Der fünfte Junge - Manfred Faschingbauer - E-Book

Der fünfte Junge E-Book

Manfred Faschingbauer

4,9

Beschreibung

Schock für Moritz Buchmann! Der bekennende Naturverweigerer muss in den Bayerischen Wald, um dort den Mord am 84-jährigen Georg Koller aufzuklären. Seine Ermittlungen führen ihn auf den Großen Arber und nach Kirchbach, den Wohnort des Opfers. Bald finden sich Hinweise auf Verbindungen zur Crystal-Szene im nahen Tschechien. Und da gibt es auch noch die Resi mit ihren Geschichten und dieses Bild im Schlafzimmer von Georg. Kommissar Buchmann, der so schnell wie möglich nach München zurückkehren möchte, ahnt, dass er länger im Bayerischen Wald bleiben muss, als ihm lieb sein kann.

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Seitenzahl: 357

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Leseprobe eBook Ausgabe 2015
©2015 SPIELBERG VERLAG, Regensburg
Umschlaggestaltung: Spielberg Verlag
Umschlagfotos: Fontanis, Osorioartist, © fotolia.com
Lektorat: Sigrid Müller
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Der weite Weg nach Osten

Kirchbach zum Ersten

Auf dem Kollerhof

Resi

Doktor Kreitingers Sammlung

Regensburg

Drachentöter

Feuer

Napola

Kirchbach zum Zweiten

Kesselfleisch

Die Flieger

In den Archiven

Liebe und Tod

Zwei Anrufe am Morgen

Auf dem Gottesacker

Die missglückte Rettung des Jakub Nowak

Im Gasthaus Zur Post

Gelbe Orchideen

Der fünfte Junge

Damals – 1939

Heute

Damals - 1945

Noch einmal Heute

Epilog

Manfred Faschingbauer, 1963 in Bad Kötzting geboren, ist seit seiner Kindheit begeisterter Leser, Phantast und nun auch noch Autor. Nach einigen Kurzgeschichten und einem Ausflug ins Science Fiktion Genre ist ›Der fünfte Junge‹ nicht nur seine erste Veröffentlichung, sondern auch eine Rückkehr zu den Wurzeln seiner Heimat.
Manfred Faschingbauer lebt mit seiner Familie in Blaibach im Bayerischen Wald.
 Liebe(r) Leser(in),
Georg Koller stirbt im Mai des Jahres der vierten deutschen Fußballweltmeisterschaft und wohl die meisten seiner Kirchbacher Mitbürger würden die Frage, ob ihn dieser Titel überhaupt interessiert hätte, mit einem klaren »Nein« beantworten. Der als verschrobener Einzelgänger bekannte alte Mann hat seinen Heimatort mit Ausnahme einer kurzen, unfreiwilligen Unterbrechung Zeit seines Lebens nicht verlassen. Hierhin, ins Flusstal des Regens, dort, wo im wirklichen Leben die knapp 2000 Einwohner Blaibachs leben, lieben und sterben, verschlägt es nun auch Kommissar Moritz Buchmann, der Georgs Tod  aufklären soll.
Sowohl das echte Blaibach als auch das Kirchbach Georg Kollers rühmen sich einer Gärtnerei und einer der hl. Elisabeth geweihten Rokokokirche. Auch gelangt man von Kreuzbach kommend nur über die, für die Beteiligten dieser Geschichte so schicksalhafte Brücke in das Dorf. Damit erschöpfen sich aber auch schon die Gemeinsamkeiten, sieht man einmal davon ab, dass es sich bei beiden um typische Bayerwalddörfer zu Beginn des dritten Jahrtausends handelt.
Sicher werden sich die älteren Blaibacher noch an ihren hochgeachteten Pfarrer Ferdinand Köstler erinnern, der mit seiner Leidenschaft für die Fotografie Generationen von Blaibachern bleibende Erinnerungen an schöne, aber auch harte Tage geschenkt hat und damit Pate für den Pfarrer Steiner in der folgenden Geschichte steht. Auch einige andere Begebenheiten der Handlung sind der Realität entnommen. So starben auf dem Todesmarsch von Flossenbürg, der in Wetterfeld bei Roding endete, ebenso unschuldige Menschen, wie Flüchtlinge im Bombenhagel am Miltacher Bahnhof.
Das Kapitel Zwangsarbeiter war auch hier traurige Realität und wenn sie einmal in die Seewand über dem Großen Arbersee kommen sollten, werden sie feststellen, dass auf ihrem Weg ein Marterl an den 1939 abgestürzten Dr. Alex Schulz erinnert. Im Übrigen jedoch sind Geschichte und Personen frei erfunden und dienen nur einem Zweck: Sie auf den nächsten Seiten gut und spannend zu unterhalten.

Prolog

Als er den Geschmack von Blut auf seinen Lippen spürte, wusste er, dass die Tür ins Jenseits für ihn weit offen stand. Er verspürte keine Schmerzen, doch als vorhin das Messer, den Weg zwischen zwei Rippen hindurch findend, in seine Lunge eingedrungen war, hatte ihn der Stich zu Boden gerissen. Er wusste nicht, wie lange er ohne Bewusstsein gewesen war und jetzt stolperte er bergab den steinigen Weg entlang, bemüht, nicht zu fallen.

Das Loch in seiner Lunge erzeugte beim Atmen Geräusche, die nach Tod und Ende klangen. Beim Einatmen blubberte und knarzte es, beim Ausatmen riss ein Pfeifen und Ziehen an seinen Nerven. Tief unter ihm vermeinte er das Glitzern des Sees zwischen den Bäumen zu erkennen, doch war er sich nicht sicher, ob dies nicht bereits erste Anzeichen des nahen Endes waren. Sein Blick verschleierte sich und seine Gedanken begannen, zu kreisen.

Wieso war er hier herauf gekommen? Aber natürlich wusste er, warum er noch einmal in die Wand gestiegen war, hier über dem See, dort wo das Fliegermarterl stand. Hier, wo alles begonnen hatte, musste es also auch enden. Vielleicht war es ja gut so. Vielleicht konnte er jetzt in Frieden schlafen, nach all den Jahren.

Doch warum jetzt?

Was war geschehen? Es schien, als wäre das alles in einem anderen Leben passiert und dennoch hatte ihn die Geschichte eingeholt. So wie ihn nun die Angst einholte. Nicht jene Angst, welche den Magen flau und die Knie weich werden lässt. Nein, es war die Art von Angst, die sich mit scharfen Zähnen in den Körper krallt und ihn lähmt. Er hatte sein ganzes Leben nur einmal eine solche Angst verspürt. Das war damals gewesen, als die Polizisten gekommen und seine Freunde gestorben waren. Damals in einem anderen Leben, einer anderen Zeit.

Namen zuckten wie Blitze durch sein Gedächtnis. Namen von Freunden und Menschen, die ihn für einen Freund gehalten hatten: Franz, Karl, Norbert, der Baron und Steffi.

Mein Gott, Steffi!

Dann Thomas und der Pole. Aber nein. Thomas, das war die Gegenwart.

Er fühlte, dass sein Tod unmittelbar bevorstand. Seine Lunge füllte sich mit Blut und sog gierig nach Luft. Dann kippte er vornüber auf die Knie. Er lehnte den Kopf an die mit feuchtem Moos überzogene Felswand. Noch einmal klärte sich sein Blick und er griff nach einem Stück Holz, das am Boden lag. Zitternd ritzte er einige Buchstaben in das Moos.

Ein letzter verzweifelter Atemzug.

Dann nur noch Dunkelheit!

Der weite Weg nach Osten

Es sind Zwillinge, die mich durch diesen Morgen begleiten. Sie tragen ungewöhnliche Namen, die da Wetter und Laune heißen. Geschwister im Ungeiste sozusagen. Den wolkenverhangenen Himmel über München, begleitet von nasskaltem Nieselregen kann ich nicht erklären. Meinen Gemütszustand schon. Auch Sie würden sich so fühlen, wäre Ihnen Gleiches widerfahren, das können Sie mir glauben. Dabei hat der Tag begonnen, wie jeder andere auch. Frühstück, Zeitung und Gang zur Dienststelle des LKA München. Routine eben. Bis zum Acht-Uhr-Kaffee. Kaum zurück aus der Kantine hielt das Schicksal, in Person meines Vorgesetzten, seinen Witz des Tages für mich bereit.

Ein neuer Fall – normal!

Unterstützung der Kripo Regensburg – machbar!

Eine Mordsache – ok!

Der Tatort – katastrophal!

Als Mitglied des Landeskriminalamts München hatte ich bisher Glück bei meinen Einsätzen. Diese hatten mich, falls sie außerhalb der bayerischen Hauptstadt stattfanden, schon mal nach Regensburg, Augsburg oder schlimmstenfalls Straubing geführt. Ich werde des Öfteren Mordkommissionen außerhalb zugeteilt und wünschte, ich könnte behaupten, dies geschieht aufgrund meines herausragenden Könnens. Nun, meine Aufklärungsquote ist ganz passabel. Sie reicht jedoch offensichtlich nicht, um mich auf die großen Fälle in der Hauptstadt anzusetzen.

Für die Provinz ausreichend, sozusagen. Dabei wissen doch alle, wie ich das hasse!

Gut, ich bin wohl selbst nicht ganz schuldlos an dieser Situation. Wahrscheinlich fand mein Verhalten nach der Trennung von Andrea einen nicht unerheblichen Niederschlag in meiner Personalakte. Meine Auszeit war kurz aber heftig gewesen und ist meiner Karriere nicht eben förderlich. Seither werde ich bei Beförderungen zurückgestellt und bin mit meinen fast vierzig Jahren noch immer Kriminaloberkommissar. Aber damit kann ich leben.

Ehrlich!

Was mir wirklich zu schaffen macht, ist dieser Fall.

Der Mord ist außerhalb der Grenzen der Zivilisation passiert! Im Osten, weit im Osten. Schon meine aus Passau stammende Großmutter – Gott hab sie selig – hatte die Gegend Bayerisch Sibirien genannt, eine Bezeichnung, die bei einem überzeugten Großstädter, wie ich es nun mal bin, mehr, als nur Unbehagen erzeugt. Auch mein Vater war nicht gut auf diesen Teil Bayerns, der sich nordöstlich der Donau bis zur tschechischen Grenze erstreckt, zu sprechen. Ob das nur an dem Ereignis lag, als meine Eltern bei einem Kurzurlaub im Nationalpark mit Schimpfwörtern belegt worden waren, die ich als Kind nicht einmal verstanden habe – und das auch nur, weil sie in perfektem Münchner Hochdeutsch nach dem Weg gefragt hatten – oder ob es die insgesamt eher raue Art der Bewohner des Waldes war, entzieht sich meinem Wissen.

Schon die Bezeichnung Nationalpark weckt in mir ein gewisses Misstrauen. Ich assoziiere diesen Begriff mit unbekannter Wildnis. Was kann man hier bestaunen? Pflanzen, wilde Tiere – doch wohl hoffentlich nicht! – oder gar die Menschen dort? Eigentümlich genug sollen sie ja sein.

Wehmütig fliehen meine Gedanken zurück zum gestrigen Abend, den ich mit meinem Kumpel Marcel zusammen bei einem Glas Brunello verbracht habe.

Marcel – nicht lachen – Biedermann und mich trennen und verbinden unterschiedliche Weltanschauungen, Lebensauffassungen und Fußballvereine. Stundenlange Streitgespräche und Diskussionen haben uns über die Jahre zusammengeschweißt und das Fundament einer echten Männerfreundschaft gelegt. Ja, Marcel wenn schon – denn schon, wie ich ihn nach seinem Lieblingsausspruch, den er bei jeder passenden und manchmal auch unpassenden Gelegenheit von sich gibt, insgeheim nenne, dürfte bei genauer Betrachtung mein einziger Freund sein.

Ich lasse die Autobahnausfahrt zum Münchner Flughafen hinter mir und schon lichtet sich der Verkehr auf der A 9. Eine gute Gelegenheit, um einen Blick auf den Beifahrersitz zu riskieren, wo Melanie Güßbacher die Nachwehen einer langen Nacht wegschläft. Ich kenne sie seit meinem letzten Einsatz für das Morddezernat in Regensburg und auch diesmal sollen wir zusammen einen unnatürlichen Tod aufklären. Mel, wie ich sie nennen darf, hat dieses Wochenende bei ihrem derzeitigen Bettgenossen in München verbracht. Nachdem sie vom Leiter des Dezernats, Kriminalhauptkommissar Schulz über ihren Einsatz informiert worden war, rief sie mich an und ich habe sie abgeholt.

Ein langer Kuss ihres Freundes zum Abschied reichte, um Neidgefühle in mir zu wecken. Nichts, um meine Laune zu bessern. Melanie Güßbacher ist nicht nur eine hervorragende Polizistin, nein, sie sieht auch noch fabelhaft aus. Natürlich hat sie eine tolle, sportliche Figur und ihr kurzes, brünettes Haar lässt ihr bezauberndes Gesicht vorteilhaft zur Geltung kommen. Kein Wunder, dass sie bei allen Kollegen beliebt ist.

Ihr Anblick schafft es tatsächlich, meine Stimmung um zwei Punkte auf einer Skala von 0 – 10 auf die Drei zu heben. Mehr ist nun wirklich nicht drin! Schließlich ermittelt unsere Mordkommission im Fall Georg Koller. Der Vierundachtzigjährige war mitten im Wald gestorben. Mitten im Wald ist noch nicht alles. Auf einem Berg, in der Steilwand. Das ist nun sicher nichts Ungewöhnliches. Georg Koller jedoch hat es vorgezogen, nicht wie andere Herren seines Alters eines natürlichen Todes zu sterben. Nein, er hat die Unverschämtheit besessen, sich ermorden zu lassen.

In der Wildnis!

Auf einem Berg!

Allein der Gedanke reicht, meine Stimmung wieder um einen Punkt zu drücken.

Mel hat auf unseren Einsatzort gänzlich anders reagiert. Auch sie ist überzeugte Großstädterin, doch ganz im Gegensatz zu mir endet für sie die Welt nicht an der Stadtgrenze. Weltoffen und für alles Neue zu begeistern, ist sie mit ihren 28 Jahren bereits weitgereist und ohne Vorurteile gegen andere oder anderes.

Wieder blicke ich zu ihr hinüber. Was sie wohl letzte Nacht gemacht hat? Dumme Frage Moritz! Natürlich weiß ich, was sie gemacht hat. Ich bin wirklich neidisch auf diesen Burschen.

Wirklich und wahrhaftig!

Konzentrier dich aufs Fahren, ermahne ich mich und starre auf die Autobahn, die uns gnadenlos weiter nach Osten bringt. Es will nicht richtig hell werden an diesem Tag. Die Lichter der Autos spiegeln sich im nassen Asphalt. Ich konzentriere mich auf die Straße und bemühe mich, die Gedanken an die kommende Aufgabe zu verdrängen.