Das Lied von Eis und Feuer 08 - George R.R. Martin - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Lied von Eis und Feuer 08 E-Book

George R.R. Martin

4,5
14,99 €
12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auch wenn Daenerys Targaryen als Eroberin ins vom Bürgerkrieg geschwächte Westeros kommt, so könnte sie doch die Rettung bringen. Denn die schrecklichen Anderen haben die uralte Schutzmauer im Norden überwunden …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 867

Bewertungen
4,5 (94 Bewertungen)
61
16
17
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



George R. R. Martin

Die dunkle Königin

Das Lied von Eis und Feuer 8

Ins Deutsche übertragenvon Andreas Hellweg

Vollständig durchgesehen und überarbeitetvon Sigrun Zühlke und Thomas Gießl

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2005unter dem Titel »A Feast of Crows« (Pages 328-685 + Appendix)bei Bantam Dell, a division of Random House, Inc., New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

E-Book-Ausgabe April 2012 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Copyright © 2005 by George R.R. Martin

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Published in agreement with the author c/o Ralph M. Vicinanza, Ltd.

All rights reserved

Redaktion: Marie-Luise Bezzenberger

UH · Herstellung: sam

Karten »Der Norden« und »Der Süden«: Franz Vohwinkel

Satz: DTP Service Apel, Hannover

ISBN 978-3-641-08811-8V006

www.blanvalet.de

Für Stephen Boucher,Wunderwirker in Windows, Drache des DOS,ohne den dieses Buch mit Bleistiftgeschrieben worden wäre …

Alayne

Als die aufgehende Sonne durch die Fenster hereinschien, setzte sich Alayne im Bett auf und räkelte sich. Gretchel hörte, dass sie sich rührte, und stand sofort auf, um ihren Morgenrock zu holen. In der Nacht war es kalt geworden. Wenn der Winter uns erst im Griff hält, wird es noch schlimmer, dachte sie. Im Winter herrscht hier eine Kälte wie in einer Gruft. Alayne schlüpfte in die Robe und verknotete die Kordel. »Das Feuer ist fast aus«, stellte sie fest. »Würdest du bitte ein Scheit nachlegen?«

»Wie Mylady wünscht«, sagte die alte Frau.

Alaynes Gemächer im Jungfrauenturm waren größer und luxuriöser als das kleine Schlafgemach, das Lady Lysa ihr zugewiesen hatte, bevor sie gestorben war. Sie hatte ein Ankleidezimmer und einen eigenen Abtritt, dazu einen Balkon aus behauenem weißem Stein, von dem aus sie das Grüne Tal überblicken konnte. Während Gretchel sich um das Feuer kümmerte, tappte Alayne barfuß durch den Raum und schlich hinaus. Der Stein unter ihren Füßen war eisig, der Wind wehte kräftig, wie stets hier oben, doch der Ausblick ließ sie für einen halben Herzschlag all das vergessen. Der Jungfrauenturm war der östlichste der sieben schlanken Türme von Hohenehr, und so lag das ganze Grüne Tal mit seinen Wäldern und Flüssen und Feldern im diesigen Morgenlicht vor ihr ausgebreitet da. Die Sonne strahlte die Berge an und ließ sie wie gediegenes Gold glänzen.

Wunderschön. Der in Schnee gehüllte Gipfel der Riesenlanze ragte über ihr auf, ein Riese aus Stein und Eis, neben dem die Burg auf seiner Schulter wie ein Zwerg wirkte. Eiszapfen von sechs Metern Länge hingen über den Rand der Felswand, über den im Sommer Alyssas Tränen in die Tiefe stürzten. Ein Falke kreiste mit weit in den Morgenhimmel gebreiteten blauen Flügeln über dem gefrorenen Wasserfall. Wenn ich nur auch Flügel hätte.

Sie legte die Hände auf die Steinbrüstung und zwang sich, über die Kante zu spähen. Über einhundertachtzig Meter unter sich konnte sie die Himmelsburg und die in den Fels gehauenen Stufen sehen, den gewundenen Weg, der an der Schneeburg und der Steinburg vorbei hinabführte bis zur Talsohle. Sie sah die Türme und Bergfriede der Tore des Mondes, klein wie Kinderspielzeuge. Vor den Mauern kam gerade Bewegung in die Heere der Lords der Deklaration, und die Soldaten krochen wie Ameisen in ihrem Hügel aus den Zelten. Wenn es nur wirklich Ameisen wären, dachte sie, könnten wir sie einfach zertreten.

Vor zwei Tagen war der Junge Lord Jäger mit seinen Truppen eingetroffen. Nestor Rois hatte ihm zwar die Tore vor der Nase zugeschlagen, doch er hatte weniger als dreihundert Mann in der Burg. Von den Lords der Deklaration hatte jeder tausend mitgebracht, und sie waren zu sechst. Alayne kannte ihre Namen so gut wie ihren eigenen. Benedar Belmor, Lord von Starklied. Symond Tempelheim, der Ritter von Neunsternen. Hortan Rotfest, Lord von Rotfest. Anya Waynwald, Lady von Eiseneichen. Gilwald Jäger, von jedermann der Junge Lord Jäger genannt, Lord von Langbogenhall. Und Yohn Rois, der mächtigste von ihnen allen, der Furcht einflößende Bronze Yohn, Lord von Runenstein, Nestors Vetter und Oberhaupt des älteren Zweigs des Hauses Rois. Die sechs hatten sich nach Lysa Arryns Sturz in Runenstein getroffen und dort ein Bündnis geschmiedet, in dem sie sich verpflichteten, Lord Robert, das Grüne Tal und einander zu verteidigen. In ihrer Deklaration hatten sie den Lord Protektor nicht erwähnt, sprachen jedoch von »schlechter Regierung«, die beendet werden müsse, und auch von »falschen Freunden und schlechten Beratern«.

Eine kalte Bö wehte um ihre Beine. Sie ging hinein und wählte ein Kleid für das Frühstück. Petyr hatte ihr die Garderobe seiner verstorbenen Gemahlin überlassen, einen Schatz aus Seide, Satin, Samt und Pelzen, der alles übertraf, was sie sich je erträumt hatte, wenngleich ihr das meiste davon zu groß war; Lady Lysa hatte im Laufe ihrer vielen Schwangerschaften, Fehl- und Totgeburten deutlich zugenommen. Einige der ältesten Kleider, die noch für die junge Lysa Tully von Schnellwasser genäht worden waren, und ein paar andere, die Gretchel hatte ändern können, passten Alayne, die mit dreizehn schon fast so lange Beine hatte wie ihre Tante mit zwanzig.

An diesem Morgen fiel ihr Blick auf ein buntes Kleid im Rot und Blau der Tullys mit einem Saum aus Grauwerk. Gretchel half ihr, die Arme durch die Glockenärmel zu schieben, und schnürte ihr das Rückenteil. Dann bürstete sie das Haar und steckte es hoch. Alayne hatte es gestern Abend vor dem Schlafengehen erneut dunkel gefärbt. Das Mittel, das ihre Tante ihr gegeben hatte, verwandelte ihr leuchtendes goldbraunes Haar in ein stumpfes Braun, doch dauerte es selten lange, bis der Rotton am Ansatz wieder durchschimmerte. Und was soll ich tun, wenn mir das Färbemittel ausgeht? Es stammte aus Tyrosh jenseits der Meerenge.

Unterwegs zum Frühstück wurde sich Alayne abermals der Stille bewusst, die auf der Ehr herrschte. In den Sieben Königslanden gab es keine ruhigere Burg. Die wenigen Diener waren alt und hielten die Stimmen gesenkt, um den jungen Lord nicht aufzuregen. Auf dem Berg gab es keine Pferde, keine Hunde, die bellten und knurrten, keine Ritter, die sich im Hof im Kampf übten. Sogar die Schritte der Wachen wirkten eigenartig gedämpft, wenn sie durch die hellen Steinhallen schritten. Alayne hörte das Seufzen und Ächzen des Windes, der um die Türme strich, doch das war alles. Als sie auf der Ehr angekommen war, hatten zumindest Alyssas Tränen noch gemurmelt, doch jetzt war der Wasserfall eingefroren. Gretchel sagte, bis zum Frühjahr würde es so still bleiben.

Sie fand Lord Robert allein in der Morgenhalle über der Küche vor, wo er mit dem Holzlöffel lustlos in seiner großen Schüssel honiggesüßten Haferbreis rührte. »Ich wollte Eier«, beklagte er sich, als er sie erblickte. »Ich wollte drei weichgekochte Eier und ein bisschen Schinken.«

Sie hatten keine Eier mehr und auch keinen Schinken. In den Kornspeichern von Hohenehr gab es reichlich Hafer und Weizen und Gerste, genug, um sie alle ein Jahr zu ernähren, doch was frische Lebensmittel anging, waren sie von einem Bastardmädchen namens Mya Stein abhängig, die derlei Vorräte aus dem Tal heraufbrachte. Da die Lords der Deklaration am Fuß des Berges lagerten, gab es für Mya kein Durchkommen. Lord Belmor, der als Erster von den sechs an den Toren eingetroffen war, hatte Kleinfinger einen Raben mit der Botschaft geschickt, dass keine weiteren Lebensmittel mehr nach Hohenehr durchgelassen würden, bis er nicht Lord Robert heruntergeschickt habe. Zwar handelte es sich nicht direkt um eine Belagerung, allerdings fehlte auch nicht mehr viel daran.

»Ihr bekommt Eier, wenn Mya kommt, so viele, wie Ihr mögt«, versprach Alayne dem kleinen Lord. »Sie bringt Eier und Butter und Melonen, ganz viele leckere Sachen.«

Den Jungen besänftigte das nicht. »Ich will die Eier aber heute.«

»Süßrobin, wir haben keine Eier, Ihr wisst das. Bitte, esst Euren Haferbrei, er schmeckt sehr gut.« Sie aß selbst einen Löffel.

Robert schob seinen Löffel in der Schale hin und her, brachte ihn jedoch nicht zum Mund. »Ich habe keinen Hunger«, entschied er. »Ich will wieder ins Bett. Letzte Nacht habe ich überhaupt nicht geschlafen. Ich habe Gesang gehört. Maester Colemon hat mir Traumwein gegeben, aber ich konnte das Singen trotzdem hören.«

Alayne legte ihren Löffel hin. »Ich hätte es auch hören müssen, wenn jemand gesungen hätte. Ihr habt schlecht geträumt, mehr nicht.«

»Nein, es war kein Traum.« Die Tränen standen ihm in den Augen. »Marillion hat wieder gesungen. Dein Vater sagt, er sei tot, aber das ist er nicht.«

»Ist er doch.« Es jagte ihr einen Schrecken ein, wenn er so redete. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er klein und kränklich ist; wenn er nun auch noch verrückt ist? »Süßrobin, er ist tot. Marillion liebte Eure Hohe Mutter zu sehr und konnte nicht mehr mit dem Gedanken leben, was er ihr angetan hat, daher ist er in den Himmel gegangen.« Alayne hatte die Leiche nicht gesehen und Robert ebenfalls nicht, dennoch zweifelte sie nicht am Tod des Sängers. »Er ist tot, wirklich.«

»Trotzdem höre ich ihn jede Nacht. Sogar, wenn ich die Fensterläden schließe und mir ein Kissen über den Kopf ziehe. Dein Vater hätte ihm die Zunge rausreißen sollen. Ich habe es ihm gesagt, aber er hat es nicht gemacht.«

Er brauchte die Zunge, um sein Geständnis ablegen zu können. »Seid ein guter Junge und esst Euren Haferbrei«, bat Alayne. »Bitte? Für mich?«

»Ich will keinen Haferschleim.« Robert schleuderte seinen Löffel durch die Halle. Der Löffel prallte von einem Wandteppich ab und hinterließ verschmierten Brei auf einem weißen Seidenmond. »Der Lord will Eier!«

»Der Lord wird Haferschleim essen und dankbar dafür sein«, sagte Petyrs Stimme hinter ihnen.

Alayne wandte sich um und entdeckte ihn mit Maester Colemon im Türbogen. »Ihr solltet auf den Lord Protektor hören, Mylord«, pflichtete der Maester bei. »Die Vasallen Eurer Lordschaft kommen auf den Berg, um Euch zu huldigen, dafür braucht Ihr Eure ganze Kraft.«

Robert rieb sich das linke Auge mit einem Fingerknöchel. »Schickt sie fort. Ich will sie nicht sehen. Wenn sie kommen, lasse ich sie fliegen.«

»Ihr führt mich sehr in Versuchung, Mylord, nur leider habe ich ihnen freies Geleit zugesagt«, erwiderte Petyr. »Jedenfalls ist es zu spät, um sie zurückzuschicken. Inzwischen werden sie wohl schon bis zur Steinburg hinaufgestiegen sein.«

»Warum lassen sie uns nicht in Ruhe?«, beklagte sich Alayne. »Wir haben ihnen doch nichts getan. Was wollen sie von uns?«

»Nur Lord Robert. Ihn und das Grüne Tal.« Petyr lächelte. »Sie werden zu acht kommen. Lord Nestor begleitet sie, und sie haben Lyn Corbray bei sich. Ser Lyn ist nicht die Sorte Mann, die gern zurückbleibt, wenn Aussicht auf Blutvergießen besteht.«

Seine Worte trugen wenig dazu bei, ihre Ängste zu besänftigen. Lyn Corbray hatte fast ebenso viele Männer in Duellen getötet wie in der Schlacht. Seine Sporen hatte er sich während Roberts Rebellion verdient, wie sie wusste, als er zuerst vor den Toren von Möwenstadt gegen Lord Jon Arryn und später unter seinem Banner am Trident gekämpft hatte, wo er Prinz Lewyn von Dorne erschlagen hatte, einen weißen Ritter der Königsgarde. Petyr behauptete, Prinz Lewyn sei schon schwer verwundet gewesen, als ihn die Wogen der Schlacht zu seinem letzten Tanz mit Lady Einsam trugen, doch er fügte hinzu: »Das Thema schneidet man lieber nicht an, wenn Corbray zugegen ist. Tut man es trotzdem, bekommt man bald Gelegenheit, Martell persönlich nach der Wahrheit zu fragen, und zwar unten in den Hallen der Hölle.« Falls nur die Hälfte dessen stimmte, was sie von Lord Roberts Wachen gehört hatte, war Lyn Corbray gefährlicher als die übrigen sechs Lords der Deklaration zusammen. »Warum kommt er mit?«, fragte sie. »Ich dachte, die Corbrays stehen auf Eurer Seite.«

»Lord Lyonel steht meiner Regierung wohlwollend gegenüber«, antwortete Petyr, »aber sein Bruder geht eigene Wege. Als ihr Vater am Trident verwundet zu Boden ging, war es Lyn, der sich Lady Einsam schnappte und den Mann erschlug, der dem alten Herrn die Klinge in den Leib gestoßen hatte. Während Lyonel den alten Mann nach hinten zu den Maestern trug, führte Lyn seinen Angriff gegen die Dornischen, die Roberts Linke bedrohten, zermalmte ihre Linien und erschlug Lewyn Martell. Daher überließ der alte Lord Corbray im Tode die Lady seinem jüngeren Sohn. Lyonel bekam das Land, den Titel, die Burg und die Münzen und fühlte sich trotzdem um sein Geburtsrecht betrogen, derweil Ser Lyn … nun, er liebt Lyonel ungefähr genauso sehr wie mich. Er wollte Lysas Hand für sich.«

»Ich mag Ser Lyn nicht«, beharrte Robert. »Ich will ihn nicht hier haben. Ihr schickt ihn wieder nach unten. Ich habe nie gesagt, dass er kommen darf. Nicht hierher. Hohenehr ist uneinnehmbar, hat Mutter immer gesagt.«

»Eure Mutter ist tot, Mylord. Bis zu Eurem sechzehnten Namenstag herrsche ich in Hohenehr.« Petyr wandte sich an die gebeugte Dienerin, die an der Treppe zur Küche wartete. »Mela, hol seiner Lordschaft einen neuen Löffel. Er möchte seinen Haferbrei essen.«

»Will ich nicht! Ich lasse meinen Haferbrei fliegen!« Diesmal schleuderte Robert die Schale durch den Raum samt dem ganzen Haferschleim mit Honig. Petyr Baelish duckte sich gewandt zur Seite, doch Maester Colemon war nicht schnell genug. Die Holzschüssel traf ihn direkt auf die Brust, der Inhalt spritzte ihm auf Gesicht und Schultern. Er schrie in höchst unmaesterlicher Weise auf, während Alayne versuchte, den kleinen Lord zu beruhigen, doch zu spät: Der Anfall hatte begonnen. Ein Krug Milch kippte um, als Robert ihn mit seinem fuchtelnden Arm traf. Der Lord versuchte aufzustehen, stieß jedoch den Stuhl um und stürzte darauf. Ein Fuß traf Alayne so hart in den Bauch, dass ihr die Luft aus den Lungen wich. »Oh, bei den guten Göttern«, hörte sie Petyr angewidert sagen.

Haferbreiklümpchen klebten in Gesicht und Haar des Maesters, der sich über seinen Schutzbefohlenen beugte und beruhigende Worte murmelte. Ein Klecks kroch langsam über seine rechte Wange wie eine klumpige braune Träne. Wenigstens ist dieser Anfall nicht so schlimm wie der letzte, dachte Alayne, um sich Mut zu machen. Als das Zittern nachließ, waren zwei Wachen in himmelblauen Umhängen und silbernen Kettenhemden auf einen Wink Petyrs herbeigeeilt. »Bringt ihn zurück ins Bett, und lasst ihn zur Ader«, sagte der Lord Protektor, und der größere der beiden Männer nahm den Jungen auf die Arme. Ich könnte ihn selbst tragen, dachte Alayne. Er ist nicht schwerer als eine Puppe.

Colemon verweilte noch einen Moment, ehe er folgte. »Mylord, diese Verhandlungen sollten auf einen anderen Tag verschoben werden. Seit dem Tod von Lady Lysa sind die Anfälle seiner Lordschaft schlimmer geworden. Häufiger und stärker. Ich lasse das Kind so oft zur Ader, wie ich es nur wage, und ich mische Traumwein und Mohnblumenmilch, damit er schlafen kann, aber …«

»Er schläft zwölf Stunden am Tag«, entgegnete Petyr. »Von Zeit zu Zeit brauche ich ihn wach.«

Der Maester kämmte sich das Haar mit den Fingern aus, und Haferbrei tropfte zu Boden. »Lady Lysa hat seiner Lordschaft stets die Brust gegeben, wenn er überreizt war. Erzmaester Ebros behauptet, Muttermilch habe viele heilsame Eigenschaften.«

»Ist das Euer Rat, Maester? Dass wir eine Amme für den Lord von Hohenehr und Hüter des Grünen Tals suchen sollen? Wann sollen wir ihn denn entwöhnen, an seinem Hochzeitstag? Auf diese Weise kann er von der Zitze seiner Amme gleich an die Zitze seiner Gemahlin wechseln.« Lord Petyrs Lachen ließ keinen Zweifel daran, was er von diesem Vorschlag hielt. »Nein, ich glaube nicht. Ich würde vorschlagen, Ihr findet einen anderen Weg. Der Junge mag doch Süßes, nicht wahr?«

»Süßes?«, fragte Colemon.

»Süßes. Kuchen und Kekse, Marmelade und Gelee, Honigwaben. Vielleicht gebt Ihr ihm ein wenig Schlafsüß in die Milch, habt Ihr das schon versucht? Nur eine Prise, um ihn zu beruhigen und dieses erbärmliche Schütteln zu verhindern.«

»Eine Prise?« Der Apfel in der Kehle des Maesters bewegte sich auf und ab, während er schluckte. »Eine kleine Prise … vielleicht, vielleicht. Nicht zu viel und nicht zu oft, ja, das könnte ich probieren …«

»Eine Prise«, sagte Lord Petyr, »bevor Ihr ihn zu dem Treffen mit den Lords bringt.«

»Wie Ihr befehlt, Mylord.« Der Maester eilte davon, und seine Kette klimperte leise bei jedem Schritt.

»Vater«, fragte Alayne, nachdem er gegangen war, »möchtet Ihr eine Schale Haferbrei zum Frühstück?«

»Ich verabscheue Haferbrei.« Er schaute sie mit Kleinfingers Augen an. »Lieber wäre mir ein Kuss zum Frühstück.«

Eine gute Tochter würde ihrem Vater einen Kuss nicht verweigern, also ging Alayne zu ihm, küsste ihn flüchtig und trocken auf die Wange und zog sich genauso schnell wieder zurück.

»Wie … pflichtschuldig.« Kleinfinger lächelte mit dem Mund, aber nicht mit den Augen. »Nun, wie es der Zufall will, habe ich noch andere Pflichten für dich. Sag dem Koch, er möge etwas roten Wein mit Honig und Rosinen erhitzen. Unseren Gästen wird kalt sein nach dem langen Aufstieg, und der Durst wird sie plagen. Du wirst sie empfangen, wenn sie eintreffen, und ihnen Erfrischungen anbieten. Wein, Brot und Käse. Welche Käsesorten haben wir noch?«

»Den scharfen Weißen und den stinkenden Blauen.«

»Den Weißen. Und umziehen solltest du dich auch.«

Alayne blickte an ihrem Kleid herab und sah das tiefe Blau und das leuchtende Dunkelrot von Schnellwasser. »Ist es zu –«

»Es sieht zu sehr nach Tully aus. Die Lords der Deklaration würden wohl keinen großen Gefallen daran finden, meine Bastardtochter in den Kleidern meiner verstorbenen Gemahlin herumlaufen zu sehen. Such dir etwas anderes aus. Und muss ich dich daran erinnern, Himmelblau und Cremeweiß zu meiden?«

»Nein.« Himmelblau und Cremeweiß waren die Farben des Hauses Arryn. »Acht, habt Ihr gesagt … Und Bronze Yohn ist bei ihnen?«

»Der Einzige, auf den es ankommt.«

»Bronze Yohn kennt mich«, erinnerte sie ihn. »Er war zu Gast in Winterfell, als sein Sohn nach Norden ritt, um das Schwarz anzulegen.« Sie hatte sich schrecklich in Ser Weymar verliebt, entsann sie sich schwach, vor langer, langer Zeit, und da war sie noch ein kleines dummes Mädchen gewesen. »Und er hat mich nicht nur bei dieser Gelegenheit gesehen. Lord Rois hat … er hat Sansa Stark in Königsmund wiedergesehen, beim Turnier der Hand.«

Petyr legte ihr den Zeigefinger unter das Kinn. »Rois hat dieses hübsche Gesicht bestimmt schon gesehen, daran zweifele ich nicht, aber es war ein Gesicht unter tausend anderen. Ein Mann, der an einem Turnier teilnimmt, hat andere Sorgen als ein Kind unter den Zuschauern. Und in Winterfell war Sansa ein kleines Mädchen mit goldbraunem Haar. Meine Tochter ist eine große und hübsche Jungfrau, und ihr Haar ist schlicht braun. Die Menschen sehen, was sie erwarten, Alayne.« Er küsste sie auf die Nase. »Lass Leni im Solar anheizen. Ich werde unsere Lords der Deklaration dort empfangen.«

»Nicht in der Hohen Halle?«

»Nein. Bei den Göttern, sie dürfen mich nicht in der Nähe des Hohen Sitzes der Arryns sehen, sonst glauben sie am Ende, ich würde mich mit der Absicht tragen, mich dort hineinzusetzen. Hinterbacken, die so niedrig geboren sind wie meine, dürfen niemals nach einem so hohen Kissen streben.«

»Das Solar.« Sie hätte es an dieser Stelle gut sein lassen sollen, doch die Worte sprudelten einfach so aus ihr heraus. »Wenn Ihr ihnen Robert überlasst …«

»… und das Grüne Tal?«

»Sie haben das Grüne Tal.«

»Oh, einen großen Teil davon, gewiss. Aber nicht das ganze. In Möwenstadt bin ich sehr beliebt, und ich habe auch einige Freunde von edler Geburt. Haindorf, Leiherlich, Lyonel Corbray … wenngleich ich wohl einräumen muss, dass sie alle den Lords der Deklaration nicht das Wasser reichen können. Aber wohin sollten wir gehen, Alayne? Zurück zu meiner mächtigen Feste auf den Vier Fingern?«

Darüber hatte sie nachgedacht. »Joffrey hat Euch Harrenhal gegeben. Dort seid Ihr Lord aus eigenem Recht.«

»Dem Titel nach. Ich brauchte einen großen Sitz, um Lysa zu heiraten, und Casterlystein wollten die Lennisters nicht herausrücken.«

»Ja, aber dennoch gehört die Burg Euch.«

»Ach, und was für eine Burg ist das. Riesige Hallen und Turmruinen, Geister und zugiger Wind, das Ganze kaum zu heizen und mit Männern zu besetzen … und dann wäre da noch diese Kleinigkeit mit dem Fluch.«

»Flüche gibt es doch nur in Liedern und Märchen.«

Das erheiterte ihn. »Hat schon jemand ein Lied über Gregor Clegane gemacht, der an einer Wunde stirbt, die ihm durch einen vergifteten Speer zugefügt wurde? Oder über diesen Söldner, der die Burg vor ihm gehalten hat und dem Ser Gregor Stück für Stück die Glieder hat abnehmen lassen? Der hatte die Burg von Ser Amory Lorch übernommen, welcher sie von Lord Tywin bekam. Den einen hat ein Bär getötet, dein Zwerg den anderen. Lady Whent ist ebenfalls tot, habe ich vernommen. Widerstens, Krafts, Eggs, Türmens… Harrenhal hat noch jede Hand vertrocknen lassen, die Anspruch darauf erhoben hat.«

»Dann gebt die Burg Lord Frey.«

Petyr lachte. »Vielleicht sollte ich das tun. Oder besser noch, unserer süßen Cersei. Obwohl ich über sie keine bösen Worte verlieren sollte, denn sie schickt mir prächtige Wandbehänge. Ist das nicht zu gütig von ihr?«

Bei der Erwähnung des Namens der Königin erstarrte sie. »Sie ist nicht gütig. Sie macht mir Angst. Falls sie erfährt, wo ich bin …«

»… müsste ich sie vermutlich früher als geplant aus dem Spiel nehmen. Vorausgesetzt, sie steigt vorher nicht von selbst aus.« Petyr neckte sie mit einem kleinen Lächeln. »Im Spiel der Throne können selbst die schwächeren Figuren einen eigenen Willen entwickeln. Manchmal widersetzen sie sich, weigern sich, den Zug zu machen, den du ihnen zugedacht hast. Merk dir das gut, Alayne. Diese Lektion muss Cersei Lennister erst noch lernen. Nun, hast du nicht noch ein paar Pflichten zu erledigen?«

So war es in der Tat. Zuerst kümmerte sie sich um den gewürzten Wein, suchte einen passenden Laib Käse vom scharfen Weißen und befahl dem Koch, Brot für zwanzig zu backen, für den Fall, dass die Lords der Deklaration mehr Männer als erwartet mitbrachten. Wenn sie erst unser Brot und Salz gegessen haben, sind sie unsere Gäste und dürfen uns nichts mehr tun. Die Freys hatten die Gesetze der Gastfreundschaft gebrochen, indem sie ihre Hohe Mutter und ihren Bruder in den Zwillingen ermordeten, doch sie konnte nicht glauben, dass sich ein so edler Lord wie Yohn Rois zu solcherlei Niedertracht herablassen würde.

Dann war das Solar an der Reihe. Der Boden war mit einem myrischen Teppich ausgelegt, daher brauchte sie keine frischen Binsen zu streuen. Alayne bat zwei Diener, einen auf Böcken stehenden Tisch aufzustellen und acht der schweren lederbezogenen Eichenstühle heraufzubringen. Bei einer Festtafel hätte sie jeweils einen an die Stirnseiten und drei an die Längsseiten gestellt, doch dies war keine Feier. Sie wies die Männer an, sechs Stühle auf der einen und zwei auf der anderen Seite des Tisches zu platzieren. Inzwischen waren die Lords der Deklaration möglicherweise bei der Schneeburg angelangt. Selbst auf dem Rücken eines Maultiers dauerte der Aufstieg fast einen ganzen Tag. Zu Fuß brauchten die meisten mehrere Tage.

Vielleicht würden die Lords bis tief in die Nacht reden. Also brauchte sie frische Kerzen. Nachdem Leni ein Feuer angezündet hatte, schickte Alayne sie nach unten, um die duftenden Bienenwachskerzen zu holen, die Lord Wachslin Lady Lysa geschenkt hatte, als er um ihre Hand geworben hatte. Dann schaute sie noch einmal in der Küche vorbei, um nach dem Wein und dem Brot zu sehen. Die Vorbereitungen kamen gut voran, und sie hatte noch ausreichend Zeit zu baden, sich das Haar zu waschen und sich umzuziehen.

Sie zögerte, ob sie ein violettes Seidenkleid anziehen sollte oder eines aus dunkelblauem Samt mit silbern gefütterten Schlitzen, das die Farbe ihrer Augen wunderbar zur Geltung gebracht hätte, doch ihr fiel ein, dass Alayne ein Bastard war und sich dementsprechend nicht ihrem Range unangemessen kleiden durfte. Schließlich wählte sie ein einfach geschnittenes Kleid aus dunkelbrauner Lammwolle, dessen Oberteil, Ärmel und Saum mit Laub und Ranken aus Goldfaden bestickt waren. Es war bescheiden und schicklich, wenn auch kaum prächtiger als eines, welches ein Dienstmädchen tragen würde. Petyr hatte ihr auch Lady Lysas Schmuck gegeben, und Alayne probierte mehrere Halsketten, doch sie wirkten alle zu prunkvoll. Am Ende entschied sie sich für ein einfaches Samtband in herbstlichem Gold. Als Gretchel ihr Lysas versilberten Spiegel holte, passte die Farbe perfekt zu Alaynes üppigem braunem Haar. Lord Rois wird mich niemals erkennen, dachte sie. Na, ich erkenne mich ja selbst kaum.

Alayne Stein fühlte sich beinahe so verwegen wie Petyr Baelish, setzte ihr Lächeln auf und ging hinunter, um die Gäste zu empfangen.

Die Ehr war die einzige Burg in den Sieben Königslanden, wo der Haupteingang unter dem Kerker lag. Steile Steinstufen rankten sich die Bergflanke hinauf, vorbei an den Wegburgen Steinburg und Schneeburg, endeten jedoch an der Himmelsburg. Die letzten einhundertachtzig Meter Höhe musste man in der Senkrechten hinter sich bringen, was alle Besucher zwang, von den Maultieren zu steigen und eine Entscheidung zu treffen. Entweder konnten sie mit dem schwankenden Holzkorb nach oben fahren oder sie kletterten durch einen Felskamin, in dessen Wände Griffe gehauen waren.

Lord Rotfest und Lady Waynwald, die beiden älteren Unterzeichner der Deklaration, ließen sich mit der Winde hochziehen, und danach wurde der Korb erneut für den fetten Lord Belmor nach unten gelassen. Die anderen Lords wählten die Klettertour. Alayne empfing sie im Halbmondzimmer an einem warmen Feuer, wo sie die Ankömmlinge in Lord Roberts Namen willkommen hieß und ihnen Brot und Käse und heißen Gewürzwein in Silberbechern servierte.

Petyr hatte ihr eine Schriftrolle mit Wappen zu studieren gegeben, damit sie zumindest die heraldischen Symbole erkannte, wenn schon nicht die Gesichter. Die rote Burg war eindeutig Rotfest; er war ein kleiner Mann mit gepflegtem grauen Bart und sanften Augen. Lady Anya war die einzige Frau unter den Unterzeichnern der Deklaration, sie trug einen tiefgrünen Mantel, auf den mit Jettperlen das gebrochene Rad von Waynwald aufgestickt war. Sechs silberne Glocken auf violettem Grund ließen Belmor erkennen, einen Mann mit Birnenbauch und runden Schultern. Aus den vielfachen Kinnrollen spross eine ingwergraue Abscheulichkeit von Bart. Symond Tempelheims Bart dagegen war schwarz und spitz geschnitten. Eine Hakennase und eisblaue Augen verliehen dem Ritter vom Neunsternen das Aussehen eines eleganten Raubvogels. Sein Wams zeigte neun schwarze Sterne in einem goldenen Schrägkreuz. Der Hermelinmantel des Jungen Lord Jäger verwirrte sie, bis sie die Spange entdeckte, fünf silberne Pfeile in Fächerform. Alayne hätte ihn eher auf fünfzig als auf vierzig geschätzt. Sein Vater hatte Langbogenhall für nahezu sechzig Jahre regiert, um dann so plötzlich zu sterben, dass manche raunten, der neue Lord habe seinem Erbe etwas nachgeholfen. Jägers Wangen und Nase waren rot wie Äpfel, was von einer gewissen Vorliebe für Rebensaft zeugte. Daher füllte sie dem Lord den Becher stets, so oft er ihn leerte.

Der jüngste Mann der Gesellschaft trug drei Raben auf der Brust, von denen jeder ein blutrotes Herz in seinen Krallen hielt. Sein braunes Haar hing bis auf die Schultern herab; eine verirrte Locke kringelte sich in die Stirn. Ser Lyn Corbray, dachte Alayne und warf einen argwöhnischen Blick auf seinen harten Mund und seine rastlosen Augen.

Zuletzt kamen die Rois’: Lord Nestor und Bronze Yohn. Der Lord von Runenstein war so groß wie der Bluthund. Obwohl sein Haar grau und sein Gesicht voller Falten war, erweckte Lord Yohn durchaus den Anschein, als könne er die meisten jüngeren Männer mit seinen riesigen, knorrigen Pranken wie Zweige zerbrechen. Sein runzliges, ernstes Gesicht weckte Sansas Erinnerung an seinen Besuch in Winterfell. Sie sah ihn noch vor sich, wie er am Tisch gesessen und sich leise mit ihrer Mutter unterhalten hatte, und hörte seine dröhnende Stimme, die von den Mauern widerhallte, als er mit einem Hirsch hinter dem Sattel von der Jagd zurückkehrte. Sie sah ihn im Hof mit dem Übungsschwert in der Hand, wo er ihren Vater in den Boden stampfte und sich anschließend Ser Rodrik zuwandte und ihm ebenfalls eine Niederlage bescherte. Er wird mich erkennen. Wie könnte er nicht? Kurz überlegte sie, sich ihm zu Füßen zu werfen und ihn um Schutz anzuflehen. Für Robb hat er nicht gekämpft, warum sollte er sich für mich einsetzen? Dieser Krieg ist vorüber, und Winterfell ist gefallen. »Lord Rois?«, fragte sie schüchtern, »möchtet Ihr einen Becher Wein, um die Kälte zu vertreiben?«

Bronze Yohn hatte schiefergraue Augen, die unter den buschigsten Augenbrauen, die Alayne je gesehen hatte, halb verborgen lagen. Er runzelte die Stirn, als er auf sie herabblickte. »Kenne ich dich, Mädchen?«

Alayne fühlte sich, als habe sie ihre Zunge verschluckt, doch Lord Nestor rettete sie. »Alayne ist die uneheliche Tochter des Lord Protektors«, klärte er seinen Vetter barsch auf.

»Kleinfingers kleiner Finger war fleißig«, meinte Lyn Corbray und lächelte boshaft. Belmor lachte, und Alayne spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.

»Wie alt bist du, Kind?«, fragte Lady Waynwald.

»Vier-vierzehn, Mylady.« Einen Augenblick lang vergaß sie, wie alt Alayne sein sollte. »Und ich bin kein Kind mehr, sondern eine erblühte Jungfrau.«

»Erblüht, aber noch nicht entjungfert, kann man nur hoffen.« Der buschige Schnurrbart des Jungen Lord Jäger verdeckte fast seinen ganzen Mund.

»Bisher«, sagte Lyn Corbray, als wäre sie nicht zugegen. »Jedoch schon bald zum Pflücken reif, würde ich sagen.«

»Gilt solcherlei Gerede als Höflichkeit in Herzheim?« Anya Waynwalds Haar zeigte das erste Grau, die Lady hatte Krähenfüße um die Augen und schlaffe Haut unter dem Kinn, und dennoch strahlte sie eine vornehme Würde aus. »Das Mädchen ist jung und von zarter Geburt und hat genug Schrecknisse erlebt. Hütet Eure Zunge, Ser.«

»Meine Zunge lasst meine Sorge sein«, erwiderte Corbray. »Eure Ladyschaft sollte sich eher um die eigene kümmern. Ich habe noch nie freundlich auf Schelte reagiert, wie Euch eine stattliche Zahl toter Männer bestätigen könnte.«

Lady Waynwald wandte sich von ihm ab. »Am besten führst du uns zu deinem Vater, Alayne. Je schneller wir mit dieser Angelegenheit fertig sind, desto besser.«

»Der Lord Protektor erwartet Euch im Solar. Wenn Mylords mir folgen würden.« Aus dem Halbmondzimmer stiegen sie eine steile Marmortreppe hinauf, vorbei an Gewölben und Verliesen und unter drei Mordlöchern hindurch, denen die Lords der Deklaration keine weitere Beachtung schenkten. Belmor schnaufte bald wie ein Blasebalg, und Rotfests Gesicht wurde so grau wie sein Haar. Die Wachen oben an der Treppe zogen bei ihrer Ankunft das Fallgitter hoch. »Hier entlang, wenn Mylords und Mylady so freundlich sein wollen.« Alayne führte sie durch den Säulengang an einem Dutzend prächtigster Wandteppiche vorbei. Ser Lothor Brunn stand vor dem Solar. Er öffnete ihnen die Tür und folgte ihnen hinein.

Petyr saß an dem auf Böcken stehenden Tisch, hielt einen Becher Wein in der Hand und betrachtete ein Stück spröden weißen Pergaments. Er schaute auf, als die Lords der Deklaration nacheinander eintraten. »Mylords, seid willkommen. Und auch Ihr, Mylady. Der Aufstieg ist ermüdend, ich weiß. Setzt Euch bitte. Alayne, meine Liebe, bring mehr Wein für unsere edlen Gäste.«

»Wie Ihr wünscht, Vater.« Die Kerzen waren angezündet, wie sie zufrieden feststellte; im Solar roch es nach Muskatnuss und anderen wertvollen Gewürzen. Sie ging, um den Krug zu holen, während die Besucher sich nebeneinandersetzten … alle außer Nestor Rois, der kurz zögerte und dann um den Tisch herumging und sich auf dem leeren Stuhl neben Lord Petyr niederließ, und Lyn Corbray, der sich an den Kamin stellte. Der herzförmige Rubin im Knauf seines Schwertes leuchtete rot, während er sich die Hände wärmte. Alayne sah, dass er Ser Lothor Brunn anlächelte. Ser Lyn sieht sehr stattlich aus für einen älteren Mann, dachte sie, aber sein Lächeln gefällt mir gar nicht.

»Ich habe diese Eure bemerkenswerte Deklaration gelesen«, begann Petyr. »Großartig. Der Maester, der sie verfasst hat, versteht es wirklich, Worte zu setzen. Ich wünschte nur, Ihr hättet mich eingeladen, sie ebenfalls zu unterzeichnen.«

Damit hatte er sie überrumpelt. »Ihr?«, fragte Belmor. »Unterzeichnen?«

»Ich kann mit der Feder so gut wie jeder andere umgehen, und niemand liebt Lord Robert mehr als ich. Und was diese falschen Freunde und schlechten Berater angeht, so sollten wir sie ausmerzen. Mylords, ich stehe zu Euch, mit Herz und Hand. Zeigt mir, wo ich unterzeichnen soll, ich bitte Euch.«

Während Alayne einschenkte, hörte sie Lyn Corbray kichern. Die anderen schienen um eine Antwort verlegen, bis Bronze Yohn Rois seine Fingerknöchel knacken ließ und sagte: »Wir sind nicht wegen Eurer Unterschrift gekommen. Auch geht es uns nicht darum, Worte mit Euch zu wechseln, Kleinfinger.«

»Wie schade. Ich liebe es, Worte zu wechseln.« Petyr legte das Pergament zur Seite. »Wie Ihr wünscht. Sprechen wir offen. Was wollt Ihr von mir, Mylords und Mylady?«

»Wir wollen nichts von Euch.« Symond Tempelheim fixierte den Lord Protektor mit seinem kalten blauen Starren. »Wir wollen, dass Ihr verschwindet.«

»Verschwinden?« Petyr täuschte Überraschung vor. »Wo sollte ich denn hingehen?«

»Die Krone hat Euch zum Lord von Harrenhal erhoben«, erinnerte ihn der Junge Lord Jäger. »Das dürfte doch ausreichen.«

»Die Flusslande brauchen einen Lord«, sagte der alte Hortan Rotfest. »Schnellwasser wird belagert, Bracken und Schwarzhain haben den Krieg erklärt, und auf beiden Seiten des Tridents treiben sich die Geächteten ungehindert herum und rauben und töten, wie es ihnen gefällt. Überall im Land liegen Leichen herum, die niemand begräbt.«

»Aus Eurem Mund klingt das ausgesprochen verlockend, Lord Rotfest«, antwortete Petyr, »doch zufällig habe ich hier dringende Pflichten zu erfüllen. Und ich muss auch an Lord Robert denken. Verlangt Ihr etwa, dass ich ein kränkliches Kind in ein solches Gemetzel bringe?«

»Seine Lordschaft wird im Grünen Tal bleiben«, verkündete Yohn Rois.

»Ich beabsichtige, den Jungen mit mir nach Runenstein zu nehmen und dort einen Ritter aus ihm zu machen, auf den Jon Arryn stolz gewesen wäre.«

»Warum nach Runenstein?«, fragte Petyr. »Warum nicht nach Eiseneichen oder Rotfest? Warum nicht nach Langbogenhall?«

»Jeder dieser Sitze ist gleichermaßen gut geeignet«, gestand Lord Belmor, »und zu gegebener Zeit wird seine Lordschaft sie einen nach dem anderen besuchen.«

»Ach ja?« Petyrs Tonfall deutete auf gewisse Zweifel hin.

Lady Waynwald seufzte. »Lord Petyr, wenn Ihr glaubt, Ihr könntet einen von uns gegen die anderen ausspielen, dann spart Euch bitte die Mühe. Wir sprechen hier mit einer Stimme. Runenstein findet unser aller Zustimmung. Lord Yohn hat drei wunderbare Söhne aufgezogen, und es gibt niemanden, der besser geeignet wäre, seine junge Lordschaft als Mündel zu nehmen. Maester Helliweg ist einige Jahre älter und erfahrener als Euer Maester Colemon, und er könnte auch Lord Roberts Beschwerden besser behandeln. In Runenstein wird der Junge die Kriegskunst vom Starken Sam Stein lernen. Kein Mann kann sich einen hervorragenderen Waffenmeister erhoffen. Septon Lukos wird ihn in Angelegenheiten des Geistes unterrichten. Zudem findet er in Runenstein andere Jungen in seinem Alter, angemessenere Gesellschaft als die alten Frauen und Söldner, die ihn derzeit umgeben.«

Petyr Baelish zupfte an seinem Bart. »Seine Lordschaft braucht Gefährten, das will ich nicht bestreiten. Alayne ist allerdings bestimmt keine alte Frau. Lord Robert hegt große Zuneigung zu meiner Tochter, was er Euch gewiss gern selbst bestätigen wird. Und zufällig habe ich Lord Haindorf und Lord Leiherlich gebeten, mir jeweils einen Sohn als Mündel zu schicken. Beide haben einen Sohn in Roberts Alter.«

Lyn Corbray lachte. »Zwei Welpen von einem Paar Schoßhündchen.«

»Außerdem sollte Robert einen älteren Jungen zur Gesellschaft haben. Jemanden, zu dem er aufschauen und dem er nacheifern kann.« Petyr wandte sich an Lady Waynwald. »Ihr habt einen solchen Jungen in Eiseneichen, Mylady. Möglicherweise wäret Ihr bereit, mir Harrold Hardyng zu schicken.«

Anya Waynwald schien das zu erheitern. »Lord Petyr, Ihr seid der verwegenste Räuber, dem ich je begegnet bin.«

»Ich möchte den Jungen nicht rauben«, erwiderte Petyr, »doch er und Lord Robert sollten Freunde werden.«

Bronze Yohn beugte sich vor. »Es ist richtig und angemessen, dass Lord Robert sich mit dem jungen Harry anfreundet, und das wird er … in Runenstein, unter meiner Obhut, als mein Mündel und Knappe.«

»Gebt uns den Jungen«, warf Lord Belmor ein, »und Ihr dürft das Grüne Tal unbehelligt in Richtung Harrenhal verlassen, Eurem eigentlichen Sitz.«

Petyr warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Wollt Ihr damit andeuten, ich könnte andernfalls zu Schaden kommen, Mylord? Ich vermag mir nicht vorzustellen, aus welchem Grund. Meine verstorbene Gemahlin war offensichtlich der Ansicht, dies hier sei mein eigentlicher Sitz.«

»Lord Baelish«, sagte Lady Waynwald. »Lysa Tully war Jon Arryns Witwe und die Mutter seines Sohnes, und sie herrschte hier als seine Regentin. Ihr – ich will offen sprechen – seid kein Arryn, und Lord Robert stammt nicht von Eurem Blut. Nach welchem Recht wollt Ihr über uns herrschen?«

»Lysa hat mich zum Lord Protektor ernannt, wenn ich mich recht entsinne.«

Der Junge Lord Jäger sagte: »Lysa Tully gehörte niemals wirklich ins Grüne Tal, und sie hatte auch nicht das Recht, über uns zu entscheiden.«

»Und Lord Robert?«, fragte Petyr. »Will Eure Lordschaft vielleicht auch behaupten, Lady Lysa habe nicht das Recht gehabt, über ihren eigenen Sohn zu verfügen?«

Nestor Rois hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch nun erhob er laut die Stimme. »Einst habe ich gehofft, selbst Lady Lysa zu ehelichen. Wie auch Lord Jägers Vater und Lady Anyas Sohn. Corbray ist für ein halbes Jahr kaum von ihrer Seite gewichen. Hätte sie einen von uns erwählt, würde niemand hier sein Recht bestreiten, Lord Protektor zu sein. Zufälligerweise hat sie Lord Kleinfinger erwählt und ihren Sohn seiner Obhut anvertraut.«

»Er ist immerhin auch Jon Arryns Sohn, Vetter«, wandte Bronze Yohn ein und blickte den Hüter stirnrunzelnd an. »Er gehört ins Grüne Tal.«

Petyr tat verwirrt. »Die Ehr liegt ebenso im Grünen Tal wie Runenstein. Es sei denn, jemand hat sie verlegt.«

»Scherzt nur, Kleinfinger«, brauste Lord Belmor auf. »Der Junge wird mit uns kommen.«

»Ich möchte Euch nicht gern enttäuschen, Lord Belmor, aber mein Stiefsohn wird hier bei mir bleiben. Er ist kein gesundes Kind, wie Ihr selbst sehr wohl wisst. Die Reise würde eine große Strapaze für ihn bedeuten. Als sein Stiefvater und als Lord Protektor kann ich das nicht zulassen.«

Symond Tempelheim räusperte sich. »Jeder von uns hat tausend Mann am Fuß dieses Berges stehen, Kleinfinger.«

»Da stehen sie wirklich hervorragend.«

»Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, können wir noch viel mehr rufen.«

»Wollt Ihr mir mit Krieg drohen, Ser?« Petyr klang, als fürchtete er sich nicht im Mindesten.

Bronze Yohn sagte: »Wir werden Lord Robert bekommen.«

Einen Augenblick schien es, als wäre die Verhandlung ins Stocken geraten, bis Lyn Corbray sich vom Feuer umdrehte. »Bei diesem Gerede wird mir übel. Kleinfinger wird Euch noch die Unterwäsche vom Leib schwatzen, wenn Ihr ihm nur lange genug Gehör schenkt. Die Angelegenheit lässt sich nur auf eine Weise regeln: mit Stahl.« Er zog sein Langschwert.

Petyr breitete die Hände aus. »Ich trage kein Schwert, Ser.«

»Da ist leicht Abhilfe zu schaffen.« Das Kerzenlicht glitzerte auf dem rauchgrauen Stahl von Corbrays Klinge, die so dunkel war, dass sich Sansa an Eis, das Großschwert ihres Vaters, erinnert fühlte. »Euer Apfelesser hat eine Klinge. Sagt ihm, er soll sie Euch geben, oder zieht diesen Dolch.«

Alayne sah, wie Lothor Brunn nach seinem Schwert langte, doch ehe die Klingen aufeinandertreffen konnten, erhob sich Bronze Yohn voller Zorn. »Steckt den Stahl ein, Ser! Seid Ihr ein Corbray oder ein Frey? Wir sind hier zu Gast.«

Lady Waynwald schürzte die Lippen und sagte: »Das ist ungehörig.«

»Steckt das Schwert in die Scheide, Corbray«, verlangte auch der Junge Lord Jäger. »Ihr bereitet uns allen Schande.«

»Kommt, Lyn«, schalt Rotfest leiser. »Das bringt doch nichts. Steckt Lady Einsam in ihr Bett.«

»Meine Lady verspürt Durst«, beharrte Ser Lyn. »Wenn sie zum Tanzen herauskommt, möchte sie einen Tropfen Rot.«

»Eure Lady wird sich mit ihrem Durst abfinden müssen.« Bronze Yohn stellte sich Corbray direkt in den Weg.

»Die Lords der Deklaration.« Lyn Corbray schnaubte. »Ihr hättet Euch die Sechs Alten Weiber nennen sollen.« Er schob das dunkle Schwert in die Scheide zurück und verließ den Raum, wobei er Brunn mit der Schulter anrempelte, als wäre er nicht vorhanden. Alayne lauschte, wie sich seine Schritte entfernten.

Anya Waynwald und Hortan Rotfest wechselten einen Blick. Jäger trank seinen Weinbecher leer und hielt ihn hoch, damit er wieder gefüllt würde. »Lord Baelish«, sagte Ser Symond, »Ihr müsst uns dieses Schauspiel verzeihen.«

»Muss ich?« Kleinfingers Stimme war kalt geworden. »Ihr habt ihn hergebracht, Mylords.«

Bronze Yohn erwiderte: »Es lag nicht in unserer Absicht …«

»Ihr habt ihn hergebracht. Ich hätte durchaus das Recht, meine Wachen zu rufen und Euch alle einzusperren.«

Jäger sprang so unvermittelt auf, dass er Alayne beinahe den Krug aus den Händen geschlagen hätte. »Ihr habt uns freies Geleit versprochen!«

»Ja. Ihr dürft dankbar dafür sein, dass ich mehr Ehre im Leib habe als manch anderer.« Petyr hörte sich so wütend an, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. »Ich habe Eure Deklaration gelesen und mir angehört, welche Forderungen Ihr stellt. Jetzt hört meine. Zieht die Heere von diesem Berg ab. Geht heim, und lasst meinen Sohn in Ruhe. Es wurde schlecht regiert, das will ich nicht leugnen, doch das war Lysas Werk, nicht meines. Gewährt mir nur ein Jahr, und ich verspreche Euch, mit Lord Nestors Hilfe wird niemand mehr einen Grund zur Beschwerde haben.«

»Das behauptet Ihr«, meinte Belmor. »Doch wie können wir Euch trauen?«

»Ihr wagt es, mich als nicht vertrauenswürdig zu bezeichnen? Nicht ich habe während der Unterhandlungen blankgezogen. Ihr schreibt, Ihr wollt Lord Robert verteidigen und versagt ihm ohne große Umschweife das Essen. Dem muss ein Ende gemacht werden. Ich bin kein Krieger, aber ich werde gegen Euch kämpfen, wenn Ihr diese Belagerung nicht aufhebt. Im Grünen Tal gibt es außer Euch noch weitere Lords, und Königsmund wird außerdem Männer entsenden. Wenn Ihr Krieg wollt, sagt es jetzt, und das Grüne Tal wird bluten.«

Alayne sah, wie sich Zweifel in die Augen der Lords der Deklaration schlich. »Ein Jahr ist keine so lange Zeit«, sagte Lord Rotfest unsicher. »Vielleicht … wenn Ihr uns zusichern würdet ...«

»Niemand will Krieg«, bestätigte Lady Waynwald. »Der Herbst geht dem Ende zu, und wir müssen uns für den Winter rüsten.«

Belmor räusperte sich. »Am Ende dieses Jahres …«

»… werde ich, falls ich das Tal nicht ordentlich geführt habe, freiwillig von meinem Amt als Lord Protektor zurücktreten«, versprach Petyr ihnen.

»Dieser Vorschlag ist mehr als anständig«, warf Lord Nestor Rois ein.

»Es darf keine Vergeltung geben«, beharrte Tempelheim. »Kein Wort über Verrat oder Rebellion. Auch das müsst Ihr schwören.«

»Gern«, sagte Petyr. »Ich möchte Freunde, keine Feinde. Ich werde Euch alle begnadigen, auch schriftlich, wenn Ihr wünscht. Sogar Lyn Corbray. Sein Bruder ist ein guter Mann, und ich sehe keinen Anlass, ein edles Haus zu beschämen.«

Lady Waynwald wandte sich an die anderen Lords der Deklaration. »Mylords, vielleicht könnten wir darüber beraten?«

»Das ist nicht notwendig. Es liegt auf der Hand, dass er gewonnen hat.« Bronze Yohn betrachtete Petyr Baelish aus seinen grauen Augen. »Mir gefällt es nicht, aber so wie es aussieht bekommt Ihr Euer Jahr. Nutzt es gut, Mylord. Nicht alle von uns lassen sich zum Narren halten.« Er riss die Tür mit solcher Wucht auf, dass er sie beinahe aus den Angeln gerissen hätte.

Später gab es eine Art Festmahl, bei dem Petyr sich für die bescheidene Kost entschuldigen musste. Robert wurde in einem Wams in Creme und Blau hereingeführt und spielte gnädig den kleinen Lord. Bronze Yohn war nicht zugegen, um es mit anzusehen; er hatte die Ehr bereits verlassen und wie Ser Lyn Corbray den langen Abstieg in Angriff genommen. Die anderen Lords blieben bis zum nächsten Morgen.

Er hat sie verhext, dachte Alayne, als sie in dieser Nacht im Bett lag und dem Wind lauschte, der um die Burg heulte. Sie hätte nicht sagen können, woher der Verdacht stammte, doch seit er ihr einmal in den Sinn gekommen war, raubte er ihr den Schlaf. Sie warf sich hin und her und nagte daran herum wie ein Hund an einem alten Knochen. Schließlich erhob sie sich, zog sich selbst an und überließ Gretchel ihren Träumen.

Petyr war noch wach und kritzelte einen Brief. »Alayne«, sagte er. »Meine Süße. Was führt dich so spät noch zu mir?«

»Ich muss es wissen. Was wird in einem Jahr geschehen?«

Er legte die Feder ab. »Rotfest und Waynwald sind alt. Einer oder auch beide könnten sterben. Gilwald Jäger wird von seinen Brüdern ermordet. Höchstwahrscheinlich vom jungen Harlan, der schon für Lord Eons Tod gesorgt hat. Wer einen Heller setzt, muss bis zum Hirsch mitgehen, sage ich immer. Belmor ist korrupt, ihn kann man kaufen. Mit Tempelheim werde ich mich anfreunden. Bronze Yohn Rois wird sich weiterhin feindselig aufführen, fürchte ich, doch solange er allein steht, stellt er keine große Bedrohung dar.«

»Und Ser Lyn Corbray?«

Das Kerzenlicht tanzte in seinen Augen. »Ser Lyn wird mein unversöhnlicher Feind bleiben. Er spricht gegenüber jedem Mann, dem er begegnet, voller Hohn und Abscheu über mich, und er bringt sein Schwert in jedes geheime Komplott ein, das gegen mich geschmiedet wird.«

In diesem Moment verwandelte sich ihr Verdacht in Gewissheit. »Und wie werdet Ihr ihn für seine Dienste entlohnen?«

Kleinfinger lachte laut. »Mit Gold und Knaben und Versprechungen natürlich. Ser Lyn hat einen schlichten Geschmack, meine Süße. Er liebt Gold, er liebt Knaben, und er liebt das Töten.«

Cersei

Der König schmollte. »Ich will auf dem Eisernen Thron sitzen«, sagte er zu ihr. »Joff habt Ihr immer dort sitzen lassen.«

»Joffrey war zwölf.«

»Aber ich bin der König. Der Thron gehört mir.«

»Wer hat dir das eingeredet?« Cersei holte tief Luft, damit Dorcas die Bänder fester zuziehen konnte. Sie war ein großes Mädchen, viel kräftiger als Senelle, allerdings auch linkischer.

Tommens Gesicht wurde rot. »Niemand hat mir das eingeredet.«

»Niemand? Nennst du so deine Hohe Gemahlin?« Die Königin roch es förmlich, dass Margaery Tyrell hinter diesem Aufbegehren steckte. »Wenn du mich anlügst, habe ich keine andere Wahl, als Pat rufen zu lassen, damit er verprügelt wird, bis er blutet.« Pat war Tommens Prügelknabe, wie davor schon Joffreys. »Möchtest du das?«

»Nein«, murmelte der König mürrisch.

»Wer hat dir das eingeredet?«

Er scharrte mit den Füßen. »Lady Margaery.« Er wusste genau, dass er sie in Hörweite seiner Mutter nicht Königin nennen durfte.

»Schon besser, Tommen. Ich habe schwierige Angelegenheiten zu entscheiden, Angelegenheiten, die du noch nicht verstehen kannst, weil du zu jung bist. Ich kann keinen dummen kleinen Jungen gebrauchen, der hinter mir auf dem Thron herumzappelt und mich mit seinen kindischen Fragen ablenkt. Ich nehme an, Margaery meint auch, du solltest an meinen Ratssitzungen teilnehmen?«

»Ja«, gab er zu. »Sie sagt, ich muss lernen, König zu sein.«

»Wenn du älter bist, kannst du so oft du willst an den Ratssitzungen teilnehmen«, sagte Cersei. »Ich verspreche, du wirst sie bald leid sein. Robert ist dabei immer eingenickt.« Wenn er sich überhaupt die Mühe gemacht hat, daran teilzunehmen. »Er hat die Jagd und seine Falken vorgezogen und die Langeweile dem alten Lord Arryn überlassen. Kannst du dich an ihn erinnern?«

»Er ist an Bauchschmerzen gestorben.«

»Ja, der arme Mann. Wenn du unbedingt etwas lernen möchtest, dann solltest du vielleicht mit den Namen aller Könige von Westeros und den Händen, die ihnen gedient haben, anfangen. Du kannst sie mir morgen aufsagen.«

»Ja, Mutter«, sagte er kleinlaut.

»Das ist mein braver Junge.« Die Herrschaft gehörte ihr; Cersei beabsichtigte nicht, sie aufzugeben, ehe Tommen mündig geworden war. Ich habe gewartet, und das kann er auch. Ich habe mein halbes Leben gewartet. Sie hatte die pflichtbewusste Tochter gespielt, die errötende Braut, die fügsame Ehefrau. Sie hatte Roberts trunkenes Gegrapsche über sich ergehen lassen, Jaimes Eifersucht, Renlys Spott, Varys mit seinem Kichern, Stannis’ endloses Zähneknirschen. Sie hatte mit Jon Arryn gestritten, mit Ned Stark und mit ihrem abscheulichen, verräterischen und noch dazu mörderischen Zwergenbruder und sich dabei immer wieder versprochen, dass eines Tages sie an der Reihe sein würde. Wenn Margaery Tyrell glaubt, sie könne mir meine Stunde in der Sonne stehlen, sollte sie es sich lieber noch einmal überlegen.

Trotzdem war ihr das Frühstück vergällt, und auch danach wandte sich Cerseis Tag nicht zum Besseren. Sie verbrachte den Rest des Morgens mit Lord Gil und seinen Hauptbüchern, lauschte ihm, wie er hustend über Sterne und Hirsche und Drachen sprach. Nach ihm kam Lord Wasser, um zu berichten, dass die ersten drei Dromonen kurz vor der Fertigstellung standen, und um weitere Gelder zu erbitten, damit ihnen die Pracht gewährt werden könnte, die sie verdienten. Die Königin erfüllte ihm seine Bitte gern. Mondbub machte seine Kapriolen, während sie mit Angehörigen der Händlergilden zu Mittag speiste und sich ihre Beschwerden über die Spatzen anhörte, die durch die Straßen zogen und auf den Plätzen schliefen. Möglicherweise muss ich die Goldröcke einsetzen, um diese Spatzen aus der Stadt zu vertreiben, dachte sie gerade, als Pycelle eintrat.

Der Großmaester hatte sich in jüngster Zeit im Rat häufiger quergestellt. Bei der letzten Sitzung hatte er sich bitterlich über die Männer beschwert, die Auran Wasser als Kapitäne für die neuen Dromonen ausgewählt hatte. Wasser beabsichtigte, die Schiffe jüngeren Männern zu geben, während Pycelle auf Erfahrung pochte und darauf beharrte, jene Kapitäne, die die Brände auf dem Schwarzwasser überlebt hatten, sollten das Kommando erhalten. »Erfahrene Männer, die ihre Treue unter Beweis gestellt haben«, nannte er sie. Cersei nannte sie alt und schlug sich auf die Seite von Lord Wasser. »Diese Kapitäne haben doch nur eins bewiesen«, hatte sie erwidert, »nämlich, dass sie schwimmen können. Keine Mutter sollte ihre Kinder überleben, und kein Kapitän sein Schiff.« Pycelle hatte die Zurückweisung zähneknirschend hingenommen.

Heute schien er weniger aufmüpfig zu sein und brachte sogar ein zitterndes Lächeln zustande. »Euer Gnaden, gute Nachrichten«, verkündete er. »Wyman Manderly ist Eurem Befehl nachgekommen und hat Lord Stannis’ Zwiebelritter enthauptet.«

»Ist das eine Tatsache?«

»Der Kopf und die Hände des Mannes wurden auf den Mauern von Weißwasserhafen ausgestellt. Lord Wyman hat es erklärt, und die Freys bestätigen es. Sie haben den Schädel dort gesehen, mit einer Zwiebel im Mund. Und die Hände waren an den gekürzten Fingern der einen Hand zu erkennen.«

»Sehr gut«, sagte Cersei. »Schickt Manderly einen Vogel, und teilt ihm mit, sein Sohn werde umgehend zurückgeschickt, da er nun seine Treue erwiesen habe.« Weißwasserhafen würde bald in den Königsfrieden zurückkehren, Roose Bolton und sein Bastard näherten sich Maidengraben von Süden und Norden. Wenn der Graben erst ihnen gehörte, würden sie ihre Kräfte vereinen und die Eisenmänner aus Torrhenschanze und Tiefwald Motte vertreiben. Das würde ihnen die Ergebenheit von Ned Starks verbliebenen Vasallen einbringen, wenn die Zeit gekommen wäre, um gegen Lord Stannis zu marschieren.

Im Süden hatte Maes Tyrell inzwischen eine Stadt aus Zelten vor Sturmkap errichtet und zwei Dutzend Mangen in Stellung gebracht, die Steine gegen die massiven Mauern der Burg schleuderten, wenn auch mit geringer Wirkung. Lord Tyrell der Krieger, dachte die Königin. Sein Wappen sollte ein fetter Mann sein, der auf seinem Arsch sitzt.

An diesem Nachmittag hatte der halsstarrige Gesandte aus Braavos seine Audienz. Cersei hatte ihn vor zwei Wochen vertröstet und hätte seinen Besuch gern erneut für ein Jahr verschoben, doch Lord Gil behauptete, den Mann nicht länger hinhalten zu können … wobei sich die Königin inzwischen fragte, ob Gil überhaupt zu etwas anderem als husten in der Lage war.

Der Braavosi stellte sich als Noho Dimittis vor. Ein unangenehmer Name für einen unangenehmen Mann. Seine Stimme war ebenfalls unangenehm. Cersei rutschte auf ihrem Sitz hin und her, während er sprach, und fragte sich, wie lange sie seine Einschüchterungen noch ertragen musste. Hinter ihr ragte der Eiserne Thron auf, dessen Stacheln und Klingen verdrehte Schatten auf den Boden warfen. Nur der König oder seine Hand durften auf dem Thron sitzen. Cersei saß zu seinen Füßen in einem Stuhl aus vergoldetem Holz, auf dem purpurrote Kissen gestapelt waren.

Als der Braavosi einmal Atem holte, sah sie ihre Chance gekommen. »Diese Angelegenheit wäre eigentlich bei meinem Lord Kämmerer in besseren Händen.«

Diese Antwort gefiel dem vornehmen Noho anscheinend nicht. »Ich habe sechsmal mit Lord Gil gesprochen. Er hustet mich an und bringt Entschuldigungen vor, Euer Gnaden, doch auf das Gold warten wir vergebens.«

»Sprecht ein siebtes Mal mit ihm«, riet Cersei freundlich. »Die Sieben ist die heilige Zahl unserer Götter.«

»Euer Gnaden belieben, sich einen Scherz zu erlauben, wie ich sehe.«

»Wenn ich einen Scherz mache, lächele ich. Seht Ihr mich lächeln? Hört Ihr Gelächter? Ich versichere Euch, wenn ich einen Scherz mache, lachen die Menschen.«

»König Robert …«

»… ist tot«, unterbrach sie ihn scharf. »Die Eiserne Bank bekommt ihr Gold, wenn diese Rebellion niedergeschlagen ist.«

Er hatte die Unverschämtheit, sie mit mürrischer Miene anzublicken. »Euer Gnaden …«

»Diese Audienz ist beendet.« Cersei hatte genug für einen Tag erduldet. »Ser Meryn, geleitet den edlen Noho Dimittis zur Tür. Ser Osmund, Ihr dürft mich in meine Gemächer geleiten.« Bald würden ihre Gäste eintreffen, und sie musste noch baden und sich umziehen. Das Abendessen versprach ebenfalls eine langweilige Angelegenheit zu werden. Es war schon harte Arbeit, ein Königreich zu regieren, ganz zu schweigen von sieben.

Ser Osmund Schwarzkessel gesellte sich an der Treppe zu ihr, groß und schlank im Weiß der Königsgarde. Als Cersei sich vergewissert hatte, dass sie allein waren, hakte sie sich bei ihm ein. »Sagt doch bitte, wie macht sich Euer kleiner Bruder?«

Ser Osmund strahlte Unbehagen aus. »Ach … recht gut, nur …«

»Nur?« Die Königin ließ eine gewisse Gereiztheit in ihrer Stimme mitschwingen. »Ich muss gestehen, mir geht langsam die Geduld mit dem lieben Osney aus. Längst hätte er diese junge Stute zähmen müssen. Ich habe ihn zu Tommens persönlicher Leibwache ernannt, damit er viel Zeit in Margaerys Gesellschaft verbringen kann. Er hätte die Rose inzwischen pflücken sollen. Will die kleine Königin seinem Charme nicht erliegen?«

»An seinem Charme gibt es nichts auszusetzen. Er ist schließlich ein Schwarzkessel. Bitte um Vergebung.« Ser Osmund strich sich mit den Fingern durch das ölige schwarze Haar. »Die Schwierigkeiten liegen bei ihr.«

»Und aus welchem Grund?« Inzwischen hegte die Königin so ihre Zweifel, was Ser Osney betraf. Vielleicht wäre ein anderer Mann mehr nach Margaerys Geschmack gewesen. Auran Wasser mit dem silbrigen Haar oder ein großer stämmiger Kerl wie Ser Tallad. »Würde die Jungfrau jemand anderen bevorzugen? Gefällt ihr vielleicht das Gesicht Eures Bruders nicht?«

»Sein Gesicht gefällt ihr durchaus. Vor zwei Tagen hat sie seine Narben berührt, hat er mir erzählt. ›Welche Frau hat Euch das angetan?‹, hat sie gefragt. Osney hatte nie erwähnt, dass die Kratzer von einer Frau stammen, und trotzdem wusste sie es. Möglicherweise hat es ihr jemand erzählt. Sie berührt ihn ständig, wenn sie sich unterhalten, sagt er. Sie richtet die Spange seines Mantels, streicht ihm das Haar zurück und solche Dinge. Einmal, am Schießstand, hat sie sich von ihm zeigen lassen, wie man einen Langbogen hält, da musste er den Arm um sie legen. Osney erzählt ihr zotige Scherze, und sie lacht und antwortet mit noch deftigeren Zoten. Nein, sie will ihn, das ist offensichtlich, nur …«

»Nur?«, hakte Cersei nach.

»Sie sind niemals allein. Der König ist die meiste Zeit bei ihnen, und wenn nicht, dann jemand anders. Zwei ihrer Damen teilen das Bett mit ihr, jede Nacht andere. Zwei weitere bringen ihr das Frühstück und helfen ihr beim Ankleiden. Sie betet mit ihrer Septa, liest mit ihrer Base Elinor, singt mit ihrer Base Alla, näht mit ihrer Base Megga. Wenn sie nicht mit Janna Fossowey und Sonnie Kranich draußen auf der Beize ist, spielt sie Komm-in-meine-Burg mit dem kleinen Bulwer-Mädchen. Sie reitet nie ohne ein Gefolge von vier oder fünf Gefährtinnen und wenigstens einem Dutzend Wachen aus. Und ständig sind Männer um sie herum, sogar im Jungfrauengewölbe.«

»Männer.« Das war doch etwas. Das bot Möglichkeiten. »Welche Männer sind das, bitte sehr?«

Ser Osmund zuckte mit den Schultern. »Sänger. Sie hat einen Narren an Sängern und Jongleuren und solchem Volk gefressen. Ritter, die um ihre Basen herumstreichen. Ser Tallad ist der Schlimmste, sagt Osney. Dieser riesige Flegel scheint nicht zu wissen, ob er Elinor oder Alla will, aber eine von beiden will er auf jeden Fall. Die Rothweyn-Zwillinge kommen auch zu Besuch. Schlabber bringt Blumen und Obst, Horror hat sich auf die Laute verlegt. Nach Osneys Worten klingt es süßer, wenn man eine Katze erdrosselt. Der Sommermensch ist auch ständig dabei.«

»Jalabhar Xho?« Cersei schnaubte spöttisch. »Fleht sie höchstwahrscheinlich um Gold und Schwerter an, damit er seine Heimat zurückerobern kann.« Unter seinen Edelsteinen und Federn war Xho kaum mehr als ein vornehmer Bettler. Robert hätte die Belästigungen mit einem entschiedenen »Nein« beenden können, doch der Gedanke, die Sommerinseln zu erobern, hatte ihrem betrunkenen Rüpel von Gemahl gefallen. Ohne Zweifel hatte er von braunhäutigen Mädchen geträumt, die pechschwarze Brustwarzen hatten und unter ihren Federmänteln nackt waren. Und so hatte Robert nie »nein« gesagt, sondern immer »nächstes Jahr«, nur war dieses nächste Jahr nie angebrochen.

»Ich kann nicht sagen, ob er gebettelt hat, Euer Gnaden«, antwortete Ser Osmund. »Osney sagt, er bringt ihnen die Sommersprache bei. Nicht Osney, aber der Königi… der Stute und ihren Basen.«

»Ein Pferd, das die Sommersprache beherrscht, wäre eine Sensation«, meinte die Königin trocken. »Sagt Eurem Bruder, er soll seinen Sporn scharf halten. Schon bald werde ich einen Weg finden, wie er seine Stute besteigen kann, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Ich werde es ihm ausrichten, Euer Gnaden. Er ist ganz wild auf diesen Ritt, glaubt nichts Gegenteiliges. Sie ist ein hübsches kleines Ding, diese Stute.«

Ich bin es, auf die er wild ist, Dummkopf, dachte die Königin. Von Margaery will er nur die Lordschaft zwischen ihren Beinen. So sehr sie Osmund mochte, manchmal schien er ihr so langsam zu sein wie Robert. Hoffentlich ist sein Schwert schneller als sein Verstand. Irgendwann mag der Tag kommen, an dem Tommen es braucht.

Sie durchquerten den Schatten des eingestürzten Turms der Hand, als Jubel über sie hinwegrauschte. Auf der anderen Seite des Hofes hatte irgendein Knappe die Stechpuppe getroffen und den Arm in Drehung versetzt. Der Beifall wurde von Margaery Tyrell und ihren Hennen angeführt. Viel Lärm um fast gar nichts. Man möchte meinen, der Junge habe ein Turnier gewonnen. Dann stellte sie voller Schrecken fest, dass Tommen in vergoldetem Panzer auf dem Renner saß.

Die Königin hatte keine andere Wahl, sie musste ein Lächeln aufsetzen und zu ihrem Sohn gehen. Der Ritter der Blumen half ihm gerade vom Pferd, als sie ihn erreichte. Der Junge war vor Aufregung außer Atem. »Habt Ihr gesehen?«, fragte er jeden. »Ich habe es genau so gemacht, wie Ser Loras es mir gesagt hat. Habt Ihr es gesehen, Ser Osney?«

»Habe ich«, antwortete Osney Schwarzkessel. »Ein prächtiger Anblick.«

»Ihr sitzt besser im Sattel als ich, Herr«, warf Ser Dermot ein.

»Ich habe die Lanze gebrochen. Ser Loras, habt Ihr das gehört?«

»So laut wie ein Donnerkrachen.« Eine Rose aus Jade und Gold hielt Ser Loras’ weißen Mantel an der Schulter zusammen, und der Wind strich kunstvoll durch seine braunen Locken. »Ihr seid großartig geritten, aber einmal ist nicht genug. Ihr müsst es morgen wiederholen. Jeden Tag müsst Ihr reiten, bis jeder Stoß sein Ziel genau trifft und Eure Lanze zu einem Teil Eures Arms geworden ist.«

»Das möchte ich.«

»Ihr wart wunderbar.« Margaery ging auf ein Knie, küsste den König auf die Wangen und legte den Arm um ihn. »Bruder, passt gut auf«, warnte sie Loras. »Ich glaube, mein ritterlicher Gemahl wird Euch in wenigen Jahren aus dem Sattel stoßen.« Ihre drei Basen stimmten dem zu, und das jämmerliche kleine Bulwer-Mädchen hüpfte herum und sang: »Tommen wird der Sieger, der Sieger, der Sieger.«

»Wenn er ein erwachsener Mann ist«, sagte Cersei.

Das Lächeln auf den Gesichtern verwelkte wie Rosen, die der Frost küsst. Die pockennarbige Septa beugte als Erste das Knie. Der Rest schloss sich an, außer der kleinen Königin und ihrem Bruder.

Tommen schien die plötzliche Abkühlung der Atmosphäre nicht wahrzunehmen. »Mutter, habt Ihr mich gesehen?«, plapperte er fröhlich. »Ich habe meine Lanze an dem Schild gebrochen, und der Sandsack hat mich nicht getroffen!«

»Ich habe es über den Hof hinweg gesehen. Das hast du sehr gut gemacht, Tommen. Etwas anderes würde ich auch nicht von dir erwarten. Tjostieren liegt dir im Blut. Eines Tages wirst du die Turnierplätze beherrschen wie dein Vater vor dir.«

»Kein Mann wird gegen ihn bestehen.« Margaery Tyrell schenkte der Königin ein scheues Lächeln. »Ich wusste gar nicht, dass König Robert so vollendet im Tjost war. Bitte erzählt uns, Euer Gnaden, in welchen Turnieren trug er den Sieg davon? Welche großen Ritter hat er aus dem Sattel gestoßen? Bestimmt möchte der König ebenfalls von den Triumphen seines Vaters hören.«