzählt sie, dass sie grad den Leopold samt Panida im Dorf getroffen und so von der Anwesenheit der dazugehörigen Brut hier am Hof erfahren hat. Und das muss sie sich natürlich gleich anschauen. Denn was die Neugier angeht, da ist die Liesl von allen Dorfratschn quasi ungeschlagen auf Platz eins.

»Und, was gibt’s sonst so Neues?«, frag ich die Liesl und schieb unauffällig einen Socken unter die Couch.

»Sonst? Mei, nix. Höchstens, dass auf dem Höpfl seiner Hauswand STIRB, DUSAU! steht. Hast du das schon gesehen, Franz?«

»Du, das sind dienstliche Ermittlungen, da kann ich dir absolut nichts sagen«, sag ich und tu so, als ob ich eilig wegmuss. »Ich muss auch schon weg. Mir pressiert’s.«

»Dienstliche Ermittlungen? Ja, was ermittelst du denn da so alles?«, hör ich sie grad noch, aber ich bin auch schon im Hausgang. Tür zu und weg.

Draußen treff ich den Leopold samt Weib und er holt Gott sei Dank sein Kind wieder ab. Alles wird im Auto verstaut und es beginnt ein Mordsgewinke.

»Bye-bye!«, rufen alle durcheinander und der Papa läuft ein paar Schritte neben dem Wagen her. Er humpelt ein bisschen. Seit seiner scharfen Auseinandersetzung mit einer Sense im letzten Sommer ist er einbeinig dreizehig. Das war ein Gezeter damals, das kann man gar nicht erzählen. Er säbelt sich also zwei Zehen ab und ich soll sie dann in der Wiese suchen, damit sie wieder angenäht werden. Hat aber leider nicht geklappt. Und natürlich bin ich seitdem schuld an seinen blöden Verstümmelungen. Auch jetzt krieg ich wieder seinen berühmten Schau-mal-wie-ich-hinke-Blick. So watschelt er in seiner abgewetzten Jeans dem abfahrenden Auto noch ein paar Schritte hinterher und winkt.

»Bye-bye!«, ruft er.

»Bye-bye, wir telefonieren!«, ruft der Leopold.

»Don’t call us, we call you«, ruf ich und winke auch. Dann sind sie weg und es kehrt endlich wieder Ruhe ein. Wenigstens für ein paar Minuten. Dann läutet mein Diensttelefon.

 

Ein Nachbarschaftsstreit ganz in der Nähe. Trotz vorgerückter Stunde und einem Wahnsinnsdurst raff ich mich auf und fahr hin. Dienst ist Dienst. Im Notfall auch am Sonntag. Vor Ort steht ein Zweifamilienhaus und auf dem Balkon im ersten Stock steht offensichtlich und mit beiden Armen rudernd der Anrufer von soeben im Schiesser-Feinripp. Dann erfahr ich, dass ein Thermometer der Apfel des Zankes ist.

Unglaublich.

Der Mieter vom Erdgeschoss hat besagtes Thermometer am Eingang über den Klingeln befestigt, um eben über die hiesigen Wärmeverhältnisse auf dem Laufenden zu sein. Was den Mieter vom ersten Stock aber ständig dazu nötigt, auf genau dieses Thermometer auch den einen oder anderen Blick zu werfen. Ebenfalls aus wärmetechnischen Gründen. Das wiederum kann der Besitzer des Gradmessers glasklar durch sein Klofenster sehen. Und das stört ihn. Weil er halt von seinem hartverdienten Geld das Teil gekauft hat und es beim besten Willen nicht einsieht, dass nun ein anderer ebenfalls in den Genuss davon kommt. Soll er sich doch gefälligst sein eigenes Thermometer kaufen!

So geht das angeblich nun schon seit Wochen. Und heute … heute hat dann der Schiesser-Feinripp wieder völlig unverfroren draufgestarrt. Ziemlich lange sogar. Provokant halt, sagt der Erdgeschossler. Und dann hat’s ihm gereicht, sagt er. Und wenn der Arsch jetzt auch nur noch ein einziges Mal die fremden Grade abliest, wird er ihn abstechen. Das waren seine Worte.

Daraufhin hat sein Widersacher zum Telefonhörer gegriffen und mir meinen heiligen Sonntag versemmelt. Und jetzt stehen wir hier. Vor dem Eingang des Zweifamilienhauses. Wir drei. Das heißt, die Frau vom Erdgeschossler ist auch noch dabei und möchte ihren Senf dazugeben. Ihr Gatte aber lässt sie nicht. Verdammt sie zum Schweigen. Hat sie offenbar gut im Griff.

»Was genau wollen Sie jetzt von mir«, muss ich dann fragen.

»Ja, dass der halt nicht mehr auf mein Thermometer schaut.«

Klare Aussage.

»Würden Sie bitte nicht mehr auf sein Thermometer schauen«, sag ich zu dem Fremdgaffer.

»Nein«, sagt der.

Aha.

»Ich habe ihm angeboten, die Hälfte von dem Teil zu bezahlen, aber das hat er nicht haben wollen.«

»Fünfzig Cent! Das wär ja noch schöner! Das Ding hat einen lächerlichen Euro gekostet. Dabei geht’s doch gar nicht um den materiellen Wert. Vielmehr um den ideellen. Aber das kapiert der Schwachkopf ja nicht!«, schreit mir der andere jetzt her.

»Ich finde das schon fair. Wenn jeder die Hälfte bezahlt, kann doch auch jeder draufschauen«, sag ich und hoffe inständig auf Einsicht.

Nix. Kein Verständnis. Kein Einsehen. Kein Garnix. Zwei bockige Rechthaber mit verschränkten Armen.

Und das am Sonntag!

Ich ziehe die Waffe und erlöse das Thermometer von seinen Pflichten. Aus dem Einschussloch rieselt der Staub. Keiner wagt es jetzt noch, etwas zu sagen. Ich setz mich in den Streifenwagen und fahr meinem wohlverdienten Feierabend entgegen. Eigentlich dürfte ich so was ja gar nicht herumposaunen. Das mit dem Schießen, mein ich. Sonst ist gleich wieder der Teufel los. Meine Vorgesetzten sind nämlich sowieso der Meinung, dass ich meinen Finger zu schnell am Abzug hab. Das hat mir auch die Versetzung in die Heimat eingebracht. Weil sie geglaubt haben, ich würde in der wunderbaren Landeshauptstadt versehentlich irgendjemand niedermähen. Womöglich noch den Falschen. Nein, das geht natürlich nicht. Dann doch lieber in Niederkaltenkirchen, gell. Ja. Nein, was ich eigentlich sagen wollte, manche Dinge kann man nur bewaffnet lösen. So wie heute. Was wär die Alternative gewesen? Eine Selbsthilfegruppe für Thermometerspanner?

Kapitel 3

Hinterher geh ich zum Wolfi und bestell mir ein Bier. Drüben am Ecktisch sitzen eine Handvoll Frauen über einem Stapel Reisekataloge. Mittendrin die Susi von der Gemeindeverwaltung und die Simmerl Gisela. Ich frag mich, wer von ihnen denn einen Urlaub plant, und tipp auf die Gisela. Plötzlich steht die Susi neben mir und sagt: »Du Schatz, ich fahr nach Italien. Was sagst du dazu?«

»Nach Italien?«, sag ich. »Mit wem genau?«

»Ja, mit ein paar Mädels halt. Also?«

Jetzt bin ich zugegebenermaßen ziemlich platt. Weil, die Susi und ich, wir haben da manchmal was am laufen. Nix Ernstes. So mehr aus Gewohnheit. Und natürlich kann ein jeder von uns in den Urlaub fahren, wann immer er will. Und freilich auch mit wem er will. Aber das tun wir nicht. Ich eher, weil ich sowieso nirgends hin will. Weil’s halt daheim am schönsten ist. Und die Susi mehr, weil ich nicht mitfahr. Und allein hat sie dann auch keine Lust.

Normalerweise.

Aber anscheinend hat sie jetzt ihre Einstellung geändert und kurzerhand einen passablen Ersatz für mich gefunden. Besser gesagt, sie hat mich noch nicht einmal gefragt, ob ich mit will. Das letzte Mal, wo sie gefragt hat, ist schon lang her. Genau genommen über ein Jahr. Ich hab damals natürlich nein gesagt, was auch sonst. Weil ich halt sowieso nirgends hin will. Generell nicht. Und dann bin ich ein paar Wochen später mit dem Birkenberger Rudi nach Mallorca geflogen. Aber das war mehr dienstlich. Und das zählt ganz klar nicht. Trotzdem ereilt mich jetzt das Gefühl, als wär das hier nun die Revanche. Die Revanche für Mallorca. Sie fährt quasi mit ein paar blöden Weibern nach Italien, nur um mir meinen Birkenberger-Urlaub heimzuzahlen.

»Wunderbar«, sag ich. »Italien, einwandfreie Sache. Schickst mir dann eine schöne Karte, gell.«

»Eine Karte? Ja, freilich kriegst du eine Karte. Vielleicht bring ich dir ja auch noch was mit«, trällert sie mir her und wendet sich dann wieder ihren Zofen zu.

»Nach Italien«, sag ich so zum Wolfi und schau in mein Bierglas.

»Das stinkt dir jetzt, gell?«, sagt der blöde Wirt gläserpolierenderweise.

»Mir? Nein, gar nicht. Wieso? Was genau soll mir da jetzt stinken?«

»Ja, dass die Susi halt ohne dich in den Urlaub fährt. Dass sie praktisch einen Spaß hat ohne den großartigen Eberhofer-Macho.«

Weil mir das jetzt zu blöd wird, trink ich aus und schmeiß dem Wolfi ein paar Münzen auf den Tresen. Dann geh ich heim.

 

Am nächsten Vormittag läutet das Telefon und der Dienststellenleiter von der PI Landshut ist dran. Der Rektor von der Realschule wird vermisst. Er ist nicht zum Unterricht erschienen und die Sekretärin kann ihn telefonisch nicht erreichen. Ich soll da jetzt mal hinfahren und nachsehen. STIRB, DUSAU!, schießt es mir durch den Kopf. Und ich leg auf und fahr zum Höpfl.

 

Die Schmierereien auf seinen Hauswänden sind weg und alles ist wieder wunderbar weiß. Offensichtlich neu gemalert. Auf mein Klingeln und Klopfen hin regt sich nichts und auch die Aufforderung mit der Flüstertüte trägt keine Früchte, ganz zu schweigen von einem Höpfl. Außen ums Haus, Kontrolle der Fenster. Alle luftdicht verschlossen, keine Chance, da reinzukommen. Der Briefkasten leer, so lang kann er also noch nicht weg sein. Die Nachbarn sagen bei meiner Befragung, am Samstag hätten sie ihn zuletzt gesehen. Wie er mit seinem Ford weggefahren ist. Am Samstag also. Und heute ist Montag. Er war so wie immer, sagen sie, gepflegt und unsympathisch. Ja, mir hilft das aber jetzt auch nicht weiter, wenn der gepflegte Unsympath wegfährt und nicht wiederkommt. Weil ich dann nämlich die ganze Scheißarbeit am Hals hab.

Die Garage ist offen, das Auto ist weg. Er ist also nicht zu Fuß unterwegs. Drinnen ist alles wie wohl in allen Garagen weltweit: Regale, Werkzeug, Farbeimer, Spinnweben.

Ich ruf in der PI Landshut an und frag, ob ich die Tür aufschießen soll. Nein! Auf gar keinen Fall! Ich soll ja meine Waffe da lassen, wo sie grad ist, und nicht wieder das Wild aufscheuchen. Von Wild war überhaupt keine Rede. Ich meine ja nur, wenn vielleicht Gefahr in Verzug ist, wär es doch besser … Nein! Auf gar keinen Fall, heißt es. Wir können noch bis morgen warten. Vermutlich taucht der Höpfl bis dahin von selber wieder auf. Und wenn nicht, kommt ein Schlosser. Und aus! Und ich soll doch mal dran denken, was aus meinem letzten Einsatz geworden ist. Bei meinem letzten Gefahr-in-Verzug-Einsatz.

 

Das, glaub ich, muss ich jetzt vielleicht kurz erklären: Also, es ist schon ein paar Monate her und ich war damals dienstlich gesehen, sagen wir, hochmotiviert. Gerade hatte ich den Vierfachmord aufgeklärt, den ich schon erwähnt hab, und war dadurch natürlich ein toller Hecht. Dieser enormen Motivation schreibe ich es auch zu, dass dann gekommen ist, was gekommen ist. Und das war so:

Ich dreh da so gemütlich meine tägliche Runde mit dem Ludwig durch den Wald und plötzlich steht ein Auto da. Es ist ein Alfa-Romeo, ein Riesenteil, mit abgedunkelten Scheiben und italienischem Nummernschild. Haben wir hier nicht so oft. Die Fahrertür ist offen, ebenso der Kofferraum, aber weit und breit kein Mensch. Das macht mich schon ein bisschen stutzig, aber noch kann ich mich ganz gut beherrschen. Ich geh mit dem Ludwig also weiter und mach mir noch keine so großartigen Gedanken. Wie ich aber dann auf dem Rückweg, nach über einer Dreiviertelstunde, alles noch genauso vorfind, muss ich mir notgedrungen die Situation einmal genauer anschauen. Schließlich ist man als Polizist ja sozusagen im Dauereinsatz.

Auf der Rückbank des Wagens ein Kindersitz und etliches Spielzeug. Eine Landkarte aus Deutschland auf dem Beifahrersitz, genauso wie ein Handy, Akku leer. Im Kofferraum vorschriftsmäßig der Verbandskasten, eine signalgelbe Weste und ein Warndreieck. Absolut vorbildlich. Auf der hinteren Stoßstange so was wie Blut. Auf dem Waldboden neben dem Wagen glitzert das herbstliche Laub, könnte ebenfalls Blut sein. Jetzt wird mir die Sache langsam zu heiß. Eine gewaltsame Kindsentführung mit allem Pipapo, fährt es mir direkt ins Hirn. Gefahr in Verzug, praktisch. Ein Anruf beim Richter Moratschek ist jetzt unverzichtbar. Und er reagiert sofort. Allein schon, weil er mich bei der Aufklärung meines Vierfachmordes in keiner erdenklichen Art und Weise unterstützt hat. Ich erläutere ihm also den Ernst der Lage und im Nullkommanix ist hier das SEK am Gelände. Die Hubschrauberstaffel kreist über uns und Scheinwerfer erhellen jeden Winkel des Waldes. Die Suchhunde schnüffeln im Wageninneren und fangen zu suchen an. Und ich steh relativ entspannt daneben und lass die Kollegen ihre Arbeit tun. Ein sehr angenehmer Moment, muss ich schon sagen.

Dass es jetzt nicht direkt zum Happy Ending kommt und irgendwo aus dem Gebüsch eine total verängstigte Familie aus den Klauen der Entführer gerettet wird, ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Es war dann eher so, dass ich wie gesagt völlig entspannt dem eifrigen Treiben zugeschaut hab und plötzlich steht neben mir ein Mitglotzer. Ein kleiner Mann, die hellblauen Hemdsärmel hochgekrempelt, und ein bisschen atemlos. Im ersten Moment hab ich ihn nicht weiter beachtet. Erst als er sagte: »Cosa c’è? Was ist los?«, wurde ich stutzig. Da hab ich ihn genauer angesehen und gemerkt, dass er einen Benzinkanister in der Hand hält.

Mir schwant Furchtbares.

Und, ja, es war der Wagenbesitzer. Er fragt mich einfach: »Was ist los?«, dieser Arsch.

Ihm war das Benzin ausgegangen! Das Benzin! Das muss man sich einmal vorstellen. Und er hat den Benzinkanister aus dem Kofferraum geholt und sich dabei an der Hand verletzt. Daher das Blut an der Stoßstange. Und dann war er schlicht und ergreifend auf dem Weg zur Tankstelle. Und weil er sich hier in der Gegend nicht auskennt, hat er dann zweieinhalb Stunden dafür gebraucht. Hin und zurück, versteht sich. Ja, ich glaube, die Ausführung ist ausführlich genug, ich würd jetzt ganz gern das Thema wechseln. So viel eben nur, um zu verstehen, warum ich halt nicht wirklich schnell und unbürokratisch eine Unterstützung krieg, bei Gefahr in Verzug.

 

Wie ich am Abend daheim auf dem Kanapee lieg und mit Supertramp versuche, dem Papa seine Beatles zu übertönen, klopft es kurz und die Susi kommt rein. Sie will wissen, warum ich heut nicht bei ihr im Büro war. Wir haben nämlich beide unsere Dienstzimmer im selben Gang vom Rathaus, und da ist es praktisch unvermeidbar, aufeinanderzustoßen. Besonders, weil die Susi den besten Kaffee kocht weit und breit. Heute war mir aber eher nicht nach Kaffee. Und außerdem bin ich durch den Höpfl-Fall so dermaßen eingespannt, dass ich für so einen Firlefanz wie Kaffee überhaupt keine Zeit hab. Und das sag ich ihr auch.

»Du, Susi«, sag ich. »Ich bin grad dienstlich gesehen so im Stress, da muss das Privatleben eben hinten anstehen.«

»Aha«, sagt die Susi. »Und mit meinem Italienurlaub hat das nichts zu tun?«

»Italienurlaub? Nein, absolut nicht. Wieso?«

»Ich mein ja bloß«, sagt sie und kuschelt sich ein bisschen her zu mir. Sie liegt mit dem Kopf direkt auf meiner Brust und ihre Haare riechen großartig. Leider kitzeln sie mich aber auch in der Nase und so muss ich sie umquartieren. Die Susi, mein ich. Ich quartier sie dann einfach direkt unter mich, weil dann die Haare nicht mehr in mein Gesicht fallen können und es auch sonst viel bequemer ist. Wir schmusen ein bisschen und so. Alles ziemlich einwandfrei. Direkt traumhaft.

»Dreamer«, tönt es aus dem Lautsprecher.

Hinterher schläft sie pudelnackig in meiner Armbeuge ein und so kann ich sie seelenruhig anschauen. Schön ist sie schon eigentlich. Relativ wenigstens. Früher war sie noch viel schöner. Vor ein paar Jahren. Wie sie halt noch jünger war. Aber die Zeit ist auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen. Irgendwann einmal hat sie gesagt, wir sollten heiraten. Weil sie eben auch älter wird und schon ganz gern mal eine glückliche Familie haben möchte. Heiraten! So weit kommt’s noch.

»Du, Susi«, hab ich zu ihr gesagt. »Jetzt schau dich doch mal um. Nimm meinetwegen den Flötzinger. Oder den Simmerl zum Beispiel. Die beiden haben eine Familie.«

»Und?«, hat die Susi gefragt.

»Und schauen die vielleicht glücklich aus?«

Sie hat den Kopf geschüttelt und damit war die Sache durch. Und jetzt will sie nach Italien. Bittesehr, soll sie doch fahren. Da wird sie dann schon sehen, wie weit sie kommt. Bei den Italienern. Mit ihrer Cellulite. Ja, wenn man nämlich ganz genau hinschaut, kann man sie schon sehen, die ersten Anzeichen. Besonders, wenn man die Haut zwischen den Fingern quetscht. Da sieht man es. Ganz leicht zwar nur, aber schließlich ist sie auch schon knapp über dreißig, die Susi. Jetzt wird sie wach. Wahrscheinlich hab ich sie wachgequetscht.