Das evangelische Pfarrhaus -  - E-Book

Das evangelische Pfarrhaus E-Book

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Beschreibung

Das evangelische Pfarrhaus genießt in der Öffentlichkeit großes Ansehen. Es wird als Hort der christlichen Erziehung und protestantischen Bildung gewürdigt und als Ort vorbildlicher Lebensweise geradezu verklärt. Für viele Menschen gilt das Pfarrhaus mit seiner Pfarrfamilie sogar als himmlische Institution. Während der Mythos Pfarrhaus weit verbreitet ist, sieht die Realität deutlich differenzierter aus. Namhafte Experten widmen sich diesem spannungsreichen Themenfeld, indem sie aus historischer, theologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive die geschichtliche Entwicklung des evangelischen Pfarrhauses von seinen Anfängen im 16. Jahrhundert bis heute analysieren und die zeitgenössischen Veränderungen interpretieren. Durch die interdisziplinären Forschungsbeiträge, die verschiedene Regionen Deutschlands berücksichtigen, entsteht ein facettenreiches Bild, das durch praktisch-theologische und kirchenleitende Reflexionen über die Zukunft des Pfarrhauses zur Diskussion anregen wird. Mit Beiträgen von Bodo-Michael Baumunk, Jochen Bohl, Stefan Dornheim, Andrea Hauser, Christel Köhle-Hezinger, Wolfgang Lück, Axel Noack, Doris Riemann, Klaus Raschzok, Susanne Schuster, Luise Schorn-Schütte und Christopher Spehr.

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Thomas A. Seidel | Christopher Spehr (Hrsg.)

DAS EVANGELISCHE PFARRHAUS

Mythos und Wirklichkeit

Die Deutsche Bibliothek – Bibliographische Information

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische

Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

© 2013 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gesamtgestaltung: Kai-Michael Gustmann, Leipzig

Titelbild: Johann Peter Hasenclever, Die Pfarrerskinder, um 1847, Öl auf Leinwand

(Quelle: Stiftung Sammlung Volmer. Düsseldorfer Malerschule, Wuppertal)

ISBN 9783374033430

www.eva-leipzig.de

VORWORT

Das Thema ‚evangelisches Pfarrhaus‘ hat Konjunktur. In Kirchengemeinden, Kirchenleitungen und Synoden wird kontrovers über die Zukunft und Bedeutung des Pfarrhauses diskutiert. Wie soll mit durch Gemeindefusionen leerstehenden Pfarrhäusern umgegangen werden? Ist die Dienstwohnungspflicht der Attraktivität des Pfarrberufs im 21. Jahrhundert abträglich? Können die Landeskirchen sich den Unterhalt der Pfarrhäuser überhaupt noch leisten?

Während dieser traditionell-protestantische Lebensort ins Schwanken gerät, wächst das Interesse an seiner kulturellen Eigenart, zumal bedeutende zeitgenössische Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Kultur dem evangelischen Pfarrhaus entstammen. So wird das evangelische Pfarrhaus beispielsweise als „Hort des Geistes und der Macht“1 beschrieben oder als „Keimzelle der Republik“2 gewürdigt und insgesamt als ein prägender Bestandteil deutscher Kulturgeschichte wiederentdeckt. Gleichzeitig werden Stimmen laut, die „das Pfarrhaus am Ende der Geschichte“ angekommen sehen und ihm für die Zukunft kulturelle Bedeutungslosigkeit testieren.3

Die Diskussion über das evangelische Pfarrhaus wird vielstimmig geführt und mit unterschiedlichen Intentionen und Erwartungen verbunden. Diese Vielstimmigkeit, die sich im Spannungsfeld von Mythos und Wirklichkeit bewegt, will das vorliegende Buch aufgreifen und aus historischen, kulturwissenschaftlichen, theologischen und kirchenleitenden Perspektiven die Diskussion um das evangelische Pfarrhaus versachlichen helfen.

Als 1984 das nach wie vor lesenswerte Buch Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte des Stuttgarter Politikwissenschaftlers Martin Greiffenhagen erschien, hatte bereits der kirchliche Wandlungsprozess des Pfarrhauses in Ost- und Westdeutschland begonnen. Die historische Sozial-und Kulturwissenschaft hatte zudem das örtliche Pfarrhaus als Forschungsgegenstand entdeckt. Seitdem sind sowohl neue Forschungsarbeiten entstanden als auch die praktischen Herausforderungen an den kirchengemeindlichen Lebensort Pfarrhaus gewachsen. Beiden Spuren, sowohl der überaus reichhaltigen Kultur- und Kirchengeschichte als auch dem aktuellen Befund und den Entwicklungsmöglichkeiten des evangelischen Pfarrhauses, sucht der vorliegende Sammelband nachzugehen. Die von namhaften Autorinnen und Autoren verfassten Beiträge, die in den Problemhorizont von ‚Mythos und Wirklichkeit‘ gestellt und in drei Rubriken unterteilt sind, dokumentieren auf je ihre Weise die facettenreiche Untersuchung jener deutschen und weltweit realisierten ‚Institution‘ mit Fokus auf den deutschen Sprachraum.

In der ersten Rubrik werden fünf kirchen- und kulturhistorische Zugänge von der Reformation bis ins 19. Jahrhundert geboten und teils in Überblicken, teils in Miniaturen verlebendigt. Die zweite Rubrik widmet sich den zeitgenössischen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts und zeichnet in vier Beiträgen engagierte und bisweilen konträre Diagnosen. Die dritte Rubrik aktualisiert schließlich die Diskussion um das Pfarrhaus, indem sie sich in drei Aufsätzen möglichen Perspektiven im 21. Jahrhundert zuwendet. Die methodisch unterschiedlichen Ansätze und interdisziplinären Fragehorizonte zielen allesamt auf eine differenzierte Beschäftigung mit dem Pfarrhaus und wollen gleichsam aufklären und zum weiteren Gespräch anregen.

Als Titelbild wählten wir das um 1847 von Johann Peter Hasenclever gestaltete Ölgemälde Die Pfarrerskinder, welches einerseits etwas kindlich Verklärendes, andererseits etwas überraschend Realistisches enthält. Ein Junge und seine Schwester spielen Pastorenehepaar beim Kirchgang, während die Eltern im Nachbarraum beim Kaffeetrinken zu sehen sind. Der Junge, ausgestattet mit Vaters Beffchen, Spazierstock und Bibel, schreitet stolzen Blickes auf die kleine Kirche mitten in einem von Schafen bevölkerten Holzdorf zu. Seine Schwester, mit mütterlichem Schleier und Gesangbuch geziert, hat sich bei ihm untergehakt und schaut demütig zu Boden. In augenzwinkernder Weise fließen hier Mythos und Wirklichkeit ineinander und karikieren die biedermeierliche Pfarrhausidylle.4

Die Entstehung dieses Bandes verdankt sich dreier Diskurse:

1. Seit dem Ende der 1990er Jahre wurde das Thema Pfarrhaus in der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte e.V. in verschiedenen Zusammenhängen diskutiert und publizistisch akzentuiert.5 Anlässlich der Emeritierung der Jenaer Kulturwissenschaftlerin Christel Köhle-Hezinger im Jahr 2011 gestaltete die Gesellschaft zusammen mit dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Kolloquium „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh …“ Das Pfarrhaus als Gegenstand interdisziplinärer Forschungen, deren Vorträge den Grundstock dieser Publikation bilden.

2. Die 2007 eingerichtete Internationale Martin Luther Stiftung (IMLS) machte von Beginn an die kulturgeschichtliche Aufarbeitung des Pfarrhauses zum Thema und unterstützte die Idee, das evangelische Pfarrhaus in seinen deutschen und internationalen Bezügen vermittels einer kulturgeschichtlichen Ausstellung zu würdigen. Ein von der Stiftung in Auftrag gegebenes Exposé von Bodo-Michael Baumunk und Miriam Rieger bildete die Grundlage für die im Oktober 2013 eröffnete Ausstellung Leben nach Luther des Deutschen Historischen Museums zu Berlin.6

3. Die theologische, kirchenpraktische und dienstrechtliche Problematik des Pfarrhauses wurde nicht nur in jüngster Zeit umfangreich diskutiert,7 sondern gehört auch zu den Forschungsgegenständen der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ihrem Lehrstuhl für Kirchengeschichte. Die Erschließung des im Lutherhaus Eisenach aufbewahrten Pfarrhausarchives wird zudem vom Jenaer Lehrstuhl für Kirchengeschichte wissenschaftlich begleitet.

Aus diesen unterschiedlichen Linien entstand mit Unterstützung der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig die Idee, das vorliegende Buch zu realisieren, indem der Kreis der Autoren erweitert wurde und verschiedene Förderer gewonnen wurden. Der Dank gilt daher vornehmlich den Autorinnen und Autoren für ihre engagierte Mitarbeit sowie Frau Dr. Annette Weidhas von der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig und ihrem Team für ihre professionelle Begleitung und Herstellung. Für ihre präzise und umsichtige Redaktionsarbeit gebührt den Jenaer Mitarbeitern Frau Susann Häßelbarth, Herrn Dr. Stefan Michel und Herrn Markus Bleeke großer Dank.

Namhafte finanzielle Förderung erfuhr das Buchprojekt durch die Internationale Martin Luther Stiftung, die Berthold-Leibinger-Stiftung, die Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte e.V. sowie durch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und die Evangelische Kirche von Westfalen. Ihnen allen sei für ihre freundliche Förderung sehr herzlich gedankt.

Jena und Erfurt am Reformationstag 2013

Thomas A. Seidel

Vorsitzender der Gesellschaft für Thüringische Kirchengeschichte e.V. und Geschäftsführender Vorstand der Internationalen Martin Luther Stiftung

Christopher Spehr

Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena

INHALT

Cover

Titel

Impressum

I. Kirchen- und kulturhistorische Zugänge

Christopher Spehr

Priesterehe und Kindersegen Die Anfänge des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit

Luise Schorn-Schütte

Das ganze Haus Evangelische Pfarrhäuser im 16. und 17. Jahrhundert

Stefan Dornheim

Glauben und erinnern Das Pfarrhaus als Institution lutherischer Gedenkkultur

Susanne Schuster

„Die Kluge und hauswirthliche Pfarrfrau“ Erwartungen an eine Pfarrfrau im 18. Jahrhundert

Christel Köhle-Hezinger

Pfarrhaus, Pfarrfamilie und Dorf Das Pfarrhaus im 18. und 19. Jahrhundert

II. Zeitgenössische Entwicklungen

Wolfgang Lück

Kompetenzerweiterung für die Kirchengemeinde Die parochiale Bedeutung des evangelischen Pfarrhauses

Doris Riemann

Die weibliche Seite des pastoralen Amtes Zur Geschichte der Pfarrfrauen nach 1945 am Beispiel der hannoverschen Landeskirche

Andrea Hauser

Das Pfarrhaus zwischen gestern und morgen Eine klassische protestantische Institution im Wandel angesichts der Pluralisierung der Lebensformen

Axel Noack

Kontinuitäten und Umbrüche Das Pfarrhaus im späten 20. und beginnenden 21. Jahrhundert

III. Perspektiven im 21. Jahrhundert

Klaus Raschzok

Pfarrhaus und professionsspezifische Lebenskunst Die praktisch-theologische Perspektive

Jochen Bohl

Offenes Haus und feste Burg Das evangelische Pfarrhaus aus kirchenleitender Sicht

Bodo-Michael Baumunk

„In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs“ Das evangelische Pfarrhaus als Ausstellungsthema

Abkürzungsverzeichnis

Personenregister

Autorenverzeichnis

I. Kirchen- und kulturhistorische Zugänge

Christopher Spehr

PRIESTEREHE UND KINDERSEGEN

Die Anfänge des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit

Am Anfang war sie ein Skandal – die Priesterehe! Statt zu Herzen gehender Liebesheirat und geschätzter Lebenspraxis dominierten reichsrechtliche Verbote und obrigkeitliche Verhaftungen. Statt Jubel über die Befreiung der gebundenen Gewissen, überwogen Klagen über eine unsichere Zukunft. Und statt idyllischer Pfarrhausromantik, welcher der Zauber des Anfangs innewohnt, herrschten in den jungen Pfarrhaushalten Überlebenskampf, Krankheit und Tod.

Besonders in den stürmischen Anfangsjahren der reformatorischen Bewegung kurz nach 1520 war die Eheschließung von Geistlichen zuerst ein aufsehenerregender Skandal, danach ein finanzielles Problem. Neue und bis dahin unbekannte Fragen drängten sich auf, die sowohl die eheliche Haushaltung der evangelischen Pfarrer als auch die Versorgung der „Pfaffenkinder“ betrafen. Zudem galt in der Volksreligiosität die Vorstellung, welche von der antireformatorischen Publizistik verschärft wurde, dass aus der Verbindung von Mönch und Nonne der Antichrist hervorgehe. Anders als in populären Erzählungen und eindrücklichen Bildern dargestellt, welche im 19. Jahrhundert verbreitet stets auf Martin Luthers Ehe und Familie als Vorbild des evangelischen Pfarrhauses rekurrierten,1 sah die historische Wirklichkeit im 16. Jahrhundert deutlich differenzierter und beschwerlicher aus. Wie sich diese hoch komplexen Wirklichkeiten für die evangelischen Prediger und ihre Familien realisierten, soll im Folgenden ansatzweise nachgezeichnet werden. Zu fragen ist hierbei u. a.: Was waren die Gründe, die zur Priester- und Mönchsheirat führten? Was bedeutete dieses für die herkömmliche Zölibatsforderung, für die reformatorische Bewegung und für die Entwicklung des Pfarrhauses? Welche Rolle nahmen die Ehefrauen ein und wie gestalteten die Ehepaare ihr pfarrhäusliches Familienleben?

Um die Entwicklung des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit sachgemäß skizzieren zu können, müssen die theologischen, juristischen und sozialen Fundierungen ebenso in den Blick genommen werden wie die ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Der weite Horizont dieses vielseitigen Themenfelds kann hier lediglich exemplarisch bearbeitet und in territorialer Konzentration auf den deutschsprachigen Raum untersucht werden.

1. Die Priesterehe als Forderung

Die Geschichte des Zölibats hängt aufs engste mit der Reform des Priesteramtes zusammen. Während im frühen Mittelalter in der Westkirche der verheiratete Kleriker vielerorts üblich war, begann mit dem Reformpapsttum seit 1049 eine Position sich durchzusetzen, welche den monastischen Zölibat auf alle Priester zu übertragen suchte. Mit dem Zweiten Laterankonzil 1139 wurde die Ehe von Bischöfen, Priestern, Diakonen und Subdiakonen schließlich für ungültig erklärt und die Zölibatsverpflichtung manifestiert. Dieser und weitere kirchenrechtliche Beschlüsse sollten den Zölibat als klerikale Lebensform dogmatisieren, so dass er zum augenfälligsten Unterscheidungsmerkmal von Priestern und Laien avancierte.2 Dass die Einhaltung dieser Ordnung häufig übertreten wurde, indem Priester im Konkubinat lebten, war allgemein bekannt, ebenso auch die Doppelmoral der Kirche, die einerseits den Pflichtzölibat vorschrieb, andererseits für „Pfaffenkinder“ Dispensgebühren erhob und somit von den Übertretungen direkt profitierte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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