Das Leben ist kein Lolli - Kai Karsten - E-Book

Das Leben ist kein Lolli E-Book

Kai Karsten

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Beschreibung

Was meint Gott dazu, wenn auf seine Früchte Aufkleber kommen? Wie überlebe ich, wenn mir bei der Arbeit Nicht-erst-seit-gestern-Macher, Bestimmer und Chefparkplatzbesitzer auf die Nerven gehen? Warum bleiben Gäste zu lange? Wieso sind CDs und DVDs so saudumm verpackt? In seinen witzigen und geistreichen Geschichten geht der SWR3-Kultmoderator Kai Karsten solchen Alltagswidrigkeiten schonungslos auf den Grund! (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 263

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Kai Karsten

Das Leben ist kein Lolli

Geschichten. Echt. Aus dem Alltag.

FISCHER E-Books

Inhalt

Für die gute Seele [...]Lieber Leserinnen!ElternIm AutoIm FreibadKai der KoboldBerufslebenNicht-erst-seit-gestern-MacherDer ChefparkplatzEin konkretes BeispielKai der KoboldEssenEssen gehenZahlen bitte!Kai der KoboldNervensägenKlingelnLangbleiberKartenspielerinnenNebensächlichkeitenKai der KoboldSchwierigMeine gute Freundin RealiDie DuschwanneKai der KoboldKränklichMännerschnupfenZungenklemmeKai der KoboldIrrtumIch weiß, dass ich nichts weißGeburtstagskinderSprechende AutofahrerKai der KoboldSockenschüsseDer neue SchrankDie neue KücheBeim FriseurIm SupermarktReich werdenKai der KoboldTechnikAnklopfenVoll das scharfe GerätDVD-VerpackungenRosebudKai der KoboldErlebnisorientiertNach dem Weg fragenTanzenWeihnachtsgeschenkeNothelfer

Für die gute Seele

von Hans Uwe Karsten

Lieber Leserinnen!

Schon zu Beginn ein Tippfehler. Ist es die Möglichkeit? So was passiert, wenn Radioleute statt reden plötzlich schreiben. Gleich im ersten Wort ein kleines R zu viel. Lieber statt Liebe. Was muss das für ein Autor sein, der Liebe falsch schreibt? Aber nein. Lieber ist korrekt. Es ist die Ehrlichkeit, die mit mir durchgeht. Ich wünsch mir lieber Leserinnen. Nichts ist liebreizender als eine lesende Frau. Kleinen Augenblick! Es geht sofort weiter. Ich wurde gerade gerufen. Nicht weggehen. Bin sofort wieder bei Ihnen, vielleicht lesen Sie einfach so lange was. Eine Tür wird geöffnet. Stimmen sind zu hören. Ein Mann seufzt. Die Tür wird heftig zugezogen. Da bin ich wieder. Haben Sie was gehört? Sehen Sie, ich auch nicht. Schatz meint aber, die Tür müsste dringend geölt werden. Eine quietschende Tür wird mich jetzt aber nicht davon abhalten, diese wahren Geschichten aufzuschreiben. Alles, was Sie jetzt lesen, habe ich so erlebt. Sie vielleicht auch. Um das herauszufinden, darf ich Sie bitten, einfach weiterzulesen. Lassen Sie sich nicht ablenken. Bequem machen, warm anziehen, vor allem die Füße. Kalte Füße sind der Tod für jedes Buch. Entweder Socken oder Sie setzen sich bitte irgendwo hin, wo die Sonne ihre Füße wärmt. Wenn keine Sonne scheint, nehmen Sie einen Hund oder eine Katze oder halten Sie wenigstens eine Decke griffbereit. Ich möchte, dass Sie, liebe Leserinnen, jetzt ganz in Ruhe und ungestört dieses Buch lesen. Gerade noch eine Sekunde, ich werde wieder gerufen. Erneut wird die Tür geöffnet. Stimmen sind zu hören. Es seufzt ein Mann. Eine Tür wird noch heftiger als zuvor zugezogen. Jetzt gibt sie mir eine Flasche Haushaltsöl, damit ich, wenn ich mit dem Buch fertig bin, dran denke, die Tür zu ölen. Wieso liest Schatz nicht einfach mal friedlich ein Buch? So wie Sie. Kompliment, wie Sie da jetzt so nichts anderes machen, als diesen Zeilen folgen. Multi-tasking-fähig könnten Sie als Frau auch noch 1000 andere Sachen machen. Aber Sie streichen sich nur kurz ein Haar aus dem Gesicht und lesen. Danke. Sie sind eine tolle Frau! Sie sind ein Mann? Ach was? Sie sind ein Mensch, der sich jetzt nur diesem Buch widmet. Sie denken nicht nebenbei an ungeölte Türen und kalte Füße. Ich mag Sie und möchte Ihnen was erzählen. Das Leben ist kein Lolli.

Eltern

Im Auto

»Vorsicht auf der A8, Stuttgart Richtung Karlsruhe, beim Dreieck Leonberg Gefahr durch einen Fernseher auf der Fahrbahn.« Ein schwerer LKW – und es wird ein Flachbildschirm. Ha, ha. »Vorsicht auf der A5, Basel Richtung Karlsruhe, zwischen Bühl und Baden-Baden Gefahr durch Schafe auf der linken Spur.« Muss das nicht heißen, Schafe hinterm Steuer? Ha, ha.

»A5, Frankfurt Richtung Basel, zwischen Rastatt und Bühl Behinderungen durch Baumfällarbeiten, zehn Kilometer Stau.« Das ist meiner! Gefühlte Länge ist übrigens nicht zehn Kilometer, sondern mindestens 951 Kilometer. Wenn Ihnen Zahlen nicht gefallen, das entspricht der Strecke von Bühl/Baden bis Campingplatz Südfrankreich. Wieso sind eigentlich Baumfällarbeiten und Ferienbeginn immer am selben Tag? Wieso gibt es da keine Absprache zwischen Kultusministerium und Bäumen? Oder telefonieren die vielleicht doch miteinander? »Also, unsere Schüler werden meistens samstags von ihren Eltern in die Ferien gefahren.« »Mir doch egal, ich lass mich samstags fällen.« Bäume können ja so egoistisch sein – und im Stau stehende Autofahrer einsam. Schatz hatte noch gesagt: »Geh bloß nicht auf die Autobahn, da ist die Hölle los.« Entschuldigung! Nur Volldeppen gehen auf die Autobahn. Wir wollen fahren oder wenigstens rollen! Aber es geht nicht weiter. Ständig die Durchsagen aus dem Verkehrszentrum zu kommentieren, macht alleine keinen Spaß.Kind müsste man noch sein, dann würde mir jetzt nicht der Fuß auf der Bremse einschlafen. Ach ja, die goldenen 80er Jahre auf dem Weg nach Südfrankreich. Das Kind thront auf der Rückbank eines Fiat Ritmo und ruft: »Wann sind wir endlich da?« Kaut den schlechten Geschmack von zu viel Zigarettenrauch und sieht zu, wie Mami die Zigarette anraucht und dem konzentrierten Fahrer in den Mund steckt. Baumfällarbeiten gibt es nicht.

Die Bäume sind erst gepflanzt worden. Stau gibt es, denn die A5 ist noch zweispurig. Und eine glückliche Familie vertreibt sich die Zeit im Stau.

»Will noch jemand ein Schnitzelbrot?«

»Mami, ich hab Durst.«

»Schluck Spucke.«

»Mami, der Papi ist gemein.«

»Der Papi soll vor allem nicht so viel beim Fahren reden.«

»Ich rede so viel wie … Scheiße …«

»Du sollst nicht vor dem Kind fluchen …«

»Mir ist die Zigarette runtergefallen, hilf mir doch, verdammt nochmal.«

»Mami, warum greifst Du dem Papi zwischen die Beine?«

»Sei ruhig, oder du kommst ins Kinderzimmer.«

Solche Unterhaltungen lassen dich jeden Stau vergessen. Und plötzlich bist du doch froh, allein im Auto zu sitzen. Nimmst die Coladose aus dem Getränkehalter, prostest deinem alten Herren im Himmel zu und merkst, warme Cola im Getränkehalter schmeckt wie Spucke. Da setzt ein Minivan zum Spurenwechsel an. So was lässt man gerne einfädeln, denn diese Menschen haben es schwer, diese Menschen haben Kinder. Leider behalten sie ihr Handicap nicht für sich oder signalisieren es bescheiden mit einer Armbinde und drei Schnullern drauf. Es muss geprotzt werden mit einem Fruchtbarkeitsaufkleber auf der Heckscheibe. »Baby an Bord!« Wieso eigentlich »an Bord«, ein Minivan ist doch kein Flugzeug. »Verehrte Fluggäste, die Passagiere in der zweiten Reihe wurden alle vom Piloten persönlich gezeugt.« Wenn, dann bitte die Aufkleberaufschrift korrekt. Auch wenn es Platz kostet: »Baby im geleasten Bus, dessen Anzahlung nur möglich war, weil Schwiegeromi was dazugegeben hat!« So viel Zeit muss sein, Poser-Papi! Leider gibt es aber nur den Baby-an-Bord-Aufkleber, und der hat bestenfalls einen roten Warnrand drum rum. Soll das eine ernst gemeinte Warnung sein? »Abstand halten, auf der Rückbank dieses Fahrzeugs entsteht ein Leibeswind, der Heckscheiben schmelzen lässt.«

Keine Zeit zum Nachdenken, denn wie aus dem Nichts will da noch ein Minivan im Stau drängeln. Diesmal mit dem schlimmsten Autoaufkleber aller Zeiten. »Vanessa on Tour.« Ja, das Leben ist kein Lolli. Jahrelang hat es mich schon nicht interessiert, dass da überhaupt ein Baby an Bord war, und jetzt drängen sie mir auch noch den Namen von dem Rücksitzbeschmutzer auf. Warum tun Eltern das? Soll wahrscheinlich Service sein. Früher konntest Du nur dicht auffahren und rufen: »Saftnase, das Gas ist rechts«, und nun ist es möglich, die Lippen zu schürzen und zu rufen: »Vanessa, hättest du die Güte, dich aus deinem Maxi Cosi abzuschnallen und durch den Bus nach vorne zu krabbeln, damit du deinem Papi sagen kannst, der Onkel hintendran hält Papi für einen Volltrottel!«

Früher dachte ich, Eltern kriegen Kinder – Hormone und so – da klebt schon mal Schwachsinn auf der Scheibe, wird sich schon wieder legen. Von wegen! Diese Vanessa on Tour ist doch sicher schon drei.

Eltern werden fortan das gesamte Leben ihres Kindes nicht mehr in Dias und Videos, sondern in Heckscheibenaufklebern dokumentieren. Wenn Kevin acht wird, steht hinten drauf: »In diesem Auto hat alle fünf Minuten ein Kind Durst.« Wenn Laura pubertiert, klebt hinten drauf: »Nicht hinsehen, meine Tochter hat sich die Haare pink gefärbt« und wenn Thorben selbst den Führerschein hat, dann hängt an der Heckscheibe: »Bitte nicht klopfen, mein Sohn versucht gerade in Vaters Auto die Jungfräulichkeit zu verlieren!« Und was das bedeutet, wissen wir alle: Mehr Kinder, nein – mehr Autoaufkleber!

Verzeihung, so ist das allein im Stau. Da fallen einem all die kleinen Dinge auf, die in ihrer Summe dafür sorgen, dass die Welt jeden Tag schneller auf ihr Ende zurast. Bei der erhöhten Geschwindigkeit wird es auch bleiben, außer es kommen ein paar Baumfällarbeiten dazwischen.

Wieso sind die anderen Kinder aus den 80ern nur so geworden? Was haben deren Eltern nur geraucht? Moment mal, kiff ich? Im Minivan vor mir, der mit dem Strichmännchen-Aufkleber mit Namen drunter, da hängt zwischen Vorder- und Rücksitzen ein Bildschirm von der Decke! In die Ferien fahren und fernsehen! Geht's noch? Der Sinn vom Wegfahren ist, dass Kinder mal was anderes sehen. Wir hatten in den Sommerferien immer absolutes Fernsehverbot. Weil fernsehen schädlich ist! Doch jetzt hocken da vorne kleine Kreaturen auf der Rückbank, und statt endlich mit 130 weitergefahren zu werden, glotzen sie »Findet Nemo« zum 180. Mal. Soll das etwa besser sein als früher, als wir aus der Heckscheibe guckten und den anderen Autos zuwinkten? Was war falsch daran? Meine Eltern fanden das toll, bis auf dieses eine Mal, als ich das Schild hochgehalten habe mit der Aufschrift: »Holt mich hier raus, ich ersticke.«

Ein Bildschirm im Minivan! Da wird der Nachwuchs aber mal wieder so was von unnötig verwöhnt. Wobei es ein Quell der Freude sein würde zu sehen, wie Papi, der ursprünglich nur bis zum Gardasee wollte, weiterfährt bis Gibraltar, weil die Kinder noch alle Teile von »Herr der Ringe« fertig gucken wollen. Dann würden auch endlich die Kinder entscheiden, wo es hingeht – nicht so wie früher, als wir unter Vortäuschung falscher Ferienziele in Fahrzeuge der unteren Mittelklasse gelockt wurden.

Jeden Sommer hieß es: »Fernseher aus, einsteigen!« Beim Einsteigen wurde immer behauptet, es gehe nach St. Tropez, und möglicherweise treffen wir dort sogar Louis de Funès, den Gendarm von St. Tropez. Erst mit diesen Aussichten habe ich mich jeden Sommer vom Bettpfosten losgemacht, an den ich mich immer am Abreisetag gekettet hatte. Wäre ich doch bloß zu Hause bei unserem Fernseher geblieben.

Gecampt haben wir nämlich immer 14 Tage in Le Lavandou, weil das ja genau das Gleiche wie St. Tropez ist. Mag sein. Bildschirm von der Decke ist aber sicher nicht vergleichbar mit zehn Stunden auf der Rückbank mit Bruder. Da präsentieren die Eltern von heute also Unterhaltung in Widescreen. Meine Mutter hat immer nur gesagt: »Schau doch ein bisschen aus dem Fenster!«

Haben Sie schon mal Mitte der 80er aus dem Fenster geguckt? Kein Spaß! Da brannte die Sonne anders, als wenn du dich hinter der Tigerentensonnenblende verstecken kannst. Überhaupt, die Tigerentensonnenblende! Die Bildschirme von der Decke werden auch wie eine Seuche über alle Autos herfallen. Heute im Minivan, morgen im Smart. Bitte, sollte es Bildschirme schon für den zusammenfaltbaren Buggykinderwagen geben – ich möchte es nicht wissen. Der Mensch muss es eben immer übertreiben. Es reicht doch, dass Kinder inzwischen in Bussen fahren, deren Rückbank doppelt so groß ist wie unser Vier-Mann-Zelt auf dem Campingplatz in Le Lavandou. Das ist wie mit der Autobahn. Warum nicht einfach die acht Spuren hinbauen, und gut ist? Nein, irgendein Volldepp sagt, da pflanzen wir schön rechts und links ein paar Bäumchen. Deshalb haben wir jetzt Baumfällarbeiten und Stau! Das mit dem Bildschirm im Bus bleibt auch nicht ohne Folgen. In Zukunft werden Kinder mehr und mehr fordern. Das dauert aber keine zehn Jahre, und du kriegst kein Kind mehr auf den Rücksitz, wenn es da keine Hüpfburg gibt. Selbst in Flugzeuge steigen Kinder nur noch, wenn der Airbus auch garantiert einen Freizeitpark hat, mit Internetanschluss, versteht sich. Mein Herz rast, was man von meinem Auto nun wirklich nicht behaupten kann. Am Seitenstreifen jault immer noch die Kettensäge der Baumfällarbeiter. Keine Sorge, die Kinder kriegen davon in ihrem Bildschirm-Minivan nichts mit.

Hab gesehen, sie tragen Kopfhörer. Ob Mami auch alle zwei Stunden als Saftschubse arbeitet und einen Wagen mit Erfrischungen und Eiskonfekt an der Rückbank entlangrollt? »Kai, du bist doch nur neidisch«, höre ich mich laut sagen. Laut mit sich selbst beim Autofahren reden, ist das Schlimmste, was Autofahrer tun können, wie Sie später noch in einem anderen Kapitel dieses Buches erfahren werden. Bleiben wir beim Bildschirm und auch selbstkritisch. Vielleicht ist es wirklich nur Neid und nicht meine Sorge, dass das schädliche Fernsehen die zukünftigen Rentenzahler frühdebil macht. Nur weil wir als Kinder maximal ein Daumenkino hatten, muss es doch möglich sein, dem Nachwuchs von heute ein läppisches DVD-Vergnügen zu gönnen.

Damals war die Zeit für technische Errungenschaften einfach noch nicht reif. Ich selbst wollte mal meinen Plattenspieler auf die Fahrt nach Südfrankreich mitnehmen. Es wäre ein bisschen eng geworden, aber wir hätten schön im Stau gestanden und Winnetouplatten gehört. Im Stau hüpft nämlich die Nadel nicht. Ja, ich hatte an alles gedacht, sogar an Strom. Obwohl mein Vater gesagt hatte, die Fahrt ist ganz kurz, hatte ich sogar ein ganz langes Verlängerungskabel besorgt. Leider durfte ich den Plattenspieler dann doch nicht mitnehmen, weil der Platz gebraucht wurde für drei Stangen Zigaretten. So schwer haben es die vor mir auf den Bildschirm starrenden Kinder natürlich nicht. Wobei, die Kommunikation zwischen den Generationen ist noch dürftiger geworden. Bedenklich, wir haben als Kinder immer gewusst, dass wir in den Urlaub fahren müssen, weil Papi mal abschalten muss. Der Abteilungsleiter von Papi ist, so haben wir aus dem Gebrüll am Steuer schließen können, ein nichts blickender Schwachmat, der genauso doof ist wie die holländische Arschgeige, die da vorne nicht Auto fahren kann.

Kinder von heute kennen das Arbeitsumfeld ihrer Eltern gar nicht. Das hemmt. Wenn die Kleinen am Urlaubsort zufällig den Arbeitskollegen von Papi treffen, da reicht es bestenfalls für ein kurzes Hallo. Ich konnte damals sofort auf ihn zugehen und Konversation machen. »Sie nichts blickender Schwachmat fahren sofort wieder nach Hause, mein Vater braucht Erholung.«

Es sind dann wahrscheinlich gar nicht die Kinder, die unbedingt einen Bildschirm wollen, sondern die Erwachsenen. Nur damit die Rückbank nicht mitbekommt, wie gestresst der Fahrer ist. Als Kinderloser muss ich da schon mal fragen dürfen: Moderne Eltern, macht Ihr es Euch da nicht ein bisschen einfach? Wahrscheinlich ist der Minivan vor mir mit dem Bildschirm nur ein Einzelfall. Keiner kann sich solchen technischen Kram wirklich leisten. Sofort nehme ich mein Handy, um Sicherheit zu bekommen. Eine befreundete Mutter mit drei Kindern. Als ich sie anrufe, wickelt sie gerade zwei der Kinder, bringt gleichzeitig das dritte zum Tennis und kann telefonieren, »hab ja Freispreche«. Eine Freispreche funktioniert in meinem Auto nicht. Sie installieren Riesenflachbildschirme in Autos, aber an einem kleinen Telefon, da scheitern sie!

»Es gibt Schlimmeres«, meint Multitasking-Mutti. Sie kennt also schon diese neuen elektronischen Kindermädchen für die Rückbank. Beruhigend, dass sie meinen Protest teilt. Hätte mir Sorgen um mein Patenkind gemacht. »Der Junge«, verspreche ich, »bekommt die nächsten Tennisschuhe von mir. Vielleicht kaufe ich ihm auch noch einen Holzschläger. Damit hast du ein ganz anderes Ballgefühl. Björn Borg hat Wimbledon fünf Mal mit einem Holzschläger gewonnen.« Beim Gedanken an mein wohlgeratenes Patenkind beginne ich, mich zu beruhigen. Dann fragt Mutti, ob ich meinem Patenkind nicht doch besser ein Tony Hawks Skateboard schenken will.

Kein Problem, ein Skateboard. Wir sind jahrelang Skateboard gefahren als Kinder. Skateboards sind viel besser für die Umwelt. Vielleicht, so überlege ich, sollte ich dem Jungen noch einen leeren Swimmingpool dazu schenken. Wir hatten damals nie einen leeren Swimmingpool so wie die Skateboarder in Kalifornien. Ein Skateboard Videogame für seine Spielkonsole, erklärt mir Mutti. Dann beiß ich ins Lenkrad.

»Weißt du, wenn wir mit den Kindern unterwegs sind, haben wir immer ein Portable Rear Seat Entertainment System dabei. Die spiegeln auch nicht so wie die Deckenbildschirme.«

Als sie mir noch erzählt, dass die Zeit im Auto viel schneller rumgeht, kann ich erst mal nicht weitersprechen. Einerseits wegen eines aufsteigenden Weinkrampfes, mit dem ich den Untergang der westlichen Zivilisation beweinen möchte, und weil es geklopft hat. Nicht im Handy, sondern am Fenster. Ein Streifenpolizist möchte: »Führerschein und Fahrzeugpapiere.« Dann fragt er, ob ich mit einer Verwarnung von 40 Euro und einem Punkt in Flensburg einverstanden bin. Selbstverständlich, Herr Kommissar! Das ist genau das, was Eltern, die ihre Kinder auf dem Rücksitz vor Bildschirme setzen, bekommen sollen! Weiter so. Jetzt geht es endlich aufwärts in diesem Land. Verhaften Sie den Mann da vorne in dem Minivan. Ich halte solange eine ehemals befreundete Mutter mit drei Kindern hier am Telefon fest. Sie werden es nicht für möglich halten, die lässt mein Patenkind sogar Videospiele im Auto machen! Vielleicht sollten wir schon mal das Jugendamt mit dem Hubschrauber vorausschicken.

Der Beamte reicht mir meine schriftliche Verwarnung für »im Auto telefonieren ohne Freisprecheinrichtung«, lässt eine Gasse bilden und rast davon.

Die Mutter ist noch am Telefon und sauer. Ob ich noch alle Knöpfe auf der Fernbedienung hätte.

Immer neidisch auf das Glück der anderen, sei ich zu blöd, um zu begreifen, dass sich die Welt weiterentwickelt. Nur weil ich keine so tolle Kindheit hatte wie die Kinder von heute, würde ich mich so aufführen. Das Problem ist doch nicht, wo die Kinder gucken, sondern was. Nichts sei schlimmer als Kinder, die sich im Auto so sehr langweilen, dass sie völlig schwachsinnig den anderen Autofahrern zuwinken. Aber …»Hör mal, du bist wie ein schlecht erzogener Achtjähriger, dem seine Eltern versprechen, es geht nach St. Tropez und dann fahren sie aber nur ins poplige Le Lavandou. Aber so schlecht ist die Welt nicht.«

Mit einem beherzten: »In Le Lavandou gibt es auch schöne Ecken«, beende ich die Diskussion. Die Baumfällarbeiten sind noch immer nicht beendet. Vor mir steht der Minivan mit den Bildschirm-Blagen. Was gucken die denn da eigentlich? Irgendwas mit blauem Himmel und Meer. Das ist ja das Schlimme. Kaum hast du so einen Bildschirm in einem anderen Auto entdeckt, willst du unbedingt wissen: Was gucken die? Nicht, dass einen immer interessiert, was andere Menschen machen. Es geht wirklich nur um den Film. Jetzt sieht man außer Meer auch noch einen Strand. Es ist auf alle Fälle ein Spielfilm. Immerhin. Glücklicherweise müssen die Kinder nicht ständig Zeichentrickfilme gucken. Nun kommt der Hauptdarsteller. Ein kleiner Mann in Polizistenuniform springt heftig auf und ab. Choleriker. Leute gibt's. Augenblick. Das ist LOUIS DE FUNÈS als Ludovic Cruchot! Da vorne in dem Minivan gucken sie Louis de Funès –»Der Gendarm von St. Tropez!« Das ist doch schon so gut wie ein Urlaub an der Côte d'Azur. Vielleicht lässt mich diese moderne nette Familie ja mitgucken. Platz ist ja in dem Minivan. Ich brauch auch keinen Kopfhörer. Kann die Dialoge ja auswendig. Bin ganz still. Fragen kostet nichts. Die sind sicher nett. Vielleicht werde ich adoptiert und bekomme meine eigene Playstation. Schnell springe ich aus dem Auto, gehe auf der Autobahn …

Als ich Stunden später im Krankenhaus aufwache, erzählen sie mir, dass ich kurz nach dem Aussteigen von einem herabfallenden Ast getroffen wurde. Schatz sitzt an meinem Bett und meint: »Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht auf die Autobahn gehen. Was wolltest du denn da überhaupt? Ein total netter Familienvater hat gesagt, du hättest auch an seine Scheibe geklopft.« Hab ich? »Guck mal, die haben dir eine von ihren Videokassetten dagelassen. »Das ist eine DVD. Louis de Funès – ›Der Gendarm von Saint Tropez.‹ Na ja, für die Kinder wäre ein Zeichentrickfilm sicher besser geeignet.« Dann will sie mich zudecken und gehen. Ich würde gerne Louis de Funès gucken, aber jemand hat den Fernseher aus meinem Einzelzimmer geklaut. »Den hab ich extra wegbringen lassen«, sagt Schatz. »In deinem Zustand ist fernsehen wirklich das schädlichste.«

Im Freibad

12 Uhr Mittags. 34 Grad. Das Leben ist kein Lolli! Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Die Klimakatastrophe ist da, und wer nun planlos im Freien rumrennt, schmilzt. Hier ist der Plan, und er wird auch umgehend mit Routine und sogar eiskalt umgesetzt: Fenster auf Kipp. Rolläden runter. Fußwanne vor die Couch. Ventilator auf Stufe zwei. DVD mit »Baywatch« reinschieben. Plasma-Fernseher an. Der Strand von Malibu erhellt das im totalen Schatten liegende Wohnzimmer, Rettungsschwimmerinnen laufen in Zeitlupe auf mich zu. Der Sommer ist da! – und nichts wird mich davon abhalten, ihn zu genießen.

Piep – Piep – Piep. Bitte lass das Handy im Badeanzug von Pamela Anderson klingeln. Nein, die Charakterdarstellerin läuft immer noch in Zeitlupe und in 16 zu 9 auf mich zu, hält dabei nur eine Rettungsboje fest und in ihrem Badeanzug vibriert eine ganze Menge – nur kein Handy. Wahrscheinlich hatten die damals noch gar kein Handy. Es ist mein Telefon, das da klingelt. Wenn ich nicht drangehe, denke ich die ganze Zeit darüber nach, wer angerufen hat. Spricht der Anrufer auf die Mailbox, rufe ich sofort zurück. Spricht er nicht drauf, weiß ich nicht, wer angerufen hat, und werde wahnsinnig.

»Kommst du mit schwimmen?«, lautet die lächerliche Frage der Anruferin. Es ist die Frau meines ehemals besten Freundes – sie haben jetzt ein gemeinsames Kind. Mein Freund ist nicht da, und sie will nicht allein mit dem Kind schwimmen gehen. »Da wirst du immer von irgendwelchen Typen in zu engen Badehosen angemacht!«

»Ich schwimme nicht.« Sollte reichen als Absage.

»Du musst ja nicht ins Wasser gehen, nur mitkommen, damit ich mit Yolanda nicht allein rumsitze.«

Yolanda ist fünf, sieht aus wie der nordkoreanische Staatspräsident in kürzer, hat aber den gleichen Charme. Sie ist eine von diesen reizenden Töchtern, die dich mit zusammengekniffenen Augen zur Begrüßung »Vollblöd-Sacknase« nennen dürfen.

Dann verwarnt werden, weil wir doch gesagt haben, dass wir den Kai nicht mehr »Doof-Arschi« nennen wollen, und selbstverständlich bei jedem so sind, den wir gut kennen und vor allem mögen.

Bei Fremden ist Yolanda anders. Blond, blauäugig, redselig. Als sie neulich allein mit Mutti im Schwimmbad war, hat sie rumerzählt, dass sie und Mami seit einem Jahr allein sind, weil Papi im Amazonas beim Goldschürfen umgekommen ist. Zwar hätten sie fünf Millionen, aber Mami sagt immer, sie braucht dringend Sex.

»Bitte komm mit, ich will nicht nochmal mit Flip Flops um mich schmeißen müssen.«

Fast habe ich Mitleid, weil ich auch an den armen Anmacher denke, den sie neulich mit voller Kühltasche am Fuß ins Tauchbecken geworfen hat.

»Bin leider schon vergeben«, sage ich und drehe den Surroundsound von Baywatch lauter. Yolandas Mutter glaubt mich an einem See, die Mutter und das Monster gehen aber lieber in Schwimmbäder. Als plötzlich eine Stimme ruft: »Mitch, komm schnell, drüben in Zuma Beach sind Haie«, fliegt meine perfekte Tarnung auf.

Leider ist die Welt nicht reif für vernünftige Erwachsene, die bei über 30 Grad im Hochsommer einfach zu Hause bleiben dürfen. Wer zum Zweck der Abkühlung einfach nur sehen möchte, wie das so war, damals bei 28 Grad, ist gleich ein Mitleid erregender sozialer Außenseiter, Sonderling, Stubenhocker. Ja, die Frau und das Kind meines Freundes schämen sich, mich überhaupt zu kennen.

Trotzdem beende ich den Anruf und sehe zu, wie Mitch Buchannon hübsche, vom Hai gejagte Ertrinkende Mund zu Mund beatmet. Die Welt kann so friedlich sein, denke ich, als Yolandas Mutter und Yolanda nun im Minutentakt mein Handy belagern. Anrufe, Kurznachrichten: »Hey, Vollblöd-Sacknase, bist ein Stuhockarschi. LG Yo.«

Zufrieden sehe ich auf meine runtergelassenen Rollläden. Hier drinnen ist Sicherheit, da draußen toben Fünfjährige, die nicht schreiben können, aber trotzdem simsen.

Als nächstes ruft Yolandas Vater an. »Freund, du kannst doch nicht bei dem Wetter in deiner Wohnung hocken. Das lassen wir nicht zu, meine Familie wartet schon vor dem Haus, und du wirst jetzt runtergehen, und dann geht ihr schwimmen.«

Was willst du da machen? »Baywatch« wird ausgeschaltet, die Füße abgetrocknet. Socken und Schuhe angezogen, genauso wie Mütze und Jeans. Lange Jeans! Ich trage keine kurzen Hosen.

Der Freund ruft wieder an: »Meine Frau steht vor deiner Wohnung und hat eine von meinen kurzen Hosen für dich dabei.«

Tatsächlich, sie steht vor der Tür. Tochter und kurze Hose stolz im Schlepptau. »Das ist so schön, dass du doch mitkommst«, sagt die Frau meines Freundes. Um die Hüften trägt sie ein durchsichtiges Tuch, dazu ein dünnes Bikinioberteil. Sehr dünn, wie ich merke, als sie mich umarmt. Im Sommer umarme ich nicht.

Weil ich die kurze Hose anziehen soll, bitte ich die Damen, mein Zuhause zu verlassen. Keine Reaktion, also schließe ich mich kurz im Badezimmer ein.

»Hast du eine Badehose?«

»Ich schwimme nicht.«

Wenige Minuten später fahren Mutti, Yolanda und Stachelbeer-Bein-Arschi-mit-Socken zum SCHWIMMBAD.

»Warum nicht lieber an einen Fluss?«

»Zu verseucht!« – Ach, und was ist mit dem Sonnenmilchgehalt im großen Becken?

»See?«

»Zu überfüllt.« – Äh, im Bad siehst du die Liegewiese vor lauter Leuten nicht.

»Meer?«

»Zu weit.« – Stimmt, und außerdem zu teuer.

»Ich hasse Schwimmbäder!«

»Ist doch egal, du schwimmst ja nicht.«

Sie findet keinen Parkplatz, und das die nächste halbe Stunde. Schließlich parken wir in Sichtweite – nein, nicht vom Schwimmbad, sondern von meiner Wohnung. Es wird gelaufen. Mutter trägt das Kind. Ich das Kinderzimmer. Warum müssen Kinder, wenn sie schwimmen gehen, all ihre Spiele, Bücher und … sind das wirklich Schlittschuhe?

»Yolanda hat so eine Phase.« Das Kind hat einen Film über die Klimakatastrophe gesehen, da war es erst sehr heiß und dann ganz plötzlich kalt. Deshalb nimmt sie jetzt überall ihre Schlittschuhe mit. Gute Idee, wenn von einer Sekunde auf die andere das Schwimmbecken zufriert. Yolanda dreht die erste Runde auf Schlittschuhen im Bikini und mit Plastiknudel in der Hand. Wir erreichen die Kasse.

Mutter und Kind zahlen gemeinsam nicht halb so viel wie der alleinstehende Erwachsene mit den »sind das wirklich Schlittschuhe?«. Der Rentner hinter mir, ehemaliger Beamter, Erbe von zwei Mehrfamilienhäusern, kommt für 50 Cent rein. Denkt denn keiner mit? Opi schwimmt jeden Tag zwei Bahnen für 50 Cent! Das hält ihn so gesund, der stirbt nie. Wenn Yolanda 20 ist, zahl ich noch dessen Rente und Yolandas Bafög. Am besten einfach weiter geradeaus laufen und den Tod im Tauchbecken suchen. Dafür muss aber erst das Drehkreuz überwunden werden. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Jugendliche rechts und links vom Gitter lässig über kniehohe Zäune hüpfen, um Eintrittsgeld zu sparen. Oder machen sie das gar nicht aus Geiz, sondern weil sie nicht – wie ich jetzt – zwischen den Hochsicherheitsgitterstäben eingeklemmt sein wollen. Als die noch nicht verrostet waren, sprich gebaut wurden, verkündete der Architekt stolz, dass garantiert keiner reinkommt, ohne die 40 Pfennig Eintritt bezahlt zu haben. Dann wurde schnell klar, das Geld, um das Schwimmbad einzuzäunen, ist alle, und seitdem kommen die meisten durch die Büsche rein. Nur unsereins bezahlt für einen Erwachsenen ohne Kind – acht Euro!

»Schuhe aus!«, brüllt mich Yolanda an. Vor uns hat plötzlich der Weg aufgehört, und der Volldepp, der damals die Hochsicherheitsdrehtür gebaut hat, nervt nun mit einem Planschbecken, das exakt so breit ist, dass du nicht drüberspringen kannst.

Alle anderen laufen mit nackten Füßen durch die Soße. Hat sich die Menschheit aus dem Altertum bis ins 21. Jahrhundert vorgearbeitet, um barfuß zu laufen? Moses, bitte teile den Strom, damit ich meine Schuhe nicht ausziehen muss. Schuhe anlassen sei im Schwimmbad voll eklig, erklären mir Mutter und Kind. In der linken die Socken, in der rechten die Schuhe, zwischen den Zähnen den Seesack mit Yolandas Sachen, zwinge ich meine sensiblen Füße durchs eiskalte Becken.

Mutter und Kind sind längst auf der Suche nach einem Platz. Gut voll heute. Wir haben die Wahl zwischen platt gelegener Wiese in den Bereichen zu viel Sonne, zu nah am Wasser, zu weit weg, zu laut, zu leise, zu viele Ameisen. Wo wäre es am besten? Zu Hause?

Irgendwann wird der Kram einfach hingeschmissen. Decke ausgebreitet, hingesetzt – Mutti muss jetzt erst mal eine rauchen. Auf der Wiese, die Asche in eine halbleere, schon warme Coladose – es sei mir hier ein »voll eklig« erlaubt. Yolanda wird jetzt startklar gemacht. Flossen, aufblasbarer Delphin, zwei Nudeln … Schwimmflügel, Luftmatratze. Soll das Kind vom Hochhaus geschubst werden? Das ist die Ausrüstung fürs Planschbecken?

Gemeinsam beobachten wir, wie das Kind eingehüllt in aufgeblasenem Plastik in Richtung Planschbecken rollt. Die Hitze flimmert. Die Augen werden müde. Da plötzlich Brüste. Überall. Brüste. Wo du hinguckst. Einfach so. Nackt, bedeckt, auf alle Fälle GROSS. »Reg dich nicht auf, das ist jetzt Mode«, erfahre ich von Mutti. Bitte? »Ja, früher hatten sie alle ein Tattoo überm Arsch, jetzt lassen sie sich Plastikmöpse machen.«

Mir wird schlecht. »Ich würde die ja so gern mal anfassen!« – Sofort Mund zu … halten – hab ich das gesagt? Himmel, meine Hormone spielen in der Hitze verrückt. Moment, merke gerade, es war Yolandas Mutter. Erschütternd.

Da sitzt du im Hochsommer auf einer Schwimmbadwiese, in kurzen Hosen, mit nackten Füssen, neben einer Mutter, die gerne die Brüste einer fremden Frau anfassen möchte, dabei in eine warme Cola-Dose ascht und jetzt auch noch mit dem Fuß wippt. »Hallo?« – Sie hört nicht, weil der mp3-Player zu laut ist. Und wer passt aufs Kind auf? Für einen kurzen Moment entstöpselt Mutti gnädig ein Ohr, erklärt mir, wie wichtig es ist, dass Yolanda in ihrer Sozialisierungsphase selbst Grenzen erkennt. Kann es vielleicht sein, dass du einfach nur zu …, noch bevor das Wort FAUL an ihr Ohr dringen kann, säuselt Robbie Williams »Feel« in ihr Ohr, und Mutti ist ganz weg. Wieder mal stellt sich die Frage: Warum werden Erwachsene mit ohne Kind steuerlich mehr belastet als Erwachsene, die zwar Kinder auf die Welt bringen, sich aber dann nicht um sie kümmern? Ein toller dunkler Gedanke, der in Sekundenschnelle düstere Schatten vorm geistigen Auge aufziehen lässt – doch da steht schon ein echter Schatten über unserm Badetuch. Eine fremde Mutter bringt Yolanda zurück.

»Passen Sie mal besser auf Ihr Kind auf.« Noch bevor ich die Vaterschaft vehement zurückweisen kann, versteckt sich Yolanda hinter mir und klammert sich an mich. Wie unangenehm. Aber sicherlich verständlich. Höchstwahrscheinlich wurde Yolanda vom Kind der vor mir stehenden Person übelst getunkt. Toll, wir haben einen Notfall, und Mutti hört weiter mit geschlossenen Augen den überzeugten Junggesellen Robbie Williams. Vielen Dank. Vor mir steht eine böse, unendlich große, muskulö … oder ist das etwa das bereits beschriebene Silikon … Wie auch immer, sie steht nass im getigerten Bikini und bedauerlicherweise breitbeinig vor uns. So breit, dass du zwischendurch die Sonne sehen kannst, wenn nicht gerade wieder ein Tropfen von der Bikinihose rinnen würde.

»Sie brauchen gar nicht so zu gucken«, schimpft sie, und gerade, als du sicher bist, dass das der schlimmste Schwimmbad-Moment deines Lebens ist, ruft sie laut: »Ich lass mir doch nicht in die Titten kneifen.«

Sie dreht wütend ab. Umliegende Blicke versuchen, mich zu töten. Yolanda kichert, entstöpselt das Ohr von Mutti und erzählt stolz, wie sich die Gummidinger anfühlen.

Danke, das reicht, jetzt einfach nach Hause gehen und »Baywatch«… nein, irgendwas anderes gucken. Auf alle Fälle weg hier. Geht nicht, das Kind kann nicht mit nassen Haaren ins Auto.

Na gut, dann vielleicht was essen. Mutti hat fürs Kind und sich jeweils einen Apfel. Sie wussten ja nicht, dass ich mitkomme. In etwa 100 Meter Entfernung steht ein Kiosk. Nur zwei Meter entfernt beginnt vor uns die Schlange. Clever warte ich, bis sich meine Begleiterinnen gestärkt haben, und murmle beim Aufstehen kurz: »Soll ich euch was mitbringen?«

»Zwei große Eis, so eine Kette, die man essen kann, Weingummi, eine Leckmuschel, kalte Cola, heiße Würstchen.«

»Ja sonst noch was?«

»Wenn sie haben, Mohrenköpfe.«

Für die nächste halbe Stunde stehe ich in der Schlange und lerne auswendig. Zwei große Ketten, nein Eis – zum Essen – klar mit Weingummigeschmack, Leckcola und Würstchenmuschel. Nochmal nachfragen kostet mindestens 20