Das Tier meines Lebens - Ilka Piepgras - E-Book

Das Tier meines Lebens E-Book

Ilka Piepgras

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Beschreibung

Ilka Piepgras nahm Natur nur als Kulisse für Erholung war. Doch mit der Aufnahme des Berner Sennenhundes Teddy ändert sich alles, das Tier macht aus ihr einen anderen Menschen. Plötzlich packt sie die Sehnsucht nach der Natur mit ungeahnter Wucht. Sie spürt auf ihren langen Spaziergängen mit Teddy durch den Berliner Stadtwald oder die Uckermark, dass auch sie Teil davon ist. Aber die Autorin plagen auch Selbstzweifel, denn Teddy ist wild und ungestüm. Wie soll man einen Hund gesellschaftsfähig machen, ohne ihm seine Natur und Instinkte abzusprechen? ›Das Tier meines Lebens‹ ist ein intelligentes, wunderbar erzähltes Buch über Hunde, Hundeerziehung und das Verhältnis zwischen Mensch und Hund.

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Was es wirklich heißt, einen Hund zu haben

Plötzlich packt Ilka Piepgras die Sehnsucht nach der Natur mit ungeahnter Wucht. Sie spürt auf ihren langen Spaziergängen mit ihrem Berner Sennenhund Teddy durch den Berliner Stadtwald oder die Uckermark, dass auch sie Teil davon ist. Neben Hundeerziehung und frühmorgendlichen Gassigängen plagen die Autorin aber auch Selbstzweifel, denn Teddy ist wild und ungestüm. Wie soll man einen Hund gesellschaftsfähig machen, ohne ihm seine Natur und Instinkte abzusprechen?

›Das Tier meines Lebens‹ ist ein intelligentes, wunderbar erzähltes Buch über Hunde, Hundeerziehung und das tiefgründige Verhältnis zwischen Mensch und Hund.

© Jelka von Langen

Ilka Piepgras, geboren 1964, studierte in München Politische Wissenschaften und begann 1991 als Reporterin bei der Berliner Zeitung zu arbeiten. Nach einem Studienjahr in Harvard wechselte sie 1999 zur Financial Times Deutschland. Sie ist Autorin der Bücher ›Meine Freundin, die Nonne‹ und ›Letzte Reisen‹ und arbeitet heute beim ZEITmagazin. Zuletzt hat sie die Anthologie ›Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben‹ herausgegeben.

IlkaPiepgras

Das TiermeinesLebens

Wie mein Hund aus mir einen anderen Menschen machte

eBook 2022

© 2022 DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildung: © Madlen Lübbeke

Satz: Fagott, Ffm

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-8239-7

www.dumont-buchverlag.de

PROLOG

Mein Hund hat schlanke Beine und einen massigen schwarzen Rumpf. Wenn es regnet, kringeln sich die schwarzen Haare auf seinen Schlappohren zu Locken, und im Dunkeln leuchtet sein weißes Brusthaar wie das Frackhemd eines Philharmonikers. Sein Fell fühlt sich weich wie eine Kaschmirdecke an und verströmt, je nach Jahreszeit, unterschiedliche Aromen. Mal riecht es nach frisch gebackenem Brot, mal nach nassem Waldboden. Seine Schenkel sind oberhalb des Kniegelenks schwarz und darunter braunrot wie Herbstlaub, die Pfoten weiß. Die Verteilung der Farben an seinen Beinen macht den Eindruck, er trüge Kniestrümpfe und flache Schuhe. Er ist bildschön. Dieser Hund namens Teddy schaut gern James-Bond-Filme (aber nur die alten) und mag den Geschmack von Handcreme. Wenn er auf dem Küchenboden liegt und jemand zu laut mit Geschirr klappert, stößt er einen missbilligenden Seufzer aus. Manchmal legt er sich auf den Rücken, streckt die Beine in die Luft und lässt sich, den Kopf aufgeregt von rechts nach links drehend, genussvoll am Bauch kitzeln. In anderen Momenten steht er, die weiße Brust würdevoll herausgestreckt, an einem Hang und wirkt gebieterisch wie der König der Löwen. Dieses Wechselspiel aus kindlicher Ausgelassenheit und erwachsener Gefasstheit macht seinen Charakter aus.

Neulich habe ich im Garten eine Pflanze vergraben, und als ich mit den Händen ein Erdloch aushob, stieß Teddy mit seiner Schnauze hinein. Er schien begeistert davon zu sein, dass ich auf dem Boden kniend im Dreck wühlte – und ich fühlte mich darin bestätigt, das Richtige zu tun. Der Hund ist mein Resonanzboden und Spiegelbild, er versichert mich meiner selbst. Anderes Beispiel: An einem Wintertag streifen wir frühmorgens gemeinsam durch den Wald. Der Boden ist frostig weiß gepudert und knistert wie Papier, wenn Teddy durchs Unterholz läuft. Sein Atem bildet Kondenswolken in der kalten Luft. Wie ein Trüffelschwein wühlt er den krautigen Boden auf, sein Grunzen und Schnaufen bricht dröhnend die Stille. Ich gehe ein Stück voraus, und als er mir nicht nachläuft, drehe ich mich um und rufe ihn. Einen Moment lang verharrt er unschlüssig an der Duftspur, reißt plötzlich den Kopf herum in meine Richtung und sofort danach den Körper, rast los. Seine Schlappohren flappen im Laufen auf und nieder, seine Beine fliegen wie die eines Rennpferdes. So viel Hund, denke ich, als er auf mich zuläuft, durchströmt vom Gefühl einträchtiger Verbundenheit. Ein Stück weit gehen wir Seite an Seite und gelegentlich spüre ich die kalte Schnauze des Hundes an meiner zur Faust geballten Hand, er stupst beharrlich hinein, bis ich sie schließlich öffne und er sanft mit den Lippen, die sich über seine scharfen Reißzähne wölben, ein Stückchen Wurst aus meinen Fingern klaubt.

Teil 1

WIE ES BEGANN

Als mein Bruder hörte, dass wir mit dem Gedanken spielten, einen Hund zu kaufen, schaute er mich spöttisch an und sagte: »Du? Einen Hund?« Wir sind in den Siebziger- und Achtzigerjahren groß geworden und von dieser Zeit geprägt. In der Kleinstadt, in der wir aufwuchsen, waren Gärten nur ein matter Verweis auf die Fülle der Tier- und Pflanzenwelt. Zum Gartenideal meiner Jugend gehörten Sichtschutzwände und Waschbetonplatten, Rose und Immergrün, auch Rabatten mit viel nackter Erde. Die freie Natur nahm ich damals hauptsächlich als Kulisse für Sport und Erholung oder als Autobahnbegrünung auf dem Weg zum Windsurfen am Mittelmeer wahr. Mein Vater bezeichnete uns als Materialisten und im Rückblick weiß ich, er hatte recht.

Tieren begegneten mein zwei Jahre älterer Bruder und ich ebenfalls reserviert. Als ich ungefähr acht war, durften wir uns bei einem Kollegen meines Vaters, er war Mediziner an der Universität, zwei Labormäuse aussuchen. Wir nannten sie Dick & Doof, verloren schnell das Interesse an ihnen und brachten sie den Biochemikern zurück. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem der stechende Geruch im Institut. Ein innigeres Verhältnis entwickelte ich ein paar Jahre später zu meinem Meerschweinchen. Es hatte graubraunes Fell mit Wirbeln und war sehr dick. Alle paar Wochen holte ich beim Schreiner einen Sack Sägespäne für seinen Stall, den ich gewissenhaft reinigte. Eines Morgens lag Moppel leblos auf den Spänen. Womöglich hatte ich sie überfüttert?

Auch meine Berliner Osteopathin runzelte die Stirn, als ich während einer Behandlung unser Vorhaben, einen Hund zu kaufen, erwähnte. Sie erzählte, dass sie sich für die Eingewöhnungszeit ihres Border Collies mehrere Wochen freigenommen und ihre Wohnung kaum verlassen hatte. »Ein Hund ist eine riesige Verpflichtung. Bist du ganz sicher, dass du das willst?«, fragte sie, und nein, das war ich nicht.

Ich bin Jahrgang 1964 und ein verkopfter Großstadtmensch. Mein Verhältnis zu Flora und Fauna war lange Zeit ein theoretisches und mein Wissen so lückenhaft, dass ich Blumenzwiebeln bis vor Kurzem noch mit dem Trieb nach unten eingepflanzt habe. All die Jahre ging ich lieber ins Kino statt in den Garten, und Tiere kannte ich, wenn überhaupt, aus Büchern wie Lassie oder Fernsehserien wie Daktari. Ich habe nie Katzenposter aufgehängt und war nur wenige Male im Zoo. Von Tieren, urteilte ich überheblich, kann ich nichts lernen. Die haben mir nichts zu sagen, denn sie sprechen ja nicht.

Ein Hund passte nicht in mein Selbstbild, ich fühlte mich einerseits zu jung, andererseits zu alt. Ein Hund, dachte ich, ist etwas für Kinder oder ältere Leute. Als Frau im Ruhestand hat man vielleicht unter der Woche Zeit für lange Spaziergänge oder Lust darauf, für das Tier Bälle zu werfen, aber einer berufstätigen Mutter mit zwei Kindern im Teenageralter, bildete ich mir ein, fehlt dafür der Raum. Mein Mann und ich arbeiten beide als Journalisten und sind oft unterwegs. In unserem geschäftigen Alltag einen Hund unterzubekommen, schien mir unmöglich. Ich sah mich Paletten mit Futterdosen schleppen und Termine beim Tierarzt vereinbaren, sah Schmutz und Verantwortung, spürte Bürde und Last. Ich mochte unser Leben so, wie es war, auch wenn ich oft das Gefühl hatte, ihm hinterherzulaufen. Ständig gab es etwas aufzuholen oder zu erledigen, ich marschierte rast- und ruhelos durch die Zeit.

Keine meiner engen Kolleginnen hatte einen Hund, auch im Freundeskreis und in der Verwandtschaft gab es nur eine verschwindend geringe Zahl von Hundebesitzern. Wie so oft fehlte mir ein Vorbild und schon der Gedanke an ein Tier überforderte mich. Ein Hund erschien mir als reine Belastung, und ich fürchtete das Anarchische, das seine Anwesenheit zweifellos in unser Leben bringen würde. Ich sah nur weitere Pflichten und nicht die Möglichkeit einer Kameradschaft, eine Beziehung mit einem Hund hielt ich für Einbildung und Gefühlsduselei.

Bis zuletzt, dem Tag, als der Hund bei uns einzog, war ich nicht sicher, ob ich ihn haben will. Ich hatte kein Herz für Tiere. Mein Leben lang war ich Hunden aus dem Weg gegangen, sie interessierten mich nicht. Die Kleinen fand ich überflüssig, die Großen bedrohlich. In meiner Kindheit lernte ich nur einen einzigen Hund näher kennen, einen Neufundländer, das Haustier von Freunden meiner Eltern, und mich ekelte sein sabberndes Maul. Manchmal tauchte ein Hund unvermittelt an einem Gartenzaun auf, an dem ich entlanglief, und sein Kläffen erschreckte mich. Für mich waren Haustiere aufdringliche Wesen, mit denen sich ihre Besitzer viel Arbeit aus Gründen machten, die mir ein Rätsel waren.

Deshalb hatte ich jahrelang den Wunsch meiner Kinder nach einem Haustier kategorisch abgewehrt. Solange die Zwillinge klein waren, hielt ich das locker durch, aber dann begeisterten sie sich in den österreichischen Bergen, der Heimat meines Mannes, für die Katzen des Alpengasthofs, in dem wir gelegentlich wohnten. Zu beobachten, wie die Kinder mit beiden Händen die Tiere packten und fest in den Armen hielten, erwärmte sogar das Herz einer Tierskeptikerin wie mich.

Mit zehn wünschte sich mein Sohn so brennend eine Katze zu Weihnachten, dass ich zu googeln begann. Wenn wir uns tatsächlich ein Haustier zulegten, fand ich, dann sollte es außergewöhnlich schön anzuschauen sein. Inspiriert von der cremefarbenen Perserkatze einer Bekannten klickte ich mich durch Dutzende Seiten von Katzen mit einfarbigem, buschigem Fell. Bei der Rasse Maine Coon blieb ich hängen, das sind ungewöhnlich große Katzen mit einem extrem buschigen Schwanz, wegen ihres anhänglichen Wesens und ihrer Größe »Hundekatze« oder »Sanfter Riese« genannt. Ich stieß auf eine Annonce von Berliner Züchtern mit Bildern sehr süßer Katzenbabys, von denen zwei – Cantinera Escada und Chaya Maestia – noch zu haben waren.

Nach der Terminvereinbarung machten mein Mann und ich uns auf den Weg ins Märkische Viertel, einer Hochhaussiedlung für 50000 Menschen am nördlichen Rand der Stadt. Wir fuhren mit dem Aufzug in den sechzehnten Stock, und ich dachte, was für ein merkwürdiger Ort für die Zucht von Katzen. Oben angekommen, öffnete uns ein Mann. Während wir uns begrüßten, fiel mein Blick auf einen überlebensgroßen Kratzbaum. Ganz oben lag majestätisch ausgestreckt eine langhaarige Katze, den buschigen Schwanz parallel zum Körper drapiert. In ihrem goldgelben Fell waren braune Streifen, und sie schaute uns feindselig an. Sie wirkte wie ein gewaltiger Tiger, lauernd, als würde sie im nächsten Moment vom Kratzbaum springen und uns fauchend mit ihren Krallen über das Gesicht fahren. »So groß werden die Katzen?«, fragte ich den Züchter, und als er nickte, machten wir kehrt und fuhren heim. Mein Sohn bekam zu Weihnachten wieder Lego, mit dem Katzenthema waren wir durch.

Ein paar Jahre später wünschten sich die Kinder einen Hund. Wir Eltern wichen aus oder verschoben die Möglichkeit halbherzig in die Zukunft, eine Zeit lang war Ruhe, dann blitzte die Sehnsucht wieder auf und wurde erneut verdrängt. Einmal bewarb sich unsere Tochter für eine Schule, und um sie für die Aufnahmeprüfung zu motivieren, wurde vage ein Haustier in Aussicht gestellt. Die Kinder, jetzt Teenager, fixierten das schriftlich auf einem Zettel, und noch Jahre später, als die Prüfung längst geschafft war, aber noch immer kein Tier im Haus, hing dieser Zettel im Türrahmen zur Küche, eine stumme Mahnung an ein nicht eingelöstes Versprechen, die mir unangenehm war.

Doch als im Herbst 2017 innerhalb weniger Tage beide Großväter starben, fiel die Entscheidung wie von selbst. Ein Hund, so dachten wir, würde der Familie helfen. Allein seine körperliche Anwesenheit gäbe den Kindern, deren fünfzehnten Geburtstag wir gerade gefeiert hatten, Halt, und die Pflege des Tieres würde sie Verantwortung lehren. Beide versprachen, den Hund morgens vor der Schule abwechselnd auszuführen. Was man halt leichthin so sagt, wenn man als Teenager unbedingt einen Hund haben will. Und dem man als Mutter gerne arglos Glauben schenkt. In das Paralleluniversum, das sich auftut, wenn man sich einen Hund zulegt, rutschte ich also als Trittbrettfahrerin hinein: Wir kauften ihn für die Kinder, jedenfalls redete ich mir das ein.

Als ich in den Kauf eines Welpen einwilligte, war ich Mitte fünfzig. Von der Tragweite der Entscheidung ahnte ich nichts, denn eine wie ich konnte nicht wissen, wie überwältigend und frustrierend, erschütternd und bereichernd das Leben mit Hund ist. Es gibt ein Leben vor dem Hund und eines mit, so wie es ein Leben ohne Kinder gibt und eines mit. Der erste Hund ist ein Bruch und eine Zeitenwende, ein Einschnitt von großer Radikalität.

»Als jemand, der zu Hunden auf Distanz geht, verstehe ich nicht, warum du so viel Zuwendung, Interesse, Sorge lieber an ein Tier richtest als an andere Menschen«, schrieb mir unlängst eine Freundin. Erst haben mich ihre Worte gekränkt, doch dann erkannte ich mich darin selbst. Noch vor wenigen Jahren war ich genauso verständnislos. Seit ich denken kann, wollte ich das Leben intellektuell durchdringen und beherrschen, statt es einfach nur zu spüren. Bis mich vor ein paar Jahren an der Atlantikküste – die gewaltige Brandung des Meeres in allen Sinnen – jäh ein Gefühl von Vergänglichkeit durchfuhr. Einen kurzen Moment lang habe ich gespürt, wie begrenzt meine Existenz ist und wie lächerlich klein ich bin in diesem gewaltigen Universum. Seither habe ich den Eindruck, auf dem Rückweg zu sein – zurück ins Nichts oder was auch immer es ist, aus dem ich gekommen bin. Jetzt treibt mich das Gefühl an, schnell noch die ganze Welt erfahren zu wollen, Versäumtes nachzuholen. Die Sehnsucht nach Natur hat mich mit ungeahnter Wucht gepackt.

Doch mit dem Einfluss des Hundes auf meine Gefühlswelt habe ich dennoch nicht gerechnet, er hat mich kalt erwischt. Als wir unseren Hund im Februar 2018 beim Züchter abholten, war er so ziemlich das Letzte, von dem ich glaubte, es könne mir fehlen. Heute sehe ich ihn als Schamanen und Mentor – und von dieser erstaunlichen Entwicklung erzählt dieses Buch.

DIE ENTSCHEIDUNG

Als die Kinder spürten, dass wir es ernst meinten und ein Hund in greifbare Nähe rückte, schickten sie uns Hundevideos und Hundefotos als Ansporn. Auch ein Artikel darüber, dass Hundebesitzer länger leben, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt, wurde in der Familie geteilt. Mein Sohn kämpfte erst für einen Bernhardiner, denn einen davon gibt es in unserer Nachbarschaft: Tiffy ist so groß und stämmig, dass man sich, wenn sie aufrecht steht, an ihr anlehnen kann. Sie bellt höchstens alle paar Monate mal und dann so volltönend, dass man sie erkennt. Mir war ein Bernhardiner entschieden zu groß, also schwenkte mein Sohn auf eine eng verwandte Rasse um, den Berner Sennenhund.

Zum ersten Mal in meinem Leben achtete ich auf die Hunde in meiner Umgebung. Auf einem Waldspaziergang sprach ich eine Frau an, deren großer, wuscheliger Hund mir gefiel – ein Bobtail, wie ich erfuhr. Ich kaufte ein Buch über Hunderassen und verguckte mich in einen ungarischen Puli, das ist ein Hütehund mit bodenlangen Dreadlocks, der wie eine Lappenbürste aus der Autowaschanlage aussieht und zu jener Sorte fotogener Hunde gehört, der man eher auf Instagram als im richtigen Leben begegnet. Noch nahm ich die Sache nicht wirklich ernst. Ich komme da jederzeit wieder raus, redete ich mir ein.

Mit der Zeit wurden unsere Vorstellungen konkreter. Es sollte auf jeden Fall ein richtiger Hund sein, groß und kuschelig, kein Schoßhund und auch keiner dieser praktischen Hybridhunde wie Goldendoodle oder Schnoodle, die als pflegeleicht gelten und gerade in Mode sind.

Eines Nachmittags waren wir alle zusammen im Auto unterwegs und sahen auf dem Bürgersteig eine Frau mit einem Berner Sennenhund an der Leine. Nach Begeisterungsschreien gab es eine Vollbremsung, wir parkten den Wagen kurzerhand am Straßenrand und liefen zum Hund. Das Tier ließ sich mit stoischer Ruhe von vier fremden Menschen begutachten und streicheln, auch seine Besitzerin schien tiefenentspannt und beantwortete geduldig alle Fragen. Nein, die Hündin verlöre nicht zu viele Haare, nur während des Fellwechsels zweimal im Jahr müsse man sie jeden Tag bürsten, sagte die Frau, und größer werde sie auch nicht mehr. Es sei ihr vierter Berner Sennenhund, erzählte sie noch. »Wenn man erst mal einen davon hatte, will man keinen anderen mehr.«

Zurück im Auto waren wir uns einig: Dieser Hund – ein Familienhund wie aus dem Bilderbuch – sollte es sein. Ich hatte gespürt, dass hier eine Art Schicksalsbegegnung stattfand und mir vorsorglich die Telefonnummer der Frau notiert, am nächsten Tag rief ich sie an und fragte, aus welcher Zucht ihr Hund stamme. Durch ihre Empfehlung gelangte ich an einen Züchter in Hamburg, der aber zu diesem Zeitpunkt keinen Wurf in Aussicht hatte, also durchforstete ich Webseiten von Verbänden und Vereinen auf der Suche nach weiteren Züchtern. Jetzt, wo die Entscheidung gefallen war, fieberte ich dem Abenteuer entgegen, und es konnte mir gar nicht schnell genug gehen. Ich schrieb Dutzende E-Mails, aber niemand hatte Welpen abzugeben. Nur in einem Dorf in Sachsen war ein einzelner Welpe übrig geblieben, und als wir ein Foto geschickt bekamen, wussten wir, warum: Die für Berner Sennen charakteristische schwarz-weiß-braune Färbung war in seinem Gesicht verschwommen, sodass ein schwarzer Strich direkt über der Schnauze verlief. Mit diesem Schnurrbart wirkte er wie ein kleiner Diktator, eine unfreiwillig komische Figur. Wir waren kurz versucht, ihn zu nehmen, entschieden uns dann aber dagegen. Wenn schon Hund, dann perfekt, dachte ich, aber vielleicht wollte ich nur Zeit schinden.

Je weiter sich die Suche hinzog, desto besser konnte ich mich an den Gedanken gewöhnen, dass ein Hund bei uns einziehen sollte. Der kleine Diktator aber hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Noch heute fragt mein Sohn gelegentlich, was wohl aus ihm geworden ist. Hätten wir ihn nicht doch aufnehmen sollen?

Und dann, kurz vor Weihnachten, ging plötzlich alles sehr schnell. Jemand empfahl uns eine Zuchtstätte in der Nähe von Stuttgart, wo eine Hündin gerade geworfen hatte. Nach einem langen Telefongespräch – die beiden Züchter wollten wissen, ob wir einen Garten hätten und wie unsere Arbeitszeiten aussähen – wurden wir eingeladen, die kleinen Hunde zwischen den Jahren persönlich kennenzulernen. »Als Termin schlagen wir Ihnen den 27.Dezember 2017 vor, Sie dürfen schon gerne am späten Vormittag oder frühen Nachmittag zu uns kommen. Ein alternativer Termin wäre am 2.Januar. Bitte bringen Sie Hausschuhe mit«, hieß es in einer E-Mail der Züchtergemeinschaft, einem Rentner und einer Frau um die sechzig.

Das konkrete Datum vor Augen, überfiel mich Panik. Die Verantwortung! Der Dreck und all die Scherereien! Plötzlich traute ich mir die Veränderung nicht mehr zu. Schon die Organisation der Reise zum Kennenlernen erschien mir jetzt, unmittelbar vor den Feiertagen, ein unüberwindliches Hindernis zu sein. Wir bliesen die Sache kurzerhand ab. Die Kinder waren enttäuscht, aber erstaunlich gleichgültig. Noch wusste ja keiner, was ihm entging. Vielleicht spürten sie auch instinktiv, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war.

Wiederum ein paar Wochen später, zu Beginn des neuen Jahres, klickte ich aus einem Impuls heraus die Website des Züchters an und stieß dort auf neue Fotos der Welpen. Auf einer Babywaage liegend blickten sie in die Kamera. Die blinden Fellbündel mit rosa Schnauze aus der Anfangszeit hatten sich zu schlappohrigen Charakterköpfen mit großen runden Augen entwickelt. Ich wurde sofort schwach und erfuhr, dass zwei Welpen noch zu haben seien: Lord Brown und Lord Black, so die Arbeitstitel der verbliebenen beiden Rüden aus dem Wurf. Auf einmal schien es mir machbar, und ich gab meinen Widerstand endgültig auf.

Wir sagten verbindlich zu, einen der beiden zu nehmen. Wegen der großen Entfernung wurde auf ein Kennenlerntreffen verzichtet, und wir vereinbarten direkt einen Termin zur Abholung. Ende Februar würde es so weit sein. In meinem Kopf entstand das Bild eines Hundes, der vor der Haustür liegt und in die Sonne blinzelt. Gelegentlich würde ich dem Tier durchs Fell wuscheln und ihm Futter hinstellen. Ein Idyll.

Anhand der Fotos durften wir uns einen der beiden Hunde aussuchen und entschieden uns für Lord Black. Auf das Geschlecht unseres künftigen Hundes hatten wir keinen Einfluss mehr, aber die Männer in der Familie wünschten sich ohnehin einen Rüden. Uns Frauen war es gleichgültig. In meiner grenzenlosen Ignoranz hatte ich mich nicht damit beschäftigt, wie sich Rüden und Hündinnen in ihrem Verhalten unterscheiden. Kann nicht so schlimm sein, sind beides halt Hunde, dachte ich.

In den sechs Wochen zwischen Entscheidung und Abholung gab es eine Menge zu tun. Wie vor der Geburt meiner Kinder baute ich ein Nest und stellte mich auf eine Zeit ein, in der man das Haus kaum verlässt. Ich füllte die Speisekammer auf und ging zum Frisör, sagte Termine ab, die in die erste Zeit mit Hund fielen. Zum Schutz vor seinen Krallen deckten wir den Parkettboden einiger Wohnräume mit robusten Sisalteppichen ab. In einer Hundeboutique kaufte ich ein Halsband und eine Leine, beides in Rot. Auch eine Hundematte aus Mikrofasern wurde angeschafft, eine extrasaugfähige Matte, die Zeit und Nerven sparen würde, wie es in der Produktbeschreibung hieß. Und ein Stofftier für den Welpen, es war als Spielzeug und Willkommensgeste gedacht.

Schließlich besorgte ich noch eine Hundebox für den Transport des Tieres im Auto, das hatten uns die Züchter geraten. Erst im dritten Anlauf gelang es mir, die Box in der richtigen Größe zu bestellen: Erst war sie zu klein, dann zu groß. Als sie schließlich aufgebaut vor mir stand – so groß wie ein Umzugskarton und mit einem weichen Fell ausgelegt – kroch ich hinein, um zu erkunden, wie man sich darin fühlt. In diesem Moment ahnte ich nicht, dass ich die Einzige bleiben würde, die das tat. Der Hund würde die Box komplett ablehnen, und das war die allererste Fehleinschätzung in meiner Beziehung zu ihm.

Noch bevor der Hund bei uns einzog, erkundigte ich mich nach Hilfe beim Ausführen und ließ mir Welpenschulen empfehlen. Ein paar Adressen in der Hinterhand zu haben, gab mir Sicherheit, so wie damals bei den Kindern, als ich die Telefonnummern möglicher Babysitter hortete.

In der Nacht vor der Abholung schlief ich unruhig. Was für ein Wagnis, dachte ich. Sollte wirklich ein Hund bei uns einziehen?

Um die lange Reise innerhalb eines Tages bewältigen zu können, hatten wir für den Hinweg einen Flug gebucht. Zurück würden wir einen Leihwagen nehmen. Die Hundebox ließ sich zusammenfalten und in einer Schutzhülle mit Griffen wie ein Aktenkoffer tragen. Als ich derart ausgerüstet das Flugzeug betrat, fühlte ich mich wie ein Geschäftsreisender auf dem Weg zu einer Aufsichtsratssitzung. Während des Fluges blätterte ich zum ersten Mal in einem Ratgeber über Welpenerziehung. Wie allen neuen Themen wollte ich mich auch dem Hund über Bücher nähern, aber in diesem Fall funktionierte es nicht, denn ich konnte den Texten schwer folgen, fand den 8-Wochen-Intensivtrainingsplan darin schablonenhaft und überladen. Ich beschloss, mich anstelle der Theorie erst mal der Praxis auszusetzen, und verstaute das Buch in meiner Handtasche.

DIE PROTAGONISTEN

Es ist Sommer 2021 und ich habe gerade mit der Arbeit an diesem Buch begonnen, und obwohl ich über meinen Hund schreibe, gehe ich ihm eine Zeit lang aus dem Weg. Zu Hause im Südwesten Berlins, einem Viertel mit vielen Bäumen und Seen, habe ich zwar Ruhe zum Schreiben, aber mir fehlt die nötige Konzentration. Es ist der Sommer nach dem ersten Corona-Lockdown, die Zeit der neuen Anfänge – aber mir will kein Anfang gelingen, ich finde in die Arbeit nicht hinein. Wir Eltern haben monatelang im Homeoffice gearbeitet, die Kinder Abitur gemacht. Wir sind nicht gereist in dieser Zeit und haben das Viertel kaum verlassen, es war eine herausfordernd reduzierte Zeit.

Vielleicht stört die Nähe zum Protagonisten, überlege ich. Über den Hund, jetzt fast vier Jahre alt, zu schreiben und ihn gleichzeitig ununterbrochen zu sehen, erschwert den Prozess. Ich brauche Distanz, denke ich an einem schwülheißen Julitag und buche ein Hotelzimmer im Osten der Stadt.

Das Hotel liegt im Bezirk Friedrichshain, einem als Studenten- und Partykiez bekannten Stadtteil mitten in Berlin. Man kann hier billig wohnen, denn viele Häuser wurden seit der Wiedervereinigung noch nicht saniert. Die Dichte an Vintage-Läden, Bars und sogenannten Spätverkaufsstellen – kleine Läden, in denen Grundnahrungsmittel verkauft werden und die jeden Tag bis in die Nacht hinein geöffnet haben – ist in Friedrichshain größer als sonst wo in der Stadt. Auch die Zahl der Hostels ist überdurchschnittlich hoch, sie sind Anlaufpunkte für Klassenfahrten aus deutschen Kleinstädten und internationalen Großstädten, auch für Leute, die ein paar Nächte durchtanzen wollen, denn in Friedrichshain befinden sich das weltberühmte Berghain und jede Menge anderer Techno-Clubs. Diese Gegend könnte keinen größeren Kontrast zu meinem geruhsamen Wohnviertel bilden, das 25Kilometer entfernt am Stadtrand liegt und vor allem Familien anzieht.

Gegenüber des Hotels sitzen Leute auf einer Eisenbahnbrücke und machen Selfies mit Bierflaschen in der Hand. Die Kellner im Hotelrestaurant sprechen Englisch und präsentieren anstelle einer Speisekarte die frischen Zutaten des Einheitsmenus auf einem Tablett am Tisch. Mein Zimmer hat ein Hochbett und wirkt in seiner holzigen Kompaktheit wie eine Studentenbude. In der Pandemie würden viele Hotelzimmer monatsweise als Homeoffice an Berufstätige vermietet, sagt der Manager, als ich einchecke. Es gefällt mir, dass ich nicht die Einzige bin, die der Behaglichkeit ihres Zuhauses zum Arbeiten entflieht.

Dreißig Jahre früher, im Frühjahr 1991, habe ich schon einmal in diesem Viertel einen Koffer ausgepackt. Da war ich siebenundzwanzig und fing bei der Berliner Zeitung als Reporterin an, es war mein erster richtiger Job. Das Blatt aus dem Osten war gerade privatisiert und von einem großen westdeutschen Verlag gekauft worden, nun sollte es für den Wettbewerb in der Marktwirtschaft gerüstet werden. Ich kam in gestreifter Bluse und Lackschuhen direkt vom Studium aus München und wurde am ersten Arbeitstag im rauchverhangenen Konferenzzimmer von den älteren Kollegen skeptisch gemustert. Erst eine Handvoll Westdeutsche arbeitete bei der Berliner Zeitung, und für mich begann eine prägende Zeit. Ich wohnte zur Untermiete in einer unrenovierten Altbauwohnung. Im Viertel waren die Nächte dunkel, denn noch leuchtete keine Reklame den Osten aus. Die Gebrauchtwagenmärkte und Videotheken kamen später, auch die Versicherungsmakler und Shoppingmalls, die Restaurants und Kinos.

Ein paar Stunden nachdem ich eingecheckt habe, kommt mein Mann mit dem Hund zum Abendessen vorbei. Ich erwarte die beiden auf dem Bürgersteig vor dem Eingang und erkenne Mann und Hund schon von Weitem, sie sind jetzt noch zwanzig, dreißig Meter vom Hotel entfernt. Eng an der Leine geführt, trottet der Hund den Bürgersteig entlang, ein langhaariges vierbeiniges Wesen von der Größe eines Ponys im Gedränge hochsommerlich gekleideter Menschen, die zur nahen U-Bahn-Station hasten. Jemand rast auf einem Elektroroller dicht an ihm vorbei, eine Gruppe junger Mädchen macht Fotos. Ein Wilder in der Zivilisation, denke ich, ein Pelztier umgeben von nackter Haut, ein Fremder in dieser Welt.

Der Hund taumelt durch das Gewirr von Gerüchen, die er vom Stadtrand nicht kennt. Blumenkübel und Häuserwände, gesättigt von Substanzen seiner Artgenossen, erzählen ihm verwegene Geschichten. Dann erkennt er mich und stemmt sein Gewicht von fast fünfzig Kilo in die Leine. Ich laufe auf ihn zu, und er springt an mir hoch, sein Maul umfängt meinen Unterarm, ohne mit einem der scharfen Zähne meine Haut zu berühren, ich löse mich aus dieser Umarmung und gehe vor ihm in die Knie. Wie viel wärmer und vitaler er ist als in meiner Vorstellung am Schreibtisch, wie viel lustiger in der Realität.

Wir sind noch keinen Tag getrennt, aber er begrüßt mich so stürmisch, als hätten wir uns Wochen und Monate nicht gesehen. Seine Bindung an mich ist innig, denn auf der nächtlichen Fahrt vom Züchter nach Hause war etwas Wegweisendes geschehen.

DIE ABHOLUNG

Das Haus der Züchter liegt direkt an einem Feld, nichts deutet darauf hin, dass in dieser ruhigen Wohngegend im Landkreis Heilbronn ein Welpenrudel samt Angehöriger lebt. Doch als wir uns dem Eingang näherten, empfing uns lautes Gebell. Fünf riesige schwarze Tiere sprangen in der Garageneinfahrt an einem Gitter empor und kratzten mit ihren Krallen am Metall. Fünf Ungetüme mit spitzen Zähnen im offenen Maul.

Ob eine dieser Bestien unser Hund sei, fragte ich mich in meiner Aufregung. Einen Moment später, als man uns im Haus zum Welpenzimmer führte, begriff ich, wie abwegig dieser Gedanke war: Ein kleines wildes Haarbüschel auf vier erstaunlich großen Pfoten verschwand zitternd hinter einer Hütte, als ich mich näherte. Kulleräugig wie Lady Di schaute dieses verängstigte schwarz-weiße Wesen zu mir hoch. In diesem Moment löste sich etwas in mir. Das Unerwartete begann.

Zwei erwachsene Töchter aus der ersten Ehe meines Mannes waren mit uns zur Zuchtstätte gekommen, damals 25-jährige Zwillinge, eine von ihnen ist leidenschaftliche Reiterin. Ich stand noch unschlüssig in der Diele und überlegte, wie ich auf das Tier wohl am besten zugehen könnte, als die beiden längst schon, noch in ihren Winterjacken, im Welpenzimmer saßen. Ich schaute, sie handelten. Als ich über das Gitter im Türrahmen zu ihnen ins Zimmer stieg, hatten sie den Hund geschickt aus seinem Versteck hinter der Hütte gelockt.

Der Fußboden des komplett leer geräumten Zimmers – lediglich ein paar Bilder und ein kahler Setzkasten hingen noch an den Wänden – war mit Bettlaken und Handtüchern ausgeschlagen, darauf Näpfe mit Wasser und Trockenfutter sowie ein paar schwere Wackersteine, damit die Tücher nicht verrutschten. Der kleine Hund war aus dem Wurf übrig geblieben, der Letzte von insgesamt acht. Seine ernste Miene überraschte mich. Kaum größer als ein Stofftier, wirkte er seltsam weise und reif. Sein Körper war ständig in Bewegung, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.

Ich dachte darüber nach, was ihn so anziehend machte, die Mädchen herzten ihn unbefangen. Am Türrahmen lehnte der Züchter und kommentierte das Geschehen. Der »Bub«, wie er den Hund nannte, sei ein echter Schmusebär. »Der genießt es maßlos, gestreichelt zu werden.« Endlich griff ich nach dem Fellbündel und zog es auf meinen Schoß. Ich spürte seine Wärme und sein pochendes Herz, kraulte sein babyweiches Fell. Einen Moment lang hielt er still und kringelte sich ein, dann huschte er davon.

Eine ganze Weile saßen wir in unseren Jacken auf dem Boden und kraulten abwechselnd den Hund. Er ließ es sich gefallen und tapste zwischen uns hin und her, trank gelegentlich Wasser und pinkelte, leckte sich mit seiner großen rosafarbenen Zunge das Maul.

Dann erledigten mein Mann und ich nebenan im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen den geschäftlichen Teil. Ein Ordner war für uns vorbereitet worden, darin ordentlich in Klarsichtfolien abgeheftet Kaufvertrag und Stammbaum, zudem eine Fülle von Informationen über die aus Sicht der Züchter bestmögliche Pflege des Tiers. Auch ein sogenannter Heimtierausweis wurde uns überreicht, ein kleines Heft im sympathisch leuchtenden Blau der Europaflagge, das ich künftig in der Schublade mit unseren Reisepässen aufbewahren würde.

Im Heimtierausweis werden alle Impfungen vermerkt, auch der 15-stellige Zahlencode eines Mikrochips ist dort eingetragen, der dem Welpen ein paar Wochen nach der Geburt vom Tierarzt im Nacken unter die Haut implantiert worden ist. Der Chip hat etwa die Größe eines Reiskorns und lässt sich mit einem Scanner lesen, sodass man Hund und Impfausweis fälschungssicher einander zuordnen kann. Die Identifikationsnummern sind eine Art Personalausweis für Tiere, früher hat man sie in die Ohren tätowiert. In Berlin und einigen anderen Bundesländern sind Mikrochips Pflicht. Zudem kann jeder Hundehalter die Identifikationsnummer freiwillig bei einer Datenbank namens Tasso einspeisen. Der Verein Tasso führt ein europaweites Tierregister, das es erleichtert, sein Haustier zu identifizieren, wenn es entlaufen oder gestohlen worden ist.

Im Wohnzimmer der Züchter erreichten mich all diese Informationen nicht, es war viel zu viel auf einmal und in Gedanken war ich bei dem kleinen, weichen Hund nebenan. Zudem lenkte mich eine Hündin aus dem Rudel ab, die vor dem Esstisch lag – ein elegantes, raumgreifendes Tier. Es war die Mutter unseres Welpen, sie heißt Coco Chanel. Ich dachte: So groß werden die?