Der Hexer -  Folge 13-16 - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Der Hexer - Folge 13-16 E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

4 Mal Horror-Spannung zum Sparpreis!


Die Kultreihe von Starautor Wolfgang Hohlbein - vier HEXER-Romane in einem Sammelband.

"Bote vom Ende der Nacht" - Folge 13 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Langsam kehrte sein Bewusstsein ins Leben zurück. Er war tot gewesen. Sein Körper war zerstört worden, nicht zum ersten Mal, aber so gründlich und brutal wie nie zuvor in seinem jahrhundertealten Leben. Er erinnerte sich vage an den Schmerz; einen Schmerz, wie er ihn niemals zuvor verspürt hatte, grausam und alles übertreffend, was er bisher empfunden hatte. Und er erinnerte sich an den Mann, der ihn getötet, der seinen Körper in einer tosenden Flammensäule vernichtet hatte. Robert Craven, der Hexer...

"Die Chrono-Vampire" - Folge 14 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Gerade war die Stelle am Ufer des kleinen Sees noch leer gewesen. Jetzt standen plötzlich drei Männer dort. Niemand, der zu dieser späten Stunde noch in den Regents Park gegangen wäre, hätte sie kommen sehen, denn sie waren buchstäblich aus dem Nichts herausgetreten. Nur eine streuende Katze war Zeuge ihrer Ankunft. Und sie allein spürte die schreckliche, abgrundtief böse Aura, die die drei Männer umgab. Ihr rostrotes Fell sträubte sich, bevor sie mit hastigen Sprüngen und in wilder Panik davonstob. Für einen winzigen Moment hatte sie den Tod gespürt ...

"Labyrinth der weinenden Schatten" - Folge 15 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Es war alt und voller Gier nach Leben. Die Quelle dämonischer Kraft tief im Inneren seines monströsen Leibes, sein im Takt der Zeit pulsierendes Herz, der dunkle Kern seines Selbst, war voller Gier und Hunger. Einem Hunger, der niemals zu stillen war. Es tötete!!! Es verschlang und fraß und nahm die Dinge in sich auf, deren es auf seinem Weg durch die Ströme der Zeit habhaft werden konnte, versuchte seine Gier an den Auren lebendiger Geschöpfe und an den so seltenen Trägern reiner Magie zu stillen. Und nun schloss sich seine Falle wieder um ein Opfer. Ein ganz besonderes Opfer diesmal. Eines, auf das es lange, sehr lange gewartet hatte ...

"Das Haus unter dem Meer" - Folge 16 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Selbst in der Nacht wirkte die Straße finster; wie eine schwarze Bresche in der Dunkelheit, ein Riss in der Welt, durch den das Unheimliche Böse wie ein übler Geruch herüberwehte. Irgendwo an ihrem Ende schienen sich Schatten zu bewegen, schienen namenlose Wesen unaussprechliche Dinge zu tun und sich vor der Schwärze dunkle Umrisse in noch tieferen Schwarz zu ballen. Grodekerk schauderte. Sein Herz schlug schneller, je näher er der Straße kam. Das Gewicht der Waffe an seinem Gürtel verlor seine beruhigende Wirkung, während er auf die Schatten zuging. Schritt für Schritt dem Grauen entgegen. Er fühlte sich verloren- und allein ...

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Seitenzahl: 549

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Inhalt

Cover

DER HEXER – Die Serie

Über diese Folge

Über den Autor

Titel

Impressum

Der Hexer – Bote vom Ende der Nacht

Der Hexer – Die Chrono-Vampire

Der Hexer – Labyrinth der weinenden Schatten

Der Hexer – Das Haus unter dem Meer

Vorschau

DER HEXER – Die Serie

Die Kultreihe von Starautor Wolfgang Hohlbein kehrt wieder zurück! Insgesamt umfasste DER HEXER 68 Einzeltitel, die erstmalig als E-Books zur Verfügung stehen.

Über diese Folge

Dieser Sammelband beinhaltet die Hexer-Romane 13-16:

Der Hexer – Bote vom Ende der Nacht

Der Hexer – Die Chrono-Vampire

Der Hexer – Labyrinth der weinenden Schatten

Der Hexer – Das Haus unter dem Meer

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, am 15. August 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen Kindern in der Nähe von Neuss, umgeben von einer Schar Katzen, Hunde und anderer Haustiere. Er ist der erfolgreichste deutsche Autor der Gegenwart. Seine Romane wurden in 34 Sprachen übersetzt.

Wolfgang Hohlbein

DER HEXER

Folgen 13–16

BASTEI ENTERTAINMENT

Digitale Originalausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG

Erstmals veröffentlicht 1990 als Bastei Lübbe Taschenbuch

Titelillustration: © shutterstock / creaPicTures

Titelgestaltung: Jeannine Schmelzer

E-Book-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1571-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Vorwort Hexer Band 13-15

Wolfgang Hohlbein gibt in ebenso informativen wie amüsanten Vorworten Einblick in die heiße Schaffensphase der Hexer-Reihe. Seine Anmerkungen beziehen sich dabei in der Regel gleich auf mehrere E-Book-Folgen. Hier das Vorwort zu Band 13 bis 15.

Die Geschichte mit der Katze hatte ein Nachspiel, aber es sollte eine Weile dauern. Der Siegeszug des Hexers hielt unaufhaltsam an (dachten wir), und die begeisterten Leserbriefe stapelten sich immer höher auf Michaels Schreibtisch. Damals waren Verlage noch viel eher bereit, ein gewisses (*hüstel*) Risiko einzugehen, und so stand schon bald die Frage im Raum (und in roten Leuchtbuchstaben auf meiner Stirn), warum dem Hexer eigentlich keine eigene Serie geben?

Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte. Unglückseligerweise war da die Geschichte mit dem Manuskript, das ich pünktlich einen Tag nach dem unwiderruflich allerletzten Termin abgeliefert hatte (den drei M die Geschichte von der Katze und der Computertastatur zu erzählen, habe ich mir gespart – sie hätten sie sowieso nicht geglaubt). Redakteure glauben niemals einer Ausrede, und wenn sie wahr ist, schon gar nicht, und in der Diskussion, die der endgültigen Entscheidung, dem Hexer eine eigene Serie zu geben, vorausging, fielen so hässliche Worte wie »Pünktlichkeit«, »Zuverlässigkeit« und »Drucktermine«.

Spaß beiseite: Natürlich muss ein Verlag dafür sorgen, dass eine regelmäßig erscheinende Serie auch regelmäßig erscheint (fragen Sie den Redakteur dieser E-Book-Sammler-Edition, er weiß, was ich meine …), und ich hatte damals schon das eine oder andere Angebot, Bücher zu schreiben oder in anderen Serien mitzuarbeiten, sodass allen (außer mir) klar war, dass eine regelmäßig erscheinende 14-tägige Serie vielleicht ein bisschen viel für mich allein war. Langer Rede, kurzer Sinn: Rolf Schmitz, der damalige Cheflektor, bestand darauf, mindestens einen, besser aber mehrere Co-Autoren in die Serie einzuarbeiten und vielleicht auch ein paar Bände »auf Vorrat« schreiben zu lassen, nur für den Fall, dass ich krank werden, mir eine neue, noch dürrere Katze zulegen, für die Konkurrenz arbeiten oder sonst wie ausfallen könnte, und letzten Endes musste ich zähneknirschend zustimmen.

Als Allererster stand Dieter Winkler zur Debatte, der als enger Freund und Kollege bereits den Band »Tage des Wahnsinns« beigesteuert hatte – aber inzwischen nach München zu einer Computerzeitschrift entfleucht war. Danach Frank Rehfeld (der auch recht bald dazu stieß), aber der erste Roman eines »Fremdautors« kam dann doch von anderer Seite – und vollkommen überraschend. Ich war damals mit Elmar Wohlrath und seiner Frau Iny Klocke befreundet, zwei »Fandom«-Autoren, die schon die eine oder andere Story in Fanmagazinen und kleineren Publikationen veröffentlicht hatten. Ich weiß selbst nicht mehr warum, aber irgendwie erzählte ich ihnen von der Entscheidung des Verlages, Co-Autoren zu suchen – und Elmar legte mir ungefragt ein fertiges Hexer-Manuskript vor, das er »nur so zum Spaß« geschrieben hatte … Ich las es, war platt vor Staunen – und bequatschte Michael, es sofort einzuplanen.

Leider blieb es (aus persönlichen Gründen) der einzige »Gastauftritt« der beiden. Aber keiner, für den sie sich schämen müssten. Ganz im Gegenteil.

Wolfgang Hohlbein

DER HEXER

Band 13Bote vom Ende der Nacht

Langsam kehrte sein Bewusstsein ins Leben zurück. Er war tot gewesen. Sein Körper war zerstört worden, nicht zum ersten Mal, aber so gründlich und brutal wie nie zuvor in seinem Jahrhunderte alten Leben. Er erinnerte sich vage an den Schmerz; einen Schmerz, wie er ihn niemals zuvor verspürt hatte, grausam und alles übertreffend, was er bisher empfunden hatte.

Und er erinnerte sich an den Mann, der ihn getötet, der seinen Körper in einer tosenden Flammensäule vernichtet hatte.

Robert Craven, der Hexer …

Dann verging die Erinnerung an den Schmerz, und gleichzeitig, wie um sie zu ersetzen, erwachte ein anderer, neuer Gedanke in ihm. Der Gedanke an Rache.

Trotz allem, was man sich über ihn erzählte und über ihn dachte, war ihm dieses Gefühl neu. Er war niemals in seinem von Finsternis erfüllten Leben in eine Situation gekommen, in der er Vergeltung nötig gehabt hatte, weil er jeden Schmerz und jede Beleidigung sofort und grausam bestraft hatte.

Jetzt, Bruchteile von Sekunden, ehe sein Geist die Fesseln der Bewusstlosigkeit endgültig abstreifte, verspürte er dieses Gefühl zum ersten Mal in seinem Leben, einen Wunsch, der wie ein unstillbares Feuer in ihm brannte, ihn verzehrte und einen schwer zu beschreibenden, körperlosen Schmerz in seiner Seele zurückließ.

Dann öffnete er die Augen.

Necron, der Hexenmeister der Drachenburg, war ins Leben zurückgekehrt.

Zuerst war nichts als Dunkelheit um mich herum, eine Schwärze, die sich wie ein erstickender Mantel um meinen Körper und meine Erinnerungen schmiegte. Es dauerte nicht lange – nur einen kurzen, schrecklichen Augenblick, aber diese wenigen Sekunden wurden zu Ewigkeiten der Qual, in denen ich nicht wusste, wo ich mich befand, nicht einmal wer noch was ich war. Dann klärten sich die schwarzen Nebel vor meinem Geist, und mit dem grausamen Schmerz, der in meinen Eingeweiden erwachte, kehrten auch die Erinnerungen zurück.

Da war eine Ebene, schwarz wie Teer und so unendlich wie die Ewigkeit, sanft gewellt wie ein Ozean, der mitten in Bewegung erstarrt war, und beschienen vom Licht eines kalten, knochenbleichen Mondes, der viel zu nahe und zu groß war, und –

Ich blinzelte und fuhr mir in der vollkommenen Dunkelheit, die mich immer noch umgab, verwirrt mit den Fingerspitzen über die Schläfen. Was waren das für Erinnerungen? Ich war nie in einem solchen Land gewesen, noch hatte ich davon gehört oder gelesen. Und doch hatte ich das Bild so plastisch und klar vor mir, dass ich für einen Moment meinte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um die schwarzen morastigen Wogen ergreifen, ihre widerliche Wärme spüren und die Hand durch ihre zähe, sirupartige Oberfläche stoßen zu können …

Wieder wurden die Bilder so klar, dass ich spürte, wie mir die Realität zu entgleiten begann. Ich stöhnte und presste Daumen und Zeigefinger so fest gegen die geschlossenen Lider, dass kleine farbige Sterne vor meinen Augen aufzuflammen begannen.

Der Schmerz riss mich – endgültig – in die Wirklichkeit zurück. Für einen ganz kurzen Moment hatte ich das Gefühl, gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen zu müssen, wie ein Netz klebriger Spinnfäden, die mich hielten, dann zerriss es mit einem plötzlichen, harten Ruck, und die Bilder und Visionen verschwanden aus meinem Geist.

Als ich die Augen öffnete, war die Dunkelheit nicht mehr vollkommen. Ich erkannte graue, rissige Wände aus Holz vor, rechts und links von mir, und meine Hand umklammerte etwas Kaltes, Hartes. Ich selbst lehnte zusammengesunken an einer weiteren Wand in meinem Rücken.

Ich sah an mir herab. Meine Kleider waren verdreckt und hingen zum Teil in Fetzen, die Haut darunter war rot und schwarz, hier und da von kleinen Krusten erst halb geronnenen Blutes bedeckt. Mein ganzer Körper schien ein einziger, pulsierender Schmerz zu sein.

Durch das Holz vor mir drangen Stimmen, gedämpft und so verzerrt, dass ich ihre Worte nicht verstehen konnte. Aber es waren die Stimmen von Menschen; wenigstens das.

Ich versuchte mich aufzurichten, stieß mir den Schädel an der viel zu niedrigen Decke und wäre erneut gestürzt, hätte der winzige, kastenförmige Raum genug Platz dafür geboten.

Der winzige, kastenförmige Raum …

Die Worte hallten ein paar Mal in meinem Schädel wider, bis ich begriff, warum sie ein so düsteres, erschreckendes Echo in meiner Seele auslösten.

Kastenförmig.

Klein.

Und aus Holz!

Für einen Moment geriet ich in Panik. Ein Teil meines Denkens blieb klar und überlegt, aber der andere, größere Teil ließ mich schreien und toben und gaukelte mir die schreckliche Vorstellung vor, in einem Sarg zu sein, vielleicht schon tief unter der Erde, die murmelnde Stimme dort draußen nichts als die Gebete des Priesters, der den Sarg segnete, während hinter ihm schon die Totengräber darauf warteten, dass die Zeremonie endlich vorüber war, damit sie beginnen konnten, den Sarg mit Erde zu bedecken.

Den Sarg, in dem ich lebend beerdigt worden war!

Dann, so schnell wie die Vision gekommen war, verging sie wieder, und der Panik folgte ein Gefühl von Schwäche und Erleichterung, das mich mit einem Seufzen gegen die raue Wand sinken ließ. Ich stand aufrecht, und Särge wurden üblicherweise waagerecht ins Grab gelassen.

Draußen hatten die Stimmen für einen Moment innegehalten, als ich zu schreien begonnen hatte. Jetzt erklangen sie wieder, lauter und aufgeregter, dann näherten sich hastige, trappelnde Schritte. Eine Hand schlug dumpf gegen das Holz meines Versteckes, etwas quietschte, und dann stach helles, blendendes Sonnenlicht in meine Augen.

Ich stöhnte, hob instinktiv die Hand über das Gesicht und versuchte die Gestalt zu erkennen, die vor mir aufragte. Der Mann zeichnete sich nur als schwarzer, von einem Strahlenkranz quälender Helligkeit umrandeter Schatten über mir ab, aber ich hörte sein ungläubiges Keuchen und seine Gestalt verkrampfte sich vor Überraschung.

»Zum Teufel!«, entfuhr es ihm. »Was machen Sie hier? Wer sind Sie überhaupt?«

Wieder vergingen einige Sekunden, ehe ich die Hand herunternahm und durch den Vorhang von Tränen, der meinen Blick verschleierte, zu ihm aufsah.

Und dann dauerte es noch länger, bis das Gefühl der Beunruhigung, das seine Worte in mir ausgelöst hatten, verging und einem lähmenden Schrecken Platz machte.

»Verdammt, antworten Sie!«, verlangte der Fremde noch einmal. »Wie kommen Sie hier herein, und wer sind Sie?«

Aber ich antwortete auch diesmal nicht. Nicht, dass ich es nicht wollte – ich konnte nicht.

Denn ich wusste die Antworten selber nicht, die er von mir hören wollte …

Kälte hing in der Luft wie unsichtbarer Nebel, und von den Wänden hallten die Echos winziger harter Rattenfüßchen wider. Es war nicht sehr hell; durch die schmalen, vergitterten Fenster hoch unter der Decke drang zwar Licht herein, aber der Raum war sehr groß und von Schatten erfüllt, die das Licht zu absorbieren schienen. Als verberge sich hinter den grauen Schleiern etwas, das die Helligkeit und die Botschaft von Leben, die mit ihr kam, gierig verschlang.

Howard hob müde den Kopf, sog tief die Luft zwischen den Zähnen ein und zerrte zum wahrscheinlich hundertsten Mal an den dünnen Lederriemen, die seine Handgelenke auf den Rücken fesselten.

Zum hundertsten Male vergeblich. Der Mann, der ihn gefesselt hatte, verstand sein Handwerk; er konnte die Arme nicht einmal bewegen, geschweige denn, seine Hände befreien.

»Lassenses bleim«, nuschelte eine tiefe Stimme hinter ihm. Sie klang kräftig in der Stille, die in dem feuchten Kellerverlies herrschte. Trotzdem schwang ein hörbarer Unterton von Schmerz darin.

Howard wandte den Kopf und sah einen Moment schweigend auf den gefesselten Riesen neben sich hinab.

»Sie tun sich bloß weh«, fuhr Rowlf fort. »Der Kerl weiß, wie man’n Mann fesseln muss.«

Howard verzichtete auch diesmal auf eine Antwort. Sie waren seit beinahe acht Stunden in diesem Keller, aber sie hatten kaum ein Dutzend Sätze miteinander gewechselt. Die Angst hatte sich in ihre Seelen gekrallt und machte jede Unterhaltung unmöglich.

Er schloss die Augen, fuhr sich mit der Zungenspitze über die geschwollene, aufgeplatzte Unterlippe und atmete hörbar ein. Selbst das Luftholen tat weh. Wahrscheinlich hatten sie ihm eine oder gar mehrere Rippen gebrochen.

Er konnte sich kaum erinnern, wie alles gekommen war. Die beiden schwarz gekleideten Männer waren wie ein lebender Sturmwind über ihn und Rowlf hereingebrochen. Alles, an was er sich erinnern konnte, waren verschwommene Bilder an wirbelnde Arme und Beine.

Ein leises Stöhnen drang in seine Gedanken. Mühsam wandte er den Kopf, rutschte unbeholfen mit gefesselten Armen und Beinen herum und verdrehte den Hals, bis er auf den Mann hinabsehen konnte, der auf der anderen Seite lag, so gründlich gefesselt wie er und Rowlf, aber womöglich noch schlimmer zugerichtet.

Es war ein bizarrer Anblick. Jetzt, nachdem er Zeit und Muße gehabt hatte, das Gesicht des anderen in aller Ruhe zu studieren, war die Ähnlichkeit nicht mehr ganz so frappierend. Trotzdem hatte er im ersten Moment wieder das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Der Mann neben ihm hatte sein Gesicht.

Stöhnend öffnete der Fremde die Augen, versuchte sich aufzusetzen und sank mit einem schmerzerfüllten Keuchen zurück.

»Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Howard amüsiert. Eine morbide Heiterkeit stieg in ihm empor. Fast hätte er gelacht.

»Was … o Gott, was ist passiert?«, murmelte der Fremde. Erneut versuchte er sich aufzusetzen – und diesmal gelang es ihm. Als sein Gesicht in den schmalen Streifen grauer Helligkeit geriet, der durch eines der Fenster fiel, sah Howard, dass sein linkes Auge zugeschwollen und die Wange darunter blau und grün angelaufen war. Außerdem löste sich sein Bart ab.

»Das hätte ich gerne von Ihnen gewusst«, antwortete er ruhig. »Warum erzählen Sie mir nicht alles? Zeit genug zum Reden haben wir, denke ich. Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Lovecraft«, sagte der andere undeutlich. Der Blick seines offenen Auges war verschleiert; er schien noch nicht ganz in die Wirklichkeit zurückgefunden zu haben. »Howard Lovecraft. Ich –«

»Hören Sie auf!«, unterbrach ihn Howard ärgerlich. »Das ist wirklich nicht der richtige Augenblick für makabere Scherze.«

Der andere stockte, blinzelte ein paar Mal mit nur einem Auge und sah Howard verwirrt an. Dann flammte Schrecken in seinem Blick auf.

Howard lächelte schadenfroh. »Na, endlich wach?«

»Was …« Der Mann stockte, sah sich verwirrt um und begann mit einem Male wie wild an seinen Fesseln zu zerren.

Howard wartete geduldig, bis sein Gegenüber die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen eingesehen hatte. Dann lehnte er sich zurück, so weit es die unbequemen Fesseln zuließen.

»Wenn Sie das bisschen Verstand, das Sie zu haben scheinen, wieder zusammengekratzt haben, können wir vielleicht reden«, sagte er freundlich.

»Reden?« Die Stimme des anderen bebte. Panik loderte in seinem Blick. Sein Atem ging schnell und stoßweise. »Wo sind wir hier? Was … was ist passiert?«

»Wo wir hier sind, weiß ich so wenig wie Sie«, antwortete Howard geduldig. »Und was passiert ist, sollten Sie besser wissen als ich.«

»Ich weiß gar nichts. Ich bin Howard Love –«

»Verdammt, hören Sie auf!«, brüllte Howard. »Ich bin Howard Lovecraft, nicht Sie. Und ich will wissen, wer Sie sind und wer Sie geschickt hat.«

Sein Doppelgänger starrte ihn an und schwieg. Howard musterte ihn genauer. Die Ähnlichkeit war nicht mehr so groß wie zu Anfang – der Bart war falsch und das Haar gefärbt, das konnte er jetzt sehen, und der andere war ein wenig dicker im Gesicht als er. Die Schläge und das Blut hatten die Schminke verschmiert, sodass das wahre Gesicht des anderen durch die Maske hindurchschimmerte. Trotzdem musste er ihm auch so ähnlich sehen wie ein Bruder.

»Ich weiß überhaupt nichts«, sagte der andere schließlich. Seine Stimme hörte sich an, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen.

»Vielleicht erinnern Sie sich, wenn ich Ihnen ein wenig auf die Sprünge helfe«, murrte Howard. »Sie haben Rowlfs und meine Abwesenheit ausgenutzt, um an meiner Stelle mit Robert Craven Kontakt aufzunehmen. Aus dem einzigen Grund, in den Besitz des NECRONOMICON zu gelangen. So weit richtig?«

Der andere schwieg beharrlich, aber er hatte sein Gesicht nicht gut genug unter Kontrolle, als dass Howard die Antwort nicht aus seinen Zügen ablesen konnte.

»Also richtig«, sagte er zufrieden. »Übrigens – mein Kompliment. Die perfekteste Maske, die ich jemals gesehen habe. Wer hat Sie geschickt? Der Orden?«

Diesmal versagte die Selbstbeherrschung des anderen endgültig. Ein erschrockenes Keuchen kam über seine Lippen. »Sie … wissen …«

Howard lachte hart. »Halten Sie mich für einen Trottel, Mister Doppelgänger? Ihre Brüder jagen mich seit zehn Jahren. Ich habe gewusst, dass Sie eines Tages kommen würden. Sie oder jemand wie Sie. Wie ist Ihr Name? Ich finde es ziemlich albern, Sie ständig mit Howard anreden zu sollen.«

»Van der Groot«, sagte der andere leise. »Henk van der Groot.«

»Holländer?«

Van der Groot nickte. Sein Blick bohrte sich in die graue Dunkelheit hinter Howard.

»Hören Sie zu, van der Groot«, sagte Howard geduldig. »Sie und ich sind Feinde, wie die Dinge liegen, aber ich schlage vor, wir schließen einen Burgfrieden. Wenigstens, bis wir hier heraus sind.«

Van der Groot starrte ihn an. »Heraus?«, krächzte er. »Sie sind von Sinnen, Lovecraft. Niemand entkommt den Drachenkriegern. Ich dachte, das wüssten Sie!«

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, sagte Howard lächelnd. »Außerdem schadet ein Versuch nicht, oder?«

Es dauerte lange, bis van der Groot nickte. »Was … haben Sie vor?«, fragte er.

»Zuerst einmal müssen wir diese verdammten Fesseln loswerden«, antwortete Howard. »Und danach werden wir sehen, ob Necrons Leibgarde wirklich so unbesiegbar ist, wie man sagt. Rowlf!«

Der breitschultrige Riese knurrte, zog die Beine an den Leib, so weit es die Fesseln zuließen, und begann über den feuchten Steinboden heranzukriechen. Auch Howard bewegte sich, schwang vor und zurück und kippte schließlich langsam zur Seite. Ein unterdrückter Schmerzlaut entrang sich seinen Lippen, als er auf den harten Steinboden aufschlug.

Van der Groot beobachtete ihn mit einer Mischung aus Unverständnis und Neugier. »Was haben Sie vor?«, fragte er.

Howard antwortete nicht, sondern rollte sich keuchend auf den Bauch, während Rowlf wie ein missgestalter Riesenwurm auf ihn zurobbte. Schließlich lag der Kopf des Riesen nahe seinen zusammengebundenen Händen.

»Achten Sie … auf die Tür«, keuchte Howard. »Es wäre … peinlich, wenn gerade jetzt der Zimmerservice käme.«

Van der Groot runzelte die Stirn, verdrehte aber gehorsam den Hals, um zu der niedrigen Holztür am anderen Ende des Raumes zu starren. Nicht, dass es etwas genutzt hätte. Wenn jetzt jemand hereinkam, das wussten sie alle, dann wäre es aus.

Rowlf nahm die dünnen Lederriemen zwischen die Zähne und begann darauf herumzukauen. Seine mächtigen Kiefer mahlten hörbar, und die Muskeln an seinem Hals traten wie knotige Stricke hervor.

Es dauerte lange, aber Rowlf ließ nicht locker. Blut lief an Howards Handgelenken herab, als die dünnen Lederriemen wie reißender Draht in seine Haut einschnitten, aber der schlanke Amerikaner gab keinen Laut des Schmerzes von sich. Endlich, nach zwanzig Minuten, rollte Rowlf mit einem erschöpften Keuchen herum und schloss die Augen. Sein Kinn war voller Blut.

Howard richtete sich auf, hob die Hände vor das Gesicht und massierte seine Gelenke. Dann löste er rasch die Fesseln, die seine Füße hielten, und befreite dann Rowlf.

»He!«, sagte van der Groot, als Howard keine Anstalten machte, sich ihm zu widmen. »Und ich?«

Howard wandte sich mit einer betont langsamen Bewegung an den Holländer. Ein sonderbares Lächeln erschien auf seinen Zügen.

»Wir sollt’n einfach liegnlassn«, knurrte Rowlf. »Dieser Necron wird sich freuen, wenigstns noch ein Gefangn’ zu haben.«

Van der Groot erbleichte. »Das … das können Sie doch nicht machen!«, keuchte er. »Die … die werden mich umbringen, wenn Sie mich zurücklassen.«

»Möglich.« Rowlf grinste. »Aber ganz langsam. Sie wem was davon ham, denk ich.«

»Sie Tier!«, keuchte van der Groot. »Lovecraft, Sie … Sie werden mich doch nicht hier lassen!«

»Nicht, wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten«, sagte Howard ruhig. »Also?«

»Das ist Erpressung!«, protestierte van der Groot.

»Und noch dazu ganz und gar überflüssig«, sagte eine Stimme aus dem Schatten.

Van der Groot schrie auf, während Howard und Rowlf in einer einzigen schnellen Bewegung herumfuhren.

Der Mann musste schon lange dort gestanden und sie beobachtet haben, unsichtbar und lautlos; vielleicht hatte er die ganzen Stunden als stummer Wächter dort gestanden und sich über ihre Befreiungsversuche amüsiert.

Jetzt verwandelte er sich von einer Statue in einen rasenden Schatten. Es ging unglaublich schnell. Sein Fuß zuckte vor, traf Rowlfs Knie und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Gleichzeitig kam seine Faust hoch, traf Howards Kinn und streckte ihn zu Boden.

Rowlf schrie wie ein wütender Stier, fing seinen Sturz im letzten Moment ab und wollte sich erneut auf den Schwarzgekleideten stürzen.

Es gelang ihm nicht. Der Mann tauchte unter Rowlfs wirbelnden Armen hindurch, packte sein Handgelenk und riss ihn zurück. Rowlf segelte über den gekrümmten Rücken des Kriegers hinweg, flog durch die Luft und krachte auf einen Kistenstapel, der unter seinem Gewicht zusammenbrach.

»Mijneer van der Groot hatte vollkommen recht, Lovecraft«, fuhr die Stimme aus dem Schatten fort. »Niemand entkommt meinen Männern. Sie hätten auf ihn hören sollen. Das hätte Ihnen eine Menge Kraft und Schmerzen erspart.«

Howard richtete sich mühsam auf. Der Schlag hatte ihn von den Füßen gefegt. Sein Kopf dröhnte, und für einen Moment sah er nichts als farbige Kreise. Aber er erkannte zumindest, dass es nicht der Krieger war, dessen Stimme er hörte. Der Mann war wieder zur Reglosigkeit erstarrt, zu einer stummen, drohenden Statue. Die Stimme, die er hörte, kam aus den Schatten im Hintergrund des Kellergewölbes. Stoff raschelte, und plötzlich erkannte Howard undeutlich eine zweite, kleinere Gestalt.

»Schade, dass wir uns unter solchen Umständen kennen lernen müssen, Lovecraft«, fuhr die Stimme fort. »Ich habe von Ihnen gehört, wissen Sie? Unter anderen Umständen hätten wir vielleicht sogar zusammenarbeiten können. Aber so …« Er sprach nicht weiter, sondern seufzte nur hörbar und kam näher.

Howard schrie gellend auf, als aus dem Schatten ein Körper wurde und er Einzelheiten erkannte …

»Also – zum letzten Mal, Freundchen. Wer sind Sie, und wie kommen Sie hierher?«

Tornhills Stimme – ich glaubte zumindest, in dem genuschelten Etwas, mit dem er sich vorgestellt hatte, den Namen »Tornhill« verstanden zu haben – klang scharf. Er war kein geduldiger Mensch.

»Mein Name ist …« Ich stockte, kramte verzweifelt in meinen Erinnerungen herum und blickte Tornhill mit einer Mischung aus Furcht und Verwirrung an, die seinen ohnehin kaum noch verhohlenen Zorn noch zu steigern schien.

Ich hätte schreien können. Es war nicht so, dass ich an Amnesie litt. Ich wusste sehr gut, wer ich war, und vor allem, was geschehen war. Die Erinnerungen und Fakten waren da, aber jedes Mal, wenn ich danach greifen, meinen Namen oder irgendetwas anderes aussprechen wollte, schien eine unsichtbare Hand durch mein Bewusstsein zu fahren und alles fortzuwischen. Ich fühlte mich in der Lage eines Mannes, der unversehens aufwacht und merkt, dass er nicht mehr gehen kann.

Tornhill seufzte. »In Ordnung«, sagte er bissig. »Wenn Sie gerne Spielchen spielen, vergeuden wir eben unsere Zeit.« Er grinste ungefähr so freundlich wie eine Schlange, die gerade ein besonders fettes Kaninchen erspäht hatte – setzte sich vor mir auf die Schreibtischkante und stützte sein Doppelkinn auf die Faust. Tornhill war der mit Abstand fetteste Mensch, den ich jemals gesehen hatte. Er bewegte sich nur langsam – und wenn er ging, dann floss er eher von einem Punkt zum anderen, als dass er lief. Aber im Gegensatz zu den meisten Dicken war er weder gutmütig noch gemütlich.

»Ihren Namen kenne ich sowieso«, sagte er.

Nun, da wusste er mehr als ich. Natürlich kannte ich meinen Namen. Er lautete …

»Tut mir leid, Mister Tornhill«, murmelte ich. »Ich –«

»Inspektor Tornhill«, verbesserte er mich kalt. »Inspektor Tornhill von Scotland Yard. Mordkommission, um genau zu sein.«

Mordkommission? Für einen Moment durchbrach eisiger Schrecken das schwarze Gewusel, in das sich meine Erinnerungen verwandelt hatten. Aber ich vermochte das Wort nicht wirklich zu verarbeiten.

»Also, Mister Andara«, fuhr Tornhill fort, ein triumphierendes Glitzern in den Augen. »Ihren Namen kennen wir, wie gesagt.«

»Andara?« Ich sah auf. Andara war eindeutig nicht mein Name. »Wie kommen Sie darauf?«

Tornhill lächelte kalt. »Weil Ihr Bild unten in der Halle hängt, mein Lieber«, erklärte er.

Irgendetwas in meinem Bewusstsein machte hörbar »Klick«, und plötzlich war ein Teil meiner Erinnerungen frei. Ich sah das Bild vor mir, das kleine Namensschildchen aus Messing darunter und das Gesicht darauf.

»Das bin nicht ich«, widersprach ich. »Der Mann auf dem Bild ist mein Vater. Mein Name ist … Craven. Robert Craven.«

»Craven?« Tornhill runzelte die Stirn und sah mich scharf an. Aber er widersprach nicht. Unter dem Bild stand auch ein Datum, soweit ich mich erinnerte – und dass ich keine fünfundfünfzig Jahre alt war, begriff er wohl.

»Ihr Vater also«, sagte er nach einer Weile. »Dann sehen Sie sich wirklich ähnlich.« Die Art, in der er die Worte aussprach, gefiel mir nicht. Und als ich aufsah, bemerkte ich, wie sein Blick an meiner weißen Haarsträhne hing. Die meisten Menschen, die mich zum ersten Mal sehen, können sich einer abfälligen Bemerkung über den gezackten weißen Blitz in meinem Haar nicht enthalten. Die allermeisten mochten es für eine Modetorheit und mich folglich für einen leicht bescheuerten Geck halten; einige wenige ahnten wohl, dass es mit dieser Strähne etwas Besonderes auf sich hatte, und sehr wenige mochten auch instinktiv spüren, dass es kein angenehmes Geheimnis war, das sich hinter der schlohweißen Strähne verbarg. Ich hatte das sichere Gefühl, dass Tornhill zur letzten Gruppe gehörte.

Wenn ich mich nur erinnern könnte! Es war alles da, greifbar und nah, aber zwischen mir und meinem Denken schien eine unsichtbare Wand zu sein.

»Dann gehört Ihnen also dieses Haus«, fuhr Tornhill nach einer Ewigkeit fort.

Ich nickte. Die unsichtbare Hand fuhr wieder durch mein Gehirn, tastend, sondierend, suchend. Jemand spielte Scrabble mit meinen Erinnerungen, aber dieser Jemand musste Analphabet sein. »Was … ist passiert?«, fragte ich.

Tornhills linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben, wie ein haariger Wurm, der seine Glatze hinaufkroch. »Sie wissen es wirklich nicht?«, fragte er. Seine Stimme klang noch immer kalt, aber schon merklich freundlicher als bisher. Einer seiner Assistenten – es waren allein drei hier in der Bibliothek, und den Geräuschen nach zu schließen musste sich noch eine ganze Armee draußen im Haus aufhalten – trat neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Später!«, knurrte Tornhill und scheuchte den Mann mit einer unwilligen Geste fort.

»Was passiert ist?«, fragte er, wieder an mich gewandt. »Nun, eigentlich hatte ich gehofft, eine Antwort auf diese Frage von Ihnen zu erhalten. Jemand hat uns alarmiert, weil er Schreie und Schüsse aus dem Haus gehört hat.« Er zog eine Grimasse. »Ein brennender Mann soll aus dem Fenster gefallen sein.«

Die Gestalt taumelte wie eine lebende Fackel auf mich zu. Ich schoss immer und immer wieder, und ich sah, wie die Kugeln als kleine weißglühende Bälle in der Flammensäule explodierten, in die sich der Unheimliche verwandelt hatte, aber er kam näher und näher, die lodernden Hände vorgestreckt.

Ich stöhnte. Das Bild war wie eine Explosion in meinem Geist erschienen. Im ersten Moment erschien es mir zu schrecklich, um wahr sein zu können, ein Bild aus einem Albtraum. Aber ich wusste, dass es passiert war.

»Was haben Sie?«, fragte Tornhill.

»Nichts. »Ich schüttelte hastig den Kopf und richtete mich ein wenig in dem Sessel auf, in den mich Tornhill und sein Assistent gedrückt hatten. »Sprechen Sie weiter.«

Tornhills Augenbraue glitt noch ein Stück weiter nach oben und erreichte jetzt fast den Scheitel. Aber er fuhr unbeeindruckt fort: »Das ist es eigentlich schon. Mit Ausnahme von acht Toten und zwei Bewusstlosen, heißt das.«

»Toten?« Wieder blitzte ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Rowlfs Gesicht, verzerrt vor Schmerzen und über und über voller Blut. Howards verzweifelter Schrei. Das Ungeheuer …

»Ihre Hausangestellten, Mister … Craven«, antwortete Tornhill. »Und ein Mann, in dessen Tasche ein gefälschter Pass war, der auf den Namen …« Er stockte, griff in die Innentasche des kleinen Zeltes, das er anstelle eines Überrockes trug, und nahm einen zerknitterten Pass heraus.

»Da haben wir es ja. Dr. Dr. Dr. Mortimer Gray«, las er vor und sah mich prüfend an. »Hat er gestottert?«

»Dr. jur., Dr. phil. und Dr. med.«, erklärte ich. Tornhill wusste recht gut, was die drei Dr. zu bedeuten hatten. »Hören Sie auf, den Deppen zu spielen, Tornhill.«

Ein amüsiertes Glitzern erschien in seinen Augen. »Wer war er wirklich?«, fragte er.

»Wie kommen Sie darauf, dass dieser Mann nicht Dr. Gray war?«, erwiderte ich; nur, um Zeit zu gewinnen. Wieder zuckten Bilder durch meinen Kopf. Und allmählich begannen sie sich zu einem Ganzen zu formen.

»Ich kenne Dr. Gray«, antwortete Tornhill. »Er ist ein berühmter Anwalt und Arzt, das sollten Sie wissen, Craven. Ich hatte oft genug mit ihm zu tun. Dieser Tote hier ist auf keinen Fall Dr. Mortimer Gray. Und ich hätte seinen falschen Pass nicht gebraucht, um es zu merken.«

Plötzlich stand er auf, knallte den Ausweis mit einer wütenden Bewegung auf den Tisch und funkelte mich an. Von seiner Ruhe war nichts mehr geblieben.

»Verdammt, Mister Craven«, schnauzte er. »Ich werde zu einem Haus gerufen, in dem ein Massaker stattgefunden hat, und alles, was ich von Ihnen höre, sind Fragen! Wie wäre es mit ein paar Antworten?« Er trat auf mich zu und beugte sich vor. »Wo waren Sie?«, brüllte er. »Meine Männer haben dieses Zimmer auf den Kopf gestellt, zweieinhalb Stunden lang, und es war keine Spur von Ihnen zu sehen!«

Ich hielt seinem Blick einen Herzschlag lang stand, ehe ich auf die Uhr deutete. »Dort … drinnen«, sagte ich. »Sie haben mich doch selbst –«

»Hören Sie auf, Craven«, unterbrach mich Tornhill wütend. »Sie können nicht die ganze Zeit dort drinnen gewesen sein. Sie wären erstickt, in dieser Kiste.«

Wieder gab die unsichtbare Hand einen Teil meiner Erinnerungen frei. »Es ist … keine Uhr«, sagte ich schleppend. »Dahinter ist noch ein Raum. Eine … Bibliothek. Die Rückwand lässt sich öffnen.«

Tornhill starrte mich zweifelnd an, fuhr herum und walzte auf die offen stehende Uhr zu. Bei seiner Körperfülle war es ein Kunststück – aber er brachte es wirklich fertig, sich in die Uhr zu zwängen und seine fleischige Hand auf die Rückwand zu pressen.

Holz knirschte, dann schwang die Rückwand zur Seite und gab den Blick auf die Geheimbibliothek frei, die sich dahinter verbarg.

Meine Gedanken überschlugen sich. Die Information war plötzlich da gewesen, ein weiteres Bruchstück in dem Durcheinander hinter meiner Stirn. Es steckte Methode dahinter. Das war keine normale Amnesie, wie sie manchmal auftrat, wenn man bewusstlos gewesen war. Etwas kontrollierte meine Erinnerungen, mein Gedächtnis. Und dieses Etwas gab mir immer genau die Menge an Information, die ich unbedingt brauchte. Kein bisschen mehr.

»Eine Bibliothek, wie?«

Tornhill war durch die Uhr getreten und im angrenzenden Raum verschwunden. Seine Stimme erzeugte ein sonderbares, hallendes Echo.

Ich stand auf, näherte mich der Uhr und blieb wie versteinert stehen, als mein Blick in die dahinter liegende Bibliothek fiel. Oder das Etwas, was sich dort ausbreitete, wo nach Howards Aussage eine Bibliothek sein sollte.

Der Raum war vorhanden – vielleicht fünf Schritte breit und dreimal so lang. An den Wänden standen Regale, auf denen hier und da noch die vermoderten Überreste von Büchern zu erkennen waren, grünweiße Klumpen von Schimmel und schleimigem Moder.

Tornhill war stehen geblieben. Als er meine Schritte hörte, drehte er sich um und sah mich vorwurfsvoll aus seinen kleinen Schweinsäuglein an.

»Ich weiß, dass es Ihre Sache ist, Craven«, sagte er. »Aber wenn Sie einen Rat von mir wollen – Sie sollten Ihre Putzfrau entlassen.«

Ich konnte ihm nicht widersprechen. Auf dem Fußboden – oder dort, wo eigentlich der Fußboden sein sollte – lag eine dreißig Zentimeter hohe Schicht aus schwarzem, ölig glänzendem Schleim, in die er bis über die Waden eingesunken war.

Die Gestalt schien geradewegs aus einem Albtraum entsprungen zu sein. Es war ein Mensch, aber das war nur noch an seinen Proportionen zu erkennen; und selbst die waren verschoben, als wäre der ganze Leib zusammengestaucht und auf grausame Art deformiert worden. Seine Haut war, wo sie nicht geschwärzt und verkohlt war, zerrissen und mit braunroten feuchten Krusten übersät, und durch die zerfetzten Kleider war der blanke Knochen zu erkennen. Necrons Stimme klang, als käme sie aus einem zermalmten Kehlkopf.

»O mein Gott!«, keuchte Howard. »Was –«

Necron machte eine wütende Geste. »Der hilft Ihnen jetzt auch nicht mehr, Lovecraft«, zischte er. Aus seinen Worten sprach der Hass. »Schauen Sie mich ruhig an. Schauen Sie sich an, was dieser Hund Craven und Ihr Gehilfe mit mir gemacht haben. Sie werden dafür bezahlen, das schwöre ich Ihnen!«

»Aber ich –« Howards Stimme versagte. Jetzt, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, der dem Anblick der fürchterlichen Erscheinung gefolgt war, begann er zu begreifen.

»Das waren … Sie?«, murmelte er ungläubig. »Sie selbst waren der Mann, der versucht hat, Robert zu ermorden?«

»Ermorden?« Necron lachte schrill. »Meinetwegen nennen Sie es so. Ich nenne es eine Hinrichtung.«

Van der Groot begann schrill zu wimmern. »Wer ist das, Lovecraft?«, keuchte er. »Was bedeutet das?«

Howard machte eine unwillige Bewegung mit der Linken, um den Holländer zum Schweigen zu bringen, und trat gleichzeitig einen Schritt auf den verkrüppelten Magier zu. Sofort spannte sich die Gestalt des Kriegers neben Necron. Howard blieb stehen.

»Warum das alles, Necron?«, fragte er. Ein böses Lächeln spielte um seine Lippen. »Oder sollte ich Sie lieber Ab –«

»Schweigen Sie!« Necrons Worte waren wie ein Peitschenhieb. »Sprechen Sie diesen Namen nicht aus, Lovecraft. Niemals.«

»Wie Sie wollen, Necron. Aber das beantwortet meine Frage nicht. Warum das alles? Warum haben Sie mich nicht von Ihren Killern ermorden lassen?«

»Wenn es Sie stört, kann ich es nachholen«, erwiderte Necron böse. »Aber ich will Ihre Frage beantworten. Ich brauche Sie.«

»Lovecraft, was … was hat dieser Teufel vor?«, wimmerte van der Groot. »Bitte, was –«

Necrons Hand machte eine blitzartige, kaum wahrnehmbare Bewegung. Die schwarze Gestalt des Drachenkriegers bewegte sich wie ein Schatten auf van der Groot zu. Seine Faust traf den Holländer am Kinn. Er brüllte, fiel nach hinten und krümmte sich auf dem Boden.

»Das war für den Teufel, vermute ich«, sagte Howard, ohne den Blick von der verstümmelten Gestalt des Alten zu nehmen. Er begriff es immer noch nicht ganz. Der logische Teil seines Bewusstseins sagte ihm mit aller Klarheit, dass er einer der geheimnisumwittertsten Gestalten gegenüberstand, die es jemals gegeben hatte, aber ein anderer, verborgener Teil seines Selbst weigerte sich einfach, die Tatsache anzuerkennen. Necron! Der Hexer der Drachenburg! Er stand einer lebenden Legende gegenüber. Einer Legende, die mit Blut und Tränen geschrieben war und eine endlose Geschichte des Leidens und der Furcht erzählte.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte er, wieder an den Alten gewandt.

»Von Ihnen gar nichts«, erwiderte Necron hart. »Ich will etwas mit Ihnen. Vielleicht werden Sie es nie begreifen, aber Sie haben noch einmal Glück gehabt, Lovecraft. Ginge es nach mir, würde ich Sie töten, Sie und diese beiden jämmerlichen Narren da. Aber es geht nicht nach meinem Willen. Die Aufgabe ist wichtiger.«

»Welche Aufgabe?«, stammelte van der Groot. Wieder erhob der schwarzgekleidete Krieger die Hand, um ihn zu schlagen, aber diesmal hielt ihn Necron mit einer raschen Bewegung zurück.

»Sie und Ihre Brüder sind nicht die Einzigen, die hinter einem gewissen Buch her sind, van der Groot«, sagte Howard leise. »Das da vorne ist gewissermaßen die Konkurrenz.« Er lachte leise und blickte Necron fest ins Gesicht. »Oder?«

Der Magier nickte. Die Bewegung wirkte abgehackt wie die einer Puppe, die von einem ungeschickten Spieler gelenkt wurde.

»Und jetzt lassen Sie mich weiterraten«, fuhr Howard fort. »Sie sind gekommen, um Robert zu töten, weil Sie in ihm den Erben Roderick Andaras erkannt haben. Aber dann ist irgendetwas geschehen, das Sie zu einer Änderung Ihrer Pläne bewogen hat. Was war es?«

Necron antwortete nicht. Seine rechte, unversehrte Hand ballte sich zur Faust.

»Cthulhu.«

Howard drehte verwirrt den Kopf und wandte sich dann ganz um. Van der Groot hatte sich wieder aufgesetzt und blickte voller Angst zwischen ihm, dem Alten und der hoch aufgerichteten Gestalt des Drachenkriegers hin und her. Aber seine Stimme war fest, als er weitersprach.

»Es ist Cthulhu, Lovecraft«, sagte er. »Wir … der Orden … haben Informationen erhalten. Unser Ordensherr hatte … eine Vision. Er sah … Cthulhu. Er ist wiederauferstanden, in alter Macht. Das … das Wesen, das in Gestalt des Mädchens auftrat und Craven getötet hat, war ein Shoggote, von Cthulhu nach seinem Vorbild erschaffen.«

»Stimmt das?«, fragte Howard. Natürlich antwortete Necron nicht, aber das war auch nicht nötig. Endlich ergab alles einen Sinn.

»So ist das also«, sagte Howard nachdenklich. »Sie kommen zurück, Necron. Die Mächte, denen Sie Ihre Seele verschrieben haben, sind lebendig geworden. Und sie fordern jetzt ihren Preis.« Er blickte nachdenklich in das zerstörte Gesicht des uralten Magiers. »Aber Sie sind nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Sie haben durch den Orden erfahren, dass Robert sich im Besitz des NECRONOMICONS befindet, und Sie wollen es haben. Glauben Sie wirklich, Sie könnten den GROSSEN ALTEN widerstehen?«

»Ich weiß es«, versetzte Necron zornig. »Sie mögen viel wissen, Lovecraft, aber Sie sind trotzdem ein Narr. Niemand außer mir ahnt, welche Macht das Buch dem gibt, der es wirklich zu lesen versteht. Es enthält Geheimnisse, denen selbst die GROSSEN ALTEN nicht gewachsen sind. Mit diesem Buch kann selbst ich ihnen die Stirn bieten.« Er lachte meckernd. »In gewissem Sinne sind wir sogar Verbündete. Wenigstens bin ich ein Mensch.«

»Da bin ich mir gar nicht so sicher«, antwortete Howard; wohlweislich aber so leise, dass Necron seine Worte nicht hören konnte. Laut sagte er: »Sie haben sich verrechnet, Necron. Cthulhu wird Ihren Verrat bemerken. Er wird Sie töten.«

»Nicht, wenn ich das Buch habe.«

»Sie … Narr«, keuchte van der Groot. »Der einzige Mensch, der wusste, wo das Buch verborgen liegt, ist tot.«

»Robert ist nicht tot«, sagte Howard, ohne ihn anzusehen.

»Nein«, fügte Necron hinzu. »Und er wird mir das Buch aushändigen. Nicht wahr, Lovecraft?«

Howard schwieg, aber er wusste nur zu gut, wie recht der Alte hatte. Natürlich würde Robert das Buch herausgeben, aller Logik und allen Warnungen zum Trotz. Es war ganz einfach. So einfach, dass er fast gelacht hätte. Necron hatte ein Pfand, gegen das Robert selbst seine Seele verkauft hätte. Ihn, Rowlf – und Priscylla.

»Sie … müssen verrückt sein, Necron«, sagte Howard. Seine Stimme zitterte. »Sie bilden sich ein, gegen Wesen kämpfen zu können, deren Macht die von Göttern ist. Dabei sind Sie nichts als ein jämmerlicher Taschenspieler, im Vergleich zu ihnen!«

»So?«, machte Necron. Howards Worte schienen ihn eher zu amüsieren als zornig zu machen.

»Sehen Sie sich doch an!«, begehrte Howard auf. »Ich weiß nicht wie Sie es gemacht haben, dass Sie noch leben – aber schon ein ganz normaler Mensch wie Robert hätte Sie um ein Haar getötet.«

Necron lachte leise, richtete sich auf und schnippte mit den Fingern. Eine hochgewachsene, ganz in schwarzes Tuch gekleidete Gestalt trat aus den Schatten hervor und blieb mit demutsvoll gesenktem Blick zwei Schritte vor ihm stehen.

»Vielleicht war es Absicht, Lovecraft«, sagte er leise. »Vielleicht wollte ich ja, dass Sie mich so sehen – damit ich Ihnen beweisen kann, wie groß meine Macht wirklich ist. Schauen Sie!«

Und damit hob er die unversehrte Hand und machte eine rasche befehlende Geste. Der Krieger trat näher, fiel auf die Knie herab und senkte das Haupt.

Necron begann zu summen. Seine Stimme wurde hoch, dann schrill, formulierte sinnlos erscheinende und doch irgendwie drohend klingende Worte.

Und dann ging eine unheimliche Veränderung mit ihm vor.

Sein zerstörtes Gesicht begann sich zu glätten. Die klaffenden Wunden schlossen sich. Die Blutkrusten verschwanden, zerbrochene Knochen fügten sich wieder zusammen, die gerissene Haut begann auf wundersame Weise zu heilen, in Sekunden, wozu die Natur Monate gebraucht hätte. Seine gebeugte, zusammengestauchte Gestalt straffte sich, die Schultern wurden wieder gerade, und unter dem zerrissenen schwarzen Stoff seiner Kutte drang ein fürchterliches Rascheln und Knistern hervor.

Der unheimliche Vorgang dauerte nicht einmal eine Minute. Als er vorüber war, war aus dem verkrüppelten Zerrbild eines Menschen ein alter, schwarzhaariger Mann mit scharfer Adlernase und dunklen, stechenden Augen geworden.

Und dort, wo der Drachenkrieger gekniet hatte, lag nur noch eine leere Kutte aus schwarzem Tuch.

»Was ist das hier?«

Tornhill sprach langsam, überdeutlich und über die Maßen betont, um seinen Worten das gehörige Gewicht zu verleihen. Dass seine Stimme dabei vor kaum verhohlenem Schrecken bebte, verdarb ihm den Effekt. Seine Augen waren unnatürlich geweitet; und auf der Stirnglatze perlte kalter Schweiß.

»Was ist das hier?«, fragte er noch einmal. »Ein Irrenhaus oder was? Oder treiben Sie ein besonders ausgekochtes Spielchen mit mir, Craven?« Er beugte sich vor, zog mit spitzen Fingern den Stoff seiner Hose über dem rechten Bein nach oben und betrachtete angeekelt seine Schuhe. Er hatte den schwarzen Schleim mit einem Zipfel der Gardine abgewischt, aber aus Strümpfen und Hose hatte er das Zeug nur notdürftig herausbekommen.

Und den Geruch schon gar nicht.

»Also, Craven …« Er setzte sich auf und atmete hörbar ein. »Ich fasse noch einmal zusammen – soweit ich die unglaubliche Geschichte, die Sie mir aufgetischt haben, richtig verstehe. Sie behaupten also, dieses Haus gestern bezogen zu haben. Ein Erbstück von Ihrem Vater, sozusagen.«

»Sozusagen«, bestätigte ich. Das Wort kam noch schleppend über meine Lippen. Die Klammer um mein Bewusstsein begann sich zu lockern, aber es war ein langer und beinahe schmerzhafter Prozess und die Informationen, die ich bekam – die man mir zubilligte, berichtigte ich mich in Gedanken –, waren sorgsam gefiltert. Ich wusste gerade genug, um Tornhills Fragen beantworten zu können, nicht mehr. Aber ich hatte auch zugehört, und bei allem Schrecken, mit dem mich seine Worte erfüllt hatten, spürte ich trotzdem eine vorsichtige Erleichterung. Mary, die sich um Priscylla gekümmert hatte, war am Leben. Verletzt und in keinem guten Zustand, aber am Leben.

Priscylla selbst war verschwunden, genau wie Howard, Rowlf und Howards sonderbarer Doppelgänger. Und irgendetwas sagte mir, dass sie ebenfalls noch lebten. Ich spürte es einfach.

Tornhill nickte. »Sie behaupten weiter, von einem Mann, der aussah wie Dr. Gray und sich auch als dieser ausgab, hier hergebracht worden zu sein. Anschließend haben Sie Ihren alten Freund Lovecraft getroffen. Aber beide waren nicht die Männer, für die sie sich ausgaben, sondern Doppelgänger – was Sie allerdings erst später erfuhren. Weiter behaupten Sie, von einem schwarz gekleideten Mann angegriffen worden zu sein. Sie haben mehrmals auf ihn geschossen, dabei dieses Zimmer in Brand gesetzt und ihn anschließend aus dem Fenster geworfen. Danach sei dann plötzlich der richtige Lovecraft aufgetaucht –«

»Nicht danach«, unterbrach ich ihn. »Er war es, der mich gerettet hat, als mich der Fremde angriff.«

»Geschenkt«, sagte Tornhill ungehalten. »Jedenfalls behaupten Sie weiter, dass der echte Lovecraft danach auf seinen Doppelgänger getroffen ist. Aber bevor Sie Licht in die Sache bringen konnten, tauchte ein Doppelgänger ihrer Braut auf, schlug Gray tot und jagte Sie in diese Uhr. So weit richtig?«

Ich nickte, war aber klug genug, ihn dabei nicht anzusehen. Wir waren allein in der Bibliothek. Als ich angefangen hatte zu erzählen, hatte Tornhill all seine Gehilfen und Assistenten aus dem Zimmer geschickt.

»Wissen Sie, wie sich diese Geschichte anhört, Craven?«, fragte Tornhill ruhig.

»Ziemlich … verwirrend.«

»Ziemlich bescheuert«, verbesserte mich Tornhill. »Und das ist noch gelinde ausgedrückt.« Er beugte sich vor und fuchtelte mit einem Finger vor meinem Gesicht herum. »Erstens«, sagte er, »haben wir den Toten, den Sie angeblich aus dem Fenster geworfen haben, nicht gefunden, Craven. Diesen Mann hat es nie gegeben. Und dann Ihr Gerede von den Doppelgängern. Wo sind die denn alle? Haben sich in Luft aufgelöst, wie? Ich habe Ihnen von einem brennenden Mann erzählt, den irgendeine hysterische Ziege zu sehen glaubte, als sie uns rief. Das hat wohl Ihre Fantasie angeregt, Craven. Aber es gab keinen brennenden Mann. Das Feuer hier ist weiß Gott wie entstanden, und wer diesen … falschen Gray umgebracht hat …« Er zuckte die Achseln. »Nach dem ersten Gutachten unseres Polizeiarztes hat man ihm das Genick gebrochen. Das bringt ein kräftiger Mann wie Sie leicht fertig, wenn er weiß, wie.«

»Warum verhaften Sie mich nicht gleich?«, fragte ich wütend. Das Schlimme war, dass ich ihm nicht einmal wirklich böse sein konnte. Wäre ich an seiner Stelle gewesen und hätte eine derart unglaubliche Geschichte von einem Mann, der aus einem Uhrkasten gekrochen war, gehört, hätte ich ihn gleich ins nächste Irrenhaus eingeliefert. Aber vielleicht holte er das noch nach.

»Weil ich wissen will, was hier wirklich passiert ist«, antwortete Tornhill ruhig. »Verdammt, Craven, ich glaube nicht, dass Sie all diese Leute hier umgebracht haben. Aber ich glaube, dass Sie eine ganze Menge mehr wissen, als Sie zugeben.« Plötzlich wurde seine Stimme laut. »In diesem Haus sind acht Menschen ums Leben gekommen, Craven! Und wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, dann sind vier weitere verschwunden. Glauben Sie, ich würde jetzt nur den Kopf schütteln und Tee trinken gehen?«

»Natürlich nicht. Aber –«

»Kein Aber, Craven«, sagte Tornhill. »Ich schwöre Ihnen, dass ich Sie von hier aus direkt in den Tower bringe und den Schlüssel in die Themse schmeiße, wenn Sie nicht gleich mit einer glaubwürdigen Erklärung herausrücken.«

Ich sah ihn an, aber er hielt meinem Blick mühelos stand und lächelte sogar: kalt, fordernd und beinahe ohne Gefühl.

»Die Geschichte ist kompliziert«, begann ich langsam.

»Versuchen Sie’s«, sagte Tornhill. »Ich bin nicht ganz blöd, wissen Sie?«

»Es geht … um ein Buch«, sagte ich stockend. »Ich glaube, es geht um ein Buch. Ein ganz bestimmtes Buch. Die Männer, die hier waren und sich als Howard und Dr. Gray ausgaben, waren hinter einem Buch her, das sich in meinem Besitz befindet. Ein sehr wertvolles Buch.«

»Das muss es wohl sein«, knurrte Tornhill. »Wenn sie bereit waren, sieben Menschen dafür umzubringen.«

»Sie hätten auch siebenhundert Menschen ermordet, um in Besitz dieses Buches zu kommen«, antwortete ich. Tornhill zog erneut die Augenbrauen hoch, und ich beeilte mich, hinzuzufügen: »Sie sind nicht mit normalen Maßstäben zu messen, Inspektor. Diese Männer sind … Fanatiker. Religiöse Fanatiker.«

Es war ein Schuss ins Blaue. Eine glatte Lüge, auch wenn ich später begreifen sollte, dass ich der Wahrheit damit sehr sehr nahe gekommen war. Im Moment war es einfach das überzeugendste Argument, das mir einfiel. Und Tornhill schien geneigt, mir zu glauben. Jedenfalls widersprach er nicht.

»Ich … erinnere mich nicht genau an den Kampf«, fuhr ich fort. »Es ging alles so schnell … Irgendwie gelangte ich in den Nebenraum. Sie konnten mich dort nicht finden. Diese Uhr ist eine perfekte Tarnung.«

»Und Sie wollen mir erzählen, diese Männer hätten Sie ebenfalls nicht gefunden?«, fragte Tornhill.

»Sie hatten nicht viel Zeit zum Suchen«, gab ich zu bedenken. »Sie und Ihre Leute waren schnell zur Stelle. Und wer sucht schon in einer Uhr?«

Tornhill runzelte die Stirn. Aber zu meiner Überraschung sagte er nichts, sondern stand auf, ging wortlos wieder zu der Standuhr und lugte durch ihre beiden offen stehenden Türen.

»Dann bleibt nur noch die Frage, was das hier für ein … Zeugs ist«, sagte er. »Nur so – aus persönlicher Neugier, Craven. Würden Sie es mir erklären?«

Er fragte ganz und gar nicht aus persönlicher Neugier. Das fühlte ich. Trotzdem stand ich auf, ging zu ihm hinüber und …

Die Ebene reichte bis zum Horizont und darüber hinaus, und hoch über ihr, am Himmel, hing ein bleicher, knochenweißer Mond. In der Luft lag der Gestank verwesender Körper, und zwischen den schwarzen, in sanfter Monotonie auf- und abstrebenden Wellen, zu denen sich der Boden aufgeworfen hatte, lagen blasphemische Dinge von unbeschreiblicher Gestalt …

Ich stöhnte. Das Bild hatte mich mit der Wucht eines Fausthiebes getroffen, und obgleich ich mir mit aller Gewalt einzuhämmern versuchte, dass es nichts als eine üble Vision war, wusste ich doch mit unerschütterlicher Gewissheit, dass diese Spottgeburt von einer Welt existierte, irgendwo, verloren in den Weiten der Zeit und doch real und drohend und tödlich.

»Was haben Sie?«

Tornhills Stimme war so deutlich, als stünde er direkt neben meinem Ohr, aber seine Worte erreichten mein Bewusstsein nicht.

Die Mauer war wieder da, diesmal in anderer Richtung: eine Wand, die zwischen der Welt und meinem Denken lag und an der alles Reale, Greifbare und Wirkliche abprallte, die Platz für den Wahnsinn schuf, der sich mit eisigen Händen in meinen Verstand wühlte.

»Craven!«, sagte Tornhill scharf. »Was ist mit Ihnen?«

Wie durch einen auf und ab wogenden Schleier aus Nebeln und bösen Schatten sah ich, wie er sich herumdrehte und einen halben Schritt in meine Richtung tat. Dann blieb er plötzlich wieder stehen, aufmerksam geworden auf irgendetwas hinter der Tür.

»Nicht!«, stöhnte ich. Dieses eine, kaum verständliche Wort kostete mich unendliche Überwindung. Ich begann zu zittern. Die Kraft floss aus meinem Körper wie Blut, das durch eine fürchterliche Wunde entweicht und nur Schwäche und Tod zurücklässt. Ich wollte ihn warnen, ihm zuschreien, dass er sich herumdrehen und laufen sollte, so schnell er konnte, weg, nur weg von der Uhr, aber ich war Stunde um Stunde gewandert, unfähig, eine längere Pause oder wenigstens eine kurze Rast einzulegen, denn der Boden war nicht fest, und wenn ich länger als ein paar Augenblicke auf der gleichen Stelle verharrte, begann ich in den höllischen schwarzen Sumpf einzusinken und ich konnte mich nicht rühren, hatte nicht einmal die Kraft, auf ihn zuzutaumeln und ihn zurückzureißen.

»Gehen Sie nicht … dorthinein«, stöhnte ich. »Um Gottes willen, Inspektor, gehen … Sie … nicht durch die … Tür.«

Meine Stimme versagte. Ich stürzte, fiel hilflos zu Boden, aber der Schmerz, als ich mir das Gesicht blutig schlug, erreichte mein Bewusstsein nicht.

Tornhill war mit einem Schritt bei mir und riss mich in die Höhe.

»Verdammt, Craven, was ist passiert?«, fauchte er.

»Nicht dorthinein«, keuchte ich. Meine Gedanken begannen sich vollends zu verwirren. Ich konnte nicht mehr richtig sehen, begann die Kontrolle über meine Glieder zu verlieren und wäre erneut gestürzt, hätte Tornhill mich nicht gehalten. Sein Gesicht zerfloss vor meinen Augen zu einer amorphen weißen Fläche, seine Augen sanken ein und wurden zu lichtlosen schwarzen Tümpeln, aus denen mir der Wahnsinn entgegengrinste.

Dann veränderte es sich abermals. Seine Züge wurden schmaler, jünger, weiblicher und sanfter, wurden zum Antlitz des einzigen Menschen, den ich jemals geliebt hatte. Aber nur für einen Moment, dann zerplatzte es erneut, und hinter der Maske Priscyllas kam ein grauenhaftes Ding zum Vorschein, eine boshafte perverse Karikatur menschlichen Lebens, die fleischgewordene Verspottung Priscyllas, der höllische Shoggote, der an Priscyllas Stelle in meinem Haus aufgetaucht war, denn das Ding war mir gefolgt, als ich durch das Tor in die Vergangenheit geschleudert wurde. Zusammen mit mir hatte es den magischen Tunnel betreten, der in der Standuhr meines Vaters begann und in der Welt der GROSSEN ALTEN endete. Etwas war geschehen während dieses Sturzes durch die Ewigkeiten, etwas hatte uns getrennt, sodass er in einigem Abstand zu mir – räumlich oder zeitlich – die Welt seines Ursprunges erreicht hatte, aber er war da und er sah mich und hörte mich und er hatte begonnen, mich zu verfolgen und würde mich einholen, um zu vollenden, was ihm in der Bibliothek meines Hauses nicht gelungen war …

Ich schrie. Für einen Moment überschritt ich die Grenzen zum Wahnsinn; die Welt um mich herum wurde zu einem Albtraum aus grauschwarzen Spinnweben und Furcht. Ich brüllte und schrie und schlug in Panik um mich, bis Tornhill mich brutal an den Schultern hochriss und mir mit der flachen Hand vier-, fünf-, sechsmal hintereinander ins Gesicht schlug.

»Sind Sie wieder normal?«, fragte er. Seine Stimme klang kalt und ärgerlich wie zuvor, aber ich glaubte echte Sorge in seinem Blick zu erkennen. Mühsam löste ich seine Hand von meiner Schulter, richtete mich auf und nickte. Dann schüttelte ich den Kopf.

»Aha«, machte Tornhill. »Und was heißt das jetzt?«

»Ich bin … in Ordnung«, sagte ich. »Glaube ich.«

Tornhills Blick verdüsterte sich. »Was sollte das?«, fragte er. »Warum wollen Sie nicht, dass ich durch diese Tür gehe? Es wäre besser, wenn Sie mir jetzt endlich die Wahrheit sagen würden – ich bekomme sie sowieso heraus. Ich werde nämlich ganz Scotland Yard auf dieses Haus und ganz besonders dieses Zimmer dort ansetzen, wenn es sein muss. Was ist dort drüben, Craven? Was ist dieses schwarze Zeug?«

Ich wollte antworten, kam aber nicht dazu.

Durch die offen stehende Tür der Uhr wehte ein unheimliches Geräusch heran. Im ersten Moment klang es wie das Heulen eines Wolfes, weit, weit entfernt und verzerrt vom Wind und der Leere. Aber dann wurde es schriller, bizarrer und fremdartiger, ein Laut, der nicht von dieser Welt war, ein unbeschreibliches wildes und feindseliges Kreischen, mit dem irgendetwas eine äonenalte Wut in die Welt hinausschrie.

Tornhill erbleichte. Seine Augen weiteten sich, und seine Lippen begannen zu zittern. Aber kein Laut entrang sich seiner Brust. Und dann drehte er sich mit starren, gezwungen wirkenden Bewegungen zur Standuhr herum.

»Nicht!«, keuchte ich. »Gehen Sie nicht dorthin, Tornhill!«

Aber wenn der Inspektor meine Worte überhaupt hörte, so reagierte er nicht darauf – oder konnte es nicht. Langsam, mit Schritten, die von einer gnadenlosen unsichtbaren Kraft gelenkt wurden, näherte er sich der Tür.

Ich sprang hoch, warf mich auf ihn und zerrte ihn mit aller Gewalt zurück. Mein Blick fiel durch die Tür.

Und was ich sah, ließ mich erstarren.

Wände und Decke waren verschwunden, und wo die Geheimbibliothek meines Vaters gewesen war, erstreckte sich jetzt wieder die Welt der GROSSEN ALTEN, eine Welt, die vor zweihundert Millionen Jahren untergegangen war. An einer Stelle, noch weit entfernt, zuckte und bebte der Boden wie die schrundige Haut eines gewaltigen, hässlichen Tieres. Die erstarrten schwarzen Wellen bewegten sich wie unter Schmerzen.

Aber es war System in dieser Art der Bewegung. Es war kein wirkliches Erzittern, kein Beben dieser schwarzen lebenden Masse, nein, es war, als – krieche etwas dicht unter der Oberfläche des Bodens heran, langsam und mit schwerfälligen Bewegungen, aber zielstrebig und unaufhaltsam. Etwas Großes, Massiges, ungeheuer Starkes …

»Mein Gott, Craven – was ist das?«

Tornhills Hand krampfte sich so fest um meine Schulter, dass ich vor Schmerz aufschrie und seinen Arm beiseiteschlug. Aber er starrte bloß weiter auf das grauenhafte Bild, das Zucken und Wogen des Bodens, und das schwarze Etwas, das dicht unter seiner Oberfläche auf uns zukroch.

»Was ist das, Craven?«, wimmerte er. Jetzt schien er es zu sein, der am Rande des Wahnsinns entlangbalancierte.

Die Wellen kamen näher. Ein dunkler, scheinbar formloser Körper arbeitete sich dicht jenseits der Tür zur Oberfläche empor und –

Es war wie eine lautlose Explosion. Schwarzer Schlamm spritzte auf, mit Urgewalt auseinandergefetzt wie von einer Mörsergranate. Faustgroße Brocken der widerlichen schwarzen Masse schossen zu uns heraus, besudelten den Teppich oder klatschten gegen die Wände, schwarze Streifen wie zähes Blut hinter sich herziehend.

Etwas Großes, Formloses brach aus der zerfetzten Oberfläche des schwarzen Sumpfes, ein ungeheures Brüllen ausstoßend. Für einen Moment glaubte ich peitschende Krakenarme zu erkennen, eine verzerrte Fratze, beherrscht von einem fürchterlichen, zahnbewehrten Papageienschnabel und einem einzelnen, blutig roten Auge, dann verging die Vision, und das Ding war nichts als eine formlose schwarze Masse, groß wie ein Bär und wankend. Dünne, zuckende Fäden des schwarzen Sumpfes tropften von seinem Leib.

Ich reagierte, ohne überhaupt zu wissen, was ich tat. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Tornhills Hand unter seinen Überrock fuhr und mit einer langläufigen Pistole wieder zum Vorschein kam.

Ich wirbelte herum, warf mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen ihn. Der Revolver entlud sich dicht neben meinem rechten Ohr mit einem Knall, der mir die Trommelfelle zu zerfetzen schien, aber die Kugel fuhr harmlos über uns in die Decke. Tornhill und ich stürzten aneinandergeklammert zu Boden.

Als ich mich wieder aufrichtete, war das schwarze Ding halbwegs aus der Uhr herausgetreten. Es wankte. Große, an schwarzen Eiter erinnernde Brocken des Sumpfes lösten sich von einem Leib, liefen an seinem Schädel herab und gaben Teile eines menschlichen Gesichtes frei.

Eines Gesichtes, das von unvorstellbarem Entsetzen zu einer Grimasse verzerrt war, wie ich sie noch nie zuvor erblickt hatte.

Und aus dieser scheußlichen Visage kam eine Stimme. Eine Stimme, die kaum mehr Menschliches an sich hatte und aus der alle Qualen der Hölle zu sprechen schienen.

»Helft … mir«, röchelte sie. »Ihr müsst … mir … helfen!«

Es waren nicht die Worte, die mich aufschreien und in die Höhe fahren ließen. Es war die Stimme selbst. Ich kannte sie, ebenso wie dieses vom Entsetzen zerstörte Gesicht.

Es war Rowlfs Stimme.

»Verdammt, halten Sie still, van der Groot!« Howards Stimme erzeugte hallende Echos an den Wänden des Gewölbekellers, und er sah aus den Augenwinkeln, wie ihr Wächter rasch aufblickte und sie aus kalten Augen misstrauisch musterte, sich aber nicht rührte.

Van der Groot stöhnte, als Howards Fingerspitzen über sein angeschwollenes Kinn tasteten. »Das … tut verdammt weh«, murmelte er.

»Es hört gleich auf.« Howard hielt den Kopf des anderen mit der linken Hand, tastete mit den Fingerspitzen der rechten weiter über sein Kinn, suchte einen bestimmten Nervenknoten und drückte kurz und hart zu, als er ihn gefunden hatte. Van der Groot schrie auf, schlug seine Hand beiseite und machte plötzlich ein sehr verblüfftes Gesicht.

»Was … haben Sie gemacht?«, stammelte er. »Die Schmerzen sind weg!«

Howard grinste und lehnte sich zurück. »Nichts Weltbewegendes«, antwortete er. »Nur ein kleiner Trick. Vielleicht lernen Sie ihn auch einmal, wenn Sie lange genug leben, um über den Rang eines bezahlten Killers hinauszukommen.«

Die Augen des Holländers wurden schmal vor Zorn. »Sie wissen ganz genau, dass ich kein bezahlter Mörder bin, Lovecraft«, sagte er.

»Ach?«, machte Howard. »Und was hatten Sie vor, mit Rowlf und mir?«

»Jedenfalls keinen Mord.«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, antwortete Howard. »Es läuft aufs Gleiche hinaus.«

»Das tut es nicht«, protestierte van der Groot. »Sie sind zum Tode verurteilt worden und haben sich der gerechten Strafe entzogen. Wundern Sie sich, wenn man Männer hinter ihnen herschickt?«

»Nein«, erwiderte Howard trocken. »Es kränkt mich allerdings, dass man dazu solche Nieten einsetzt wie Sie und diesen angeblichen Doktor Gray.« Er blickte van der Groot ernst an und fügte hinzu: »Verurteilt? Von welchem Gericht, van der Groot?«

»Vom Rat der Ordensherren. Und über ihnen steht die höchste Gerichtsbarkeit der Schöpfung.«

»Und daran glauben Sie, wie?«

Van der Groot schien für einen Moment nicht mehr zu wissen, was er antworten sollte. Howards Stimme war frei von Spott oder Hohn gewesen.

»Natürlich«, sagte er schließlich. »Warum fragen Sie, Lovecraft? Sie wissen, dass keiner von uns aus Gewinnsucht oder anderen niederen Beweggründen handelt. Sie waren selbst einer von uns, bevor Sie … bevor Sie den Orden verraten haben.« Der letzte Teil des Satzes klang irgendwie trotzig. Er blickte an Howard vorbei auf den schwarzgekleideten Drachenkrieger, aber seine Augen schienen etwas anderes zu sehen.

»Verrat?« Howard betonte das Wort auf sonderbare Weise. »Welche Art von Verrat meinen Sie, van der Groot?«

Der Holländer druckste herum. »Nun«, sagte er, »ich … man hat mir gesagt, dass Sie den Orden verraten haben, und man hat mir das Urteil gezeigt, unterzeichnet und besiegelt vom obersten Ordensherren selbst.«

»Und das reicht, nicht wahr?« Howard lächelte, aber es wirkte irgendwie traurig. »Nun – es spielt vermutlich keine Rolle mehr, ob Sie mir glauben oder nicht, van der Groot, aber ich versichere Ihnen, dass ich weder den Orden noch einen seiner Brüder in irgendeiner Form verraten habe. Ich habe das Schweigegelübde gehalten. Nicht einmal Rowlf weiß von meiner … Vergangenheit.«

»Das glaube ich Ihnen nicht«, antwortete van der Groot verstockt. »Der Ordensherr würde kein Fehlurteil sprechen.«

»Das hat er ja auch nicht«, sagte Howard. »Von seinem Standpunkt aus hatte er gar keine andere Wahl, als mich eliminieren zu lassen. Ich verstehe ihn sogar, auch wenn ich seine Meinung verständlicherweise nicht ganz teilen kann. Ich hasse ihn deswegen nicht.«

»Was haben Sie dann getan, wenn Sie den Orden nicht verraten haben?«, wollte van der Groot wissen.

»Etwas viel Schlimmeres«, antwortete Howard. »Ich habe die Wahrheit erkannt, van der Groot. Ich habe erkannt, dass der Orden Unrecht tut und dass seine Regeln auf den falschen Grundsätzen aufgebaut sind. Die Ziele seiner Brüder mögen gerecht sein, aber auf schlechtem Boden wachsen keine guten Bäume. Was immer der Orden tut, wird Übles hervorbringen.«

Van der Groot erbleichte. »Das ist … Gotteslästerung!«, krächzte er.

»Nein«, erwiderte Howard. »Nur die Wahrheit. Aber ich glaube, wir sollten uns nicht darüber streiten. So, wie die Dinge liegen, wird wohl keiner von uns noch lange Gelegenheit haben, der einen oder anderen Seite zu dienen.«

»Sie … glauben, Necron wird uns umbringen?«, flüsterte van der Groot.

Howard schwieg, und nach einer Weile wandte sich der Holländer wieder um und starrte in die grauen Schlieren, die den Keller in zwei ungleiche Hälften teilten. Necron und seine Junker waren auf der anderen Seite dieser Barriere. Nur einer der Drachenkrieger war als Wächter bei ihnen zurückgeblieben, nachdem der Alte gegangen war und Rowlf mitgenommen hatte.

Rowlf …