Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum - Arno Wulf - E-Book

Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum E-Book

Arno Wulf

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Beschreibung

Wohin entwickelt sich eine zivilisatorisch weit fortgeschrittene Hochkultur? Bleibt es nur bei immer neuen technologischen Errungenschaften oder entwickelt sich auch das Bewußtsein - der Geist immer weiter? Was bleibt am Ende des Weges - folgen daraus gar Konsequenzen hinsichtlich der Evolution des Universums?

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DER KURATOR

Imprint Der Kurator - 7. Neue Wege, 8. Kornar V, 9. Leerraum Arno Wulf published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de Copyright: ©2013 Arno WulfISBN 978-3-8442-5235-4

Image - Large Magellanic Cloud - Front Cover: Copyright©Australian Astronomical Observatory / David Malin

Inhaltsverzeichnis

7 Neue WegeDer EisplanetDer KuratorProfessor MansouriVaugh IIWartenTorquorKontaktMachtkonsolidierungDie EntscheidungFeierlichkeitenVermisstNordkoreaNew YorkTerraArmageddonNukleares InfernoSternenmeer8 Kornar VRebellionOffenbarungAufstandPlanungenFluchtAufbruchPerspektivenBeschlüsseDie große LeereGrenzüberquerungIn der UnterweltAufmarschMarathor IIIDurch die WüsteNeuanfangBestandsaufnahmeBegegnungenSpiel im SpielWiedersehenZu neuen UfernDer Doppelplanet9 LeerraumTerra IIAbschlussfeierAttentatMachtwechselRedeEvolutionMachtzentrumDer ObeliskKerguelenDas LabyrinthTop SecretZusammenbruchDas Rätsel von Grand Ross

Der Kurator

Knud saß mit Astrid, Admiral Worssorgh, Moluh und Mary unter schattigen Bäumen an der Küste eines namenlosen Ozeans - zehnmal größer als der Pazifik auf Terra. Eine langgezogene Dünung traf auf die vorgelagerten Felsenriffs. 20 Meter hohe Wellen brachen sich etwa 500 Meter vor dem Küstensaum und rollten mit einem tiefen Grollen auf sie zu. Es war warm - etwa 298 Kelvin. Clark, Mouad, Wahid, Yossi und Mahmoud hatten es sich an sandigen Strandabschnitten, eingebettet zwischen großen Felsen - bequem gemacht. Das, was sie sahen, hatten sie sich niemals auch nur im entferntesten vorstellen können. Sie standen an der tiefsten Stelle einer Mulde - zugleich Bestandteil einer gigantischen Kugelschale. In allen Himmelsrichtungen stieg der Horizont in der diesigen Ferne stetig an. Der Detailreichtum reduzierte sich zunächst wegen der atmosphärischen Streuung. Nahm dann ab einem Drittel der Firmamenthöhe wieder zu. Hoch über ihnen stand ein K4 Stern, dessen orangegelbes Licht den Innenraum der scheinbar unermesslichen Kugel mit Strahlung und Wärme versorgte. Wahid schüttelte fortwährend den Kopf. „Das ist doch einfach thermodynamisch nicht möglich, die Strahlung kann doch nirgendwohin abfließen, die ganze Struktur müsste doch den Hitzetod sterben...” Er musste erst einmal eine Larssen Sphäre mit eigenen Augen gesehen haben, um zu begreifen, was diese Zivilisation in den vergangenen Äonen geleistet hatte. Dieses Bauwerk war zweifellos der Gipfel technologischen Fortschritts: Eine Hohlkugel mit einem Durchmesser von 350 Millionen Kilometer zu konstruieren. Mit einer Fläche von 3,848⋅1017 Quadratkilometern - entsprechend 7,5⋅108 mal der der Erde. Dieses gigantische Ökosystem war nur mit knapper Not vor den Verheerungen der Core Explosion gerettet worden. Denn Knud hatte damals auch durchgesetzt, dass nicht nur die technologisch hochstehenden Kulturen zu retten seien, sondern auch alle Zivilisationen, die sich evolutionär auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe befanden. Einige der Lebensformen auf dieser Welt hatten es auf ein genau so hohes Intelligenzniveau wie das der Terraner gebracht. Nur mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie in völliger Harmonie mit der Natur lebten. Rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt galt hier als absoluter Frevel. Zudem bildeten alle Lebewesen auf dieser Welt - wie es relativ häufig im Universum vorkam - ein neuronales Netzwerk.

Man merkte es Knud an. Er fühlte sich wohl - er genoss den Aufenthalt an diesem Ort.

Auf dem Saphir war zur selben Zeit die Hölle los: Die Feierlichkeiten zur Rettung des Duwuthrounu - Imperiums hatten begonnen. Dazu kam die offizielle Aufnahme dieses Staatenbundes in die Föderation. Einziger Wermutstropfen war, dass die in die große Magellansche Wolke evakuierten Sonnensysteme und Planeten nicht mehr in die Triangulum Galaxie zurückgeführt werden konnten. Denn das Risiko eines erneuten Angriffs durch Guruthuwrunuh Verbände war immer noch gegeben - auch wenn seit über sechs Monaten nichts mehr von diesen Aggressoren vernommen worden war. Aber die Regierung unter dem fähigen Ministerpräsidenten Mareghor machte ihre Sache gut - wie Knud und seine Begleiter über einen holografischen Projektor mit wenigen Stunden Zeitverzögerung feststellen konnten. Vertreter unzähliger Planeten hatten sich in Morugh Turghar versammelt, um der Regierung ihren Respekt und ihre Dankbarkeit entgegenzubringen.

Mouad, Wahid, Mahmoud, Yossi und Moluh setzten sich neben Knud. „Findest du es nicht schade”, fragte Wahid, „dass andere sich jetzt die Lorbeeren einheimsen für Taten, für die du doch verantwortlich warst? Oder nicht vielleicht sogar ein bisschen enttäuscht?” Knud lachte. Es war ein befreites, herzhaftes Lachen. „Nein, mein Freund. Ich mag es nicht zu feiern. Ich bin sogar froh, bei dieser offiziellen Zeremonie nicht weiter beachtet zu werden. Bescheidenheit ist nämlich eine der Haupttugenden des Kurators.” Das Dröhnen der Brandung erfüllte die Luft. Eine steife Brise war aufgekommen. Knud: „Ich genieße es natürlich auch, wenn meine Arbeit und die meiner Freunde zum Erfolg führt. Aber jetzt haben wir uns alle einige Tage der Ruhe in der Abgeschiedenheit dieser biologischen Arche Noah verdient.”

Knud: „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben - mit dem, was wir alle erreicht haben. Ich stehe schließlich in der Tradition eines immensen wissenschaftlichen Gremiums, das seit der Gründung dieses Staates den zivilisatorischen Reifeprozess voranbringt. Und das ist mir das wichtigste - ohne Gewalt die Macht und den Einfluss der Föderation zum Nutzen aller zu vermehren. Dass vielleicht zukünftige Generationen irgendwann einmal sagen können: Jaja, Knud, Mouad und Wahid - das waren wirklich zivilisatorisch hochgestellte Persönlichkeiten - in jeder Hinsicht. Und wenn über uns an einem hoffentlich noch fernen Tag dieser Nachruf erklingen sollte, werde ich im Rückblick auf meine Vergangenheit sehr glücklich sein.” Knud war auch jetzt immer noch von jener zuvorkommenden Bescheidenheit, die Mouad an ihm so mochte. „Und unterschätzt Mareghor und seine Minister nicht”, ergänzte Knud. „Der Ministerpräsident selbst ist ein exzellenter Stratege, der auch erheblichen Anteil an den politischen Erfolgen in letzter Zeit hatte. Viele seiner Einschätzungen erwiesen sich in der Vergangenheit als absolut zutreffend. Und ohne Wahid und seine mathematischen Fähigkeiten in der Handhabung der Raumzeit wären wir nicht so weit gekommen.”

Mary wandte sich Knud zu. „Worssorgh und ich müssen dir zwei Geheimnisse offenbaren. Ohne die Mithilfe von drei genialen Forschern, die wir in einigen Stunden erwarten, hätten wir in der letzten Zeit nicht so viele Erfolge erzielt.” „Der eine arbeitet schon seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Physik mit dem Thema ,Kontrolle der Raumzeit’ ”, erläuterte Worssorgh. „Der andere ist inzwischen maßgeblich bei der Beherrschung komplexer geologischer Prozesse beim Bau von Planeten, Ringwelten und Larssen Sphären beteiligt. Der dritte sucht sehr erfolgreich nach Wegen, Paralleluniversen zu erkunden. Wir finden, dass sie für ihre Arbeiten Anerkennung und Respekt verdienen - aus Eurer Hand.” „Aber wieso werden mir solche Genies nicht schon viel früher vorgestellt? Ihr wisst doch, wie sehr ich darauf erpicht bin, neue Anregungen zu erhalten, mit neuen Denkweisen konfrontiert zu werden.” „Das sollen die Persönlichkeiten Euch selbst erklären. Sie hatten womöglich zu viel Respekt vor Euch.” Knud schüttelte verwundert den Kopf. Worssorgh aktivierte seine Gliedersegmente, drehte sich um und schlängelte sich zu der Liftplattform. Seine Freunde folgten ihm. Diese endete im Schatten einer künstlichen Felsnische hinter ihnen. Ein Bollwerk aus wie von Riesenhand zerschmetterten Granitblöcken erhob sich da - kreuz und quer zwischen dem weißen Korallensand verstreut. Knud musste unwillkürlich an die Seychellen auf Terra denken - auch wenn er die Inseln nur von Urlaubsaufnahmen der Reisebüros auf Sol III kannte. Er setzte sich in eine Höhle in der Nähe der Küstenlinie, die die Brandung ausgewaschen hatte. Hier war das Rauschen durch Reflexionen eigenartig verstärkt, ja fast schon körperlich - zugleich aber auch sehr beruhigend. Trotzdem verspürte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine eigenartige Nervosität. Knud folgte mit seinen Blicken den rollenden Brechern, die auf die Küste majestätisch zuliefen. Dann schloss er die Augen und genoss die kühle Seebrise, die wie Samt an seinem Körper entlang strich. Ruhe und Frieden überkamen ihn. Er schlief allmählich ein.

Knud glaubte plötzlich, in der Ferne Ausrufe der Freude zu hören. Von Menschen, die es nicht mehr zu hoffen gewagt hatten, einander jemals wieder zu sehen. Die Stimmen wurden allmählich leiser und erstarben schließlich ganz. Nur noch der warme Wind und das Rauschen der Wellen umspülten ihn. Er dämmerte erneut in einen Halbschlaf

Plötzlich ein Schluchzen neben ihm - jemand fing scheinbar grundlos an zu weinen. „Ahmad”, flüsterte die Stimme, tränenerstickt. „Ahmad, bis du es wirklich?” Knud schrak hoch... Und wurde augenblicklich von Erinnerungen aus dem Irak auf Terra überwältigt. Nefud stand neben ihm. Er streckte die Hände nach ihm aus. Knud war wie gelähmt. Zitternd erhob er sich und ging wie in Trance auf den weinenden Mann zu. „Nefud”, stammelte er, „mein geliebter Nefud!” Unter Tränen fielen sich beide in die Arme. „Ja, ich bin es”, schluchzte Knud. „Ich habe dich so vermisst.”

Lange standen sie eng umschlungen da. Sich zärtlich streichelnd. Sie konnten ihr Glück kaum fassen. Aber zugleich traurig und verwirrt. Knud flüsterte fast unhörbar: „Was soll ich bloß tun - was soll ich bloß tun?” Nefud liebkoste ihn. Und küsste ihn zärtlich auf die Stirn. „Schschscht”, flüsterte er. „Es wird alles wieder gut.” Schließlich legte Nefud ihm zärtlich einen Arm um die Hüfte. „Komm.”

Sie setzten sich eng umschlungen in den Sand und blickten auf die scheinbar unendliche Fläche, die sich vor ihnen ausbreitete. Knud konnte immer noch nicht sprechen. Nur mühsam gewann er seine Fassung zurück. „Ich bin völlig überwältigt”, sagte er schließlich kaum vernehmbar. „Auf der einen Seite bin ich unglaublich froh, dich wieder zu sehen.” Er blickte Nefud unsicher von der Seite an. „Aber auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie ich es dir sagen soll. Denn ich habe inzwischen einen neuen Freund - Mouad heisst er. Ich möchte ihn um nichts auf der Welt enttäuschen - ihn nicht verlieren.”

Nefud drückte ihn an sich. „Schchscht”, beruhigte Nefud Knud erneut. „Was redest du... Ich will euer Glück auf gar keinen Fall zerstören.”

Eine ganze Zeit lang saßen Knud und Nefud eng umschlungen einfach so da und schwiegen. „Was hast du seit unseren letzten zärtlichen Momenten damals in Bagdad bloß gemacht?” Nefud rang nach Worten. Knud konnte ihn kaum verstehen. „Ich arbeite für die Föderation bereits seit fast 25 Jahren als Wissenschaftler. Dies war die einzige Möglichkeit für mich, über den Verlust von dir - mein Geliebter - hinweg zu kommen. Ich wollte nur allein sein. Ich habe mich daher in die Welt der Forschung eingegraben. Wollte nichts mehr von all den Problemen auf Sol III hören und sehen. Es musste mir irgendwie gelingen, über den entsetzlichen Trennungsschmerz von damals hinweg zu kommen. Aber ich habe es trotz der langen Zeit niemals geschafft. Selbst jetzt schrecke ich des Nachts immer wieder aus dem Schlaf auf - unendlich traurig.” Nefud liefen erneut Tränen die Wangen hinab. „Ich habe dich in meinen Träumen gesucht. Hatte gehofft, dich irgendwann noch einmal wieder zu sehen. Hatte in meiner Verzweiflung unter Wissenschaftlerkollegen nach einem Ahmad Johar gefragt - eigentlich ein völlig aussichtsloses Unterfangen. Und jetzt - entdecke ich dich hier.” „Wie - du hast versucht, mich zu finden? Und du wusstest nichts von meiner Existenz?” „Du weisst doch, wie riesig dieser Staat ist. Und Wissenschaftler oder Kommandanten der föderalen Flotte sind recht gut vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.” Knud schluckte. Und begann erneut zu weinen. „Dein Verlust war für mich so furchtbar”, stammelte er. „Auch ich habe Jahre gebraucht, bis ich wieder halbwegs klar denken konnte.” Sie umarmten sich wieder und wieder, als wenn sie es immer noch nicht recht fassen konnten, sich erneut lebend zu sehen

„Aber wie um alles in der Welt hast du überlebt? Ich kann mich noch daran erinnern - als wäre es erst gestern - wie du mich gebeten hast, nicht von mir vergessen zu werden. Du bist ohnmächtig geworden, bist schließlich in meinen Armen gestorben.” Knuds Stimme versagte. Er schluchzte. „Ich bin dann in deine Wohnung gegangen, um deinen Leichnam aufzubahren, um Zeit zu haben, mich von dir zu verabschieden. Aber als ich nur Minuten später zurückkehrte, war dein lebloser Körper nicht mehr da!”

Nefud umfasste Knud mit seinen Armen. Nach einer Weile fragte er: „Ahmad, hast du vielleicht nicht irgendwann an diesem Tage etwas Wichtiges vermisst?” Der Angesprochene überlegte: „Nur den ETE...” Nefud fragte nach: „Was genau hast du kurz vor meinem nahenden Ende mit mir gemacht?” „Ich habe mich über dich gebeugt, dich intensiv ein letztes Mal umarmt, dich geküsst...” Nefud schüttelte den Kopf. „Ich war wohl genau an der Grenze zwischen Leben und Tod. Denn zu meiner völligen Verblüffung erwachte ich in einem wunderschönen Garten - voller betörender Düfte. Ich lag auf einer bequemen Liege. Ein Mann und eine Frau sahen mich freundlich an, die sich mir als Ator und Karon vorstellten.” Knud schlug sich vor den Kopf. „Der ETE - ich muss ihn ausgelöst haben. Es war eine brandneue Erfindung - du wurdest zur nächsten Raumbasis auf Tau Ceti VIII teleportiert!”

„Genau. Dort betrieben die beiden Wissenschaftler eine kleine Forschungsstation und wunderten sich, wer denn da materialisiert wurde. Auf Grund der Schwere meiner Verletzungen bin ich - immer noch bewusstlos - nach geglückter Stabilisierung meines Kreislaufes so schnell es ging zur besten medizinischen Institution auf Wrkhnon IV gebracht worden. Mein Leben wurde dort gerettet. Und ich habe davon nichts mitbekommen - denn ich war zu diesem Zeitpunkt noch stets ohnmächtig.” Knud streichelte Nefud zärtlich durch seine Haare - so als wollte er sich erneut vergewissern, dass dies auch wirklich sein einstiger Geliebter war, der ihm gegenüber saß. Nefud ergriff Knuds Hand, küsste sie liebevoll und fuhr fort: „Ator und Karon mussten entscheiden, was aus mir werden sollte. Sie ahnten auch - so glaube ich zumindest - was geschehen war, auch wenn sie nie ein Wort mit mir darüber verloren. Toron III, der Heimatplanet der beiden, wurde schließlich zu meinem neuen zu Hause. Dort wurde ich nämlich wach. Der Planet ist der Erde ziemlich ähnlich. Aber trotz der wunderbaren Umgebung kam ich über die entsetzlichen Ereignisse einfach nicht hinweg. Ich war während der ersten paar Monate psychisch völlig zerstört - ich habe noch nie so viel getrauert und geweint. Ich war völlig paralysiert. Ator und Karon fanden sehr bald heraus, dass ich durch mein Interesse an der Wissenschaft abgelenkt werden konnte. Und da mich das, was ich von ihnen erfuhr, sehr faszinierte, habe ich mich über viele Jahre in die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen dieser Zivilisation eingearbeitet. Und dass ich mich jahrzehntelang zudem auf naturwissenschaftliche Forschungen gestürzt habe, rettete ich wahrscheinlich mein Leben: Ich gewann ein gewisses Maß innerer Stabilität zurück. Es gelang mir schließlich auch, eigene Forschungsprojekte äußerst erfolgreich abzuschließen. Ator und Karon selbst sind labortechnisch in ihrem Haus hervorragend ausgestattet. Sie führen ein typisches Eremitendasein verschrobener Forscher. Trotzdem habe ich mich dort über lange Zeit unglaublich wohl gefühlt. Ich wollte einfach die Erinnerung an den Irak verdrängen. Wollte über den Gram, über den Verlust von meinem Geliebten hinwegkommen.”

Nefud liefen erneut die Tränen hinab. „Ich habe es bis heute nicht geschafft.” Knud umarmte ihn. „Was hast du alles durchgemacht - wie musst du gelitten haben.” Nefud, immer noch so durchtrainiert und zauberhaft schön wie damals, als er ihn zum ersten Mal sah, weinte wie ein Kind. Im Irak war er damals so selbstsicher, so beherrscht. Manchmal auch distanziert. Und jetzt? Knud drückte ihn erneut an sich: „Komm, es wird alles gut. Du hast mich endlich gefunden.” Er blickte sich um. Mouad hatte sich in respektvollem Abstand an den Strand gesetzt. Er wirkte zufrieden und glücklich.

Knud winkte ihm. Mouad erhob sich und kam auf Nefud und seinen Mann zu. Er hockte sich zwischen die beiden in den weichen Sand und legte jedem der beiden einen seiner Arme auf die Schulter. „Ich bin so froh, dass ihr euch nach so langer Zeit endlich gefunden habt. Ich freue mich aus ganzem Herzen.”

Knud war sichtlich überrascht: „Dann bist du nicht böse auf mich - oder vielleicht sogar enttäuscht?” „Knud Larssen. Du solltest deinen Mouad inzwischen besser kennen gelernt haben. Erstens habe ich durch dich erfahren, was Toleranz und Akzeptanz bedeuten. Zweitens leben wir in einem Staat, in dem Lebewesen unglaublich viele Kombinationen von Liebesbeziehungen, Sexualität und Freundschaft eingehen und vorleben. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich jetzt auf dich sauer sein muss, weil du einen geliebten Menschen, den du unter schrecklichen Umständen vor langer Zeit verloren hast, wiedergefunden hast? Ganz abgesehen davon - ich kenne ihn bereits seit längerem.” „Wie bitte? Woher?” Nefud: „Wahid - der ja schon seit geraumer Zeit als brillanter Kopf in dem Wissenschaftlerteam arbeitet, das die Abwehr der Guruthuwrunuh Invasion ermöglicht hat, ist ein von mir sehr geschätzter Gesprächspartner. Irgendwann sind wir neben unserer Forschung auch auf einige private Details gestoßen. Über ihn kenne ich deinen Mouad inzwischen schon einige Monate. Ich weiss deshalb auch, wie viel Mouad für dich empfindet. Und noch etwas - niemand redet davon, dir Mouad auszuspannen. Ich möchte einfach nur ein guter Freund für dich oder vielleicht auch euch sein. Und Mouad war es auch, der darauf bestand, dass ich mich dir gegenüber endlich offenbare. Ich selbst hätte mich niemals getraut, diesen Schritt zu tun. Nach all den Jahren in selbst gewählter Isolation war das Zusammentreffen mit Wahid und Mouad ein Schock für mich. Denn erst durch sie habe ich erfahren, was die Föderation ist.

Ator und Karon trifft übrigens keine Schuld an meiner Unwissenheit. Sie haben immer und immer wieder versucht, mir schonend beizubringen, in welchem Gemeinwesen ich mich befinde. Ich wollte es einfach nicht hören. Ich wollte keine Probleme mehr.” - „Auf jeden Fall hast du Mouad irgendwann einmal erzählt, wie sehr du mich noch immer vermisst. Dass du tatsächlich zweimal im Jahr für mich Kerzen entzündest, um dich an mich zu erinnern.” „Aber warum hast du denn nicht schon wesentlich früher mit ihm Kontakt aufgenommen?”, wollte Mouad von Nefud wissen. „Ihr beiden wisst, in welchem körperlichen Zustand ich war, als Ahmad mich in Bagdad zum letzten Mal zärtlich umarmt hatte. Ich hatte Angst, dass meine Gefühle für dich die alten Wunden wieder aufreissen würden. Das wollte ich über lange Zeit unbedingt vermeiden. Erst seit Kurzem bin ich psychisch endlich wieder so stabil wie früher.” Er sah Knud in die Augen. „Wir beide - Mouad und ich - haben uns schon seit geraumer Zeit vor diesem Zusammentreffen gefürchtet - dass du dich für einen von uns entscheiden müsstest.”

Mouad knuffte Knud zärtlich in die Seite. „Ich habe noch immer den Eindruck”, begann er, Knud zugewandt, „dass du an die Sache viel verkrampfter heran gehst als ich selbst. Ich kann dir nur sagen: Zum einen würde ich sehr glücklich sein, wenn du Nefud einmal wieder treffen solltest - so habe ich es dir einmal gesagt. Zum anderen - und da sind sich Nefud und ich völlig einig - wollen wir dich nicht in irgend welche seelischen Konflikte stürzen. Persönlich verstehen sich mein Vater und ich mit ihm ausgezeichnet. Du hast”, Mouad nickte Nefud freundlich zu, „ein ausserordentlich ansprechendes Wesen. Warmherzig, offen. Ich möchte gern weiter mit dir befreundet sein.” Nefud schmunzelte. „Ich sehe in diesem Zusammentreffen auch kein Problem. Die Ambitionen eines Nebenbuhlers verspüre ich nicht. Ich möchte einfach nur leben. Will in die neue Welt eintauchen, die du uns eröffnet hast.”

Knud lachte. „Ich habe für einen Moment wie in meiner Frühzeit auf Terra gedacht. Dass Menschen immer nur als Paar zusammen leben müssen. In der Föderation gibt es jedoch so viele Möglichkeiten von Sexualität und Fortpflanzungsriten, dass man leicht die Übersicht verlieren kann. Und traute Zweisamkeit, wie es die Religion auf der Erde immer wieder gelehrt hat, ist hier die Ausnahme.” „Aber darum geht es doch hierbei gar nicht”, sagten Mouad und Nefud wie aus einem Munde. „Wir wollen doch nur, dass du glücklich wirst.”

„Eines möchte ich aber doch von euch beiden wissen.Welche Funktion hat denn Ahmad eigentlich in der Föderation? Gut, als Wissenschaftler, Raumschiffkommandant, Missionsleiter auf der Erde... Dann war es für mich ziemlich rätselhaft, dass Knuds Name nirgendwo auftaucht. Und das, wo doch die ganze eingeweihte Welt weiß, dass er ein brillanter Forscher ist.” Knud drehte sich abrupt zu Mouad um und flüsterte. „Du hast es ihm nicht erzählt?” „Du hast es mir verboten”, entgegnete Mouad. „Das ist korrekt.” Nefud war sichtlich verwirrt. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wieso wirst du immer mit Knud angeredet?” Mouad seufzte. „Nefud, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.” Knud trat auf Nefud zu. Er ergriff seine Schultern und blickte ihm fest in die Augen. „Was ich dir jetzt sage, wissen nur sehr wenige. Es bleibt unter uns dreien. Und ich möchte, dass wir auch danach Freunde sind und auch bleiben.” Nefud musste schlucken. Er verbarg sein Gesicht in den Händen. „Dein Vorname. Die Geheimnisse um deine Person. Dann musst du der Kurator der Föderation sein”, sagte er fast unhörbar.

„Ich habe auch lange dafür gebraucht, diese Wahrheit zu akzeptieren”, sagte Mouad nach einer Weile zu Nefud. Nefuds Augen leuchteten plötzlich auf. Er strahlte über das ganze Gesicht.

„Aber eins möchte ich noch wissen”, sagte Knud zu Mouad. „Wer sind denn die zwei anderen Personen, die ich heute noch begrüßen soll?”

Professor Mansouri

„Erinnerst du dich noch an den geologischen Vortrag, den du bei einem Dozenten an der AUB gehalten hast? Und der dir die Möglichkeit geben wollte zu promovieren?” „Ja sicher. Es handelte sich um einen ausserordentlich renommierten Professor. Er hieß Mansouri.” „Du kannst ihn hier und jetzt begrüßen - er ist zufälligerweise 50 Meter von hier entfernt und hält sich in dieser Larssen Sphäre auf. Wahid, Mary und all die anderen haben ihn gerade sehr herzlich willkommen geheißen. Wenn du willst, kannst du mit ihm reden.” Knud war völlig überrascht.

Professor Mansouri sah Knud und Mouad ungläubig an, als ihm beide nacheinander die Hand reichten. „Was machen Sie denn hier?” Wahid mischte sich ein „Hamid - dies ist Knud Larssen - der Entwickler und Erbauer der namensgleichen Sphäre, in der wir uns gerade befinden.” Professor Mansouri sah Knud interessiert an. „Jetzt wird mir auch klar, warum Sie mich damals in Beirut so mühelos fachlich übertrumpft haben. Meine Hochachtung.” Wahid: „Setzen wir uns doch erst einmal an diese wunderschöne naturbelassene Küste. Ich erkläre dir dann alles, was du wissen willst.” „Einverstanden. Aber mit Herrn Larssen - war es nicht vielmehr Ahmad Bribire? - möchte ich gerne auch persönlich reden. Denn das mit dem Vortrag von damals will ich nämlich auch noch genauer hinterfragen.” „Es ist mir eine Ehre, Ihnen dabei behilflich zu sein”, erwiderte Knud freundlich. „Ich gebe Ihnen einen kurzen Überblick über das, was Sie hier sehen und welche Funktion ich bei diesem Projekt habe...”

Nach einer Weile sah man Professor Mansouri kopfschüttelnd neben Knud, Wahid und Mouad sitzen. Nefud hatte sich zwischenzeitlich zur anderen Gruppe von Knuds Freunden begeben und erzählte aus seiner Zeit in Bagdad. „Es ist unglaublich, was Menschen leisten können. Und ich dachte, dass ich selbst schon einiges in meinem wissenschaftlichen Leben geleistet habe. Aber dies hier - dies hier ist so überwältigend...” Er schwieg und ließ die Erhabenheit dieses Bauwerks auf sich wirken. „Und das nach all dem, was im Libanon geschehen ist.”

„Wie habt Ihr”, begann Mouad, „die Kampfhandlungen im Libanon heil überstanden?” Schweigen. Der Professor wich seinem Blick immer wieder aus. Sein Mund zuckte, als ob er etwas sagen wollte. Doch es gelang ihn nicht. Er wandte sich ab und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Mouad konnte anfangs diese Reaktion nicht so richtig einschätzen. Was er dann tat, konnte Mouad nicht begründen. Aber in diesem Moment musste er den Professor in den Arm nehmen. „Ihr braucht Euch Eurer Tränen nicht zu schämen. Hier seid Ihr in Sicherheit - unter Euresgleichen. Ich kann Eure Gefühle gut nachempfinden. Denn meine Familie und auch ich selbst mussten Schreckliches durchmachen, ehe wir gerettet wurden.”

Mansouri brauchte eine geraume Zeit, um seine Fassung zurück zu erlangen. Schließlich stammelte er. „Ich bin bei dem Bombardement auf die umliegenden Orte um Beirut so gerade mit dem Leben davongekommen. Wurde dann viele Monate, weil ich ein Wissenschaftler war, unter freiem Himmel ohne Anklage im Gebirge bei Wind und Wetter interniert. In den Iran zur Zwangsarbeit deportiert. Dann gelang mir die Flucht in die Türkei, schließlich nach Syrien. Aber immer wieder wollte ich zu meiner Familie zurück. Dabei hatte ich auch immer die Hoffnung, dass meine Forschungsergebnisse und Entdeckungen nicht alle vernichtet worden waren. Aber als ich zurückkehrte, wurde mein schrecklicher Verdacht bestätigt. Ich war aller meiner Rechte beraubt. Und alle meine Aufzeichnungen jahrzehntelanger Arbeit waren unwiederbringlich verloren. Und das Demütigendste: Ich wurde von den Behörden als Bettler angesehen und auf die Straße gejagt. Dann musste ich feststellen: Meine Frau, die Töchter, der Schwiegersohn und meine Schwiegertochter waren inzwischen tot. Ich habe deshalb nichts mehr - gar nichts mehr.” „Ist es doch wahr geworden, was ich damals schon bei unserer Flucht vermutet hatte? Die neuen Machthaber haben dem Libanon die gesamte wissenschaftliche Elite geraubt?”, fragte Wahid. „Tausende sind wie ich in den Iran verschleppt worden.”, erwiderte Mansouri stockend. „Unzählige sind vermutlich an ihren Entbehrungen gestorben. Libanon ist zu einem erbärmlichen Entwicklungsland verkommen. Die neuen Herrscher haben das libanesische Wissen, seine Intelligentia ausradiert.” - Schweigen.

„Es tut mir so leid, dass ich mich so habe gehen lassen”, meinte Mansouri irgendwann zu Knud und Mouad gewandt. „So verliere ich doch auch noch den letzten Rest meines Stolzes.” Knud und Mouad schüttelten den Kopf. „Ihr seid einer der besten Koryphäen auf dem Gebiet der Geologie, die der Libanon je hervorgebracht hat”, stellte Mouad sachlich fest. „Leute Ihres Formats werden auch hier händeringend gesucht - zumal Ihr euch ja auch schon an verschiedenen universitären Einrichtungen der Föderation Lorbeeren verdient habt. Und deshalb braucht Ihr Euch um die berufliche Zukunft in diesem Staate keine Sorgen zu machen.” Mansouri rang erneut nach seiner Fassung. „Ich muss alles wieder neu aufbauen. Ich bin doch schon recht alt. Und ich bezweifle, dass ich die Kraft haben werden, noch mal ganz von vorn anzufangen - trotz aller Erfolge, die ich in den vergangenen Monaten hier bereits hatte.” Knud winkte Nefud zu sich herüber. Dieser nahm den schluchzenden Akademiker in den Arm. Abwechselnd berichteten Mouad, Wahid, Nefud und Knud, was in den vergangenen Monaten auf SolIII und in der Föderation vorgefallen war: Politisch, wissenschaftlich und besonders menschlich.

Viele Stunden später - auch alle anderen Freunde Knuds hatten sich dazugesetzt - fasste Mansouri langsam wieder neuen Lebensmut. Er hatte begriffen, dass sein Schicksal nur eines von vielen weiteren war - und er lernen musste, damit fertig zu werden. „Ich glaube, ich schaffe jetzt den Start in ein neues Leben. Und ich bin so glücklich darüber, dass ich mit so viel Freundlichkeit und menschlicher Wärme empfangen wurde. Aber eins irritiert mich doch. Warum bin ich von Knud und Mouad umarmt worden, und nicht von dir, Wahid?” Der Angesprochene schmunzelte. „Auch wenn Knud wie ein 18 - jähriger aussieht, so ist er doch der mit Abstand älteste unter uns. Und er ist zugleich der höchste Repräsentant dieses Gemeinwesens - der Kurator der Föderation.” Mansouri sah ihn mit offenem Mund an.

Nach einer Weile schlängelte sich Admiral Worssorgh an Mouad heran. „Zum Abschluss dieses erstaunlichen Zusammentreffens möchte ich Ihnen eine bemerkenswerte Persönlichkeit vorstellen. Würden Sie mir bitte folgen, junger Mann? Denn derjenige, mit dem ich sie bekannt machen will, dürfte ihre innere Zerrissenheit um einiges abschwächen.” Mouad blickte ihn zunächst ein wenig irritiert an, warf Knud einen nachdenklichen Blick zu, folgte dann aber dem Admiral. Nach wenigen hundert Metern erreichten sie den künstlichen Höhleneingang, durch den sie das Innere dieser Welt betreten hatten. Schließlich standen Sie vor einer Tür, dessen Äußeres nahezu perfekt einer Sinterkaskade aus Kalkstein nachempfunden war. Selbst die Kühle und die Feuchtigkeit in der Nähe eines unterirdischen Flusssystems waren perfekt nachgebildet worden. „Ich lasse Sie jetzt erst einmal allein. Der junge Herr, den Sie in dem vor ihnen liegenden Raum vorfinden werden, kann Ihnen vermutlich viele Fragen beantworten. Aber zuvor noch ein letztes: Ich habe mit der Möglichkeit, dass Ihr jetzt mit Bobak Ferdowsi sprechen könnt, einen direkten Auftrag der Föderationsregierung missachtet. Nur Knud, Sie und auch ich selbst wissen davon - und auch davon, dass alle anderen Menschen, deren Sprecher Herr Ferdowsi war, sich in Sicherheit befinden. Sie erinnern sich doch gewiss noch daran.” Der Admiral wendete und glitt mit hoher Geschwindigkeit den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren.

Mouad war wie vor den Kopf gestoßen: Das Gewissen der Welt, die Menschen, die in Jerusalem gegen den drohenden Atomkrieg demonstriert hatten - sie lebten. Und der Anführer der Bewegung war jetzt vor ihm in diesem Raum. Mouad konnte es auch nach mehr als einer halben Stunde einfach immer noch nicht fassen. Aber gleichzeitig verspürte er das Gefühl der Genugtuung. Denn offensichtlich hatte die hitzige Debatte damals in Turghar Tarchambra doch dazu geführt, dass sich irgendjemand für die Menschen verantwortlich gefühlt - und sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen hat. Er war vollkommen auf sich allein gestellt. Und dann überkam auch ein gewisser Stolz. Denn offensichtlich vertraute man ihm inzwischen auch schwierige menschliche Aufgaben an. Mouad öffnete die Tür vor ihm - und erblickte das ratlose und verunsicherte hohe, intelligente Gesicht des drahtigen jungen Mannes, an das er sich noch im Zusammenhang mit zahllosen Marsmissionen der Amerikaner erinnerte. Selbst das blaue T-Shirt, das Markenzeichen der NASA Raumüberwachung, trug er noch. Nur sein damaliges weltbekanntes Markenzeichen, der Irokesenschnitt, fehlte. „Was habt ihr Israelis mit mir - uns allen, die damals in Jerusalem demonstriert haben, gemacht?”, begann er vorwurfsvoll, als er Mouad erblickte. „Ist Einsperren die einzige Vorgehensweise gegenüber uns, die euch einfällt? Ist euch das Schicksal eines ganzen Planeten vollkommen egal?” Mouad schüttelte energisch den Kopf. „Niemand wird es wagen, Ihnen etwas anzutun. Ich bin auch kein Israeli, ich bin Bürger der Föderation.” „Föderation? Nie gehört.” „Wenn Ihr erpicht darauf seid, zu erfahren, wo Ihr Euch gerade befindet, und vielleicht auch mit bahnbrechenden wissenschaftlichen Entwicklungen konfrontiert werden wollt, so bitte ich darum, mir zu folgen.” Mouad machte eine einladende Handbewegung. Zögernd folgte ihm der ehemalige NASA Ingenieur. „Ist das auch keine Falle? Ich habe große Angst, sogar Panik vor Gefängnis oder gar Schlimmerem. Denn ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen.” „Wie schon gesagt - Ihr seid hier in Sicherheit, und habt die Chance auf ein neues Leben.”

Als sie die Küste erreichten, faszinierten ihn die wunderschöne Küstenformationen. Aber je länger er die Umgebung in sich aufnahm, desto ungläubiger wurde er und desto mehr begann er, die Fassung zu verlieren. Schließlich kollabierte er. Tränen liefen über sein Gesicht, als Knud und Mouad sich ihm näherten. „Ist...ist das real?” „Genau so real wie das, was Sie bei der Couriosity - Landung, der Mission des James-Webb Telekops oder in Jerusalem erlebt haben”, erwiderte Mouad. „Sie sind in der glücklichen Lage, in einem Staat Aufnahme gefunden zu haben, der sich in seiner zivilisatorischen Blütezeit befindet - genauso wie alle anderen Demonstranten, die von der israelischen Armee vernichtet werden sollten”, führte Knud aus. „Aber was geschieht mit meiner Welt?” „Da müssen wir Sie enttäuschen. Sie alle - das Gewissen der Welt - konnten nichts mehr für den Planeten tun.” Bobak verbarg sein Gesicht in den Händen.

Vaugh II

Der Cyclop tauchte in eine bräunlich rote Dämmerung ein, die Vaugh II, einen etwa erdgroßen Planeten, umhüllte. Der Himmelskörper befand sich etwa 0,9 AU von dem Doppelsystem aus einem K4 und einem G6 Stern. Eine dichte, beinahe undurchdringliche Atmosphäre versperrte die Sicht auf eine vulkanübersäte, zernarbte Planetenkruste, die dank eines immensen Treibhauseffekts bei knapp 800 K durchgebacken wurde. Die Kohlendioxyd - Schwefelsäureatmosphäre unter 300 bar Druck verwandelte die immer wieder durch Spalteneruptionen beleuchtete, zerborstene Landschaft in ein absolut lebensfeindliches, tödliches Inferno. Erst knapp drei Kilometer oberhalb der Oberfläche klarte die Sicht auf - ließen sie die letzten ätzenden Säureschwaden hinter sich. Knud setzte zur Landung nahe eines kochenden Lavasees an. Von einer knapp anderthalb tausend Meter hohen Basaltklippe sahen Mouad, Wahid, Nefud und Saleh auf das Inferno aus Feuersäulen, goldfarbenen Gasblasen, bläulichen Flammenwänden und herausspritzenden Lavafetzen. Die tiefrote Lavahaut, die sich oberhalb der Schmelze gebildet hatte, schob sich wie ein riesenhafter Schuppenpanzer über den Hexenkessel. Auf der gegenüberliegenden Seite des beinahe kreisrunden Caldera verschwand das scheinbar vor Leben pulsierende magmatische Untier in einem gelbweissen Feuersturm, der die Massen in glühende, zähe Tropfen und seltsam abgerundete, hochschießende Säulen aus Gesteinsschmelze zerfetzte. Ein dumpfes, bedrohliches Dröhnen drang durch den Boden des Raumschiffes, überlagert von einem rhythmischen Pochen und Klopfen, das allmählich immer lauter zu werden schien. „Was tun wir an diesem verfluchten Ort?”, fragte Saleh fassungslos. „Dies ist definitiv eine noch schrecklichere Welt als der Planet Venus in unserem Sonnensystem”, ergänzte Nefud, der die Meßwerte auf den Displays des Zyklopen mit den in seinem Kopf abgespeicherten Werten über Sol II verglich.

Wahid blickte auf die knapp sechs Meter hohen, länglichen Felsblöcke, die in einem eigenartigen, vollkommen symmetrischen Halbkreis um das Fahrzeug herum standen und es zu fixieren schienen. Plötzlich schrie Mouad auf. „Die...diese Felsen, die bewegen sich ja auf uns zu!” Wahid und Nefud fixierten die seltsamen Gebilde, die tatsächlich langsam auf sie zukamen. „Wir fühlen uns sehr geehrt über Euren Besuch, Kurator Larssen”, erfüllte plötzlich eine dröhnende Stimme den Raum. „Ich bin Ashkeatash, Herrscher über die feurigen Abgründe dieser Welt. Was führt Euch zu diesem für die meisten Spezies doch denkbar ungeeigneten Ort im Universum?” „Zunächst einmal nur die Neugierde. Meine Freunde an Bord dieses Raumschiffes wollten mir partout nicht glauben, dass das Leben im Kosmos auch extreme evolutionäre Nischen erobern kann. Orte, die man auf dem Heimatplaneten diese Humanoide gemeinhin als absolut tabu für jegliche Formen des Lebens erachtet! Und ich sah es daher als meine Pflicht an, ihren Horizont erheblich mit diesem Besuch zu erweitern. ” Knud blickte in die völlig perplexen Gesichter seiner Freunde, die dieses ungewöhnliche Zusammentreffen einfach nicht fassen konnten.

Das Brodeln und Donnern der kochenden Lava hinter ihnen schwoll immer mehr an. Der Lärm machte jegliche Konversation unmöglich. Lava begann über die Flanken des Vulkanbeckens hinabzulaufen. Haushohe Flutwellen aus flüssigem Gestein brachen sich an den scheinbar toten Gestaden. „Dort”, rief Wahid und deutete mit seinem ausgestreckten Arm auf eine Anzahl dunkler Punkte, die für wenige Augenblicke in der glühenden Schmelze trieben, sie dann jedoch wieder in Richtung des flachen Ufersaums verließen. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit entfernten sich die Feuerwesen von der immer bedrohlicher werdenden Eruption.

Plötzlich verspürten alle einen immensen Schlag - eine Feuersäule jagte in die Höhe und zugleich auf sie zu. Aber bereits im gleichen Moment versank das Plateau, auf dem sie sich gerade befanden, unter ihnen. Völlige Schwärze umgab sie. Die Trägheitsmesser signalisierten, dass das Schiff zunächst in horizontaler, dann vertikaler Richtung nach oben beschleunigt wurde. Die Aussentemperatur ihrer Schiffshülle pendelte um die acht- bis neunhundert Kelvin. „Müssten wir nicht allmählich diese Gluthölle verlassen?”, fragte Saleh sichtlich nervös. Die Venera - Sonden haben die Extrembedingungen auf der Venus auch nur knapp eine Stunde lang überdauert.” „Es besteht kein unmittelbarer Grund zur Sorge. Der Strahlungs - Antimaterietransformer wandelt die Hitze in Antriebsenergie für dieses Raumschiff um. Zwar treten bei diesem Prozess gemäß den thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten Verluste auf. Aber die sind relativ gering. Denn erst in zwei Tagen würde die Innentemperatur in der Kabine des Cyclopen deutlich über die kritische Marke von 310 Kelvin steigen - einem Wert der ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr beim Menschen auf Dauer zu Austrocknung und Überhitzung führt. Aber wir befinden uns gerade auf dem Weg zu einem Ort, an dem diese Probleme ohne Bedeutung sind. Und jetzt lasst mich bitte für eine Zeit in Ruhe, denn ich habe mit Ashkeatash noch Einiges zu erörtern, was in der Prioritätenliste wesentlich weiter oben steht, als euch die unendliche Vielfalt des Lebens in der Milchstraße näher zu bringen.” Knud verfiel in einen fremdartigen brummenden Singsang, der Ähnlichkeit mit der seltsamen Geräuschkulisse dieser Welt aufwies. Mouad vermutete den akkustischen Schwerpunkt der Konversation im Infraschallbereich. Denn schon mehrfach hatten Knuds Freunde das sehr befremdliche Gefühl von Schalldruck in ihrem Körperinneren wahrgenommen.

„Wie bewegt man sich eigentlich auf dieser Welt fort? Technische Transportsysteme, so wie wir sie kennen, sollte es doch eigentlich gar nicht geben.” „Ich habe die mir vorliegenden Daten näher analysiert. Danach befinden wir uns inzwischen in einem extrem hohen Vulkan oder Gebirgsmassiv. Angetrieben wird der Cyclop wohl durch eine Art Fluidsystem aus eutektischen Mischungen. Sie weisen einen erheblich niedrigeren Schmelzpunkt als die elementaren Metalle oder Reinmineralien auf. Ich vermute daher, dass wir gerade durch so ein - möglicherweise sogar künstlich angelegtes - Transportsystem zu unserer Endbestimmung geführt werden.” „Du bist immer noch ein verdammt cleverer Mann, Nefud”, wandte sich Knud dem ehemaligen Iraker zu. „Genau so ist es. Und auf dieser Welt hat sich eine der bemerkenswerten Kooperationssymbiosen entwickelt, die für den gesamten Kosmos möglicherweise sogar einmalig ist.” Wahid nickte. „Ich hatte mich schon gewundert, wie diese mineralischen Geschöpfe Kenntnis von der Föderation besitzen. Von verschiedenen Überlegungen ausgehend dürften sie gar nicht in der Lage sein, diesen Planeten zu verlassen. Es sei denn, dass es Orte auf dieser Welt gibt, die wesentlich kühler sind - da sie möglicherweise weit genug in deutlich kühlere Atmosphärenschichten hineinragen.” „Dann müsste eine zweite Spezies existieren, deren Lebensraum überwiegend in Hochatmosphärenschichten beheimatet ist. Und die wenigen Hochgebirgsspitzen, die in diese Bereiche hereinragen, stellen somit gewissermaßen das Bindeglied zwischen diesen beiden im Prinzip grundverschiedenen Spezies dar. Und erst hier oben haben die mineralischen Stoffe genug Festigkeit, um möglicherweise Raumschiffe zu fertigen. Zumal es für eine Spezies, die für ihre Existenz nicht so feurige Bedingungen benötigt, mit erheblich geringerem Energieaufwand verbunden sein dürfte, die eisigen Weiten des Kosmos zu bezwingen.”

Eine undurchsichtige, jedoch unvergleichlich viel hellere Atmosphäre als in den Katakomben auf Vaugh II umgab sie, als sie wieder ins Freie kamen. Durch einen seltsam geformten Auslegerkran wurden sie aus der Schmelze gefischt, die am Boden einer ausgedehnten vulkanischen Caldera brodelte. Wahid inspizierte die Temperaturanzeigen der Aussenhülle sehr gewissenhaft - bald fielen sie auf knapp unter 350 Kelvin. Saleh beobachtete die Oberfläche der silbrig glänzenden Schmelze genau. Einige längliche Objekte trieben in ihr. ,Die mineralischen Lebensformen wagen es nicht auf Grund ihrer Physiologie die sehr heiße Flüssigkeit zu verlassen’, mutmaßte er „Sie würden sterben, wenn ihre Temperatur unter 650 Kelvin fiele”, flüsterte Mouad wie zur Bestätigung.

Torpedoförmige Wesen, die in der dichten Atmosphäre durch eine rotierende Geissel ähnlich mancher irdischer Bakterien angetrieben wurden, nahmen Kurs auf den Cyclopen. Ein intensiver Meinungsaustausch zwischen Knud und den beiden fremdartigen Rassen folgte. Und was Knud seinen Freunden an Forschungsergebnissen von Wissenschaftlern der ignimbritischen und aerischen Vaughanern präsentierte, erfüllte sie mit Ehrfurcht vor der Vielfalt des Lebens.

Knapp eine Milliarde Jahre nach der Entstehung des Planeten aus der Globulenwolke kam es in Folge eines nahen Vorbeizugs eines anderen Sterns zu massiven Bahnstörungen durch die übrigen Planeten auf Vaugh II. Folge der massiven Drehimpulsverschiebungen war eine allmähliche Annäherung dieser Welt an die beiden Zentralgestirne. Und das Leben, dass sich bereits in vielen Bereichen etabliert hatte, musste einen mörderischen Anpassungsprozess durchlaufen, wollte es überleben. Und so waren die Frühformen der jetzigen Geschöpfe dazu gezwungen, immer neue Nischen ausfindig machen, um weiter existieren zu können. Da der Planet eine um 50% höhere Schwerkraft besaß als Sol III und eine fast doppelt so hohe Anziehung wie die Venus, konnte sich eine Atmosphärenschicht entwickeln, die einen relativ hohen Feuchtigkeitsanteil aufwies. Da jedoch ein ähnliches Ereignis wie das Great Bombardment auf Terra ausblieb, war Wasserdampf auf Vaugh III ein ziemlich seltenes Gut. Und so mussten die Organismen zwei vollkommen unterschiedliche Wege gehen, um weiter existieren zu können: Einen auf aquatisch - mineralischer Basis in der Hochatmosphäre und ein absolut andersartiger, auf mineralischen - völlig wasserfreien - Schmelzen basierender Stoffwechsel. Durch die besondere Geologie dieser Welt fanden die so unterschiedlichen Lebewesen trotzdem einen Weg, miteinander zu kommunizieren. Die höchstem Vulkane bildeten die Verknüpfungsstellen beider Welten und ermöglichten die Existenz einer Konföderation von so unterschiedlichen Spezies. Und knapp zwei Milliarden Jahre später war es beiden Kulturen gelungen, die Technik für interstellares Reisen zu entwickeln. Und genau hier lag der Grund für die Reise zum Braunen Zwerg Rongor. Denn den atmosphärischen Bewohnern von Vaugh II war dort eine besonders bemerkenswerte Entdeckung gelungen...

Warten

„Seid Ihr sicher, dass das Signal von dieser Welt gekommen ist?” Aischa schüttelte den Kopf. „Das ist doch nur eine öde Eiswüste, die um diesen blauen Gasriesen nebst einigen anderen Monden kreist. Wer soll denn bitteschön von diesem Ort ein derart starkes Signal ausgesendet haben?” „Ich wäre da mit meinen Schlussfolgerungen nicht so voreilig”, entgegnete Nefud. „Knud hat mit Mouad und mir inzwischen hunderte Planeten besucht, von denen ich auch zunächst dachte: ,Leben - hier, an diesem unwirtlichen Ort - unmöglich! Und dann wurden wir doch eines Besseren belehrt. Denn hoch entwickelte Rassen gibt es überall:” Mouad, dessen Spezialgebiet inzwischen Extrembiologie war, führte aus: „Intelligentes Leben existiert

bei Temperaturen von etwa 170 K an bis etwa 1050 K,

im Druckbereich ab ungefähr 0,05 Bar bis ca. 10000 Bar,

auf Wasserplaneten, die von bis zu 8000 Kilometer tiefen Ozeanen bedeckt sind,

auf Riesenplaneten, deren Atmosphäre wegen der enormen Gravitation aus für Menschen giftigen organischen Verbindungen aufgebaut ist.

Es geht sogar noch weiter: Braune Zwerge verursachen häufig durch ihre Gravitationswechselwirkung auf den sie umgebenden Monden oder Planeten gewaltige Gezeiteneffekte. Damit ist ein heftiger Vulkanismus verbunden. Dieser kann dann sogar so stark sein, um Ozeane - verborgen unter einer dicken Eisschicht - zu erzeugen. Und sogar auf 2875 Schnellläufern - Planeten, die durch Bahnstörungen aus ihrem ursprünglichen Sonnensystem hinauskatapultiert wurden - existiert intelligentes Leben. Dabei ist der Planet selbst die Energiequelle. Der radioaktive Zerfall instabiler Isotope tief im Inneren dieser Welten führt zur Erwärmung äußerer Planetenschichten, wo Leben über Äonen existieren kann.” Nefud: „Und obendrein ist das Zeitempfinden intelligenten Lebens häufig ein völlig anderes als das der Terraner. Es konnte inzwischen sogar der Nachweis erbracht werden, dass Gedankengänge bei vielen Rassen Tage, Wochen, Monate, Jahre dauern. Wichtige Entscheidungsprozesse somit bei den einzelnen Lebewesen sehr wahrscheinlich Jahrtausende. Und das bei Kulturen, die vielleicht schon seit hunderten von Millionen, wenn nicht gar Milliarden Standardjahren existieren.”

Aischa war eine schlanke, tiefschwarze, junge Frau mit einer scharfgeschnittenen Nase und tiefschwarzen Augen. Sie war eine der ersten Terranerinnen aus den afrikanischen Gebieten, die der föderalen Kontrolle unterstanden und hatte die Flottenakademie auf Gambilon V mit Bravour absolviert. Sie war aufgeweckt, verfügte über einen messerscharfen analytischen Verstand und hatte ein unglaublich gutes Gedächtnis. ,Wirklich eine Powerfrau’, dachte Knud voller Respekt, als er das erste Mal vor wenigen Wochen mit der neuen Offiziersanwärterin zusammen traf. ,Und das bei ihrem persönlichen Schicksal: Beschneidung als Kind, mit 11 Jahren zwangsverheiratet, stetige Erniedrigung und Vergewaltigung durch ihren Mann. Die Zwangsverpflichtung durch die Harakat Al-Shabaab al-Mujahideen Miliz. Dann ihre Enttarnung durch Milizionäre, dass sie sich heimlich intellektuell weit fortgebildet hatte, was in Somalia streng verboten ist. Ihre strikte Weigerung gegenüber der Forderung der Miliz, andere Menschen töten zu müssen. Schließlich mehrfache öffentliche Amputation von Gliedmaßen ohne Narkose. Ihr früheres Leben - ein einziges Martyrium. Und dann ihre Wiedergeburt, nachdem auch Somalia unter föderalen Einfluss gelangte: Vollständige Beseitigung aller Verstümmelungen, glanzvoller schulischer Werdegang und dann Aufnahme in die Akademie. Und jetzt war sie drauf und dran, eine der besten Admirals der Flotte zu werden. Einfach nur beeindruckend.’

„Aber wie soll das denn technisch überhaupt funktionieren?”, überlegte Aischa. „Dass eine womöglich hoch entwickelte Kultur unter 20 Kilometer dickem Eis mit der Aussenwelt kommunizieren kann? Eine so massive Wasser- und Eisschicht ist schließlich ein guter Isolator gegenüber elektromagnetischer Strahlung aller Art.” „Vielleicht durch Teleportation? Durch multifunktionelle Fahrzeuge, die sowohl die Funktion eines U-Bootes, einer Eisfräse und schließlich noch eines Raumschiffes miteinander kombinieren? Oder ist es tatsächlich gelungen, auf der fast atmosphärenlosen Oberfläche des Mondes eine Sendestation zu errichten?” Nefud wagte sich ins Reich spekulativer Theorien. Knud: „Viele Erklärungen können zutreffen. Zumal sich in letzter Zeit vermehrt die Hinweise verdichten, dass viele der Wasserwelten eine Art von transgalaktischer Kommunikationssymbiose betreiben. Dass die dortigen Kulturen womöglich telepatisch, durch Verschiebung des Raum-Zeit Kontinuums oder durch Raum - oder sollte ich vielleicht besser sagen Ozeanschiffe miteinander in Kontakt treten. Es gibt nämlich sehr viele Eisplaneten und -monde, die überraschenderweise zeitgleich am Rande eines gewaltigen evolutionären Sprunges stehen. Das würde auch zum Teil die Beobachtungen auf Epsilon Eridani IV, Orodon, dem Saphir und anderen Ozeanplaneten erklären: Sie haben vermutlich ebenso eine Art von Bündnis ähnlich dem der Föderation geschmiedet. Nur unter ganz anderen Voraussetzungen - unter Wasser eben.”

Mouad dachte nach. „Ich habe einmal in Rogopols Haus Einblicke in das transgalaktische Netzwerk der Wurmlöcher und Anomalien erhalten. Nach all dem, was ich inzwischen in Erfahrung bringen konnte: Ist es vielleicht nicht so, dass diese Struktur beispielsweise den Gründungsrassen der Föderation dazu dient, sich jederzeit ein Bild von der zivilisatorischen Reife der jetzigen Bewohner machen zu können? Oder sogar um den Reifegrad aller Rassen im Universum zu kontrollieren?” Knud hörte aufmerksam zu. Nefud: „Dazu würde es auch ins Bild passen, dass beispielsweise der Saphir, aber auch Epsilon Eridani IV, Überwachungsplaneten sind. Sie sind die allwissenden Informationssammler vor Ort. Und erfüllen in ihrem jeweiligen Raumbereich eine Funktion, die man nur als gottgleich bezeichnen kann: Rassen, die sich so weit entwickelt haben, dass sie über das Zeitalter der Gewalt, der Unterdrückung oder der Eroberung hinausgewachsen sind. Und möglicherweise diese Verhaltensweisen auch niemals an den Tag gelegt haben.” Aischa: „Dieser Staat unterliegt wahrscheinlich auch unter genauer Supervision der Gründungsrassen. Schon aus diesem Grunde erscheint es mir äusserst wichtig, dass sich die Föderation bei der Auswahl ihrer Mittel, um mögliche Angriffe von aussen abzuwehren, sensibel auf den zivilisatorischen Reifegrad ihrer Kontrahenten einstellt. Brutale Gewalt ist immer die schlechteste Lösung. Terra ist beispielsweise anders zu behandeln als die Duwuthrounu oder gar die Guruthuwrunuh.” Astrid: „Die Bedrohung der Föderation durch Letztere diente deshalb auch als Test, wie die Führung der Föderation mit diesen Herausforderungen umgeht. Ob sie lediglich barbarische Härte an den Tag legt oder ob sie es zu Wege bringt, gewaltfrei den Konflikten zu begegnen. Wie sensibel, wie abgestuft ihre Vorgehensweise ist.”

Knud nickte anerkennend. „Ihr alle habt es weit gebracht. Eure Fähigkeit, logische Schlussfolgerungen zu ziehen, euch in unbekannte Forschungsbereiche zu wagen. Neue, vielleicht sogar revolutionäre Thesen aufzustellen. Genau so etwas wird bei der Föderation benötigt.” „Dann sind wir also hier, um Kontakt zu einer weiteren Hochkultur herzustellen - einer Kultur, die es im Verborgenen zu ähnlichen Leistungen fähig ist wie die Föderation”, stellte Mary fest. „Genauer gesagt zu zwei”, antwortete Knud. „Denn auch die fliegenden Händler, die Rovennon, haben diese Stufe erreicht.” „Sind es diese Treffen und der damit verbundene intensive Gedankenaustausch, die Evolutionsschübe in weit entwickelten Rassen auslösen?”, fragte Wahid. „Mit absoluter Sicherheit”, antwortete Mouad. „Knud und auch ich haben schon mehrmals solche überaus fruchtbaren Kontakte zu den Rovennon gehabt. Und dort wurden uns Wege, die in diese Entwicklungsrichtung deuten, aufgezeigt.” „Insbesondere im letzten Winter auf dem Saphir”, sagte Knud.

Mouad drehte sich erstaunt nach ihm um. „Dein Zusammenbruch - hatte der etwa mit einer solchen Begegnung zu tun?” „Ja,”, antwortete Knud knapp. „Ich wurde zu dieser Zeit von einem Rovennon besucht.” „Schon wieder die galaktischen Händler?”, fragte Nefud erstaunt. Knud bejahte. „Aber was ist da genau geschehen?”, bohrte Wahid nach. „Ich begann mich evolutionär weiter zu entwickeln. Mein Stoffwechsel veränderte sich. Ich war drauf und dran, die Kontrolle über meine Physis zu verlieren. Der gesamte Zellmetabolismus lief völlig aus dem Ruder - um vermutlich Energien freizusetzen, die ich nicht mehr beherrschen konnte. Und erst unter Aufbietung all meiner Kräfte, mit all meinem Willen habe ich es geschafft, diesen Prozess zum Stillstand zu bringen - ihn sogar umzukehren. Aber ich weiss, dass mein Körper und mein Geist an der Schwelle zu etwas stehen, das ich jetzt noch nicht erfahren und erleben möchte. Ich bin mir jedoch sicher: Sollte ich irgendwann einmal den Sprung über diese Grenze überschreiten, so wird es vermutlich kein Zurück mehr geben. Mein altes Leben wird dann Geschichte sein. Womöglich hätte ich mich zu einem von diesen Wesen entwickeln können - reine Energie, reiner Geist. Nicht mehr den Zwängen eines biologischen Körpers unterworfen.” „Du hast das Angebot abgelehnt”, flüsterte Nefud. „Ich hielt die Zeit noch nicht für gekommen. Ganz abgesehen davon - ich möchte auf meine engsten Freunde nicht verzichten. Und es kommt hinzu: Erst wenn die Föderation sich noch einige Jahrhunderte weiter entwickelt hat und dieser Übergangsprozess in vollem Gange ist, wäre ich möglicherweise bereit, einem solchen transzendenten Wechsel zuzustimmen. Und das Problem Terra ist ja bis jetzt auch lediglich rudimentär gelöst.” „Es ehrt Euch, wenn Ihr so denkt”, meldete sich Krrwrrrh zu Wort. „Dass Euch das Schicksal aller Mitgeschöpfe viel mehr bedeutet als Euer eigenes Los. Denn ich selbst wüsste nicht, wie ich mich gegenüber solch einem verlockenden Angebot verhalten hätte.” Und leise fügte Mouad hinzu: „Ich bin so froh darüber, dass du das Angebot der Rovennon abgelehnt hast.”

„Die Rovennon sind es auch gewesen, die den Duwuthrounu den Weg ihrer Flucht vorgegeben haben. Denn sie haben von den Kuratoren immer schon den Auftrag gehabt, hoch entwickelten Rassen als letzten Ausweg die Flucht in den Föderationsraum aufzuzeigen. Sie sind zudem die Nachfahren der Gründungsrassen der Föderation.” Knud blickte prüfend in die Gesichter seiner Freunde. Er straffte sich. „Wie schon gesagt”, betonte Knud noch einmal nachdrücklich. „Ich habe den Rovennon bedeutet, dass es meine ganz persönliche Entscheidung ist, wann ich diese Herausforderung annehme. Ich lege Wert darauf, dass ich diesen evolutionären Schritt erst dann beschreiten möchte, wenn nicht nur ich, meine Freunde und mein Geliebter, sondern auch große Teile der Bevölkerung der Föderation diesen Weg beschreiten können. Und ich halte gar nichts davon, als irgendein geistig völlig entrücktes Wesen weiter zu existieren. Ich bin zufrieden mit dem Hier und Jetzt, möchte die Erhabenheit und Schönheit des Kosmos so wie ich sie jetzt wahrnehme, erst einmal für lange Zeit genießen. Und ich möchte mein privates Glück nicht aus der Hand geben.”

Mary und Fatima ergriffen das Wort. „Uns ist immer noch nicht so ganz deutlich geworden, was wir eigentlich an diesem gottverlassenen Ort tun.” Professor Mansouri meldete sich: „Ich denke, dass wir gerade von einer dieser Rassen sehr genau analysiert werden. Vielleicht wird in diesem Augenblick darüber befunden, ob wir Geduld haben, uns nicht in den Vordergrund drängen, nicht gierig nach dem evolutionären Schritt sind.” Wahid pfiff leise durch die Zähne: „Das bedeutet aber nichts anderes, als dass dieses Treffen neben einer Supervision durch die hoch entwickelten Spezies eine Art von erster Weichenstellung bedeutet, ob die Föderation vielleicht einen würdigen Nachfolger dieser ehrwürdigen Ahnen verkörpert.” „Hier heißt es abzuwarten”, empfahl Knud. „Ich habe Zeit und Muße, mir Berichte über wichtige Ereignisse aus allen Teilen der Föderation anzuhören. Vielleicht wird dieser Informationsaustausch ja schon für die Entscheidungsfindung der anderen Hochkulturen benötigt. Und in die Diskussion über unsere zukünftige Rolle in diesem evolutionären Prozess einbezogen.”

Torquor

Im tiefblauen Dämmerlicht eines offenen Sternhaufens näherten sie sich in einem Zyklopen der chaotischen Oberfläche des Eismondes Torquor. Über ihnen wurde das Firmament von der Hemisphäre des Braunen Zwerges Rongor beherrscht - einer Welt, die 15 mal mehr Masse als der Planet Jupiter im solaren System besaß. Dieser Himmelskörper war mit regelmäßigen Polygonen übersät. Sie bildeten die Oberseite der gigantischen Konvektionszellen, mit denen die thermonukleare Energie aus dem Inneren dieses Fast - Sterns in den Weltraum abtransportiert wurde. Obwohl Torquor nur wenige hunderttausend Kilometer oberhalb Rongors kreiste, empfing er nicht genug Infrarotstrahlung, um den Eispanzer aufschmelzen zu können. So lagen die Sommertemperaturen bei etwa 53 K. Im Winter konnte es auch schon mal um die 13 K kalt werden.

Knud steuerte das Schiff durch Canyons hindurch, die an ihrem Grund mit riesigen Eistrümmern übersät waren. Hinweise auf die ständigen Erdbeben und weitreichenden geologischen Umwälzungen, die tief unterhalb des 30 Kilometer dicken Eispanzers stattfanden. Denn darunter lag ein fast 5500 Kilometer tiefer Ozean, der, von ausgedehnten Hadley Konvektionszellen gespeist, die darüber liegenden Eiskrustenblöcke immer wieder miteinander kollidieren ließ - die eine Platte unter die andere Platte abtauchen ließ. Im Prinzip liefen diese geologischen Prozesse ähnlich der Drift der Kontinentalplatten auf Terra ab. Nur mit dem Unterschied, dass hier alles auf Wasserbasis stattfand. Torquor war eine der wasserreichsten Welten überhaupt. Dieser Planet hatte nämlich einen um 7000 Kilometer höheren Radius als Sol III. „Ich wollte euch bei dieser Mission unbedingt dabei haben”, erklärte Knud gegenüber Professor Mansouri, Mouad, Nefud, Wahid und Krrwrrrh. „Diese Welt ist wahrscheinlich Zentrum eines gigantischen Imperiums aus aquatischen Welten. Seine Bewohner kommunizieren über tausende von Lichtjahren miteinander. Möglicherweise sind die Föderation und dieses Bündnis miteinander quervernetzt, ohne dass es uns bewusst war. In letzter Zeit häufen sich die Hinweise dahingehend. Die Gründungsrassen und andere uralte Spezies haben nämlich dann und wann versucht, mit uns Kontakt aufzunehmen.”

Knud lenkte das Raumfahrzeug in einen bodenlosen Abgrund hinein. Rechts und links schossen bläulich - graue Eiswände empor: Zerklüftet, scharfkantig, brüchig. Aber Knud ließ sich nicht irritieren. Die Quelle des Signals, auf die er zuhielt, lag irgendwo dort unten. Der Zyklop flog langsamer. Knud aktivierte die Suchscheinwerfer. Der bläulich schimmernde, von Rissen und Spalten durchzogene Boden des titanischen Grabenbruchs war erreicht - fast 25 Kilometer unterhalb der Mondoberfläche. „Es ist schon erstaunlich, dass Eis die gleichen Festigkeitseigenschaften wie irdische Gesteine aufweist, wenn die Aussentemperaturen nur tief genug sind”, ließ sich Mansouri vernehmen, dessen Neugierde und Forscherdrang sich wieder in den Vordergrund drängten. „Nach meinen Berechnungen sollten uns nur noch einige wenige Kilometer Eis von dem gewaltigen Ozean trennen. Wenn man nun noch einen geeigneten Bohrer hätte, um auch noch diese letzte Barriere zu überwinden...” Krrwrrrh: „Hatte nicht ein Verwaltungsgebiet auf Terra, bewohnt von den so genannten Amerikanern, etwas ähnliches auf Europa, einem der Monde von Sol V, vor?” Knud nickte. „Gut, dass ihnen das bis jetzt aus Geldmangel noch nicht gelungen ist. Sie hätten eine einzigartige Welt mit völlig fremdartigen Lebensformen unwiederbringlich zerstört. Schon allein dadurch, dass sie es bei ihren letzten interplanetarischen Forschungsmissionen mit der Sterilisation ihrer Gerätschaften nicht mehr allzu genau nahmen.” „Sie hätten dann auf jeden Fall mit unseren Gästen, die wir nun besuchen, Ärger bekommen!”, ergänzte Krrwrrrh. „Wieso das? Gibt es eine weitere intelligente Rasse in unserem Sonnensystem?”, fragte Wahid erstaunt. „Ja. Sie sind im Moment zwar nicht soweit in ihren kognitiven Fähigkeiten entwickelt wie Mrrhachtthnerr oder Humanoide - aber in einigen hunderttausend oder Millionen Jahren könnte die Evolution genügend weit fortgeschritten sein. Dieses Bündnis der Wasserwelten betrachtet nämlich alles Leben als besonders schützenswert. Alle paar Jahrzehnte besuchen sie durch ein Raumtor, das sich am Boden Europas befindet, diese faszinierende Lebensgemeinschaft”, wusste Nefud zu berichten. „Woher weißt du das denn? Du bist doch auch nur ein Terraner!”, stellte Mouad fest. „Du vergisst, dass ich 24 Jahre länger im Föderationsraum als du zugebracht habe. Ausserdem habe ich - genau so wie du auch - eine gewisse Begabung für naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Diese lange Zeit ist nicht ohne Spuren geblieben.”

Knud reduzierte die Geschwindigkeit bis fast zum Stillstand. Er schaltete die Beleuchtung im Innenraum des Raumschiffes ab. Die Instrumentenanzeigen erloschen. Jetzt schwebte der Zyclop nur noch knapp fünf Meter oberhalb des Grundes der Schlucht. Auf einmal schob sich unter ihnen eine kreisrunde Schleuse an die Seite. Dahinter - ehe sie hinter einer Wolke aus Eisdampf verschwand - erblickten sie für einen Augenblick eine glänzende Oberfläche, wellenüberzogen - flüssiges Wasser. Knud deaktivierte den Antrieb. Das Schiff wurde von Kraftfeldern in Richtung der Wasseroberfläche gezogen. Der Cyclop glitt durch die Schleuse und tauchte in völlige Schwärze hinab. Über ihnen schloss sich die Öffnung. Die Sicht auf den letzten Schimmer Sternenlicht war versperrt. Waren sie in eine Falle geraten, aus der es kein Entrinnen mehr gab? Nefud, Krrwrrrh und Knud zeigten jedoch keine Anzeichen von Nervosität. Plötzlich wurden sie einem leisen Pfeifen extrem hoher Frequenz gewahr, unterlegt von sehr tiefem Infraschall. Nach einer Weile verebbten die Geräusche. Ein leichter Ruck deutete an, dass sie von aussen durch irgendetwas gesteuert wurden. Vielleicht befanden sie sich an Bord eines U-Bootes - das aber von innen mit Wasser gefüllt war, nicht mit Luft.

,Willkommen auf Torquor, sehr verehrte Gäste’, ertönte plötzlich eine melodische Stimme in ihrem Kopf. ,Wir fühlen uns besonders dadurch geehrt, dass Eure Eminenz, Kurator Knud Larssen, uns aufsucht. Wir, die Torquonor, fünfundzwanzigste Gründungsrasse des Fluidominion Borroquor, begleiten Sie nun zu dem Allgemeinen Treffen aller Vertreter dieses Staates, zu dem wir zum ersten Male hochrangige Abgesandte der Föderation eingeladen haben. Die Rovennon haben uns darüber informiert, dass Ihr Unglaubliches vollbracht habt. Dass Ihr selbstlos unzählige andere Rassen vor dem Untergang bewahrt und zudem eine Bedrohung von uns allen abgewehrt habt.’ ,Herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme, Fluideur Yoroquor.’ Knud verneigte sich, obwohl dies für niemanden sichtbar war. ,Es ist auch für uns eine Ehre, so freundlich aufgenommen zu werden. Darf ich vorstellen...’ Knud referierte kurz, woher seine Begleiter stammten, was es mit der Core Explosion auf sich hatte und wie die Föderation die Guruthuwrunuh Bedrohung abgewehrt hatte. ,Für uns ist es immer noch nur sehr schwer vorstellbar, dass es ausserhalb von Wasser anderes Leben gibt”, entgegnete der Fluideur. „Diese Sichtweise auf den aquatischen Kosmos wurde erst vor kurzem dadurch umgestoßen, nachdem wir Kontakt mit drei Welten aufgenommen hatten, deren Bewohner seit Äonen die Aussenwelt beobachten. Die Planeten sind unter den Namen Saphir, Vaugh II und Epsiolon Eridani IV allgemein bekannt. Und die Bewohner der zuletzt genannten Welt waren auch die ersten, die stationäre Anomalien im Leerraum zu nutzen verstanden. Über diese Kontakte haben wir erkannt, dass Ihr es wert seid, mit dem Fluidominion Borroquor in Kontakt zu treten. Diese Wesen waren es auch, die uns über alle Details eures genialen Rettungsplans der Duwuthrounu informiert haben. Und wir waren froh, dass es Euch scheinbar mühelos gelungen ist, die Invasoren abzuwehren.’ Weitere Stimmen tauchten in ihren Köpfen auf: Manche schrill und laut, andere wiederum leise und dezent. Manchmal waren ihre Gedanken prägnant dann aber auch konfus und sogar chaotisch in ihrer Struktur - je nach Rassenzugehörigkeit.

Die Besatzungsmitglieder des Zyklopen befanden sich immer noch in völliger Dunkelheit. ,Was wäre geschehen, wenn Knud gescheitert wäre?’, überlegte Mouad. ,Ich glaube, Botschafter Mouad Bribire, dass Ihr die Fähigkeiten Eures Mannes, des Kurators, immer noch ein wenig unterschätzt. Er steht an der Spitze einer Zivilisation, die Raum und Zeit völlig unter Kontrolle hat. Die Angreifer jedweder Rasse an jeden beliebigen Ort im Universum transportieren kann, ohne dass diese auch nur die geringste Chance haben, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Er könnte über eine Macht verfügen, die ihn zum absoluten Herrscher über unzählige Welten, Sternhaufen - sogar Galaxien machen könnte. Wir wissen aber alle, dass gerade das ihm zuwider ist. Und solche Eigenschaften sind es, die die Föderation für unser Fluidominion Borroquor interessant machen. Ich darf auch darauf hinweisen, dass die Rovennon die Föderation in den Mittelpunkt einer umfassenden Kooperation gestellt haben. Dies insbesondere auf Grund der überwältigenden Hilfsbereitschaft, die dieser Staat gegenüber anderen Kulturen entgegenbringt.’ ,Als Rovennon können wir die Ausführungen unseres Vorredners nur unterstreichen. Auch wir sind beeindruckt von der Selbstlosigkeit des jetzigen Kurators. Er hat daher das Vertrauen aller Gründungsrassen, des Fluidominions Borroquor und weiterer intergalaktischer Kulturen.’

Ein leichter Ruck ging durch den Zyklopen. ,Wir haben den Konferenzort erreicht. Ist die Hülle ihres Zyklopen geeignet, dem enormen Wasserdruck hier unten zu widerstehen?’ - erneut meldete sich die Stimme des Fluideurs Yoroquor. ,Denn Ihr Fahrzeug ist klein genug, sich durch die Gänge zur Großen Kaverne fortzubewegen.’ ,Keine Sorge - die Aussenhülle ist auf 850 Billionen Newton pro Quadratmeter getestet.’ ,In Ordnung. Die Navigationsdaten werden Ihnen übermittelt. Bitte stellt die Lichtstärke der Aussenbeleuchtung auf unter 10 Candela pro Quadratmeter ein. Denn die Helligkeit, die Ihr gewohnt seid, blendet viele der Abgeordneten. Fast alle der hier vertretenen Rassen reagieren schon auf die geringsten Lichtspuren äußerst empfindlich.’ ,Wir können auch ganz darauf verzichten. Das Schiff kann auch mit Ultra- oder Infraschall, Positronenemission oder Neutrinostreuung gut navigieren. Ich bitte nur darum, dass wir die Aussenhülle des Schiffes wieder lichtundurchlässig machen dürfen, um zu verhindern, dass Streulicht Konferenzteilnehmer schädigt.’ ,Einverstanden. Ein Leitstrahl wird Sie zur vorgesehenen Position führen.’

Kontakt

Knud navigierte den Zyklopen durch das Röhrensystem, das sich am Boden des unermesslichen Ozeans erstreckte. Es bestand aus Lavatunneln, die sich vor Äonen in dem ignimbritischen Fels gebildet hatten. Manche hatten einen Durchmesser von über 20 Metern. Ihre Wände waren glatt poliert - ein Zeichen dafür, dass sie bearbeitet worden waren. Durch riesige Schotts konnten die Gänge in Teilbereiche segmentiert werden. Auf diese Weise konnten die Bewohner dieser Welt in behaglich warmem Wasser existieren - und mussten nicht immer in der eisigen Kälte des Ozeans dahinvegetieren, der hier unten konstant eine Temperatur von 277,15K aufwies - der Temperatur von Wasser mit der höchsten Dichte. Die Salzkonzentration war auf dieser Welt erheblich niedriger als bei terranischen Ozeanen, weil das zur Verfügung stehende Wasservolumen einige Millionen Mal größer war als das auf Sol III.