Der Hexer -  Folge 21-24 - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Der Hexer - Folge 21-24 E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

4 Mal Horror-Spannung zum Sparpreis!


Die Kultreihe von Starautor Wolfgang Hohlbein - vier HEXER-Romane in einem Sammelband.

"Im Land der GROSSEN ALTEN" - Folge 21 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Das Ungeheuer stampfte heran- ein Berg aus Fleisch und Zähnen und grauen Panzerplatten. Die dreifingrigen, krallenbewehrten Pranken waren gierig ausgestreckt, und das gewaltige Maul klappte auf und zu wie eine überdimensionale Bärenfalle. Unter den Schritten des Giganten bebte die Erde, und in seinen kleinen, seelenlosen Augen loderte die einzige Gefühl, zu dem ein Koloss wie er überhaupt fähig war: Hunger. Und die Beute, mit der dieser Tyrannosaurus seinen Hunger zu stillen gedachte, war ich...

"Der Clan der Fischmenschen" - Folge 22 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Im letzten Licht des Tages betrachtet, das bereits von den ersten grauen Streifen der Dämmerung durchdrungen wurde, sah der See aus wie ein gewaltiger, runder Spiegel. Obwohl das rote Licht des Sonnenuntergangs den Eindruck von Wärme erweckte, strahlte die Wasserfläche einen Hauch eisiger Kälte aus, und das kaum hörbare Plätschern, mit dem die Wellen gegen das Boot schlugen klang in Jennifers Ohren wie das Wispern höhnischer, heller Stimmen. Aber vielleicht kam die Kälte auch aus ihr selbst, und vielleicht war das, was sie für ein böses Flüstern hielt, nur das Echo ihrer eigenen Angst. Sie wusste, dass sie die Nacht nicht überleben würde.

"Dagon - Gott aus der Tiefe" - Folge 23 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Lautlos und elegant wie ein riesiger stählender Fisch glitt der Gigant durch die Wellen. Hier, Meilen vor der steil aufragenden Küste der Insel, regierte Einsamkeit und Schweigen; nur dann und wann durchbrach das Klatschen einer Welle das Raunen der Nacht, blitzte ein verirrter Lichtstrahl auf nachtschwarzen Stahl. Er hatte gewartet. Wochen hatten sich zu Monaten gereiht, während der Riese und die Männer in seinem metallenen Leib auf ihre Stunde harrten, nur dann und wann auftauchend wie Schemen, wenn sie unvermittelt zuschlugen. Er hatte gekämpft, aber all der Schrecken und Tod, den er verbreitete, war nicht mehr gewesen als die Vorbereitung auf die wirkliche Auseinandersetzung. Der eigentliche Kampf hatte noch nicht einmal angefangen. Er begann - jetzt!

"Wo die Nacht regiert" - Folge 24 - gehörte ursprünglich zu der Romanheftreihe DER HEXER.
Jenseits des zollstarken Glases herrschte immerwährende Nacht. Manchmal bewegten sich Schatten durch die Finsternis; große Dinge, die sich dem Auge nicht genau zu erkennen gaben, aber bedrohlich und böse wirkten. Dann wieder war es die Schwärze selbst, die sich bewegte: ein schwerfälliges mühsames Wogen und Gleiten, als wäre sie selbst ein sonderbares, finsteres Ding. Nemo schauderte. Es war kalt geworden im Salon der NAUTILUS; so kalt, dass sein Atem als flüchtiger grauer Nebel vor seinem Gesicht erschien. Das Wasser, das zu Millionen und Abermillionen Tonnen auf dem stählernen Leib der NAUTILUS lastete, saugte die Wärme aus dem Schiff. Aber es war nicht allein die Kälte, die ihn frösteln ließ. Sie würden nicht erfrieren. Sie würden tot sein, lange bevor die Temperaturen an Bord der NAUTILUS so tief gesunken waren, dass ein Leben an Bord des verlorenen Schiffes unmöglich wurde...

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Seitenzahl: 599

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Inhalt

Cover

DER HEXER – Die Serie

Über diese Folge

Über den Autor

Titel

Impressum

Der Hexer – Im Land der GROSSEN ALTEN

Der Hexer – Der Clan der Fischmenschen

Der Hexer – Dagon – Gott aus der Tiefe

Der Hexer – Wo die Nacht regiert

Vorschau

DER HEXER – Die Serie

Die Kultreihe von Starautor Wolfgang Hohlbein kehrt wieder zurück! Insgesamt umfasste DER HEXER 68 Einzeltitel, die erstmalig als E-Books zur Verfügung stehen.

Über diese Folge

Dieser Sammelband beinhaltet die Hexer-Romane 21-24:

Der Hexer – Im Land der GROSSEN ALTEN

Der Hexer – Der Clan der Fischmenschen

Der Hexer – Dagon – Gott aus der Tiefe

Der Hexer – Wo die Nacht regiert

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, am 15. August 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen Kindern in der Nähe von Neuss, umgeben von einer Schar Katzen, Hunde und anderer Haustiere. Er ist der erfolgreichste deutsche Autor der Gegenwart. Seine Romane wurden in 34 Sprachen übersetzt.

Wolfgang Hohlbein

DER HEXER

Folgen 21–24

BASTEI ENTERTAINMENT

Digitale Originalausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG

Erstmals veröffentlicht 1990 als Bastei Lübbe Taschenbuch

Titelillustration: © shutterstock / creaPicTures

Titelgestaltung: Jeannine Schmelzer

E-Book-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1573-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Vorwort Hexer Band 21

Mitautor Frank Rehfeld gibt in aufschlussreichen Vorworten Auskunft über Hintergründe und Inhalte der Hexer-Reihe. Hier das Vorwort zu Band 21.

Als Wolfgang Hohlbein mit DER HEXER die Mythenwelt Howard Lovecrafts für den deutschen Heftroman adaptierte, stellte er sich einer großen Herausforderung. In erheblichem Umfang widersprachen Lovecrafts Protagonisten und auch die an der Grenze zwischen Horror und Science Fiction angesiedelte Dämonenwelt der GROSSEN ALTEN den im Heftroman gängigen Klischees, obwohl freilich eine Reihe von Kompromissen geschlossen werden musste.

Es begann damit, dass Robert Craven keinesfalls dem Abziehbild eines Heroen entspricht, der sich mit Begeisterung der Aufgabe stellt, die Welt von dämonischem Gezücht zu befreien. Robert ist ein Mensch, der ungefragt ein Erbe antreten muss, das er gar nicht will. Sein Kampf gegen die GROSSEN ALTEN entspringt nur dem Wunsch, selbst zu überleben. Erst als junger Mann erfährt er, dass sein Vater ein berüchtigter Hexer war und auch in ihm diese magischen Fähigkeiten schlummern. Und der Fluch, den sein Vater auf sich geladen hat, geht auch auf ihn über.

Es hat von anderen Autoren Versuche mit unterschiedlichem Ergebnis gegeben, den Cthulhu-Mythos in die Gegenwart zu verlegen. Hohlbein entschied sich für eine andere Vorgehensweise, er verlegte den Handlungszeitraum nach hinten, in die Zeit noch vor Lovecrafts Geburt. Die ersten Hexer-Romane spielen im Jahr 1883, oft auf den Tag genau einhundert Jahre vor Erscheinen des jeweiligen Heftes. Eine komplett in der Vergangenheit spielende Grusel-Heftserie stellte eine Neuheit auf dem deutschen Markt dar, kam aber gerade deshalb bei den Lesern gut an, wie zahlreiche Briefe gerade zu diesem Thema belegen. Nach nur acht Heften im Gespenster-Krimi erschien DER HEXER 1985 als eigenständige vierzehntägliche Serie.

Als ein weiterer geschickter Schachzug erwies es sich, H.P. Lovecraft selbst als Mitstreiter Roberts in die Serie einzubauen, auch wenn der echte Lovecraft zu dieser Zeit noch gar nicht gelebt hat. Das jedoch ist ein Geheimnis, das erst nach und nach im Zuge der Serie weitgehend aufgeklärt wurde.

Zwei Jahre lang erschien DER HEXER als eigene Serie, dann wurde er eingestellt. Möglicherweise war das Konzept für eine Heftserie doch zu ungewöhnlich, die Zyklenstruktur zu kompliziert für Gelegenheitsleser, Robert zu sehr Anti-Held für die an blonde Geisterjäger-Recken gewöhnte Leserschaft.

An den Geschichten selbst kann es schwerlich gelegen haben, denn schon kurze Zeit später feierte DER HEXER im Taschenbuch mit Nachdruckender Hefte ein Comeback, und die Bücher verkauften sich ausnehmend gut, wozu wenigstens teilweise auch die inzwischen enorm gewachsene Popularität Wolfgang Hohlbeins beitrug. Erschien die Heftserie nur unter dem Pseudonym Robert Craven (der Held erzählt in Ich-Form seine eigene Geschichte), stand auf den Taschenbüchern Hohlbeins Name.

Allerdings wurde in den Taschenbüchern nur ein Teil der Hefte nachgedruckt. Erst mit der vorliegenden Edition hat der Leser die Möglichkeit, die vollständigen Abenteuer Robert Cravens noch einmal zu erleben.

Oder die phantastische Welt des Hexers zum ersten Mal zu betreten.

Frank Rehfeld

Wolfgang Hohlbein

DER HEXER

Band 21Im Land der GROSSEN ALTEN

Das Ungeheuer stampfte heran – ein Berg aus Fleisch und Zähnen und grauen Panzerplatten. Die dreifingrigen, krallenbewehrten Pranken waren gierig ausgestreckt, und das gewaltige Maul klappte auf und zu wie eine überdimensionale Bärenfalle. Unter den Schritten des Giganten bebte die Erde, und in seinen kleinen, seelenlosen Augen loderte das einzige Gefühl, zu dem ein Koloss wie er überhaupt fähig war: Hunger. Und die Beute, mit der dieser Tyrannosaurus seinen Hunger zu stillen gedachte, war ich …

Ich rannte wie niemals zuvor in meinem Leben. Trotzdem schien die rettende Felswand einfach nicht näher zu kommen, und der Boden unter meinen Füßen bebte mit jeder Sekunde stärker. Ich bildete mir fast ein, den fauligen Atem der Bestie bereits wie eine klebrige Hand im Nacken zu spüren. Das Ungeheuer bewegte sich alles andere als elegant, sondern stapfte mit plumpen, ja beinahe schwerfälligen Schritten hinter mir her; aber für jemanden mit Schuhgröße zweihundertdreißig – hätte er Schuhe getragen – war es auch nicht nötig, sich schnell zu bewegen. Obwohl ich wie von Sinnen rannte und mir vor Anstrengung schier die Lungen zu platzen schienen, schrumpfte die Entfernung zwischen uns mit jedem Schritt weiter.

Ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde.

Der Tyrannosaurus Rex stieß einen schrillen, triumphierenden Schrei aus, hob den Schwanz und kippte gleichzeitig im Laufen nach vorne, dass ich dachte, er würde mich schlichtweg unter sich begraben wollen. Aber er fiel nicht, sondern verlagerte nur sein Körpergewicht, bis sein droschkengroßer Schädel direkt über mir hing und seine Vorderpfoten nach mir grabschten.

Verzweifelt warf ich mich zur Seite, entging dem tödlichen Zuschnappen seiner Klauen im letzten Moment und entdeckte einen Felsen, der wie eine steinerne Faust aus dem Boden ragte und in der Mitte gespalten war. Blindlings spurtete ich los, hechtete in den Spalt und kroch auf Händen und Knien so tief in den geborstenen Felsen hinein, wie ich nur konnte.

Mit dem Ergebnis, nach einem knappen Meter wie ein Korken in einem zu engen Flaschenhals stecken zu bleiben.

Meine Trommelfelle schienen zu platzen, als der Raubsaurier einen neuerlichen, trompetenden Schrei ausstieß und mit dem Schwanz auf den Boden schlug. Die Erde, mein Felsenversteck und ich selbst hüpften einen guten halben Yard in die Höhe und fielen krachend zurück. Mein Hinterkopf prallte unsanft gegen den harten Fels; für einen Moment sah ich nichts als farbige Punkte und kreisende Spiralen.

Als sich das dumpfe Dröhnen zwischen meinen Schläfen legte, hörte ich das Schaben.

Genau genommen war es nicht direkt ein Schaben. Es hörte sich eher an, als zertrümmere jemand mit einem riesigen Schaufelbagger einen noch größeren Berg.

Mühsam drehte ich mich in dem schmalen, nach unten und vorn enger werdenden Spalt herum, riss mir dabei Hemd und Haut an den Schultern auf – und begegnete dem Blick eines faustgroßen, kurzsichtig blinzelnden Schlangenauges.

Vorhin, als ich den Saurier das erste Mal gesehen hatte, hatte ich den Eindruck gehabt, dass seine Augen winzig wären. Aber in einem Wasserkopf, der die Ausmaße eines mittleren Zweispänners hatte, waren auch winzige Augen von beachtlicher Größe. Und sie waren nicht ganz so kurzsichtig, wie ich es gehofft hatte.

Zumindest sah er damit genug, um mich zu erkennen.

Fast eine halbe Minute lang starrte der Saurier auf mich herab. Sein riesiger Schädel pendelte dabei wie der Kopf einer Schlange hin und her, und sein Schwanz trommelte unablässig auf den Boden. Die furchtbaren Krallen an seinen Hinterläufen rissen halbmetertiefe Furchen in das steinhart gebackene Erdreich.

Schließlich trat er ein Stück zurück, warf den Kopf in den Nacken, stieß ein ungeheuerliches Brüllen aus – und schlug mit aller Macht auf den Felsen ein, in den ich mich verkrochen hatte.

Seine Vorderklauen, lächerlich klein im Verhältnis zu seinem Körper, aber noch immer doppelt so groß wie Schaufelblätter, trafen den Fels mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Ich sah, wie der massive Granit unter dem Hieb barst und Risse bekam. Hastig kroch ich noch ein Stück tiefer in den Felsspalt hinein und riss die Arme über den Kopf, um mein Gesicht vor dem Bombardement von Felssplittern und Steinen zu schützen, das auf mich herabregnete.

Der Saurier beugte sich vor und lugte mit einem Auge zu mir herein.

Ich zog meinen Degen, verrenkte mir in der Enge des Spaltes fast den Arm, um ihn zu heben, und stieß die dünne Klinge tief in seine Pupille. Der Saurier brüllte auf, warf den Kopf zurück und verschwand für einen Moment aus meinem Sichtfeld, aber ich hörte, wie er zu toben begann, und der Boden bockte und schüttelte sich wie bei einem Erdbeben.

Dann tauchte der Koloss wieder über mir auf. Ein dünner Blutfaden lief aus seinem linken Auge, und er blinzelte unablässig, doch er war keineswegs geblendet und noch viel weniger abgeschreckt. Im Gegenteil. Mein Hieb konnte für ihn wirklich nicht mehr als ein Nadelstich gewesen sein; aber ein sehr schmerzhafter Nadelstich, der ihn schier zur Raserei trieb.

Mit einem Schrei, der mir beinahe die Trommelfelle zerriss, beugte er sich vor, griff mit beiden Pfoten in den Felsspalt und begann zu zerren.

Der Granitblock stöhnte. Fingerbreite Risse klafften plötzlich in seiner Oberfläche, dann begann das ganze Felsgebilde zu zucken und beben – und brach krachend auseinander. Von einer Sekunde auf die andere war meine Deckung verschwunden, und ich lag auf einem Haufen zermalmter Steine, schutzlos dem Toben der prähistorischen Bestie preisgegeben.

Wahrscheinlich rettete es mir das Leben, dass das Ungeheuer für einen Moment genauso verblüfft war wie ich und nur blöde auf mich herabglotzte, statt mich zu verschlingen – was es in diesem Augenblick durchaus gekonnt hätte. Als die Erkenntnis, dass zwischen ihm und seinem Frühstück nun nichts mehr war, in sein primitives Bewusstsein drang, war ich bereits auf den Beinen und rannte weiter. Die Steilwand lag noch zwanzig Schritte vor mir. Zwanzig Schritte für mich.

Für den Saurier zwei.

Allerhöchstens.

Einen davon machte er, als ich knapp die halbe Entfernung überwunden hatte, stand unversehens wieder neben mir und versuchte mir den Kopf abzubeißen. Wieder entging ich dem Tod nur um Haaresbreite, indem ich mich in vollem Lauf zur Seite warf, ein Stück über den betonharten Boden schlitterte und nach einer verzweifelten Drehung wieder aufsprang. Der Saurier knurrte und hieb mit dem Schwanz nach mir.

Diesmal rettete mich wahrscheinlich die Tatsache, dass mein schuppiger Freund wohl an größere Beutestücke gewöhnt war. Ich duckte mich, ließ seinen Schwanz über mich hinwegpfeifen und rannte im Zickzack weiter. Die Echse blieb stehen und folgte mir mit ihrem Blick. Ihr Schädel pendelte hin und her. Offensichtlich reichten ihre Erfahrungen mit Haken schlagender Beute nicht sehr weit.

Endlich erreichte ich die Felswand und den Durchbruch, den ich kurz nach meiner Ankunft bemerkt hatte. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung sprintete ich los und warf mich in den Spalt. Der Tyrannosaurus brüllte, stampfte wütend mit dem Fuß auf und begann hinter mir herzuwanken. Ärgerlich trat er drei, vier Mal hintereinander gegen die Wand, dass der gesamte Berg zu wanken schien, ließ einen letzten, fast enttäuscht klingenden Laut hören – und trollte sich.

Es dauerte einen Moment, bis ich überhaupt begriff, dass ich gerettet war. Und selbst dann blieb ich noch mehrere Sekunden reglos stehen und starrte der davonwankenden Raubechse fassungslos nach. Nach der Wut, mit der sie mich verfolgt hatte, erschien es mir fast unglaublich, dass sie jetzt so schnell aufgab.

»Dieses Verhalten ist typisch für sie, Robert«, sagte eine Stimme hinter mir. »Ihr Gehirn ist kaum so groß wie eine Walnuss, weißt du? Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber du hast trotzdem großes Glück gehabt.«

Langsam, die Hand noch immer um den Degenknauf geklammert, drehte ich mich herum; auf neue Schrecken gefasst.

Aber hinter mir stand kein weiteres Ungeheuer, sondern eine schlanke, dunkelhaarige Frau mit sanften Augen. Ein halb erleichtertes, halb amüsiertes Lächeln spielte um ihre vollen, sinnlichen Lippen.

»Shadow!«, flüsterte ich erleichtert.

»Hast du jemand anderen erwartet?«, fragte sie spöttisch.

Ich wollte antworten, bekam aber nur einen halblauten, krächzenden Ton hervor und trat einen halben Schritt auf sie zu. Ihr Anblick erleichterte mich derart, dass ich für einen Moment ernsthaft in Versuchung war, sie schlichtweg in die Arme zu schließen und an mich zu drücken; aber dann fiel mir wieder ein, wer Shadow wirklich war, und ich führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern beschränkte mich auf ein erleichtertes Aufatmen und ein – wenn auch etwas verunglücktes – Lächeln.

»Shadow!«, sagte ich noch einmal. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«

»Wieso?«, fragte sie harmlos. »War dir langweilig?«

Ich grinste säuerlich, schob den Degen in seine Umhüllung zurück und versuchte, mir den gröbsten Staub aus den Kleidern zu klopfen – was einigermaßen albern war, denn meine Hosen und mein Hemd bestanden ohnehin nur noch aus Fetzen. »Wo warst du?«, fragte ich. »Und wo ist Lady Audley?«

»Nicht weit von hier«, antwortete Shadow mit einer Kopfbewegung tiefer in den Felsspalt hinein. Sie lächelte und beantwortete meine nächste Frage, noch bevor ich sie stellen konnte. »Es geht ihr gut«, sagte sie. »Ich habe für sie getan, was ich konnte.« Sie zögerte. Ein unsichtbarer Schatten schien über ihr Gesicht zu huschen. »Viel war es allerdings nicht«, fügte sie hinzu.

»Wird sie … sterben?«, fragte ich. Etwas in meinem Innern schien zu Eis zu gefrieren, als ich die Worte aussprach. Das Gefühl, dass ich dieser gutmütigen alten Frau entgegenbrachte, ging weit über das normale menschliche Mitgefühl hinaus. Der Gedanke, sie sterben zu sehen – und, wenn auch nur indirekt, mitschuldig an ihrem Tod zu sein –, war mir unerträglich.

»Vielleicht«, antwortete Shadow. »Vielleicht könnte ein Arzt sie retten.«

»Aber bis zum nächsten Hospital ist es ziemlich weit, nicht wahr?«, setzte ich bissig hinzu. »So ungefähr zweihundert Millionen Jahre.«

»Nicht ganz«, antwortete Shadow. »Vielleicht können wir Lady Audley helfen. Aber nicht hier. Komm mit.«

Ich nickte, sah aber noch einmal in die Richtung zurück, in der die Echse verschwunden war. Die Sonne stand wie ein Feuerrad am Himmel, und der helle, beinahe weiße Wüstenboden reflektierte ihr Licht, sodass mir beinahe augenblicklich die Tränen in die Augen schossen und ich den Blick abwenden musste.

Nicht, dass ich irgendetwas versäumte. Die Ebene, die sich jenseits des Felsdurchlasses erhob, war die mit Abstand ödeste Landschaft, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es gab buchstäblich nichts außer betonhart zusammengebackenem und wie ein gewaltiges Spinnennetz gerissenem Erdreich und einer Hand voll stacheliger, seltsam drahtig aussehender Büsche. Wenn diese Landschaft überhaupt einen Sinn hatte, dachte ich, dann nur den, Leere zu demonstrieren.

Hintereinander gingen wir durch den allmählich breiter werdenden Spalt. Auch hier war der Boden hart wie Stahl, wenn auch nicht mehr von zahllosen Rissen und Sprüngen durchzogen, sondern gewellt wie ein zu Stein erstarrtes Meer. Hier und da gähnten schwarze, wie ausgestanzt wirkende Löcher im Boden, um die Shadow einen großen Bogen schlug. Ich fragte sie lieber nicht, warum, sondern tat es ihr gleich.

Die Felsspalte begann sich rasch zu einem Tal, schließlich zu einem annähernd runden, mehr als hundert Yards durchmessenden Kessel zu erweitern, dessen Wände lotrecht in die Höhe strebten und wie die Felsbarriere auf der anderen Seite von Rissen, Sprüngen und finsteren Höhleneingängen durchbrochen waren. Etwas Dunkles, mehr als Mannsgroßes erhob sich aus einer dieser Höhlen und flatterte lautlos davon, als wir näher kamen.

»Wo sind wir hier?«, fragte ich, als Shadow stehen blieb und sich umwandte. »Oder sollte ich besser fragen – wann?«

»Du wirst alles erfahren, Robert«, antwortete sie ausweichend. »Aber zuerst müssen wir hier weg. Es gibt eine Menge gefährlicher Tiere und Pflanzen hier.«

»Das habe ich gemerkt«, sagte ich säuerlich, aber Shadow blieb vollkommen ernst, deutete nur mit einer Handbewegung auf einen runden, gut mannshohen Höhleneingang und wartete, bis ich gebückt hineingetreten war.

Ein muffiger, nach Fäulnis und Verwesung riechender Lufthauch schlug mir entgegen. Trotzdem blieb ich nach ein paar Schritten stehen, atmete erleichtert ein und richtete mich auf. Ich spürte erst jetzt, wie heiß es draußen in der Sonnenglut wirklich gewesen war. Selbst im Halbschatten der Felsspalten mussten an die vierzig Grad Celsius herrschen.

Shadow drängte sich an mir vorbei, bedeutete mir mit ungeduldigen Gesten, nicht stehen zu bleiben, und lief gebückt voraus. Irgendwo in unbestimmbarer Entfernung vor uns war eine Insel flackernder Helligkeit; Brandgeruch mischte sich in den Geruch des heißen Felsens, und schließlich erreichten wir eine halbhohe, kuppelförmige Höhle, in deren Mitte ein kleines, säuberlich aufgeschichtetes Lagerfeuer brannte.

Shadow bückte sich nach einem brennenden Scheit, hielt ihn wie eine Fackel in die Höhe und gestikulierte mir, es ihr gleichzutun. Ohne uns länger als unbedingt nötig aufzuhalten, verließen wir die Höhle durch einen anderen Ausgang und begannen im Inneren des Berges weiter in die Höhe zu klettern.

Der Tunnel führte in zahllosen Windungen und Kehren durch den Fels, und trotz des nur schwachen Lichtes glaubte ich zu erkennen, dass seine Wände stellenweise glatt und wie glasiert waren. Zudem war dieser eine Stollen nicht der einzige; wir passierten mehrere Abzweigungen und Kreuzungen, und ein paar Mal mussten wir eng an die Wand gepresst weitergehen, um nicht in einen der Schächte zu fallen, die im Boden gähnten. Der ganze Berg schien von diesen Gängen und Stollen durchzogen zu sein, dachte ich schaudernd.

Nach einer Weile tauchte ein münzgroßer Fleck hellen Tageslichtes schräg über uns am Ende des Stollens auf, und ich blieb unwillkürlich stehen. »Was ist das hier?«, fragte ich. Der gekrümmte Gang fing meine Stimme auf und warf die Worte tausendfach gebrochen und verzerrt zurück, und für einen ganz kurzen Moment hatte ich das Gefühl, dazwischen noch einen anderen Laut zu hören; ein Geräusch wie von großen, schuppigen Körpern, die über harten Stein glitten.

Shadow blieb stehen und sah mich nachdenklich an. »Ich habe doch gesagt, dass wir hier nicht bleiben können«, sagte sie, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. »Genau genommen dürften wir nicht einmal hier sein. Aber wir haben Glück: Die Sterne stehen günstig, und es dauert noch lange, bis die Sonne untergeht. Trotzdem – komm.«

Ich verstand kein Wort von dem, was sie meinte, aber vor meinem inneren Auge entstand plötzlich das Bild eines ausgehöhlten Berges, in dessen Innerem sich blinde schwarze Riesenwürmer durch den Fels fraßen. Ich vertrieb die Vorstellung. Wenigstens versuchte ich es.

Der helle Fleck über uns wurde größer, und nach einer Weile legte Shadow ihre Fackel so zu Boden, dass sie nicht verlöschen konnte, winkte noch einmal auffordernd mit der Hand und trat vor mir aus dem Berg.

Was ich bisher für einen Berg gehalten hatte, war in Wahrheit Teil eines gewaltigen, weit über hundert Yard hohen Kraterwalles, dessen Grat so breit wie der Piccadilly-Circus und nahezu vollkommen eben war. Auch hier wirkte der Fels stellenweise, als wäre er sorgsam poliert und hinterher mit einer hauchdünnen Glasschicht überzogen worden, und auch hier gewahrte ich eine enorme Anzahl verschieden großer, runder Löcher. Es sah aus, als wäre der Berg überall angebohrt worden.

Shadow wartete, bis ich mich vollends auf die Beine erhoben und den überraschenden Anblick einigermaßen überwunden hatte, winkte mir mit der Linken, neben sie zu treten, und deutete mit der anderen Hand nach Norden. Das Bild ließ mir den Atem stocken. Das Wort phantastisch kann den Anblick, der sich uns bot, nur unzureichend beschreiben.

Es war nicht nur wie ein Bild aus einer fremden Welt – es war eine fremde, vollkommen fremde, bizarre Welt, die sich unter uns ausbreitete.

Der Krater musste einen Durchmesser von mindestens hundert Meilen haben; wahrscheinlich mehr. Sein Inneres lag tiefer als die Ebene auf der anderen Seite, und die gegenüberliegende Seite des Kraterwalles verschwamm im Dunst der Entfernung. Die Luft flimmerte vor Hitze, sodass alles, was weiter als ein paar Dutzend Schritte entfernt war, hinter einem Vorhang aus wirbelndem Wasser verborgen schien.

In der Mitte des Kraters erhob sich ein Berg. Jedenfalls dachte ich im ersten Moment, dass es ein Berg wäre. Dann erkannte ich, was es wirklich war.

Eine Stadt.

Eine Stadt? Nein. Es war mehr als das, mehr als ein Bauwerk, mehr als irgendetwas, das ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein Ungeheuer aus Stein und Gestalt gewordenen Schatten, zu groß, um allein von Menschenhand erschaffen worden zu sein, terrassenförmig angelegt und auf schwer in Worte zu fassende Weise verbogen und verzerrt, als hätte ein Gigant einen Berg genommen und so lange zusammengepresst, bis dieses gewaltige Albtraumgebilde daraus geworden war.

»Mein Gott«, flüsterte ich. »Was ist das?«

»Maronar«, antwortete Shadow.

Es dauerte drei Stunden, bis wir den Boden des Kraters erreicht hatten. Über unseren Köpfen berührte die Sonne als flammenspeiendes Feuerrad den Ringwall, aber hier unten, im Schlagschatten der gigantischen Mauer, herrschte bereits tiefste Nacht.

Erschöpft ließ ich mich gegen die Wand sinken, legte den Kopf gegen den heißen Stein und schloss die Augen. Mein Herz jagte, und meine Knie zitterten selbst jetzt noch so heftig, dass ich mich ernsthaft fragte, ob ich überhaupt noch in der Lage sein würde, weiterzugehen.

Dabei war der Abstieg nicht einmal sonderlich schwierig gewesen. Der Kraterwall war – so absurd mir die Vorstellung bei einem Gebilde von mehr als einhundert Meilen Durchmesser vorkam – sorgsam geglättet worden und so perfekt lotrecht, dass jeder Geometer seine helle Freude daran gehabt hätte, aber die gleiche unbegreifliche Macht, die den natürlichen Wall des Kraters in eine unübersteigbare Barriere verwandelt hatte, hatte auch dafür gesorgt, dass jedes Kind mit ein bisschen gutem Willen auf den Kraterrand hinaufgelangen konnte.

Jedenfalls hatte ich das gedacht, ehe wir den Abstieg begannen. Bis zu diesem Moment hatte ich mir auch eingebildet, vollkommen schwindelfrei zu sein und das Wort Höhenangst nicht einmal zu kennen.

Aber das war, bevor mich Shadow eine kaum handtuchbreite, in aberwitzigem Winkel mehr als eine halbe Meile in die Tiefe führende Treppe hinabgeleitete, deren Stufen glatt wie poliertes Glas waren und die auf der rechten Seite kein Geländer hatte. Ich hatte das Gefühl, um zehn Jahre gealtert zu sein. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper war verkrampft, und meine linke Schulter war blutig gescheuert, so eng hatte ich mich während des Abstieges an den Felsen gepresst.

»Wir müssen weiter, Robert.« Shadows Stimme klang sonderbar hohl und fremd in meinen Ohren, aber es war wohl nur meine eigene Erschöpfung, die sie so verzerrt klingen ließ. Mühsam öffnete ich die Augen, blickte sie einen Moment durch einen Schleier von Tränen der Erschöpfung an und schüttelte den Kopf.

»Lass mich fünf Minuten ausruhen, Shadow«, murmelte ich. Das Sprechen fiel mir schwer. Meine Zunge war geschwollen vor Durst, und mein Gaumen schien wie ein Stück trockenes Pergament reißen zu wollen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals im Leben so durstig gewesen zu sein. »Ich bin nur ein Mensch«, fügte ich hinzu. »Und wir Menschen brauchen ab und zu eine Pause, weißt du?«

Shadow schien widersprechen zu wollen, aber dann lächelte sie plötzlich, nickte und kauerte sich neben mich. »Gut«, sagte sie, während sie die Beine an den Körper zog, die Knie mit den Armen umschlang und den Kopf wie ich gegen den glatten Fels sinken ließ. »Es ist noch Zeit genug, bis die Sonne untergeht, und die Sterne stehen günstig.«

Ich versuchte erst gar nicht, den Sinn ihrer Worte verstehen zu wollen, sondern ließ die Lider wieder sinken und gab mich für Sekunden ganz dem köstlichen Gefühl hin, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren und keine Angst mehr haben zu müssen, eine halbe Meile in die Tiefe zu stürzen.

Meine Glieder wurden schwer. Die glatte Felswand in meinem Rücken, die mir während des Abstieges wie ein Feind vorgekommen war, tat plötzlich gut, und der Wind, der oben wie mit unsichtbaren Händen an meinen Kleidern gezerrt und versucht hatte, mich in die Tiefe zu reißen, streichelte mich jetzt wie eine sanfte, warme Haut. Eine wohltuende Mattigkeit breitete sich wie eine prickelnde Woge in meinem Körper aus. Ich begriff, dass ich einschlafen würde, wenn ich nicht Acht gab, und öffnete mit einem Ruck die Augen.

Ich war nicht der Einzige, an dem die Anstrengungen ihre Spuren hinterlassen hatten.

Shadow war ganz dicht an mich herangerückt und eingeschlafen. Ihr Kopf war gegen meine Schulter gesunken, das schwarze, seidige Haar hing ihr wirr ins Gesicht, ihr Atem ging schwer und langsam, aber gleichmäßig.

Behutsam hob ich die Hand, strich ihr Haar zurück und wollte sie wecken, tat es aber dann doch nicht. Ich hatte ihre Warnung keineswegs vergessen, so wenig wie die sonderbaren Röhren, die den Berg in unserem Rücken durchzogen und meine erste Begegnung mit einem Bewohner dieser Welt, aber die Sonne stand noch immer am Himmel, und ich glaubte ihren Worten entnommen zu haben, dass wir nicht in Gefahr waren, ehe es wirklich Nacht wurde. Sie musste so erschöpft sein wie ich, auch wenn sie sich alle Mühe gab, sich nichts davon anmerken zu lassen. Eine halbe Stunde Schlaf würde ihr gut tun und konnte uns kaum schaden, solange ich wach blieb und die Augen offen hielt.

Vorsichtig verlagerte ich mein Körpergewicht, streckte die Beine aus und ließ Shadows Kopf behutsam in meinen Schoß sinken. Sie bewegte sich unruhig im Schlaf, wachte aber nicht auf, sondern kuschelte sich wie ein Kind nur noch enger an mich. Die Berührung tat sonderbar wohl.

Wieder machte sich meine Erschöpfung bemerkbar, aber es war eine wohltuende, entspannende Müdigkeit, die nur meinen Körper betraf und die ich in diesem Moment fast begrüßte. Fast ohne dass ich es selbst bemerkte, kroch meine Hand nach unten, suchte die Shadows und verschränkte sich mit ihren Fingern.

Ihre Haut war heiß und trocken, als hätte sie Fieber, und als ich ihr Gesicht genauer betrachtete, sah ich um Mund und Augen dünne, tief eingegrabene Linien, die neu waren. Sie sah so mitgenommen aus, wie ich mich fühlte, und ich spürte, wie schwer und langsam ihr Herz schlug. Für einen Moment spürte ich eine Woge heißer Zuneigung in mir aufsteigen.

Ich musste mir beinahe mit Gewalt ins Bewusstsein rufen, dass sie nur äußerlich ein Mensch war und selbst das nicht für Dauer. Ihr Gesicht und ihre Gestalt waren die Cindys, eines schlanken, höchstens zwanzigjährigen Mädchens. Sie war nicht einmal eine Schönheit, aber ihre Züge waren von jenem seltenen Liebreiz, den man nur bei sehr wenigen Frauen und auch dort nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt findet; dem Moment, in dem sie nicht mehr ganz Mädchen, aber auch noch nicht ganz Frau sind. Etwas von dem Engel, der sie war, war auch in ihrem menschlichen Gesicht zu lesen.

Und doch verbarg sich hinter dieser engelsgleichen Maske auch ein Ungeheuer; ein Dämon, dem ich vor wenigen Stunden gegenübergestanden und mit dem ich um mein Leben und das Lady Audleys gekämpft hatte.

Für einen Augenblick fragte ich mich, ob ich all das wirklich erlebte oder ob es nur ein Traum war.

Ein leises Scharren drang in meine Gedanken. Ich fuhr hoch, so abrupt, dass sich Shadow im Schlaf herumdrehte und leise stöhnte, sah mich alarmiert nach beiden Seiten um und tastete mit der freien Hand nach meinem Degen.

Aber auf dem Streifen sandigen Wüstenbodens am Fuße der Felswand war nichts zu sehen. Nur der Wind spielte hier und da mit dem Sand und zeichnete kleine Wirbel hinein. Vielleicht war es nur ein Tier gewesen, das unsere Anwesenheit erschreckt hatte und das davongehuscht war. Ich ließ mich wieder zurücksinken, hielt die Hand aber vorsichtshalber auf dem Degenknauf. Die Begegnung mit dem Riesensaurier war noch lebhaft genug in meinem Gedächtnis.

Mein Blick tastete noch einmal aufmerksam über den gut dreißig Schritt breiten Streifen hellen Bodens, der der Wand wie ein Sandstrand vorgelagert war, glitt an der messerscharfen Trennlinie zwischen hell und dunkel entlang und suchte wie von selbst den titanischen Schatten Maronars, der wie eine Säule aus erstarrter Nacht in der Mitte des Kraters emporwuchs.

Maronar …

Ich versuchte vergeblich, irgendetwas in meinem Gedächtnis zu entdecken, das mit diesem Wort in Zusammenhang stand. Shadow hatte nicht weiter erklärt, was es bedeutete, und ich hatte auch keine diesbezügliche Frage gestellt, denn der unglaubliche Anblick hatte irgendetwas in mir erstarren lassen. Von hier unten aus war das Monstrum von Stadt nur noch als Schatten zu erkennen, aber selbst dieser Schatten hatte etwas Düsteres, Fremdes und unbestimmt Drohendes an sich.

Die Wand in meinem Rücken begann zu zittern, ganz sacht nur, aber trotzdem zu deutlich, um es nicht zu spüren, und gleichzeitig hörte ich wieder dieses leise unangenehme Schaben. Es war näher gekommen; ein Laut, der mich an das Kratzen eines überdimensionalen Fingernagels über einen noch größeren Topfboden erinnerte und mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

In einer Entfernung von einigen Schritten begann sich der Sand zu kräuseln. Kleine, zuckende Bewegungen gingen von einem unsichtbaren Zentrum aus und verliefen wie Wellen in gelbgefärbtem Wasser, und plötzlich begann der Sand einzusinken, als wäre dicht unter dem Boden ein Hohlraum zusammengebrochen. Ein faustgroßes Loch erschien, wuchs in einer rasenden, rotierenden Bewegung zu einem Strudel heran und wurde schließlich zu einem schwarzen, kreisrunden Schacht.

Ich sprang so abrupt auf, dass Shadow beiseite geschleudert wurde und unsanft mit dem Gesicht in den Sand fiel. Der Degen sprang wie von selbst aus seiner Hülle.

Zum dritten Mal glaubte ich dieses helle, unangenehme Schaben und Kratzen zu hören. Plötzlich kräuselte sich auch zu meinen Füßen der Sand und mit einem Male hatte ich das Gefühl, dass etwas Gewaltiges, unglaublich Machtvolles unter meinen Füßen durch den Sand kroch.

Shadow schrie auf, sprang mit einer behenden Bewegung auf die Füße und zerrte mich zurück; Sekunden, ehe der Sand dort einbrach, wo ich gerade noch gestanden hatte, und auch an dieser Stelle ein perfektes, kreisrundes Loch aufklaffte. Auf seinem Grund schien sich etwas Schwarzes, Glitzerndes zu bewegen.

»Robert!« Shadows Stimme überschlug sich fast. »Lauf!«

Die Luft war mit einem Male voll hochspritzendem Sand und Staub. Der Boden vibrierte, und das widerwärtige Schaben steigerte sich zu einem Crescendo aus kratzenden und reißenden Lauten, dass mir die Ohren schmerzten. Ich rannte los, aber der Sand unter meinen Füßen schien sich plötzlich in Wasser zu verwandeln. Ich sank bis zu den Knöcheln ein, fiel wie in einer grotesken Verbeugung nach vorne und fing den Sturz im letzten Moment ab.

Aber auch meine Hände trafen kaum auf fühlbaren Widerstand. In Sekunden sank ich bis an die Ellenbogen ein, fiel aufs Gesicht und hatte Mund und Nase voller Sand, als ich atmen wollte.

Shadow zerrte mich auf die Beine, drehte mich gewaltsam herum und gab mir einen Stoß, der mich meterweit zurücktaumeln ließ. Direkt hinter ihr klaffte der Boden auf. Etwas Schwarzes wuchs in der staubverhangenen Luft empor.

Ich weiß nicht, ob ich das, was dann geschah, überhaupt noch in der richtigen Reihenfolge mitbekam. Alles ging unglaublich schnell, und mehrere Dinge schienen gleichzeitig zu passieren. Der Sand war mit einem Male durchsetzt von runden schwarzen Löchern, und etwas Düsteres, Peitschendes wuchs am Fuß der Felswand empor wie ein Wald sich windender Riesenschlangen. Shadow schrie auf, als sich irgendetwas wie eine formlose finstere Hand um ihren Leib wickelte. Sie wurde zurückgerissen und verschwand in einer Wolke aus kochendem Staub und hochspritzendem Sand.

Dann zerteilte ein grellweißer Blitz den Tag. Ein reißender, seidiger Laut erklang, so machtvoll, dass ich die Hände gegen die Schläfen schlug und mit einem Wimmern auf die Knie fiel, und irgendetwas huschte mit der Schnelligkeit eines Gedankens schräg über mir vom Himmel herab und schlug in die brodelnde Masse aus Staub, Sand und schwarzen Dingen.

Eine halbe Sekunde später schien am Fuße der Felswand eine zweite Sonne aufzugehen. Eine Welle unglaublicher Hitze traf mich wie eine glühende Hand und schleuderte mich meterweit zurück. Weißblaues, grelles Licht drang durch meine geschlossenen Lider und lief wie brennendes Wasser an meinen Sehnerven entlang. Ich bekam keine Luft mehr. Der Boden glühte, und mein Mund schien mit weiß lodernder Lava gefüllt, als ich zu atmen versuchte. Ich grub das Gesicht in den Sand und schlug die Arme über den Kopf, aber das Licht blendete mich noch immer.

Wieder ertönte dieser reißende Laut, und eine zweite Explosion ließ die Felswand erbeben. Flüssiges Gestein eruptierte wie aus einem höllischen Geysir in die Höhe; ein winziger Spritzer davon traf mein Bein. Ich kroch blind auf Händen und Knien vor der Quelle der mörderischen Hitze davon und krümmte mich, als das Chaos zum dritten Mal zuschlug.

Diesmal hatte ich das Gefühl, die ganze Kraterwand würde bersten. Ein weltengroßer Hammer schien auf einen noch größeren Amboss zu schlagen. Meine Trommelfelle dröhnten, und mein ganzer Körper schien in einen Mantel von Flammen gehüllt zu werden. Tonnen um Tonnen von Sand und Gestein wurden in die Luft geschleudert und fielen wie tödlicher Regen herab. Ein Stein traf mich zwischen den Schulterblättern.

Es dauerte lange, bis ich begriff, dass es vorbei war, und auch dann vergingen noch Sekunden, ehe ich es wagte, ganz langsam das Gesicht aus dem Sand zu heben und zur Felswand hinüber zu blinzeln. Vor meinen Augen drehten sich noch immer feurige Kreise. Ich konnte kaum sehen.

Der Anblick war grauenhaft. Der sandige Streifen am Fuße der Kraterwand war zerfetzt und umgepflügt. An drei Stellen gähnten gewaltige, flache Krater, deren Grund mit halbflüssigem weißglühendem Gestein gefüllt war. Der Sand war zum Teil zu blindem Glas zusammengeschmolzen, und die Hitze hatte sogar den massiven Felsen reißen lassen. Von den schwarzen Dingen, die uns angegriffen hatten, war keine Spur mehr zu sehen.

Dann sah ich Shadow. Sie lag verkrümmt neben einem der Lavakrater. Ihre Kleider schwelten, und eine Schicht grauer, feinkörniger Asche bedeckte ihre Haut. Mühsam erhob ich mich auf die Füße, taumelte zu ihr und drehte sie mit zitternden Händen auf den Rücken.

Sie lebte, aber sie war schwer verwundet. Schon die vorsichtige Berührung meiner Hände musste ihr Schmerzen bereiten, denn ihr Gesicht verzerrte sich, und ihre Finger gruben sich tief in meinen Oberarm.

»Flieh, Robert«, stöhnte sie. »Lauf … weg.«

Ich ignorierte ihre Worte, lud sie mir behutsam auf die Arme und stand auf.

Besser gesagt, ich wollte es.

Denn in diesem Augenblick ertönte abermals dieser fürchterliche, reißende Laut, und einen halben Meter vor meinen Füßen brach ein Flammen speiender Vulkan auf.

Die Explosion musste mir das Bewusstsein geraubt haben, denn das Erste, woran ich mich wieder erinnere, war das Gefühl, von groben Händen in die Höhe gezerrt und unsanft über den heißen Boden geschleift zu werden. Instinktiv versuchte ich mich zu wehren, handelte mir damit einen Hieb in den Nacken ein und vergaß jeden weiteren Gedanken an Widerstand. Die gleichen Fäuste, die mich durch den Sand geschleift hatten, hoben mich ohne fühlbare Anstrengung hoch und betteten mich nicht gerade sanft auf einer harten, angenehm kühlen Unterlage.

Vorsichtig öffnete ich die Augen. Erst sah ich nichts als flimmernde Kreise und bunte, schmerzhafte Linien, denn meine Augen waren noch immer geblendet von den sonnenhellen Blitzen, die uns gerettet hatten, aber nach einigen Sekunden verschwanden die tanzenden Flecke, und ich sah die strahlend blaue Kuppel des Himmels.

Dann gewahrte ich einen Schatten, der sich über mich beugte. Schließlich zerfloss der Schatten und wurde zu einem breitflächigen Gesicht, bärtig und sonnenverbrannt und von schulterlangem, rabenschwarzem Haar eingerahmt. Eine Hand klatschte in mein Gesicht; nicht sehr fest, aber auch alles andere als sanft, und eine Stimme sagte: »Er ist wach, Herr.«

Etwas an der Art, in der er das Wort Herr aussprach, missfiel mir. Es klang unterwürfig, aber es war jene Art von Unterwürfigkeit, die aus Furcht geboren wird. Der Bärtige trat zurück, blieb jedoch in angespannter Haltung und so stehen, dass ich ihn sehen musste. Ich verstand die Warnung und bewegte mich besonders langsam, als ich mich hochstemmte.

Seine Vorsicht wäre überflüssig gewesen, denn das Bild, das sich mir bot, war so phantastisch, dass ich nicht einmal auf den Gedanken kam, Widerstand in irgendeiner Form zu leisten.

Ich lag auf einer gut zwei Yards durchmessenden, kreisrunden Scheibe aus glasklarem Kristall, die ohne sichtbaren Halt kniehoch in der Luft schwebte. Der Bärtige stand daneben, eine Hand erhoben, um mich im Notfall sofort packen zu können, die andere um einen kurzen, silbernen Stab gekrampft, an dessen Ende ein fingernagelgroßer, giftgrüner Kristall leuchtete.

Das Sonderbarste aber war sein Begleiter – der, den er Herr genannt hatte.

Er war sehr schlank, dabei aber über zwei Meter groß, hatte dunkles, sonderbar glänzendes Haar und ein offenes Gesicht, das ihn sicherlich auf den ersten Blick sympathisch gemacht hätte, wären seine Augen nicht gewesen.

Es waren Fischaugen.

Nicht die Art von starren, wässerigen Augen, die man manchmal bei alten Leuten findet und mit Fischaugen vergleicht, sondern matte, lidlose Kugeln ohne sichtbare Iris oder Pupille, kreisrund und so groß wie ein Six-Pence-Stück, über denen sich durchsichtige Nickhäute spannten. Auch sein Mund war schmaler als normal, und als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass hinter seinen farblosen Lippen keine Zähne, sondern zwei Reihen messerscharfer Knochen waren. Gekleidet war er in ein absurdes, bis auf den Boden reichendes Ding, gewoben in den Farben des Wahnsinns und von beständiger, zuckender und bebender Bewegung erfüllt, als lebe es.

Sekundenlang stand er einfach da und starrte mich an, dann wandte er sich mit einem Ruck um, ging zu Shadow hinüber und kniete neben ihr nieder. Auch in seiner Hand lag ein silberner Stab mit einem grünen Kristall. Ich vermutete, dass es sich um eine Art Waffe handelte.

»Was ist mit ihr?«, fragte ich, nachdem sich der Fremde wieder aufgerichtet und herumgedreht hatte. »Lebt sie?«

Die Antwort war etwas anderes, als ich erwartet hatte. Der Mann mit dem Fischgesicht hob kaum merklich die Hand, und der Bärtige wirbelte herum und schlug mir so wuchtig mit der Faust auf den Mund, dass ich zurückfiel und einen Moment benommen liegen blieb.

»Du hast nur zu sprechen, wenn du gefragt wirst oder der Herr es dir ausdrücklich erlaubt!«, grollte er. Dabei schüttelte er eine gewaltige schmutzige Faust dicht vor meinem Gesicht, und ich zog es vor, wirklich zu schweigen; wenigstens für den Moment.

Das Fischgesicht kam näher, beugte sich neugierig über mich und trat wieder zurück. In seinen starren Augen lag ein Ausdruck, der irgendwo zwischen Ekel und Neugier zu schwanken schien. »Er sieht sonderbar aus für einen Wilden«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu mir oder seinem Begleiter. Umständlich wechselte er seine Waffe von der Rechten in die Linke, beugte sich abermals vor und zupfte an den Fetzen meines Hemdes. Ich sah, dass sich zwischen seinen Fingern dünne, halb durchsichtige Schwimmhäutchen spannten. »Was sind das für Kleider, Bursche? Woher kommst du?«

Ich antwortete wohl nicht schnell genug, denn der Bärtige ergriff mich roh am Arm, zerrte mich in die Höhe und versetzte mir eine Kopfnuss, dass mir der Schädel dröhnte. »Antworte gefälligst!«, raunzte er.

Ich schwieg verbissen, und der Bärtige hob die Faust, um mich erneut auf seine freundliche Art zum Reden zu ermuntern, aber das Fischgesicht hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. »Warte, Sserith«, sagte er. »Es spielt keine Rolle, ob er antwortet oder nicht.«

»Wie freundlich«, knurrte ich. Mühsam setzte ich mich auf, wischte mir mit dem Handrücken das Blut von der Lippe und funkelte Sserith wütend an. »Wenn Sie Ihren Leibdiener noch brauchen, sollten Sie ihm Manieren beibringen«, sagte ich. »Sonst mache ich es.«

Sseriths Gesicht verfinsterte sich, aber die Lippen des Fischmannes zuckten nur amüsiert.

»Der Bursche kann ja doch reden«, sagte er. »Und er scheint sogar über eine gewisse rudimentäre Intelligenz zu verfügen.« Er schüttelte den Kopf, trat noch einen Schritt zurück und begann wie in Gedanken mit seinem Silberstab zu spielen.

»Wer bist du, Kerl?«, fragte er. »Hast du einen Namen? Wo lebt dein Stamm?«

Misstrauisch äugte ich zu Sserith hinüber und setzte mich weiter auf, bis ich mit angezogenen Knien auf der Kristallscheibe hockte. Meine Lippe blutete noch immer.

»Mein Name ist Craven«, sagte ich. »Robert Craven. Und mein Stamm«, fügte ich sarkastisch hinzu, »lebt in London. Ashton Place 9, um genau zu sein. Jedenfalls steht mein Wigwam dort, Massa.«

Mein Sarkasmus kam nicht so richtig an, aber das lag vermutlich daran, dass weder Sserith noch das Fischgesicht jemals die Worte London oder Wigwam gehört hatten. Nun ja – in zweihundert Millionen Jahren verändert sich so manches.

»Mein Name ist Dagon«, sagte das Fischgesicht vollkommen ernst, »nicht Massa. Ich nehme an, du hast von mir gehört.« Als ich nicht antwortete, zuckte er mit den Schultern und fügte hinzu: »Aber es spielt auch gar keine Rolle. Wenigstens nicht für dich. Du hast großes Glück gehabt, dass wir gerade auf Patrouille waren.« Er lachte, schüttelte den Kopf und wurde übergangslos wieder ernst.

»Ich verstehe euch Wilde nicht«, sagte er. »Warum bekämpft ihr uns und lasst euch dann freiwillig von den Saddit auffressen?«

Einen Moment lang starrte ich ihn durchdringend an, dann stemmte ich mich hoch, stieg vorsichtig von der Kristallscheibe herunter und deutete auf Shadow. »Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, begann ich. »Shadow und ich –«

Ich kam nicht weiter. Sserith hob ansatzlos die Hand und schlug mir schon wieder auf den Mund. Ich fiel zu Boden und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Zum Teufel, was soll das?«, keuchte ich. »Ich bin weder Ihr Feind, noch gehöre ich zu den Wilden. Wer seid ihr überhaupt?«

Sserith zerrte mich auf die Füße und versetzte mir einen Stoß, der mich gegen die Scheibe taumeln ließ. Ein heftiger Schmerz zuckte durch meinen Rücken.

Sserith sah den Schlag nicht einmal, der seine Nase einbeulte. Hätte ich Zeit zum Überlegen gehabt, hätte ich mich vermutlich nicht einmal jetzt gewehrt, aber auch meine Geduld hat Grenzen, und ich konnte es noch nie vertragen, als Prügelknabe zu dienen. Meine Faust schoss vor und traf ihn ein zweites Mal auf die Nase. Sserith heulte, schlug beide Hände vor das Gesicht und fiel auf die Knie.

Ein dünner, gleißend heller Blitz zuckte vor mir durch die Luft und explodierte irgendwo in der Wüste, und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Dagon hatte seinen Stab erhoben und zielte damit auf mich. Der grüne Kristall an seinem Ende flammte wie ein kleines, böses Auge.

»Bravo«, sagte er spöttisch. »Du weißt dich zu wehren, Robert Craven. Vielleicht tut Sserith ein kleiner Dämpfer sogar ganz gut. Aber jetzt ist es genug. Geh zurück.«

Die befehlende Geste, mit der er seine Worte unterstrich, wäre nicht mehr nötig gewesen. Ich hatte den Feuerball, der die schwarzen Ungeheuer verschlungen hatte, keineswegs vergessen.

»Sie … Sie irren sich«, sagte ich hastig. »Ich gehöre nicht zu diesen Wilden, gegen die Sie kämpfen, Dagon. Ich weiß nicht einmal, wer sie sind!«

»Das scheint mir auch so«, sagte Dagon grimmig. Sein Stab deutete noch immer drohend auf meine Stirn. Dicht neben mir stemmte sich Sserith stöhnend wieder hoch. Wenn Dagon jetzt schoss, würde er seinen Leibwächter ebenfalls töten. Aber ich hatte das sichere Gefühl, dass ihm das nicht sehr viel ausmachen würde. Ganz vorsichtig, um ihn nicht durch eine zu schnelle Bewegung zu einer Unbedachtsamkeit zu verleiten, die vielleicht nicht er, aber ganz bestimmt ich bereuen würde, hob ich die Hände und zupfte an meinem Hemd und dem, was von meiner Weste übrig geblieben war. »Sehen Sie mich doch an!«, sagte ich. »Sehe ich aus wie ein Wilder? Shadow und ich haben nichts mit Ihrem Streit zu tun. Wir sind –«

»Schweig!«, unterbrach mich Dagon. »Du hast später Zeit genug, zu reden. Aber nicht hier, und auch nicht mit mir.« Er wandte sich an den Bärtigen. »Binde ihn, Sserith. Der Bursche ist gefährlich. Und was hat er da für einen Stab? Nimm ihn weg!«

Er deutete auf meinen Stockdegen, den ich mir unter den Gürtel geschoben hatte. Die Waffe befand sich wieder in ihrer Umhüllung, aber der beinahe faustgroße Knauf aus Kristall war unübersehbar. Voller Unbehagen dachte ich daran, wie sehr die Waffe der Dagons ähnelte. Wenn er die falschen Schlüsse zog …

Sserith streckte die Hand nach mir aus, zerrte mir den Degen aus dem Gürtel und versetzte mir dabei rein versehentlich, wie mir sein hässliches Grinsen sagte – einen Knuff mit dem Ellbogen, der mir die Luft aus den Lungen trieb. Während ich keuchend um Atem rang, drehte Dagon den Stock zwei, drei Mal unschlüssig in den Händen, warf ihn schließlich mit einem Achselzucken hinter sich und sagte abfällig: »Spielzeug.«

Wieder machte er eine befehlende Geste, und Sserith packte mich am Kragen und zerrte mich vollends auf die Scheibe. Dann sprang er zu mir herauf und bugsierte mich unsanft an ihren gegenüberliegenden Rand. Schließlich stieg auch Dagon auf die Scheibe.

Lautlos hob sich das bizarre Gefährt bis auf Mannshöhe in die Luft, drehte sich einmal um seine Achse und begann, leicht schaukelnd wie ein Boot auf bewegtem Wasser, von der Felswand fortzugleiten.

»Shadow!«, keuchte ich. »Was ist mit Shadow? Ihr könnt sie doch nicht einfach hier lassen!«

»Sie stirbt ohnehin«, sagte Dagon kalt. »Du übrigens auch, Robert Craven, aber dein Leben kann uns noch von Wert sein. Sie mitzunehmen würde nicht lohnen.« Er lachte, und es war dieses Lachen, das mich vollends davon überzeugte, es nicht mit einem Menschen zu tun zu haben. Ich hatte niemals in meinem Leben ein so kaltes, unmenschliches Lachen gehört.

»Wir lassen sie liegen«, sagte er. »Als Futter für die Würmer.«

»Ihr dürft sie nicht einfach so liegen lassen!«, stöhnte ich. »Sie ist ein Mensch, Dagon!«

»Eben«, sagte er lächelnd.

Die rasende Fahrt dauerte bis lange nach Sonnenuntergang. Weder Sserith noch sein sonderbarer Herr wechselten während der ganzen Zeit ein Wort miteinander oder gar mit mir, und mein einziger Versuch, mich zu erheben und Dagon anzusprechen, wurde von Sserith mit einem rabiaten Fußtritt ziemlich unsanft im Keim erstickt.

Ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob es wirklich klug gewesen war, ihn in seine Schranken zu verweisen. Bittere Erfahrung hatte mich gelehrt, dass es das Beste war, die Rolle des Schwachen zu spielen, solange man in Gefangenschaft war. Ein Wächter, der seinen Gefangenen fürchtet, ist weitaus schlimmer als einer, der ihn verachtet.

Aber es war ein bisschen zu spät für solcherlei Überlegungen.

Nach meinem missglückten Versuch, Dagon noch einmal in den Eisblock zu reden, den er da hatte, wo bei einem menschlichen Wesen das Gewissen war, verbrachte ich den Rest der bizarren Reise mit den beiden einzigen Dingen, die mir zu tun blieben: dem Betrachten meiner Umgebung und Grübeln.

Weder das eine noch das andere brachte mich indes sehr viel weiter.

Der Krater bot einen ebenso öden Anblick wie die Ebene hinter seinem Wall. Sein Boden lag ein gutes Stück tiefer als diese, und wo draußen steinhart verbranntes Erdreich gewesen war, lugte hier der blanke Fels durch die Staubschicht, die der Wind herangetragen hatte. Die Steine, die ich sah, wirkten allesamt unnatürlich rund und glatt; wie mit Glas überzogen, was mich auf die – sicherlich richtige – Annahme brachte, dass der Riesenkrater beim Einschlag eines Meteors entstanden sein musste.

Wahrscheinlich hatte der Stein hier gekocht wie dünnflüssiges Wasser, als der himmlische Bote wie eine Götterfaust in die Erde schlug, und wahrscheinlich war die tote Ebene ringsum ebenfalls auf die gewaltige Explosion zurückzuführen. Ich versuchte mir vorzustellen, welche Gewalten nötig waren, einen Krater von mehr als einhundert Meilen Durchmesser zu erschaffen, aber meine Phantasie kapitulierte vor dieser Aufgabe. Wahrscheinlich grenzte es schon an ein Wunder, dass nicht der ganze Planet auseinandergebrochen war.

Ganz flüchtig erinnerte ich mich an die Theorie eines gewissen Darwin, der gemeint hatte, die großen Echsen der Frühzeit könnten durchaus Opfer einer gewaltigen Naturkatastrophe geworden sein. Vielleicht hatte ich hier den Beweis, nach dem er sein Leben lang gesucht hatte.

Nicht, dass ich besonders froh über diese Entdeckung gewesen wäre …

Während die Sonne langsam hinter dem Kraterrand versank und rings um uns das Tageslicht zu verblassen begann, raste die Kristallscheibe weiter dem Zentrum des Kraters zu. Obgleich sie sich mit der Geschwindigkeit eines schnell dahingaloppierenden Pferdes bewegte, flog sie vollkommen erschütterungsfrei und lautlos. Wenn es eine Technik war, die dieses sonderbare Gefährt antrieb, dann musste es eine sein, die der der Menschheit um Jahrtausende voraus war.

Bei Dagons ungesundem Aussehen tippte ich allerdings mehr darauf, hier Zeuge irgendeines magischen Rituals zu werden; insbesondere, wenn ich bedachte, was vorher geschehen war und auf welchem Wege wir hierhergekommen waren.

Mit neu erwachender Neugier betrachtete ich Dagon, der hoch aufgerichtet und in seinen lebenden Mantel eingehüllt am Rande der Scheibe stand und zu der allmählich heranwachsenden Stadt hinüberblickte.

Sah man von den Augen, seinen fehlenden Zähnen und den Schwimmhäutchen zwischen seinen Fingern ab, machte er eigentlich einen ganz menschlichen Eindruck. Er hätte sogar sympathisch wirken können, unter anderen Umständen. War er einer der Thul Saduun, von denen Shadow gesprochen hatte?

Ich wagte es nicht, ihn danach zu fragen. Sserith wartete nur darauf, dass ich unaufgefordert den Mund auftat. Er hockte neben mir und starrte in eine andere Richtung, aber ich zweifelte nicht daran, dass er sich mir mit Freuden widmen würde, wenn ich auch nur hustete.

Thul Saduun …

Maronar …

Dinosaurier …

Hinter meiner Stirn purzelten die Gedanken wild durcheinander; wie Teile eines gewaltigen Puzzlespieles, die ich nicht in die richtige Reihenfolge zu bringen vermochte. Zu viele Teile des Ganzen fehlten noch. Ich vermochte nicht einmal ein Muster in dem Geschehen zu erkennen, von Logik ganz zu schweigen.

Aber ich hatte das unangenehme Gefühl, dass ich es erfahren würde; schneller und auf andere Weise, als mir lieb war.

Ich dachte an Shadow, und etwas in mir schien sich zusammenzukrampfen, als ich wieder daran dachte, wie verächtlich Dagon über sie geredet hatte. Ich hätte ihn hassen müssen für die Kaltblütigkeit, mit der er sie zum Tode verurteilt hatte.

Und trotzdem sagte mir irgendetwas, dass sie noch lebte. Der Gedanke war mit nichts zu begründen und vollkommen unlogisch nach allem, was geschehen war, aber ich wusste es mit unerschütterlicher Sicherheit.

Ganz langsam kam das gewaltige Gebilde näher, das Shadow mit Maronar bezeichnet hatte. Etwas Sonderbares geschah. In den ersten Augenblicken dachte ich, es läge am schwindenden Tageslicht oder einer Eigentümlichkeit der Schatten in diesem Riesenkrater, aber je näher wir kamen, desto mehr gestand ich mir ein, dass es etwas anderes war, etwas, wofür ich keine Erklärung fand: Obgleich wir uns der Stadt mit rasender Geschwindigkeit näherten und sie von einem Schatten rasch zu einem gewaltigen, finsteren Umriss heranwuchs, vermochte ich sie nicht deutlicher zu erkennen. Sie blieb ein wesenloser schwarzer Schemen, ein Koloss aus Finsternis und Schatten, der in beständiger, einzeln nicht wahrnehmbarer Bewegung zu sein schien.

Das Monstrum wuchs heran, bis es die Welt vor und über uns ausfüllte wie eine gewaltige Wand. Ein Hauch unheimlicher, klammer Kälte hüllte uns ein, als wir uns seinem Fuß näherten. Erst im letzten Moment sah ich das Tor.

Es war kein Eingang im herkömmlichen Sinne. In der gewaltigen Flanke des Dinges klaffte plötzlich ein Riss, eine Bresche, die mehr an eine zerfranste Wunde erinnerte denn an einen Eingang, und noch bevor ich wirklich begriff, was geschah, fegte die Kristallscheibe hindurch und tauchte in absolute Schwärze ein.

Aber nur für einen Moment. Ich hatte das Gefühl, durch einen niedrigen Stollen zu rasen, obwohl ich die Wände nicht sehen konnte, dann tauchte ein grünlich flirrender Punkt vor uns auf und wuchs rasend schnell heran, und plötzlich befanden wir uns im Inneren einer gewaltigen, von sanftem grünem Licht erfüllten Halle. Ihre Form war unbeschreiblich, so bizarr, dass sie unmöglich von einer menschlichen Kultur geschaffen worden sein konnte, und wo ihr Boden sein sollte, erstreckte sich ein See aus flirrender grünlicher Helligkeit.

Der Anblick erinnerte mich auf erschreckende Weise an das Grab in St. Aimes, aus dem Shub-Niggurath auferstanden war. Nur dass diese Grube tausend Mal größer war.

Dagon hob die Hand, und die Kristallscheibe fegte in kühnem Schwung über das Zentrum des Lichtsees hinweg auf die gegenüberliegende Wand der Halle zu. Auf halber Höhe zwischen ihrer Decke und dem Lichtsee – was bei den Ausmaßen dieses Bauwerkes der Höhe des Big Ben entsprach – befand sich eine gut zwanzig Fuß breite, sichelförmig an der Wand entlanglaufende Empore, auf der eine Anzahl bunt gekleideter Gestalten standen.

Unser seltsames Gefährt steuerte, langsamer werdend und dabei an Höhe verlierend, auf eine Gruppe dieser Männer zu, kam zehn Schritte vor ihnen zum Halten und setzte schließlich sanft wie eine Feder auf. Dagon sprang mit einem federnden Satz zu Boden und bedeutete Sserith und mir, ihm zu folgen. Ich beeilte mich aufzustehen, aber Sserith konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mir einen Stoß in den Rücken zu versetzen, der mich auf seinen Herren zutaumeln und neben ihm auf die Knie fallen ließ. Ich schenkte ihm einen bösen Blick und bekam ein gehässiges Grinsen zur Antwort.

Einer der Buntgekleideten löste sich aus seiner Gruppe und trat mit raschen Schritten auf Dagon zu.

»Wen bringst du da, Dagon?«, fragte er. »Einen Wilden?«

Er runzelte die Stirn, kam näher und stieß mich mit dem Fuß an. Gehorsam stemmte ich mich hoch und blickte ihn an.

Ich hatte ein Fischgesicht wie Dagons erwartet, aber ich wurde enttäuscht. Der Mann, dem ich gegenüberstand, schien ein ganz normaler Mensch zu sein – dunkelhaarig, mit breiten Schultern und stämmiger, schon leicht zur Fettleibigkeit neigender Statur. Gekleidet war er in die gleiche Art von schreiend buntem, lebendigem Umhang wie Dagon.

Aber ich wusste nicht, ob ich froh sein sollte, ihn zu sehen.

Er wirkte zwar menschlicher als Dagon, aber gleichzeitig auch düsterer. Etwas Finsteres, körperlos Böses schien von seiner Erscheinung auszugehen, ohne dass ich das Gefühl in Worte zu kleiden vermochte.

»Er sieht sonderbar aus«, sagte er, nachdem er mich eine Weile gemustert hatte. »Was ist er?«

Dagon zuckte mit den Achseln. »Wir haben ihn am Wall aufgegriffen, Ayron«, erklärte er, »zusammen mit einer Frau. Vielleicht seinem Weibchen.« Er zuckte abermals mit den Achseln. »Sie waren gerade dabei, sich von den Saddit auffressen zu lassen. Das Weibchen war zu schwer verletzt, als dass es sich gelohnt hätte, es mitzunehmen.«

Ich starrte ihn an. Für die Verachtung, mit der er über Shadow sprach, hätte ich ihn erwürgen können, aber das Gefühl heißen Zornes, das plötzlich in mir erwachte, vermischte sich mit einem eisigen, lähmenden Erschrecken, als ich begriff, warum er so sprach.

Plötzlich wusste ich, dass wir für ihn und all die anderen hier nicht mehr als Tiere waren. Vielleicht war es nicht einmal Bosheit, sondern seine Art, zu denken. Was immer er war, schien er sich so hoch über den Menschen zu dünken, dass er das Recht daraus ableitete, sie wie Dinge zu behandeln.

»Ihn können wir gebrauchen«, sagte Ayron mit einem zufriedenen Nicken. »Es war gut, dass du ihn mitgebracht hast. Jene in der Tiefe sind hungrig.« Ein sanftes, beinahe glückliches Lächeln huschte über seine Züge. »Der Tag rückt heran, Dagon. Die Zeichen sind deutlicher geworden.«

Dagon zögerte. »Ich weiß nicht, ob es gut wäre, ihn zu opfern«, murmelte er. »Er ist keiner von den Wilden, Ayron. Nicht so, wie –«

»Schweig!«, unterbrach ihn Ayron. »Er wird geopfert, und damit gut.«

»Aber Barlaam wird –«, begann Dagon, nur, um sofort wieder von Ayron unterbrochen zu werden:

»Barlaam wird äußerst unzufrieden mit uns allen sein, wenn es uns nicht gelingt, jene in der Tiefe zu besänftigen«, schnappte er. Ein düsterer, unwirklicher Klang begleitete die Worte jene in der Tiefe und ließ mich schaudern. »Du weißt, wie ungeduldig sie in ihrem Hunger sind, und wie schrecklich ihr Zorn ist.«

Er machte eine befehlende Geste. »Bringt ihn zu den anderen.«

Diesmal widersprach Dagon nicht mehr.

Wie immer die Rangordnung unter diesen … Was-auch-immer sein mochte, schien er großen Respekt vor Ayron zu haben. Sein Gesichtsausdruck war finster, als er sich herumdrehte und Sserith einen befehlenden Wink gab.

»Du hast gehört, was Ayron gesagt hat. Bring ihn fort. Und krümme ihm kein Haar, oder du landest selbst in der Grube.«

Sserith war sichtlich enttäuscht. Aber er nickte nur demütig, ergriff mich beinahe sanft am Arm und führte mich weg.

Jedenfalls sah es für die anderen so aus. In Wirklichkeit brach er mir fast den Ellbogen. Tränen des Schmerzes schossen mir in die Augen, aber ich biss die Zähne zusammen und ließ mir nichts anmerken. Diesen Triumph wollte ich ihm nun doch nicht gönnen.

Sserith führte mich über den Steg davon bis zu einer vielleicht zehn Fuß messenden, halbrunden Ausbuchtung, die über den Lichtsee führte. Die ganze Anordnung erinnerte mich auf unangenehme Weise an die Planken, die man auf See verwendet, um verurteilte Meuterer oder andere Verbrecher über Bord zu befördern.

Und Sseriths dreckiges Grinsen verriet mir, dass ich mit meiner Vermutung der Wahrheit ziemlich nahe kam.

»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte ich. Sseriths Grinsen wurde noch breiter. Es sah aus, als versuche er seine Ohrläppchen aufzufressen.

»Das wirst du schon merken, Robert Craven«, sagte er glucksend. »Eigentlich nichts anderes als das, was du am Wall fast selbst getan hättest, zusammen mit deinem Weibchen. Nur dass es diesmal –«

Ich sprang herum. Meine Hand krallte sich in Sseriths schmutzstarrenden Bart. Mit einem harten Ruck riss ich den Burschen herunter und drehte ihn blitzschnell herum, bis er vor mir hockte und ich ihm den freien Arm von hinten um den Hals schlingen konnte.

Sserith versuchte sich zu wehren, aber seine Lage war derart ungünstig, dass ich auch einen zehn Mal so starken Gegner ohne große Anstrengung hätte halten können.

»Sprich nicht so von ihr!«, sagte ich drohend. »Sprich nie wieder in diesem Ton von Shadow, Sserith, oder du bist der Erste, der dort hinunter fällt.«

Ich grub mein Knie zwischen seine Schulterblätter und zwang ihn so zu einer grotesken Verbeugung, bei der sein Kopf und sein Oberkörper über den Rand der Felsnase hingen. Sserith begann zu keuchen, war aber klug genug, sich nicht mehr wehren zu wollen. Er schien zu begreifen, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte.

Eine Weile hielt ich ihn noch so, dann zerrte ich ihn an den Haaren in die Höhe, nahm meinen Arm von seinem Hals und trat zurück. Sserith zitterte am ganzen Leib. Unter der Kruste von Schmutz hatte sein Gesicht alle Farbe verloren.

»Dafür bringe ich dich um, Robert Craven«, keuchte er. »Dafür stirbst du!«

»Das beeindruckt mich nicht«, sagte ich betont gelangweilt. »Mehr als einmal kann man kaum sterben, oder?«

Sserith hustete ein paar Mal und stemmte sich taumelnd in die Höhe. Seine Augen brannten vor Zorn.

»Sei dir da nicht so sicher, du Hund«, sagte er.

Ich wollte lächeln, aber etwas an der Art, in der er die Worte aussprach, sorgte dafür, dass mir die spöttische Antwort, die mir auf der Zunge lag, im Halse stecken blieb.

Ich war mir wirklich nicht mehr sicher, dass man nur einmal sterben konnte.

Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß und dumpf vor mich hinbrütete. Vielleicht ging draußen über der Festung bereits wieder die Sonne auf, vielleicht vergingen auch nur Minuten, nachdem Sserith gegangen war und mich allein gelassen hatte. Zwei der Buntgekleideten hielten am Ende des Felsvorsprungs Wache, einer von ihnen mit einem der Blitze schleudernden Silberstäbe bewaffnet, der andere mit einem Ding, das so absurd geformt war, dass ich es nicht einmal beschreiben kann.

Neugierig sah ich zu Dagon und den anderen hinüber. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, seit Sserith mich weggeführt hatte, stand auch jetzt noch da und unterhielt sich heftig gestikulierend mit Ayron. Sein lebender Mantel wogte und zitterte dabei so heftig, als spüre er seine Erregung. Auch die anderen Männer – es waren ausschließlich Männer, wie mir auffiel, keine einzige Frau – schienen immer nervöser und ungeduldiger zu werden. Immer öfter beobachtete ich, wie sich Köpfe in Richtung des gewaltigen, halbrunden Tores wandten, das auf die Empore hinausführte. Ab und zu trat einer der Männer vorsichtig an den Rand des Balkons und blickte in die Tiefe. Eine fühlbare Erwartung lag über der großen Halle.

Und es war nichts Gutes, auf das diese Männer warteten. Ich spürte ihre Angst. Nach allem, was ich erlebt hatte, fragte ich mich, wie furchtbar etwas sein musste, das diesen Männern Angst machte …

Unschlüssig ging ich ein paar Schritte auf meinem steinernen Gefängnis auf und ab, ließ mich schließlich an seinem Rand nieder und blickte in die Tiefe. Wie zuvor sah ich nichts außer dem wabernden grünen Schein, wie ein See aus giftgrün leuchtendem Wasser, in dem es brodelte und zuckte.

Und er atmete Furcht.

Ich kann es nicht anders beschreiben. Was immer unter dem wogenden grünen Licht war, es verströmte Angst wie einen finsteren Atem, eine Angst, die vollkommen unbegründet und vielleicht deshalb so schrecklich war.

Die einzigen Male, dass ich ein solches Gefühl – wenigstens annähernd – kennen gelernt hatte, war in Gegenwart der GROSSEN ALTEN oder einer ihrer Dienerkreaturen gewesen.

War das die Erklärung?, dachte ich schaudernd. Waren die Thul Saduun, von denen Shadow gesprochen hatte und die die Buntgekleideten ganz offenbar beschwören wollten, nur eine andere Bezeichnung für die GROSSEN ALTEN? Aber gleichzeitig spürte ich auch, dass es nicht so einfach war. Trotz allem war das Gefühl hier anders.