Das Heilige in allen Dingen - Richard Rohr - E-Book

Das Heilige in allen Dingen E-Book

Richard Rohr

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Beschreibung

Das neue Buch vom Bestsellerautor und großen spirituellen Lehrer Richard Rohr

In seinem Buch »Alles trägt den einen Namen« erschließt Richard Rohr die Grundlagen eines Glaubens, der die Wirklichkeit und das Wirken Gottes in allen Dingen findet. Wie dieser Glaube zu einer aktiven, Leben fördernden Praxis wird, zeigt er zusammen mit Patrick Boland in diesem Werk.

Es bietet 40 Übungen, die sich auf Gedanken und Ideen aus »Alles trägt den einen Namen« beziehen und zeigen, wie der gedachte Glaube zu eine erfahrenen Lebenswirklichkeit werden kann.

Ein Buch für ein Leben, das das Göttliche in allen Dingen findet und erfährt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 199

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In seinem Buch »Alles trägt den einen Namen« erschließt Richard Rohr die Grundlagen eines Glaubens, der die Wirklichkeit und das Wirken Gottes in allen Dingen findet.

Wie dieser Glaube zu einer aktiven Praxis wird, zeigt er zusammen mit Patrick Boland in diesem Werk.

Es bietet 40 Übungen, die sich auf Gedanken und Ideen aus »Alles trägt den einen Namen« beziehen und zeigen, wie der Glaube im Wortsinn »verkörpert« und zu einer lebensfördernden Haltung im Alltag werden kann.

Ein Buch für ein Leben, das das Heilige in allen Dingen findet. Eine Einführung in eine gelebte Mystik des Alltags.

Richard Rohr

ist Franziskanerpater, international bekannter Redner und Exerzitienmeister, Gründer des »Center for Action and Contemplation«/New Mexiko. Der Bestseller-Autor gilt als eine der zentralen Erneuerungsfiguren einer zeitgemäßen christlichen Spiritualität. Er ist bekannt für seine Initiationsseminare und -rituale für Männer, für die er regelmäßig auch Europa und den deutschsprachigen Raum bereist.

Patrick Boland

ist Psychotherapeut mit theologischen und pädagogischen Zusatzausbildungen. Er coacht Führungskräfte zu den Themenschwerpunkten Teamdynamik und integrale Spiritualität. Er ist Exerzitienleiter und Referent im »Center for Action and Contemplation«, wo er an einer Reihe von Projekten mit Richard Rohr direkt zusammenarbeitet. Patrick Boland lebt in der Nähe von Dublin, Irland.

Richard Rohr

Patrick Boland

Dem universalen Christus begegnen

40 Übungen

Aus dem amerikanischen Englisch von Bernardin Schellenberger

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Titel der Originalausgabe:

Everything is Sacred: 40 Practices and Reflections on the Universal Christ

© Richard Rohr / Patrick Boland 2020

Die deutschsprachige Übersetzung wird mit freundlicher Genehmigung von Convergent Books, einem Imprint der Verlagsgruppe Penguin Random House LLC, veröffentlicht.

1. Auflage

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-29291-1V001

www.gtvh.de

Für Pater Frank und Danny, die beiden liebenswürdigen Väter, die mich darin unterwiesen haben, in allem Gott zu sehen.

Und für Jess, deren bloße Gegenwart es mir erlaubt, jeden Tag die Liebe zu erleben.

Inhalt

Einführung (von Richard Rohr)

Wie du dieses Buch benutzen kannst (von Patrick Boland)

1. Übung:

Die vier Weltbilder

2. Übung:

Das Muster spiritueller Transformation (Teil I)

3. Übung:

Das Muster der spirituellen Transformation (Teil II)

4. Übung:

Christus ist überall

5. Übung:

Kontemplation

6. Übung:

Die Erste Inkarnation

7. Übung:

Persönlich und universal:

Die Zweite Inkarnation

8. Übung:

Werden

9. Übung:

Der Weg zur inneren Lebendigkeit

10. Übung:

Alles in Allem

11. Übung:

Unsere Erfahrung als Mensch

12. Übung:

Gottesbild, Liebe und Leiden

13. Übung:

Ursprüngliche Güte

14. Übung:

Die Stufenleiter des Seins

15. Übung:

Aufwachen zur Liebe

16. Übung:

Leiden

17. Übung:

Unser Schatten

18. Übung:

Veränderung

19. Übung:

Da oben

20. Übung:

Göttliche Tiefe

21. Übung:

Die Tiefe verkörpern

22. Übung:

Das göttlich Weibliche

23. Übung:

Unser ewiges Ja

24. Übung:

Körperlichkeit

25. Übung:

Verkörpertes Leiden

26. Übung:

Sühne

27. Übung:

Erneuerung

28. Übung:

Kreuzförmig

29. Übung:

Vollkommene Liebe

30. Übung:

Ein einziges Leiden

31. Übung:

Alles in einem Batzen

32. Übung:

Auferstehung

33. Übung:

Als Licht offenbart

34. Übung:

Die Hölle

35. Übung:

Universelle Begegnung

36. Übung:

Die persönliche Begegnung des Paulus

37. Übung:

Sowohl, als auch

38. Übung:

Kontemplative Praxis

39. Übung:

Der kontemplative Weg

40. Übung:

Gleichgewicht finden

Anmerkungen

Zitierte Bücher von Richard Rohr

Einführung

(von Richard Rohr)

Eine Redewendung besagt: »Wenn du möchtest, dass etwas getan wird, bitte einen fleißigen Menschen darum.« Ich möchte dem noch hinzufügen: Wenn du möchtest, dass etwas wirklich gut getan wird, bitte einen Menschen, der fleißig ist, der die ihm anvertraute Aufgabe liebt und der dem, der ihm die Aufgabe überträgt, vertraut.

Patrick Boland vereint diese drei Eigenschaften: Er ist ein vielbeschäftigter Mann, zugleich liebevoll und vertrauenswürdig und – das ist vermutlich die beste Weise, meine Verbindung mit ihm auszudrücken – er erscheint mir wie ein geistlicher Sohn. Er ist einer, der mich wirklich verstanden hat!

Es muss göttliche Vorsehung im Spiel gewesen sein, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in New Mexico Patrick, der im weit entfernten Irland lebt, entdeckt und ihn vor einigen Jahren zu einem Besuch und einem Vorstellungsgespräch zu uns eingeladen haben. Als er dann hier war, stellte sich heraus, dass er uns auf vielfältige Weise würde unterstützen können. Und dazu kommt, dass er, auch wenn ich das nur ungern einräume, bei den Jesuiten eine gute theologische Ausbildung erhalten hat, die es ihm ermöglicht, sich auf kompetente Weise kritisch mit meinen franziskanischen Ideen auseinanderzusetzen.

Als ich Patrick zum ersten Mal begegnete, unterhielten wir uns mehrere Stunden lang über unsere Interessen und Überzeugungen. Wir spielten uns gegenseitig die Bälle zu und ich dachte: Wer ist dieser junge Mann, der die Botschaft so ganz natürlich wahrnimmt? Wir müssen uns noch länger unterhalten. Und so reisten wir gemeinsam nach Taos und anschließend zum Pueblo San Felipe, um dort den religiösen Feiern und Tänzen beizuwohnen, die die indianischen Bewohner dieses Dorfes jährlich veranstalten.

Ich erinnere mich, wie wir beide erstarrten, als unter dem donnernden Getöse von Trommeln und Becken Hunderte Tänzer mit ernsten Mienen auf den Platz strömten. Wir sahen unmittelbar eine lebendige Metapher für den Universalen Christus, wie er sich in voller Größe direkt vor unseren Augen entfaltete – die Ausgießung von Gottes Gegenwart in die gesamte Schöpfung hinein. Die barfüßigen Tänzer schienen erkannt zu haben, dass man die Erde direkt und voller Freude – und mit Händen und Füßen – berühren musste. Sie erwiesen Gott in seiner ersten Kathedrale, der Natur auf der Erde und unter dem freien Himmel, ihre Ehre und Liebe. Und das entsprach ziemlich genau dem, was mein barfüßiger Ordensvater Franziskus einst auch getan hatte.

Das ist inkarnatorisches Christentum! Ein Gott nicht für einige wenige, sondern ein Gott für alle – in Abertausend sichtbaren Formen, immer und immer wieder aufs Neue gefeiert. Nicht einfach ein Gott, der Probleme löst und Sünden vergibt, sondern ein Gott, bei dem die Sünde angesichts seiner Größe unattraktiv wird und klein und mickrig erscheint. Wenn Gott für uns erst einmal das Einssein ausgießt, werden wir auf gewisse Weise verlockt, es ihm nachzutun. Man könnte sagen: Es geht um ein Wachstum durch Anziehung statt durch Forderung. Und es geht nicht so sehr darum, dass Christus in die Welt kommt, sondern darum, dass er aus einer Welt, die bereits durchdrungen ist von seiner Gegenwart, hervortritt und erkennbar wird.

Genau diese Wahrnehmung möchten Patrick und ich Ihnen mit diesem Buch ermöglichen. Es geht uns nicht darum, Ihnen erhabene Gedanken vorzutragen. Es geht uns vielmehr darum, Sie dabei zu unterstützen, die Erfahrung einer vom fleischgewordenen Wort erwärmten Erde und Menschheit zu machen. Diese Erfahrung kann man nicht allein auf dem Wege des Nachdenkens erreichen. Man muss jede Zelle des Körpers aktivieren – und spüren, wie diese und die Zellen aller Körper die gleiche göttliche DNA in sich tragen. Wie könnte es anders sein?

Dieses Buch ist voll mit spirituellem Wissen, das nur darauf wartet, bei Ihnen anzukommen – vorausgesetzt, Sie haben die richtige App dafür, wenn Sie mir erlauben, diese Metapher aus der Welt der Smartphones einmal zu verwenden. Diese App braucht nur zwei Funktionen: Neugier und ein bisschen Liebe.

Dieses Buch enthält Übungen und Anregungen für die spirituelle Praxis. Aber es ist dennoch kein Arbeitsbuch, denn es erfordert so gut wie keine Anstrengung und bedarf auch keiner zermürbenden Konzentration. Es ist ein Buch, das auf ernsthafte, aber sehr einfache Weise in die christliche Freiheit und Freude einführen will.

Im Hintergrund steht dabei mein Werk Alles trägt den einen Namen. Die Wiederentdeckung des universalen Christus. Und ehrlich gesagt, ist das, was Patrick hier zusammengetragen hat, in vielerlei Hinsicht besser als mein ursprüngliches Buch. Und das sage ich weder aus reiner Demut, noch um ihm zu schmeicheln. Patrick ist von Natur aus ein guter Pädagoge und ein Lehrmeister, der mit beiden Füßen fest auf der Erde steht. Er versteht es, zentrale Begriffe, die in meinem theologischen Denken oft abstrakt bleiben, herauszugreifen und ihnen Konkretheit und lebendige Kraft zu verleihen. So kann das Wissen um den Universalen Christus nicht nur als theologische Theorie gedacht, sondern geerdet und als mit unserer Gegenwart verbunden erlebt werden. Wenn das aber gelingt, geschieht, was im Johannesevangelium so ausgedrückt wird, nämlich, dass wir »Leben haben und es in Fülle haben« (Johannes 10,10).

Richard Rohr

Albuquerque, New Mexico

Wie du dieses Buch benutzen kannst

(von Patrick Boland)

Meine erste Begegnung mit dem Werk von Richard Rohr vor über einem Jahrzehnt war eine höchst willkommene Überraschung. Die Klarheit, Demut und tiefe Liebe, die ich in seiner Lehre fand, ermutigten mich, mich inmitten aller Unsicherheiten des Lebens auf die tiefe Schönheit Gottes einzulassen. Richard Rohr im Lauf der letzten Jahre persönlich kennenzulernen, war für mich dann ein ganz besonderes Geschenk. Seine Wärme, Liebe und Präsenz – wie auch sein scharfer Verstand – haben alles übertroffen, was ich je erwartet hatte.

Richard und ich sprechen oft darüber, wie wir vom bloßen intellektuellen Wissen zu einem verkörperten Kennen kommen können; wie wir Ideen nicht nur denken, sondern sie in unserem praktischen Leben erfahren können. Unsere Hoffnung ist, dass wir Gott nicht nur an bestimmten »heiligen Orten« sehen, sondern den Universalen Christus überall im Leben spüren und alles als heilig wahrnehmen können. Von diesen beiden Aspekten – verkörpertes Wissen und inkarnatorisches Sehen –, sind die Übungen dieses Buches inspiriert.

Um möglichst viel Nutzen aus diesem Buch zu ziehen, ist es hilfreich, eine Ausgabe von Richard Rohrs Buch Alles trägt den einen Namen zur Hand zu haben. Lies es oder lies es noch einmal, ehe du dich auf die folgenden Übungen einlässt. Oder lies dieses Buch zusammen mit Alles trägt den einen Namen. In manchen Kapiteln wirst du aufgefordert, längere Abschnitte aus Alles trägt den einen Namen noch einmal zu lesen. Vielleicht möchtest du gelegentlich auch zu einem einzelnen Abschnitt oder einem ganzen Kapitel zurückkehren, um dir den Kontext dessen in Erinnerung zu rufen, was in der jeweiligen Übung in diesem Buch behandelt wird.

Es kann außerdem hilfreich sein, ein Tagebuch zu führen, während du dieses Buch liest. Am Ende der 40 Übungen findest du jeweils eine oder mehrere Anregungen zum Nachdenken. In vielen wirst du eingeladen, deine Gedanken aufzuschreiben und über Schlüsselmomente deines Lebens nachzudenken. Wenn du deine Notizen an einer Stelle zusammengefasst hast, fällt es dir leichter, deine Erfahrungen während der Lektüre dieses Buches nachzuvollziehen.

Die ersten drei Übungen beruhen auf den Anhängen von Alles trägt den einen Namen. Sie leiten dich dazu an, über die Entwicklung deines Weltbildes und deines spirituellen Weges nachzudenken. Ich habe diese an den Anfang gestellt, damit du dir der individuellen Sichtweise bewusst wirst, mit der du dieses Buch liest. Diese einführenden Übungen sind etwas länger als die folgenden. Ich erzähle darin auch einige Ereignisse aus meinem Leben als Beispiele dafür, wie du über Ereignisse und Erfahrungen nachdenken kannst, die dein Leben geprägt haben.

Falls du eine nicht geheilte Wunde oder ein Trauma in dir trägst, sind einige der in den einzelnen Kapiteln behandelten Themen vielleicht besonders herausfordernd für dich. Ich habe in diese Kapitel einige Anleitungen zur Selbstfürsorge eingefügt, die du lesen solltest, bevor du dich auf die Reflexionsübungen einlässt. Falls du Abneigung oder ein Unbehagen empfindest, dich auf eine Übung einzulassen, möchte ich dich dazu ermutigen, diese einfach zu überspringen und zum nächsten Kapitel überzugehen.

Beim Durchlesen dieses Buchs wirst du feststellen, dass sich eine Übung auf ein zutiefst persönliches oder psychologisches Thema aus dem Werk Alles trägt den einen Namen konzentriert, während die nächste sich mit einer großen Idee befasst, die nach deiner Perspektive auf das Leben und den Kosmos insgesamt fragt. Auf diese Weise ständig zwischen persönlichen und universalen Themen hin- und herzupendeln, kann ungewohnt sein. Ich hoffe jedoch, dass dieser Ansatz dich einlädt zu einer kontemplativen Art des Nachdenkens, »die uns ein großes und weites Feld erschließen wird« (Seite 14), ohne dass dein ego-zentrierter Geist die totale Kontrolle hat. Richard Rohr hält dazu fest, es handle sich dabei um eine Möglichkeit, »den Kosmos, in dessen Innerem [wir] leben, zu erkunden« (Seite 7), indem du aufmerksam auf das Zusammenspiel deiner Erfahrungen, Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen achtest. Dabei wirst du die Möglichkeit haben, auf jeder Stufe der »großen Stufenleiter des Seins« »die Gegenwart zu erkennen« (Seite 74.75).

Patrick Boland

Wicklow, Irland

1. Übung:

Die vier Weltbilder

»Dein Weltbild ist nicht das, was du siehst. Es ist vielmehr der Standpunkt, von dem aus du siehst, oder die Brille, durch die du siehst.«

(Seite 297)

In den Jahren, die uns prägen und formen, machen wir bestimmte Erfahrungen, die nicht nur beeinflussen, was wir um uns herum wahrnehmen, sondern auch die Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit sehen, prägen. Unsere Eltern, unsere Freundinnen und Freunde, unsere Religionsgemeinschaft und die Gesellschaft, in der wir leben, helfen uns, durch Abgrenzung zu einer Persönlichkeit zu werden, damit wir wachsen, uns entwickeln und unsere Welt als sinnvoll verstehen können. Aber wenn wir im Lauf der Zeit reifer werden und unser Leben auf neue Weisen wahrnehmen, wird unser ursprüngliches Weltbild infrage gestellt. Das kann schmerzlich sein. Und wenn wir uns allzu sehr mit unserer Religionsgemeinschaft und der uns vertrauten Kultur identifizieren, kann es sein, dass wir uns vorkommen, als säßen wir in einer Falle: »Wenn ich die Welt weiterhin durch diese Brille sehe, entwickle ich mich nicht weiter; aber wenn ich mich weiterentwickle, habe ich das Gefühl, ich verliere meine engsten Freunde, meine Kirchengemeinde oder sogar meine Familie für immer.« Dieses Dilemma wahrzunehmen ist nicht ungewöhnlich, wenn unser Weltbild das erste Mal infrage gestellt wird.

Wenn wir anfangen, über Richard Rohrs Buch Alles trägt den einen Namen nachzudenken, ist es wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen, die Weise, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen, genauer anzuschauen. Neurowissenschaftliche Forschungen zeigen, dass wir schlicht und einfach nicht die Kapazität dazu haben, mit unseren fünf Sinnen und unserem Gehirn alle Informationen aufzunehmen, die uns tagtäglich in jeden Augenblick zur Verfügung stehen.1 Deswegen reduzieren wir die Menge unsere Wahrnehmungen auf ein Maß, das wir verarbeiten können. Beispielsweise indem wir es vermeiden, darüber nachzudenken, dass manche unserer wirtschaftlichen Aktivitäten unserer Umwelt schaden, oder indem wir pauschal behaupten, dass manche Politiker immer Unrecht haben, was so weit gehen kann, dass wir gar nicht mehr wahrnehmen, wenn sie doch etwas Richtiges sagen.2 So entstehen festgefügte Bilder der Realität, und wenn diese Bilder innerhalb einer Gruppe geteilt werden, können sich mächtige Weltanschauungen entwickeln.

In Alles trägt den einen Namen skizziert Richard Rohr die vier Weltbilder, die unser Leben, unseren Glauben und unsere Spiritualität in je besonderer Weise beeinflussen. Er schreibt dazu: »Alle vier haben etwas Gutes, und keines dieser Weltbilder ist komplett falsch oder komplett richtig, aber eins von ihnen ist bei Weitem das hilfreichste« (Seite 297):

1. »Diejenigen, die am materialistischen Weltbild festhalten, glauben, dass das äußere, sichtbare Universum die ultimative und ›reale‹ Welt ist. Anhänger dieses Weltbildes haben uns Naturwissenschaften, Ingenieurskunst, Medizin und vieles von dem ermöglicht, was wir heutzutage ›Zivilisation‹ nennen. … Ein materialistisches Weltbild produziert Gesellschaften, die in hohem Maß konsum- und konkurrenzorientiert sind, und in denen häufig ein Grundgefühl von Mangel den Ton angibt, weil solch materielle Güter immer begrenzt sind.« (Seite 298)

2. »Das spirituelle Weltbild ist für viele Formen von Religion und für einige idealistische Philosophien charakteristisch, die den Primat und die Letztgültigkeit von Geist, Bewusstsein und einer unsichtbaren Welt hinter allen Manifestationen betonen. … Aber wenn es überzogen wird, kann es ätherisch und körperlos werden, normale menschliche Bedürfnisse in den Wind schlagen und die Notwendigkeit einer soliden Psychologie und Anthropologie oder gesellschaftlicher Themen wie Friede und Gerechtigkeit leugnen. Wenn es zu ernst genommen wird, kümmert sich das spirituelle Weltbild wenig um die Erde, die Mitmenschen oder soziale Gerechtigkeit, weil es die diesseitige Welt weitgehend als Illusion abtut.« (Seite 298–299)

3. »Diejenigen, die einem priesterlichen Weltbild anhängen, wie ich das gerne nenne, sind in der Regel kultivierte, gebildete und lebenserfahrene Leute, die das Gefühl haben, es sei ihre Aufgabe, uns zu erklären, wie sich Geist und Materie zueinander verhalten. Sie sind Verwalter des Rechts, der heiligen Schriften und der Rituale; diese Gruppe umfasst Gurus, Geistliche, Therapeuten und fromme Gemeinschaften. Anhänger des priesterlichen Weltbilds helfen uns, hilfreiche Zusammenhänge herzustellen zwischen der materiellen und der spirituellen Welt, die nicht immer offenkundig sind. Aber der Nachteil dieser Sichtweise besteht darin, dass sie die beiden Welten letztlich für grundsätzlich voneinander getrennt sieht. Darum braucht es Menschen, die die beiden Bereiche irgendwie zusammenbinden.« (Seite 299)

4. »Das inkarnatorische Weltbild schließlich geht davon aus, dass Materie und Geist niemals getrennt worden sind, und kontrastiert alle drei genannten Auffassungen. Materie und Geist offenbaren und manifestieren sich gegenseitig. Diese Sicht baut mehr auf Erwachen als auf Mitgliedschaft, mehr auf Sehen als auf Gehorsam, mehr auf Wachstum, Bewusstsein und Liebe als auf Klerus, Expertentum, Moral, Schriften oder Rituale. Das Codewort, das ich in diesem ganzen Buch für dieses Weltbild verwende, ist einfach ›Christus‹. … In der christlichen Geschichte finden wir das inkarnatorische Weltbild am deutlichsten bei den frühen Kirchenvätern des Ostens, in der keltischen Spiritualität, bei vielen Mystikern, die Gebet und intensives gesellschaftliches Engagement miteinander verbunden haben, bei den Franziskanern ganz allgemein, bei vielen Naturmystikern und in der gegenwärtigen Öko-Spiritualität.« (Seiten 299–300)

Wenn wir uns auf die äußerlichen Veränderungen einlassen, die das Leben im Lauf der Zeit mit sich bringt, müssen wir Raum schaffen für die inneren Veränderungen und ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Wir lassen einzelne Aspekte eines Weltbildes los und eignen uns Aspekte eines anderen Weltbildes an. So lernen wir langsam, die Spannung auszuhalten, die entsteht, wenn wir zu ein und derselben Zeit unterschiedliche Weltbilder gelten lassen.

ZUM NACHDENKEN

Nimm dir etwas Zeit, um über deine Erfahrungen mit den vier Weltbildern und über die Brillen, mit denen du heute die Wirklichkeit betrachtest, nachzudenken.

1. Nutze dein Tagebuch oder die folgende Seite dazu, die Wörter einzutragen oder mit einem Stift zu umkreisen, die die Aspekte der Weltbilder beschreiben, die bei dir bisher auf Resonanz gestoßen sind.

1. MATERIELL

2. SPIRITUELL

Das äußerliche, sichtbare Universum ist die endgültige »reale« Welt.In diesem Weltbild spielen Wissenschaft, Ingenieurskunst, Medizin eine große Rolle.Ist Konsumenten-orientiert, auf Wettbewerb angelegt.Die »reale« Welt ist unser inneres, spirituelles Selbst und die unsichtbare Welt.In diesem Weltbild spielen Schulen der Psychologie, das esoterische New Age, die Realität der geistigen Welt eine große Rolle.Kann körperlos sein, leugnet die Notwendigkeit, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen oder die Erde zu schützen.

3. PRIESTERLICH

4. INKARNATORISCH

Die »reale« Welt sind strukturierte Praktiken und Rituale, die Materie und Geist zusammenbringen.In diesem Weltbild spielen Gurus, Pfarrer und Pfarrerinnen, heilige Gemeinschaften, Selbsthilfe und organisierte Religion eine große Rolle.Geht von einer Trennung zwischen Geist und Materie aus.Die »reale« Welt verknüpft unser Inneres mit allem Sichtbaren und Unsichtbaren, mit den anderen und mit dem gesamten Kosmos.In diesem Weltbild spielen Erwachen, Erkenntnis, wachsendes Bewusstsein und Liebe – in viel größerem Maß als Klerus, Experten, Moral, Schriften oder Rituale – eine große Rolle.Vereinigt alle drei anderen Weltbilder und engagiert sich in allem: von der Öko-Spiritualität bis zum sozialen Einsatz.

2. Die Weltbilder auf einem Zeitstrahl

Trage auf einem Zeitstrahl ein, welche der vier Weltbilder an verschiedenen Punkten deines Lebens den stärksten Widerhall gefunden haben. Der Zeitstrahl beginnt mit deiner ersten Erinnerung und endet in der Gegenwart. Vielleicht empfindest du es als hilfreich, in ein paar Worten zusammenzufassen, was sich in den jeweiligen Phasen in deinem Leben ereignet hat.

PATRICKS ZEITSTRAHL

0 bis 5 Jahre: inkarnatorisch – sicher, liebevoll umsorgt5–12 Jahre: priesterlich – erste Erfahrungen mit Kirche12–16 Jahre: materiell – Teenager, getrieben16–26 Jahre: spirituell – Depression, Sinnsuche, Bibellektüre26–30 Jahre: spirituell + inkarnatorisch – Beziehungsverluste und berufliche Enttäuschungen, Neuordnung der Prioritäten im spirituellen und praktischen Leben30 Jahre bis heute: inkarnatorisch – Paradoxes annehmen, Nichtwissen besser aushalten können

DEIN ZEITSTRAHL

3. Achte auf die Übergangspunkte auf deinem Zeitstrahl. Welche Erfahrungen beschleunigten deine Entwicklung von einer Weltsicht zur anderen? Schreibe alle Einzelheiten auf, an die du dich noch erinnerst.

4. Lies noch einmal den Abschnitt über die inkarnatorische Weltsicht mit Richard Rohrs Aussage: »Das Codewort, das ich in diesem ganzen Buch für dieses Weltbild verwende, ist einfach ›Christus‹.«

Notiere in dein Tagebuch, wie es wäre, das Leben vorwiegend aus diesem Weltbild heraus zu erfahren.

2. Übung:

Das Muster spiritueller Transformation (Teil I)

»Selbst im Rahmen eines inkarnatorischen Weltbildes wachsen und reifen wir, indem wir eine gewissermaßen perfekte Ordnung hinter uns lassen, eine in der Regel schmerzhafte und scheinbar unnötige Unordnung durchschreiten und schließlich zu einer erleuchteten Neuordnung oder ›Auferstehung‹ gelangen. Dies ist das ›verbindende Muster‹, das unsere Beziehung zu allem, was uns umgibt, auf soliden Boden stellt.«

(Seite 304)

Begriffe wie Wachsen und Transformation klingen zunächsteinmal optimistisch. Sie verheißen Entwicklungen und neue Möglichkeiten. Unser heutiger Lebensstil aber tut sich schwer zu erkennen, welche Vorteile Beweglichkeit, Agilität und Veränderungsbereitschaft haben, wenn unsere Umgebung diese Fähigkeiten einfordert. Nirgendwo zeigte sich das deutlicher als in den ersten Monaten der globalen Corona-Pandemie im Jahr 2020. Länder, Gemeinschaften und Unternehmen, die ihr Verhalten rasch veränderten, konnten sich mit dem geringsten Verlust von Menschenleben an diese tragische neue Realität anpassen. Aber selbst deren »Transformation« ging mit viel Leid und hohen Kosten einher. Es waren ja nicht nur die Kranken und Leidenden, sondern auch die Millionen, die ihre Jobs verloren, und all die Eltern, die mit ihrer Arbeit zurechtkommen und sich gleichzeitig um ihre Kinder kümmern mussten, die zu Hause waren. Die Veränderung bereitete Schmerzen und Leid.

Wenn wir in unserem geistlichen Leben wachsen wollen, übersehen wir leicht, dass das Leiden eine Vorbedingung für die Erfahrung einer echten Transformation ist. Wir müssen unbedingt darauf vorbereitet sein, »unser Kreuz auf uns zu nehmen« und alte Sichtweisen aufzugeben, damit wir die Erfahrung einer neuen Wirklichkeit machen können. Richard Rohr betont, dass wir uns dabei »von Ordnung über Unordnung und schließlich zu Neuordnung bewegen lassen« müssen (Seite 304).

Von Ordnung zu Unordnung

Wenn wir Schock, Schmerz und Verlust erfahren, suchen wir dafür häufig verzweifelt in unserem Glauben nach einem Sinn. Da sind wir zum Beispiel sehr verliebt und plötzlich passiert etwas ganz Unerwartetes mit unserem Partner; oder wir glauben, wir wären von Gott berufen, aber niemand unterstützt das, worum wir uns bemühen. Wir beten inständiger, gehen in die Kirche und hoffen, dass alles wieder so wird, wie es einmal war, oder dass es sich so fügt, wie wir es gerne hätten. Aber wenn sich dann nichts verändert und unsere Gebete unbeantwortet bleiben, gerät unsere bequeme, stabile Weltsicht einer spirituellen Ordnung in große Unordnung.

Meine eigene Erfahrung der Unordnung hat mich dazu geführt, das priesterliche Weltbild anzunehmen. Ich habe Theologie studiert und mich sowohl zum Psychotherapeuten als auch zum Coach ausbilden lassen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich in den ersten Vorlesungen über Lebensberatung saß; es ging um die Bedeutung des Familiensystems, um die Werte, die wir unbewusst von der Gesellschaft übernehmen, und wie wir auf traumatische Ereignisse reagieren. All das unterschied sich so fundamental von dem Verständnis der Wirklichkeit, von dem in der Kirche oft die Rede war. Dort hatte ich auf Gottes Wort zu hören, vor jeder Entscheidung zu beten, anderen schnell zu vergeben und nicht auf früheren Verletzungen herumzureiten. Hier aber lernte ich: So glatt und ohne Brüche ist die Welt nicht.

Viele meiner Freunde, die mit ähnlicher Unordnung konfrontiert wurden, wandten sich dem materiellen Weltbild