Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien - Schmidt, Otto Ernst - kostenlos E-Book

Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien E-Book

Schmidt, Otto Ernst

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The Project Gutenberg EBook of Das Glück ist immer da!, by Otto ErnstThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org/licenseTitle: Das Glück ist immer da!       Heitere Geschichten und PlaudereienAuthor: Otto ErnstRelease Date: October 24, 2015 [EBook #50293]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS GLÜCK IST IMMER DA! ***Produced by Peter Becker and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.

Das Inhaltsverzeichnis befindet sich am Ende des Buches.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Endes des Buches.

Das Glück ist immer da!

Ullstein-Bücher

Eine Sammlung zeitgenössischer Romane

Ullstein & Co / Berlin und Wien

Das Glück ist immer da!

Heitere Geschichten und Plaudereien von

Otto Ernst

Ullstein & Co / Berlin und Wien

Die Marienbader Kur

Meine Freunde haben es verschuldet. Sie haben mich so lange gereizt. »Eduard, du wirst zu stark, Eduard!« sagten sie täglich zu mir; die Gefühlloseren sagten: »zu dick«, die Gemütsrohen: »zu fett«. Ich leugnete das energisch; aber sie mußten sich heimlich verschworen haben; denn sie sagten es alle. »Ein gewisses Embonpoint ist bei mir hereditär, habituell, gehört sozusagen zu meiner Konstitution,« bemerkte ich. Dergleichen drückt sich immer am besten in Fremdwörtern aus. Ein rüdes Gelächter antwortete mir. »Deshalb«, fuhr ich fort, »verschlagen auch Entfettungskuren bei mir nicht das geringste.« »Ja, weil du sie nicht konsequent durchführst!« johlte die Masse in vulgärer Einstimmigkeit. »Ich – nicht durchführen?« versetzte ich mit meiner überlegenen Ironie, »nun – das werde ich euch beweisen!« Und so ging ich nach Marienbad.

»Sie gehen nach Marienbad?« fragte mich ein wohlbeleibter Eisenbahngefährte. »Ei, da sind Sie zu beneiden! Marienbad ist entzückend! Und schlemmen kann man da, schlemmen –!«

Ich bemerkte dem Manne mit einem sittlichen Ernste, der – ich fühlte es – mir gut stehen mußte, daß ich nicht zu schlemmen gedächte, sondern mich einer sehr ernsten Magerkur zu unterziehen beabsichtigte.

»Ach so, Sie wollen fasten!« rief er überrascht. »Na ja – kann man da auch,« fügte er nachlässig hinzu. »Dazu gehört allerdings ein starker Wille.«

»An dem soll es nicht fehlen,« preßte ich durch die aufeinandergebissenen Zähne.

Er maß mich von oben bis unten und dann von links nach rechts und sagte nichts, der unhöfliche Mensch.

Vor dem Diner im Speisewagen sagte ich mir logischerweise, daß es erst dann einen Sinn habe, mit der Kur zu beginnen, wenn alle Bedingungen dieser Kur gegeben seien, daß systemlose Halbheiten in solchem Falle sogar recht gefährlich werden können. Andrerseits war mir wohlbekannt, daß bei solchen Kuren ein möglichst großer Gegensatz zwischen heut und morgen nur zu empfehlen ist, weil nämlich der Körper auf solche schroffen Uebergänge mit einer beträchtlichen Gewichtsabnahme reagiert. Das Diner setzte sich für dieses Prinzip sehr günstig zusammen; es bestand aus Bouillon mit Klößen, Lachs mit Mayonnaise, Mastochsenbraten mit Makkaroni, Plumpudding und Butter und Käse. Um den Choc, den der Körper morgen erhalten sollte, zu verstärken, nahm ich dazu eine Flasche Bier, eine halbe Flasche Clicquot und zum Kaffee einen Benediktiner. Danach legte ich mich in meinem Abteil schlafen.

In Marienbad angelangt, begann ich meine Kur auf dem Bahnhofe. Zwar meinen Hauptkoffer überwies ich einem Träger; als dieser aber auch den nicht unbeträchtlichen Nebenkoffer an sich nehmen wollte, sagte ich triumphierend: »Nein, lieber Freund, jetzt wird selbst getragen,« nahm meinen Koffer und schritt hinaus. Die Fiaker vor dem Bahnhof machten mir ihre komfortabelsten Gesichter, nannten mich »Herr Baron« und, als mir das nicht zu genügen schien, »Herr Graf«; ich aber versetzte ohne allen Adelsstolz: »Nein, meine Herren, jetzt wird gegangen!«

Wenn ich einmal eine Sache angreife, so tu' ich's mit Energie.

Wenn ich gewußt hätte, daß der Bahnhof so weit vom Orte entfernt liege und daß meine Wohnung dann auch noch ganz am entgegengesetzten, nördlichsten Ende der Stadt gelegen sei und daß der Weg dahin nicht allzu sanft ansteige, so hätte ich vielleicht doch meinen Koffer dem Träger übergeben und wäre gefahren. Aber während ich schwitzte, erhob mich doch das Wonnegefühl: »Wenigstens fünf Pfund schaffst du dir durch diesen Leidensweg vom Leibe. Wenn du das drei- bis viermal gemacht hast, bist du dein Uebergewicht los. Allerdings« – dieser Gedanke erleuchtete mich blitzartig – »das hättest du auch zu Hause haben können.«

Meine Wohnung lag im dritten Stock. Für die Zumutung, den Fahrstuhl zu benutzen, hatte ich nur eine kurze, abweisende Handbewegung. Das Zimmer kostete wöchentlich fünfzig Kronen einschließlich Tag- und Nachtgeschirr. Alles andere mußte extra bezahlt werden.

Sobald ich mich einigermaßen eingerichtet und umgekleidet hatte, eilte ich, mich wägen zu lassen. Ich fühlte mich so leicht nach meiner Kofferträgerarbeit!

In Marienbad hat jedes zweite Haus eine allein richtige Wage. Man setzt sich in einen bequemen Stuhl und läßt seine Schwerkraft walten; dann zeigt die Wage nicht nur das Gewicht an, sie druckt es auch gleich auf einen kleinen Zettel. Da stand: 94,8 Kilo.

»Sie sind wohl –!« rief ich unwillkürlich aus. Das Wort »verrückt« verschluckte ich ebenso unwillkürlich wegen der Gerichtskosten.

Der Mann beteuerte, daß sein Apparat vollkommen tadellos funktioniere. Ich warf meine zwanzig Heller auf den Ladentisch, ließ den Zettel liegen und ging, Verachtung in den Zügen, hinaus.

Zwanzig Schritte weiter trat ich in ein anderes Haus mit allein richtiger Wage. Der Zettel erschien und zeigte: 95 Kilo. Diesmal versah eine Dame das Wägeamt; ich konnte also nicht 'mal »Sie sind wohl –!« rufen.

Langsam und sinnend schob ich den Zettel in die Westentasche und verließ das Lokal. Mir war's, als hätte ich Blei in den Gliedern.

Draußen kam mir die Erleuchtung. Ah, dacht' ich, die haben dir den Neuling angesehen. Das sind Wagen für Ankömmlinge! Jetzt wirst du schlau sein. Mit elastischen Schritten betrat ich ein drittes Lokal und rief: »So! Zum Abschied möcht' ich nun noch einmal gewogen sein!« Diesmal verzeichnete der Zettel: 95,1 Kilo.

»Noch mehr! Es hängt Gewicht sich an Gewicht,Und ihre Masse zieht mich schwer hinab.«

Erdrückt von der Wucht meiner Persönlichkeit, schlich ich zum Arzt. Er behauptete, ich müsse morgens sechs Uhr aufstehen, zum Kreuzbrunnen gehen, dort drei Glas Brunnen mit Zusatz eines gewissen Salzes trinken, dann anderthalb Stunden spazieren gehen, danach dürfe ich frühstücken. Der Mann hatte eine merkwürdige Ausdrucksweise; unter »frühstücken« verstand er: eine Tasse Tee, ein Ei und einen Zwieback nehmen. »Ohne Butter!« rief der Herr Doktor begeistert. Mittags dürfe ich dann eine Fleischspeise, ein Gemüse, ein Kompott und eine halbe Flasche Biliner Wasser genießen. Und abends könne ich mir eine Fleischspeise, ein Gemüse oder ein Kompott und, wenn es sein müsse, ein Krügel Pilsner gestatten. Für diese Beköstigung müsse ich aber fünf bis sechs Stunden täglich marschieren. Ich versicherte dem Arzte, diesen Vorschriften nachzukommen, sei für einen Menschen von Willenskraft ein reines Kinderspiel, und vollends für mich, der ich von jeher mäßig zu leben gewohnt sei.

Morgen, gleich morgen, solle ich mit der Kur beginnen, hatte der Arzt befohlen. Dieser Abend war also noch mein. Ich traf in der Kaiserstraße einen alten Freund, der mir ein Lokal bezeichnete, in dem er jeden Abend mit einigen vergnügten Leuten zusammentreffe und wo es ein vorzügliches Pilsner Bier gebe. »Pilsner Bier hat nämlich eine mild laxierende Wirkung,« erklärte er mir. Und in der Tat: Pilsner Bier hatte mir ja sogar mein Arzt gestattet. Außerdem wäre es mir als unnötige Schroffheit erschienen, die Einladung dieses lieben Menschen abzulehnen; ich ging also mit und trank einige Krügel. Ich fühlte wirklich, wie mir immer leichter wurde, und wie auf Flügeln schwebte ich um Mitternacht nach Hause.

Um sechs Uhr war ich auf den Beinen, um halb sieben am Brunnen. In langer Prozession wallten die Kurgäste, jeder ein Glas in der Hand, zur Quelle. Wo eine Lücke war, wollte ich mich anspruchslos und unauffällig dem Ganzen einfügen; aber sofort bedeutete mir ein Aufseher, daß ich mich ganz am Ende anschließen müsse. Nach zehn Minuten kam ich zur Quelle und erblickte dort ein merkwürdiges Naturspiel: einen Mann, der fortwährend pumpte und dabei untertänig grüßte. Die Leute, die pumpen, grüßen sonst ganz anders. Ich erhielt mein wohlgefülltes Glas, schüttete das vorgeschriebene Salz hinein und setzte es an den Mund. Mit ungeheurer Spannung kostete ich dies Getränk. Es schmeckte wie Niedertracht mit Gemeinheit. Es ist mir immer Grundsatz gewesen, widrige Dinge, die geschluckt werden müssen, mit zugedrückten Augen und mit einem Schluck und Druck hinunterzusetzen. Aber das war hier verboten. Zehn Minuten lang solle ich an dem Becher trinken, hatte der Arzt befohlen. In solchen zehn Minuten büßt man vieles ab. Freilich macht eine recht gute Kurkapelle Musik dazu. Aber es ist nicht das Richtige, wenn man Mozarts Champagnerlied mit auf die Weste herabhängenden Mundwinkeln anhört; es ergibt eine falsche Auffassung, wenn man sich bei dem Seufzer

»O–o–o De–li–la!«

nach dem Bauche greift. Nach dem ersten Glase trank ich ein zweites und ein drittes. Sehr sinnig schließt das Konzertprogramm regelmäßig mit einem Galopp.

Dann kam der anderthalbstündige Spaziergang in die allerdings höchst anmutige und erfrischende, berg- und waldgeschmückte Umgebung Marienbads. Der Reiz der unbekannten Landschaft ließ mich die materiellen Dinge dieser Welt vergessen, bis ich durch ein nahes Gebüsch das Geklapper von Tassen und Teelöffeln vernahm. Die Umgebung von Marienbad ist mit verführerischen Cafés geschwängert; »freudig hingezogen« trat ich ein und bestellte mein Frühstück. Auch hier wurde Musik gemacht, aber nicht zur Milderung, sondern zur Verschärfung der Kur. Nach einer äußerst regellosen Carmen-Phantasie wollte ich gerade mein Ei und meinen Zwieback genießen, als ich inne ward, daß ich sie schon verzehrt hätte. Mit männlicher Entschiedenheit sprang ich auf und wanderte meiner Wohnung zu, um ein wenig zu ruhen, ein wenig an meinem Trauerspiel »Ugolino« zu arbeiten und mich auf das kohlensaure Bad mit kalter Abwaschung und Massage vorzubereiten.

Beim Mittagessen saß mir gegenüber ein Mann, der jedes Mitgefühls bar ein Menü von sechs Gängen aß. Um mich zu kasteien, las ich das ganze Menü durch, einem Athleten gleich, der, mit Kopf und Füßen auf zwei Stühlen liegend, sich immer neue Zentnergewichte auf die Brust legt. Ueber dem Menü stand geschrieben:

»Ohne weitere Auswahl!!!!!!!«

Mit sieben Ausrufungszeichen; ich habe sie gezählt.

»Kann ich für den Kalbsbraten auch was andres haben?« fragte mein Gegenüber.

»Aber natierlich!« versetzte der Kellner.

Da fragte ich mich: Wieviele Ausrufungszeichen macht man in diesem Lande hinter einem Gesetz, das wirklich unumstößlich ist?

Den ausfallenden Mittagsschlaf mußte ich nach Anordnung des Arztes durch eine vierstündige Fußwanderung ersetzen. Sie durfte unterbrochen werden durch eine Tasse Tee. »Mit einem Zwieback,« hatte der Arzt in einer Anwandlung von Schwäche hinzugefügt.

Ich wanderte viereinhalb Stunden, trank ein Glas Kreuzbrunnen und genoß zu Abend eine Fleischspeise, ein Gemüse oder Kompott und ein Krügel Pilsner. Gehorsam ist des Christen Schmuck.

Ein unvergleichlicher Trost in solchen Zeiten der Depression ist eine gute Hamburger oder Bremer Zigarre. Leider hatte ich mir nur einen winzigen Vorrat mitnehmen können, weil Zigarren an der österreichischen Grenze einen ungeheuren Zoll kosten.

Wie ein artiges Kind schlüpfte ich gegen zehn Uhr ins Bett, und diese Lebensweise setzte ich fünf Tage lang ohne nennenswerte Schwankungen fort. Nur hatte ich mir am dritten Tage beim Frühstück gesagt: »Die paar Tropfen Sahne, die zum Tee serviert werden, könntest du eigentlich mitnehmen. Zwar: Sahne macht fett. Aber ich erinnere mich vollkommen deutlich, daß der Arzt nicht gesagt hat: »ohne Sahne«. Der Mann war sehr genau in seinen Vorschriften; hätte er die Sahne verbieten wollen, so hätte er es zweifellos getan. Er hat sie also erlaubt, und da ich mich strengstens nach seinen Vorschriften richten will, so muß ich sie eigentlich nehmen. Es ist zwar nur ein Fingerhütchen voll; aber es ist etwas mehr.« Seit diesem Tage nahm ich Sahne zum Tee.

Als fünf Tage herum waren, sollte wieder gewogen werden. Ich habe in meinem Leben verschiedene Examina durchgemacht; aber mit so feierlicher Spannung, mit so freudig-banger Erregung bin ich keiner Prüfung entgegengegangen wie dieser. Ich schwankte lange, welcher Wage ich mich anvertrauen solle; endlich trat ich in einen Laden, legte Hut, Ueberzieher, Handschuhe, Gummigaloschen, Portemonnaie, Taschenmesser, Uhr und Schlüsselbund ab und bestieg den Schicksalsstuhl.

»92 Kilo,« sagte die wägende Themis.

»Den Zettel!« stotterte ich.

Da stand es schwarz auf weiß: »92 Kilo!« Also ein Gewichtsverlust von 3,1 Kilo, von 6⅕ Pfund, von 3100 Gramm! Die Tugend hatte ihren Lohn gefunden; Geist und Wille hatten über die Erdenschwere gesiegt! »Hurra!« flüsterte ich auf der Straße vor mich hin. »Hurra! Darauf kann ein vergnügter Abend stehen!«

Ich suchte meinen Freund auf und das famose Pilsner-Lokal. Ich konnte mein Glück nicht für mich behalten; ich mußte mich mitteilen, und noch eh' ich Hut und Mantel abgelegt hatte, rief ich: »Sechs Pfund! Sechs Pfund verloren! Der ehrliche Finder soll sie behalten! Wie steh' ich nun da?«

»Was?« schrie mein Freund. »Sechs Pfund in fünf Tagen? Menschenskind, sind Sie denn des Deubels? Wissen Sie auch, daß Sie sich dabei den schönsten Herzklaps holen können?«

Ich erschrak und griff unwillkürlich nach der Speisenkarte. Mein Auge fiel auf: Filetbraten mit Makkaroni. Und mir ward, als spräche der Herr: »Es sammle sich alles Wasser unter dem Himmel,« und mein Mund wäre der Sammelplatz. »Donnerwetter,« stöhnte ich, »Makkaroni ess' ich so gern; aber sie setzen Fett.«

»Nanu?« machte mein Freund, »Makkaroni? Sie sind doch in Italien gewesen. Wo sieht man schlankere, sehnigere Gestalten als in Italien? Und das lebt den ganzen Tag von Polenta und Makkaroni.«

Ich muß gestehen: ich hatte einen Augenblick den Argwohn, daß mein Freund mich verführen wolle; aber ich schämte mich sofort dieser häßlichen Regung und bestellte mir Filetbraten mit Makkaroni und reichlichem Käse.

Als ich schwankte, ob ich mir ein drittes Glas Pilsner bestellen dürfe, fragte mich mein Freund:

»Wieviel hat Ihnen denn Ihr Arzt erlaubt?«

»Einen Krug,« versetzte ich.

»Macht vier,« sagte er.

»Wieso?«

»Nun, wenn er Ihnen einen gestattet, so nimmt er an, daß Sie zwei trinken; ein guter Arzt gestattet seinem Patienten aber nur dann zwei Krüge Bier, wenn er weiß, daß ihm auch viere nicht schaden.«

»Ja, ein guter Arzt ist er,« rief ich, »er hat auf mich den Eindruck eines sehr intelligenten und gewissenhaften Mannes gemacht.«

»Na also!« rief mein Freund, und ich bestellte zunächst das dritte Glas. –

Am nächsten Morgen erschien ich erst um halb neun am Brunnen, weil ich erst um acht Uhr aufgestanden war. Der Morgenspaziergang fiel daher aus; das Gefühl der Sättigung aber, das mich noch vom Abend vorher erfüllte, kam dem Fortgang meines »Ugolino« glänzend zustatten. Die Zeilen flogen nur so aufs Papier.

Das Hochgefühl gelungener Arbeit regt wohl bei allen Menschen den Appetit an. Mein diesmaliges Gegenüber am Mittagstisch verzehrte ein Riesenstück von einem Karpfen auf böhmische Art. Ich fragte den Kellner, ob noch ein so gutes Stück da sei, und als er es bejahte, bestellte ich es. Im übrigen aber hielt ich mich streng an die Vorschrift und aß nur noch eine Fleischspeise, ein Gemüse und ein Kompott nebst Brot. Ebenso blieb ich am Abend streng bei meiner Diät, und wenn ich mir darüber hinaus eine Portion Palatschinken bewilligte, so wird nur der etwas darin finden, der diese Speise nicht kennt. Palatschinken sind ganz dünne Pfannkuchen, die mit Kompott oder Fruchtgelee bestrichen und dann aufgerollt werden. Wenn ich den Erfinder dieses Gebäcks kennte, so würde ich ihm ein Denkmal errichten, und wie man Gelehrte, Dichter und Staatsmänner auf ihren Monumenten wohl mit einer Pergamentrolle darstellt, so würde ich ihm einen Palatschinken in die Hand geben. Außerdem muß man wissen, wie solche Sachen in Oesterreich bereitet werden. Ich lobe die österreichischen Mehlspeisen (die man dort merkwürdigerweise »Müllspeisen« nennt) grundsätzlich, weil, wer das unterläßt, beim nächsten Wiederbetreten des Landes als lästiger Ausländer ausgewiesen wird; aber ich lobe sie auch aus innerster Ueberzeugung. Sie werden selbst von den Hamburger Köchen nicht erreicht – sapienti sat.

So lebte ich abermals fünf Tage in Fasten und Kasteiungen dahin, mir nur hin und wieder einen kleinen Seitensprung gestattend, um das allzu schnelle Entfettungstempo wohltätig zu verlangsamen. Der »Herzkollaps« stand mir als warnendes Gespenst vor Augen. Dabei war ich so intensiv mit meiner Arbeit beschäftigt, daß ich mir beim Frühstück aus reiner Zerstreutheit zwei Eier oder Butter oder Schinken, einmal sogar alles zugleich kommen ließ und in Gedanken verzehrte. Am zehnten Tage schritt ich fröhlich zur Wage. Nach meinem Spiegelbilde und meinem Allgemeingefühl schätzte ich meine Gewichtsabnahme auf drei Pfund. Das Resultat lautete: »94,5 Kilo.«

»Sie müssen sich irren!« rief ich.

»Bitt' schön, schauen der Herr selbst nach,« sagte der Mann und gab mir den Zettel.

»Dann ist Ihre Wage nicht richtig!«

»Bitt' schön, das ist die genaueste Wage in ganz Marienbad.«

Gewogen und zu schwer befunden, ein umgekehrter Belsazar, verließ ich wankend das Haus. Ich ging in eine Buchhandlung und kaufte mir das Heft: »Wie werde ich energisch?« und begann meine Kur von vorn.

Ich trank Brunnen, daß ich zeitweilig an der fixen Idee litt, ich sei ein Rohr der städtischen Wasserleitung; ich knabberte morgens meinen einsamen Zwieback und scherzte dazu blutenden Herzens mit der appetitlichen Kellnerin, »ich kroch durch alle Krümmen des Gebirgs«, die in der Umgegend Marienbads aufzufinden sind, »den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch, die in den Runsen schäumend niederquillt,« und schwitzte, oder, wie der Gebildete sagt: transpirierte, daß man die disjecta membra poetae in der ganzen Gemarkung hätte zusammenlesen können. Beim Mittagessen saß ich mit niedergeschlagenen Augen wie eine züchtige Pastorentochter, um die andern nicht essen zu sehen; denn, weiß der Teufel, obwohl ich jeden Tag anderswo saß, immer hatte ich zum Gegenüber einen Schlemmer und Fresser, der einen Rekord brechen zu wollen schien. Eine Tochter, die mir in diesen Tagen schrieb, daß man zu Hause eine »großartige« Aalsuppe mit Schwemmklößen gegessen habe, verstieß ich auf telegraphischem Wege. Mein »Ugolino« rückte natürlich nicht von der Stelle. Meinem »Freunde« wich ich, wenn ich ihn von weitem sah, in größtmöglichem Bogen aus. Ja, dieser »Freund«, er konnte lachen; er war ein »hagerer Wollüstling« wie Calcagno, »Bildung gefällig und unternehmend«; er konnte machen, was er wollte, er war und blieb geschmeidig wie ein Rapier. Man klagt ein langes und breites über die ungleiche Verteilung des Besitzes, über die ungleiche Verteilung der Geistesgaben, über die ungleiche Verteilung von Schönheit und Körperkraft; aber gibt es eine schreiendere Ungerechtigkeit, als daß Menschen jahraus, jahrein Diners von fünfzehn Gängen mit zugehörigen Weinen und Likören vertilgen, ohne auch nur um die Dicke eines Lindenblättchens zuzunehmen? Muß einen nicht ein darmzerfressender Neid durchwühlen, wenn man das ansieht und um jeden elenden Kartoffelschmarrn ein Pfund schwerer wird?

Das Traurigste in diesen dunklen Tagen war, daß meine heimischen Zigarren alle geworden waren. In Oesterreich werden die Zigarren von der Regierung gedreht. Sie werden aus einem tabakähnlichen Stoffe verfertigt (ich halte es für eine Art Baumwolle), sind nicht billig, brennen aber vorzüglich und riechen nicht. Man kann sie Säuglingen geben, die die Muttermilch nicht vertragen. Der österreichische Patriot pflegt seine Zigarren zu verteidigen, indem er sagt: »Ja freilich, unsere Zigarren taugen nichts; aber das ist das Gute am Monopol: man kriegt sie in der ganzen Monarchie, auch im kleinsten Dorf, in der nämlichen Qualität!« Uebrigens stimmt das nicht einmal; denn in den kleinen Spezereigeschäften auf den Dörfern werden sie gewöhnlich zwischen Petroleum und Chlorkalk aufbewahrt, und dann riechen sie. Freilich halten sie auch dann keinen Vergleich aus mit den italienischen Zigarren. Aus einer Zigarre in Venedig roch ich einmal Seife, Zimt, Gorgonzola, Buchdruckerschwärze, ranziges Oel, Rhabarbertropfen, Kaffee und muffig gewordene Spaghetti heraus. An der Schweizer Grenze fragte mich ein Zollbeamter, ob ich auch italienische Zigarren im Koffer hätte. »Herr!« rief ich außer mir. »Wie kommen Sie dazu, mir Perversitäten zuzumuten?!«

Warum ich mir keine Zigarren von Deutschland hereingeschmuggelt hatte? Ich halte mich nicht für berechtigt, einen Staat, mit dem wir einen Dreibund geschlossen haben, in seinen Finanzen zu schwächen. Offen gestanden, hatt' ich's auch vergessen.

An einem dieser Tage, von denen schon die Koheleth sehr richtig bemerkt, daß sie uns nicht gefallen, stand ich gedankenvoll vor dem Stadt- und Posthause, noch beschäftigt mit einem Brief, in dem mir Weib und Kinder ihre Verlassenheit klagten. Wie gern wäre ich zu ihnen geeilt, wenn nicht Pflichten gegen das schnöde Fleisch mich an diesen Marterort gebannt hätten. Da fiel eine Hand auf meine Schulter, und neben mir stand mein Freund Calcagno.

»Famos, daß ich Sie treffe!« rief er, »gerade wollt' ich Ihnen schreiben. Also morgen um drei Uhr kommen ein paar nette Kerle zu mir zu einem einfachen Mittagessen. Tun Sie mir die Liebe, mit von der Partie zu sein!«

Ich kannte seine »einfachen Mittagessen«; Lucullus war Kasernenküche dagegen. Ich lehnte ab unter Hinweis auf meine Kur.

»Aber, Teuerster, Ihre Kur soll nicht das geringste darunter leiden! Lauter leichte Sachen! Schließlich brauchen Sie ja nur zu essen, was sich mit Ihrer Kur verträgt! Und wenn Sie nicht wollen, essen Sie gar nichts! Wenn Sie nur dabei sind!«

Ich bemerkte noch einmal mit vor Entschlossenheit bebender Stimme, daß ich fest bleiben müsse.

»Aber jeder vernünftige Arzt gestattet doch Ausnahmetage; er schreibt sie sogar vor. ›Meide die Gewohnheit,‹ sagt Schweninger, ein Mann, der Bismarck entfettete! Wenn Sie sich an diese Lebensweise gewöhnen, werden Sie dick statt mager. Es ist eine bekannte Beobachtung, daß Sträflinge sogar bei der Zuchthausmenage fett werden –«

»Sie haben recht!« rief ich im frohen Gefühl, eine neue Wahrheit gefunden zu haben. »Ich komme; ich komme bestimmt!«

»Na bravo! Das ist ein Manneswort. Sie werden sehen, es wird nett!«

O, ob es nett wurde! Es gab Kaviar, getrüffelte Gänseleber, Brüsseler Poularde, Langusten, Zungenragout, Sorbet usw. usw. Dazu 68er Stefansberg, 93er Hattenheimer Bildstock, 69er Lafitte Schloß-Abzug, 47er Yquem, ganz alten Heidsieck; kurz: Weine von einem unglaublichen Innenleben und von einem Alter, daß man bei jedem Glase unwillkürlich nach dem Kopfe griff, um ehrerbietig den Hut abzunehmen. Und zu jedem Gericht und jedem Wein gab der Wirt nicht ohne Scharfsinn eine überzeugende Erklärung, warum und inwiefern sie kurgemäß wären. Von dem alten Heidsieck zu trinken, verbot mir gleichwohl meine Selbstzucht.

»Auf Sekt will ich denn doch lieber verzichten,« erklärte ich und hielt die Hand übers Glas.

»Warum denn gerade auf Sekt?« rief Calcagno mit grenzenlosem Erstaunen. »Alle Rennpferde kriegen Sekt! Haben Sie schon einmal ein korpulentes Rennpferd gesehen?«

Für streng logische Schlüsse habe ich immer eine Schwäche besessen; ich zog meine Hand zurück. – –

Andern Mittags, als ich aufgestanden war, schlenderte ich über die Kreuzbrunnenpromenade und entdeckte dort eine automatische Wage mit der Ueberschrift: »Wieviel wiegen Sie?« Ich fand diese Frage zwar etwas dummdreist; aber ich konnte ihr doch nicht widerstehen, stieg auf, steckte 20 Heller in den Schlitz und konstatierte 94 Kilo.

Also das war nun der ganze Erfolg nach drei Wochen des Darbens, Kurierens und Kasteiens! Ein ganzes Kilogramm!

Halt – an dem Automaten befand sich auch eine Tabelle, nach der man genau feststellen konnte, wieviel man wiegen dürfe. Ich fand, daß meiner Körperlänge ein Gewicht von 65 Kilo angemessen wäre. Also hätte ich 30 Kilo zu viel, und sie zu beseitigen, forderte 90 Wochen Marienbad! Es war doch geradezu lächerlich, solch einen Ort für Entfettungskuren zu empfehlen!

Ebenso lächerlich war übrigens diese Tabelle. Als ob man so rein mechanistisch die Leibesstärke eines Menschen vorschreiben könnte, als ob sie nicht individuelle Bestimmung wäre wie meine Augen, meine Stimme, meine Hand, mein Temperament! Ich ging die Reihe meiner Ahnen durch bis ins 15. Jahrhundert – soweit ich sie kannte, waren sie meistens oder doch großenteils wohlbeleibt gewesen. Es war also meine Bestimmung, dick zu sein. Was wußten die Aerzte von meiner Bestimmung! Gewiß war es vernünftig und geraten, einem Uebermaß vorzubeugen. Das wollt' ich ja auch, tat ich ja auch! Aber wie weit man gehen darf, das kann kein Automat und kein Arzt bestimmen; das muß man selbst fühlen. Ein vernünftiger und leidlich gebildeter Mensch soll sein eigener Arzt sein.

Danach beschloß ich nun zu handeln, und da gerade mein Geburtstag war, aß ich ein Gericht Knödel, wie ich sie so sehr liebe. Ich wußte wohl, daß ich nach diesen Knödeln wieder Gewissensbisse fühlen würde; aber Gewissensbisse machen mager, und so wurde die gewünschte Wirkung auf einem Umwege doch erzielt.

Hartnäckig wie ich in der Verfolgung eines einmal gesteckten Zieles bin, setzte ich bis zum Ende meines Aufenthalts meine Kur ohne Unterbrechung fort. Daß ich mich für das Diner meines Freundes revanchierte, ist selbstverständlich. Ich konnte mich unmöglich einladen lassen, ohne wieder einzuladen. Um Exzessen vorzubeugen, gab ich indessen kein Diner, sondern nur ein Frühstück; daß meine Gäste erst nach Mitternacht aufbrachen, ist nicht meine Schuld; ich konnte sie doch nicht fortschicken.

So hatte sich denn unter den Mitgliedern dieses Kreises ein höchst erfreuliches Verhältnis herausgebildet, und dieses harmonische Einvernehmen fand in einem Abschiedsessen, das die Herren mir am Abend vor meiner Abreise gaben, seinen natürlichen Ausdruck. Die Herren überhäuften mich mit Aufmerksamkeiten jeglicher Art; sie hatten ein Menü zusammengestellt, das ausschließlich aus meinen Lieblingsspeisen bestand, und wollten es sich nicht nehmen lassen, mich von der Festtafel direkt an den Zug zu begleiten. Ich nahm dies Anerbieten mit Vergnügen an, ließ mich aber selbstverständlich durch allen Jubel und Trubel in meinem Pflichtgefühl nicht beirren. Unter dem Vorwande, daß ich mir noch Handschuhe kaufen müsse, trat ich auf dem Wege zum Bahnhof in ein Handschuhgeschäft mit allein richtiger Personenwage. Ich legte alles ab: Hut, Mantel, Taschenmesser usw., nur nicht das Portemonnaie – es war von keinem Belang mehr – setzte mich in den Stuhl und machte mich so leicht wie möglich.

»95,3 Kilo!«

Das »weitbeschreyte« altberühmte Marienbad hatte mir also nicht nur nichts geholfen; es hatte mir zu meiner Fülle noch 200–300 Gramm hinzugebürdet. Und auf diesen Schwindel war selbst ein Goethe hineingefallen!

Daheim schilderte ich meinen Freunden bis ins Einzelne hinein die Marienbader Kur und ihre Vorschriften.

»Und das hast du vier Wochen lang befolgt?« riefen sie wie aus einem Munde.

»Im großen und ganzen – und im wesentlichen ja!« versetzte ich mit einer großen und runden Armbewegung.

Warum die Kerle sich in die Rippen stießen und mein bester, treuester Freund sogar laut herausprustete, ist mir noch heute ein Rätsel.

Die Ziege

Die Sache begann sehr harmlos. Als ich vor Jahren einmal mit Roswithen spazieren ging, fragte sie mich: »Vater, magst du gern Ziegen leiden?«

Ich kann eigentlich nicht behaupten, daß ich die Reize der Ziegen überwältigend finde; es sind ja auch nicht gerade die schönsten und liebenswürdigsten Damen, die man als Ziegen bezeichnet. Ich antwortete also langsam, gedehnt und ohne jeden Schwung:

»Nun jaaa – hm, – wie man's nimmt – warum nicht?«

»Ich schrecklich gern!« seufzte Roswitha. »So kleine junge Ziegen find' ich reizend!«

Ja, wenn sie noch klein sind, sind sogar die Menschen reizend. Dachte ich, sagte ich natürlich nicht.

Damit schien dieses Thema erschöpft.

Wir hatten damals nur einen recht kleinen Garten, in dem freilich ein paar alte mächtige Bäume standen, eben deshalb aber Gras und Kräuter nur kümmerlich gediehen.

Nach Monaten spazierten wir durch einen wunderschönen, riesengroßen Park, einen Park, dessen sich der reichste König nicht zu schämen brauchte, einen Park wie ein kleines Fürstentum, mit Hügeln und Tälern, Teichen und Tempeln, Rosenlauben und Wiesen.

»Vater,« fragte Roswitha, »wenn der Mann, dem dieser Park zugehört, dir ihn abverkaufen wollte – kauftest du ihn denn?«

»Nein,« versetzte ich mit großer Klarheit. Ich wußte wohl, warum.

»Aber wenn er ihn dir schenken wollte – nähmst du ihn denn?«

»Ja,« versetzte ich mit erhöhter Klarheit. Falsche Scham schien mir hier nicht am Platze.

»Ich auch!« rief Roswitha triumphierend. »Und weißt, was ich denn täte?«

»Hm?«

»Denn kaufte ich mir 'ne süße kleine Ziege, und die ließ' ich auf der Wiese grasen. Denn hat sie doch genug zu essen, nicht?«

»Ich denke doch.«

Wir wurden durch den Schrei eines radschlagenden Pfauen abgelenkt, und ich machte keine Anstrengungen, das verlassene Thema wieder aufzunehmen. Und Roswitha schien zu fühlen: Für heute ist es genug. Man soll nichts forcieren.