Das helle Gesicht - John Okute Sica - E-Book

Das helle Gesicht E-Book

John Okute Sica

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Beschreibung

Auf der Reservation herrschen bürgerkriegsähnliche Verhältnisse. Der gewählte Häuptling des Stammes entpuppt sich als »Killer-Chief«, der die eigenen Interessen und die der Indianerbehörde rücksichtslos durchsetzt; wer sich gegen ihn stellt, läuft Gefahr, ermordet zu werden. Doch der Widerstand lässt sich auch mit Blut nicht ersticken. Es kommt zum offenen Aufstand. Inmitten des Geschehens steht ein Indianermädchen, das in den Slums von Chicago aufwuchs und mit ihrem Bruder Ray auf die Reservation gekommen ist: Ite-ska-wih, Helles Gesicht. Der abschließende Band der Pentalogie »Das Blut des Adlers« ist eine authentische Darstellung des Aufstands von Wounded Knee im Jahr 1973 und seiner Folgen.

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Seitenzahl: 616

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Liselotte Welskopf-Henrich

Das helle Gesicht

Roman

Mit der Erzählung Ité-ská-wí von John Okute Sica

Palisander

Der Verlag dankt den Töchtern John Okute Sicas, Margaret Schmaltz und Grace Peigan, für die Erlaubnis zum Abdruck der Erzählung »Ité-ská-wí«.

Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe

1. Auflage März 2013

© 2013 by Palisander Verlag, Chemnitz

Erstmals erschienen 1980 im Mitteldeutschen Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Schutzumschlaggestaltung: Claudia Lieb

Einbandgestaltung: Claudia Lieb

Lektorat: Palisander Verlag

Redaktion & Layout: Palisander Verlag

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 9783938305683

www.palisander-verlag.de

Das Blut des Adlers

Pentalogie

1.Band: Nacht über der Prärie

2.Band: Licht über weißen Felsen

3.Band: Stein mit Hörnern

4.Band: Der siebenstufige Berg

5.Band: Das helle Gesicht

Rot ist das Blut des Adlers.

Rot ist das Blut des braunen Mannes.

Rot ist das Blut des weißen Mannes.

Rot ist das Blut des schwarzen Mannes.

Wir sind alle Brüder.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Das helle Gesicht

Ité-ská-wí

Ite-ska-wih, vierzehn Jahre alt, trug diesen Namen in der vierten Generation. Ihre Eltern hatte sie verloren; die Mutter war bei der Geburt gestorben, der Vater einige Jahre später erschlagen worden. Ihre Welt blieb Untschida, die Großmutter. Untschida hatte den Arm um das Mädchen Ite-ska-wih gelegt, als es acht Jahre alt war, und hatte ihm von der Frau erzählt, die als erste diesen Namen getragen hatte, mit Würde und nicht ohne Gefahren. Ihre Haut war von einem sanften, hellen Braun gewesen, und manche glaubten, dass sie darum den Namen Helles Gesicht erhalten habe. Die aber mehr und Tiefergehendes wussten, konnten auch diesen Namen besser deuten: Das Antlitz Ite-ska-wihs war wie die Sonne, die das Herz wärmt und dem Auge Licht gibt.

Untschida und ihre Enkelin kauerten miteinander in einer Kellerecke. Die Luft zwischen den Wänden war dumpf; es roch nach den faulenden Abfällen und dem Branntweindunst der Straße; der Gestank kam durch die Kelleröffnung herein. Es war aber ein Vorzug dieser Kellerbehausung, dass sie der Straße zu lag und nicht nach den fensterlosen Innenhöfen des Hauses. Man konnte durch die Kelleröffnung, die nicht verglast war, auf die Straße hinausklettern und von der Straße aus durch diesen Spalt hereinkriechen. Die Straße erschien den Kellerbewohnern anziehend und abstoßend, bunt, wild, gefährlich; wenn man auf der Straße stand, den Kopf in den Nacken legte und senkrecht in die Höhe starrte, vermochte man durch den Dunst einen Streifen Himmel zu sehen. Auf dieser Straße, die man in Europa eine Gasse genannt hätte, gab es Kinder, Halbwüchsige und Erwachsene, Weiße, Schwarze und Indianer, gute und böse Menschen, Betrunkene und Nüchterne, Gangster, Banditen, Prostituierte, Arbeiter. Es gab Streit, Blut und Tote. Nur reiche, gut angezogene Leute gab es nicht. Sie ekelten sich vor solchen Straßen, sie mieden sie und sie fürchteten sie, aber sie fürchteten sie auf andere Weise als die Bewohner. Denn für die Bewohner war die Straße ihr Leben, für die gut angezogenen Leute war sie nicht einmal ein Gegenstand der Neugier; sie war nicht so berühmt wie die Slums und Ghettos von New York. Sie stank, dämmerte und moderte abgeschieden vor sich hin. Ite-ska-wih kannte die Straße und hatte Angst vor ihr. Ihre Zuflucht waren die Kellerhöhle und die Großmutter; ihr Ernährer war seit dem Tode des Vaters ihr Bruder. Er war achtzehn Jahre alt. Tags arbeitete er unter Tarif für 230Dollar im Monat. Wenn die Geschwister und die Großmutter Hunger hatten, stahl er des Abends in den offenen Läden der Geschäftsstraßen. Ite-ska-wih und die Großmutter hockten in der auch am Tag düsteren Ecke und träumten. Die Großmutter hatte als Kind noch die Prärie gesehen. Das musste ein seltsames Land sein. Dort gab es keine hohen Häuser, und darum gab es auch keine Straßen. Dort gab es wundersamen Duft von Gras und weither wehendem Wind. Still war es rings.

In der Prärie hatte einst die Frau gelebt, die als erste den Namen Ite-ska-wih erhielt. Schön war sie gewesen, ein prächtiges, besticktes Kleid aus weichem Leder hatte sie besessen. Damit ging sie zum Tanz in der Sternennacht der Prärie, zusammen mit den Kriegern, Frauen und Mädchen des Stammes. Auch Ite-ska-wih, das Kellerkind der Stadt, war schon mit der Großmutter zum Tanz der Indianer gegangen. Heute wollten sie wieder miteinander dorthin gehen.

Ite-ska-wih hatte ihr Kleid zurechtgelegt. Es war nicht aus Leder gemacht, sondern aus dünnem Baumwollstoff. Das Mädchen hatte es ein wenig bestickt, mit einem Muster, das die Großmutter ihr bei anderen Indianern gezeigt hatte. Ite-ska-wih stand auf und reckte sich, während sie ihr schwarzes Haar glatt strich und das Stirnband anlegte. Sie war ebenmäßig gewachsen, mit abfallenden Schultern, mit einem Nacken, der den Kopf stolz tragen konnte. Ihre mit dem Reiz der ein wenig betonten Wangenknochen gebildeten Züge waren regelmäßig. Doch ihr Körper war von Hunger gezeichnet; was sie zu essen erhielt, hatte weder Kraft noch Frische. Ihre Haut, rein und von einem sanften, hellen Braun wie das ihrer Urgroßmutter, entbehrte der Sonne; ein grauer Kellerschein lag darüber. Nur die dunklen Augen waren klar geblieben. Ite-ska-wih hielt sie mit den Lidern halb bedeckt; sie gab nie einen nackten Blick frei.

Obgleich das Mädchen schmal, feingliedrig und mager war, schwanden ihre Muskeln und Sehnen, die sie als Kind zu Lebzeiten des Vaters hatte üben können, noch nicht. Sie war ein wildes Kind gewesen, Gespielin des Bruders, Gefährtin seiner Streiche, in der Horde anerkannt, auch den Jungen gewachsen, ohne Furcht unter dem Schutz und Schirm des Vaters. Mit dem gewaltsamen Tode des Vaters und dem Heranwachsen Ite-ska-wihs hatte sich das geändert. Zwar sorgte der Bruder dafür, dass sie an den Karatekursen für indianische Frauen teilnehmen konnte, um sich im äußersten Notfall zu wehren, aber auf der Straße musste er sich als vaterloser Bruder selbst erst durchsetzen, ehe er Angreifer von seiner Schwester fernhalten konnte. Die Nahrung war sehr karg, seit der Verdienst des Vaters fehlte, die Gefahren wuchsen; Ite-ska-wih verkroch sich in der Kellerecke bei Untschida.

Es war Nachmittag. Untschida und Ite-ska-wih hatten sich festlich gekleidet und warteten nun auf den Enkel und Bruder, ihren einzigen Ernährer und Beschützer. Mit ihm zusammen wollten sie zu dem Großen Tipi gehen, wo der Tanz der Stadtindianer stattfinden würde. Von einigen wenigen vermögend gewordenen Indianern, zwei Kirchengemeinden, der Stadtgemeinde und drei weißen Gönnern war es für die Stadtindianer als eine Art Klubhaus, als ein Indian Center, gestiftet worden. Auch städtische Busse stellte die Verwaltung zur Verfügung, um Indianer in Gruppen zu den Veranstaltungen und Indianerkinder zur Schule und zurück zu bringen. Auf diese Weise hatte Ite-ska-wih die Schule besuchen können. Aber den Weg zur Tanzveranstaltung brauchte sie nicht wie andere mit dem Bus zurückzulegen. Das Haus, in dessen Keller sie mit Bruder und Großmutter wohnte, befand sich in einer Seitengasse der großen, breiten, stinkenden, lärmenden und nicht weniger gefährlichen Straße, in der das Große Tipi stand. Das Große Tipi war in einem älteren, aber geräumigen Gebäude untergekommen, das lange unbenutzt geblieben war und vom Eigentümer für ein Spottgeld vermietet wurde. Spelunken für Brandy und Go-go-Girls bevorzugten niedrige, kleine Lokale.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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