Das Dschungelbuch der Führung - Ruth Seliger - E-Book

Das Dschungelbuch der Führung E-Book

Ruth Seliger

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Beschreibung

Das Buch beschreibt ein neues Führungsmodell – die Leadership Map, die Führungskräfte durch die Vielschichtigkeit und Komplexität ihrer Führungsaufgabe navigiert. Ruth Seliger weiß aus ihrer über 20-jährigen Erfahrung als Management-Trainerin und Beraterin, dass Führung mehr ein Organisations- als ein Persönlichkeitsphänomen ist. Deshalb greifen die gängigen Rezepte, was man als Führungskraft tun oder lassen sollte, zu kurz und führen oft in die Irre. Zunächst werden in einem einführenden Teil die besonderen Dilemmata und Herausforderungen von Führung beschrieben und eine systemtheoretische Grundlage gelegt. Anschließend werden die zentralen Dimensionen des Führens entlang der Leadership Map dargestellt: die Praxis, die Profession und der Prozess des Führens. Die Autorin weist abschließend auch auf die neuesten Entwicklungen von Positive Leadership hin. Das Buch ist – wie eine gute Landkarte – besonders praxis- und leserorientiert: Zahlreiche Fallbeispiele, viele grafische Darstellungen, Übungen und Tests ergeben ein plastisches Bild von der komplexen Materie.

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Ruth Seliger

Das Dschungelbuchder Führung

Ein Navigationssystem für Führungskräfte

Neunte Auflage, 2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Schefer (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: Beate Ch. Ulrich

Umschlagfoto: © Adobe Stock/Irina

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Neunte Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-0492-6 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8442-3 (ePub)

© 2008, 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Unter der Internetadresse www.carl-auer.de/faltpyramide steht die Leadership-Map als Faltpyramide zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Danksagung

Vorwort

1. Im Dschungel des Führens

1.1 Dilemmata von Führung

1.1.1 Führung ist unsichtbar

1.1.2 Führung ist Hausfrauenarbeit

1.1.3 Führung ist prinzipiell unmöglich

1.2 Archetypische Führungsleitbilder

1.2.1 Der Meister: Führung durch Expertise

1.2.2 Der Held: Führung als Heldentat

1.2.3 Der General: Führung über die Position

1.2.4 Der Vater: Führung über emotionale Bindung

1.3 Moderne Führungskonzepte als Legitimation von Führung

1.3.1 Beliebte Führungstheorien

1.3.2 Neue Bedingungen des Führens

1.3.3 Der Umgang mit Führung in Organisationen

2. Wozu Führung?

2.1 Bilder von Organisation

2.1.1 Die Organisation als Maschine: Das mechanistische Bild von Organisation

2.1.2 Die Organisation als Bilanz: Das ökonomische Bild von Organisation

2.1.3 Die Organisation als Gruppe: Das sozialpsychologische Bild von Organisationen

2.1.4 Der Blick auf den ganzen Elefanten: Die systemische Perspektive

2.2 Der Sinn von Führung

2.2.1 Verbinden

2.2.2 Entscheiden

2.3 Der Platz von Führung ist zwischen allen Stühlen

3. Die Landkarte von Führung: Leadership-Map

3.1 Führung als Praxis

3.1.1 Sich selbst führen

3.1.2 Menschen führen

3.1.3 Die Organisation führen

3.2 Führung als Profession

3.2.1 Was ist Professionalität?

3.2.2 Ein Modell von Professionalität

3.3 Führung als Prozess

3.4 Die Landkarte des Führens

3.5 Wie können Sie das Modell für Ihre Führungspraxis nutzen?

4. Dimensionen des Führens

4.1 Führung als Profession

4.1.1 Wissen

4.1.2 Rollenklarheit

4.1.3 Instrumente

4.2 Führung als Prozess

4.2.1 Wachsamkeit

4.2.2 Wert-Schätzung

4.2.3 Wirksamkeit

4.3 Führung als Praxis

4.3.1 Sich selbst führen

4.3.2 Menschen führen

4.3.3 Die Organisation führen

5. Das Beste zum Schluss: Positive Leadership

5.1 Was ist Positive Leadership?

5.1.1 Positive Psychologie und Glücksforschung

5.1.2 Positive Organizational Scholarship (POS)

5.1.3 Appreciative Inquiry (AI)

5.1.4 Stärkenbasiertes Management

5.2 Die Prinzipien von Positive Leadership

5.2.1 Führen mit Freude

5.2.2 Führung mit Sinn

5.2.3 Stärkenfokussiertes Führen

5.3 Positive Leadership und Positive Organization

5.4 Eine allerletzte Übung

5.4.1 Sich selbst führen

5.4.2 Menschen führen

5.4.3 Die Organisation führen

Literatur

Über die Autorin

Danksagung

Dieses Buch über Führung ist das Ergebnis meiner jahrelangen Tätigkeit als Managementtrainerin und -beraterin. Alles, was hier vorund dargestellt wird, entstand im Laufe meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung, in der ich viele Impulse aufgenommen und integriert habe. Mein Dank gilt daher jenen Menschen, die mich auf diesem Weg begleitet und angeregt haben.

Der wichtigste Mensch ist mein Sohn Johannes, der mich seit seiner Geburt lehrt, dass das Leben seinen eigenen Weg geht und seinen eigenen Sinn produziert und dass man bei der Bewertung der eigenen Bedeutung bescheiden sein sollte.

Fritz B. Simon und Gunthard Weber waren meine wichtigsten Lehrer des systemischen Denkens, mit denen ich mich über beinahe 20 Jahre verbunden fühle. Viele ihrer Gedanken sind in diesem Buch verarbeitet. Ich danke ihnen für viele der Irritationen, die mein Lernen angeregt haben.

Dirk Baecker hat mich dabei unterstützt, das Führungsmodell Leadership-Map zu entwickeln. Seine kritische Reflexion und seine inhaltlichen Anregungen sind in dieses Buch eingeflossen.

In meiner Beratungsfirma Train Consulting bin ich von Menschen umgeben, die mit mir gemeinsam an der Entwicklung dieses Führungsmodells gearbeitet haben: Lothar Wenzl, Janina Obermüller, Oliver Schrader und Thomas Schöller. In vielen Diskussionen haben wir um Gedanken und Bilder gerungen, die nun in die Leadership-Map eingearbeitet wurden.

Ich bedanke mich bei allen Führungskräften, die mir im Rahmen meiner Arbeit ihre Geschichten erzählt haben, aus denen ich lernen konnte, was Führung bedeutet und welche Dilemmata damit verbunden sind. Ich hoffe, ich kann ihnen etwas zurückgeben, das ihnen bei ihrer Aufgabe hilfreich ist.

Schließlich gilt mein besonderer Dank zwei Personen, die in ganz spezifischer Weise zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben:

Karin Eichhorn-Thanhoffer, langjährige Kundin, Kollegin und Freundin, und Christof Schmitz, lieber Kollege und Freund, haben sich der Mühe unterzogen, das gesamte Manuskript zu lesen, und sie haben mir mit ihren Anmerkungen und Korrekturen Mut gemacht, zu kürzen, neu zu formulieren und eine klare Linie zu halten. Vielen Dank Euch beiden!

Last but not least bedanke ich mich bei meinem Freund und Kollegen Walter Csuvala für seine Zeichnungen.

Vorwort

Sollten Sie, lieber Leser, liebe Leserin, in einer Führungsposition, also eine Führungskraft, sein oder sich für diese Aufgabe gerade vorbereiten, dann gratuliere ich Ihnen: Sie haben sich eine wahrlich unmögliche Aufgabe ausgesucht.

Führung ist ein Dschungel: Vielfältig, undurchsichtig, anstrengend, manchmal überraschend, manchmal beängstigend, man weiß nie genau, aus welcher Richtung Gefahr kommt. Man hat es mit unterschiedlichsten Menschen zu tun, mit Organisationen und Teilorganisationen, mit Aufgaben und Zielen, mit Kulturen, Spielregeln. Wie kann man sich da auskennen? Wie kommt man da durch?

Ich vermute, in Ihrem Bücherschrank steht eine Reihe guter Ratgeber, die Ihnen den »richtigen Weg«, die »richtige Antwort« auf Ihre Fragen versprechen. Die meisten dieser Ratgeber haben sich aus den komplexen und vielfältigen Bedingungen des Dschungels von Führung einen bestimmten Aspekt herausgegriffen, mit dem alle Führungsprobleme erklärt und schließlich gelöst werden sollen. Derzeit sind die »Persönlichkeit«, der »Charakter«, das »Charisma« der einzelnen Führungskraft wieder sehr im Trend. Es bedeutet: Für den Erfolg oder Misserfolg von Führung werden ausschließlich Sie verantwortlich gemacht.

Die meisten Angebote für Weiterbildung von Führung richten sich an Führungskraft-Persönlichkeiten: ihre Performance, ihre Potenziale, ihre Haltung. Damit wird die gesamte Verantwortung für gelungene Führung auf die Schultern von Führungskräften gelegt. Die »Persönlichkeit« gilt derzeit als der Schlüssel zu erfolgreicher Führung.

Es erscheint naiv anzunehmen, dass man sich in einem undurchdringlichen Dschungel voller seltsamer Geschöpfe, mit komplizierten Gesetzen und sich permanent verändernden Lebensbedingungen mit einer einzigen Erklärung und einigen wenigen Werkzeugen zurechtfinden könnte. Den Weg durch den Dschungel findet man leichter mit einer guten Landkarte, die Überblick über die Landschaft und ihre zahlreichen Facetten gibt.

Ich habe in meiner Praxis als Beraterin, Trainerin und Coach von Führungskräften und in meiner Arbeit mit Organisationen viele Gelegenheiten gehabt, Einblick in die Welt und die Fragestellungen von Führung und Führungskräften zu gewinnen. In diesen vielen Jahren entstanden zahlreiche Modelle, Konzepte und Instrumente, die Führungskräfte bei ihrer schwierigen, ja unmöglichen Aufgabe unterstützen sollen.

Die in diesem Buch vorgestellte Landkarte des Führens – die Leadership-Map – ist eine Zusammenstellung dieser Modelle, Konzepte und Instrumente.

Sie können dieses Modell wie ein GPS benützen: Es hilft Ihnen zu erkennen, wo Sie sich gerade befinden, in welche Richtung Sie sich bewegen könnten und was Sie gerade nicht sehen. Eine gute Landkarte zeigt Ihnen, was Sie sehen, und auch, was Sie nicht sehen: Ihren blinden Fleck. Das ist mit Überblick gemeint.

Sie müssen dieses Buch auch nicht von vorne bis hinten lesen – das würden Sie mit einem Atlas ja auch nicht tun. Sie können überall beginnen, Sie können wählen, welcher Landstrich von Führung Sie gerade beschäftigt. Ich musste das Buch von der ersten bis zur letzten Seite schreiben. Sie müssen sich nicht an diese Ordnung halten.

Einige Enttäuschungen muss ich Ihnen allerdings gleich zu Beginn zumuten:

Diese Landkarte enthält nichts Neues

Sie werden manches in diesem Buch vielleicht kennen und sich denken, das weiß ich ja schon. Landkarten sind auch keine Instrumente dafür, neue Landschaft zu erfinden, sondern dafür, eine bestimmte Landschaft neu zu zeichnen, neue Perspektiven zu setzen – so wie z. B. eine Straßenkarte einfach anders ist als eine geologische oder eine politische Landkarte.

Das Führungsmodell Leadership-Map kann Sie anregen, immer wieder neue Perspektiven auf Führung zu gewinnen, und ich gehe davon aus, dass jede neue Perspektive Ihnen neue Impulse für Ihre Praxis eröffnen kann.

Diese Landkarte enthält keine Rezepte

Dieses Buch wird Ihre Erwartungen nicht erfüllen, wenn Sie auf praktische Rezepte für alle Ihre Führungsfragen hoffen. Dieses Buch ist garantiert rezeptfrei. Es bietet Ihnen eine solide Theoriebasis hinsichtlich Führung, praktikable Modelle und einige Anregungen für die Praxis. Es soll Ihnen als Orientierungshilfe im Dschungel des Führens dienen, ist aber keine Anleitung, was Sie in welcher Situation genau tun sollen. Das müssen Sie selbst entscheiden.

Diese Landkarte enthält keine Wahrheiten

Sie werden in diesem Buch auch keine ultimativen und unumstößlichen Wahrheiten über Führung finden. Zu viele Texte gehen der Frage nach, was Führung »wirklich« ist – und darüber lässt es sich auch trefflich streiten. Ich werde Ihnen meine Bilder anbieten, und ich lade Sie ein, darüber zu entscheiden, welche davon Ihnen nützlich, plausibel, anregend oder auch nicht erscheinen.

Mit diesem Buch möchte ich dazu beitragen, die alleinige Verantwortung für das Gelingen von Führung von den Schultern der einzelnen Menschen zu nehmen und diese Verantwortung »gerecht« zwischen Führungskräften und ihren Organisationen zu verteilen. Für die Qualität von Führung kann niemals die einzelne Person alleine zuständig sein. Führung ist ein komplexer Vorgang, der sich in einem komplexen Feld – nämlich in Organisationen – ereignet und an dem immer mehrere Personen und viele Umstände beteiligt sind. Dieses Buch will Führung in einen Kontext stellen und damit »entpersonalisieren«. Führung ist mehr ein Organisationsphänomen als ein Persönlichkeitsphänomen.

Wir werden in diesem Buch immer eine gewisse Flughöhe beibehalten, das bedeutet, dass wir mehr Wert auf den Überblick als auf einzelne Details der Landschaft legen, die wir überfliegen. Daher wird es nicht immer möglich sein, sich einzelne Gegenden oder Orte genauer anzusehen. Sie finden immer wieder weiterführende Literatur zu den einzelnen Themen vor, und Sie können entscheiden, worüber Sie sich noch genauer informieren möchten.

Vor unserer gemeinsamen Reise möchte ich darauf hinweisen, dass ich aus Gründen der Lesbarkeit auf die Nennung auch der weiblichen Ausdrucksformen verzichtet habe und nur die männliche Form wähle. Die weiblichen Formen sind immer inkludiert. Ich bitte die Leserinnen um Verständnis.

Jetzt aber: Auf in den Dschungel!

Ruth Seliger

Wien, Juni 2008

1. Im Dschungel des Führens

Warum bezeichne ich Führung als einen Dschungel? Was ist das Dschungelartige an Führung?

Führung weist eine dschungelartige Undurchdringlichkeit auf, weil sie sich mit etwas Lebendigem beschäftigt. Wir sprechen hier nicht davon, wie Sie ein Auto oder ein Schiff führen. Führung handelt von den Versuchen, andere lebende Systeme zu beeinflussen.

Führung ist ein Versuch der Einflussnahme auf lebende Systeme.

Dass es sich eben nur um Versuche handelt, liegt an der besonderen »Beschaffenheit« des Phänomens Führung.

1.1 Dilemmata von Führung

Führung ist ein Phänomen, über das alle reden, das niemand exakt beschreiben kann und das jeden, der sich damit beschäftigt, sofort in verschiedene Widersprüche und Dilemmata verstrickt. Hier eine Auswahl von Widersprüchen und Stolpersteinen des Führens.

1.1.1 Führung ist unsichtbar

Beginnen wir mit einer einfachen Frage: Was ist Führung, wie kann man das Phänomen beobachten und beschreiben? Wer hat schon einmal Führung gesehen? Und was genau hat man dann gesehen?

Zum Beispiel: A gibt B eine Anordnung, B führt sie aus. Im Nachhinein sagt man: B hat die Tätigkeit ausgeführt, weil A sie angeordnet hat, A hat demnach B geführt. Aber B könnte aus vielen Gründen das angeordnete Verhalten gezeigt haben: Aus Lust? Aus Interesse? Weil B ohnehin genau diese Tätigkeit geplant hatte oder aus einem anderen inneren Impuls heraus? Wer weiß? Wer kann schon in B hineinschauen?

Führung ist eine Erklärung dafür, warum B sich so verhält, wie er es tut. Diese Erklärung stellt einen Zusammenhang zwischen der Anordnung von A und der Reaktion von B her. Unterstellt man B, dass sein Verhalten ursächlich mit der Anweisung von A zu tun hat, dann kann man das Verhalten beider beteiligten Personen ein Führungsgeschehen nennen. Ob wir also von Führung sprechen, hängt davon ab, wie wir uns das Verhalten und vor allem die Intentionen der beteiligten Menschen erklären.

Führung ist eine Erklärung für das Verhalten von Menschen.

Führung ist daher, wie Christian Morgenstern in seinem Gedicht über den Lattenzaun (1905) schreibt, ein Phänomen zwischen den sichtbaren Erscheinungen, in unserem Fall zwischen Menschen:

»Es war einmal ein Lattenzaun,

mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah,

stand eines Abends plötzlich da –

und nahm den Zwischenraum heraus

und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm

mit Latten ohne was herum.

Ein Anblick grässlich und gemein.

Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh

nach Afri- od- Ameriko.«

Wir haben es bei Führung mit einem Phänomen zu tun, das niemand direkt beobachten kann und über das trotzdem alle reden. Wen wundert es also, dass Führung zu einem blinden Fleck von Führungskräften und Organisationen geworden ist?

Beim Coaching mit einem Manager wurde eine für meinen Klienten unangenehme Situation besprochen: Einer seiner Mitarbeiter hatte eine große Summe Geld veruntreut. »Was hätte ich machen können?«, fragte mein Klient. Ich fragte zurück: »Haben Sie es schon einmal mit Führung versucht?« – »Mit Führung?«, fragte mein Klient erstaunt zurück, »nein, mit Führung eigentlich noch nicht«.

Wenn wir in diesem Buch über Führung sprechen, dann sprechen wir über ein Phänomen, dass erst durch die Interpretation von Beobachtern entsteht. Jemand muss A und B beobachten und deren Zusammenspiel die Erklärung Führung geben. Beobachter können durchaus die beiden beteiligten Personen sein. Führung ist daher ein unsichtbares Phänomen, das in den Köpfen der Beobachter entsteht.

Was Führung ist, entscheiden die Beobachter.

Führung hat allerdings sehr viele Beobachter. Jede Organisation, Institution, jeder Verein hat Mitglieder und damit viele Beobachter von Führung. Als Bürgerinnen und Bürger beobachten wir unsere politischen und wirtschaftlichen Führungspersonen und kommentieren ihre Führungsarbeit. Dabei bringen wir unsere Vorstellungen und Standards in unsere Beurteilungen ein.

In diesem Buch geht es um Führung in Organisationen. Dort wird Führung von Mitarbeitern, Kunden, Eigentümern, Mitbewerbern, der Öffentlichkeit – und nicht zuletzt auch von Beratern beobachtet. Führung wird aus diesen unterschiedlichen Perspektiven kommentiert und interpretiert. Die vielen Beschreibungen und Bewertungen von Führung verunsichern Führungskräfte zunehmend. Für sie wird immer unklarer, was ihr Job ist und ob sie ihn gut machen.

Die einschlägige Fachliteratur gibt nur wenig Orientierung. Führung ist ein relativ junges Forschungsgebiet und als solches immer Spiegel seiner Zeit. Führung wird niemals wert- und ideologiefrei untersucht. Wie Führung definiert und interpretiert wird, welche Themen im Vordergrund stehen, welche Erwartungen daran geknüpft werden, sagt mehr über die Betrachter von Führung als über Führung selbst.

Führungsliteratur ist ein Spiegel ihrer Zeit und daher auch Ideologie.

Man kann also sagen: Führung ist unsichtbar, wird aber dennoch beobachtet.

1.1.2 Führung ist Hausfrauenarbeit

Fritz B. Simon (vgl. Simon/CONECTA 1992, S. 49 ff.) stellt zwei Typen von Tätigkeiten in Organisationen einander gegenüber: die »Künstlerarbeit«, die kreativ ist, auf Veränderungen und Überraschungen orientiert ist, und die »Hausfrauenarbeit«, die die bestehende Ordnung aufrechterhält und einander die Normalität sichert.

Führung ist nicht nur unsichtbar, sondern wird nur dann bemerkt, wenn sie nicht stattfindet. Das ist eines der Merkmale von Hausfrauenarbeit. Hausfrauenarbeit hat zwei Charakteristika: Erstens bemerkt man sie erst, wenn sie nicht getan wurde, wenn also das schmutzige Geschirr herumsteht, das normalerweise sauber im Schrank aufbewahrt ist. Erst dann weiß man, dass die Hausfrau (oder manchmal der Hausmann) ihre Arbeit nicht gemacht hat, die sie normalerweise macht. Hausfrauenarbeit ist bis zu einem gewissen Grad auch unsichtbar, allerdings meistens auf Grund des Umstandes, dass niemand zusieht.

Hausfrauenarbeit bemerkt man, wenn sie nicht getan wurde. Sie ist ein monotoner Dauerauftrag.

Zweitens ist Hausfrauenarbeit eine Daueraufgabe, ein Dauerauftrag, ein ewiges Instandsetzen des Lebensraumes. Keine aufregende Jagd und kein Abenteuer.

Führung ist ein kontinuierlicher Prozess, eine Abfolge vieler kleinerer und größerer Tätigkeiten, die kaum wahrgenommen und damit auch kaum belohnt werden. Führung ist kein Projekt, das ein bestimmtes Ergebnis hat, auf das man stolz sein könnte. Keines der männlichen Attribute trifft auf Führung zu. Führung, so könnte man sagen, ist die »weibliche« Aufgabe in Organisationen, »Management« erscheint demgegenüber als die »männliche« Aufgabe. Vielleicht ist das der Grund, warum dieser Begriff erfunden wurde.

Das sind traurige Nachrichten für Führungskräfte, denn viele von ihnen haben diese Aufgabe auch deshalb angestrebt, weil ihr ein gewisser Helden- und Machtmythos anhaftet. Führungskräfte werden in diese Funktionen gelockt, weil sie hier angeblich gestalten können und wichtig genommen werden – und dann das: Hausfrauenarbeit!

1.1.3 Führung ist prinzipiell unmöglich

Ein drittes Dilemma von Führung ist das schwerwiegendste. Führung wird gern mit Bildern und Metaphern von stolzen Kapitänen beschrieben, die ihr Schiff durch die Gewässer manövrieren. Diese Bilder sind nicht nur irreführend, sondern sie sind ein Teil des Problems von Führung. Führungskräfte messen sich an solchen Bildern und fragen sich immer: Wieso kann ich mein kleines Boot nicht ordentlich führen, während andere riesige Dampfer steuern? Diese Führungskräfte fühlen sich dann unfähig, als Versager. Das Problem ist: Das Bild ist falsch. Auch der größte Hochseedampfer ist letzten Endes nur eine Maschine, die man prinzipiell steuern kann und die auch dafür konstruiert wurde, gesteuert zu werden. Man muss die Maschine zwar gut kennen, wissen, wie sie funktioniert – oder geeignete Techniker bei der Hand haben –, dann aber kann man die vielen Knöpfe, Räder und Hebel bedienen, und die Kiste läuft. Weil sie eine Maschine ist.

Aber Führungskräfte führen keine Maschinen, sondern Menschen und Organisationen. Beides sind lebende Systeme, die ein paar Eigenheiten aufweisen, die Führung fast unmöglich machen: Sie sind eigensinnig, reagieren unerwartet, folgen ausschließlich ihrer eigenen Logik. Lebende Systeme haben die Eigenheit, sich selbst zu führen und sich von außen kaum steuern zu lassen. Das ist die schlechteste aller Nachrichten.

Maschinen kann man steuern, lebende Systeme nicht.

Sie fragen sich jetzt vielleicht: Und wofür bin ich dann gut? Wofür bekomme ich mein Geld? Die Antwort ist ganz einfach: damit es dennoch funktioniert, obwohl es nicht möglich ist.

1.2 Archetypische Führungsleitbilder

Die beschriebenen Dilemmata von Führung sind nichts Neues. Seit sich Menschen mit dem Phänomen des Führens beschäftigen, stoßen sie auf diese Grenzen und suchen nach Lösungen. Die (Er-)Lösung aus dem Führungsdilemma wird seit Generationen in menschlichen Eigenschaften gesucht, in Persönlichkeiten, die Vorbilder für ideale Führungspersönlichkeiten sein und an denen sich Führungskräfte orientieren könnten. Diese Führungsideale sind an bestimmte persönliche Merkmale und archetypische Menschenbilder geknüpft und prägen als Führungsleitbilder immer noch die Ideale des Führens und legitimieren zugleich Führung. Sie suggerieren nach wie vor, dass das Gelingen von Führung von Persönlichkeitsmerkmalen abhängt. Ich habe hier einige der wichtigsten dieser archetypischen Führungsleitbilder zusammengestellt, nach denen sich Führungskräfte häufig richten. Diese Darstellung orientiert sich an dem psychoanalytischen Modell von Fritz Riemann (1984).

1.2.1 Der Meister: Führung durch Expertise

Dieses alte Führungsleitbild stammt aus der Tradition des Handwerks. Der Meister führt kraft seines Vorsprungs an Wissen und Erfahrung gegenüber seinen »Lehrlingen«. Der Meister ist klüger, kompetenter, erfahrener als andere und legitimiert aus diesem Unterschied den Anspruch auf Führung. Der Klügste führt.

Der Meister führt, weil er mehr weiß und kann.

In modernen Organisationen, die differenziert arbeiten, in denen Mitarbeiter dezentral, in hochkomplexen Projekten tätig sind, erweist sich dieses Führungsleitbild als nicht mehr praktikabel. Führungskräfte verfügen heute nicht immer über mehr Wissen und Expertise als ihre Mitarbeiter, sie sind – im Gegenteil – oft darauf angewiesen, von ihren Mitarbeitern informiert zu werden. Damit sinkt die Legitimation von Führung. Es entsteht Ratlosigkeit auf beiden Seiten.

1.2.2 Der Held: Führung als Heldentat

Dieses Führungsleitbild entspringt der Tradition der jüdisch-christlichen Kultur des Abendlandes und der Idee des einen Schöpfergottes. Die Tat des EINEN erschafft die Welt. Führung und Autorität legitimieren sich durch besonderen Mut, durch besondere Taten einer einzelnen herausragenden Persönlichkeit. ER (meistens ist es ein Mann) ist herausragend aus der Menge, ein Guru, ein Erlöser.

Der Held führt, weil er außergewöhnlich ist.

Die Legitimation für Führung entsteht hier durch den Unterschied zwischen einem Einzelnen und der Masse der Menschen. Der herausragende Einzelne ist Leitfigur und Orientierungspunkt für die anderen. Der Held lebt davon, dass andere ihn als Helden anerkennen und ihm folgen. Das Bild des Helden ist heute wohl immer noch eines der beliebtesten Leitmotive von Führung. Dazu werden Beispiele von erfolgreichen Managern, Politikern, Sportlern oder anderen Personen der Öffentlichkeit angeführt. Manager haben ihre Helden: Jack Welch und viele andere. Zugleich werden diese Idole und Helden immer wieder hinterfragt, es gibt massive Vertrauenskrisen, wenn ihre »Durchschnittlichkeit« sichtbar wird.

Moderne Organisationen haben gern Heldengestalten an ihrer Spitze: Gründer, Pioniere, Turnaround-Manager. Aber die große Menge an Führungskräften dürfen in diesen Organisationen keine Helden sein. Für sie ist Kooperation der Alltag. Oder können Sie sich eine Organisation vorstellen, in denen alle Führungskräfte wie Steve Balmers sind? Dieses Leit-Bild des Helden birgt Führungskräften daher eine paradoxe Botschaft: »Seid wie ich, aber seid ganz anders!«

1.2.3 Der General: Führung über die Position

Der General führt, weil er dazu befugt ist.

Dieses Bild von Führung entsteht in hierarchischen Systemen, die Komplexität durch Strukturen mit klaren Positionen und Funktionen reduzieren: Kirche, Militär, Krankenhäuser, Schulen, Unternehmen. Wesen dieses Führungsbildes sind strukturelle Macht, Position, Befehlsgewalt und Folgebereitschaftsdruck.

Die Legitimation für Führung leitet sich aus der Differenz von Machtbefugnissen ab: Ober sticht Unter. Dieses Bild von Führung hat eine mindestens 2000-jährige Tradition in unserer Gesellschaft. Führung über die Position war stets ein gesellschaftliches Leitbild, das nicht nur in Organisationen, sondern in Familien, im Sport und in der Politik vorherrschend war.

War, denn in den vergangenen Jahrzehnten haben sich gesellschaftliche Werthaltungen – nicht zuletzt durch die Kritik der Nachkriegsgeneration der »68er« – massiv verändert. Vor allem die notwendige Flexibilisierung und Dynamisierung von Organisationen lösten alte und starre hierarchische Muster auf. Projekte, Netzwerke, strategische Allianzen, Prozess- und Kundenorientierung sind mit starrer Hierarchie nicht vereinbar. Veränderungen des Arbeitsmarktes führen zu einer wachsenden Gruppe von »Selbständigen«, die in Mehrfachkooperationen stehen und keine bedingungslose Folgebereitschaft zeigen. Das Führungsleitbild des Generals hat an Wirkung verloren und passt nicht mehr in moderne Organisationen.

1.2.4 Der Vater: Führung über emotionale Bindung

Dieses Bild hat sich in Familienunternehmen und bäuerlichen Betrieben entwickelt, in denen die Funktion des Familienoberhauptes mit der des Unternehmensleiters ident war. Familienunternehmen haben es immer mit dieser Rollenvermischung zu tun. Die Legitimation von Führung ergibt sich aus der Zugehörigkeit des Einzelnen zum System, das durch einen »Vater« oder eine »Mutter« repräsentiert wird, und über die emotionale Bindung des Einzelnen an dieses System. »Vater« oder auch »Mutter« sind oft die Gründer der Organisation und Garanten für diese Bindung. Führung legitimiert sich auch auf Grund der Möglichkeit der Führung, Menschen aus dem System auszuschließen, zu exkommunizieren. Über das Dazugehören zu bestimmen ist Form und Inhalt des Führens.

Der Vater führt, weil er entscheidet, wer zur Familie gehört.

Moderne Unternehmen sind im Allgemeinen kein Rahmen mehr für diese Art des Führens. Denn dieses Modell setzt eine besondere psychodynamische Konstellation voraus bzw. stellt sie her: die Bereitschaft erwachsener Menschen, sich im Rahmen ihrer Arbeit wie Kinder zu verhalten und sich auch so behandeln zu lassen. Diese Bereitschaft ist im Sinken und weicht auf Seiten der Mitarbeiter der Erwartung professioneller Führung.

Wenn die alten Rollenbilder von Führung nicht mehr taugen, woran orientieren sich Führungskräfte heute?

1.3 Moderne Führungskonzepte als Legitimation von Führung

Die alten Rollenbilder sind als Legitimation von Führung nicht mehr ausreichend, weil Organisationen als Kontexte von Führung sich so entwickelt haben, dass die auf eine einzige Person zugeschnittene Erklärung für Führung zu kurz greift. Moderne Führungstheorien sind ein Versuch, die Dilemmata von Führung aufzulösen. Sie stellen Führung in einen größeren Zusammenhang und zugleich auf eine wissenschaftliche Basis.

Führung wird erst seit relativ kurzer Zeit – seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts – mit wissenschaftlichen Methoden und Ansprüchen untersucht. Davor hat sich Führung »von selbst verstanden«. Seit jeher wurde Führung als durch Gott oder Geburt legitimiert betrachtet. Es war es daher müßig, über Inhalte, Aufgaben und Qualität von Führung nachzudenken. Erst die Entstehung von modernen Organisationen machte es notwendig, Führung als eigenes Phänomen zu untersuchen. Seither ist über Führung viel nachgedacht und vieles geschrieben worden – vielleicht zu viel.

Es ist hier nicht der Ort, Ihnen alle Führungstheorien vorzustellen, die in den vergangenen 60 Jahren entstanden sind. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, dann verweise ich Sie auf eines der Standardbücher (z. B. Neuberger 2002).

1.3.1 Beliebte Führungstheorien

Jede dieser wissenschaftlichen Forschungen zu Führung hat ihrer Theorie eine andere Idee zu Grunde gelegt. Hier einige Beispiele, die in den 50er bis 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden und nach wie vor Lerngrundlage für Führungskräfte sind:

Die

Eigenschaftstheorie

beschäftigt sich ausschließlich mit der Person der Führungskraft und weist Erfolg oder Misserfolg von Führung den individuellen Eigenschaften der Person zu.

Nicht unähnlich dazu ist das – bekannte und beliebte – Modell der

Führungsstile

, wie es Kurt Lewin entwickelt hat. Es unterscheidet drei Möglichkeiten, zu Entscheidungen zu kommen: »autoritär«: von oben, ohne Einbeziehung der Geführten; »laisser faire«: Die Geführten entscheiden, oder niemand entscheidet; und »demokratisch«: durch Verhandlung und gemeinsame Entscheidung. Dieses Modell ist nach wie vor Gegenstand vieler Führungstrainings.

Das bekannte

Grid-Modell

differenziert das Verhalten der Führungskraft nach ihrer aufgaben- oder personenbezogenen Ausrichtung und erstellt eine Verhaltensmatrix, mit der diese Ausrichtungen bewertet werden können.

Der

rollentheoretische Ansatz

stellt – im Unterschied zu den vorherigen Ansätzen – die Führungskraft in ihren Arbeitszusammenhang und »zerlegt« sie gleichsam in unterschiedliche Rollen, je nachdem, mit wem sie zu tun hat und welche Erwartungen die jeweils anderen Mitspieler an die Führungskraft richten.

Das Modell des

situativen Führens

führt eine Differenzierung des Mitarbeiters in die Untersuchung von Führung ein. Führung muss sich auf die jeweiligen konkreten Umstände und den »Reifegrad« der Mitarbeiter situativ einstellen.

Die

Gruppendynamik

richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Beziehungen und Interaktionen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern und auf deren Entwicklungsprozesse. Die Gruppendynamik unterscheidet Rollen, Positionen und Funktionen in sozialen Prozessen und sieht die Führungskraft in diesem sozialen Netz operieren.

Die

Erwartungs-Valenz-Theorie

legt dem Führungsgeschehen das Thema Motivation zu Grunde: Der Erfolg von Führung steht in Zusammenhang mit den (vermuteten) Erfolgserwartungen der Geführten. Ist die Erfolgserwartung hoch, steigt auch die Leistung.

Die

Lerntheorie

unterstellt, dass die Kommunikation zwischen Führung und Geführten ein wechselseitiger Lernprozess ist. Führen bedeutet hier, dass Führungskräfte über unterschiedliche Reizangebote (Verstärken, Belohnen, Bestrafen) Wirkung erzielen.

Alle diese Theorien und Modelle setzen sich mit der Frage auseinander, wie Führung gelingt. Diese Frage kann aber nur auftauchen, wenn das Gelingen keine Selbstverständlichkeit ist. Insofern sind alle diese theoretischen Konzeptionen von Führung ein Versuch, die beschriebenen Dilemmata aufzulösen.

1.3.2 Neue Bedingungen des Führens

Alte und neue Theorien versuchen, diesem unmöglichen Gegenstand Führung beizukommen, ihn zu definieren, zu verstehen und zu erklären. Die Menge der Ansätze ist beeindruckend. Es zeigt sich, dass es die einzig richtige Theorie, die einzig richtige Erklärung oder Beschreibung von Führung nicht geben kann. Jede Theorie legt ihren Modellen bestimmte Annahmen zu Grunde, die man annehmen kann – oder nicht.

Jede Führungstheorie geht von bestimmten Annahmen aus und unterstellt stabile Bedingungen des Führens.

Die alten Rollenbilder und Theorien des vergangenen Jahrhunderts haben eines gemeinsam: Sie entstanden unter relativ stabilen Bedingungen, als Veränderungen noch Ausnahmeerscheinungen und die Reichweite von Führung und Organisationen überschaubar waren. In den vergangenen Jahren haben sich die Bedingungen in Organisationen und damit für Führung allerdings in vielfältiger Richtung verändert:

Räumliche Grenzen

scheinen keine Bedeutung mehr zu haben. Organisationen sind international, global und interkulturell geworden. Allein die räumlichen Distanzen in dezentralen Organisationen erfordern neue Formen der Gestaltung von Führung und Kommunikation.

Stabilität

ist eine Ausnahme in der dynamischen Entwicklung von Organisationen geworden. Führung muss mehr denn je mit Ungewissheiten leben.

Sowohl die Produkte als auch die Energie zu ihrer Herstellung sind abstrakt, nicht mehr direkt zu erkennen. Wir haben es zunehmend mit

Wissen als Produkt und als Produktivkraft

zu tun. Organisationen sind zunehmend auf die Expertise ihrer Mitarbeiter angewiesen.

Die

Eigentumsverhältnisse

haben sich verändert, man kennt die Eigentümer nicht mehr. Organisationen sind im Besitz von Aktionären, die mit dem Unternehmen wenig Verbundenheit spüren – abgesehen von dem Wunsch, möglichst viel zu ernten.

Technologische Entwicklungen

verändern die Möglichkeiten und die Formen der Kommunikation radikal. Die Face-to-Face-Kommunikation, die guten alten Meetings finden selten oder unter erschwerten Bedingungen statt. Management-Board-Meetings sind häufig Videokonferenzen oder haben oft mit dem Jetlag ihrer Teilnehmer zu kämpfen.

Organisationen erreichen auf Grund von Übernahmen und Zusammenschlüssen

Größenordnungen

, die bei Weitem nicht mehr überschaubar und führbar sind.

Das sind einige Beispiele für die Veränderungen von und in Organisationen. Führung ist davon direkt betroffen. Aber die Theorie folgt diesen Entwicklungen nur sehr langsam. Immer noch sind die alten Bilder, Modelle und Theorien in den Köpfen von Führungskräften, die versuchen, sie in die Praxis umzusetzen – mit wechselndem Erfolg. Die Kluft zwischen der Realität von Führung und der Theorie stürzt vor allem Führungskräfte in die Krise. Das, was sie gelernt haben, passt nicht mehr zur erlebten Realität. Das Gefühl von Misserfolg und Ausgebranntsein stellt sich immer häufiger ein.

1.3.3 Der Umgang mit Führung in Organisationen

Führung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Organisationen. Aber wie gehen Organisationen mit Führung um?

Einerseits werden Führungspositionen als eine Art von »Währung«, als Anerkennung für Verdienste und/oder einfach für lange Betriebszugehörigkeit vergeben. Damit wird Führung missbraucht. Vielleicht ist Ihnen dieses Thema als

Peter-Prinzip

bekannt: Mitarbeiter werden so lange für gute Arbeit mit Führungspositionen belohnt, bis sie schließlich am Ort ihrer Inkompetenz angelangt sind – und dort bleiben (Peter u. Hull 2001). Führungsfunktionen sind damit zu Anreizsystemen, zu Bestandteilen von Karrierepfaden geworden.

Organisationen gehen mit Führung oft widersprüchlich um.

Obwohl Führung einen hohen Stellenwert in Organisationen hat, werden Führungskräfte kaum an ihrer Führungsarbeit gemessen, sondern an ihrem operativen Erfolg. Für Fragen, wie gut es gelingt, die Kooperation zu stärken, Ziele klar zu vermitteln, Orientierung zu geben, gibt es kaum Messgrößen oder Beobachtungsformen.

Die Bedeutung von Führung wird einerseits betont, andererseits wird Führungskräften kaum zugestanden, sich Zeit und Raum für Führung zu nehmen. Führung sollte möglichst neben dem operativen Tagesgeschäft geschehen und dieses nicht behindern.

In Organisationen wird wenig darüber gesprochen, wie die Organisation selbst zu einem optimalen Rahmen für Führung werden könnte. Organisationen thematisieren sich selbst kaum in dieser Hinsicht.

Organisationen gehen mit Führung sehr widersprüchlich um. Der Widerspruch wird dann besonders deutlich, wenn Führungskräfte in Seminaren Methoden und Instrumente kennenlernen und anschließend an der Umsetzung scheitern, weil dieselbe Organisation, die die Seminare bezahlt, keine Möglichkeiten der Umsetzung bereitstellt.

Zusammenfassend

Die derzeitige Situation von Führung in Organisationen lässt sich durch einige Missverständnisse beschreiben:

Führung wird auf ein individuelles Phänomen reduziert, obwohl es sich dabei um ein Organisationsphänomen handelt.

Führung wird von Bildern geprägt, die aus vergangenen Jahrhunderten stammen und nicht mehr gegenwarts- oder gar zukunftstauglich sind.

Führungskonzepte werden zumindest in der populärwissenschaftlichen Literatur auf die mechanistischen Ideen des 17. und 18. Jahrhunderts aufgesetzt, die ebenfalls den modernen Wissenschaftsansätzen nicht mehr entsprechen.

Die Verwechslung von Führung und Führungskräften bringt weitere Verwirrung ins Thema. Was ist Funktion, was ist Person? Was kann man gestalten, was nicht?

Der ambivalente Umgang mit Führung, wie er in Organisationen gelebt wird, erhöht nicht wirklich die Klarheit und Sicherheit.

2. Wozu Führung?