Den Rücken selbst heilen - Dr. med. Martin Marianowicz - E-Book

Den Rücken selbst heilen E-Book

Dr. med. Martin Marianowicz

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Beschreibung

60 bis 80 Prozent aller Rückenschmerzen sind unspezifisch. Das Krankheitsbild zeigt keine Veränderungen am Skelett und passt einfach nicht in die Schubladen des herkömmlichen schulmedizinischen Ansatzes, der die körperliche Struktur, nicht aber den gesamten Menschen in den Vordergrund stellt. Das Credo des international anerkannten Rückenexperten Dr. Martin Marianowicz lautet deshalb: Am Rücken hat alles recht, was hilft. Eine erfolgreiche Rückentherapie betrachtet alle Einflussfaktoren, die Schmerzen verursachen können. Sein fundiertes 3-Stufen-Programm erklärt anhand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Neurologie, Physiotherapie oder der Schmerzforschung die psychischen und physischen Einflussfaktoren und zeigt, welche Rolle das Schmerzge-dächtnis dabei spielt. Alltagstaugliche Übungen helfen, Schmerzen vorzubeugen, sie akut zu lindern und den Rücken langfristig beweglich und stark zu machen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 280

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DR. MARTIN MARIANOWICZ

ist Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie und Sportmedizin. Mit seiner über 30-jährigen, internationalen Berufserfahrung gilt er als einer der renommiertesten Wirbelsäulenspezialisten Europas und ist Wegbereiter der orthopädischen Schmerztherapie sowie minimalinvasiver Wirbelsäulen- und Bandscheibenbehandlungen. Seit 1995 ist Dr. Martin Marianowicz außerdem ärztlicher Direktor der Privatklinik Jägerwinkel in Bad Wiessee am Tegernsee. Die Überzeugung, stets die sanfteste Behandlungsmethode anzuwenden, bringt er auch in seine Tätigkeit als Präsident der Sektion Zentral- und Osteuropa des World Institute of Pain ein. Als Präsident des Peres Center for Peace in Tel Aviv engagiert er sich für Aufbau und Unterstützung eines palästinensischen Gesundheitssystems. Bekannt ist Dr. Martin Marianowicz auch als Buchautor – zuletzt präsentierte er 2012 den Titel »Die Marianowicz-Methode. Mein Programm für einen schmerzfreien Rücken«.

ENDLICH SCHMERZFREI LEBEN

Wie dieses Therapieprogramm Ihren Rücken unterstützt:

Maximale Heilwirkung bei minimalem Eingriff – Sie lernen, schmerzauslösende und -fördernde Mechanismen abzustellen und die Selbstheilungskräfte Ihres Körpers zu aktivieren.

Mit Hilfe des multimodalen Ansatzes, bei dem mehrere medizinische und therapeutische Fachbereiche zusammenwirken, können Sie Ihre Beschwerden ganzheitlich betrachten und wirksam lindern.

Gezielte positive Aktivitäten bringen berechtigte Hoffnung auf Besserung und Genesung – selbst nach jahrelangen, als chronisch bezeichneten Schmerzverläufen.

Ausführliche und leicht umsetzbare Selbsthilfe-Maßnahmen, spezielle Bewegungs-, Mental- und Entspannungsübungen sowie Expertentipps verhelfen Ihnen zu einem rückengesunden Alltag.

»Wissen führt zu Erkenntnis. Erkenntnis führt zu Aktivität. Aktivität führt zu Heilung.«

DAS MULTIMODALE RÜCKENPROGRAMM IN DREI SCHRITTEN

Multimodal heißt: In eine erfolgreiche Rückenbehandlung werden alle Perspektiven, therapeutischen Ansätze und Experten einbezogen, die dazu beitragen, dass Ihre Schmerzen nachlassen und es Ihnen endlich wieder besser geht. Ganzheitlichkeit ist dabei das entscheidende Stichwort.

Startpunkt

Ihr Rücken braucht Sie. Welche Ärzte und Therapeuten auch immer Sie unterstützen, Sie selbst sind der aktive, eigenverantwortliche Mittelpunkt der Rückentherapie.

Machen Sie einen »Rückenvertrag« und verpflichten Sie sich, alles Notwendige zu unternehmen, um Ihre Lebensqualität zu verbessern und wieder gesund zu werden.

Legen Sie realistische und umsetzbare Ziele fest und gehen Sie den Weg zur Schmerzfreiheit Schritt für Schritt.

Suchen Sie sich einen Arzt oder Therapeuten Ihres Vertrauens, der Sie auf diesem Weg unterstützt und das multimodale Rückenprogramm mit Ihnen gemeinsam koordiniert.

Schritt 1

Den akuten Schmerz bekämpfen

Folgende drei Bereiche finden Anwendung, wenn Sie unter mehr oder weniger starken Schmerzen leiden:

Der Entzündungsherd muss bekämpft werden. Je früher, umso besser, damit sich nicht erst ein Schmerzgedächtnis ausbildet oder verfestigt. Sie erfahren, was Sie selbst tun können und welche Möglichkeiten Ihr Arzt hat.

Mit Entspannungstechniken lernen Sie, Ihre Schmerzwahrnehmung positiv zu beeinflussen und das Spannungslevel im Körper zu senken.

Ein Mobilisationsprogramm entspannt die Rückenmuskulatur und macht sie wieder beweglich.

Schritt 2

Den Schmerz ganzheitlich bewältigen

Sind die akuten Schmerzen gelindert oder verschwunden, geht es darum, die Ursachen für die Beschwerden zu finden und zu beseitigen.

Mit gezielten Fragen decken Sie rückenfeindliche Verhaltensweisen, Lebensumstände oder Denkmuster auf und gehen den Ursachen für Ihre Beschwerden auf den Grund.

Mit positiven Aktivitäten und Genuss gelingt es, ein schmerzförderndes Schonverhalten aufzugeben.

Schritt 3

Den Schmerz dauerhaft abstellen

Eine rückengesunde Lebensweise und Einstellung hilft Ihnen, den Schmerz dauerhaft hinter sich zu lassen.

Ein Übungsprogramm – regelmäßig ausgeführt – macht Ihren Rücken stark, flexibel und hält ihn in Form.

Über ausgewählte Fragen finden Sie heraus, wie Sie Ihre individuellen Schmerzursachen abstellen und zu einer rückenfreundlichen Einstellung finden.

Mit zahlreichen Expertentipps zu einer gesunden Lebensweise halten Sie Ihren Rücken gesund und vital.

DIE TOP 10 IHRER RÜCKENGESUNDHEIT

Schmerzen sind immer ein Signal, dass etwas nicht in Ordnung ist, das gilt auch für Rückenschmerzen. Da die Ursachen vielfältig sind, geht es nicht ohne Ihre aktive Mithilfe. Wenn Sie diese 10 Punkte beachten, schaffen Sie die Grundlage für ein rückengesundes Leben:

Übernehmen Sie die Verantwortung: Es ist Ihr Körper, Ihr Rücken, Ihre Gesundheit. Werden Sie also zum Rückenprofi in eigener Sache.

Geben Sie Ihr Schonverhalten auf und werden Sie aktiv: Kommen Sie in Bewegung, spazieren Sie, walken Sie, nehmen Sie am Leben teil und tun Sie, was Ihnen Freude macht.

Bewegen Sie sich gezielt: Stärken Sie Ihren Rücken zunächst mit einem Mobilisations- (ab >) und später mit einem Bewegungsprogramm (ab >).

Lindern Sie Ihre Schmerzen mit Entspannung: Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Meditation – Sie haben viele Möglichkeiten, die körperliche und mentale Spannung zu lösen (ab >).

Decken Sie stress- und schmerzerzeugende Lebensumstände auf: Versteckten Ursachen für Ihre Beschwerden kommen Sie mit einer gezielten Selbstbefragung auf die Spur (ab > und >).

Verändern Sie Ihre Schmerzwahrnehmung durch Genuss: Klingt zunächst abwegig, ist aber erwiesen – bewusst erlebte Freuden programmieren das Schmerzgedächtnis um. Legen Sie also regelmäßig Genusszeiten ein!

Gestalten Sie Ihren Arbeitsalltag rückenfreundlich: Sorgen Sie für Abwechslung, indem Sie nie zu lange in einer Position oder Bewegung verharren. Ab > finden Sie ein Alltags-Workout.

Ernähren Sie sich knochenfreundlich und rückengesund: Vitamine und Mineralien aus frischen Lebensmitteln stärken Knochen und Muskulatur und unterstützen die Selbstheilungskräfte Ihres Körpers (ab >).

Suchen Sie sich Verbündete: Machen Sie aus Freunden, der Familie und Ihren behandelnden Therapeuten Ihr persönliches Rücken-Power-Team.

Motivieren Sie sich positiv: Halten Sie alle Erfolgserlebnisse in einem Rückentagebuch fest. Die eigenen Fortschritte nachzulesen gibt Ihnen frischen Schwung und stärkt das Vertrauen in Ihren Rücken.

»Heilung bedeutet auch Selbsthilfe: Machen Sie sich zum Chef Ihres Rückens!«

FREUNDEN SIE SICH MIT DEN SCHMERZEN AN

Die gute Nachricht zuerst: »Rücken« ist eine gesunde Krankheit. Haben Sie dort Beschwerden, ist das weder lebensbedrohlich, noch verkürzt es Ihre Lebenserwartung. Selbst wenn Sie schon seit Langem von Schmerzen geplagt werden, gibt es keinen Grund zu verzweifeln. Sie gehören zu den privilegierten Kranken, denn Sie müssen sich »nur« um Ihren Rücken kümmern. Die nicht so Privilegierten sitzen beispielsweise beim Onkologen oder beim Kardiologen.

Es gibt allerdings auch eine schlechte Nachricht – und die wird Ihnen nicht neu sein: Rückenschmerzen mögen einen zwar nicht umbringen, sie können aber die Lebensqualität dramatisch einschränken. Deshalb ist der Rücken eine lebenslange Aufgabe, wenn man ihn »hat«. Sollten Sie also mit dem Kauf dieses Buches gehofft haben, auf eine noch nicht bekannte organische Ursache für Ihren Schmerz und die dazugehörige allheilende Therapiemethode zu stoßen, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Das finden Sie auf den folgenden Seiten nicht. Es gibt kein Zaubermittel, das Ihre Rückenprobleme mit einem Schnipp beseitigt. Wer seine Rückenschmerzen dauerhaft in den Griff bekommen will, muss sich mit seiner Krankheit und den vielfältigen Ursachen anfreunden, um sie zu beheben.

Neue, wirklich heilsame Konzepte

Nach 28 Berufsjahren als Orthopäde und der Behandlung von mehr als 20?000 Patienten sehe ich die Entstehung des Schmerzleidens »Rücken« sowie dessen Heilung ganz anders, als es die gängigen Therapiekonzepte propagieren. Für die meisten Ärzte ist der Rücken ein anatomisches Werkstück, das man mit Fräsen und Schrauben bearbeitet, verändert und verbessert, um den Schmerzen beizukommen. Allerdings wird dieser mechanistische Ansatz nur einem Bruchteil der Rückenkranken gerecht. Der Großteil wird in ein überholtes Therapiekonzept hineingepresst, mit dem »Erfolg«, dass etwa 50 Prozent der Deutschen unter Rückenschmerzen leiden, obwohl jährlich über 45 Milliarden Euro für Maßnahmen ausgegeben werden. 80 Prozent der Summe entfallen dabei auf die 10 Prozent der angeblich chronisch Kranken.

Dabei gibt es jenseits der Anatomie viele unterschiedliche Ursachen für Schmerzen, die sich nicht operativ beseitigen lassen. Unsere Lebensweise ist im wahrsten Sinne des Wortes rückenzerstörend geworden, wie eine erschreckende Bilanz zeigt: Wirbelsäulenbeschwerden sind die häufigste Ursache für eine vorzeitige Berentung und Frühinvalidität. Wenn man bei einer Behandlung die Befindlichkeit, die Einstellung eines Patienten sowie die Lebensumstände nicht mit berücksichtigt, geht die Therapie am Menschen vorbei.

Die allgemeine Lehrmeinung deckt sich mit meiner Praxiserfahrung: 90 Prozent aller Beschwerden heilen innerhalb eines halben Jahres spontan oder mithilfe einer konservativen Therapie wieder ab. Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich im Laufe der Jahre zusammen mit meinem Team aus Ärzten und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen ein multimodales Rückenprogramm entwickelt, das den vielfältigen und fließenden Ursachen von Rückenbeschwerden Rechnung trägt. Denn die Mechanik ist wie gesagt nur ein möglicher Auslöser, nur eine mögliche Ursache.

Multimodaler Ansatz

Ein Blick ins Internet genügt, um festzustellen: Die neuesten Forschungserkenntnisse zum Thema Rückenschmerzen sind da und verfügbar. Aber noch ist dieses Wissen um die multimodale Behandlung weder in der breiten Öffentlichkeit noch bei allen Betroffenen und behandelnden Ärzten angekommen. Und nach wie vor gibt es zu wenige Möglichkeiten, dieses Wissen als Betroffener in die Praxis umzusetzen. Eine ambulante oder stationäre multimodale Therapie ist noch nicht ausreichend verbreitet als therapeutische Maßnahme bei chronischen Rückenschmerzen. Im Zeitalter von Computern und Mikrochips wird immer noch versucht, Rückenprobleme mit Hammer und Schraubenzieher zu lösen, die Therapie ist tatsächlich noch aufgebaut wie vor hundert Jahren.

Nach wie vor suchen viele die Ursache von Rückenschmerzen ausschließlich in degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule. Unser Gesundheitssystem fördert dieses längst überholte Wissen und erkennt die zeitgemäßen Therapiemethoden nicht an. Da sich das Gesundheitssystem nicht von heute auf morgen ändern lässt, müssen Sie dafür sorgen, die richtige beziehungsweise die notwendige Therapie zu bekommen. Wenn sich viele Betroffene den kontraproduktiven und schädlichen Therapiemaßnahmen entziehen, wird sich mittelfristig auch am System etwas ändern.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich selbst chronische Beschwerden mithilfe einer gezielten modernen Schmerztherapie innerhalb von sechs Wochen bessern. Dann sind Sie zwar schmerzfrei oder haben zumindest weniger Schmerzen, aber die Ursache Ihres Leidens ist damit noch nicht behoben. Ihr Arzt hat mithilfe der richtigen Medikamente den Entzündungsherd ausgelöscht und Sie schmerzärmer gemacht. Aber Sie müssen dafür sorgen, schmerzfrei zu bleiben. Sie sind dafür verantwortlich, wieder zu lernen, sich selbst zu stärken und mit Ihrem Körper und Ihrem Leben rückenfreundlich umzugehen. Ihr Rücken braucht Ihre Unterstützung! Verbünden Sie sich mit ihm. Werden Sie aktiv. Dieses Buch zeigt Ihnen den Weg.

Ihr

DEN RÜCKEN VERSTEHEN

Sie leiden akut, schubweise oder ständig unter Rückenschmerzen? Sie glauben, keiner könne Ihnen helfen? Dann ist es höchste Zeit, die vielfältigen Ursachen Ihrer Beschwerden zu erkennen und zu beseitigen.

DER RÜCKEN UND SEINE SELBSTHEILUNGSKOMPETENZ

Ihr Rücken ist ein sich immer wieder selbst erneuerndes System, das Unterstützung braucht. Grundlegendes, modernes Wissen über die Schmerzentstehung ist der Anfang.

Die neuesten Erkenntnisse der Schmerzforschung machen deutlich, dass ein Umdenken stattfinden muss: Schmerz wird nicht nur im Kopf wahrgenommen, er kann auch dort entstehen. Rückenleiden lassen sich deshalb in den allermeisten Fällen nicht mit einer Operation oder durch ein verheißungsvolles trendiges Rückenschulprogramm abstellen, sondern vielmehr durch ein dynamisches und vielfältiges Therapiemodell, in dem Sie als Betroffener der Hauptakteur sind, der allein und zusätzlich mithilfe von Experten herausfindet, welche Einflüsse in welchem Umfang für Ihre Rückenschmerzen verantwortlich sind.

Damit Sie die Selbstheilungskräfte aktivieren können, möchten meine Kollegen und ich Sie im Verlauf dieses Buches zum Rückenprofi machen. Unser Ziel ist, dass Sie maximale Selbstheilungsbereitschaft entwickeln, weil Sie die Angst vor den Rückenschmerzen verlieren, dass Sie Schritt für Schritt die Ursachen Ihrer Beschwerden erkennen und beheben – und dabei weder unter- noch übertherapiert werden.

EIN WUNDERWERK DER EVOLUTION

Lassen Sie mich zunächst einmal eine Lanze für Ihren Rücken brechen. Denn er ist nicht, wie man noch manchmal liest oder hört, eine evolutionäre Fehlkonstruktion, da der Mensch nicht für den aufrechten Gang geboren sei. Ganz im Gegenteil! Im Rücken verbirgt sich die Wirbelsäule, und die ist ein wahres Wunderwerk der Evolution.

Stabil und zugleich flexibel

Diese zentrale Achse Ihres Skeletts trägt den Kopf und macht Ihren Körper in alle Richtungen flexibel. Ein ausgeklügeltes System aus Wirbelkörpern und -gelenken, kleinen Muskeln, Bändern und Bandscheiben ermöglicht Stabilität und Mobilität gleichermaßen. Die Muskeln und Bänder, die an der Wirbelsäule festgemacht sind, koordinieren die Bewegung der Wirbel, stützen den gesamten Rücken und machen ihn stark. Wir können sitzen, liegen und stehen, aber auch gehen, laufen, springen und klettern. Ob kleine und feine oder ruckartige Bewegungen, schweres Tragen und Heben oder sportliche Höchstleistungen – der Rücken ist sehr flexibel, hält viel aus und ermöglicht höchste Belastbarkeit.

Ein ausgeklügeltes System

Schauen wir uns die Wirbelsäule von hinten an, sehen wir eine gerade Linie, betrachten wir sie von der Seite, zeigt sich eine zweifach gekrümmte S-Form. Ohne diese abfedernde Krümmung wäre unser Gehirn bei jedem Schritt einer Erschütterung ausgesetzt. Je nach Zählart umfasst die Wirbelsäule 33 Wirbel unterschiedlicher Größe, die aus einem halbrunden Wirbelkörper, zwei Querfortsätzen und einem mittigen Dornfortsatz bestehen. Die Wirbel sind über Facettengelenke flexibel miteinander verbunden. Die Wirbelsäule ist in fünf Bereiche eingeteilt, drei, Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, sind sehr beweglich, und zwei, Steiß- und Kreuzbein, stark verknöchert und ziemlich starr (siehe >).

In der Mitte jedes Wirbels befindet sich ein Loch, das Rückenmarks- oder auch Spinalkanal genannt wird und in dem das etwa 45 Zentimeter lange Rückenmark mit seinen Nervenbahnen eingebettet ist. Zusammen mit dem Gehirn bildet es das zentrale Nervensystem, das unseren Körper steuert, indem über die Nervenbahnen Impulse beziehungsweise Nachrichten in den Körper ausgesendet, aber auch empfangen und weitergeleitet werden.

Der Rücken verzeiht viel und schützt sich selbst vor Verschleiß bis ins hohe Alter, wenn man ihn lässt und gut zu ihm ist.

Die Bandscheiben

Zwischen den Wirbelkörpern liegen als Puffer die Bandscheiben, die sich aus einem sehr festen und zugleich elastischen Faserring und einem weichen Gallertkern zusammensetzen, der je nach Alter und Gesundheitszustand aus bis zu 90 Prozent Wasser besteht. Er hält die Wirbelkörper auseinander, denn seine Fasern sind in der Lage, das bis zu Tausendfache ihrer Masse an Feuchtigkeit zu speichern – wie ein prall gefüllter Schwamm. Wenn wir uns vor-, zurück- oder zur Seite beugen, bewegt sich der Gallertkern in die andere Richtung.

Da sich in den Bandscheiben keine Blutgefäße befinden, brauchen sie Bewegung. Durch Belastung leeren sie sich im Lauf des Tages teilweise und der Kern schrumpft etwas zusammen. Das ist der Grund, warum wir abends bis zu zwei Zentimeter kleiner sein können als morgens. Während wir schlafen, saugen sich die Bandscheiben wieder mit Nährflüssigkeit aus dem Wirbelkörper voll, um ihrer Stoßdämpferfunktion erneut nachkommen zu können. Diese natürliche Regenerationsfähigkeit sowie der Wassergehalt in den Bandscheiben nehmen mit fortschreitendem Alter, aber auch durch Bewegungsmangel ab.

DIE WIRBELSÄULE

1. Sieben Halswirbel C1 bis C7 (Cervix, lateinisch: Hals, Nacken) tragen den Kopf.

2. Zwölf Brustwirbel Th1 bis Th12 (Thorax, lateinisch: Brustkorb) bilden zusammen mit den Rippen den Brustkorb.

3. Die fünf Lendenwirbel L1 bis L5 verbinden den Oberkörper mit dem Kreuzbein und dem Becken.

4. Die fünf Wirbel des Kreuzbeins S1 bis S5 (Sacrum, lateinisch: Kreuzbein), die miteinander verschmolzen sind, stellen den Übergang zum Darmbein dar.

5. Vier beziehungsweise fünf Wirbel des Steißbeins Co1 bis Co4/Co5 (Oy Coccygis, lateinisch: Steißbein) sind verwachsen und haben keine Funktion mehr.

Die Bändersysteme

Eine wichtige Funktion im System Wirbelsäule fällt den Bändern zu. Es gibt sechs Bändersysteme, die sich über die gesamte Länge der Wirbelsäule erstrecken und Stabilität sowie Beweglichkeit gewährleisten. Die Bänder wiederum werden in ihrer Arbeit von den Rücken- und Bauchmuskeln unterstützt. Besonderes Augenmerk verdient die tief sitzende, kleine autochthone Rückenmuskulatur. Sie verläuft auf beiden Seiten der Wirbelsäule vom Becken über den Brustkorb bis zum Kopf und macht den aufrechten Gang und starke Belastungen möglich. Die Bauchmuskeln sind wichtig, weil sie ein Gegengewicht zum Rücken schaffen. Im untrainierten Zustand können sie ihrer Funktion nicht nachkommen. Dann neigt das Becken dazu, nach vorn zu kippen, die tiefe Rückenmuskulatur verkürzt sich und die Lendenwirbelsäule krümmt sich zu einem Hohlkreuz.

HEILUNG HEISST ANPASSUNG

Das geniale System der Wirbelsäule ist sehr anpassungsfähig und kann degenerative Veränderungen bis ins hohe Alter erstaunlich gut kompensieren, wie eine Studie der Universitäten Freiburg und Tübingen mit 1244 Bandscheibenvorfall-Patienten belegt: Bei 75 Prozent der mit einer konservativen Therapie behandelten Patienten war der Bandscheibenvorfall nicht mehr auf dem Kernspinbild nachweisbar. In 25 Prozent zeigte sich noch ein Befund, die Patienten waren aber schmerzfrei. Was heißt das? Der Rücken hat, wenn man ihm genug Zeit gibt und das richtige, auf die persönlichen Beschwerden abgestimmte Therapiekonzept findet, eine hohe Selbstheilungskompetenz.

Abbau oder Umweg

Heilung bedeutet in der Orthopädie also Arrangement und Anpassung an eine veränderte Anatomie, der jeder Mensch im Laufe der Zeit durch Verschleiß oder Überbelastung unterworfen ist. Der Rücken kennt zwei Wege der Heilung: Abbau oder Umweg. Entweder wird das, was nicht mehr funktioniert, absorbiert oder die Nervenbahnen suchen sich einen neuen Weg an dem »Hindernis« vorbei. Das können Sie sich wie in einem Flussbett vorstellen. Stürzt ein Felsbrocken ins Wasser, gibt es kurzzeitig einen Wasserstau, vielleicht tritt der Fluss sogar übers Ufer. Doch nach ein paar Wochen hat sich der Strom einen neuen Weg gebahnt – er will nichts als weiterfließen.

Manchmal zeigt sich auf einer Kernspinaufnahme ein eingeklemmter Nerv auf der rechten Seite des Rückens, der eigentlich starke Schmerzen verursachen müsste. Befragt man den Patienten, klagt er jedoch über Schmerzen auf der linken Seite. Was lässt sich daraus schließen? Der Körper hat sich mit dem eingeklemmten Nerv auf der rechten Seite arrangiert. Nun ist es die Aufgabe von Arzt und Patient, diesen Selbstheilungseffekt auch links zu erzeugen. Dazu braucht der Körper Zeit, Unterstützung und eine positive Einstellung.

Ein gutes Beispiel für die Selbstheilung sind Ergebnisse von Studien aus dem süddeutschen Raum: Zwei Jahre nach der konservativen Behandlung von großen Bandscheibenvorfällen kontrollierte man, was mit den herausgerutschten Bandscheiben passiert war. In 73 Prozent der Fälle waren sie verschwunden. Der Körper hatte sich mit den veränderten anatomischen Verhältnissen arrangiert und das Überflüssige abgebaut. Bei den restlichen 27 Prozent hatte sich nichts verändert, aber der Körper hatte gelernt, mit den Stellen zu leben.

Fazit: Rückenleiden sind gutmütig

Ihr Rücken verfügt über selbstreparierende Mechanismen. Und zwar bis ins hohe Alter! Das klappt wie gesagt in 90 Prozent aller Fälle. Selbst wenn organische Veränderungen vorliegen, bedeutet Heilung nicht notwendigerweise, dass sich die Befunde im Bild verändert haben, auch wenn der Patient schmerzfrei ist.

ZUR BEWEGUNG GEBOREN

Der Rücken hält den vielen Belastungen des Alltags stand. Auch an den altersbedingten Verschleiß passt er sich auf geniale Weise an. Nur eines tut ihm nicht gut: Bewegungsmangel. Das schwächt Knochen und Muskulatur und führt auf Dauer zu Verspannungen, Blockaden, Bandscheibenbeschwerden und so weiter. Damit einher geht der Schmerz! Manche Menschen können problemlos zwölf Stunden am Computer sitzen. Andere bekommen schon nach wenigen Stunden Kreuz- oder Nackenschmerzen. Die einen können am Tag acht Stunden schwere Lagerarbeit machen, andere quälen sich mit verspannter Muskulatur, verschlissener Wirbelsäule und starken Schmerzen durch den Arbeitstag.

DEN RÜCKEN SPÜREN

Die meisten Menschen schenken ihrem Rücken erst dann Beachtung, wenn er wehtut. Wann haben Sie sich das letzte Mal über dieses Wunderwerk der Evolution gefreut? Noch nie? Dann wird es höchste Zeit.

Setzen Sie sich auf die Kante eines Stuhls, sodass Sie mit der Hand nach hinten an Ihre Wirbelsäule fassen können. Legen Sie die Finger über die Knubbel, die Sie am unteren Rücken spüren – die Dornfortsätze der einzelnen Wirbel.

Nun beugen Sie sich leicht nach vorn und dann den Oberkörper zur Seite, mal nach links, mal nach rechts. Wenn Sie die Finger auf den Dornfortsätzen behalten, können Sie spüren, wie sie sich jeder Bewegung anpassen und mal stärker und mal weniger stark hervortreten. Ist das allein nicht schon ein guter Grund, den Leistungen Ihres Rückens neue – positive – Beachtung zu schenken?

Feinde der Rückengesundheit

Eines ist sicher: Einseitige Belastung, monotone Arbeiten in einer statischen oder physiologisch unnatürlichen Zwangshaltung tragen nicht zu einer rückengesunden Lebensführung bei. Eine andauernde Schon- beziehungsweise Fehlhaltung reizt die Wirbelsäule und die dazugehörigen Bänder und Muskeln, sodass es zur Aktivierung von Nervenstrukturen der Gelenke kommt, die reflexartige Reaktionen hervorrufen. Die Muskulatur verkrampft, das schränkt die Bewegungsfähigkeit der Wirbelsäule ein und führt auf Dauer zu Haltungsschäden. Wenn ein Aktenvernichter im Patentamt acht Stunden pro Tag nichts anderes macht, als im Sitzen einen Knopf zu drücken, wenn ein Fliesenleger stundenlang kniend sein Handwerk verrichtet oder schwer tragen muss, ein Rezeptionist den ganzen Tag am Empfang steht oder die Verkäuferin von morgens bis abends an der Supermarktkasse sitzt, dann leidet der Bewegungsapparat. Denn für solche einseitigen Tätigkeiten ist er nicht angelegt.

Die negativen Folgen mangelnder Bewegung zeigen sich am drastischsten bei Astronauten. Sie leiden schon nach wenigen Wochen im All unter Rückenbeschwerden. Die Wirbelsäule ist in der Schwerelosigkeit keiner Belastung ausgesetzt, die ihr schaden kann. Es ist aber der Bewegungs- und Belastungsmangel, der dem Rücken zu schaffen macht, denn dadurch degenerieren die Wirbelsäule und die Muskulatur, sodass der Rücken seiner natürlichen Stütz- und Haltefunktion nicht mehr in dem Maße nachkommen kann, wie er sollte.

Die Beschwerden beginnen früh

Wir sind Opfer des technischen Fortschritts, der unser Leben zwar bequemer, unseren Rücken jedoch anfälliger für Schmerzen macht. 80 Prozent der Menschen haben mindestens einmal in ihrem Leben Rückenschmerzen. Das Problem beginnt bereits in der Kindheit. Unser Orthopädieteam hat in einer Studie 346 Kinder und Jugendliche untersucht. Etwa 61 Prozent litten an Haltungsschäden, die Hälfte der Kinder klagte über Rückenschmerzen. Eine ältere Studie aus dem Jahr 2008 legt den Schluss nahe, dass sich diese Situation weiter verschlechtert. Die Ursache liegt im Bewegungsmangel: Computer, Playstation, Fernseher und Co. sind die größten Feinde des Rückens.

»Generation Haltungsschaden«

Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ergab, dass 80 Prozent aller Kinder weltweit nicht aktiv genug sind. In Deutschland sitzen Kinder zwischen 6 und 13 Jahren durchschnittlich 100 Minuten pro Tag vor dem Fernseher, so das Allensbacher Institut. Da sind die Multimedia-Aktivitäten noch gar nicht einbezogen.

Ein Teufelskreis

Menschen mit chronischen Rückenschmerzen leiden aufgrund der Beschwerden unter latenter Bewegungsarmut, und das wiederum führt zu einer zunehmenden Schwäche des Muskelkorsetts, das die Wirbelsäule hält und stützt. Die Folge: Verspannungen und neue Schmerzen! Denn unser Körperbau ist nun mal auf Bewegung ausgerichtet. In der Geschichte des Menschen sind wir die längste Zeit Jäger und Sammler gewesen und waren tagtäglich viele Stunden auf den Beinen, um Nahrung zu suchen. Der heutige Lebensstil ist nicht mehr artgerecht und buchstäblich rückenzerstörend.

Wer sich sehr lange nicht bewegt, reduziert den Stoffwechsel in der Bandscheibe. Die Muskulatur schrumpft zudem und verkürzt sich und ist damit nicht mehr in der Lage, den Belastungen des Alltags standzuhalten. Ist die Bewegungsarmut ein Dauerzustand, ist Degeneration vorprogrammiert. Dann wächst sich der Rücken schnell zum Drama aus. Es kommt zu Verspannungen, die Entzündungen in der Muskulatur, an den Sehnen, Muskelansätzen und Bändern hervorrufen und irgendwann Schmerzen verursachen können. Gezielte Bewegung wirkt wie ein natürliches Schmerzmittel. Sie versorgen damit Ihren Organismus mit einem Vielfachen an Sauerstoff als beim Herumsitzen. Wenn Sie es vernünftig tun, können Sie den Rücken gar nicht genug bewegen!

LEITLINIEN DER BEHANDLUNG

Wie unser gesamter Körper kommt auch die Wirbelsäule in die Jahre. Degenerative Veränderungen lassen sich nicht rückgängig machen. Aber mit der richtigen Versorgung können wir den Körper dabei unterstützen, sich mit diesen Veränderungen so zu arrangieren, dass ein bestehender Schmerz nachlässt oder sogar verschwindet. Weil die Selbstheilungskompetenz des Rückens so enorm ist, sollte der Behandlungsweg immer von sanft zu intensiv gehen. Nur so bekommt Ihr Rücken die Chance, seine Arbeit selbst zu tun.

Damit dieser Selbstheilungsprozess aus medizinischer Sicht optimal vonstattengehen kann, haben eine Vielzahl von Experten verschiedener wissenschaftlicher Fachrichtungen eine medizinische Empfehlung zur Behandlung von Rückenschmerzen erarbeitet: die »Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz« (NVL), herausgegeben von der Bundesärztekammer, von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Seit ihrer Entstehung wird diese Leitlinie regelmäßig überarbeitet und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst. Ihr Ziel ist unter anderem, Medizinern wie Betroffenen eine umfassende Empfehlung zur Versorgung von unspezifischen Rückenbeschwerden zu geben sowie Abläufe der Behandlung und mögliche Lösungswege aufzuzeigen.

HALTUNGSANALYSE

Mit dieser Übung können Sie Ihre Haltung testen. Sie brauchen dazu nur einen Besenstiel, einen Hocker und eine Wand.

Stellen Sie sich an die Wand und bringen Sie den Besenstiel an Ihre Wirbelsäule. Mit einer optimalen Haltung berühren Sie ihn, ohne sich zu verbiegen, an drei Punkten: am Kreuzbein, an der Brustwirbelsäule und am Hinterkopf. Hals und unterer Rücken kommen nicht damit in Kontakt. Menschen mit einer Kyphose, einer Krümmung der Wirbelsäule, können den Stiel nur mit dem Kopf berühren, wenn sie im Halsbereich überstrecken.

Probieren Sie auch Folgendes aus: Stellen Sie einen Hocker hinter sich, halten Sie den Besen am Rücken mit einer Hand fest und setzen Sie sich hin, ohne die Berührungspunkte zu verlieren. Das ist rückengerechtes Sitzen: dynamisch und aktiv, mithilfe Ihrer Muskulatur.

Einfache und klare Empfehlungen

Die NVL verweist bei nichtspezifischem Rückenschmerz unter anderem auf:

ein ausführliches Anamnesegespräch sowie eine gründliche körperliche Untersuchung;

Mobilisation und Bewegung;

»Edukation«, um den Patienten zu informieren und aktiv einzubeziehen;

eine »Erfassung der psychosozialen Risikofaktoren« während der ärztlichen Erstversorgung, sollten die Beschwerden länger als vier Wochen anhalten.

Darüber hinaus wird von zahlreichen nicht medikamentösen Therapieverfahren, die in den Organismus eingreifen, explizit abgeraten. Denn, so heißt es im Punkt Versorgungskoordination: »Die Beschwerden bei akutem, nichtspezifischem Kreuzschmerz sind üblicherweise selbst begrenzend, sodass der größte Anteil der Personen, die sich zum ersten Mal aufgrund von Rückenbeschwerden in medizinische Behandlung begibt, lediglich einer Beratung und Akutversorgung bedarf.«

Als eine vorrangige Aufgabe des Arztes sieht die Kommission aus diesem Grund die »kontinuierliche Aufklärung und Motivation zu einer gesunden Lebensführung, die regelmäßige körperliche Aktivität einschließt«. Für den Fall, dass die Beschwerden trotz leitliniengerechter Behandlung mehr als sechs bis zwölf Wochen anhalten, kommt die Expertenrunde zu dem Schluss, dass »alle vorliegenden Befunde fachübergreifend gesichtet und im Rahmen einer gemeinsamen Fallkonferenz beurteilt werden«.

Zu schön, um wahr zu sein?

Eine ausführliche Diagnose, Ermunterung zu körperlicher Aktivität und gesundheitsfördernden Maßnahmen, Verzicht auf in ihrer Wirksamkeit nicht erwiesene Therapieverfahren, eine minimale und kontrollierte Verabreichung von Medikamenten und so weiter. Leider sieht die medizinische Realität oft anders aus. Viele unspezifisch und chronisch Rückenkranke haben eine lange »Schmerzkarriere« hinter sich. Fünf bis zehn Jahre von Arzt zu Arzt zu tingeln ist keine Seltenheit. Die Bandbreite der Therapiemaßnahmen, die sie über sich haben ergehen lassen, reicht dabei von Schmerzmitteln über Injektionen, Massagen, Einlagen bis zu Zahnbehandlungen und diversen alternativen Methoden. Doch nichts hat bisher wirklich geholfen. Die Beschwerden bleiben bestehen oder reduzieren sich vorübergehend, nur um nach einer Weile mit noch stärkerer Wucht zurückzukehren. Der quälende Schmerz zehrt am Körper und die Erfahrung, dass einem keiner weiterhelfen kann, an den Nerven. An diesem Punkt der Krankengeschichte ist die Diagnose »chronisch rückenkrank« oft Ausdruck eines doppelten Scheiterns. Therapeut und Patient resignieren, weil sie keine Aussicht auf Heilung sehen. Die einzige Hoffnung: dass die eine oder andere der genannten Maßnahmen die Beschwerden zumindest zeitweise lindert.

Chronifizierung

Manchen Behandlern ist das erschreckende Schlagwort Chronifizierung auch dienlich, um den Patienten schnellstmöglich eine Operation als Vorbeugungsmaßnahme zu empfehlen. Das widerspricht aber allen aktuellen Erkenntnissen der Schmerzforschung. Die NVL empfiehlt, falls die Beschwerden länger als zwölf Wochen trotz leitliniengerechter Versorgung anhalten und die Lebensqualität einschränken, die fachübergreifende multimodale Behandlung oder Rehabilitation. Eigentlich liegt alles auf der Hand. Aber warum werden unspezifisch Rückenkranke dennoch oft nicht leitliniengerecht behandelt? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf das herrschende Gesundheitssystem.

DIE ERSCHÜTTERNDE REALITÄT DER RÜCKENPATIENTEN

Mit der Erfindung des Röntgenbildes etablierte sich eine mechanistische Denkweise, die davon ausgeht, dass jedem Rückenschmerz eine unfallbedingte oder degenerative Veränderung zugrunde liegen muss. Daran hat sich bis heute nichts geändert, die modernen bildgebenden Verfahren machen die Darstellung von anatomischen Schäden nur noch einfacher. Dieses mechanistische Verständnis von Rückenschmerzen führte zu der Auffassung, eine Operation sei das einzige Mittel zur dauerhaften Schmerzbeseitigung. Eine fatale Fehlannahme, die zur Folge hatte, dass diejenigen, die sich im Heilungsprozess als Allerletzte an die Arbeit machen sollten, diejenigen sind, die eine Therapie vorgeben: die Operateure, beispielsweise. Was glauben Sie: Wie viele der insgesamt 200 Mitglieder der Internationalen Rückenschmerz-Gesellschaft sind Operateure? 140!

Nicht zu schnell unters Messer

Dieses altmodische Rückenkonzept wird von einem Gesundheitssystem gestützt, das konservative Therapien finanziell »bestraft«: Ein Orthopäde erhält für die Behandlung eines akuten oder chronischen Rückenleidens im Durchschnitt 30 Euro im Quartal, also für drei Monate, ganz gleich, wie oft der Patient kommt. Im Vergleich dazu kostet eine Rückenoperation im Durchschnitt 10?000 Euro.

Unser Medizinsystem hat es geschafft, den Betroffenen die wirklichen Verhältnisse über fünfzig Jahre vorzuenthalten. Denn die meisten Menschen denken, dass ein Arzt für eine konservative Behandlung sehr viel Geld bekommt und sich doch so wenig Zeit dafür nimmt. In ihrer Wahrnehmung fließt viel Geld im ambulanten Bereich, ohne dass sie eine entsprechende Leistung bekommen. »Solange die Operation so bezahlt wird wie 30 konservative Behandlungsjahre, wird in Deutschland die OP-Lastigkeit bevorzugt«, so Prof. Niedhart, früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.

OPs gegen den Schmerz?

Nach meinem Medizinstudium begann ich meine Facharztausbildung in der Orthopädie eines Wirbelsäulenzentrums in der Nähe von Stuttgart, in dem jährlich 3000 Menschen am Rücken operiert wurden. Ich wurde in meiner Ausbildung darauf trainiert, Rückenschmerzen »wegzuoperieren«. Im Laufe der Jahre, wenn meine Kollegen und ich die Ergebnisse der Operationen und den Heilungsverlauf überprüften, mussten wir uns eingestehen, dass wir vielen Patienten nicht hatten helfen können und es einigen nach dem Eingriff sogar schlechter ging als vorher.

Je mehr ein Rückenchirurg am Rücken arbeitet, je mehr Schrauben, Dübel und Prothesen er setzt, desto höher ist die Entlohnung. Jede zusätzlich versteifte Etage in der Wirbelsäule spült mehr Geld in die Kassen aller Beteiligten. Am lukrativsten sind in diesem Zusammenhang ältere Menschen, bei denen sich in den Bildern viele Befunde zeigen, auch wenn gar nicht alle Beschwerden auslösen. Würde ein Arzt rein nach den Bildbefunden vorgehen, müsste fast jeder über 70-Jährige operiert werden. Doch ohne Leiden ist jeder Befund nur eine Erkenntnis, aber noch lange keine Krankheit.

Die Deutschen sind »OP-Weltmeister« am Rücken, sie operieren (sehr) viel häufiger als Ärzte in England, Frankreich oder Italien.

Durch Studien belegt: OPs wirken langfristig nicht besser

Eine Zehn-Jahres-Studie der Harvard Medical School in Boston, USA, liefert dazu aufschlussreiche Ergebnisse: Insgesamt 507 Rückenpatienten mit Bandscheibenvorfällen und Spinalkanalstenosen (siehe >), die einen konservativ behandelt, die anderen operiert, wurden ein, fünf, acht und zehn Jahre nach der jeweiligen Therapie untersucht. Die Operierten fühlten sich im ersten bis vierten Jahr besser als die Nichtoperierten. Doch auf lange Sicht, also acht bis zehn Jahre nach dem operativen Eingriff, war das nicht mehr so. Beide Gruppen fühlten sich gleich, was ihre Rückenbeschwerden anging. Knapp 19 Prozent der Bandscheiben-Gruppe und jeder Dritte der Spinalkanalstenosen-Patienten musste mindestens einmal nachoperiert werden.

Zum gleichen Ergebnis kommt eine Zwei-Jahres-Studie des Leiden University Center in den Niederlanden. Man untersuchte insgesamt 283 Patienten, die seit sechs bis zwölf Wochen aufgrund eines Bandscheibenvorfalls an Rückenschmerzen litten. Sie hatten starke Schmerzen, konnten kaum laufen, geschweige denn ihrer geregelten Arbeit nachgehen. Die Hälfte der Probanden erhielt eine konservative Behandlung, die eine Optimierung des persönlichen Schmerzmanagements und Physiotherapie einschloss, die andere Hälfte wurde etwa 14 Tage nach der Diagnose operiert. »Das wichtigste Ergebnis, das wir nicht erwartet hatten, war«, fasst Neurochirurg Dr. Wilco Peul die Ergebnisse zusammen, »dass sich die meisten Patienten aus der konservativ behandelten Gruppe ebenfalls schnell wieder erholten.« Ihr Heilungsprozess sei zwar etwas langsamer verlaufen, »aber bereits nach einem Jahr waren die Resultate beider Gruppen gleich. Sie unterschieden sich bereits nach drei beziehungsweise sechs Monaten nicht mehr so sehr.«

Was lässt sich daraus schließen? Ein operativer Eingriff kann anfänglich die Lebensqualität tatsächlich steigern, der Erfolg nimmt aber im Lauf der Zeit wieder ab. Operationen bringen also in den meisten Fällen nicht mehr als konservative Therapien.

Dennoch steigt die Zahl der OPs!

Im Dezember 2012 legte die AOK ihren Krankenhausreport vor, in dem es unter anderem heißt, dass 2011 die Zahl der stationären Behandlungen gegenüber 2007 um circa 1,5 Millionen Fälle zugenommen hat. Zwischen 2005 und 2010 hat sich allein die Zahl der Wirbelsäulen-OPs mehr als verdoppelt. In absoluten Zahlen ausgedrückt werden in Deutschland pro Jahr rund 400?000 Eingriffe am Rücken durchgeführt – von denen 80 Prozent überflüssig sind. Die Techniker Krankenkasse geht sogar von 85 Prozent aus. Oft bringen sie das Gegenteil des gewünschten Erfolgs: Die Betroffenen leiden nachher mehr.

Die nicht zufriedenstellend Operierten sind übrigens die schnellststeigende Gruppe der chronisch Rückenleidenden. Warum? Weil oft an der tatsächlichen Ursache der Beschwerden vorbeioperiert wird. Häufig sind, wie die oben erwähnte Zehn-Jahres-Studie der Harvard Medical School in Boston bestätigt, sogar weitere Eingriffe nötig. Fachleute sprechen vom »Failed Back Surgery Syndrome« und meinen damit die Beschwerden, die sich nach einer erfolglos verlaufenen Operation erneut einstellen oder sogar neu hinzukommen.

Es ist mittlerweile erwiesen: 40 Prozent der Patienten haben bereits kurz nach einer Rückenoperation trotz Verbesserung der OP-Bilder wieder Beschwerden und kehren innerhalb eines Jahres in die Therapie zurück. Natürlich gibt es Fälle, in denen man nicht um eine Operation herumkommt, zum Beispiel, wenn Nerven geschädigt wurden oder wenn sie abzusterben drohen. Das betrifft aber höchstens 1 bis 2 Prozent aller Wirbelsäulenleiden.

Abhängig vom Wohnort

Rückentherapien verschlingen in Deutschland mit allen Folgekosten jährlich fast 50 Milliarden Euro. Davon entfallen 80 Prozent auf »chronisch Rückenkranke« – für die der behandelnde Arzt in Deutschland Zuschläge erhält. Die Zahl der Rückenoperierten ist übrigens direkt proportional zur Zahl der Operateure in ihrem Wohnort und zur Entfernung zur nächsten Klinik. Sie haben als Wirbelsäulenkranker Glück, wenn Sie weit entfernt vom nächsten Rückenchirurgen wohnen. Allein in München haben sich über 170 niedergelassen, das ist viermal so viel wie in den 1970er-Jahren. Auf dem flachen Land leiden die Menschen also nicht weniger an Rückenschmerzen, da wird nur weniger oft operiert.

Die Indikation zu einer Operation ist letztlich von folgenden Faktoren mit abhängig:

der Dichte der Chirurgen im Wohngebiet;

der Anzahl der Krankenhäuser beziehungsweise der zu belegenden Betten;

der Entfernung des Krankenhauses vom jeweiligen Wohnort;

den Möglichkeiten der bildgebenden Verfahren, zu denen wir noch kommen.

Ärzte unterm Messer?

Die Universität Heidelberg hat eine Umfrage unter 169 deutschen Orthopäden gemacht, um herauszufinden, ob sie sich, wenn man ihnen im Beschwerdefall zu einer von elf Standardoperationen riete, auch selbst unters Messer legen würden. Die Antworten werden Sie nach allem, was Sie bisher gelesen haben, nicht verblüffen: Nur 41 Prozent stimmten komplett zu. Und lediglich 17 Prozent würden aufgrund eines schweren Bandscheibenvorfalls einen Eingriff vornehmen lassen.

Auch hier regiert das Geld