Das Lied von Eis und Feuer 05 - George R.R. Martin - E-Book
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Das Lied von Eis und Feuer 05 E-Book

George R.R. Martin

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Beschreibung

Ein blutiger Bürgerkrieg tobt in den Sieben Königreichen. Robb Stark, der Herr von Winterfell, leistet dem tyrannischen Kind-König Joffrey Lennister hartnäckig Widerstand und lässt sich auch nicht dadurch in die Knie zwingen, dass seine Schwester vom König als Geisel gehalten wird.

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Die Welt von Eis und Feuer ist die erste offizielle App zu George R.R. Martins Bestsellersaga. Egal ob Sie die Bücher lesen oder die TV-Serie Game of Thrones verfolgen, Sie werden von den zahlreichen Funktionen begeistert sein:

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- Eine »Anti-Spoiler-Funktion«, mit der Sie einstellen können, an welchem Punkt der Saga Sie sich gerade befinden, sodass Sie nicht zu früh Informationen über den Verlauf der Erzählung erhalten.

Sie erhalten Die Welt von Eis und Feuer im App Store von Apple.

Inhaltsverzeichnis

WidmungEine Anmerkung zur ChronologiePrologJAIME CATELYN ARYA TYRION DAVOS SANSA JON DAENERYS BRAN DAVOS JAIME TYRION ARYA CATELYN JON SANSA ARYA SAMWELL TYRION CATELYN JAIME ARYA DAENERYS BRAN DAVOS JON DAENERYS SANSA ARYA JON JAIME TYRION SAMWELL ARYA CATELYN DAVOS JAIME TYRION Anhang - DER KÖNIG DES NORDENS Die Könige und ihre Höfe
DER KÖNIG AUF DEM EISERNEN THRON DER KÖNIG IN DER MEERENGE DIE KÖNIGIN JENSEITS DES MEERES DER KÖNIG DER INSELN UND DES NORDENS
Weitere große und kleine Häuser
HAUS ARRYN HAUS FLORENT HAUS FREY HAUS LENNISTER HAUS MARTELL HAUS TULLY HAUS TYRELL
Rebellen, Schurken und geschworene Brüder - DIE GESCHWORENEN BRÜDER DER NACHTWACHE Die Bruderschaft ohne Banner
EINE GEFOLGSCHAFT VON GEÄCHTETEN DIE WILDLINGE ODER DAS FREIE VOLK
DANKSAGUNGCopyright

Für Phyllis,die mich dazu überredet hat,die Drachen insSpiel zu bringen.

Eine Anmerkung zur Chronologie

Das Lied von Eis und Feuer wird aus der Perspektive von Figuren erzählt, die oft Hunderte oder gar Tausende von Meilen voneinander entfernt sind. Manche Kapitel erstrecken sich über einen Tag, andere nur über eine Stunde; manche umfassen möglicherweise zwei Wochen, einen Monat oder ein halbes Jahr. Bei einer solchen Struktur kann man die Erzählung nicht streng chronologisch halten; zum Zeitpunkt eines Geschehens tragen sich tausend Meilen entfernt andere wichtige Ereignisse zu.

Was den vorliegenden Band betrifft, so sollte der Leser wissen, dass die ersten Kapitel von Sturm der Schwerter den Schlusskapiteln von Die Saat des Goldenen Löwen weniger folgen, als sich vielmehr mit ihnen überschneiden. Ich beginne hier mit einem Blick auf die Vorfälle, die sich auf der Faust der Ersten Menschen, in Schnellwasser, Harrenhal und am Trident ereigneten, während zeitgleich in Königsmund die Schlacht am Schwarzwasser stattfand ...

George R. R. Martin

Prolog

Der Tag war grau und bitterkalt, und die Hunde wollten die Witterung nicht aufnehmen.

Die große schwarze Hündin schnüffelte einmal kurz an der Bärenfährte, wich zurück und schlich mit eingekniffenem Schwanz wieder zur Meute. Die Hunde drängten sich jämmerlich am Ufer zusammen, während eine Böe zwischen ihnen hindurchfuhr. Chett erging es nicht besser, denn der Wind schnitt selbst durch mehrere Schichten aus schwarzer Wolle und gehärtetem Leder. Für Mensch und Tier war es verflucht noch einmal zu kalt, und trotzdem standen sie hier. Er verzog den Mund und konnte regelrecht spüren, wie die Furunkel auf Wangen und Hals rot anliefen. Ich sollte daheim an der Mauer sein, in Sicherheit, die verfluchten Raben versorgen und Feuer für den alten Maester Aemon machen. Dieser Bastard Jon Schnee hatte ihn von seinem Plätzchen vertrieben, zusammen mit seinem fetten Freund Sam Tarly. Ihre Schuld war es, dass er hier mit der Meute im Verfluchten Wald herumlief und sich die Eier abfror.

»Bei den Sieben Höllen.« Er riss heftig an den Leinen, damit die Hunde ihm ihre Aufmerksamkeit zuwandten. »Sucht, ihr verfluchten Köter. Das ist die Spur eines Bären. Wollt ihr nun ein bisschen Fleisch oder nicht? Sucht!« Aber die Hunde drängten sich nur enger aneinander und winselten. Chett ließ seine kurze Peitsche über ihren Köpfen knallen, und die schwarze Hündin knurrte ihn an. »Hundefleisch würde genauso gut schmecken wie Bärenschinken«, warnte er sie, und bei jedem Wort gefror der Atem vor seinem Mund.

Lark von den Drei Schwestern stand mit verschränkten Armen da und drückte die Hände in die Achselhöhlen. Er trug schwarze Wollhandschuhe, trotzdem beschwerte er sich ständig, dass seine Finger froren. »Für die Jagd ist es einfach zu kalt, verdammt«, meinte er. »Scheiß auf den Bären, der ist es nicht wert zu erfrieren.«

»Mit leeren Händen können wir auch nicht umkehren, Lark«, knurrte der Kleine Paul durch den braunen Bart, der den größten Teil seines Gesichts bedeckte. »Das würde dem Lord Kommandanten nicht gefallen.« Unter der dicken Knollennase des Mannes hing gefrorener Rotz. Seine Pranke, die in einem dicken Fellhandschuh steckte, umklammerte den Schaft eines Speeres.

»Auf den Alten Bären kannst du genauso scheißen«, erwiderte der Mann von den Drei Schwestern, ein dünner Kerl mit scharfen Gesichtszügen und nervös zuckenden Augen. »Mormont wird vor Tagesanbruch tot sein, schon vergessen? Wen kümmert es, was ihm passt?«

Der Kleine Paul blinzelte mit seinen schwarzen Schweinsäuglein. Vielleicht hatte er es wirklich vergessen, dachte Chett; er war dumm genug, um so gut wie alles zu vergessen. »Warum müssen wir den Alten Bär umbringen? Wir könnten doch einfach davonlaufen und ihn in Ruhe lassen.«

»Glaubst du, er würde uns in Ruhe lassen?«, entgegnete Lark. »Er würde uns jagen. Willst du gehetzt werden, du Riesenschafskopf? «

»Nein«, sagte der Kleine Paul. »Das will ich nicht. Ich nicht.«

»Also bringst du ihn um?«, hakte Lark nach.

»Ja.« Der große Mann stieß das Ende seines Speers auf den gefrorenen Uferboden. »Das mache ich. Er soll uns nicht jagen. «

Der Mann von den Drei Schwestern zog seine Hände aus den Achselhöhlen und wandte sich an Chett. »Wir müssen alle Offiziere töten, meine ich.«

Chett hatte die Nase voll davon, sich das anzuhören. »Das haben wir schon oft genug besprochen. Der Alte Bär muss sterben, und Blan vom Schattenturm ebenfalls. Außerdem Grubbs und Aethan, weil sie das Pech haben, ausgerechnet für diese Wache eingeteilt zu sein, Dywen und Bannen, weil sie die besten Fährtenleser sind, und Ser Schweinchen wegen der Raben. Das sind alle. Wir bringen sie leise um, während sie schlafen. Ein Schrei, und wir sind Futter für die Würmer, jeder Einzelne von uns.« Seine Furunkel glühten rot vor Wut. »Mach einfach nur deine Arbeit, und pass auf, dass deine Vettern die ihre tun. Und Paul, vergiss nicht: Die dritte Wache, nicht die zweite.«

»Dritte Wache«, wiederholte der große Mann unter dem gefrorenen Schnodder hervor. »Ich und Leisefuß. Ich vergesse es nicht, Chett.«

Heute Nacht würde Neumond sein, und sie hatten die Wachen so getauscht, dass acht von ihnen auf Posten waren und zwei weitere die Pferde bewachten. Es noch besser einzurichten würde ihnen kaum gelingen. Außerdem konnten die Wildlinge jederzeit auftauchen. Bevor das geschah, hatte Chett vor, weit fort zu sein. Er wollte schließlich nicht sterben.

Dreihundert verschworene Brüder der Nachtwache waren gen Norden geritten, zweihundert aus der Schwarzen Festung und weitere hundert aus dem Schattenturm. Das war die größte Grenzertruppe seit Menschengedenken, fast ein Drittel der gesamten Nachtwache. Sie suchten Ben Stark, Ser Weymar Rois und die anderen Grenzer, die vermisst wurden, und sie wollten herausfinden, aus welchem Grund die Wildlinge ihre Siedlungen verließen. Nun, über Stark und Rois wussten sie nicht mehr als bei ihrem Aufbruch von der Mauer, doch wohin sich die Wildlinge verkrochen, das hatten sie sehr wohl in Erfahrung gebracht ... hinauf in die eisigen Höhen der von den Göttern vergessenen Frostfänge. Sollten sie dort doch bis zum Ende aller Zeiten hocken, deswegen begannen Chetts Furunkel nicht zu schmerzen.

Aber nein! Sie kamen herunter. Am Milchwasser entlang.

Chett hob den Blick, und da lag der Fluss vor ihm. Das steinige Ufer war mit Eis überzogen, das helle, milchige Wasser strömte endlos aus den Frostfängen herab. Und nun zogen Manke Rayder und seine Wildlinge auf dem gleichen Weg heran. Thoren Kleinwald war vor drei Tagen schweißüberströmt zurückgekehrt. Während er dem Alten Bären berichtete, was seine Kundschafter gesehen hatten, erzählte sein Mann Anker Weißauge es den anderen. »Im Moment sind sie noch in den Ausläufern des Gebirges, aber sie sind unterwegs«, sagte Anker und wärmte sich derweil die Hände über dem Feuer. »Harma Hundekopf führt die Vorhut an, dieses pockennarbige Stück Dreck. Treiber hat sich an ihr Lager herangeschlichen und sie offen am Feuer sitzen sehn. Tumberjon, dieser Narr, wollte ihr einen Pfeil verpassen, aber Kleinwald hatte mehr Verstand.«

Chett spuckte aus. »Wie viele waren es, konntet ihr sie zählen? «

»Viele, viel zu viele. Zwanzig-, dreißigtausend, wir haben sie nicht einzeln abgezählt. Harma hatte fünfhundert in der Vorhut, alle beritten.«

Die Männer, die um das Feuer herumsaßen, wechselten unbehagliche Blicke. Selten traf man auch nur ein Dutzend Wildlinge zu Pferd an, und fünfhundert ...

»Kleinwald hat Bannen und mich losgeschickt, damit wir die Vorhut umgehen und einen Blick auf die Hauptstreitmacht werfen«, fuhr Anker fort. »Die nahm kein Ende. Sie kommen langsam voran wie ein gefrorener Fluss, vier, fünf Meilen am Tag, dabei sehen sie jedoch nicht so aus, als würden sie in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Über die Hälfte waren Frauen und Kinder, die trieben das Vieh vor sich her, Ziegen, Schafe, sogar Auerochsen, die Schlitten ziehen. Die sind mit Fellballen und Fleisch beladen, mit Hühnerkäfigen, Butterfässern und Spinnrädern, mit ihren ganzen Habseligkeiten. Die Maultiere und kleinen Pferde waren so schwer beladen, dass ich dachte, ihnen würde gleich der Rücken brechen. Und die Frauen ebenso.«

»Und sie folgten dem Milchwasser?«, fragte Lark von den Drei Schwestern.

»Habe ich das nicht gesagt?«

Der Milchwasser würde sie an der Faust der Ersten Menschen vorbeiführen, der uralten Rundfeste, in der die Nachtwache ihr Lager aufgeschlagen hatte. Jeder Mann mit einem Funken Verstand musste einsehen, dass es an der Zeit war, die Zelte abzubrechen und sich zur Mauer zurückzuziehen. Der Alte Bär hatte die Faust mit Pfählen, Gruben und Fußangeln verstärken lassen, doch gegen ein solches Heer war das sinnlos. Wenn die Grenzer hierblieben, würden sie umzingelt und aufgerieben werden.

Und Thoren Kleinwald wollte sogar angreifen. Der Süße Donnel Hügel war Knappe von Ser Mallador Locke, und in der vorvorigen Nacht war Kleinwald zu Lockes Zelt gekommen. Ser Mallador war der gleichen Meinung wie der alte Ser Ottyn Wyters und drängte auf einen Rückzug zur Mauer, Kleinwald hingegen wollte ihn vom Gegenteil überzeugen. »Dieser König-jenseits-der-Mauer wird niemals so weit nördlich nach uns Ausschau halten«, hatte er gesagt, wie der Süße Donnel berichtete. »Und dieses riesige Heer ist nur eine dahertorkelnde Horde von Großmäulern, die nicht wissen, an welchem Ende man ein Schwert halten muss. Ein Schlag, und schon hat man ihnen die Lust zum Kämpfen vergällt, und sie verschwinden mit lautem Geheul für die nächsten fünfzig Jahre wieder in ihren armseligen Hütten.«

Dreihundert gegen dreißigtausend. Chett nannte es Wahnsinn, und noch verrückter war es, dass sich auch Ser Mallador zu diesem Wahnsinn überreden ließ, und die beiden wiederum würden den Alten Bären überzeugen. »Wenn wir zu lange warten, lassen wir uns diese Gelegenheit vielleicht entgehen, und wer weiß, ob sich uns eine zweite bietet«, erklärte Kleinwald jedem, der ihm zuhörte. Ser Ottyn Wyters hielt dagegen: »Wir sind der Schild, der die Reiche der Menschen schützt. Diesen Schild darf man nicht ohne guten Grund aufs Spiel setzen.« Daraufhin entgegnete Thoren Kleinwald jedoch nur: »In einem Schwertkampf verteidigt man sich am besten, indem man den Feind mit einem raschen Streich erschlägt, nicht indem man sich hinter seinem Schild verkriecht.«

Allerdings hatten weder Kleinwald noch Wyters das Kommando. Das hatte Lord Mormont, der auf seine anderen Kundschafter wartete, auf Jarman Bockwell und die Männer, die die Treppe des Riesen hinaufgestiegen waren, und auf Qhorin Halbhand und Jon Schnee, die sich in den Klagenden Pass vorgewagt hatten. Bockwell und Halbhand waren jedoch längst überfällig. Höchstwahrscheinlich tot. Chett stellte sich vor, wie Jon Schnee blau und erfroren auf einer kahlen Bergspitze lag und wie ihm der Speer eines Wildlings aus dem Bastardhintern ragte. Bei diesem Gedanken musste er lächeln. Hoffentlich haben sie seinen verfluchten Wolf auch gleich umgebracht.

»Hier gibt es keinen Bären«, entschied er plötzlich. »Das ist bloß eine alte Fährte. Zurück zur Faust.« Die Hunde rissen ihn fast von den Beinen, denn sie waren genauso erpicht darauf zurückzukehren wie er. Möglicherweise glaubten sie, es gäbe Futter. Chett musste lachen. Er hatte sie jetzt seit drei Tagen nicht mehr gefüttert, damit sie hungrig und aggressiv wurden. Heute Nacht, ehe er in die Dunkelheit davonschlich, würde er sie zwischen den Pferden loslassen, nachdem der Süße Donnel Hügel und Klumpfuß Karl die Leinen durchgeschnitten hatten. Dann haben sie es auf der ganzen Faust mit knurrenden Hunden und panischen Pferden zu tun, die durch die Feuer laufen, über die Rundmauer springen und Zelte niedertrampeln. In diesem Durcheinander würde vermutlich erst Stunden später bemerkt werden, dass vierzehn Brüder fehlten.

Lark hatte die doppelte Anzahl mitnehmen wollen, aber was durfte man von einem dummen, nach Fisch stinkenden Mann von den Drei Schwestern schon erwarten? Flüstere ein Wort ins falsche Ohr, und ehe du dich’s versiehst, bist du einen Kopf kürzer. Nein, vierzehn war eine gute Zahl, genug, um alles zu erledigen, was zu tun war, und nicht so viele, dass das Geheimnis nicht bewahrt werden könnte. Chett hatte die meisten selbst ausgewählt. Den Kleinen Paul zum Beispiel; er war der stärkste Mann auf der Mauer, auch wenn er sich langsamer bewegte als eine tote Schnecke. Einmal hatte er einem Wildling das Rückgrat gebrochen, indem er ihn lediglich umarmt und fest an sich gedrückt hatte. Außerdem hatten sie auch Dolch auf ihrer Seite, der nach seiner Lieblingswaffe benannt war, und diesen kleinen grauen Kerl, den die Brüder Leisefuß nannten, der in seiner Jugend hundert Frauen vergewaltigt hatte und heute noch damit prahlte, dass keine davon ihn gesehen oder gehört habe, ehe er in sie eindrang.

Der Plan selbst stammte von Chett. Schließlich war er der Denker; bis zu dem Zeitpunkt, als dieser Bastard Jon Schnee ihn von diesem Posten verdrängt hatte, damit sein fettes Schwein von einem Freund diesen einnehmen konnte, hatte er Maester Aemon vier Jahre lang als Bursche gedient. Wenn er Sam Tarly heute Nacht umbringen würde, hatte er vor, ihm ins Ohr zu flüstern: »Mit den herzlichsten Grüßen an Lord Schnee«, ehe er Ser Schweinchen die Kehle aufschlitzte und das Blut durch die dicken Schichten Fett hervorsprudeln ließ. Chett kannte die Raben, mit denen würde er keine Schwierigkeiten haben, nicht mehr als mit Tarly. Dem brauchte man nur das Messer vor die Nase zu halten, dann würde dieser Feigling sich in die Hose pissen und wimmernd um sein Leben flehen. Soll er ruhig betteln, helfen wird es ihm nichts. Nachdem er ihm die Kehle durchgeschnitten hätte, würde er die Käfige öffnen und die Vögel fortscheuchen, damit niemand auf der Mauer benachrichtigt werden konnte. Leisefuß und der Kleine Paul würden derweil den Alten Bären erledigen, Dolch würde sich Blan vornehmen, und Lark und seine Vettern würden Bannen und den alten Dywen zum Schweigen bringen, damit die sie nicht verfolgten. Seit vierzehn Tagen sammelten sie heimlich Essensvorräte, und der Süße Donnel und Klumpfuß Karl würden die Pferde bereithalten. Nach Mormonts Tod würde der Befehl an Ser Ottyn Wyters übergehen, einen alten Mann, der seine besten Zeiten hinter sich hatte. Noch vor Sonnenuntergang wird er zur Mauer fliehen, und er wird keine Männer verschwenden, um uns zu verfolgen.

Die Hunde zerrten an der Leine, während sie durch den Wald zurückkehrten. Chett sah die Faust, die sich aus dem Grün emporreckte. Der Tag war düster, und der Alte Bär hatte Fackeln anzünden lassen, die in einem großen Kreis um die Ringmauer brannten, welche den steilen, felsigen Hügel krönte. Die drei wateten durch einen Bach. Das Wasser war eiskalt, und auf der Oberfläche breitete sich bereits Eis aus. »Ich werde mich zur Küste durchschlagen«, verriet Lark von den Drei Schwestern. »Ich und meine Vettern. Wir bauen uns ein Boot und segeln zurück zu den Drei Schwestern.«

Und zu Hause werden sie euch als Deserteure ergreifen und euch die Köpfe abschlagen, dachte Chett. Die Nachtwache konnte man nicht mehr verlassen, nachdem man einmal seinen Eid abgelegt hatte. Überall in den Sieben Königslanden würde man sie gefangen nehmen und töten.

Ollo Handab zum Beispiel, der redete davon, nach Tyrosh zurückzusegeln, wo, wie er behauptete, ein Mann für einen kleinen ehrlichen Diebstahl nicht gleich die Hand verlor oder in die Kälte verbannt wurde, wenn man ihn im Bett der Gemahlin eines Ritters erwischt hatte. Chett hatte erwogen, sich ihm anzuschließen, aber er beherrschte kein einziges Wort dieser feuchten, weibischen Sprache. Und was sollte er in Tyrosh anfangen? In Hexensumpf, wo er aufgewachsen war, hatte er kein nennenswertes Handwerk erlernt. Sein Vater hatte sein Leben damit verbracht, anderen Männern die Felder umzugraben oder Blutegel zu sammeln. Nur mit einem ledernen Lendenschurz bekleidet stieg er in das trübe Wasser. Wenn er herauskam, war er von der Brust bis zu den Knöcheln bedeckt. Manchmal ließ er sich von Chett helfen, die Blutegel abzunehmen. Einmal hatte sich einer in dessen Handfläche festgesaugt, und vor lauter Ekel hatte Chett ihn gegen die Wand geschlagen. Dafür hatte ihn sein Vater blutig geprügelt. Die Maester zahlten einen ganzen Penny für zwölf der kleinen Tiere.

Lark sollte ruhig nach Hause gehen, wenn er wollte, und der verfluchte Tyroshi auch, aber Chett nicht. Falls er Hexensumpf jemals wieder sah, dann wenigstens nicht in allzu naher Zukunft. Ihm hatte dagegen Crasters Bergfried gefallen. Craster lebte dort wie ein hoher Lord, warum also sollte er nicht das Gleiche tun? War das nicht zum Lachen? Chett, der Sohn eines Egelsammlers, ein Lord mit einer eigenen Burg. Sein Banner würde ein Dutzend Blutegel in rosafarbenem Feld zeigen. Aber weshalb nur ein Lord? Vielleicht würde er sogar König werden. Manke Rayder hat auch als Krähe angefangen. So wie er könnte auch ich König werden und ein paar Weiber haben. Craster hatte neunzehn, die jüngeren Töchter, die er noch nicht in sein Bett genommen hatte, gar nicht mitgezählt. Die Hälfte der Frauen war ebenso alt und hässlich wie Craster selbst, doch was machte das schon aus? Die Alten würde Chett kochen und putzen, Karotten ernten und Schweine schlachten lassen, während die Jungen ihm das Bett wärmten und seine Kinder gebaren. Craster würde sich darüber nicht mehr beschweren, nachdem der Kleine Paul ihn einmal herzlich gedrückt hatte.

Die einzigen Frauen, die Chett je kennen gelernt hatte, waren die Huren in Mulwarft. Als er jünger gewesen war, hatten die Dorfmädchen nur einen einzigen Blick auf sein Gesicht mit den Furunkeln und dem Grützbeutel geworfen und sich voller Abscheu abgewandt. Die Schlimmste war diese Hure Bessa. Die hatte für jeden Jungen in Hexensumpf die Beine breit gemacht, und daher hatte er gedacht, sie würde es auch für ihn tun. Einen ganzen Vormittag hatte er wilde Blumen gepflückt, nachdem er gehört hatte, dass sie diese mochte, doch am Ende hatte sie ihn nur ausgelacht und gesagt, lieber würde sie mit den Blutegeln seines Vaters unter eine Decke kriechen als mit ihm. Sie hatte erst zu lachen aufgehört, als er sein Messer in sie stach. Das war süß, dieser Blick auf ihrem Gesicht, und so zog er das Messer zurück und stach erneut zu. Nachdem sie ihn in der Nähe von Siebenbächen erwischt hatten, hatte sich der alte Lord Walder Frey nicht einmal die Mühe gemacht, selbst über ihn Gericht zu halten. Er hatte einen seiner Bastarde geschickt, diesen Walder Strom, und ehe sich’s Chett versah, war er bereits mit diesem stinkenden schwarzen Teufel Yoren unterwegs zur Mauer gewesen. Für einen einzigen schönen Augenblick musste er mit seinem ganzen Leben bezahlen.

Doch jetzt würde er es sich zurückholen, und Crasters Frauen dazu. Dieser seltsame alte Wildling hat Recht. Wenn du eine Frau willst, nimm sie dir, und es hat gar keinen Zweck, ihr Blumen zu schenken, damit sie vielleicht deine verfluchten Furunkel nicht bemerkt. Chett beabsichtigte nicht, diesen Fehler ein zweites Mal zu begehen.

Es würde alles gut werden, redete er sich zum hundertsten Mal ein. Solange wir nur unbemerkt entkommen. Ser Ottyn würde in Richtung Süden zum Schattenturm aufbrechen, auf dem kürzesten Weg zur Mauer. Mit uns wird er sich nicht aufhalten, nicht Wyters, der will bloß heil nach Hause. Thoren Kleinwald, der würde den Angriff fortsetzen wollen, aber Ser Ottyn war zu vorsichtig, und er hatte den höheren Rang inne. Ist sowieso gleichgültig. Nachdem wir fort sind, kann Kleinwald angreifen, wen er will. Wen kümmert das schon? Wenn sie alle nicht zur Mauer zurückkehren, wird niemand nach uns suchen, weil man glaubt, wir seien mit den anderen verreckt. Dieser Gedanke kam ihm zum ersten Mal, und einen Augenblick lang erschien er verlockend. Nur müsste man dafür Ser Ottyn und Ser Mallador Locke ebenfalls töten, damit Kleinwald das Kommando bekam, und beide waren Tag und Nacht von Männern umgeben... nein, das Risiko war zu groß.

»Chett«, sagte der Kleine Paul, während sie einen steinigen Wildpfad zwischen Wachbäumen und Soldatenkiefern entlangtrotteten. »Was ist mit dem Vogel?«

»Mit welchem verdammten Vogel?« Dass sich dieser Schafskopf über einen Vogel ausließ, war das Letzte, was er brauchen konnte.

»Der Rabe vom Alten Bär«, erwiderte der Kleine Paul. »Wenn wir den Alten Bär umbringen, wer füttert dann seinen Vogel?«

»Wen interessiert das, verflucht noch mal? Bring den Vogel doch gleich mit um, wenn du magst.«

»Ich will keinem Vogel was antun«, sagte der große Mann. »Bloß, er kann sprechen. Wenn er ihnen nun erzählt, was wir getan haben?«

Lark von den Drei Schwestern lachte. »Kleiner Paul, wie ’ne Burg so dumm und faul«, spöttelte er.

»Hör auf damit«, fauchte der Kleine Paul drohend.

»Paul«, mischte sich Chett ein, ehe der große Mann richtig wütend wurde, »wenn sie den alten Kerl in einer Blutlache und mit aufgeschlitzter Kehle finden, werden sie den Vogel nicht brauchen, um zu sehen, dass ihn jemand umgebracht hat.«

Der Kleine Paul versank darüber einen Augenblick lang in tiefes Grübeln. »Das ist wahr«, stimmte er schließlich zu. »Kann ich den Vogel dann behalten? Ich mag ihn.«

»Er gehört dir«, sagte Chett, damit er nur den Mund hielt.

»Wenn wir Hunger bekommen, können wir ihn immer noch essen«, warf Lark ein.

Erneut umwölkte sich die Miene des Kleinen Pauls. »Ich warne dich, Lark, versuch besser nicht, meinen Vogel zu essen. Besser nicht.«

Chett hörte Stimmen durch die Bäume. »Haltet alle beide den verdammten Mund. Wir haben die Faust fast erreicht.«

Nahe des Westhanges traten sie aus dem Wald und umrundeten den Hügel in Richtung Süden, wo der Abhang nicht so steil war. Am Waldrand übte ein Dutzend Männer Bogenschießen. Sie hatten mit Kohle die Umrisse von Menschen auf Baumstämme gemalt und schossen ihre Pfeile darauf ab. »Schau nur«, sagte Lark, »ein Schwein mit einem Bogen.«

Tatsächlich, der vorderste Schütze war Ser Schweinchen höchstpersönlich, der fette Junge, der ihm seinen Platz bei Maester Aemon weggenommen hatte. Schon beim Anblick von Samwell Tarly geriet er in Wut. Maester Aemon zu dienen war das beste Leben gewesen, das er je genossen hatte. Der alte blinde Mann verlangte nicht viel, und Klydas hatte sich sowieso um das meiste gekümmert. Chetts Pflichten beschränkten sich darauf, den Rabenschlag auszumisten, Feuer zu machen, Essen zu holen ... und Aemon hatte ihn nicht ein einziges Mal geprügelt. Dieser Fettsack glaubt, er braucht nur anzukommen und kann mich vertreiben, weil er ein Hochgeborener ist und lesen kann. Vielleicht sollte ich ihn fragen, ob er lesen kann, was auf dem Messer steht, ehe ich ihm damit die Kehle durchschneide. »Geht weiter«, forderte er die anderen auf, »ich werde ein bisschen zuschauen.« Die Hunde zerrten an den Leinen und wollten zu ihrem Futter, das, so glaubten sie, oben auf sie wartete. Chett trat mit dem Stiefel nach der Hündin, und daraufhin wurden sie etwas ruhiger.

Unter den Bäumen hervor beobachtete er, wie der dicke Junge mit einem Langbogen kämpfte, der genauso groß war wie er selbst; das rote Mondgesicht war vor Konzentration angespannt. Drei Pfeile steckten vor ihm im Boden. Tarly legte einen auf und zog die Sehne durch, hielt sie einen Augenblick lang fest, während er zu zielen versuchte, und ließ los. Der Pfeil verschwand im Grün. Chett lachte laut auf, ein Schnauben voll süßer Verachtung.

»Den finden wir nie wieder, und ich bekomme die Schuld«, beschwerte sich Edd Tollett, der düstere grauhaarige Knappe, den alle den Schwermütigen Edd nannten. »Seit ich damals mein Pferd verloren habe, schauen sie immer mich an, wenn irgendetwas fehlt. Als hätte ich etwas dafür gekonnt. Das Pferd war weiß, und es hat geschneit. Was haben die denn erwartet?«

»Der Wind hat ihn abgetrieben«, erklärte Grenn, ein weiterer Freund von Lord Schnee. »Versuch, den Bogen gerade zu halten, Sam.«

»Er ist so schwer«, jammerte der fette Junge, legte trotzdem den zweiten Pfeil auf und spannte. Dieser flog hoch in die Luft und segelte drei Meter über dem Ziel durch die Äste.

»Ich glaube, du hast ein Blatt von dem Baum abgeschossen«, sagte der Schwermütige Edd. »Der Herbst kommt bald genug, da brauchst du nicht noch nachzuhelfen.« Er seufzte. »Und wir wissen alle, was auf den Herbst folgt. Bei den Göttern, mir ist jetzt schon kalt. Schieß deinen letzten Pfeil ab, Samwell, ich glaube, mir friert die Zunge am Gaumen fest.«

Ser Schweinchen senkte den Bogen, und Chett dachte, er würde gleich anfangen zu weinen. »Es ist zu schwer.«

»Auflegen, spannen, schießen«, meinte Grenn. »Mach schon.«

Gehorsam zog der dicke Junge den letzten Pfeil aus der Erde, legte ihn auf, zog die Sehne durch und ließ los. Er tat es rasch, ohne gewissenhaft über den Pfeil zu blinzeln wie bei den ersten beiden Malen. Der Pfeil traf den Kohlenumriss tief unten in der Brust und blieb zitternd stecken. »Ich habe ihn getroffen.« Ser Schweinchen klang schockiert. »Grenn, hast du das gesehen? Edd, schau nur, ich habe ihn getroffen!«

»Genau zwischen die Rippen, würde ich sagen«, meinte Grenn.

»Habe ich ihn getötet?«, wollte der Dicke wissen.

Tollett zuckte die Achseln. »Vielleicht hättest du seine Lunge durchbohrt, wenn er eine hätte. Die meisten Bäume haben in der Regel keine.« Er nahm Sam den Bogen aus der Hand. »Ich habe allerdings auch schon schlechtere Schüsse gesehen. Ja, und selbst schon schlechter gezielt.«

Ser Schweinchen strahlte. Wenn man ihn so betrachtete, mochte man glauben, er habe tatsächlich etwas geleistet. Doch als er Chett und die Hunde bemerkte, erstarb das Lächeln.

»Du hast einen Baum getroffen«, sagte Chett. »Wollen wir doch mal sehen, wie du schießt, wenn es Manke Rayders Leute sind. Die werden nicht mit ausgestreckten Armen und raschelndem Laub dastehen, o nein. Die laufen auf dich zu und schreien dir ins Gesicht, und ich wette, dann machst du dir in die Hose. Einer von ihnen wird dir seine Axt mitten zwischen deine kleinen Schweinsäuglein pflanzen. Das Letzte, was du in deinem Leben hörst, wird das Krachen sein, mit dem sie dir den Schädel spaltet.«

Der Dicke zitterte. Der Schwermütige Edd legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Bruder«, sagte er feierlich, »nur weil es dir so ergangen ist, muss es Samwell nicht auch passieren.«

»Worüber redest du, Tollett?«

»Über die Axt, die dir den Schädel gespalten hat. Stimmt es, dass dir dabei der halbe Verstand rausgefallen ist und dass deine Hunde ihn aufgefressen haben?«

Dieser große Flegel Grenn lachte, und sogar Samwell Tarly brachte ein schüchternes Grinsen zu Stande. Grinse nur, so viel du willst, Ser Schweinchen. Wir werden ja sehen, wer heute Nacht zuletzt lacht. Wenn nur genug Zeit wäre, Tollett ebenfalls umzubringen. Ein trübsinniges, dummes Pferdegesicht, genau das ist er.

Der Aufstieg war steil, sogar auf jener Seite der Faust, die am flachsten war. Auf halbem Wege nach oben begannen die Hunde zu bellen und an den Leinen zu zerren, weil sie glaubten, bald Futter zu bekommen. Er hatte stattdessen einen Fußtritt für sie übrig und einen Peitschenhieb für die große hässliche Hündin, die nach ihm schnappte. Nachdem sie angebunden waren, ging er los, um Bericht zu erstatten. »Die Spuren waren da, wie Riese gesagt hat, aber die Hunde wollten keine Witterung aufnehmen«, meldete er Mormont vor dessen großem schwarzen Zelt. »Unten am Fluss war es genauso, das könnten alte Abdrücke sein.«

»Wie schade.« Lord Kommandant Mormont hatte eine Glatze, einen struppigen grauen Bart und klang genauso müde, wie er aussah. »Wir hätten alle einen Bissen frisches Fleisch vertragen können.« Der Rabe auf seiner Schulter nickte mit dem Kopf und wiederholte: »Fleisch. Fleisch. Fleisch.«

Wir könnten ja die verdammten Hunde kochen, dachte Chett, hielt jedoch den Mund, bis der Alte Bär ihn entlassen hatte. Und dies war das letzte Mal, dass ich den Kopf vor ihm neigen musste, dachte er zufrieden. Es schien, als würde es noch kälter werden, was er nicht für möglich gehalten hätte. Die Hunde drängten sich elendig auf dem hart gefrorenen Schlamm aneinander, und Chett kam fast in Versuchung, sich zu ihnen zu legen. Stattdessen wickelte er den schwarzen Wollschal um die untere Hälfte seines Gesichts und ließ einen Schlitz für den Mund frei. Wenn er in Bewegung blieb, war es wärmer, fand er, und so spazierte er langsam um das Lager herum, teilte ein wenig Bitterblatt mit den Schwarzen Brüdern auf Wache und hörte sich an, was sie zu berichten hatten. Keiner der Männer, die tagsüber auf Posten waren, gehörte zu seiner Gruppe; trotzdem konnte es nicht schaden zu wissen, was sie dachten.

Vor allem dachten sie, dass es verflucht kalt sei.

Der Wind nahm an Stärke zu, während die Schatten länger wurden. Er erzeugte ein hohes, dünnes Wimmern, wenn er durch die Steine der Ringmauer pfiff. »Ich hasse dieses Geräusch«, sagte der Kleine Riese. »Es hört sich an wie ein Säugling, der im Gebüsch nach Milch schreit.«

Als Chett seine Runde beendet hatte und zu den Hunden zurückgekehrt war, wartete dort Lark auf ihn. »Die Offiziere haben sich wieder im Zelt des Alten Bären versammelt und unterhalten sich ziemlich hitzig.«

»Das tun sie doch immer«, erwiderte Chett. »Schließlich sind sie hochgeboren, alle außer Blan, und sie betrinken sich mit Wörtern statt mit Wein.«

Lark drängte sich näher an ihn heran. »Unser Quarkkopf schwatzt immer noch von diesem Vogel«, warnte er und blickte sich um, um festzustellen, ob jemand in der Nähe war.

»Jetzt fragt er, ob wir irgendwelche Körner für das verdammte Vieh auf die Seite geschafft haben.«

»Es ist ein Rabe«, sagte Chett, »der frisst Leichen.«

Lark grinste. »Vielleicht sogar seine?«

Oder deine, dachte Chett. Den großen Mann brauchten sie womöglich dringender als Lark. »Mach dir wegen dem Kleinen Paul keine Sorgen. Du erledigst deinen Teil und er seinen. «

Es dämmerte bereits im Wald, als er den Mann von den Drei Schwestern endlich losgeworden war und sich setzte, um sein Schwert zu schärfen. Mit Handschuhen war diese Arbeit verdammt schwierig, aber ausziehen würde er sie auf keinen Fall. Bei dieser Kälte würde jeder Narr, der mit bloßen Händen Stahl berührte, einen Fetzen Haut verlieren.

Bei Sonnenuntergang winselten die Hunde. Er gab ihnen Wasser und verfluchte sie. »Noch eine halbe Nacht, dann könnt ihr euch euer Fressen selbst suchen.« Inzwischen konnte er das Abendessen riechen.

Dywen hockte am Feuer, während Chett seinen Kanten Brot und seine Schüssel Bohnensuppe mit Speck von Hake, dem Koch, erhielt. »Der Wald ist zu still«, sagte der alte Waldläufer. »Keine Frösche am Fluss, keine Eulen in der Dunkelheit. Einen toteren Wald habe ich noch nie erlebt.«

»Deine Zähne hören sich auch ziemlich tot an«, gab Hake zurück.

Dywen klackte mit seinen Holzzähnen. »Und Wölfe sind auch keine da. Vorher gab es welche, jetzt nicht mehr. Wo sind die wohl hin, was meint ihr?«

»Irgendwohin, wo es warm ist«, sagte Chett.

Von dem Dutzend Brüder, die hier am Feuer saßen, gehörten vier zu ihm. Während er aß, sah er jeden mit zusammengekniffenen Augen aufmerksam an, um zu prüfen, ob es Anzeichen dafür gab, dass sie kneifen wollten. Dolch wirkte ruhig, hockte schweigend da und wetzte sein Messer, wie er es jeden Abend machte. Und der Süße Donnel Hügel war fröhlich und machte Scherze. Er hatte weiße Zähne, dicke rote Lippen und blonde Locken, die ihm kunstvoll zerzaust bis auf die Schultern hingen, und er behauptete, der Bastard irgendeines Lennisters zu sein. Vielleicht stimmte das sogar. Chett hatte keine Verwendung für hübsche Knaben oder verweichlichte Bastarde, doch der Süße Donnel schien nicht kneifen zu wollen.

Bei dem Waldläufer, den die Brüder Sägeholz nannten, und zwar eher wegen seines Schnarchens als wegen irgendetwas, das mit Bäumen zu tun hatte, war er sich dessen nicht so sicher. Im Augenblick wirkte er so unruhig, dass man meinen mochte, er würde nie wieder schnarchen. Und Maslyn sah noch schlimmer aus. Chett bemerkte den Schweiß, der ihm trotz des kalten Windes über das Gesicht rann. Die Tröpfchen funkelten im Licht des Feuers wie viele kleine, feuchte Edelsteine. Maslyn aß auch nicht, sondern starrte nur in seine Suppe, als würde ihm schon von ihrem Geruch übel. Auf den muss ich aufpassen, schärfte sich Chett ein.

»Sammeln!« Der Ruf ertönte plötzlich aus einem Dutzend Kehlen und verbreitete sich rasch im ganzen Lager auf der Hügelkuppe. »Männer der Nachtwache! Versammelt euch um das große Feuer!«

Stirnrunzelnd schlang Chett den Rest seiner Suppe hinunter und folgte den anderen.

Der Alte Bär stand, Kleinwald, Locke, Wyters und Blan hinter sich, vor dem Feuer. Mormont trug einen Mantel aus dickem schwarzen Fell, und sein Rabe hockte auf seiner Schulter und putzte sich das schwarze Gefieder. Das kann nichts Gutes bedeuten. Chett drängte sich zwischen den Braunen Bernarr und ein paar Männer vom Schattenturm. Nachdem sich alle außer den Posten im Wald und den Wachen auf der Ringmauer versammelt hatten, räusperte sich Mormont und spuckte aus. Der Speichel erstarrte zu Eis, ehe er auf dem Boden landete. »Brüder«, begann er, »Männer der Nachtwache. «

»Männer!«, krächzte der Rabe. »Männer! Männer!«

»Die Wildlinge sind auf dem Marsch hierher und folgen dem Lauf des Milchwassers aus den Bergen herab. Thoren glaubt, ihre Vorhut werde uns von heute an in zehn Tagen erreichen. Und die erfahrensten Kämpfer werden sich bei Harma Hundekopf befinden, die sie anführt. Der Rest bildet vermutlich die Nachhut oder reitet nahe bei Manke Rayder selbst. Inmitten ihrer langen Kolonne werden ebenfalls überall Krieger verteilt sein, aber nur wenige. Sie haben Ochsen, Maultiere und Pferde ... aber nur wenige. Die meisten werden zu Fuß gehen, schlecht bewaffnet und kaum ausgebildet. Die Waffen, die sie tragen, sind vermutlich eher aus Stein und Knochen denn aus Stahl. Sie haben ihre Frauen und Kinder, Schaf- und Ziegenherden sowie ihre sämtlichen Habseligkeiten bei sich. Kurz: Trotz ihrer Anzahl sind sie verwundbar... und sie wissen nicht, dass wir hier sind. Jedenfalls sollten wir beten, dass es so ist.«

Sie wissen es, dachte Chett. Du verfluchter alter Eiterbeutel, sie wissen es, das ist so sicher wie der nächste Sonnenaufgang. Qhorin Halbhand ist nicht zurückgekehrt, oder? Und Jarman Bockwell auch nicht. Wenn sie einen von ihnen erwischt haben, werden die Wildlinge ihn bestimmt dazu gebracht haben, ein hübsches Liedchen zu singen, und das sollte auch dir klar sein.

Kleinwald trat vor. »Manke Rayder hat vor, die Mauer zu durchbrechen und die Sieben Königslande mit einem blutigen Krieg zu überziehen. Nun, zu diesem Spiel gehören zwei. Morgen werden wir den Krieg zu ihm bringen.«

»Bei Sonnenaufgang brechen wir auf«, sagte der Alte Bär, während sich in der Versammlung Gemurmel breitmachte. »Wir reiten nach Norden und schlagen dann einen Bogen nach Westen. Wenn wir abbiegen, wird Harmas Vorhut längst an der Faust vorbei sein. In den Ausläufern der Frostfänge gibt es eine Menge enger, verschlungener Täler, die für einen Hinterhalt wie geschaffen sind. Ihre Kolonne wird sich über viele Meilen erstrecken. Wir überfallen sie an mehreren Stellen gleichzeitig, damit sie glauben, wir wären dreitausend, nicht dreihundert.«

»Ehe sich ihre Reiterei formieren kann, schlagen wir hart zu«, ergänzte Thoren Kleinwald. »Falls sie uns verfolgen, führen wir sie lustig im Kreis herum und greifen die Kolonne weiter unten wieder an. Wir stecken die Wagen in Brand, treiben das Vieh auseinander und metzeln so viele von ihnen nieder wie möglich. Vor allem Manke Rayder selbst, wenn wir ihn finden. Sollten sie daraufhin aufgeben und zu ihren Hütten zurückkehren, haben wir gewonnen. Falls nicht, setzen wir ihnen auf dem ganzen Weg zur Mauer zu und sorgen dafür, dass sie eine Spur von Leichen hinter sich zurücklassen. «

»Es sind Tausende«, rief jemand hinter Chett.

»Wir werden sterben.« Das war Maslyn, dessen Stimme vor Angst bebte.

»Sterben«, kreischte Mormonts Rabe und flatterte mit den schwarzen Flügeln. »Sterben, sterben, sterben.«

»Viele von uns«, räumte der Alte Bär ein. »Vielleicht sogar alle. Aber, wie es ein anderer Lord Kommandant vor tausend Jahren ausgedrückt hat, das ist der Grund, weshalb sie uns ins Schwarz gesteckt haben. Erinnert euch an euren Eid, Brüder. Denn wir sind die Schwerter in der Dunkelheit, die Wächter auf den Mauern...«

»Das Feuer, das gegen die Kälte brennt.« Ser Mallador Locke zog sein Langschwert.

»Das Licht, das den Morgen bringt«, antworteten andere, und weitere Schwerter wurden aus ihren Scheiden gezogen.

Plötzlich zogen alle ihre Waffen; fast dreihundert Klingen wurden in die Höhe gereckt, und ebenso viele Stimmen riefen: »Das Horn, das die Schläfer weckt! Der Schild, der die Reiche der Menschen schützt!« Chett hatte keine andere Wahl, er musste einfallen und seine Stimme zu den übrigen gesellen. Der Atem hing wie Nebel in der Luft, und der Feuerschein glitzerte auf dem Stahl. Zufrieden sah Chett, wie auch Lark und Leisefuß und der Süße Donnel Hügel einstimmten, als wären sie ebenso große Narren wie der Rest. Das war gut. Es wäre dumm gewesen, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wo doch ihre Stunde nahte.

Nachdem die Rufe verstummt waren, hörte er wieder das Pfeifen des Windes, der an der Ringmauer zerrte. Die Flammen flackerten, als wäre ihnen auch kalt, und in die plötzliche Stille hinein krächzte der Rabe des Alten Bären einmal mehr laut: »Sterben.«

Kluger Vogel, dachte Chett, während die Offiziere sie entließen und mahnten, heute Abend gut zu essen und früh zu Bett zu gehen. In der Nähe der Hunde krabbelte Chett unter sein Fell und hatte den Kopf voll von Dingen, die schiefgehen konnten. Wenn nun dieser verfluchte Eid bei einem von ihnen einen Sinneswandel hervorrief? Oder wenn der Kleine Paul alles vergaß und versuchte, Mormont während der zweiten Wache zu töten anstatt der dritten? Wenn Maslyn den Mut verlor oder jemand zum Verräter wurde, oder ...

Er ertappte sich dabei, wie er in die Nacht hinein lauschte. Der Wind klang wie ein weinendes Kind, und von Zeit zu Zeit konnte er Männerstimmen hören, das Wiehern eines Pferdes, das Knistern eines Scheits im Feuer. Sonst nichts. So still.

Vor sich sah er Bessas Gesicht. Es war nicht das Messer, mit dem ich in dich eindringen wollte, hätte er ihr am liebsten gesagt. Ich habe Blumen für dich gepflückt, wilde Rosen und Alraune und Goldmohn, den ganzen Morgen lang. Sein Herz dröhnte wie eine Trommel, so laut, dass er fürchtete, es könnte das Lager wecken. Eis verklebte den Bart um seinen Mund herum. Woher kommen plötzlich diese Gedanken an Bessa? Wann immer er sich an sie erinnerte, sah er nur den Blick in ihren Augen, als sie gestorben war. Was stimmte nicht mit ihm? Er konnte kaum noch atmen. War er eingeschlafen? Er erhob sich auf die Knie, und etwas Feuchtes und Kaltes berührte seine Nase. Chett blickte auf.

Schnee fiel.

Er fühlte, wie die Tränen auf seinen Wangen gefroren. Das ist nicht gerecht, hätte er am liebsten geschrien. Der Schnee ruinierte alles, wofür er geschuftet hatte, seinen ganzen sorgfältig ausgedachten Plan. Es schneite heftig. Schwere, dicke weiße Flocken gingen überall um ihn herum nieder. Wie sollten sie im Schnee ihr Vorratslager finden oder den Wildpfad, dem sie nach Osten folgen wollten? Jetzt brauchen sie weder Dywen noch Bannen, um uns zu jagen, nicht, wenn sie die frischen Spuren im Schnee haben. Außerdem verhüllte Schnee die Unebenheiten des Bodens, insbesondere bei Nacht. Ein Pferd konnte leicht über eine Wurzel stolpern oder sich an einem Stein das Bein brechen. Wir sind erledigt, dachte er. Erledigt, noch bevor wir angefangen haben. Wir sind verloren. Kein Leben als Lord für den Sohn eines Blutegelsammlers, kein Bergfried, den er sein Eigen nennen durfte, keine Frauen und keine Kronen. Nur das Schwert eines Wildlings im Bauch und ein Grab ohne Stein. Der Schnee hat mir alles genommen ... der verfluchte Schnee ...

Schon einmal hatte ihn der Schnee ruiniert. Jon Schnee und sein Lieblingsschwein.

Chett erhob sich. Seine Beine waren steif, und die Schneeflocken verwandelten die fernen Fackeln in einen vagen rötlichen Schein. Es fühlte sich an, als würde er von einer Wolke heller, kalter Käfer angegriffen. Sie ließen sich auf Schultern und Kopf nieder und flogen ihm in die Nase und in die Augen. Fluchend wischte er sie ab. Samwell Tarly, erinnerte er sich. Mit Ser Schweinchen kann ich immer noch abrechnen. Er wickelte sich den Schal um den Kopf, schlug seine Kapuze hoch und schritt durch das Lager zu der Stelle, wo der Feigling schlief.

Der Schnee ging so heftig nieder, dass er sich zwischen den Zelten verirrte, doch schließlich entdeckte er den kleinen behaglichen Windschutz, den der fette Junge zwischen einem Felsen und den Rabenkäfigen für sich gebaut hatte. Tarly lag unter einem Berg schwarzer Wolle und struppiger Felle begraben. Der Schnee begann gerade, ihn zu bedecken. Der Dicke sah aus wie ein weicher rundlicher Berg. Hoffnungsfroh wisperte Stahl über Leder, als Chett seinen Dolch aus der Scheide zog. Einer der Raben krächzte. »Schnee«, murmelte ein zweiter und spähte mit schwarzen Augen durch die Gitterstäbe. Der erste antwortete mit »Schnee«. Chett schob sich an ihnen vorbei und setzte bei jedem Schritt die Füße vorsichtig auf. Er würde dem Dicken die linke Hand auf den Mund pressen, um seine Schreie zu ersticken, und dann ...

Uuuuuuuhuuuuuuuuuu.

Mitten im Schritt hielt er inne und unterdrückte einen Fluch, während das Horn durch das Lager gellte, von ferne und verhalten, dennoch unverkennbar. Nicht jetzt. Mögen die Götter verdammt sein, nicht JETZT! Der Alte Bär hatte in den Bäumen um die Faust herum Wächter postiert, die das Lager warnen sollten, sobald sich jemand näherte. Jarman Bockwell ist von der Treppe des Riesen zurück, überlegte sich Chett, oder Qhorin Halbhand vom Klagenden Pass. Ein einzelner Stoß ins Horn kündigte zurückkehrende Brüder an. Es war Halbhand, und Jon Schnee befand sich vielleicht quicklebendig bei ihm.

Sam Tarly setzte sich mit verschlafenen Augen auf und starrte verwirrt in den Schnee. Die Raben krächzten aufgeregt, und Chett hörte das Gebell seiner Hunde. Das halbe verfluchte Lager ist wach. Die behandschuhten Finger umklammerten den Griff des Dolchs, während er darauf wartete, dass das Horn verstummte. Doch sobald dies geschehen war, ertönte es erneut, lauter jetzt und länger.

Uuuuuuuuuuuuhuuuuuuuuuuuuuuu.

»Bei den Göttern«, hörte er Sam Tarly winseln. Der fette Junge erhob sich eilig auf die Knie, wobei sich seine Füße in seinem Mantel und den Decken verfingen. Er stieß sie von sich und griff nach dem Kettenhemd, das er an dem Felsen aufgehängt hatte. Während er sich das zeltartige Stück über den Kopf zog und sich hineinschlängelte, bemerkte er Chett. »Waren es zwei?«, fragte er. »Ich habe geträumt, ich hätte zwei Hörner gehört?«

»Kein Traum«, antwortete Chett. »Zwei Hornstöße, um die Wache zu den Waffen zu rufen. Zwei Hornstöße, weil Feinde im Anmarsch sind. Da draußen gibt es eine Axt, auf der Schweinchen geschrieben steht, Fettsack. Zwei Hornstöße bedeuten Wildlinge.« Angesichts der Angst auf dem riesigen Mondgesicht hätte er zu gern gelacht. »Sollen sie doch alle in die sieben Höllen fahren. Verfluchte Harma, verfluchter Manke Rayder, verfluchter Kleinwald, der meinte, wir hätten noch ... «

Uuuuuuuuuuuuuuuhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu.

Der Ton dauerte länger und immer länger an, bis es schien, er würde nie mehr verstummen. Die Raben flatterten und kreischten, flogen in ihren Käfigen umher und stießen gegen die Stäbe, und überall im Lager erhoben sich die Brüder der Nachtwache, legten Rüstung an, schnallten den Schwertgurt um und griffen nach Streitaxt oder Bogen. Samwell Tarly stand zitternd da, und sein Gesicht hatte die gleiche Farbe angenommen wie der Schnee um sie herum. »Drei«, quiekte er, »das waren drei, ich habe drei gehört. Drei Mal blasen sie nie. Nicht seit Hunderten und Tausenden von Jahren ... Drei bedeuten ... «

»... Andere.« Chett gab einen Laut von sich, halb Lachen, halb Schluchzen, und plötzlich wurde seine Unterwäsche feucht, er spürte, wie die Pisse an seinen Beinen hinunterlief und sah den Dampf, der von seiner Hose aufstieg.

JAIME

Der Ostwind blies ihm durch das zerzauste Haar, sanft und zart wie Cerseis Finger. Er hörte die Vögel singen, spürte die Bewegung des Flusses unter dem Boot, als die Ruder sie wieder weiter in Richtung der hellen, rosafarbenen Dämmerung trieben. Nach so langer Zeit in der Dunkelheit schmeckte die Welt so süß, dass es Jaime Lennister schwindelte. Ich lebe, und ich bin trunken vom Sonnenlicht. Lachen löste sich von seinen Lippen, so unvermittelt wie eine Wachtel aus dem Unterholz.

»Still«, knurrte das Mädel und zog eine mürrische Miene. Das Mürrische passte besser zu ihrem wenig ansehnlichen Gesicht als ein Lächeln. Nicht, dass Jaime sie jemals hatte lächeln sehen. Er amüsierte sich, indem er sie sich in einem von Cerseis Seidenkleidern an Stelle ihres nietenbeschlagenen Lederwamses vorstellte. Genauso gut könnte man eine Kuh in Seide kleiden.

Immerhin konnte die Kuh rudern. Unter der groben braunen Kniebundhose ragten Waden wie aus Holz hervor, und die langen Muskeln ihrer Arme dehnten und spannten sich bei jedem Ruderschlag. Sogar nachdem sie die halbe Nacht gerudert hatte, zeigte sie keine Anzeichen von Erschöpfung, was er von seinem Vetter Ser Cleos am anderen Riemen nicht behaupten konnte. Ein großes Bauernweib, wenn man sie anschaut, und doch spricht sie wie eine Hochgeborene und trägt Langschwert und Dolch. Ah, aber weiß sie auch damit umzugehen? Jaime beabsichtigte, es herauszufinden, sobald er sich von seinen Fesseln befreit hatte.

Er trug eiserne Schellen an Handgelenken und Knöcheln, die durch eine kaum einen Fuß lange schwere Kette verbunden waren. »Man könnte meinen, mein Wort als Lennister genügt Euch nicht«, hatte er gehöhnt, während die beiden ihn fesselten. Dank Catelyn Stark war er zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen betrunken gewesen. Von der Flucht aus Schnellwasser hatte er nur Bruchstücke mitbekommen. Es hatte Schwierigkeiten mit dem Kerkermeister gegeben, doch das große Mädel hatte ihn überwältigt. Danach waren sie eine endlose Wendeltreppe hinaufgestiegen, immer im Kreis. Seine Beine waren so schwach wie Grashalme, und zwei- oder dreimal war er gestolpert, bis das Mädel ihm einen Arm bot, auf den er sich stützen konnte. Irgendwann hatte man ihn in einen Reisemantel gewickelt und auf den Boden eines Ruderbootes verfrachtet. Er erinnerte sich daran, dass Lady Catelyn jemandem befohlen hatte, das Fallgitter zum Wassertor zu öffnen. Sie schickte Ser Cleos Frey mit neuen Bedingungen für einen Waffenstillstand zur Königin nach Königsmund zurück, verkündete sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Er musste gedöst haben. Der Wein hatte ihn schläfrig gemacht, und es fühlte sich gut an, sich auszustrecken, ein Luxus, den ihm die Ketten im Kerker nicht erlaubt hatten. Jaime hatte schon vor langer Zeit gelernt, unterwegs im Sattel zu schlafen. Hier fiel es ihm nicht schwerer. Tyrion wird sich totlachen, wenn er hört, dass ich meine eigene Flucht verschlafen habe. Trotzdem war er jetzt wach und empfand die Hand- und Fußschellen als sehr lästig. »Mylady«, rief er, »wenn Ihr mir diese Ketten abnehmt, löse ich Euch am Ruder ab.«

Sie schaute ihn verdrießlich an, und ihr ganzes Gesicht wurde von ihrem Pferdegebiss und einem finsteren Verdacht geprägt. »Ihr werdet Eure Ketten weiter tragen, Königsmörder. «

»Ihr wollt also den ganzen Weg bis nach Königsmund rudern, Mädel?«

»Nennt mich Brienne und nicht Mädel.«

»Mein Name lautet Ser Jaime. Nicht Königsmörder.«

»Wollt Ihr bestreiten, einen König erschlagen zu haben?«

»Nein. Wollt Ihr Euer Geschlecht bestreiten? Falls ja, so bindet Eure Hose auf und zeigt Euch mir.« Er schenkte ihr ein unschuldiges Lächeln. »Ich würde Euch ja bitten, das Mieder zu öffnen, nur damit, scheint mir, wäre nicht viel bewiesen.«

Ser Cleos mischte sich beunruhigt ein. »Vetter, Ihr vergesst Eure Manieren.«

In ihm fließt das Lennisterblut dünn. Cleos war der Sohn seiner Tante Genna und dieses Dummkopfes Emmon Frey, der seit dem Tag seiner Heirat in Furcht und Schrecken vor Lord Tywin Lennister gelebt hatte. Als Lord Walder Frey die Zwillinge auf Seiten von Schnellwasser in den Krieg geführt hatte, hatte Ser Emmon die Treue zu seiner Gemahlin über die Treue zu seinem Vater gestellt. Casterlystein hat bei diesem Handel nichts gewonnen, im Gegenteil, erinnerte sich Jaime. Ser Cleos sah aus wie ein Wiesel, kämpfte wie eine Gans und besaß den Mut eines besonders tapferen Mutterschafes. Lady Stark hatte ihm die Freiheit versprochen, wenn er Tyrion ihre Nachricht übermittelte, und Ser Cleos hatte feierlich geschworen, dies zu tun.

In dieser Zelle hatten sie alle eine Menge geschworen, und Jaime am meisten von allen. Das war der Preis, den Lady Catelyn für seine Freiheit verlangte. Sie hatte ihm die Spitze des Langschwerts von diesem großen Mädel auf die Brust gedrückt und gesagt: »Schwört, dass Ihr niemals wieder die Waffen gegen Stark und Tully erhebt. Schwört, dass Ihr Euren Bruder zwingen werdet, sein Gelöbnis zu erfüllen, meine Töchter sicher und unverletzt zurückzuschicken. Schwört dies bei Eurer Ehre als Ritter, bei Eurer Ehre als Lennister, Eurer Ehre als Bruder der Königsgarde. Schwört beim Leben Eurer Schwester und Eures Vater und Eures Sohnes, bei den alten Göttern und den neuen, und ich werde Euch zu Eurer Schwester schicken. Weigert Euch, und ich lasse Euer Blut fließen.« Er erinnerte sich daran, wie sich der Stahl durch seine Lumpen hindurch in seine Haut gebohrt hatte, als sie die Schwertspitze drehte.

Ich frage mich, was der Hohe Septon wohl über die Heiligkeit von Eiden sagen würde, die im Vollrausch an eine Wand gekettet abgelegt werden, während sich ein Schwert langsam in deine Brust bohrt? Natürlich machte er sich wegen dieses fetten Schwindlers nicht wirklich Sorgen oder wegen der Götter, denen der Kerl zu dienen behauptete. Er erinnerte sich an den Eimer, den Lady Catelyn in seiner Zelle umgekippt hatte. Eine seltsame Frau, die ihre Töchter einem Mann anvertraute, der, mit Verlaub gesagt, auf Ehre schiss. Obwohl sie ihm so wenig vertraute wie möglich. Sie setzt ihre Hoffnung auf Tyrion, nicht auf mich. »Vielleicht ist sie am Ende doch nicht so dumm«, sagte er laut.

Seine Wärterin verstand das falsch. »Ich bin nicht dumm. Und genauso wenig taub.«

Er behandelte sie freundlich; sie zu verspotten war so leicht, dass es keinen Spaß machte. »Ich habe mit mir selbst gesprochen, und nicht über Euch. Das gewöhnt man sich im Kerker sehr leicht an.«

Sie runzelte die Stirn, drückte ihr Ruder nach vorn, zog es zurück, drückte es vor, erwiderte nichts.

Mit der Zunge ebenso flink wie hübsch von Angesicht. »Eurer Sprache zufolge seid Ihr von hoher Geburt.«

»Mein Vater ist Selwyn von Tarth, durch die Gunst der Götter Lord von Dämmerhall.« Sogar das gab sie nur widerwillig preis.

»Tarth«, wiederholte Jaime. »Ein schäbiger Felsen in der Meerenge, wenn ich mich recht erinnere. Und Dämmerhall hält Sturmkap die Treue. Wieso dient Ihr Robb von Winterfell? «

»Ich diene Lady Catelyn. Und sie hat mir befohlen, Euch sicher bei Eurem Bruder Tyrion in Königsmund abzuliefern, und nicht, mich mit Euch zu unterhalten. Schweigt.«

»Ich habe die Nase voll vom Schweigen, Weib.«

»Dann sprecht mit Ser Cleos. Ich habe für Ungeheuer keine Worte übrig.«

Jaime lachte schallend. »Gibt es Ungeheuer in dieser Gegend? Verstecken sie sich vielleicht im Wasser? Oder in dem Weidendickicht dort? Und ich habe kein Schwert!«

»Ein Mann, der seine eigene Schwester schändet, seinen König ermordet und ein unschuldiges Kind in den Tod stürzt, verdient keinen anderen Namen.«

Unschuldig? Dieser erbärmliche Junge hat uns nachspioniert. Alles, was Jaime sich gewünscht hatte, war lediglich eine Stunde allein mit Cersei gewesen. Ihre Reise in den Norden war für ihn eine lange Tortur gewesen; zwar sah er sie jeden Tag, dennoch durfte er sie nicht berühren, denn jede Nacht taumelte Robert betrunken in ihr Bett in diesem quietschenden Haus auf Rädern. Tyrion hatte sein Bestes getan, ihn bei guter Laune zu halten, doch das hatte nicht genügt. »Ihr werdet höflich sein, wenn es um Cersei geht, Mädel«, warnte er sie.

»Mein Name ist Brienne, nicht Mädel.«

»Wieso interessiert es Euch, welchen Namen Euch ein Ungeheuer gibt?«

»Mein Name ist Brienne«, wiederholte sie stur wie ein Hund.

»Lady Brienne?« Dabei war ihr offensichtlich unbehaglich zu Mute. Endlich hatte Jaime eine Schwäche bei ihr gefunden. »Oder wäre Ser Brienne mehr nach Eurem Geschmack?« Er lachte. »Nein, ich fürchte nicht. Man kann eine Kuh in Stirnschild, Rosskopp und Flankenblech stecken und darüber eine Schabracke aus Seide hängen, und trotzdem würde ich nicht auf ihr in die Schlacht reiten.«

»Vetter Jaime, bitte sprecht nicht so grob.« Unter seinem Mantel trug Ser Cleos einen Überwurf mit den Zwillingstürmen des Hauses Frey und dem goldenen Löwen der Lennisters. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und sollten uns nicht streiten.«

»Wenn ich mich streite, dann mit dem Schwert in der Hand, Vetterchen. Ich habe mit der Dame gesprochen. Sagt mir, Mädel, sind alle Frauen auf Tarth so hübsch wie Ihr? Wenn das so ist, tun mir die Männer dort leid. Vielleicht wissen sie gar nicht, wie richtige Frauen aussehen, weil sie auf diesem trostlosen Berg im Meer wohnen.«

»Tarth ist wunderschön«, grunzte das Mädchen zwischen zwei Ruderschlägen. »Man nennt es die Saphirinsel. Seid still, Ungeheuer, wenn Ihr nicht wollt, dass ich Euch knebele.«

»Sie ist auch noch unhöflich, Vetterchen, nicht wahr?«, meinte Jaime zu Ser Cleos. »Obwohl sie wahrlich ein Rückgrat aus Stahl hat, das gebe ich zu. Nicht viele Männer wagen es, mir das Wort ›Ungeheuer‹ ins Gesicht zu schleudern.« Wenngleich sie mich hinter meinem Rücken ohne Zweifel so nennen.

Ser Cleos hüstelte nervös. »Lady Brienne hat diese Lügen gewiss von Catelyn Stark gehört. Die Starks dürfen nicht hoffen, Euch mit den Schwertern zu besiegen, und so versuchen sie es mit vergifteten Worten.«

Sie haben mich mit Schwertern geschlagen, du kinnloser Trottel. Jaime lächelte viel sagend. Männer lesen alles Mögliche in ein viel sagendes Lächeln hinein, wenn man es ihnen gestattet. Hat Vetter Cleos diesen Kessel voll Scheiße tatsächlich gefressen, oder will er sich nur einschmeicheln? Was haben wir hier, einen ehrlichen Hammel oder einen Speichellecker?

Ser Cleos plapperte unbekümmert weiter. »Jeder Mann, der glaubt, ein Bruder der Königsgarde würde einem Kind ein Leid zufügen, kennt die Bedeutung des Wortes Ehre nicht.«

Speichellecker. Um die Wahrheit zu sagen, bereute Jaime es inzwischen, Brandon Stark aus dem Fenster gestoßen zu haben. Cersei hatte ihm hinterher arg zugesetzt, weil der Junge sich weigerte zu sterben. »Er war sieben, Jaime«, schalt sie ihn. »Selbst wenn er begriffen hätte, was er gesehen hat, hätten wir ihm immer noch so viel Angst machen können, dass er Schweigen bewahrte.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du ... «

»Du denkst nie. Wenn der Junge aufwacht und seinem Vater erzählt, was er gesehen hat ...«

»Wenn, wenn, wenn.« Er hatte sie auf seinen Schoß gezogen. »Wenn er aufwacht, sagen wir, er müsse geträumt haben, nennen ihn einen Lügner, und sollte es hart auf hart kommen, bringe ich eben Ned Stark um.«

»Und was, stellst du dir vor, wird Robert dann tun?«

»Robert soll tun, was ihm gefällt. Ich werde gegen ihn in den Krieg ziehen, falls es notwendig sein sollte. Den Krieg um Cerseis Möse werden es die Sänger nennen.«

»Lass mich los, Jaime!«, fauchte sie und wollte aufstehen.

Stattdessen hatte er sie geküsst. Einen Augenblick lang hatte sie sich gewehrt, dann hatte sich ihr Mund geöffnet. Er erinnerte sich noch an den Geschmack von Wein und Gewürznelken auf ihrer Zunge. Sie erschauerte. Seine Hand fuhr zu ihrem Mieder, zerrte daran und zerriss die Seide, sodass ihre Brüste herausplatzten, und für eine Weile war der Stark-Junge vergessen.

ENDE DER LESEPROBE

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel

»A Storm of Swords« (Pages 1-438 + Appendix)

bei Bantam Dell, a division of Random House, Inc., New York.

1. Auflage

Taschenbuchausgabe November 2011 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Copyright © 2000 by George R. R. Martin

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2001 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Published in agreement with the author c/o Ralph M. Vicinanza, Ltd.

All rights reserved

Redaktion: Marie-Luise Bezzenberger

Karten U2/U3: Franz Vohwinkel

UH . Herstellung: sam

Satz: DTP Service Apel, Hannover

eISBN 9783641047184

www.blanvalet.de

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