Der gefallene Engel - J. R. Ward - E-Book

Der gefallene Engel E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Lassiter, der gefallene Engel mit einer Vorliebe für extravagante Kleidung und trashige TV-Shows, wird seiner Aufgabe als Hüter über das Schicksal aller Vampire mehr als gerecht. Als er jedoch den Lauf desselben verändert, soll er aus Caldwell abgezogen werden. Ausgerechnet jetzt, wo er sich in die ebenso geheimnisvolle wie atemberaubend schöne Rahvyn verliebt hat. Als sich auch noch die längst besiegt geglaubten Lesser zu neuer Macht erheben, drohen sich die Ereignisse in der Welt der BLACK DAGGER zu überschlagen. Und plötzlich muss der einst so unbeschwerte Engel kämpfen – für die Vampire und für seine große Liebe ...

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Das Buch

Lassiter, der gefallene Engel mit einer Vorliebe für extravagante Kleidung und trashige TV-Shows, wird seiner Aufgabe als Hüter über das Schicksal aller Vampire mehr als gerecht. Als er jedoch den Lauf desselben verändert, soll er aus Caldwell abgezogen werden. Ausgerechnet jetzt, wo er sich in die ebenso geheimnisvolle wie atemberaubend schöne Rahvyn verliebt hat. Als sich auch noch die längst besiegt geglaubten Lesser zu neuer Macht erheben, drohen sich die Ereignisse in der Welt der BLACK DAGGER zu überschlagen. Und plötzlich muss der einst so unbeschwerte Engel kämpfen – für die Vampire und für seine große Liebe ...

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestsellerlisten eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als Star der romantischen Mystery.

Ein ausführliches Werkverzeichnis der von J. R. Ward im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Bücher finden Sie am Ende des Bandes.

J. R. Ward

Der Gefallene Engel

Ein BLACK DAGGER-Roman

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Titel der Originalausgabe:

LASSITER

Aus dem Amerikanischen von Bettina Spangler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich

geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und

Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor.

Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 12/2023

Redaktion: Anneliese Schmidt

Copyright © 2023 by Love Conquers All, Inc.

Copyright © 2023 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Autorenfoto © by John Rott

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-30774-5

www.heyne.de

Gewidmet:

Wrath. Der vor beinahe zwanzig Jahren meinen Weg kreuzte und mir seine Welt zeigte. Lassiters Geschichte, genau wie die aller anderen, die je waren und je sein werden, beginnt und endet mit dir.

Danksagung

Vielen, vielen Dank an die Leser der Black-Dagger-Reihe! Es ist eine lange, wunderbare, aufregende Reise mit euch und der Bruderschaft, und ich kann es kaum erwarten zu sehen, was in dieser Welt, die wir alle so lieben, als Nächstes passiert. Ich möchte Meg Ruley, Rebecca Scherer und dem Team bei JRA danken, außerdem Hannah Braaten, Jamie Selzer, Sarah Schlick, Jennifer Bergstrom, Jennifer Long und der gesamten Gallery- und Simon&Schuster-Familie.

Ans Team Waud: Ich liebe euch alle. Ehrlich. Alles, was ich tue, mache ich aus Liebe und Bewunderung für meine Familie, sowohl die blutsverwandte als auch die frei gewählte.

Ach ja, und danke an Naamah, meinen Writer Assistant Nummer zwei, und Obie, Writer Assistant in Ausbildung. Sie arbeiten beide genauso hart an meinen Büchern wie ich!

Glossar der Begriffe und Eigennamen

 Ahstrux nohtrum – Persönlicher Leibwächter mit Lizenz zum Töten, der vom König ernannt wird.

 Die Auserwählten – Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. In der Vergangenheit waren sie eher spirituell als weltlich orientiert, doch das hat sich mit dem Aufstieg des letzten Primal geändert, der sie aus dem Heiligtum befreite. Nachdem sich die Jungfrau der Schrift aus ihrer Rolle zurückgezogen hat, sind sie völlig autonom und leben auf der Erde. Doch noch immer nähren sie alleinstehende Brüder und solche, die sich nicht von ihren Shellans nähren können, sowie verletzte Kämpfer mit ihrem Blut.

 Bannung – Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

 Die Bruderschaft der Black Dagger – Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge sorgfältiger Auswahl der Fortpflanzungspartner besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

 Blutsklave – Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven wurde vor Kurzem gesetzlich verboten.

 Chrih – Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.

 Dhunhd – Hölle.

 Doggen – Angehörige(r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

 Ehros – Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

 Exhile Dhoble – Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.

 Gesellschaft derLesser – Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

 Glymera – Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

 Gruft – Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen als auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

 Hellren – Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

 Hohe Familie – König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

 Hüter – Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

 Hyslop – Aussetzer im Urteilsvermögen, der klassischerweise zur Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder dem Abhandenkommen eines Fahrzeugs führt. Wenn zum Beispiel jemand den Zündschlüssel stecken lässt, während das Auto über Nacht vor dem Haus parkt, und besagtes Versehen in unerlaubten Spritztouren Dritter resultiert, so ist dies ein Hyslop.

 Jungfrau der Schrift – Mystische Macht, die dem König bis in jüngste Zeit als Beraterin diente sowie die Vampirarchive hütete und Privilegien erteilte. Existierte in einer jenseitigen Sphäre und besaß umfangreiche Kräfte. Gab ihre Stellung zugunsten einer Nachfolge auf. Hatte die Befähigung zu einem einzigen Schöpfungsakt, den sie zur Erschaffung der Vampire nutzte.

 Leahdyre – Eine mächtige und einflussreiche Person.

 Lesser – Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

 Lewlhen – Geschenk.

 Lheage – Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

 Lhenihan – Ein mystisches Biest, bekannt für seine sexuelle Leistungsfähigkeit. In modernem Slang bezieht es sich auf einen Vampir von immenser Größe und sexueller Ausdauer.

 Lielan – Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.

 Lys – Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.

 Mahmen – Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

 Mhis – Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

 Nalla oder Nallum – Kosewort. In etwa »Geliebte(r)«.

 Novizin – Eine Jungfrau.

 Omega – Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

 Phearsom – Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

 Princeps – Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

 Pyrokant – Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesferse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

 Rahlman – Retter.

 Rythos – Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Schuldigen entgegen.

 Schleier – Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

 Shellan – Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

 Symphath – Eigene Spezies der Vampire, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den anderen Vampiren gejagt. Sie sind heute nahezu ausgestorben.

 Talhman – Die böse Seite eines Vampirs. Ein dunkler Fleck auf der Seele, der ans Licht drängt, wenn er nicht ganz ausgelöscht wird.

 Trahyner – Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.

 Transition – Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

 Triebigkeit – Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

 Vampir – Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber vollkommen ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

 Vergeltung – Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

 Wanderer – Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht, und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

 Whard – Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.

 Zwiestreit – Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

1

11287 Gordon Memorial Parkway, Caldwell, New York

»Und, was sagst du? Sieht mein Hintern groß aus in dem Teil?«

Die Frage kam so ernst, dass man hätte meinen können, sie ergäbe irgendeinen Sinn. Und Eddie Blackhawk klappte doch tatsächlich den Kiefer auf und wollte gerade zu einer Antwort anheben, als er den Kopf schüttelte. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was du von mir hören willst.«

»Jetzt komm schon.« Sein engster Freund, Adrian Vogel, deutete fuchtelnd durch die Frontscheibe des grau-schwarzen Mini Coopers. »Du kannst ruhig ehrlich sein.«

Eddie brannte sich das Bild seines Kumpels ein, wie er ihn abwartend ansah, eine bleibende Erinnerung in seinem Gedächtnis, auf die er nach den vielen gemeinsamen Jahrhunderten gut und gern hätte verzichten können. Aber jetzt war sie ihm nun mal an den Haken gegangen: Ad war ein durch und durch gut aussehendes Bürschchen und hatte wirklich alles, was man sich von einem Hugh-Jackman-Lookalike in Sachen Größe und düsterer Ausstrahlung wünschen konnte, nur mit dem kompletten Sortiment einer Claires-Schmuckboutique behängt, mit jeder Menge Silberpiercings an den Nasenflügeln, der Unterlippe, den Ohrmuscheln und Gott weiß wo noch. Sein kahler Schädel war frisch rasiert – ein Werbespot mit Comedian und Frauenschwarm Pete Davidson hatte ihn dazu animiert, sich einen Manscaped-Trimmer zuzulegen. Jetzt wuchsen schon die ersten Stoppeln nach und zeichneten sich als leichter Schatten auf seinem Kopf ab. Er war komplett in Schwarz gekleidet. Auch seine Waffen waren schwarz, nur dass sie wie seine anzüglicheren Körperteile gut unter den Klamotten verstaut waren.

»Hallo? Erde an Eddie?«, riss ihn der andere gefallene Engel aus seinen Gedanken. »Was hältst du jetzt von der Karre, steht sie mir?«

»Ich frag mich ernsthaft, wie du es geschafft hast, deinen Allerwertesten da reinzuquetschen.« Eddie sah sich in dem schäbigen Autohaus um. »Warum sind wir gleich noch mal hier?«

»Das heißt Arsch.« Adrian stieg aus, und sein muskelbepackter Körper entfaltete sich zu seiner gewohnten Größe und Statur. Es war, als würde er sich wieder aufpumpen, nachdem man ihn aus Platzgründen vakuumverpackt hatte. »Nenn das Kind ruhig beim Namen, so ein harmloses Schimpfwort bringt dich nicht um.«

Wenn man sich überlegte, dass die beiden Engel unsterblich waren, war jedes Nachsinnen darüber, wobei sie ihr Leben verlieren könnten, komplett überflüssig – genau wie man sich jede ernst zu nehmende Meinung zu diesem Spielzeugauto von der Größe einer Schuhschachtel, die man den Leuten offenbar allen Ernstes als straßentaugliches Gefährt anzudrehen versuchte, sparen konnte. Und während Eddie sich nun zum gefühlt hundertsten Mal umsah, hätte er liebend gern eine Antwort auf seine eigene Frage bekommen: Was zur Hölle hatten sie hier verloren? In diesem Verkaufsraum mit der billigen Holzvertäfelung, den vergilbten Fotografien von flotten Flitzern aus den Achtzigern, die es fast aus den Haarnadelkurven trug, und dem Verkaufsangebot an Fahrzeugmodellen, die ihm den Anschein machten, als taugten sie gerade noch zum Ausschlachten, überkam ihn plötzlich das Gefühl, als wären sie schlagartig um vier Jahrzehnte in der Zeit zurückversetzt worden. Und dann auch noch dieser Song von Kate Bush im Radio, der eigentlich als Neuerscheinung angekündigt werden sollte und nicht als Retro-Soundtrack einer Netflix-Serie.

Andererseits hatten sie einen Deal mit Gott höchstpersönlich, und wenn man sich so ansah, welche Fortschritte sie in den vergangenen drei Jahren ihrer Mission gemacht hatten, nämlich gar keine, war es kein Wunder, dass sie jetzt ausgerechnet hier gelandet waren. Dieser Drecksladen war genauso x-beliebig wie jeder andere Ort in Caldwell, das alles lief so komplett ohne jeden Plan.

»Hiiii«, meldete sich ein zartes Stimmchen, »haben Sie denn irgendwelche Fragen zu dem Mini? Ich stehe Ihnen gern Rede und Antwort.«

Eddies Blick wanderte in die Richtung, aus der die Worte kamen, und er musste ihn prompt eine Etage tiefer richten. Die braunhaarige Frau, die sich zu ihnen gesellt hatte, war nur knapp über eins fünfzig groß, und mit ihrer von Erschöpfung gezeichneten Miene schätzte er sie altersmäßig auf irgendwas zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Genau wie die anderen Verkäuferinnen und Verkäufer im Autohaus trug sie eine goldkarierte Anzugjacke über der Hose, nur dass die Kutte an ihr dranhing wie ein Zelt, viel zu groß für ihre zierliche Statur, weshalb sie die Ärmel hochgekrempelt hatte.

»Schon gut, ich denke, wir kommen alleine klar«, murmelte Eddie. »Trotzdem danke.«

Die Frau hob die rechte Hand und tippte gegen die Sicherheitsnadel, die ihre Brille zusammenhielt – als hätte sie Sorge, das Ding könnte sie im Stich lassen, genau wie die kleine Schraube, die sie ersetzte.

»Ja dann … wenn Sie noch etwas brauchen, ich bin …«

»Ich kümmere mich schon um die Herrschaften, Steph.«

Ein Mann mit Pornoschnauzer und einem karierten Anzug drängelte sich vor sie, den Ellbogen ausgefahren wie ein Hockeyspieler. »Bud James mein Name, na, wie geht’s, wie steht’s? Ich bin hier der Eigentümer, Sie kennen mich sicher aus dem Fernsehen.«

Stolz deutete er mit dem Finger hinter sich auf sein eigenes Konterfei in Lebensgröße, das ganz offensichtlich stark bearbeitet und mit diversen Filtern versehen worden war, um ihn schlanker wirken zu lassen. »Ja, das bin ich, Ihr zuverlässiger Partner in Sachen Neuwagen. Flotter Anzug, was? Und tolles Auto, finden Sie nicht auch? Machen wir doch gleich mal eine Testfahrt.«

Eddie neigte sich ein Stück zur Seite. Die Frau, die der Knilch so unsanft aus dem Weg geschubst hatte, trat bereits den Rückzug an, wobei ihre Schuhe mit den weichen Sohlen auf den mit Schrammen überzogenen blau-weißen Bodenfliesen ein leises Quietschen erzeugten. Sie zupfte verlegen an ihrem Jackett, seufzte schwer und spähte über die aufpolierten Schrottkisten im Ausstellungsbereich Richtung Eingang. Gerade betrat ein Paar den Verkaufsraum. Sie straffte die Schultern und fing die beiden direkt an der Tür ab.

»Na, wie sieht’s aus?« Bud James schob seine grinsende Visage direkt vor Eddies. »Lust auf eine kleine Spritztour?«

Ad, der um den Mini herumgeschwänzelt war, als wollte er die Kiste um ein Date bitten, kam zu ihnen geschlendert, und kurz überlegte Eddie, ob dieser Bud mit seinem düsteren Goth-Look klarkommen würde.

Nope, überhaupt kein Thema. Bud zuckte noch nicht mal mit der Wimper. Andererseits, dieser Schleimer würde wahrscheinlich sogar einem Dämon eine von seinen Karren aufschwatzen, solange der das nötige Bargeld oder eine funktionierende Kreditkarte mitbrachte.

»Nein danke, nicht nötig, ich nehme den Wagen.«

Bud grinste wie eine Reklametafel und rief über die Schulter: »Hau mal auf die Klingel, Mabel!«

Als sich eine ältere Dame mit knallblauem Lidschatten, die hinter dem Empfangstresen saß, knarzend von ihrem Stuhl erhob und anfing zu bimmeln, als ginge es ums nackte Überleben, ballten zwei Verkaufskollegen in karierten Uniformen, ganz offensichtlich Mitglieder im Bud-Fanclub, triumphierend die Fäuste.

»Dann lassen Sie uns mal den Papierkram erledigen«, sagte Bud und klopfte Ad kameradschaftlich auf die Schulter. »Ich muss zugeben, als ich Sie hier reinkommen sah, war ich mir sicher, Ihr Interesse gälte dem Flitzer da drüben, ein Dodge Charger.«

Eddie warf einen Blick zu der geballten Ladung Stahl, Glas und Gummireifen mit der eckigen Motorhaube. »Das ist ein echtes Schmuckstück.«

»Wir verkaufen Ihnen die Kiste, wie wär’s?«

Als Bud bei Eddie noch einmal seine kumpelhafte Rückenklopfnummer abziehen wollte, sah ihn der gefallene Engel aus zusammengekniffenen Augen an, woraufhin der Kerl mitten in der Bewegung innehielt und dann die Hand zurückzog, die er ihm eben auf die Schulter runtersausen lassen wollte. »Verstehe, Sie sind eher der reservierte Typ. Das respektiere ich, mein Freund, in Ordnung? Na, dann kommen Sie mal mit.«

Ad spreizte vor Aufregung die Finger an beiden Händen ab. Dann hopste er leichtfüßig hinter Bud her in dessen Büro und sah dabei aus wie der Sensenmann auf Zucker.

Völlig aus dem Nichts überkam Eddie eine seltsame Vorahnung, seine Instinkte waren schlagartig hellwach, und er richtete den Blick auf die Verkäuferin. Ein leiser Hoffnungsschimmer lag auf ihrem Gesicht, während sie die Neuankömmlinge, dieses junge Pärchen, zu einem Minivan führte.

»Wo bleibst du denn?«, rief Ad ihm zu. »Bringen wir’s hinter uns.«

Buds Büro sah aus wie der Verkaufsraum im Miniaturformat, dasselbe geschmacklose Dekor, dasselbe schäbige Flair, dasselbe Gefühl eines Zeitsprungs in die Vergangenheit. An der Wand hinter dem Schreibtisch hing ein Banner, auf dem prangte, auf blau-weißem Hintergrund, der Slogan »BUDDY – IHR STARKER PARTNER IM NEUWAGENGESCHÄFT«, und rechts und links davon glotzte einem ein grinsender Bud als Wackelkopffigur entgegen.

»… Antrag auf Ratenzahlung, überhaupt kein Thema.« Bud nahm an seinem Schreibtisch Platz, ein karierter König auf seinem Pappthron. »Ich muss nur einen raschen Kreditcheck durchführen, dann …«

»Cash«, verkündete Ad, während er sein Hinterteil ebenfalls auf einem Stuhl parkte. »Ich gebe Ihnen fünfzehn bar auf die Kralle.«

Also, wenn Bud da mal nicht die Spucke wegblieb. Doch er fing sich rasch wieder und zog den Bund seiner karierten Clownshose über seine Plauze. »Alles klar. Sie sind ein guter Kunde, das wusste ich sofort. Aber ich befürchte, so weit kann ich nicht runtergehen. Ich muss schließlich auch von was leben.«

»Fünfzehn Mille.« Ad zog einen Packen Geldscheine aus der Innentasche seiner Lederjacke. »Und Sie kümmern sich um den Papierkram.«

Als er anfing, vor Buds Augen die Banknoten hinzublättern und zu zählen, zu ordentlichen Stapeln von jeweils zehn Hundert-Dollar-Noten sortiert, wurde das Großmaul auf einmal mucksmäuschenstill. Als der letzte Schein auf dem Stapel landete und Ad sich leise lächelnd zurücklehnte, wurde rasch klar, dass er seine Preisvorstellung jederzeit nach unten korrigieren konnte. Nichts ging über ausreichend Flüssigmittel, um dem Verlauf von Verhandlungen eine neue Richtung zu geben.

»Und übrigens, der Deal geht auf das Konto von Stephanie Kowalski«, sagte Eddie mit leiser, drohender Stimme. »Sie war es, die uns den Wagen verkauft hat.«

Buds verdutzter Blick schnellte zu ihm. »Wie bitte?«

»Sie erhält die Anerkennung für diesen Verkauf.«

»Aha, wir wollen also die Tatsachen verdrehen, was, mein Freund?« Als Eddie den Mann nur wortlos anstarrte, räusperte Bud sich. »Ich kann Leute nicht leiden, die mir vorschreiben wollen, wie ich meinen Job zu machen habe.«

Eddie trat auf den Schreibtisch zu und raffte das Geld an sich. »Los, komm, Adrian. Bei CarMax stehen mindestens fünfzig von den Karren online zum Verkauf …«

»Schon gut, schon gut.« Panisch sprang Bud auf. »So warten Sie doch.«

»Rufen Sie Stephanie rein. Erzählen Sie ihr von den guten Neuigkeiten, dann kriegen Sie die Kohle.«

Als Bud Hilfe suchend zu Ad sah, als erhoffte er sich von ihm irgendeine Form von Beistand, zuckte der gefallene Engel nur müde mit der Schulter. »Sie hören, was mein Kumpel sagt.«

Bud grummelte etwas Unverständliches, während er sich auf die geöffnete Tür zuschob und sich um den Türstock herumbeugte. »Steph, kommen Sie mal rein.«

Zwanzig Minuten später stand Adrian zwischen dem echten Bud und einem Pappaufsteller-Bud und grinste für ein Foto in die Kamera. Der Mini Cooper wartete abfahrbereit draußen in der Einfahrt, während Eddie den Fahrzeugschlüssel hochhielt und dabei liebevoll die Kühlerhaube des Charger tätschelte. Dabei malte er sich aus, wie er sich einfach hinters Steuer dieses Muscle-Cars klemmte und losbretterte. Versonnen beäugte er die riesige Glasfront des Showrooms. Die Scherben würden herunterregnen wie Diamanten, glitzernd und funkelnd würden sie sich über den Schachbrettfliesen verteilen …

»Tja dann … jetzt müssen Sie Ihren Freund nur noch dazu überreden, noch mal herzukommen und sich diesen Charger zu holen!«, tönte Bud zufrieden und klatschte in die Hände. »Die gute Mabel braucht hin und wieder ein bisschen Bewegung, stimmt’s, Mabel?«

Drüben am Empfangstresen nickte die Dame artig und machte eine Handbewegung, als würde sie die Hupe an einem Rollator betätigen.

Bud beugte sich zu seiner Kundschaft vor und senkte verschwörerisch die Stimme. »Sie ist ein unentbehrliches Mitglied meines Teams.«

»Sicher«, brummte Ad, während er ihm die Hand hinhielt. »Danke, Bud.«

»Nicht doch, ich habe zu danken.«

Adrian stolzierte auf den Ausgang zu wie ein Politiker beim Staatsempfang und winkte im Vorbeigehen den karierten Verkaufsmarionetten zu. Auch Mabel bedachte er mit einem Kopfnicken, trommelte stolz mit der Faust auf seine Brust und zeigte einem ölverschmierten Mechaniker in der Ecke mit hocherhobener Hand das Victoryzeichen. Eddie dagegen huschte heimlich zur Seitentür raus und beäugte den Mini Cooper kopfschüttelnd. Die Kiste hatte Reifen so groß wie Bagels und einen Kofferraum, in dem ungefähr so viel Platz war wie in einem Schuhkarton.

»Ich danke Ihnen vielmals.«

Eddie sah sich über die Schulter um. Stephanie Anne Kowalski, vierunddreißig Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, der Ehemann verurteilt wegen Trunkenheit am Steuer, die Mutter nach einem Schlaganfall im Pflegeheim, das Haus kurz vor der Zwangsversteigerung, war hinter ihm aus dem Verkaufsraum getreten. Als sie sich ihm näherte, faltete sie die Hände vor ihrer Brust wie zum Gebet.

»Ich wollte Ihnen nur sagen, wie sehr ich es zu schätzen weiß, dass …« Ihre Worte verhallten im Nichts, als ihre braunen Augen sich auf etwas direkt oberhalb seines Kopfes richteten. Ein verwunderter Ausdruck huschte über ihre starren, erschöpften Züge und dann bekreuzigte sie sich hastig. »Sie sind ein Engel.«

Er schenkte ihr ein gütiges Lächeln und winkte ab. »Aber nicht doch. Sie waren es, die auf uns zugekommen ist. Da ist es doch nur fair …«

»Sie haben einen Heiligenschein.«

Eddie runzelte die Stirn. »Nein, hab ich nicht.«

Langsam drehte sie sich zu Adrian um, der mit einem Fuß im Fußraum des Minis erstarrt war. Mit zitterndem Zeigefinger deutete sie jetzt auf ihn.

»Er ist auch ein Engel«, hauchte sie voller Staunen. Mit einem Mal wirkte sie um Jahre jünger.

Eddie schielte zu seinem besten Freund. Da war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Aber so oder so, ein normaler Mensch hätte nichts davon mitkriegen dürfen, selbst dann nicht, wenn Ad vergessen hätte, seine Essenz zu tarnen.

Höchste Zeit, dass sie von hier verdufteten. »Auf Wiedersehen, Stephanie, passen Sie gut auf sich auf.«

Der Griff um seinen Oberarm war nicht fest, aber die Berührung fixierte ihn an Ort und Stelle, und ein eigenartiges Knistern fuhr in seine Knochen und breitete sich über seinen gesamten Körper aus.

Als er die Frau ansah, lösten sich ihre Gesichtszüge schlagartig auf und verschwanden, und die zerbrochene Brille, die Augen, Nase und Mund, alles war wie ausradiert, und zurück blieb nichts als eine fleischfarbene, ovale Leere. Und dann war da plötzlich diese Stimme zu hören.

Eddie hatte noch nie etwas Vergleichbares vernommen, es war ein süßer, melodiöser Sopran, begleitet von einem tiefen, sonoren Alto. Die Silben verwoben sich zu einer Harmonie, die tief in seine Brust eindrang und sie zum Vibrieren brachte.

Great Bear Mountain.

Kaum waren die Worte in sein Bewusstsein vorgedrungen, wurde der Zauber durch einen jähen Blitzschlag durchbrochen, ein Krachen, so laut, dass das Verkaufspersonal im Autohaus gesammelt in Deckung ging und die Hände schützend über die Köpfe hochriss, und selbst Ad tauchte Schutz suchend ins Innere des Mini und brachte sich in Sicherheit.

Der Körper der Frau versteifte sich mit solch roher Gewalt, dass ihre Arme und Beine kerzengerade aus ihrem Torso hervorstaken, sodass sie nach hinten kippte, flach wie ein Pfannkuchen. Reflexartig packte Eddie zu und fing sie auf, bevor sie aufs Pflaster knallte, und legte sie behutsam auf den Boden. Irgendein siebter Sinn flüsterte ihm, was als Nächstes kommen würde. Und tatsächlich, jetzt wurde ihr Körper von derart heftigen Krämpfen geschüttelt, dass sie herumschlenkerte wie eine Stepptänzerin, alles an ihr war in Bewegung, sämtliche Gliedmaßen zuckten und zappelten und schlugen einen Takt auf dem Asphalt.

Sein Blick wanderte zum Mini, wo Ads Kopf gerade wieder hinter der Tür auftauchte. Im nächsten Moment kam er aus dem Wagen gestürzt und setzte eben zum Spurt an …

… als Eddie ihn mit erhobener Hand mitten in der Bewegung stoppte. Sobald er überzeugt war, dass sein Lieblingsunruhestifter nicht mehr vorhatte, sich als sein heldenhafter Retter aufzuspielen, rieb er seine Handflächen aneinander und hielt sie flach ausgebreitet über die Brust der Frau …

Knisternd regte sich die Energie in ihr, stieg von ihr auf, wurde magisch angezogen von seiner physischen Form. Züngelnd und Funken sprühend drang die Ladung in ihn ein, sodass seine Augen in seinem Schädel nach hinten rollten. Ein vielstimmiges Gemurmel drang aus der Ferne zu ihm, formierte sich zu einem wirbelnden Strudel, von dem sein Instinkt ihm sagte, dass er lediglich mit seiner Wahrnehmung zu tun hatte, nicht mit einer tatsächlichen physischen Rotationsbewegung. Und doch, ihm war mit einem Schlag so, als wäre er die Erde und sie die Sonne.

»Ich hab dich, keine Angst.«

Mitten in diesem Chaos bildete Adrian eine feste Konstante, nur dass sie beide kurzzeitig die Rollen vertauscht hatten, und der wilde Rabauke mutierte zum Ruhepol im Auge des Sturms. Starke Arme umschlangen Eddies Brust und trennten die Verbindung, bevor auch er auf dem harten Asphalt aufschlug.

Jetzt flackerte das Licht, und er fragte sich, warum der Himmel einen Kurzschluss hatte. Wobei, nein, es waren seine Augenlider, die verrücktspielten.

Mannomann, da waren aber plötzlich scheißviele Karos um ihn herum.

Bevor er eins und eins zusammenzählen konnte, schob sich Ads besorgte Miene direkt in sein Blickfeld. Die Piercings im Gesicht des Engels schienen im rhythmisch blinkenden Licht Funken zu sprühen. »Alles gut, Eddie, atme einfach zusammen mit mir. Ich will, dass du atmest – Alter, du atmest nicht richtig. Los, hol gemeinsam mit mir Luft.«

Während sein bester Freund ihn fest in den Armen hielt, folgte Eddie den Anweisungen, einfach weil er keinen Plan B hatte, und bei dem Kurzschluss, der nun sein eigenes Hirn zum Brutzeln brachte, würde ihm auch so schnell kein Geistesblitz kommen. Sein Problem war allerdings nicht allein die Energie, die er in sich aufgenommen hatte. Was ihn noch viel mehr schockierte, war die Tatsache, dass er die Bedeutung dieser schrägen Botschaft genau kannte.

Great Bear Mountain.

Drei Jahre. Ihre Suche war in all der Zeit fruchtlos geblieben, ihre Mission ein einziger Fehlschlag. Wieder und wieder hatten sie ihr Ziel verfehlt, der, dem sie hinterherjagten, immer einen Schritt voraus. Doch jetzt hatten sie eine klare Anweisung erhalten, wahrscheinlich, weil der Schöpfer selbst den Glauben daran verloren hatte, dass sie den Auftrag, den Er ihnen erteilt hatte, je zu seiner Zufriedenheit erledigen würden.

Sie mussten schleunigst dorthin. Zum Great Bear.

Neben ihm richtete sich Stephanie Anne Kowalski jetzt langsam auf und sah sich unter den karierten Gestalten um, die aus dem Gebäude getreten waren.

»Alles gut«, murmelte Ad, als Eddie seinen Oberkörper ebenfalls vom Pflaster anhob. »Jep, dir geht’s prima.«

»Ich weiß, wo Lassiter steckt.«

Der andere gefallene Engel wurde mucksmäuschenstill.

Dann sah sich Ad mit resignierter Miene zu dem Mini um. »Okidoki, dann weiß ich jetzt wenigstens, wozu unser Besuch hier gut war. Hey, und einen fahrbaren Untersatz haben wir auch.«

2

nördlich des Great Bear Mountain, Adirondack Park, Upstate New York

In der einsetzenden Abenddämmerung war die Luft hier oben in den Bergen durchdrungen vom Duft der Kiefernnadeln und sich öffnenden Knospen, getragen von einem trägen, kühlen Windhauch, der an den Hängen talwärts sickerte, sich um Geröll und Geäst herumwand, durchs Unterholz strich, an Wildtieren vorbei. Es war, als griffe die Kälte des Weltraums auf die Erde über. Jenseits des Tals hinterließen die letzten Strahlen der Sonne ein feuriges Glimmen, dort, wo die Flanken zweier Erhebungen aufeinandertrafen, die Schnittstelle der ansteigenden Topografien wie eine hohle Hand, in der sich das letzte Licht des Tages für einen kurzen, vergänglichen Augenblick sammelte, nur noch eine Restglut ohne nennenswerte Wärme.

Lassiter, der gefallene Engel, trat aus der Höhle und musste an seinen letzten Besuch bei McDonald’s denken.

Angezogen von der Endgültigkeit des pfirsichrosa Leuchtens, schritt er in Richtung Abgrund, um wie durch ein Schlüsselloch einen Blick auf dieses erhabene Schauspiel zu erhaschen. Versonnen warf er dabei einen kleinen Beutel von einer Hand in die andere, hin und her, immer wieder. Genau wie seine Erinnerung an die zwei goldenen Bögen, die ihn nicht mehr in Ruhe ließ, bildete der Anblick vor seinen Augen ein Destillat aus Erfahrungen und war nichts, was er gegenwärtig mit den Sinnen erfasste, ein Zerrbild der Welt und nicht das, was er im Hier und Jetzt wahrnahm.

In seinem aktuellen Gemütszustand waren sowohl Gegenwart als auch Vergangenheit etwas, das sich ihm aus der Erinnerung heraus erschloss und somit automatisch Fehlinterpretationen und Ungenauigkeiten unterlag.

Hatte er sich einen Big Mac mit Fritten bestellt?, überlegte er müßig. Oder einen Hamburger Royal TS mit Extrakäse?

Die nebensächlichen Details entzogen sich ihm mittlerweile, doch das, was ihn dazu gebracht hatte, diesen Weg einzuschlagen, das ihn hierhergeführt hatte, zu dieser Nacht, diesem Ausblick, war ihm immer noch gegenwärtig. Es war jetzt drei Jahre her, dass der Schöpfer ihn entsandt hatte, Tohrment, geschätztes Mitglied der Bruderschaft der Black Dagger, Sohn des Hharm, aus seiner tiefen Trauer zu holen. Die Mission war ein Widerspruch in sich gewesen, eine Kombination aus Beförderung und Bestrafung zugleich. Lassiter hatte kein Interesse an Ersterem gezeigt, und von Letzterem hatte er bereits mehr als genug einstecken müssen. Aber so oder so war seine Meinung zu dem Ganzen ebenso unerheblich gewesen wie die Frage, wohin sein Auftrag ihn verschlagen würde. Der Schöpfer hatte seine eigenen Pläne mit ihm verfolgt und genau wie das Schicksal auch nichts darauf gegeben, wie er zu alldem stand.

Trotzdem, er verfügte über einen freien Willen, und deshalb hatte er sich als Allererstes zu den zwei goldenen Bögen begeben, um dem großen Boss oben eins auszuwischen. Jep, aber so was von. Nur dass ihm dann aufgegangen war, dass es ohnehin das Beste war, mit der Nahrungsaufnahme zu beginnen. Tohr hatte sich in die Adirondacks abgesetzt und sich vom Blut wild lebender Waldtiere genährt – aber du lieber Himmel, wer sehnte sich nicht gelegentlich nach einem saftigen Hamburger, erst recht, wenn er – wie lange? – nackt und auf sich allein gestellt in der Wildnis gehaust hatte?

Zu seiner Schande musste er gestehen, dass er den Großteil der Fritten dann schon auf dem Weg zu dem Bruder verputzt hatte.

Na und? Er war ein Engel, kein Heiliger. Und genau da lag der Hase im Pfeffer. Aber seinen Job als Trauerhelfer hatte er erfolgreich gemeistert. Nach einiger Zeit hatte der Kämpfer die Trauer um seine ermordete Shellan hinter sich gelassen und sich ein neues Leben aufgebaut. Jetzt saß er wieder fest im Sattel und nahm seine alte Rolle als rechte Hand des Königs ein. Der ruhigste und besonnenste unter den Mitgliedern der Bruderschaft hatte zwar reichlich seelische Narben davongetragen, aber er hatte weitergemacht, wie Überlebende es nun mal tun sollten, wie die Lebenden es tun mussten.

Nachdem dieser Job also ein für alle Mal erledigt gewesen war, war Lassiter davon ausgegangen, dass man ihn nach Hause zurückpfeifen würde. Nur dass ihm dann wenig später eine dritte Partei eine neuerliche Beförderung angeboten hatte, etwas, das Lassiter so ganz und gar nicht hatte kommen sehen. Genau wie bei dieser Geschichte mit Tohr hatte er keinerlei Interesse an dem Job gehabt, doch wenn die Heilige Jungfrau der Schrift dir eröffnete, dass sie plante, die Verantwortung über die Vampirspezies auf dich zu übertragen, von wegen Hier, bitte schön … ach ja, und viel Glück mit allen diesen Seelen und ihren glorreichen Einfällen? Also ja, blöd, aber dann kam man aus der Kiste nicht mehr raus. Dann war die Stechkarte abgestempelt bis in alle Ewigkeit – oder bis man einen anderen Idioten fand, dem man den Job aufhalsen konnte, eins von beidem.

Lassiter starrte über das Tal, das sich tief unter ihm ausbreitete. Als er damals in Caldwell so plötzlich auf der Bildfläche erschienen war, waren ihm diese Leute mehr oder weniger schnurzegal gewesen. Das hatte die Sache erheblich erleichtert, weil es im Grunde keine so große Rolle gespielt hatte, was dabei herauskam. Zum Glück war das Fernsehprogramm recht annehmbar gewesen, und er hatte immer mehr Spaß an seiner zwar wenig lukrativen, aber höchst befriedigenden Nebenbeschäftigung gefunden, nämlich Vishous, dem Sohn des Bloodletter, gehörig auf den Zeiger zu gehen.

Nichts leichter als das. Bis sich dann, so schleichend wie die Grippe, langsam doch Gefühle in ihm geregt hatten, als hätte er sich von all dem Mut und der Loyalität in seinem häuslichen Umfeld anstecken lassen. Und ehe er sich’s versah, hatte er sich zusehends um die Vampire in diesem uralten steinernen Anwesen gesorgt. Diese Sorge wiederum hatte ihn angespornt weiterzumachen. Und diese Motivation hatte ihn letztlich dazu getrieben, Grenzen verschwimmen zu lassen und sich die Regeln so hinzubiegen, wie er es gerade brauchte … und letztlich hatte er auch gegen den Nichteinmischungspakt verstoßen, etwas, an das sich sämtliche Engel gemäß dem Willen des Schöpfers zu halten hatten.

Das Schicksal war letzten Endes wie eine Partie Solitaire – oder zumindest sollte es so sein. Jeder Einzelne verfügte über ein eigenes Spielbrett, hatte eigene Entscheidungen zu treffen, und kein anderer durfte dir heimlich eine Karte zustecken, um dir aus der Patsche zu helfen, wenn diese verteufelte Herz-Drei einfach nicht auf dem Nachziehstapel auftauchen wollte.

Anfangs waren es nur Lappalien gewesen, aber wie bei jeder schlechten Angewohnheit war es ihm von Mal zu Mal leichter gefallen, seine Prinzipien über Bord zu werfen.

Und jetzt war er hier.

Irgendwie entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass er ausgerechnet an dem, was er ausdrücklich nicht hätte tun sollen, letzten Endes zerbrochen war.

Erinnerungen an die Dämonin Devina stürmten auf ihn ein, und während er in sich selbst zusammenschrumpfte, dachte er an diese Geschichte von damals. Vor langer Zeit nämlich hatte er sich so richtig in die Scheiße geritten, weil er das mit dem Sex zu sehr auf die leichte Schulter genommen und sich als sehr experimentierfreudig erwiesen hatte. Der höheren Ordnung der Engel, der er angehörte, war es eigentlich nicht gestattet, nach Lust und Laune herumzuvögeln, und auch wenn er immer tunlichst darauf geachtet hatte, es nicht bis zur eigentlichen Penetration kommen zu lassen, hatte er sich am Ende nicht damit herausreden können, von wegen, er habe keinen richtigen Sex mit dieser Frau gehabt.

Wer hätte auch ahnen sollen, dass er sich seine Jungfräulichkeit für eine Dämonin aufsparte.

Um die Seele eines Vampirs von Wert zu retten, hatte er seinen Körper an Devina ausgeliefert. Und jetzt stand er hier, mutterseelenallein vor den letzten vergänglichen Strahlen eines Sonnenuntergangs, und versuchte, sich an die Details einer Bestellung bei McDonald’s zu erinnern, die bereits drei Jahre zurücklag, nur um nicht an all diejenigen denken zu müssen, die er im Stich gelassen hatte … sowie an diese eine Person, die er so schmerzlich vermisste. Das war schlimmer als all die Schmach und der Ekel, die er seit seiner intimen Begegnung mit der Dämonin mit sich herumschleppte.

Jetzt schob sich ein anderes Bild vor sein Bewusstsein, von einem weiblichen Wesen mit Haaren, die glänzten wie poliertes Silber, und Augen im selben schimmernden Farbton, das Gesicht zu ihm emporgehoben, während zu ihren Füßen ein wogendes Meer an wilden Blumen aufblühte, obwohl gar nicht die Jahreszeit dafür war.

Warum einem Mädchen einen Blumenstrauß mitbringen, wenn man ihm genauso gut eine ganze Blumenwiese zu Füßen legen konnte, hatte er sich zu dem Zeitpunkt gedacht. Erst recht, wenn es darum ging, Lebwohl zu sagen.

Er hatte noch lebhaft vor Augen, wie sich Rahvyn voller Freude über das Geschenk im Kreis gedreht hatte, sah bis ins kleinste Detail alles mit ungetrübter Klarheit vor sich: Wie sich ihr glänzendes Haar im Mondlicht bewegt hatte, ihr Körper biegsam und geschmeidig in der Kleidung einer Zivilistin, ihr Lächeln kein bisschen scheu, sondern eine Offenbarung in Sachen weiblicher Schönheit, gepaart mit einer Aura des Geheimnisvollen. Er hatte sie schon vor diesem Moment in sein Herz geschlossen. Doch in jener Nacht wurde sie zu einem Teil seiner unsterblichen Seele.

Andererseits, vielleicht hatte das weniger an seinem Geschenk und ihrer Reaktion darauf gelegen … sondern vielmehr an dem Wissen, dass sich ihre Wege trennen mussten. Für immer. Denn selbst wenn sie sich nach jener Nacht zusammen auf engstem Raum begegnet wären, wäre er trotzdem weiter von ihr entfernt gewesen als die äußersten Ränder des Universums.

Und jep, nach seiner Begegnung mit der Dämonin hatte er Tohrs Platz eingenommen. Jetzt war er derjenige, der sich auf eigene Faust draußen in den Wäldern durchschlug und einer Frau hinterhertrauerte, an die er sich gebunden hatte, eben weil er sie nicht haben konnte. Die Tatsache, dass seine Geliebte noch lebte, war in seinem Fall kein Trost.

Er konnte nicht mit ihr zusammen sein, unter keinen Umständen. Zum einen um Rahvyn vor der Dämonin zu schützen. Je weiter er sich von ihr fernhielt, desto besser. Er wollte sie nicht zur Zielscheibe dieser miesen Schlampe machen. Und zum anderen … war er nicht mehr der Gleiche wie früher.

Lassiter sah an seiner körperlichen Gestalt herab und fragte sich, wie etwas, das eigentlich nicht existierte, ihn derart auf Trab halten konnte. Dieses Trugbild eines Körpers, den er als seine Behausung nutzte, wann immer es seinen Zwecken diente, war nicht er. Er war mehr eine Daseinsform als ein sterbliches Wesen. Und doch wirkte das, was dieses Miststück ihm angetan hatte, in ihm nach, die Gewalt und das Gefühl, beschmutzt worden zu sein, übertrugen sich von der illusorischen Hülle auf das, was echt war.

Er wollte nur noch in den unendlichen Äther zurückkehren, sich einfach nur in eine Woge von Energie auflösen, die über keinerlei Bewusstsein verfügte. Und der einzige Grund, weshalb er die Kamikazeaktion nicht zu Ende gebracht hatte?

Ganz einfach: Er musste an den König, an die Bruderschaft, ihre Familienangehörigen und Doggen denken. Die Zivilisten. Die Auserwählten, die man befreit hatte.

Seine Rahvyn.

Zum Wohl der Spezies musste er sich am Riemen reißen. In die Pötte kommen. Die Ärmel hochkrempeln, sich selbst anspornen, wieder mitmischen, den Ball anvisieren, seinen Stand finden, Stellung einnehmen.

Nur leider brachte alles Anfeuern ihn kein Stück weiter. Das hatte noch nie geholfen.

Langsam befürchtete er, dass er sich das auch in Zukunft sparen konnte.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und richtete die Augen wieder auf das schwache Glimmen am Horizont. Vom Spektakel des Sonnenuntergangs war kaum mehr etwas übrig. Was für eine treffende Parallele. Denn auch von ihm war nicht mehr viel da.

Wie aufs Stichwort senkte er den Blick auf den Beutel in seiner Hand. Er öffnete ihn und schüttete einen Teil des Inhalts auf seine Handfläche. Das Knäuel aus goldenen Kettengliedern glänzte trotz der zunehmenden Dunkelheit. Er wog das Gewicht in seiner Hand. Alle diese Halsketten, Armbänder und Ohrringe hatte er viele Jahre lang getragen, weil etwas von der Sonne in diesem Gold steckte. Und wenn er nicht dazu in der Lage gewesen war, nach draußen zu gehen und im Sonnenlicht zu baden, hatte er es genossen, die Wärme der Schmuckstücke auf seiner Haut zu spüren. Außerdem war sein eigener Goldschmuck vor einiger Zeit gestohlen worden, deshalb hatte er sich wohl veranlasst gefühlt, für Ausgleich zu sorgen.

Und es dabei ein klein wenig übertrieben.

Er hatte das ganze Gold abgenommen, bevor er seinen Körper an die Dämonin Devina ausgeliefert hatte. Und er dachte nicht daran, es je wieder anzulegen. Niemals. Der Glitzerkram konnte seinetwegen schwarz werden.

Er stopfte die Ketten zurück in das kleine Täschchen und zog das Band zu. Dann holte er weit aus und beförderte das Ding hinaus in die anonymen Weiten unter ihm. Gerade als sich die Silhouette des Beutels ein letztes Mal vor dem kläglichen Rest Sonnenlicht abzeichnete, jagte er ihn mit einem Energiestoß in die Luft, die funkelnde Explosion ein Schauspiel wie herabregnende Sternschnuppen.

Es reicht, dachte er. Niemand würde kommen, um ihn zu retten. Retter wurden nicht gerettet.

Er musste zurück zur Bruderschaft, nach Caldwell, zu der Spezies, über die zu wachen er sich bereit erklärt hatte. Genug von diesem selbst auferlegten Fegefeuer …

Das Bild von Rahvyns bezauberndem Antlitz drängte sich ihm abermals auf und machte seinen guten Absichten den Garaus.

Er hatte sie nur ein einziges Mal in den Armen gehalten. Als er sich von ihr verabschiedet hatte.

Etwas traf ihn an der Hand, und er senkte den Blick. Der silberne Tropfen glänzte, und die Hitze, die ihn daraufhin durchflutete, war das Erste, was er bewusst spürte, seit …

Scheißegal. Seit er hierher auf diesen Berg gekommen war jedenfalls.

Er schüttelte die Träne ab, wischte sich mit den Händen über beide Wangen und betrachtete seine Fingerkuppen. Das, was aus ihm hervorquoll, wenn er in irgendeiner Form litt, glich Quecksilber, eine glatte, spiegelnde Flüssigkeit, die nicht abzukriegen war und sich zu perfekten runden Tropfen formierte, sofern genug davon vorhanden war.

Er wandte sich vom Abgrund ab und kehrte zurück zum Eingang der Höhle.

Er hatte die wahre Liebe erkannt, als er sie gesehen hatte, hatte sie mit allen Sinnen erfasst, sie gerochen, körperlich gespürt. Und dann hatte er sich selbst Schreckliches angetan, aus dem richtigen Grund, und es gab kein Zurück.

Von wegen besser, geliebt und verloren zu haben.

»Bullshit«, murmelte er, zog den Kopf ein und nahm wieder einmal Zuflucht in seinem Unterschlupf.

3

Auf einer nicht temporären Daseinsebene, irgendwo in Raum und Zeit

»Natürlich hab ich dich gern.«

Rahvyn ließ sich auf das knallpinke Gras sinken und kreuzte die Beine unter sich, die Ellbogen auf die Knie gestemmt. Über ihr leuchtete ein psychedelischer Himmel in einem grellen Orange, an dem rote und gelbe Wolken vorüberzogen, während die Pseudosonne in einem knalligen Blau erstrahlte. Fluffige Bäume aus Pfauenfedern mit goldenen Ästen bewegten sich sachte in der sanften, nach Lilien duftenden Brise, und Vögel flatterten vorüber, bestehend aus schimmernden Hitzewellen. In der Ferne erstreckte sich ein lavendelfarbener See, die Oberfläche so glatt und unbewegt wie ein Spiegel, der diese Welt reflektierte, eine Welt, erschaffen sowohl als Zufluchtsstätte wie auch als Tresor für ihren größten Schatz.

Ein Rascheln ließ sie den Kopf schütteln. »Nein, es ist nicht deine Schuld. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir so eine schlechte Gesellschaft bin.«

Das Buch lag aufgeschlagen vor ihr, die uralten Pergamentseiten bewegten sich wellenförmig entlang des Buchrückens, als würde es atmen. Gebunden in Menschenhaut – oder war es die eines Vampirs? –, hatte diese Wesenheit kaum mehr mit Wörtern und Seiten zu tun als diese metaphysische Daseinsebene, in der sie sich beide verkrochen hatten, mit der sogenannten Realität. Das Buch war nichts weiter als eine Hülse, die Energie aus dem Universum in sich bündeln konnte, weder schlecht noch gut. Es waren sein jeweiliger Besitzer und dessen inneres Gefüge, die über die Zaubersprüche und Beschwörungsformeln zwischen seinen beiden Buchdeckeln bestimmten.

Was im Klartext hieß: Die Schwarte war dazu fähig, sehr viel Gutes zu bewirken, aber auch abgrundtief Böses.

Abermals war ein Rascheln zu vernehmen.

»Oh, danke«, murmelte sie. »Ich weiß deine Sorge zu schätzen. Aber ich halte das schon aus.«

Der abfällige Laut, den sie dafür erntete, konnte alles bedeuten, entweder dass das Buch an ihrem Durchhaltevermögen zweifelte oder auch an dem Kurs, den sie eingeschlagen hatte. Aber wie dem auch sei, es gab keine Animositäten zwischen ihnen. Im Umgang mit ihr war das Buch immer nur freundlich und nachsichtig gewesen. Andererseits hatte sie im Gegensatz zu vielen von seinen Vorbesitzern nie auch nur den Hauch eines Interesses daran verspürt, sich seine Macht zunutze zu machen. Außerdem nahm sie an, dass es das Gefühl hatte, es stünde in ihrer Schuld, weil sie es aus einer untragbaren, missbräuchlichen Beziehung befreit hatte: Es hatte Schutz gesucht, und sie hatte ihm Schutz gewährt, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, ohne eine Gegenleistung einzufordern.

Sie wusste nur zu gut, wie übel man dem armen Ding mitgespielt hatte, und deshalb konnte sie absolut nachvollziehen, warum es aus dem Einflussbereich der Dämonin Devina hatte entkommen wollen.

Jetzt erfolgte ein hektisches Blättern durch die Seiten, sodass sie einer Scheibe glichen, die sich im Kreis drehte, wieder und wieder, ohne Anfang, ohne Ende.

»Bitte tu das nicht«, flüsterte sie geknickt und wusste genau, dass sie verloren hatte.

Doch das Buch hörte nicht auf sie.

Rahvyn schloss die Augen. Die Anspannung schlug ihre Krallen in ihre Wirbelsäule und kämpfte sich hoch bis zu ihrem Nacken, wo sie sich festsetzte. Reflexartig zerrte sie am Saum ihres Sweatshirts und veränderte ihre Sitzposition. Aber nichts davon vermochte die Anspannung zu lösen.

Als das Buch wieder zur Ruhe kam, wollte sie am liebsten nicht zu ihm hinsehen. Natürlich wusste sie genau, was sie zu sehen bekommen würde.

Trotzdem schlug sie die Augen auf.

Und da war er. Als hätte das Buch sich in ein Fenster verwandelt, sah sie innerhalb seiner Konturen einen Mann, der niemals richtig aus ihren Gedanken verschwand: Lassiter, der gefallene Engel, mit den schillernden Augen und den blond-schwarzen Haaren, mit seinem kantigen Kiefer und den ausgeprägten Gesichtszügen. Und einer Intelligenz, die er ihren eigenen, ausgiebigen Beobachtungen nach bestens unter der Maske des Clowns zu verbergen wusste.

»Oh Lassiter …« Dann räusperte sie sich. »Warum musst du mich mit Bildern von ihm quälen?«

Die Blätter flatterten sachte, als wollte das Buch auf etwas zeigen.

»Ja, ich weiß, dass er der Eine ist. Das ist auch der Grund, warum ich so traurig bin.«

Weiteres Geflatter, gefolgt von einer Reihe von klatschenden Lauten, die klangen wie saftige Ohrfeigen.

»Ich wünschte, ich verstünde die Sprache von euch Folio-Bänden, das wünschte ich wirklich.« Die Seiten hoben sich, schienen ein Seufzen auszustoßen – als würde sie sich absichtlich so begriffsstutzig geben. »Und wenn dein Mitleid mit meiner Traurigkeit zusammenhängt und du so versuchst, mir etwas zurückzugeben …«

Jetzt wurde so wild geblättert, dass es beinahe nach einer tosenden Runde Applaus klang.

»Ach, wirklich? Das ist echt süß von dir.« Sanft strich sie über die Seiten. »Natürlich bist du dankbar, dass du hier endlich deine Ruhe hast, aber ich helfe dir gern. Ich weiß nämlich sehr gut, wie es ist, wenn man der eigenen Gaben wegen ausgenutzt wird und andere damit schlimmen Schaden anrichten. Ich biete dir meinen Schutz, weil ich mich bestens in deine Situation hineinversetzen kann.«

Ein Packen Seiten kräuselte sich hoch und warf ihr eine Kusshand zu.

Rahvyn musste lächeln. »Ja, wir beide sind uns sehr ähnlich, du hast recht.«

Während sie in die Landschaft hinausblickte, spielte sie mit dem Gedanken, sie hier und da noch einmal abzuändern, die Farben zu variieren ebenso wie die Flora, vielleicht einen Wasserfall statt des Sees, und womöglich sollte sie auch einen gemütlichen Unterschlupf schaffen, so unnötig er auch sein mochte.

»Lassiter hat sich jedenfalls von mir verabschiedet«, hörte sie sich sagen. »Selbst wenn ich ihn suchen würde, er würde mir kein Gehör schenken. Er ist fortgegangen und hat mich verlassen – womit er wahrscheinlich sogar das Richtige getan hat. Was hätte ich ihm schon zu bieten?«

Wieder ein Flattern, als wäre das Buch da entschieden anderer Meinung.

Und dann fing die Scheibe abermals an, sich zu drehen, und eine unendliche Anzahl an Seiten flatterte völlig verschwommen an ihren Augen vorüber – bis sie abrupt innehielten und das Buch näher zu ihr heranrückte. Worte, die sie nicht zu übersetzen vermochte, füllten die beiden Seiten, ein Text aus ordentlichen Zeilen.

Mit einem Mal begannen die Buchstabenreihen zu zittern, ein Vibrieren, das immer stärker wurde, bis sie sich von der Seite lösten und durcheinanderpurzelten, umherkullerten wie Murmeln und sich dabei gegenseitig in die Quere kamen. Nach und nach formierten sie sich zu Wellen, die hochbrandeten und wieder in sich zusammenbrachen, nur um sich abermals zu vereinen und zu erheben.

Und dann erstarrten sie in ihrer Bewegung.

»Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann das nicht lesen …« Ihre Worte verhallten in der Stille.

Mit einem Stirnrunzeln legte sie den Kopf schief. Schlagartig erkannte sie, dass es sich gar nicht um einen Text unbekannter Herkunft handelte. Es war noch nicht mal eine Schrift.

Nein, das waren Porträts.

Die Buchstaben und Symbole hatten sich so auf den Seiten angeordnet, dass sie zwei Gesichter darstellten, eines auf jeder Seite. Es waren zwei Männer, und je länger sie auf die Bildnisse starrte und versuchte, sich zu erinnern, wer sie waren, desto klarer umrissen wirkten sie. Wie fein gearbeitete Bleistiftzeichnungen schälten sich die Gesichter immer deutlicher heraus, als würde jemand sie Strich für Strich aufs Papier bringen, wobei die Schattierungen sich zusehends vertieften und sich ein dreidimensionales Bild ergab, das beinahe etwas von einer Skulptur hatte.

Das Buch ließ abermals ein Klatschen ertönen, der Laut so knapp und bestimmt, offensichtlich der Versuch, ihre gesamte Aufmerksamkeit einzufordern. Dabei war sie ohnehin bereits restlos gebannt von dem, was das Buch ihr zeigte.

Es klatschte erneut.

»Du willst, dass ich die beiden finde?«, fragte sie. Als der Band ein drittes Klatschen vernehmen ließ, schüttelte sie den Kopf. »Oh nein, tut mir leid, aber so wichtig sie für dich auch sein mögen, ich werde nicht nach ihnen suchen …«

Ein jäher Schlag unterbrach sie.

»Ich bitte dich, du brauchst mich doch genauso. Diese Landschaft hier entspringt allein meiner Fantasie, sie befindet sich in meinem Kopf. Solange ich also hier bin, kann ich für deine Sicherheit garantieren. Hier kriegt dich niemand in die Finger …«

Jetzt kam wieder Bewegung in die Buchstaben, und sie wirbelten abermals über die Seiten, sodass die Gesichter sich auflösten … nur um sich zu einer neuen Anordnung von Augen und Nase und Mund zu sortieren.

»Mein Cousin, Sahvage«, flüsterte sie.

Noch einmal wurden die Buchstaben wild durcheinandergewirbelt, zeigten ein weiteres Gesicht, diesmal ein weibliches. »Seine Shellan, Mae.«

Nun zog eine nicht enden wollende Prozession weiterer Porträts an ihrem Auge vorüber, dargestellt durch die Buchstaben, und sie zeigten Gesichter, die sie allesamt kannte: Es waren die Männer und Frauen aus ihrer Zeit dort unten auf der Erde, in der Gegenwart, die Leute in Luchas’ Haus, in dem sie Zuflucht gefunden hatte. Nate, der junge Vampir, den sie gerettet hatte. Shuli, sein bester Freund …

Diese Galerie von Bildern löste eine solche Traurigkeit in Rahvyn aus, dass sie die Hand ans Brustbein hob und rieb, als empfände sie physische Schmerzen. Nates Gesicht zu sehen, war besonders schwer für sie, bei allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, nachdem er angeschossen worden war … bei allem, was sie ihm angetan hatte.

Die Buchstaben veränderten unaufhaltsam ihre Position, und die Personen, die jetzt zu sehen waren, lösten ein ungutes Gefühl in ihr aus. Denn es waren keine Zivilisten. Einer nach dem anderen tauchten die Mitglieder der Bruderschaft der Black Dagger vor ihr auf. Sie kannte nicht von allen die Namen, doch ihre kriegerischen Visagen vergaß man nicht so leicht.

Und dann präsentierte sich ihr das letzte Porträt.

Ihr blieb das Herz stehen. Der Vampir hatte langes schwarzes Haar, das ihm von einem spitz zulaufenden Haaransatz gerade herunterfiel, dazu ein Gesicht, das zugleich aristokratisch und grausam wirkte. Er trug dunkle Gläser, die man, wie sie gelernt hatte, als Panoramasonnenbrille bezeichnete, sie verbargen seine blinden Augen und trugen ihren Teil zu dem bedrohlichen Anblick bei, den er bot, eine Bedrohlichkeit, die durch die tiefe, grimmige Furche, die sich zwischen seinen Augenbrauen zeigte, nur noch betont wurde.

Es war Wrath, Sohn des Wrath, Vater des Wrath, der große Blinde König.

Jetzt nahm er langsam seine Brille ab, mit ruhiger Hand, und im nächsten Moment starrte er sie direkt aus diesen seltsamen, fast pupillenlosen Augen an.

Rahvyn wich vor der Seite zurück. Aber er konnte sie doch gewiss nicht sehen? Das, was sie da vor sich hatte, war lediglich ein Abbild der Wirklichkeit, und der Vampir hatte sein Augenlicht so oder so schon vor langer Zeit verloren.

Seine Lippen begannen, sich zu bewegen, als versuchte er, ihr etwas mitzuteilen – dann kroch von den vier Ecken der geöffneten Seiten her plötzlich eine schwarze Flut auf ihn zu, und die in Aufruhr versetzten Buchstaben ließen ihn unkenntlich werden, gerade als er zu einem Schrei ansetzte. Ein dichter Wirbel vollkommener Dunkelheit erfasste ihn … und im nächsten Moment wischte eine heftige Explosion alles fort, und zurück blieben nichts als zwei leere Pergamentseiten.

Entsetzt wich Rahvyn zurück und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Als sie sich wieder halbwegs gefasst hatte, wagte sie einen neuerlichen Blick und sah, dass sich einzelne Buchstaben von oben über das aufgeschlagene Buch abwärts bewegten, wie herabfallender Regen.

Nein, nicht Regen. Es war Schnee. Es musste Schnee sein, weil sich die herumwirbelnden Symbole am Fuß der Seiten sammelten und immer höher stiegen.

»Ich bin nicht ihre Retterin«, flüsterte sie. »Ich kann doch nicht …«

Ein Teil der Seiten des Buches kräuselte sich empor und streckte sich zur Seite, wie eine Zunge: pfffffft.

Die jähe Vorahnung einer bevorstehenden Bedrohung schnürte ihr die Kehle zu. »Was geschieht, wenn ich von hier fortgehe? Ich kann nicht sagen, ob es dich in irgendeiner Weise in Gefahr bringt.«

Mit einem Schlag klappte das Buch zu. Dann begann der schartige, scheußliche Einband zu pulsieren, als würde das Buch seine Muskeln spielen lassen.

»Soso, du kannst dich also um dich selbst kümmern«, stellte sie mit erschöpfter Stimme fest.

Das scharfe Klatschen war die Bestätigung. Es war unmissverständlich.

»Aber ich sollte besser bei dir bleiben …«

Das Buch flappte auf, und die Fensterscheibe erschien wieder darin. Lassiters Gesicht war dahinter zu sehen, aber nicht als etwas von Künstlerhand Erschaffenes, sondern als fotografisches Ebenbild des gefallenen Engels. Ein flackerndes Leuchten umspielte seine angespannten Gesichtszüge.

Er saß vor einem offenen Feuer, wie sie annahm, und während sie aufmerksam mitverfolgte, wie das goldene Licht seine Augen zum Leuchten brachte, wurde ihr bewusst, dass die Wand hinter ihm eine Art Felswand zu sein schien. Hatte er etwa in einer Höhle Zuflucht gesucht? Warum das? Sie hatte zufällig mitbekommen, wie jemand erwähnt hatte, er würde bei der Ersten Familie und der Bruderschaft wohnen.

Warum sollte er jetzt plötzlich allein in der Wildnis leben? Drohte ihm von irgendeiner Seite Gefahr?

»Der Engel täuscht sich«, presste sie mit rauer Stimme hervor. »Ich bin nicht die Gabe des Lichts.«

Wieder klatschte das Buch und hörte gar nicht mehr auf. Die beiden Hälften schlugen mit einer Dringlichkeit wieder und wieder aufeinander, dass es klang wie ein militärischer Trommeltakt.

Sie dachte an das Porträt des Königs, das eingenommen wurde vom Bösen.

Und an die beiden Kerle, die sie nicht gekannt hatte.

Und an Lassiter.

»Ihrer aller Schicksale sind miteinander verwoben, so ist es doch, oder?« Als keine Reaktion kam, blickte sie mit noch bangerem Blick zu dem Buch. »Sag es mir.«

Rahvyn war auf den Beinen, bevor sie eine Antwort erhalten hatte. »Wo finde ich …«

Die Ansammlung von Buchstaben strömte abermals zusammen und erschuf eine weitere Zeichnung aus dem Chaos. Aber das, was sie ihr jetzt zeigten, ergab keinerlei Sinn.

»Zwei goldene Bögen?«, fragte sie verwirrt.

4

Versicherungsgebäude, Ecke Dreizehnte Straße und Trade Street, Innenstadt von Caldwell

Die Dämonin Devina schnellte von ihrem Satinkissen hoch. Ein Schrei steckte in ihrer Kehle fest. Während sie im Dämmerlicht ihres Unterschlupfes saß und nach Luft japste, legte sie sich eine Hand aufs Herz. Hinter ihrem Brustbein klopfte es so heftig, wie bei einer Cartoonfigur aus den Fünfzigern, wenn sie schwer verliebt war. Bummbumm … bummbumm … bummbumm …

Wo zur Hölle steckte dieser …

Schlagartig beruhigte sie sich.

Sie hatte ihn entdeckt. Er stand jenseits der zahlreichen Stangen voller Haute Couture, groß und stolz und unfassbar nackt … ihre einzig wahre Liebe. Er hatte den Blick von ihr abgewandt und schien völlig verzaubert von ihrer Sammlung an Birkins. Seine Rückenansicht war mindestens genauso reizvoll wie die Vorderseite, das blonde Haar glänzte im gedämpften Schein der Deckenbeleuchtung, die Schultern waren über und über bedeckt mit blutroten Kratzspuren, die sie mit ihren Nägeln hinterlassen hatte, und sein knackiger kleiner Hintern war perfekt geformt, wie zwei makellos runde Brötchen frisch aus dem Ofen.

Ein ähnlich köstlicher Anblick.

Was die passende Erklärung für die Bissspuren an der golden schimmernden linken Pobacke war.

Nur ein Traum. Es war nur ein Traum gewesen, dachte sie und ließ sich erleichtert gegen das Kopfteil sinken. Sie zog sich die Decke über die nackten Brüste. Ihre Brustwarzen waren rot und geschwollen, weil er sich so emsig an ihnen zu schaffen gemacht hatte, und auch ihr Geschlecht pochte ganz zart zwischen ihren Schenkeln.

Sie hatte am ganzen Körper tiefblaue Flecken.

Die kamen daher, dass er sie mit ganzer Kraft auf das Bett niedergedrückt und fixiert hatte.

Er war ein dämonischer Liebhaber, so viel stand fest, und das nicht nur im übertragenen Sinn. Dieser Mann war alles, was sie sich je erträumt hatte, alles mehr oder weniger maßgeschneidert nach ihren eigenen Wunschvorstellungen. Sie ließ ihren Blick flüchtig über die vielen Stangen voller Blusen, Röcke, Kleider und Hosen schweifen … bis zu der hinteren Ecke, wo einsam eine städtische Mülltonne stand, offenbar völlig fehl am Platz.

Sie hatte das Buch auf dem Ding abgelegt, weil die biestige Ansammlung von Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln schrecklich unverschämt und noch dazu eingeschnappt gewesen war. Deshalb hatte sie der Schwarte dringend eine kleine Gedächtnisauffrischung verpassen müssen, wer hier der Boss war, denn hätte sie sie nicht aus den Trümmern dieser Brandruine herausgefischt, wäre sie hundertpro auf der Müllkippe gelandet. Gottverdammt, dieses Miststück war einfach nur lästig gewesen.

Aber sie hatte es gebraucht.