Das explodierte Ich - Jana Simon - E-Book

Das explodierte Ich E-Book

Jana Simon

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Beschreibung

»Es sind die einfachen, aber großen Fragen, die mich immer wieder interessieren: Wie reagieren Menschen auf neue Situationen, wie gehen sie mit ihnen um, und wie gehen sie schließlich aus ihnen hervor? In der Biografie jedes Einzelnen spiegelt sich die Welt.« (Jana Simon)
Jana Simon erzählt von Waris Dirie, die niemandem gefallen will; von der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, die Kälte verabscheut; von Angela Merkel, die Lärm nicht mag; von Hollywood-Produzent Jerry Weintraub, der schon zum Frühstück Wodka trinkt; von Uliana aus Sibirien, die in Indien modelt; von zwei Thüringer Polizisten, die denken, sie hätten den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) stoppen können; von einem deutschen Anwalt, der den US-Verteidigungsminister anzeigt.
Es sind Geschichten von Zusammenbrüchen und Sinnkrisen, dem Untergang alter Gewissheiten und der Orientierung in unwägbaren Zeiten, aber auch davon, wie Menschen sich verändern und neu aufbrechen. Die preisgekrönte Journalistin und Bestseller-Autorin Jana Simon legt in ihrem neuen Buch 16 erstaunliche Porträts vor.
»Wer Jana Simon liest, verabschiedet sich von seinen ­Vorurteilen.« (Stephan Lebert, ZEIT)

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Seitenzahl: 357

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Jana Simon

Das explodierte Ich

Jana Simon

DAS

EXPLODIERTE

ICH

Menschen zwischen Abgrund und Aufbruch

Die in diesem Buch versammelten Reportagen von Jana Simon sind zwischen 2006 und 2014 in der ZEIT oder im ZEITmagazin erschienen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Februar 2015 (entspricht der 1. Druckauflage von August 2014) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos von Frank Rothe, Berlin

INHALT

Die hohe Kunst des »hanging around«

Liebeserklärung an das Porträt

Das explodierte Ich

Wie die Piratenpolitikerin Julia Schramm ein Buch veröffentlicht und in einen Shitstorm gerät

Einer gegen Rumsfeld

Wie der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck den ehemaligen US-Verteidigungsminister wegen Folter verklagen will

»Ich bin nicht hier, um anderen zu gefallen«

Wie das Model Waris Dirie versucht, vor seiner Geschichte zu fliehen

»Spaß ist privat«

Wie der EZB-Notenbanker Jörg Asmussen in Griechenland einmal die Fassung verliert (mit Mark Schieritz)

Der Produzent

Wie Jerry Weintraub in Hollywood die Lust an Filmen vergeht

Es geschah an einem Montag

Wie zwei Thüringer Polizisten versuchten, das NSU-Trio zu verhaften

Die Kanzlerin

Wie Angela Merkel sich bemüht, kein Geräusch zu verursachen, und trotzdem den Ton angibt

Angriff auf Noam

Wie ein jüdischer Junge in Sachsen-Anhalt verprügelt wird, aber die Kleinstadt zum Täter hält

Miss World

Wie sich das sibirische Model Uliana Galdina bemüht, die Globalisierung zu verstehen und in Indien schön auszusehen

Zelle 221

Wie drei junge Männer versuchen, dem Jugendgefängnis zu entkommen

Ihr letztes Urteil

Wie die Jugendrichterin Kirsten Heisig sich selbst verlor

Eine unmögliche Freundschaft

Wie Phyllis Rodriguez, Mutter eines 9 /11-Opfers, und Aicha El-Wafi, Mutter eines Terroristen, darum ringen, sich nicht zu hassen

Herr Kräuter in China

Wie ein Deutscher in den siebziger Jahren nach China flieht und zum Kapitalisten wird

Im Sumpf

Wie Mandy Kopp, die mit 16 zur Prostitution gezwungen wird, Jahre später ihre Freier erkennt

Die Frau, die aus der Kälte kam

Wie die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen ihr Dopingurteil kämpft und mit 41 Jahren noch einmal siegen will

Mein armes Amerika

Wie ich im Winter 2010 /11 an meinen Sehnsuchtsort Los Angeles ziehe und mein Traum zerbricht

QuellenverzeichnisDie Autorin

DIE HOHE KUNST DES »HANGING AROUND«

Liebeserklärung an das Porträt

Es ist Herbst 2006, ich knie auf dem Boden meines Arbeitszimmers, um mich herum liegen aufgeschlagene Bücher, Protokolle, Zeitungsartikel, Blöcke mit meinen Mitschriften, ab und an gehe ich zum Laptop, um ein paar Wortgruppen oder Sätze zu notieren. Die wenigen Zeilen, die ich schreibe, sollen verbergen, dass ich am Ende bin, fertig, mich in meinem Material komplett verloren habe. Mehr als ein dreiviertel Jahr recherchiere ich schon an der Geschichte über den Anwalt Wolfgang Kaleck und seine Anzeige gegen den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen Folter. In einer Woche soll sie erscheinen.

Ich bin in Panik, im Stillen spiele ich verschiedene Varianten durch, wie ich den Redakteuren mein Scheitern erklären könnte: Krankheit, Computerabsturz, Rohrbruch. Das ist der Augenblick kurz vor dem Schreiben, in dem die Zweifel und die Fragen triumphieren: Wen soll das interessieren? Habe ich tatsächlich mit allen Wichtigen gesprochen, müsste ich nicht noch diesen oder jenen anrufen, dieses oder jenes lesen? Vielleicht könnte ich auch erstmal den Schreibtisch aufräumen. Ich fühle mich wie nach einem sanften Hirnschlag, alle Gedanken im Taumel, verirrt im Leben meiner Protagonisten. Am Schluss bin ich jedes Mal fast überrascht, dass tatsächlich ein Text entsteht, der schließlich gedruckt wird.

Acht Jahre später, im Juni 2014, sitze ich in Hamburg im gläsernen Spiegel-Palast beim Reporterforum, einem Netzwerk von Journalisten, die wie ich Reportagen schätzen. Ein Kollege vom Spiegel redet über »die Kunst des Schwärmens« und über Porträts. Diese seien eine Form des »Reporterunwesens«, in der sich Reporter mit einer »gewissen Unkenntnis« dem Mittel der Einfühlung bedienten und psychologisierend die Innensicht eines Menschen annähmen. Es klingt abfällig – der Reporter erscheint als etwas naives, arbeitsscheues Wesen, das Porträt als ein Stilmittel für Minderbemittelte. Der Kollege ist Feuilletonist und beklagt, dass kaum noch jemand aufgrund seines Schaffens beurteilt und beschrieben werde, stets gebe es noch einen Hausbesuch beim Protagonisten. Überspitzt formuliert: Vollkommen erfassen könnten nur Kritiker, Feuilletonisten einen Künstler und sein Werk.

Es ist einer von vielen Angriffen der vergangenen Jahre auf die Reportage und das Porträt. Sie wurden totgesagt, totgeschrieben: Sie seien zu ambitioniert literarisch, ihre Protagonisten gecastet, von der Wirklichkeit weit entfernt, und die Schreiber hätten keine Haltung. Manches davon stimmt. Die Reportage und auch das Porträt haben sich verändert, oft wirken sie eigenartig glatt, aller Widersprüche, Zweifel und Fragen beraubt. Vor allem aber gibt es sie immer seltener. Damit meine ich nicht den Hausbesuch, die einmalige Begegnung oder das gemeinsame Kaffeetrinken. Die Reportage und besonders das Porträt kosten Zeit, Geld und Kraft. Nur wenige Redaktionen können oder wollen sich das heute noch leisten. Ein Grund mehr, um dem Porträt nicht nur meine Liebe zu erklären, sondern auch seine Bedeutung zu betonen.

Im Winter 1996 /97 beginne ich gerade als Reporterin zu arbeiten, über mehrere Monate verfolge ich am Berliner Landgericht einen Mordprozess. Dabei lerne ich vor allem die Zuschauer kennen – eine junge Frau, die sich in den Angeklagten verliebt hat, einen ehemaligen Mörder, der sich durch diese Verhandlung auf den neuesten Stand der Ermittlungsmöglichkeiten bringt, einen Psychologen und eine Schöffin, die wie Verbrechensjunkies durch die Säle ziehen. Am Ende porträtiere ich nicht den Mörder, sondern die Zuschauer.

Es ist eine meiner ersten Geschichten und das erste Mal, dass ich eine Ahnung davon bekomme, wie viel Arbeit und Zeit Porträts bedeuten: Stunden irgendwo herumsitzen, zuhören, beobachten. Der amerikanische Reporter Gay Talese nennt das »the fine art of hanging around«, die hohe Kunst des »Herumhängens« – das Warten in Wohnzimmern, auf Konferenzen, vor Haustüren –, stets abhängig von der Gunst der Protagonisten. Es ist mir bis heute sehr unangenehm, bei jemandem zu klingeln, den ich nicht kenne und der mich nicht eingeladen hat. Manchmal gehört das zum Job dazu.

Das Porträt ist die Form der Reportage, bei der sich das Thema, das Erlebte, die Geschichte, in einem Menschen verdichtet. Für ein Porträt treffe ich nicht nur mehrmals meine Protagonisten, sehe ihre Filme, lese ihre Bücher und das, was andere über sie geschrieben haben, sondern spreche im Schnitt auch mit zehn bis zwanzig Menschen aus ihrem Umfeld. Das gebietet der Respekt. Manche begleite ich länger als ein Jahr, wie die jungen Männer aus der Zelle 221 des Jugendgefängnisses. Bei Reportagen, die auch politisch brisant sind, wie der über die Polizisten, die das NSU-Trio verfolgten, oder Wolfgang Kalecks Folteranzeige, kommen noch Aktenlektüre und Besuche in Untersuchungsausschüssen hinzu. Um überhaupt spannende Stoffe und geeignete Gesprächspartner zu finden, muss ich zuvor lange mit vielen verschiedenen Menschen reden. Manchmal ergibt auch eine Geschichte die nächste. Das Porträt über die Angehörige eines NSU-Opfers führte mich zum Beispiel schließlich zu den beiden Beamten, die das NSU-Trio gern verhaftet hätten.

Für mich als Reporterin sind die Menschen ein Glück, die vor nichts Angst haben, die Furchtlosen, denen es egal ist, was andere über sie denken und wie sie wirken. In diesem Buch trifft das nur auf den Filmproduzenten Jerry Weintraub zu. Er ruft persönlich an, und als ich ihn eines Vormittags in seinem Haus in Beverly Hills besuche, ist er noch betrunken oder schon wieder. Nie höre ich von ihm den Satz: »Das dürfen Sie aber nicht schreiben.« Menschen wie Weintraub machen extrem gute Laune.

Das Gegenteil davon ist das ehemalige Model Waris Dirie. Sie umgibt sich wie viele Prominente mit einem Kokon von Menschen, die sie vielleicht zu Recht schützen sollen, aber jede direkte Kommunikation unmöglich machen. Ich reise bis nach Dschibuti an einen Filmset, um mit ihr zu sprechen. Sie sitzt im Korbsessel ihres Hotels und hat keine Lust zum Reden oder vielleicht doch. Jede Frage wird zur Zumutung. Ich fühle mich als Eindringling. Es ist nicht klar, ob sie mir im nächsten Augenblick eine knallt oder mich umarmt. Aus Verlegenheit und um beschäftigt zu wirken, schreibe ich meinen halben Block voll und weiß, nachher kann ich alles wegschmeißen. Dirie sieht traurig aus, verletzlich, und sie schillert in jeder Facette ihrer Persönlichkeit. Auf dieser Reise flirtet sie mit dem Präsidenten, greift bei einer Gesellschaft öffentlich die Gastgeber an und geht in der Wüste joggen. Aberwitzige Situationen: Dirie dabei zu beobachten, ist großartig.

Die meisten Porträts in diesem Buch waren »meine Idee«, die anderen entstanden durch Vorschläge der ZEIT-Redaktion: wie zum Beispiel die Geschichte über Angela Merkel. Zu Beginn quälten mich damals nur zwei Fragen: Wie sollte ich über eine Kanzlerin schreiben, über die schon alles gesagt und geschrieben wurde? Und: Was könnte ich noch Neues beitragen? Die Redaktion hatte wohl im Stillen gehofft, dass ich durch meine ostdeutsche Herkunft über eine Art Geheimwissen verfüge. Es hatten aber auch schon sehr viele Ostdeutsche über Angela Merkel berichtet. Die Kanzlerin selbst sagt so gut wie nichts, und ihr Umfeld wird für das laute Schweigen allgemein bewundert. Ich verbrachte sehr viele Stunden mit Menschen, die alle nur eins gemeinsam hatten, sie gaben sich Mühe, so gut wie keinen zitierfähigen Satz zu formulieren. Und wenn einer mehr erzählte, konnte ich sicher sein, dass er Angela Merkel schon lange nicht mehr gesehen und gesprochen hatte. Von diesen Recherchen findet sich am Ende vielleicht ein Satz im Text, die meisten meiner Gesprächspartner tauchen gar nicht auf. Die vielen Treffen und Gespräche verdichten sich zu etwas, das ich »Hintergrundrauschen« nennen würde. Ein Ton, ein Gefühl, das man für einen Menschen bekommt. Eine Ahnung davon, was ihn treiben, was ihn ausmachen, wer er sein könnte.

Was die meisten Porträtierten in diesem Buch verbindet: In ihrem Leben gibt es einen Wendepunkt – eine Begebenheit, eine Erfahrung, sei es durch politische, historische oder persönliche Umbrüche, die fast alles für sie verändert, die sie zwingt, ihr Leben noch einmal neu zu denken. Ihre Persönlichkeit, ihr Ego, ihr Ich sind angegriffen, sie müssen oder mussten um ihr Selbstverständnis ringen. Auf sehr verschiedene Weise versuchen sie, die gewandelte Wirklichkeit zu verstehen und sich in ihr zu orientieren.

Es sind die einfachen aber großen Fragen, die mich immer wieder interessieren: Wie reagieren Menschen auf neue Situationen, wie gehen sie mit ihnen um, und wie gehen sie schließlich aus ihnen hervor? In der Biografie jedes Einzelnen spiegelt sich die Welt. Oder wie es die russische Reporterin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Porträtband »Secondhand-Zeit« beschreibt: »Ich aber sehe die Welt mit den Augen der Menschenforscherin, nicht mit denen eines Historikers. Ich bestaune den Menschen. (…) Dieser Maßstab hat mich schon immer fasziniert – der Mensch … der einzelne Mensch. Denn im Grunde passiert alles dort.«

Einen Menschen darzustellen, ihn zu beurteilen, zu deuten, ist immer auch eine Anmaßung. Ich kann nicht behaupten, ich wüsste genau, wer und wie der andere tatsächlich ist. Ich kann mich nur bemühen, ihn in all seinen Widersprüchen zu zeigen und mich nicht als Richterin aufzuspielen. Jedes Porträt hat eine Grenze, zum wirklichen Kern des Menschen kann niemand vordringen. Es ist stets nur ein Versuch, ein Herantasten. Ich komme den Menschen, die ich porträtiere, für kurze oder längere Zeit sehr nah. Danach verschwinde ich wieder aus ihren Leben. Selten habe ich nach dem Erscheinen eines Porträts noch Kontakt zu meinen Protagonisten. Es ist wie eine kurze Affäre – sehr intensiv, aber später wollen sich beide nicht mehr so genau daran erinnern.

Reporter sind meist eher zurückhaltende Menschen, die beobachten, die man gern um sich hat. Natürlich setzen sie ihre gewinnende Art auch ein. Die amerikanische Autorin Joan Didion hat das einmal sehr treffend geschildert: »Mein einziger Vorteil als Journalistin besteht darin, dass ich von so kleiner Statur, so unscheinbar und auf so neurotische Weise um Worte verlegen bin, dass die Leute anfangen zu vergessen, dass meine Anwesenheit ihren Interessen schaden könnte.« Bei fast jeder Geschichte kommt einmal der Augenblick, in dem ich mich als Reporterin wie eine Verräterin fühle, die in fremden Leben wildert, ins Innere dringt, Seelen aussaugt. Denn ich bin keine Freundin, vielleicht nicht einmal eine Sympathisantin. Am Ende schreibe ich über mein Gegenüber, und den Text wird es nicht immer mögen.

Bei jenem Reportertreffen in Hamburg tritt auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner auf und spricht zum Thema: Was ihn an Journalisten nervt. Er regt sich über ein Porträt auf, bei dem er einen Reporter in seinem Auto mitnahm, und der veröffentlichte danach etwas, das ihm missfiel. Stegner schließt aus dieser Erfahrung: »Interviews sind etwas Gutes!« Ein Interview wird in Deutschland gewöhnlich autorisiert. Jeder Politiker kann es so lange umformulieren, bis es ihm gefällt. Die Reportage, das Porträt, sind die Formen, in denen Journalisten noch weitgehend das machen können, was sie machen sollten – schreiben, was ist und was sie sehen.

Die Porträts, die ich meine, die aufwendigen, die genauen, zeichnen sich eben nicht durch das Gefühlige, das Ambitionierte und schon gar nicht durch eine »gewisse Unkenntnis« aus. Im Gegenteil. Jedes Porträt ist ein Kampf, mühsam, aufreibend und beglückend zugleich – was für ein verdammtes Privileg, Menschen zu erforschen. Wenn es den Beruf der Reporterin nicht gäbe, wäre ich wahrscheinlich Anthropologin geworden.

DAS EXPLODIERTE ICH

Wie die Piratenpolitikerin Julia Schramm ein Buch veröffentlicht und in einen Shitstorm gerät

An einem Nachmittag im Oktober wird Julia Schramm klar, dass sie zurücktreten muss. Dass sie ihre Politikerkarriere so nicht länger durchziehen kann. Sie steht in ihrer Berliner Wohnung und blickt auf das Chaos. Das Bett ist zerwühlt, ihr Schmuck darüber verteilt, Kleidung liegt unordentlich herum. Es sieht aus, als hätte jemand eine Party gefeiert. Schramm war mit ihrem Mann eine Woche in den Ferien. Nun fehlen Schramms Verlobungsring, ihre Armbanduhr und ihr Buch. Sonst nichts. Die Polizei spricht von einer Beziehungstat. Der Dieb hat sich nur auf Persönliches konzentriert, er wollte sie – Julia Schramm – treffen. Dieser Einbruch ist der Höhepunkt einer Reihe von Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen. In ihrem Briefkasten lag ein Zettel mit der Aufforderung, sie gehöre ins Arbeitslager, im Netz ist das häufigste Wort in ihrem Zusammenhang »Schlampe«, und auf Amazon bewerten Kunden ihr Buch mit null Sternen, obwohl sie es gar nicht gelesen haben. Es ist, als löse Julia Schramm den Reflex aus, sie verletzen, ihr eins überziehen zu wollen.

Beim ersten Telefonat beginnt sie sofort zu weinen. »Woher haben Sie diese Nummer?«, fragt sie die Reporterin. Vom Verlag. Ach so. Es sei eine private Notfallnummer, nur für Familie und enge Freunde gedacht, das habe die Pressefrau wohl verwechselt. »Bitte sofort löschen«, sagt sie, diktiert eine zweite Handynummer und erzählt von dem Einbruch. Es wurde noch keine Frage gestellt, und schon fühlt man sich als mieser Eindringling. Julia Schramm ist 27, betreibt ein Blog, eine Website und 15 Twitter-Accounts, sie hat ein Buch mit dem Titel geschrieben und bis Oktober 2012 im Bundesvorstand der Piratenpartei gesessen. Sie provoziert, bezeichnet die Idee des geistigen Eigentums als ekelhaft, das Urheberrecht als Kampfbegriff und greift den Datenschutz an. Und dann überlegt sie es sich anders und nimmt manches davon wieder zurück. Sie sucht die Öffentlichkeit, setzt sich ihr aus, flirtet mit ihr. Nun hat sich diese mit ganzer Macht gegen sie gewandt. Julia Schramm hat viel Blödsinn erzählt. Das machen andere auch. Den Hass, der ihr entgegenschlägt, erklärt das nicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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