Der außergewöhnliche Aufstieg des Nationalsozialismus in der Region Gifhorn-Isenhagen - Stefan Felleckner - E-Book

Der außergewöhnliche Aufstieg des Nationalsozialismus in der Region Gifhorn-Isenhagen E-Book

Stefan Felleckner

0,0

Beschreibung

Felleckner untersucht, welche Faktoren es waren, die in der Region Gifhorn-Isenhagen einen überdurchschnittlich frühen und über-durchschnittlich starken Erfolg der NSDAP ermöglicht haben, wobei insbesondere die Tätigkeit der nationalsozialistischen Aktivisten vor Ort näher betrachtet wird. Dieses Buch stellt einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Zeit des Nationalsozialismus im ländlichen Raum dar.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 92

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Fragestellung und Quellensituation

Region, Bevölkerung und Wirtschaft

Quellen und Wahlergebnisse

Die Region Gifhorn-Isenhagen im wahlpolitischen Umfeld der niedersächsischen Wahlkreise

Der persönliche Faktor

Schwierige Anfangsjahre

Führungspersönlichkeiten, Aktivisten und Sympathisanten

NS-Propaganda auf dem Land

Die Durchdringung der landwirtschaftlichen Organisationen

Politisch fruchtbarer Boden

Die besseren politischen Taktiker

Die Auflösung des Kreises Isenhagen

Die Wahrnehmung in der lokalen Presse

Die Bedeutung der Weltwirtschaftskrise

Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Propaganda

Exkurs: Die Entwicklung im Landkreis Uelzen

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Gegenüberstellung von NSDAP-Wahlergebnissen in Prozent

Quellen und Literatur

Autor

Fragestellung und Quellensituation

Das Gebiet Gifhorn-Isenhagen gehörte in der Spätphase der Weimarer Republik zu denjenigen Regionen Deutschlands, in welchen die Nationalsozialisten bereits vor ihren großen reichsweiten Erfolgen überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse erzielten.1 Bei der Reichstagswahl im Mai 1928, als die Hitlerpartei landesweit mit gerade einmal 2,6% noch eine Randerscheinung geblieben war, hatte sie in der Region Gifhorn-Isenhagen immerhin bereits 8,5% der Stimmen erhalten.2 Zwei Jahre später, bei der „Erdrutschwahl“ im September 1930, als die NSDAP ihre Stimmenzahl im Reich schlagartig auf 18,3% vermehren konnte, erreichte sie in Isenhagen bereits 31,4%3, im Kreis Gifhorn sogar 36,0% der Stimmen.4 Auch in den folgenden Wahlen sollte sich diese Entwicklung fortsetzen. Den Höhepunkt bildete die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932, als die NSDAP 37,3% der Stimmen erhielt, im Kreis Gifhorn jedoch 67,3% und beim nördlichen Nachbarn Isenhagen sogar 72,6%.5

In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Faktoren es waren, die in der Region Gifhorn-Isenhagen einen überdurchschnittlich frühen und überdurchschnittlich starken Erfolg der NSDAP ermöglicht haben, wobei insbesondere die Tätigkeit der nationalsozialistischen Aktivisten vor Ort näher betrachtet werden wird. Gutmann, der bereits 1991 eine recht umfassende Studie über die Region Gifhorn-Isenhagen im Nationalsozialismus geliefert hat, dokumentiert zwar die hier stattgefundenen außergewöhnlichen Erfolge der Hitlerpartei, führt als Erklärung jedoch lediglich an, dass sich die hiesigen Wähler „wie so viele Deutsche jener Zeit, durch die Propaganda der NSDAP blenden“ ließen.6 Es bleibt die Frage, worum es sich bei diesem Blendwerk eigentlich handelte und warum es gerade hier so große Wirkung entfalten konnte. Um die Entwicklung im Gebiet Gifhorn-Isenhagen in den Gesamtzusammenhang einzuordnen, werden auch Vergleiche mit Wahlergebnissen anderer Regionen im niedersächsischen Raum gezogen werden.

Die Fragestellung ist nicht unproblematisch, vor Allem weil die Quellenbasis ausgesprochen dünn ist. Zunächst ist eine Analyse der Denkprozesse der damals Lebenden, die bei ihnen zu Anhängerschaft oder aktiver Unterstützung der NSDAP geführt haben könnten, nicht möglich. Politische Selbstzeugnisse von einfachen Bürgern aus dieser Zeit sind so gut wie nicht vorhanden und die Erinnerungen von Personen des öffentlichen Lebens leider häufig mehr apologetisch als dokumentarisch.7 Auch sind Befragungen von Augenzeugen angesichts des großen Zeitabstands mittlerweile nicht mehr durchführbar und Nachkommen von nationalsozialistischen Aktivisten im Regelfall nur selten an einer Durchleuchtung ihrer Familiengeschichte interessiert. Um dennoch eine Analyse vornehmen zu können, werden im Folgenden neben amtlichen Dokumenten und einschlägiger Literatur auch Zeitungsberichte von Veranstaltungen und anderen Ereignissen herangezogen werden, weil diese besonders gut geeignet sind, ein Stimmungsbild der zu untersuchenden Zeit zu liefern. Darüber hinaus konnten glücklicherweise einige besonders wertvolle Quellen gesichtet werden, über die weiter unten berichtet werden wird.

Der Untersuchungszeitraum schließt mit der Reichstagswahl im November 1932 ab, weil die danach bis zum Jahr 1945 in Deutschland abgehaltenen Wahlen nicht mehr frei waren und somit für die Forschung nur von bedingtem Wert sind. Der Vollständigkeit halber sei nur vermerkt, dass die Region Gifhorn-Isenhagen auch bei der letzten noch halbwegs regelrechten Reichstagswahl am 5. März 1933 ihren Status als Hochburg der NSDAP bewahrte.8 Bei diesem Urnengang, welcher der Hitlerpartei reichsweit 43,9% der Stimmen einbrachte, stimmten im alten Gifhorner Gebiet 72,2% und im ehemaligen Kreis Isenhagen 79,4% für Hitler.9

Aufgrund des oben Gesagten und der Tatsache, dass der Schwerpunkt dieser Arbeit zumindest teilweise in Bereichen liegt, die bislang wenig Beachtung gefunden haben, wird der interpretative Teil relativ groß sein. Ausgangspunkt ist dabei die These, dass die üblichen Begünstigungsfaktoren nicht erklären können, wie es in der Region Gifhorn-Isenhagen zu Wahlergebnissen jenseits der 60%, teilweise sogar der 70% kommen konnte.

Eine letzte Antwort auf die Frage, warum die NSDAP in der Region Gifhorn-Isenhagen bereits so früh so stark werden konnte, wird diese Arbeit dennoch nicht geben können. Sie stellt nur einen Versuch dar, sich dieser Antwort zu nähern und repräsentiert gleichsam den aktuellen Stand auf diesem sehr begrenzten Gebiet der historischen Forschung.

1 Die gesamte Region Osthannover bildete damals eine Hochburg der Hitlerpartei, neben Schleswig-Holstein, Pommern und Teilen des südlichen Mitteldeutschlands (siehe u.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Reichspr%C3%A4sidentenwahl_1932), https://geschichte-s-h.de/sh-von-a-bis-z/n/nationalsozialismus/ Für die erste Hälfte der 1920er Jahre siehe hinsichtlich der Region Gifhorn-Isenhagen auch Rode, R., Der Nationalsozialismus in den Kreisen Gifhorn und Isenhagen. Von den Anfängen bis 1933 (masch. schr.), Braunschweig 1980 (Privatbesitz).

2 Gutmann, H.G., Gifhorn im Zeichen von Blut und Boden. Nationalsozialismus im Landkreis Gifhorn, Steinhorster Schriften, Braunschweig und Gifhorn 1991, S. 118. In Isenhagen waren es 7,1%, in Gifhorn sogar 9,8% (Isenhagener Kreiskalender. Ein Heimatbuch auf das Jahr 1931, a.a.O., S. 146ff sowie Allerzeitung 16.09.1930, S. 2.

3 Isenhagener Kreiskalender. Ein Heimatbuch auf das Jahr 1931, Wittingen 1930, S. 146ff. Vergleichende Übersicht über die Reichstagswahlen in den Jahren 1928 und 1930.

4 Kreisarchiv Gifhorn (im Folgenden: KA Gf) Bibl 10 007/02, Diensttagebuch des Gifhorner Landrats Dr. Eugen v.Wagenhoff, Teil 2 (1925-1934), S. 201, Allerzeitung vom 16.09.1930, S. 1f.

5https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_Juli_1932, KA Gf Bibl 10 007 / 02, a.a.O., S. 225, Isenhagener Kreisblatt vom 02.08.1932.

6 Gutmann, a.a.O., S. 55.

7 Beispielhaft KA Gf Bibl 20 168, Erinnerungen des ehem. Gifhorner Bürgermeisters Ludwig Kratz (masch. schr. Kassel 1959).

8https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_M%C3%A4rz_1933

9 KA Gf Bibl 10 007 / 02, a.a.O., S. 239.

Region, Bevölkerung und Wirtschaft

Die Region Osthannover, welche die Regierungsbezirke Lüneburg und Stade umfasste, war kein verwaltungstechnischer Bezirk innerhalb der preußischen Provinz Hannover, doch bildete sie seit 1920 den Wahlkreis Nummer 15 und somit eine wahlpolitische Einheit.10 Die NSDAP hatte das Reichsgebiet parteiintern in Gaue eingeteilt, wobei jener mit dem Wahlkreis 15 übereinstimmende seit 1925 Lüneburg-Stade und ab 1928 ebenfalls Osthannover hieß. Im Folgenden wird diese Bezeichnung als geografische Eingrenzung des Untersuchungsgebiets hin und wieder auftauchen. Nach dem schleswig-holsteinischen Wahlkreis errang die NSDAP in beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932 in Osthannover mit 49,5% und 42,9% ihre besten Ergebnisse.11 Die Landkreise Gifhorn und Isenhagen lagen im Südosten des Wahlkreises Osthannover und waren für dessen gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur typisch. Der Regierungspräsident, Vorgesetzter der beiden Landräte, saß in Lüneburg, der Oberpräsident der gesamten Provinz in Hannover. Über diesem stand wiederum der Minister des Inneren in Berlin.

Die Erkenntnis, dass die nationalsozialistische Propaganda in protestantisch geprägten ländlich-kleinstädtischen Regionen am erfolgreichsten war, ist nicht neu. Eben diese Bedingungen herrschten während der Weimarer Republik auch in der Region Gifhorn-Isenhagen vor.12 Im rund 800 Quadratkilometer großen Kreis Gifhorn lebten um 1930 kaum 40.000 Menschen, im fast ebenso großen Kreis Isenhagen waren es sogar nur etwas über 20.000.13 Aber auch der gesamte Rest der Region war ausgesprochen schwach bevölkert. In ganz Osthannover lebten zur selben Zeit gerade einmal eine Million Menschen, die größten Städte waren Harburg-Wilhelmsburg mit 110.000 und Wesermünde mit 73.000 Einwohnern. Im Gegensatz zum Reichsdurchschnitt (44%) wohnten in Osthannover über zwei Drittel der Bevölkerung in Gemeinden unter 5.000 Einwohnern, selbst in den Kreisstädten lebten zumeist weniger als 10.000 Menschen, in Gifhorn waren es noch nicht einmal 5.000. Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung Osthannovers war mit gerade einmal 0,15% äußerst gering. In Isenhagen waren damals 13, in Gifhorn ganze 7 Personen jüdischen Glaubens gemeldet.14

Wie in ganz Osthannover, prägten auch in der Region Gifhorn-Isenhagen klein- und mittelbäuerliche Betriebe die Alles dominierende Landwirtschaft, etwa 70% der bearbeiteten Fläche entfielen auf Höfe mit einer Größe zwischen 5 und 50 Hektar. Über ein Drittel der Beschäftigten in Osthannover arbeitete im Agrarsektor, in Gifhorn und Isenhagen waren es mit 53,9% und 66,2% sogar noch bedeutend mehr.15 Die Erzeuger produzierten in erster Linie für marktnahe Abnehmer, wobei der Anteil der Viehwirtschaft relativ hoch war.16 Da die Weimarer Republik kaum Schutzzölle erhob, verspürten die osthannoverschen Landwirte die billigere ausländische Konkurrenz, etwa aus Polen, sehr deutlich. Missernten und Viehseuchen taten ein Übriges, die Verschuldung der Betriebe in die Höhe zu treiben, was zu einem rasanten Anstieg der Zwangsversteigerungen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre führte.17 Die Regierung erhob zwar schließlich wieder Schutzzölle für Getreide, doch kamen diese im Wesentlichen den großen Erzeugern im Osten des Reiches zugute. All dies verstärkte in jenen Agrarregionen, welche vornehmlich für den Inlandsmarkt produzierten, den Eindruck, von der Politik im Stich gelassen worden zu sein. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise war die ökonomische Lage in Osthannover in fast allen Bereichen schlecht, was sich auch darin zeigte, dass immer mehr entlassene Handwerker mit Dumping-Angeboten auf den Markt oder als Hilfsarbeiter in die Landwirtschaft drängten, deren Aufnahmebereitschaft allerdings begrenzt war. Der in der Landwirtschaft überall bestehende Kapitalmangel führte dazu, dass Arbeitskräfte teilweise in Naturalien bezahlt wurden.

10 Stegmann, D., Politische Radikalisierung in der Provinz. Lagerberichte und Stärkemeldungen der Politischen Polizei und der Regierungspräsidenten für Osthannover 1922-1933, Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen (Hrsg.), Hannover 1999, S. 10f, auch im Folgenden.

11https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_Juli_1932 / https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_November_1932

12 Dem widersprechen auch die frühen Erfolge der NSDAP im überdurchschnittlich industrialisierten Thüringen nicht, denn dieses war ebenfalls klein- und mittelstädtisch geprägt. Regelrechte Großstädte gab es dort gar nicht (siehe u.a. Ocken, N., Hitlers „Braune Hochburg“: Der Aufstieg der NSDAP im Land Thüringen (19201933), Examensarbeit 2012, o.A. Zum Wahlverhalten der Katholiken während der Weimarer Republik siehe auch Horstmann, J., Katholiken und Reichstagswahlen 1920-1933. Ausgewählte Aspekte mit statistischem Material, in: JCSE 26 (1985): 063-095.

13 Koch, R., Erinnerungen an 100 Jahre Landkreis Gifhorn 1885-1985, Gifhorn 1985, S. 77.

14 Stegmann, a.a.O., S. 18ff.

15 Stegmann, a.a.O., S. 21ff, auch im Folgenden.

16 Koch, a.a.O., S. 78. Um 1930 waren in der Region Gifhorn-Isenhagen über 9.000 Pferde, über 44.000 Rinder, rund 115.000 Schweine, über 12.000 Schafe und fast 6.000 Ziegen vorhanden.

Quellen und Wahlergebnisse

Über die damalige politische Entwicklung in der Region Gifhorn-Isenhagen sind zwei besondere Quellen vorhanden. Zum einen handelt es sich um das zweibändige Diensttagebuch des Gifhorner Landrats v.Wagenhoff, der den Kreis von 1908 bis 1937 als Spitzenbeamter leitete und dem Nationalsozialismus schon vor 1933 nahestand.18 Zum anderen liegt aus dem Jahr 1934 der Bericht eines altgedienten Parteigenossen der NSDAP aus dem Kreis Isenhagen vor, in dem er den Aufstieg der NS-Bewegung in seiner Region darstellt.19 Insbesondere letzterer liefert abseits des unvermeidlichen propagandistischen Beiwerks interessante Einblicke in die damalige politische Alltagstaktik der NS-Aktivisten vor Ort sowie über deren eher vage Vorstellungen von den eigentlichen Zielen der Hitlerpartei. Obwohl es sich hierbei um eine stark subjektiv geprägte Quelle handelt, soll sie dennoch in die Analyse einbezogen werden, denn sie wurde zu einer Zeit erstellt, als die beschriebenen Ereignisse noch nicht lange zurücklagen und die handelnden Personen noch lebten. Eine allzu offensichtlich unzutreffende Schilderung der Verhältnisse wäre demnach mit ziemlicher Sicherheit auf entsprechenden Widerstand gestoßen. Darüber hinaus stellte der außergewöhnliche Aufstieg der NSDAP im Kreis Isenhagen zur Zeit der Veröffentlichung eine Realität dar, so dass sich eine allzu geschönte Darstellung erübrigte.