Dark Land - Folge 015 - Logan Dee - E-Book

Dark Land - Folge 015 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Das Verschwinden von Marylyns Schwester und die Begegnung mit der geheimnisvollen Patientin aus Dr. Shelleys Dead End Asylum lassen Abby keine Ruhe. Sie muss noch einmal zurück ins Deepmoor und der Sache auf den Grund gehen.


Doch im Deepmoor treibt sich allerhand dämonisches Gesindel herum. Wie Sinatown gehört es zu jenen Gebieten, in die sich nur die wenigsten Bewohner von Twilight City hineinwagen. Aus den Weiten des Moores ist schon so mancher nicht zurückgekehrt.


Am gefährlichsten aber ist die Barnes-Familie, die zurückgezogen tief in dem dunklen Moor lebt. Wer in ihre Fänge gerät, ist verloren und landet in der Arena der Monster!

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Seitenzahl: 137

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Arena der Monster

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4902-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Was bisher geschah

Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.

Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.

Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …

In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.

Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.

Noreks Fährte führt ihn in einen Nachtclub, wo er mit der Polizei aneinandergerät. Er wird abgeführt und zu einer Geldstrafe verurteilt – die er allerdings mangels hiesiger Mittel nicht begleichen kann. Daraufhin wird aus dem Bußgeld eine Haftstrafe: Fünfzig Jahre soll er einsitzen!

Doch der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy zahlt das Bußgeld für Wynn und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.

Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt. Abby hilft Wynn bei der Suche nach Norek, und so wird sie immer wieder in Wynns gefährliche Abenteuer mit hineingezogen.

Doch auch Sir Roger und Esrath sind auf der Suche nach Norek, denn Sir Roger hat noch eine Rechnung mit dem Dämon offen.

Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, verrät er Wynn davon nichts. Er sperrt Norek in eine Zelle tief verborgen in der geheimnisvollen Villa, wo niemand ihn jemals finden soll.

Denn Sir Roger weiß: Wenn Wynn zu seiner Rache an Norek kommt, gibt es keinen Grund mehr für ihn, in Twilight City zu bleiben. Er wird einen Weg zurück in seine Welt suchen, und das will Sir Roger um jeden Preis verhindern. Er braucht Wynn noch …

Als es Norek jedoch fast gelingt, zu fliehen, weiß Sir Roger, dass er handeln muss. Er liefert den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt Norek in seinem Sanatorium ein.

Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.

Gleichzeitig ist Abby zusammen mit ihrer Freundin Marylyn auf der Suche nach deren Schwester Vicky. Diese wurde ins Dead End Asylum eingewiesen und verschwand kurz danach spurlos …

Arena der Monster

von Logan Dee

»Oh, bitte entschuldigen Sie!«

Abby fuhr verärgert herum. Der Rempler hatte sie ins Stolpern gebracht. Der Stapel Akten, den sie getragen hatte, war ihr daraufhin aus den Händen gerutscht und lag nun über dem Boden verteilt.

»Können Sie denn nicht aufpassen?«, fauchte Abby den Mann an, der sie von hinten angestoßen hatte.

»Verzeihen Sie, es war wirklich nicht meine Absicht …«

»Absicht oder nicht! Jetzt kann ich alles neu ordnen! Das wird Stunden dauern!«

»Ich helfe Ihnen«, sagte der Mann eilfertig.

Trotz Abbys Wut wirkte er kein bisschen eingeschüchtert. Im Gegenteil. Das leichte Lächeln, das auf seinen Lippen lag, wirkte fast ein wenig amüsiert …

Machte er sich etwa über sie lustig? Abby musste an sich halten, um ihm nicht richtig die Meinung zu sagen. Allerdings wäre das im Moment unpassend gewesen, weil in dem Flur nicht nur einige Kollegen vorbeiströmten, sondern sich just in diesem Augenblick die Aufzugstür öffnete und drei Anzugträger aus der Chefetage heraustraten. Sie waren jedoch derart in Gespräche vertieft, dass sie Abby nicht weiter beachteten.

Auch der Mann, auf den sich Abbys Wut bezog, trug einen dunklen Anzug. Er war moderner geschnitten. Darunter trug er ein ebenfalls dunkles Hemd und eine dezente Krawatte.

»Machen Sie sich nicht die Mühe. Ich komme schon allein zurecht«, sagte Abby und kniete schnell nieder, um die Aktenblätter zusammenzuklauben. Das fehlte noch, dass der Kerl ihr half und dabei seine womöglich neugierige Nase in Akten steckte, die ihn absolut nichts angingen.

»Sind Sie sich sicher?«, hörte sie ihn nach einigen Sekunden fragen. Abermals fuhr sie verärgert herum. Der Typ stand hocherhoben immer noch an derselben Stelle und blickte amüsiert auf sie herab. Er hatte sie die ganze Zeit gemustert.

»Was gaffen Sie mich so an?«, zischte Abby. »Sehen Sie lieber zu, dass Sie Land gewinnen, bevor ich wirklich wütend werde!«

»Sind Sie immer so temperamentvoll?«, fragte der Fremde und zog die Stirn in Falten.

»Ja, und wie gesagt, es wäre jetzt klüger für Sie …«

Der Mann schien sie nicht zu verstehen. Oder nicht verstehen zu wollen. Er kniete sich neben sie und half ihr, die Blätter vom Boden zu heben.

»Lassen Sie das, ich mache das schon allein!«, fuhr Abby ihn an.

Aber es war zu spät. Er hatte bereits ein paar Akten in der Hand. Sein Blick fiel wie unbeabsichtigt darauf, dann stutzte er offensichtlich.

Abby konnte sich nicht helfen, aber sein Verhalten kam ihr gespielt vor. Ebenso seine offensichtliche Überraschung, als er mit erstaunter Stimme fragte: »Sie interessieren sich für Doktor Shelley?«

Abby lief rot an. Aber nicht vor Verlegenheit, sondern weil sie fast platzte vor Wut: »Jetzt schreien Sie hier nicht so rum! Es müssen ja nicht alle gleich mitkriegen, woran ich arbeite …«

Und schon bedauerte sie ihre Worte wieder. Jetzt ahnte er wahrscheinlich, dass sie keine gewöhnlichen Akten mit sich herumtrug.

Wer war er überhaupt? Und was bildete er sich ein? Sie schwankte zwischen Empörung und Vernunft.

Und entschied sich für den Angriff.

Kurzerhand riss sie ihm das Papier aus der Hand. Es handelte sich um einen vergilbten Zeitungsausschnitt.

»Das geht Sie nichts an! Bitte lassen Sie mich in Ruhe!«

»Also schön, ich werde meine Neugier bezähmen!« Er hielt ihr beide Handflächen entgegen, um damit anzudeuten, dass er ihr nichts wollte. »Aber ich werde meinen Fehler wieder gut machen. Entweder, Sie lassen zu, dass ich Ihnen beim Aufheben helfe, oder …«

»Oder?« Abby sah ihm ins Gesicht.

Eigentlich sah er nicht schlecht aus. Im Grunde sogar sehr gut. Seine markanten Gesichtszüge mit der Habichtnase und die abenteuerlustig blitzenden Augen passten im Grunde nicht zu einem Anzugträger, und für einen Moment stellte sie ihn sich … abenteuerlicher gekleidet vor. Allerdings passte der dandyhafte kurz geschorene Schnäuzer so gar nicht zu ihrem Bild.

»An was denken Sie gerade?«

Er hatte sie ertappt. Wahrscheinlich hatte sie dümmlich gelächelt.

»Lassen Sie uns das hier schnell beenden, bevor sich noch andere Leute für diese Papiere interessieren!«

Diese Augen waren es, die sie verwirrten. Schnell wandte sie sich ab und kroch wieder auf dem Boden herum. Der Unbekannte half ihr dabei, und nach zwei Minuten war alles wieder aufgehoben.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte der Mann.

»Jetzt geben Sie mir Ihren Packen, und ich kann endlich an die Arbeit gehen!«, schnaubte Abby.

»Ich würde mich trotzdem gern entschuldigen. Darf ich Sie nach Feierabend zu einem Drink einladen? Sicherlich kennen Sie das Ripp Tide?«

Und ob ich das kenne, dachte Abby. »Tut mir leid, aber das liegt leider nicht auf meinem Weg«, sagte sie dennoch.

»Macht nichts. Ich fahre Sie hin. Also, bis später!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, schenkte er ihr ein weiteres freundliches Lächeln und schlenderte pfeifend davon.

Abby sah ihm hinterher, bis er um die Flurecke verschwunden war.

So ein unverschämter Kerl! Und trotzdem reizte sie etwas an ihm. Und das war nicht nur sein Aussehen. Es war dieser Widerspruch zwischen dem, was er vorgab zu sein, und dem, was er wirklich verkörperte. Sein Anzug erschien ihr wie eine Tarnung.

Nun lächelte auch sie. Dieser Typ hatte garantiert etwas zu verbergen. Sie würde ihm seine Tarnung vom Leib reißen.

Und dann mal sehen, mein Lieber, was darunter zum Vorschein kommt!

***

Als Abby das riesige Großraumbüro betrat, beachtete sie niemand. Die Redakteure, rasenden Reporter, Aushilfs-Tippsen, Laufburschen und sonstigen Mitarbeiter hatten genug mit ihren eigenen Artikeln und Aufgaben zu schaffen. Nicht zu vergessen die Tastenhocker, Nachrichtenspinner, Flüsterwürmer, Räderwerker, Gerüchteköchler und anderen großen und kleinen Hilfsdämonen, ohne die eine Tageszeitung wie der Twilight Evening Star aufgeschmissen wäre.

Die umfangreiche Wochenendausgabe stand bevor, sodass Hochbetrieb herrschte. Das Büro glich einer Bahnhofshalle, in der die Reisenden aufgeregt auf ihre allesamt verspäteten Züge warteten. Alles war beherrscht von einem kakophonischen Lärm, der aus jeder Ecke und von jedem Schreibtisch ertönte: Stimmengewirr, Telefonklingeln und die Tippgeräusche der allgegenwärtigen Schreibmaschinen.

Wenn man genau hinhörte, dann vernahm man zusätzlich ein unterschwelliges Brummen, das sogar den Boden leicht vibrieren ließ. Abby hörte und spürte es schon gar nicht mehr. Es stammte von den gigantischen Maschinen, die Tag und Nacht im Einsatz waren und auch jetzt bereits einen Teil der morgigen Auflage druckten.

Abby huschte zu ihrem Schreibtisch, sah kurz nach links und rechts, aber ihre Kollegen hämmerten konzentriert auf ihre Schreibmaschinen ein. Sie wuchtete die Akten auf die Tischplatte, öffnete eine der tiefen Schubladen und packte die Akten dort hinein.

Dabei fiel eine schwarze Karte heraus. Sie hatte gleich unter dem dritten oder vierten Papierblatt gelegen. Erstaunt nahm Abby sie in die Hand. Es handelte sich um eine Visitenkarte. Sie war pechschwarz, wie mit einem Klavierlack überzogen, und trug zwei schwungvolle Buchstaben: N.N … In dem Augenblick, in dem sie sie betrachtete, leuchteten die Buchstaben feuerrot auf – wie ein Streichholz. Doch wie dieses verloschen sie nicht wieder.

N. N. – das bedeutete Nigel Night. Nigel Night war der geheimnisumwittertste Reporter des TES. Niemand wusste, wer er wirklich war und wie er wirklich aussah. Er war in vielen Verkleidungen unterwegs, um undercover die unglaublichsten Storys zu recherchieren.

Mister Night also, dachte Abby. Jetzt wunderte es sie nicht mehr, dass er sich derart für Dr. Shelley interessiert hatte. Schließlich hatte er auch schon Wynn darauf angesetzt gehabt.

Abby schnaufte – zufrieden und wenig damenhaft. Sie durchschaute ihn. Mister Night hatte sich nicht für sie interessiert, sondern allein für die Akten. Es würde sie nicht wundern, wenn er den kleinen Unfall absichtlich herbeigeführt hätte.

Nachdenklich und zugleich mit einem zufriedenen Lächeln sah sie erneut auf die Karte, ließ sie aber augenblicklich fallen. Die Buchstaben hatten Feuer gefangen. Rasch griffen die Flammen auf den Rest der Karte über. Noch bevor sie zu Boden gefallen war, hatte sie sich in Asche aufgelöst.

***

Den ganzen Nachmittag über hatte Abby nicht eine Minute übrig, um einen Blick in die Akten zu werfen. Murbull, das Scheusal, hatte sie mal wieder mit Arbeit zugeworfen. Zudem kam ein wichtiger Außentermin, den sie wahrnehmen musste. All das erledigte sie mit der gewohnten Routine und Schnelligkeit. Ihre Gedanken aber galten die ganze Zeit dem verbotenen Inhalt in der Schublade.

Sie hatte soeben ihren Aufgabenzettel abgearbeitet und den letzten Artikel geschrieben – über den bedauernswerten Todesfall eines städtischen Schädlingsbekämpfers, der von einer der sich ständig vermehrenden Kanalratten gebissen worden und daran gestorben war –, als ihr Telefon klingelte. Genervt hob sie den Hörer ab und meldete sich mit Namen.

Sie zuckte zusammen, als sie die grollende Stimme Murbulls hörte. »Miss Baldwin, bitte kommen Sie in mein Büro!«

Die Bitte war ein Befehl. Und sie duldete keinen Aufschub. Was wollte das alte Nilpferd von ihr? Ob er ihr noch mehr Arbeit aufbrummen wollte? Oder sie mal wieder zur Schnecke machen, weil sie in seinen Augen zu früh Feierabend machte? Auch wäre es nicht das erste Mal, dass er einen ihrer Artikel in der Luft zerriss.

Mittlerweile hatte sie sich aber daran gewöhnt, denn es betraf nicht nur sie. Einige Kollegen waren weitaus schlimmer dran. Und nicht wenige konnten gleich danach ihren Schreibtisch räumen. Murbull war unerbittlich, was Qualität betraf. Und was Qualität war, das bestimmte er.

Zum Glück hatte er immer gleichbleibende Laune – und zwar ausnahmslos schlechte Laune –, sodass Abby sich auf ihn einstellen konnte.

Sie klopfte, und ein dumpfes »Herein!«, bellte ihr aus dem Zimmer entgegen.

Abby atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür.

Murbull hockte wie immer hinter seinem Monstrum von Schreibtisch, mit dem er wie verwachsen schien. Sein kahler Schädel wurde dominiert von einem riesigen Kinn, das sich in wellenartigen Fettschichten bis zu seinem Halsansatz fortsetzte. Das Jackett und die Weste spannten sich über seinen gewaltigen Bauch. Was sich unterhalb des Bauches befand, blieb den Blicken gnädig verborgen.

Mit seinen wässrigen Augen sah er Abby an. Sein miesepetriger Gesichtsausdruck blieb jedoch gleich unfreundlich.

»Sehr schön, dass Sie es geschafft haben, Miss Baldwin.« Ungeduldig sah er auf seine Uhr, während seine Hände in ständiger Bewegung waren und sich seine Finger wie Schlangen ineinander wanden.

Abby schluckte eine Antwort, die ihr auf den Lippen lag, runter. Immerhin war sie seiner Aufforderung sofort gefolgt.

»Setzen Sie sich! Ich hasse es, wenn man auf mich herabblickt!«, grunzte er.

Abby nahm auf dem Holzstuhl vor seinem Schreibtisch Platz. Er war niedrig und unbequem, und sie musste hinaufsehen, um Murbull anzublicken.

»Es geht um … um …«

Sie konnte sich nicht helfen, aber ihr Boss schien heute ungewohnt nervös zu sein.

»Ja, bitte?«, fragte sie höflich und beugte sich interessiert vor.

»Um, äh, eine heikle Angelegenheit, eine sehr heikle.«

»Wenn Sie Ihre Worte konkretisieren würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«

»Unterbrechen Sie mich gefälligst nicht!«

Abby musste still in sich hineinlächeln. Da war es wieder: Das alte Nilpferd hatte sich gefangen.

»Sie haben, seit Sie beim TES sind, gute Arbeit geleistet«, fuhr er fort. »Es wird Zeit, dass Sie beweisen, was wirklich in Ihnen steckt.«

»Danke, Sir. Aber ich bin nicht aus Zucker.«

»Kein Grund, übermütig zu werden. Sie haben gerade mal ein wenig im Sandkasten gespielt, junge Lady. Ab jetzt werden Sie die grausame Welt dort draußen kennenlernen!«

Wenn er wüsste …

»Mir ist bekannt, dass Sie in Ihrem Privatleben bereits einige – nun ja – Erfahrungen gesammelt haben …«

Worauf spielte er nun an? Auf ihr Liebesleben, das allerdings seit einiger Zeit schon ziemlich brachlag? Oder hatte er von ihrer »Karriere« als Schauspielerin im Ripp Tide erfahren? Schlimmer wäre es, wenn ihm einiges andere zu Gehör gekommen wäre.

»Es geht um einen äußerst angesehenen Bürger unserer Stadt. Einen, der Beziehungen zu prominenten Persönlichkeiten bis hin in höchste Justizkreise pflegt, und der wohl auch – nun – Ihrem Vater, Sir Roger, bekannt sein dürfte …«

Derart schwülstig und um die Sache herumredend hatte Abby ihren Chef noch nie gehört. Fehlte nur noch, dass er verlegen hüstelte.

»Ich glaube, Sie haben genügend Fingerspitzengefühl, um dieser infamen Beschuldigung nachzugehen.«

»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, um wen es geht.«

Murbull zog ein riesiges gestreiftes Stofftaschentuch aus dem nicht einsehbaren Bereich seiner Hose hervor und wischte sich damit tatsächlich etwas Schweiß von der Stirn.

»Habe ich den Namen nicht gesagt, nein? Es handelt sich um Doktor Shelley.«

Abby ließ sich nicht anmerken, dass sie bereits die Bekanntschaft mit ihm gemacht hatte. Eine sehr unerfreuliche Bekanntschaft.

»Und was verlangen Sie von mir? Soll ich ihn um ein Interview bitten?«

»Nein! Nein, auf keinen Fall! Er darf nicht wissen, dass wir investigativ tätig sind. Wobei – das muss ich noch einmal betonen – wir von der Unschuldsvermutung ausgehen müssen.«

»Was wirft man ihm denn vor?«

Murbull machte eine abwehrende Haltung mit seinen riesigen Händen. »Nichts wirft man ihm vor, gar nichts. Allerdings sind gewisse Gerüchte im Umlauf. Gerüchte von sehr bösartiger Natur. Es würde zu weit führen, Sie Ihnen zu erläutern. Sie würden dann nicht unvoreingenommen an den Auftrag herangehen …«

Er traut mir also nicht.

Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Sind Sie wirklich sicher, dass ich die Richtige dafür bin?«