Das Geheimnis der Fürstin Carolin - Heidemarie Berger - E-Book

Das Geheimnis der Fürstin Carolin E-Book

Heidemarie Berger

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Fürstin Carolin und Fürst Frederik saßen an diesem warmen Sonntagnachmittag gemütlich auf der Sonnenterrasse und tranken Tee, als vom oberen Stockwerk her ein greller Schrei ertönte. »Meine Güte. Hört denn das nie auf«, stöhnte die Fürstin verhalten, schien aber dabei nicht sonderlich berührt. »So lass doch das Mädel. Sie ist noch jung und …« »… und zügellos«, unterbrach die Fürstin ihren Mann, der über seine Tochter stets und immer seine schützende Hand hielt. »Sie sollte sich bemühen, endlich erwachsen zu werden und allmählich an ihre Pflichten denken, die zukünftig auf sie warten. Schließlich ist Anabell unsere Tochter und hat auf unsere Stellung und unseren guten Namen Rücksicht zu nehmen.« »Nun ja, nächsten Monat wird sie achtzehn Jahre alt, dann wird sie allmählich begreifen …« Der Fürst konnte nicht ausreden, weil seine Tochter in diesem Moment wie eine wilde Range auf die Terrasse gestürzt kam – ein schlankes, gut aussehendes Mädchen mit lockigem schwarzem Haar und blitzenden graugrünen Augen. Sie stellte sich vor ihre Eltern hin und begann wie eine Marktfrau zu schimpfen: »Vater, Mutter! So geht das nicht weiter! Die alte Kati bringt mich noch zur Verzweiflung! Meine Lieblingsvase, die ich mir letztes Jahr aus China mitgebracht habe, hat sie beim Saubermachen mit ihren zittrigen Händen einfach fallen lassen! Dabei habe ich ihr schon so oft gesagt, sie möchte von diesen Sachen die Finger lassen. Sie ist einfach zu alt. Ich brauch' ein junges Mädel, das …« »… das du rumkommandieren kannst, wie es dir gefällt, nicht wahr, mein Kind?«, unterbrach die Fürstin, eine schlanke, große Frau

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Fürstenkrone – 103–

Das Geheimnis der Fürstin Carolin

Eine glückliche Familie zu haben, war für sie das Wichtigste ...

Heidemarie Berger

Fürstin Carolin und Fürst Frederik saßen an diesem warmen Sonntagnachmittag gemütlich auf der Sonnenterrasse und tranken Tee, als vom oberen Stockwerk her ein greller Schrei ertönte.

»Meine Güte. Hört denn das nie auf«, stöhnte die Fürstin verhalten, schien aber dabei nicht sonderlich berührt.

»So lass doch das Mädel. Sie ist noch jung und …«

»… und zügellos«, unterbrach die Fürstin ihren Mann, der über seine Tochter stets und immer seine schützende Hand hielt.

»Sie sollte sich bemühen, endlich erwachsen zu werden und allmählich an ihre Pflichten denken, die zukünftig auf sie warten. Schließlich ist Anabell unsere Tochter und hat auf unsere Stellung und unseren guten Namen Rücksicht zu nehmen.«

»Nun ja, nächsten Monat wird sie achtzehn Jahre alt, dann wird sie allmählich begreifen …«

Der Fürst konnte nicht ausreden, weil seine Tochter in diesem Moment wie eine wilde Range auf die Terrasse gestürzt kam – ein schlankes, gut aussehendes Mädchen mit lockigem schwarzem Haar und blitzenden graugrünen Augen. Sie stellte sich vor ihre Eltern hin und begann wie eine Marktfrau zu schimpfen: »Vater, Mutter! So geht das nicht weiter! Die alte Kati bringt mich noch zur Verzweiflung! Meine Lieblingsvase, die ich mir letztes Jahr aus China mitgebracht habe, hat sie beim Saubermachen mit ihren zittrigen Händen einfach fallen lassen! Dabei habe ich ihr schon so oft gesagt, sie möchte von diesen Sachen die Finger lassen. Sie ist einfach zu alt. Ich brauch’ ein junges Mädel, das …«

»… das du rumkommandieren kannst, wie es dir gefällt, nicht wahr, mein Kind?«, unterbrach die Fürstin, eine schlanke, große Frau mit dunklem Haar, das Gezeter ihrer Tochter. Mitfühlend schaute sie auf die alte Kati, die verzweifelt händeringend in der Tür stand.

»Außerdem hat dir die Kati viele Jahre lang treu gedient und war dir wie eine Mutter. Schämst du dich nicht, so über eine alte Frau zu reden, die bisher rechtschaffen ihren Dienst bei uns versehen hat und kaum ein Privatleben hatte?«

Etwas schuldbewusst senkte Anabell den Blick. Ihr wurde bewusst, dass sie der alten Kati mit ihrem Wutausbruch sicher Schmerz zugefügt hatte. Und schon war sie milder gestimmt, obwohl sie noch immer wütend auf die Getreue war.

»Aber in einem muss ich dir Recht geben, liebes Kind: Unsere Kati ist wirklich alt geworden und kann die Arbeit nicht mehr schaffen wie früher in ihren jungen Jahren. Und erst recht nicht kann sie deinen unberechenbaren Wünschen Rechnung tragen. Wir werden ihr einen geruhsamen Lebensabend ermöglichen, so, wie sie es verdient hat.«

»Wie sie es verdient hat«, äffte die Prinzessin ihrer Mutter ungezogen nach, sodass nun auch der Fürst, der das Ganze bislang ruhig mit angehört hatte, die Stirn kraus zog.

»Ja, unsere gute alte Kati hat es verdient, in den Ruhestand zu treten. Ob es dir nun gefällt oder nicht! Aber im Grunde genommen bist du ja unserer Meinung. Du hast sie ja auch gern. Warum echauffierst du dich bloß immer bei jeder Kleinigkeit? Lerne dich doch endlich einmal zu beherrschen, so wie es sich für eine junge Dame deines Standes ziemt. Nun ja, es wird uns deshalb wohl nichts anderes übrig bleiben, als für dich jemanden aufs Schloss zu holen, der dir endlich Manieren beibringt, mein Kind. Ich glaube, wir haben bei deiner Erziehung einiges versäumt! Nächsten Monat wirst du achtzehn Jahre alt, und du benimmst dich schlimmer als eine Zehnjährige. So leid es mir tut, Kind, dir das sagen zu müssen.« Der Fürst wandte sich lächelnd an Kati:

»Kommen Sie her, Kati, setzen Sie sich zu uns und lassen Sie uns über ihre Zukunft hier auf dem Schloss reden. Und du, Anabell, geh auf dein Zimmer und beruhige dich erst einmal! Wir werden später alles besprechen.«

Wütend wie ein kleines Mädchen stampfte die Prinzessin mit dem Fuß auf den Boden, was ihr einen weiteren maßregelnden Blick des Vaters einbrachte. Schließlich gehorchte sie doch und verschwand mit einer trotzigen Gebärde.

Die alte Kati stand immer noch ängstlich abwartend vor dem Fürstenpaar. »Durchlaucht, es war tatsächlich alles meine Schuld. Meine Hände …« Sie zitterte am ganzen Körper und wollte die Tochter des Hauses gar noch in Schutz nehmen.

»Das mag ja alles sein, liebe Kati. Auch wir sind nicht ganz unschuldig daran. Wir muten Ihnen in Ihrem Alter viel zu viel zu. Mit unserer wilden Tochter kommen wir ja selbst kaum zurecht. Doch das soll jetzt ein Ende haben.«

»Sie wollen mich aus Ihren Diensten entlassen?« Erschrocken riss die alte Frau die Augen auf und nestelte nervös an ihrer blütenweißen Schürze, die sie von jeher auf ihrem dunkelblauen Kleid trug.

Der Fürst schmunzelte: »Ja, Kati, wir werden Sie aus unseren Diensten entlassen. Damit werden Sie sich abfinden müssen.« Er lächelte zu seiner Frau hinüber, die ihm gegenüber am Tisch saß. Mit ihr hatte er längst schon alles abgesprochen. Die nickte ihm aufmunternd zu.

Die alte Kati war blass geworden. Ihre Lippen zitterten, als wollte sie weinen. Der Fürst mochte sie nicht länger quälen und fuhr fort: »Wir haben Ihnen zwei schöne Zimmer eingerichtet, hier auf dem Schloss, die wir Ihnen nachher gleich zeigen wollen. Ihre persönlichen Sachen können Sie leicht dort unterbringen. Wilhelm wird Ihnen dabei helfen. Von heute an brauchen Sie es sich nur noch gut gehen lassen. Niemand wird Ihnen mehr sagen, was Sie zu tun oder zu lassen haben. Mit Ihrer Rente, die Sie beziehen werden, können Sie zufrieden sein. Die Unterlagen liegen schon fix und fertig auf meinem Schreibtisch. Ich brauch nur noch Ihre Unterschrift als Einverständnis.«

»Und das alles hat nichts mit der zerbrochenen Vase zu tun?« Kati hatte immer noch nicht richtig verstanden, was nun mit ihr geschehen sollte. Und der Schreck über ihr Missgeschick steckte ihr noch in den Gliedern.

Das Fürstenpaar lachte. »Nein, liebe Kati«, ergriff nun die Fürstin das Wort, »lassen Sie doch die dumme Vase. Wir hätten in den nächsten Tagen ohnehin über Ihre Zukunft hier bei uns gesprochen. Schauen Sie, Sie sind weit über siebzig Jahre alt und haben uns Ihr ganzes Leben lang treu gedient. Längst hätten Sie sich Ihren ordentlichen Ruhestand verdient.«

»Aber, wenn ich so gar nichts machen soll, das ist doch langweilig«, wagte die Getreue zaghaft einzuwenden.

»Na ja, wenn das so ist, dann können Sie natürlich hier und da mal nach dem Rechten sehen. Die Mamsell sieht Sie ja auch gern in der Küche. Aber wie gesagt, nur wenn es Ihnen Spaß bereitet. Ansonsten sollen Sie es sich gut gehen lassen. Sie haben es sich wahrlich verdient, Kati. Und wir möchten Ihnen gleichzeitig für Ihren Fleiß, Ihre Ehrlichkeit und Ihre Loyalität danken, liebe Kati. Aber nun setzen Sie sich doch und trinken Sie eine Tasse Tee mit uns.«

Zaghaft folgte die alte Kati der Aufforderung, sich zu den Herrschaften an den Tisch zu setzen. Sie fühlte sich unbeholfen und zitterte immer noch vor Aufregung. Das Fürstenpaar konnte die Frau verstehen, die bisher immer treu und redlich ihren Dienst bei ihnen versehen hatte. Die Fürstin nahm sich vor, der alten Kati anlässlich ihres Dienstendes noch ein besonderes Geschenk zu überreichen.

*

Christin Wenzel stöberte in ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung die örtlichen Zeitungen durch. In vierzehn Tagen absolvierte sie ihr Examen als Erzieherin. Und nun suchte sie schon seit Längerem eine Arbeitsstelle, wo sie ihr erworbenes Wissen anwenden und damit ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. Sie hatte auch schon einige Vorstellungsgespräche hinter sich. Dabei war sie jedoch immer wieder auf Ablehnung gestoßen. Sie wäre mit ihren vierundzwanzig Jahren zu jung, um als Erzieherin zu arbeiten.

Heute hatte sie sich einige Zeitungen aus dem überregionalen Bereich besorgt. Sie waren zwar schon etwas älter, aber dafür hatten sie auch nichts gekostet. Sie musste auf jeden Cent achten. Denn das wenige Geld, welches sie sich mit Nachhilfestunden für einige Schüler verdiente, schmolz meist rasch dahin. Ihr Vermieter hatte schon mit Kündigung ihrer kleinen Mansardenwohnung gedroht, falls sie die rückständigen Mieten nicht endlich bezahlte. Er wollte nur noch abwarten, bis sie ihr Examen in der Tasche hätte, ehe er die offenstehende Miete von ihr forderte. Wenigstens dafür zeigte er Verständnis.

Christin unterstrich einige Anzeigen, die für sie infrage kamen, mit einem Rotstift. Dabei interessierte sie besonders eine bestimmte Anzeige: Eine Fürstenfamilie suchte für ihre Tochter eine junge Dame, die Gesellschafterin und Erzieherin zugleich sein sollte. Ausdrücklich »jung« stand da. Diesmal konnte man ihr ihre Jugend also nicht zum Vorwurf machen. Und wie Christin hoffte, würde ihr Examen, das in Kürze bevorstand, auch überdurchschnittlich gut ausfallen, sodass man auch daran nichts aussetzen konnte.

Christin las die Anzeige noch einmal genau durch. Aber oje, der Ort lag viel zu weit entfernt, als dass sie gleich hinfahren konnte, um sich dort vorzustellen. Ihr Geld hätte für diese Fahrt nicht gereicht. Aber noch am selben Tag schickte sie ihre Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle ab. Sie teilte dem Fürstenpaar wahrheitsgetreu mit, dass sie erst in vierzehn Tagen ihr Examen erwerben würde und sich, falls sie Interesse an ihr hätten, dann persönlich auf dem Schloss vorstellen wolle.

Hoffentlich habe ich diese Briefmarke nicht wieder mal umsonst ausgegeben, dachte Christin ziemlich hoffnungslos, als sie den Briefumschlag in den Postkasten warf. Die Zeitung war schon über eine Woche alt gewesen, als sie die Annonce entdeckt hatte. Bestimmt war die Stelle längst besetzt. Denn auf einem Schloss zu arbeiten, das war wohl der Traum vieler junger Mädchen. So dachte jedenfalls Christin, die schon von jeher ein Interesse an alten Schlössern und Burgen zeigte und sich gern einmal eines dieser mächtigen Bauwerke näher angeschaut hätte.

Daheim in ihrem schlicht eingerichteten Zimmer ließ sie sich etwas mutlos auf ihrem Bett nieder und schlug ihre schlanken, wohlgeformten Beine übereinander. Seufzend löste sie den Pferdeschwanz an ihrem Hinterkopf, wobei dichtes blondes Haar über ihre Schulter fiel. Ihr Blick fiel auf das Bild ihrer Mutter, die vor einem Jahr gestorben war.

»Warum musstest du mich so zeitig verlassen, Mutter«, seufzte sie. »Du warst doch noch so jung. Es ist so schwer, ganz allein auf dieser Welt zu sein. Du fehlst mir so sehr.«

Die Mutter hatte ihren Lebensunterhalt mit Näh- und Schreibarbeiten für die Leute im Dorf verdient, wobei ihr Christin, so oft es ihre Zeit erlaubte, zur Hand ging. Sie konnten zwar keine großen Sprünge mit dem Geld machen, das sie dabei verdienten. Aber für beide reichte es zum Leben. Christins Studium hatten sie sich wahrlich vom Mund abgespart. Außerdem bekam Christin aufgrund ihres Fleißes während der Studienzeit auch noch ein kleines Leistungsstipendium, welches ihnen half, den Alltag einigermaßen erträglich zu gestalten.

Nie hatte sie die Mutter klagen gehört. »Die Hauptsache ist doch, wir sind gesund und haben einander gern, mein Kind«, hatte die Mutter oft zu Christin gesagt, was ihr heute noch in den Ohren klang, wenn sie an die gemeinsame Zeit zurückdachte.

Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Die Mutter sprach ungern darüber. In einer romantischen Sommernacht auf Ibiza war Dorle Wenzel einmal schwach geworden. Sie hatte ihren Traummann in einer Tanzbar getroffen. Es war Liebe auf den ersten Blick von beiden Seiten gewesen. Der Zauber des Südens hatte sie rasch in den Sog der Leidenschaft gezogen und miteinander vereint. Für den darauffolgenden Tag hatten sie sich wieder in der kleinen Bar verabredet. Doch vergeblich hatte Dorle auf den Mann ihrer Träume gewartet. Sie wusste noch nicht einmal seinen Namen. Nur den Vornamen: Frederik, und er war auch Deutscher. Sie war jedoch viel zu stolz gewesen, um nach diesem Mann zu forschen, der sie so schmählich im Stich gelassen hatte, auch nicht, als sie merkte, dass die Nacht mit ihm nicht ohne Folgen geblieben war. Wo hätte sie ihn auch suchen sollen? So hatte Dorle ihr Kind geboren und allein aufgezogen. Nach dieser großen Enttäuschung hatte sie jegliche Annäherung von Männern entschieden abgewehrt. Nur sie selbst wusste, wie oft sie an den Mann gedacht hatte, dem sie in einer einzigen Nacht ihre Liebe schenkte. Keiner der Männer, der ihr später Avancen machte, war nur im Mindesten mit ihm vergleichbar gewesen.

All das wusste Christin ansatzweise. Sie seufzte und richtete ihre Gedanken wieder auf die Zukunft. Inständig hoffte sie, dass sie eine Arbeitsstelle bekäme, wo sie anwenden konnte, was sie während ihres Studiums gelernt hatte. Würde sie zu einem Vorstellungsgespräch nach Schloss Hohenfels eingeladen werden?

*

Auf Schloss Hohenfels waren das Fürstenpaar und ihre Tochter von einem Kurzurlaub zurückgekommen. Die Fürstin hatte sich nach dem Mittagessen ein wenig niedergelegt, während der Fürst ins Arbeitszimmer ging, um die Post durchzusehen, die sich auf seinem Schreibtisch gehäuft hatte.

Prinzessin Anabell hatte es sich im Gartenpavillon gemütlich gemacht. Sie wollte sich bei dem herrlich warmen Sommerwetter nicht im Schloss verkriechen. Überhaupt mochte sie das alte Gemäuer nicht, in dem sie sich stets eingeengt fühlte. Sie liebte die Natur in ihrer Einfachheit und fühlte sich draußen frei wie ein Vogel.

Von Müdigkeit war trotz der langen Fahrt keine Spur in ihr. Sie hatte ein Buch bei sich und brannte darauf, es zu lesen. Im Urlaub war sie im kleinen Stadttheater gewesen und hatte sich mit dem Regisseur hinter der Bühne angefreundet. Der war so angetan gewesen von dem hübschen jungen Mädchen, dass er ihr ein Rollenbuch von »Romeo und Julia« geschenkt hatte. Sie würde eine besonders hübsche Julia abgeben, hatte er, mit einem prüfenden Blick auf sie gerichtet, gesagt. Und er hatte es ehrlich gemeint. Vom ersten Augenblick an hatte er bemerkt, welches Interesse Anabell am Theater hatte und dass sie gern auch einmal auf der Bühne gestanden hätte.

Ja, wie gern wäre sie Schauspielerin geworden! Sie beneidete die Leute, die hinter dem Vorhang nervös umherhuschten und aufgeregt auf ihren Auftritt warteten. Doch als sie einmal den Wunsch vor ihren Eltern geäußert hatte, diesen Beruf zu erlernen, waren sie aus allen Wolken gefallen. »Eine Prinzessin und Schauspielerin!«, hatten beide fast gleichzeitig entsetzt ausgerufen. Und nie wieder hatte Anabell diesen Wunsch ausgesprochen. Doch nachdem sie das Stück von Shakespeare auf der Bühne gesehen hatte, brannte in ihr die Sehnsucht, diesen Beruf zu erlernen, mehr denn je. Und was das Schönste war: das Stadttheater würde sich in Kürze auf Tournee begeben und mit »Romeo und Julia« sogar in dem Dorf unweit ihres Schlosses gastieren!

Und so sog Anabell an diesem Nachmittag die Lektüre förmlich in sich hinein. Verträumt starrte sie hin und wieder vor sich hin. Sie sah sich schon als Julia auf der Bühne stehen.

Anabell wusste nicht, was sie bewog, plötzlich aufzusehen. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Und tatsächlich entdeckte sie eine Frau, ungefähr vierzig Jahre alt und ziemlich ärmlich gekleidet, die vor dem hohen eisernen Eingangstor stand und mit starrem Blick zu ihr herüberschaute. Bei diesem Blick überlief Anabell ein Schauder, und sie fröstelte, trotz der wärmenden Sonnenstrahlen, die vom tiefblauen Himmel herunterfluteten. Doch sollte sie sich von ihrem Platz vertreiben lassen? Sie zwang sich zur Ruhe und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre. Als sie erneut aufschaute, war die Frau verschwunden. Anabell atmete auf. Was hatte die Fremde gewollt? Warum war sie so nahe an das Tor herangekommen? Mit welch eigenartigem Blick hatte sie zu ihr herübergeschaut! Das kann nur ein Zufall gewesen sein, versuchte sie sich gleich darauf einzureden, um ihre Ruhe wiederzufinden. Da sie sich nun ohnehin nicht mehr konzentrieren konnte, klappte sie ihr Büchlein zu und schritt dem Schloss entgegen. Aber sie konnte den müden, starren Blick dieser Frau nicht vergessen.

Der Fürst indessen hatte seine Post sortiert. Er freute sich über die vielen Bewerbungsschreiben auf seine Anzeige für eine Gesellschafterin seiner Tochter. Nun galt es für ihn, die Richtige aus dem Stapel der Bewerberinnen herauszufinden. Und weil ihm die Sache sehr am Herzen lag, begann er gleich mit dem Öffnen dieser Briefe. Doch unwillig schüttelte er immer wieder den Kopf und brummte missfallende Töne vor sich hin: Die eine Bewerberin war ihm zu alt, die andere wiederum, im passsenden Alter, pries ihre Kenntnisse so übertrieben an, dass sie kaum zu glauben waren. An jeder hatte er etwas anderes auszusetzen. Schon wollte er den Stapel Briefe übelgelaunt von sich schieben, als er einen Umschlag mit zierlich sauber geschriebenen Buchstaben entdeckte. Interessiert zog er ihn aus dem Stapel der Bewerbungsbriefe hervor und öffnete ihn.

Auch hier überraschte ihn die handgeschriebene Bewerbung mit ihrer sauberen Schrift. Und nicht nur das. Die Worte waren gut gewählt. Er schaute sich das kleine Foto genauer an, welches dem Lebenslauf der jungen Dame beigefügt war. Selbst hier konnte er keinen Makel entdecken. Irgendwie interessierte ihn dieses Foto sogar. Und er wünschte sich, die junge Frau kennenzulernen. Ihre Augen schauten ihn so offen und vertrauensvoll an, dass er meinte, sie wären ihm tatsächlich vertraut.

So beschloss er, diese junge Dame zu einem Vorstellungsgespräch aufs Schloss zu bitten. Er wählte noch zwei andere Bewerberinnen aus und schob die anderen Briefe dann weit von sich. Müde geworden, streckte er die Beine aus, und gleich darauf fielen ihm die Augen zu. Erst nach einer Stunde, als es hinter ihm diskret hüstelte, erwachte er und schaute verschlafen auf seinen Butler Wilhelm, der ihn fragte:

»Wünschen Durchlaucht vor dem Abendessen wohl noch eine Tasse Tee oder …«

»Ach, lassen Sie mal, Wilhelm. Vielen Dank. Ich erledige nur noch einige Schreiben. Dann komm’ ich gleich runter.«

»Sehr wohl, Durchlaucht.« Wilhelm verbeugte sich leicht und schritt so lautlos, wie er gekommen war, wieder zur Tür hinaus.

Der Fürst musste lächeln. Der Wilhelm vertrat noch die gute alte Schule, wie sie auf Schloss Hohenfels lange Jahre üblich gewesen war. Davon ließ er sich auch mit guten Worten nicht abbringen.

Anabell war in der Zwischenzeit zu Kati ins Zimmer gestürzt, die sie zu ihrem Glück angetroffen hatte. Denn ansonsten huschte die gute, alte Seele immer noch diensteifrig durch die Räume des Schlosses, um nach dem Rechten zu sehen.

»Du hast wirklich ein gemütliches Zimmer«, bewunderte Anabell den wohnlich eingerichteten Raum ihrer alten Kinderfrau.

Kati nickte, und ihre Augen glänzten vor Freude: »Das habe ich deinen lieben Eltern zu verdanken. Aber sag, was führt dich zu mir? Hat es dir in deinem Urlaub nicht gefallen?«

»Oh doch, sehr sogar.« Doch auf eine Beschreibung der Gegend wartete die alte Kati vergeblich. Stattdessen berichtete ihr Anabell mit glänzenden Augen von der Theateraufführung, die sie sich dort angeschaut hatte.

Kati zog die faltige Stirn kraus. Ihr war die Vorliebe Anabells zum Schauspiel bekannt, und sie bereitete sich auf einen längeren Bericht ihres Schützlings übers Theaterspielen vor. Doch dieses Mal hatte sie sich geirrt. Etwas ganz anderes beschäftigte Anabell: Immer noch fühlte sie den seltsamen Blick jener Fremden, die sie nicht vergessen konnte. Und davon berichtete die junge Prinzessin der Kati, und sie war dabei ziemlich aufgeregt.

»Vielleicht hat die Dame nur einen Spaziergang gemacht und ist zufällig vorbeigekommen. Dabei hat sie dich gesehen und war erstaunt, auf Schloss Hohenfels so ein hübsches Mädel zu finden.«

»Na ja, hübsche Mädchen gibt’s überall. Und so hübsch bin ich nun auch wieder nicht, dass man mich bewundern muss«, erklärte Anabell entschieden. »Weißt du, etwas lag in den Augen dieser Frau, das mir rätselhaft erschien. Es war nicht allein Neugier, die aus ihrem Blick sprach … Aber vielleicht hast du Recht, und ich irre mich tatsächlich«, meinte sie gleich darauf und trank einen Schluck von dem heißen Kakao, den sie so gern mochte und den ihr die Kati gleich bei ihrem Kommen zubereitet hatte. Sie konnte nicht umhin, die junge Prinzessin immer noch zu verwöhnen, obwohl es nun nicht mehr zu ihren Aufgaben gehörte.

Dann schüttelte Anabell der Getreuen, wie schon so oft, ihr Herz aus: »Stell dir vor, meine Eltern haben zu meinem achtzehnten Geburtstag auch die Meiningens eingeladen! Jahrelang hatten wir keine engeren Beziehungen zu denen gepflegt, obwohl meine Mutter und die Fürstin von Meiningen einmal Freundinnen waren. Aber ich weiß genau, warum: Der junge Prinz Meiningen soll mich dabei kennenlernen und ich ihn. Und wenn ich ihm gefalle, na, du weißt schon. Dann soll er mich heiraten. Aber das können sie sich gleich abschminken. Ich such mir meinen Mann selber aus.«