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"Was ich notiert habe" gehört zu den beliebtesten Kolumnen in der deutschen Medienlandschaft. Jeden Monat freut sich ein großes Publikum auf die kleinen Alltagsgeschichten von chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer. Sie sind gut gelaunt erzählt, mal nachdenklich, meistens heiter und voll hintergründigem Humor. Eine Auswahl der Notizen aus dem Leben hat der Autor um weitere Essays ergänzt und legt sie nun als Buch vor. "Texte im Stil der Weisheit der vorletzten Dinge. Angenehm geerdet und doch mit Niveau." (Klaas Huizing über den "Fluch des Taxifahrers")
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Seitenzahl: 172
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ARND BRUMMER - NOTIZEN AUS DEM LEBEN
Der Fluch des Taxifahrers
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlaggestaltung und Satz:
Kristin Kamprad, Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH
Umschlagfoto:
Hartmut E.Rätsch
1. digitale Auflage:
Zeilenwert GmbH 2014
2., durchgesehene und aktualisierte Auflage
© Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH, Frankfurt am Main 2007
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist ohne schriftliche Einwilligung des Verlags unzulässig.
ISBN 9783869212173
COVER
TITEL
IMPRESSUM
ZUR NEUAUFLAGE
Arnd Brummer
VORWORT
Klaas Huizing
1. MAN IST MENSCH . . .
Überall wuchert der Sprachkrebs
Männer sind unreif, Frauen spielen nicht
Melde dich, wenn du in der Gegend bist
Darf man mit 44 schon alt sein?
Einfach mal Guten Tag sagen, einfach so
Von Bauern, Piraten und der Sehnsucht nach Glück
Die Vernunft – ein böser Scherz vom lieben Gott?
Wenn der Anstand abdankt, wird das Leben schön
Stadtluft mach frei und Dorfmief hält warm
Von Daniel, der sich unheimlich aufbrezelt
Mein Bestes bekommt ihr nicht!
Ein Hoch auf die bürgerliche Mischpoche!
„Was bringt mir das?“
Ein Hauch von Mensch, eine Spur
Wir jammern und klagen auf hohem Niveau
Mein Geburtstag vergisst er nie
2. ABENTEUER LEBEN
Der Fluch des Taxifahrers
Muss man denn ewig Häuser bauen?
Parzival schleppt Sprudelkisten
Mit Harry weit entfernt vom Paradies
Eine Scheibe Freude von Boris
Der heilige Antonius und das Goldene Kalb
„Außer dir und mir lauter Eseln auf der Redoute“
König Artus und die Toten im Saxetenbach
Nimm teil an deinem eigenen Leben
Urlaub
Lebensabend – die dritte Jugendzeit?
Zum Glauben gehört Leiden
3. DER SCHLAGZEILEN-ORDEN
Amoklauf: „ . . . und erlöse uns von dem Bösen“
Die Kultur des Holzhammers
Haupt-Sache
Forscher: Die Seele existiert! – Warum auch nicht?
Was mich und andere Sünder tröstet
Kampf und Tod der Diane Pretty
Exoten gesucht
Einfach nur spielen
Wenn alles nur Spaß ist, gibt’s nix zu feiern
Faustrecht oder Polizeistaat? Vom Sinn der Fairness
Wer ist schuld, wenn etwas schiefgeht?
Deutschland, deine Weißnixe!
Warum ist Amerika für viele der Satan?
Der Schlagzeilen-Orden
Der Papst wird evangelisch
Armut: Reich und seelisch bedürftig
DER AUTOR
QUELLENVERZEICHNIS
Texte werden lebendig – wenn sie jemand liest. Manche bewegen die Menschen über lange Zeit hinweg, weil sie Dinge behandeln, die von universaler Bedeutung sind. Kolumnen und Essays, wie sie in diesem Buch gesammelt sind, verfolgen dieses Ziel nicht. Sie entstehen aus einer Gegenwart und haben nichts anderes im Sinn, als Zeitgenossen zu erreichen. Manches erweist sich dann – hin und wieder durchaus zur eigenen Überraschung des Autors – als längerfristig haltbar. Anderes hat sein Haltbarkeitsdatum rasch erreicht oder sogar überschritten. Einer kritischen Durchsicht hält es für eine neue Auflage nicht stand. Das ist auch einigen wenigen Texten aus der ersten Auflage des vorliegenden Buches widerfahren. An ihre Stelle sind neuere Betrachtungen getreten. Mein Wunsch bleibt indes derselbe: Möge den geneigten Leserinnen und Lesern die Lektüre der vorliegenden Sammlung Anregung und Vergnügen bereiten.
Arnd Brummer
Frankfurt am Main, 10.September 2007
Arnd Brummers Feier des Lebens
Leitartikler!
Vorsicht! Hinter diesem Wort verbergen sich oft mentale Schwer(st)athleten. Tiefgründler der Befindlichkeiten. Sumo-Ringer angefressener und schwer verdaulicher Halbwahrheiten. Orientierungs-Halbwaisen. Wöchentliche Standpauker. Promovierte Briefkastenonkel mit Sondermarken. Zeitgeist-Spesenritter.
Kolumnisten!
Vorsicht! Das sind Lightartikler. Tanten aus der grellbunten Bussi-Szene. Emeritierte Sportler mit Blutgrätschendiplom und Hattrick-Mief. Aufgespritzte Busenwunder mit Insiderwissen! Blaublütige Ruinen mit grassierenden Steuerproblemen und Untervermieterschlössern.
Es geht aber auch ganz anders! Und wie!
Texte im Stil der Weisheit der vorletzten Dinge. Angenehm geerdet und doch mit Niveau. Alltagsweise und verschmitzt vorgetragen. Die kleine große Kunst der geerdeten sinnlichen Vernunft also.
In den vorliegenden Kurzessays aus dem ehemaligen „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ und der Rubrik „Was ich notiert habe“ aus „chrismon“ von Arnd Brummer kann man diese Kunst der kleinen Form jetzt endlich nachlesen. Oft sind es Grunderfahrungen des Alltags: das kleine Glück des Urlaubs und die Freude der Heimkehr, das knisternde Glück der Novembernachmittage, die kleine Dingmystik eines Eishockeypucks, der Lebensgewinn des Älterwerdens, die riesige Gunst der Freundschaft und Anteilnahme, der Mut zur Ansehnlichkeit, der Toast auf die bürgerliche Mischpoche, die kleinen, mittleren (und zuweilen großen) Kontingenzen, der alltägliche, oft auch fiese Kampf um Lebenschancen, zuweilen der Ausgriff ins Politische, das uns im Wohnzimmer via Kabel erreicht, religiöse Verstörungen (ja, auch religiöse Verstörungen), die Umsicht verlangen. Kurz: Alles, was Einhalt gebietet, Begegnungen im Foyer, auf der Party, im Billy-befreiten Wohnzimmer von Freunden, aber auch Begegnungen im Buch, im Museum oder vor der Glotze werden in wohlkomponierte Szenen übersetzt. Miniaturen des Heiligen, fein gearbeitet.
Man lernt Parzival privat kennen, wie er Wasserkisten schleppt (die anrührendste Geschichte, die keiner verpassen sollte), König Artus inkognito, Jesus in der ungealterten Gestalt des barmherzigen Samariters und etliche Alltagslegenden, die uns helfen, unser Leben in der akuten Unübersichtlichkeit zu deuten.
Arnd Brummer ist ein Großmeister der Situation, sagen wir genauer: ein Zeremonienmeister, denn was diese kurzen Texte durchzieht, ihr gut gelaunter Grundton, ist die fröhliche Feier des Lebens jenseits und diesseits aller Rechtfertigungsjargons und protestantischer Leidensfähigkeiten. Gegen die medial ausgerufene Spaßgesellschaft mit ihren schnell veraltenden Kicks und müden Hypes – dazu zählt Brummer auch das „Spießbürger-Biathlon“ des Fremdgehens, unterschieden vom kultivierten Flirt – plädiert Brummer für die Feier des Lebensabenteuers. Intendiert wird ein Sinneswandel, der sich in der Tat am runden Tisch beim guten Roten (es kann natürlich auch ein einfacher, ehrlicher Landwein sein, die eher protestantische Variante) am besten erreichen lässt. Brummer inszeniert stilsicher einen Gemeinsinn und liefert den Katechismus der Alltagsreligion gleich mit. Vernunft und alle Sinne gegeben. Die Betonung liegt auf dem „und“, vermutlich sogar auf dem zweiten Teil. In vino veritas. Vielleicht kann man in diesen Miniaturen am besten erlesen, was eine gelebte Alltagsreligion und Religionstheologie – unaufgeregt, dem Eifern abgeschworen, gewitzt und fröhlich – im besten Sinne leisten kann.
Leitartikler? Kolumnist?
Ein Sommelier der Alltagsreligion.
Klaas Huizing
Wer Kolumnen schreibt, muss Augen und Ohren im Alltag sperrangelweit aufmachen. Der Kolumnist ist immer auf Empfang, selbst wenn er rein zufällig Arbeitsbroschüren des Diakonischen Werkes zum Thema „Sterbebegleitung“ durchblättert. Oder wie es die Autoren dieses Heftes formulieren würden: Es ist notwendig, sich zur Durchführung der Umsetzung der Erstellung eines Beitrages, wie ihn der vorliegende darstellt, ab und zu die Nutzung einer Lektüre vorzunehmen.
Ich streife also mal wieder an einem Mittwochmorgen durch die Redaktion. In Gedanken bin ich beim Thema für die Kolumne: Treue. In den Fernsehberichten vom Finale der Fußballbundesliga waren mir Spruchbänder in den Stadien aufgefallen, auf denen sich „die Treuesten der Treuen“ mit aufmunternden Worten an ihre Idole zu Wort meldeten.
Da drückt mir ein Kollege eben jene Arbeitshilfe für Pflegerinnen und Pfleger in Altenheimen in die Hand. Sie soll es ihnen erleichtern, sterbende Menschen zu begleiten. Das interessiert mich, weil ich zufällig in den vergangenen Wochen mit Sterbebegleitern über ihre schwierige Aufgabe gesprochen habe. Alle haben voller Wärme und mit großem Ernst von ihrer Arbeit erzählt, auch von den Schwierigkeiten, von der Hilflosigkeit des Helfenden. So habe ich voller Neugier zu lesen begonnen.
Aber was ich da las, ließ mir den Atem stocken. Textprobe: „Eine Koordination zur Umsetzung der ‚Vernetzten Sterbebegleitung‘ in einer Einrichtung muss die Umsetzung der… genannten… Anforderungen im Auge behalten. Hierbei sind räumliche Voraussetzungen zur Gestaltung einer Abschiedskultur zu schaffen. Dazu müssen – in Anlehnung an die, Umsetzungsbausteine‘ und das Raster– Handlungsstrategien zur Umsetzung für die jeweilige Einrichtung erstellt werden.“
So geht das über viele Seiten. Eine vollkommen menschenleere Sprache. Eine Wüste von Passiven, Hauptwörtern mit -ung-Endung und befehlenden Infinitiven. Was muss das für eine Abschiedskultur sein, für die Voraussetzungen zu schaffen sind. Und welche Voraussetzungen braucht sie? Der Ton ist mir nur zu geläufig. Ein Musterbeispiel, kein Sonderfall: Die Metastasen des deutschen Krebsübels Verwaltungssprache wuchern überall.
Kein Absender zeigt sich. Dabei wäre das leicht zu ändern. Warum heißt es nicht: „Wir schlagen vor… “ an Stelle des abstrakten Befehls „Dazu müssen… “? Und warum wird das Publikum nicht direkt angesprochen, die Pflegenden, die Hausleiter? Etwa so: Sorgen Sie für eine entspannte Atmosphäre, sprechen Sie beim Einzug in Ihr Haus mit den Neuankömmlingen über Bestattungswünsche, über Religion und Rituale.
Die Autoren sind sicherlich gescheite Leute. Warum verstecken sie sich in abgelutschten Worthülsen und erzählen nicht von den Dingen, die sie anderen vermitteln wollen. Voraussetzungen für die Gestaltung einer Abschiedskultur sind zu schaffen! Das klingt nicht einladend, nicht motivierend. Das riecht nach „Maßnahmen“ und „Verwaltungsakten“. Das ist so deutsch wie verordnete Fröhlichkeit. Kann man als Ausbilder anders schreiben? Handelt man sich in Deutschland dann nicht den Vorwurf ein, unseriös zu sein, wenn man sich direkt an die Leser wendet? Offenbar meinen das Lehrer und Dozenten in unserer Schreibkultur und mühen sich geradezu ab, den Stoff möglichst verquast und menschenfern zu vermitteln, um als Wissenschaftler zu gelten. Die Autoren derartiger Texte ahnen wahrscheinlich nicht, dass sie sich dabei kulturell mit dem alten Obrigkeitsstaat gemeinmachen, der es dem Untertan untersagte, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an seine Handlungen anzulegen. Wer Zugänge eng macht oder verstopft, will seinem Publikum keinen Dienst erweisen, will nicht dienen, sondern verhält sich arrogant: Wenn du nicht kapierst, was ich meine, bist du selbst schuld. Wahrscheinlich bist du einfach nicht gut genug, um mich zu begreifen!
Keiner kann mir übrigens weismachen, dass er Texte wie den oben zitierten aus fachlichen Gründen so habe schreiben müssen. Eher vermute ich persönliche Motive, wenn sich jemand hinter Hauptwort-Monstern und Infinitiv-Ungeheuern versteckt. Wer ungeschützt redet und schreibt, wer sich im wahren Sinn des Wortes klar „äußert“, muss alles auf die eigene Kappe nehmen. Andererseits winkt ihm als Preis, die Angesprochenen als lebende Menschen, nicht als Strukturen oder andere Papiertiger zu erreichen. Das wäre doch die Anstrengung wert, oder?
Damit ist die Vollstreckung der Vollendung der Durchführung des Schreibaktes abgeschlossen.
Am Neujahrstag telefonierte ich mit meinem alten Freund Kurt. Nachdem wir die üblichen Fragen (Kinder, Frau, Gesundheit, Beruf) abgearbeitet hatten, verwendeten wir noch ein paar Minuten auf Marius und Sulla, auf Caesar und Pompejus und auf das Ende der römischen Republik. Kurt ist immer noch der Meinung, dass die Unfähigkeit des römischen Senats, eine der Supermacht angemessene Regierungsform zu schaffen, auf jeden Fall zu einem Putsch von oben geführt hätte. „Wenn nicht durch Caesar, dann durch einen anderen.“
Rom ist immer Thema, wenn Kurt und ich miteinander sprechen – seit mehr als zwanzig Jahren. So lange kennen wir uns. In den Augen unserer Frauen pflegen wir eine mehr oder minder absurde Marotte, wenn wir uns heftigst über den Geisteszustand des späten Sulla ereifern oder über die Bedeutung Ciceros als Staatsmann streiten. Uns aber tut es gut, einen zu kennen, mit dem man diese Themen ernsthaft erörtern kann. Kurt ist ein viel beschäftigter Wirtschaftsanwalt. Er arbeitet in einem Milieu, in dem man höchstens seinen Airedale-Terrier Sulla nennt.
Mit meinem Cousin Marco erörtere ich vorwiegend die Bedeutung Eric Claptons und die von Jimmy Page für die Entwicklung der Rockmusik. Mit meinem Kollegen Gerd rezitiere ich im Wechselgesang Aufstellungen deutscher Fußballnationalmannschaften von 1954 bis 2002.Mit Fritz bin ich auf der Suche nach der ultimativen Methode, Weißwürste zu enthäuten. Die Treffen mit Mike dienen dem Austausch über die wirkungsvollsten Migränemedikamente. Urlaubsziele sind der bevorzugte Gegenstand bei Zusammenkünften mit Pit.
Jede Beziehung hat ihren eigenen Gehalt. Und keine ist durch die andere zu ersetzen. Jede Beziehung ist ein Stückchen Zuhause, ein bisschen Heimat, ein Feld, das man mit einem ganz bestimmten Partner teilt. Jede Beziehung ist eine seelische oder geistige Nachbarschaft. Dort, wo die gemeinsamen Themen liegen, berühren sich die Sphären.
Was uns Rom bedeutet, muss außer Kurt und mir niemand verstehen. Wir spielen unser Spiel. Nur das ist wichtig. Es geht uns nicht um Rom. Rom ist unser Mittel zum Zweck: eine Viertelstunde freundschaftlicher Begegnung. Andere spielen miteinander Tennis. Da frage keiner, ob sie nicht besser Tischtennis oder Billard miteinander spielten.
Männer, hat mir neulich eine kluge Frau erzählt, seien sozial behindert. Sie bräuchten entweder einen Ball, ein Hobby oder ein abstruses gemeinsames Thema, um einander näherzukommen, nahe zu bleiben, befreundet zu sein. Nur im Spiel könnten sie sich öffnen. Von Mann zu Mann komme es nur selten zu echten intimen Gesprächen. Was ist echt? Was heißt intim? „Tja“, antwortete die kluge Frau, „Männer bleiben bis ins hohe Alter ein wenig infantil, sind große kleine Jungs, ein wenig unreif.“
Mag sein, sagte ich. Mehr wusste ich zunächst nicht zu erwidern. Dann fragte ich die kluge Frau, ob sie noch Tennis spiele im Damenteam des TCK. „Nee“, erzählte sie, „wir haben uns gerade aufgelöst. Wir sind völlig verkracht miteinander.“ Sie solle sich nichts daraus machen, riet ich ihr. Dass Frauschaften in Streit und Hader auseinanderbrächen, sei völlig normal. Frauen seien einfach zu reif, um Spiel und Ernst auseinanderhalten zu können. Spielen um des Spiels willen, ein Hobby ohne sonstige Bedeutung, das müssten sie den unreifen, infantilen Männern überlassen.
„Wollen Sie damit behaupten, Frauen könnten nicht spielen?“ So absolut wollte ich es nicht formulieren, entgegnete ich. Immerhin ein Spiel, das man nur um seiner selbst willen spielt, hätte ich mit Frauen gerne, oft und mit größtem Vergnügen inszeniert: den folgenlosen Flirt. Über Rom, Eric Clapton und Fußball werde ich mit dieser Frau nie reden können, dachte ich beim Abschied. Aber die Unterschiede zwischen den Geschlechtern – das könnte unser Thema werden!
Vor ein paar Tagen, kurz nach der Tagesschau, klingelte unser Telefon. „Hier ist Michael! Hallo Arnd, lange nichts von mir hören lassen. Wie geht es dir?“ Michael, Michael? Die Stimme kam mir bekannt vor. Mein Gehirn ratterte die Träger dieses Namens durch. In die Pause hinein reagierte mein Gegenüber: „Michael Degen! Sevilla, Córdoba. Na, dämmert’s?“ Degen, Degen? Der kleine blonde Fotograf? „Genau. Aber so klein bin ich eigentlich gar nicht.“ Michael Degen. Die Andalusientour mit dem Ballett. Da war ich noch Kulturredakteur in Stuttgart. Also, das ist mindestens fünfzehn, eher zwanzig Jahre her. „Was, so lange? Ehrlich? Da siehst du, wie die Zeit vergeht.“
Fröhlich quasselte die Stimme auf mich ein. Erzählte kurz, dass er immer noch in Frankfurt/Main wohne, aber längst nicht mehr bei dieser Agentur von damals arbeite. Dass er inzwischen geheiratet habe, zwei Kinder, aber schon seit acht Jahren geschieden sei. Okay. Schön. Oder besser: schade.
Nein, er lebe jetzt endlich mit der Frau seines Lebens zusammen. Eine Esoterikerin. Mit der habe er jetzt ein Buch gemacht. Über das Blumenhoroskop. „Die kennst du aus dem Fernsehen, war schon in diversen Talkshows.“ Erika von Dings, ich konnte mit dem Namen nichts anfangen. „Die kennst du. So ’ne große Rotblonde.“ Nee! „Nee? Macht nichts.“
Degen. Michael Degen. Drei Abende in Spanien. Vor fast zwanzig Jahren. Vermutlich haben wir am Flughafen Adressen ausgetauscht und einander versichert, dass wir uns melden würden, wenn wir in der Gegend seien. So fragte ich: Bist du in der Gegend?
„Nein. Aber ich wollte dich schon lange mal anrufen. Fand ich toll, die Gespräche damals mit dir. In dieser Bodega.“ Bodega? „Das weißt du doch noch. Wo uns dieser Kerl, dieser besoffene Kollege aus Hamburg, so auf den Senkel ging!“ Null, nichts. Ein schwarzes Loch. „Du hast ihm so richtig die Luft rausgelassen, diesem Angeber.“ Das schmeichelte mir, meinem Erinnerungsvermögen half es nicht auf die Sprünge. Allmählich wurde ich ein wenig ungeduldig.
Ich wollte nicht unhöflich sein. Und als er mich dann befragte, was ich so erlebt hätte, ließ ich mich zu einigen biografischen Angaben verführen: verheiratet, Kind, glücklich, zufrieden. „Kinder sind das Größte“, begann Michael sein neues Solo. Seit er Kinder habe, wisse er erst, was wichtig im Leben sei. Er sehe sie jedes zweite Wochenende. Eisern. Die Kinder bräuchten den Vater, da sei er sich mit seiner Ex einig.
Deswegen, so quoll es mir in den Kopf, hat er mich doch aber nicht angerufen. Irgendwas will der von dir! Soll ich ihn direkt fragen: Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes? Nein, das wäre zu brüsk. Schön, deine Stimme zu hören? Wäre gelogen. Hat dein Anruf einen bestimmten Grund? Kann ich dir helfen? Will ich zwar nicht, aber so geht’s. „Nein, gar nicht!“ Das klang fast ein wenig beleidigt. „Wollte einfach nur mal wissen, ob du noch lebst und wie es dir geht und überhaupt.“ Das machte mich verlegen.
Wir plauderten noch ein paar Minuten. Über seinen Job, über meinen. Über seinen Urlaub, über meinen. Ich erfuhr, dass sein Vater vor kurzem gestorben sei. Ein freundlicher Mensch, dieser Michael.
Also, er hat jetzt meine Adresse. Und wenn er mal in der Gegend ist, dann meldet er sich und wir trinken einen Kaffee. „Mach ich auf jeden Fall. Jetzt, da wir wieder Kontakt haben, darf er nicht wieder einschlafen, hörst du! Und du meldest dich, wenn du mal in Frankfurt zu tun hast!“ Ehrensache. Also dann, tschüss, mach’s gut, Michael.
„Halt, bevor ich es vergesse: Darf ich dir mal unser Buch schicken? Vielleicht findest du eine Möglichkeit, es zu besprechen.“ Ich wusste es doch! Die Leute melden sich nur, wenn sie etwas wollen. Aber ist das schlimm? Nein, schlimm ist es nicht. Als wir die Idee hatten, in Kärnten Urlaub zu machen, habe ich Gerti angerufen. Nach mehr als zehn Jahren. Weil sie doch aus Kärnten stammt und vielleicht was wüsste. Hallo, hier ist Arnd. Arnd Brummer. Wir sind uns mal auf einem Fest bei Joachim Hotz begegnet.
„Nichts ist umsonst“, pflegte mein Großvater zu kalauern, „außer dem Tod. Und der kostet das Leben.“ Der alte Herr sagte das so oft, dass wir Jungen allerhöchstens noch genervt die Augen verdrehten oder die Lippen zu einem müden Grinsen verzogen. Nun bin ich ein Mittvierziger und meine Familie registriert bei mir die Neigung, mich zunehmend mit Binsenweisheiten in ernste Gespräche einzuschalten. Schlimmer noch: Mir fällt selbst auf, wie häufig ich unterschiedlichste Nachrichten mit solch fatalistischen Allerweltsbotschaften kommentiere.
Wenn meine Frau über das Wetter klagt, so rate ich: Man muss es nehmen, wie es kommt. Es lässt sich sowieso nicht ändern. Wenn mein Nachbar empört berichtet, wie ihn ein Verkäufer über den Tisch gezogen hat, heißt mein Trost: So sind sie, die Leute. Mit Katastrophen konfrontiert, reagiere ich bündig: Das Leben sei nun mal lebensgefährlich. Meine Fähigkeit, mich aufzuregen, nimmt rapide ab. Der Beginn der Vergreisung? Der Anfang vom Ende? Nackter Überdruss am Gewoge der Welt?
Was Opas Lieblingsfloskel angeht, muss ich leider feststellen, dass sie stimmt. Alles hat seinen Preis. Jede Entscheidung für etwas im Leben ist auch eine gegen etwas anderes. Neue Chancen bringen neue Probleme.
Ich wollte nie glauben, dass derart schlichte Erkenntnisse eine Frage des fortschreitenden Alters, der wachsenden Lebenserfahrung sind. Aber es stimmt: Je mehr Freud und Leid man erlebt hat, desto schwerer ist man aus der Ruhe zu bringen. Das ist total normal und wird nicht dadurch originell, dass ich es erlebe.
Was mich beunruhigt, ist der Zeitpunkt, zu dem ich diese Entwicklung bei mir feststelle. Bei einem 80-Jährigen würde ich stoischen Gleichmut als eine Art Altersweisheit bewundern. Aber ich bin erst 44! Und schon auf dem Weg zum Grufti? Klar, man hat seine Träume. Noch einmal nächtens über Zäune klettern und Kirschen stehlen. Leben, ohne die Schere der Vernunft im Kopf. Ein Motorrad anschaffen. Oder wenigstens Inlineskates. Letztere habe ich mir gekauft. Nun stakse ich mit meinem kleinen Sohn durch unser Neubaugebiet, zum Gaudium der Nachbarschaft. Ein Narr auf Rollen.
Ich weiß aus der Werbung: Jeder ist so alt, wie er sich fühlt. Manchmal fühle ich mich ziemlich alt. Darf ich das denn nicht, verdammt noch mal! Natürlich darf ich, beruhigt mich die einschlägige, von älteren Männern produzierte Literatur. So sieht sie aus, die Midlifecrisis! Der Mensch im Übergang. Man zappelt und wehrt sich. Und beginnt doch, das neue Stadium der Reife zu genießen. Abwechselnd beneidest und bedauerst du die Jungen.
Neulich an der Supermarktkasse: Vor mir in der Schlange ein frischverliebtes Pärchen, Anfang 20, das nicht voneinander lassen kann. Knutschen, streicheln, turteln. Und ich muss noch zur Post! Und die macht zu! Die Frau an der Kasse, in meinem Alter, sieht’s auch und wartet zehn Sekunden. Dann ruft sie: „Kinder, wollt ihr nicht den jungen Mann vorlassen. Ich glaub, der hat es eilig.“ Ich schrecke auf: „Nee, lassen Sie nur. Ich weiß noch, wie schön das ist. Und danke für den, jungen Mann‘.“ Das Pärchen errötet, die Kassiererin errötet und auch mir brennen die Wangen. Das Leben der Älteren kann aufregend schön sein.