Der Kurator, Band 3 - Arno Wulf - E-Book

Der Kurator, Band 3 E-Book

Arno Wulf

0,0

Beschreibung

Die terranischen Flüchtlinge erreichen Knuds Heimatwelt, den Saphir. Vollkommen überwältigt von der Grandeur der unberührten Natur und den bahnbrechenden technologischen und gesellschaftlichen Leistungen der Föderation werden sie mit einer vollkommen anderen Kultur konfrontiert. Sie sehen mit eigenen Augen, dass es doch möglich ist - bei entsprechender politischer Weitsicht - einen multikulturellen Staat zu erschaffen, der zudem eine absolut stabile zivilisatorische Basis besitzt.\\Im Verlauf ihrer Erkundungstour einer ausserirdischen Zivilisation müssen die Terraner jedoch immer mehr erkennen, dass auch dieser scheinbar allmächtige Staat möglicherweise Gefahren und Kräften von außen ausgesetzt ist, die jedes menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen. Aber gleichzeitig verfestigt sich in Mouad mehr und mehr der Eindruck, dass Knud möglicherweise doch mehr Einflussmöglichkeiten auf die Geschicke der Föderation hat, als er es jemals für möglich gehalten hat. Zudem besitzt dieser Staat eine Macht, die weit über den Raumbereich der Föderation selbst hinausgeht.\\Für Mouad jedoch schiebt sich ein Problemfeld mehr und mehr in den Vordergrund: Hat Knud eigentlich die Absicht, ihn in diese geheimnisvolle Welt mit einzubeziehen? Oder verschleiert er seine wahren Absichten gegenüber ihm? Haben er und alle anderen terranischen Flüchtlinge in diesem fremdartigen Gemeinwesen überhaupt eine Zukunft?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 436

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Kurator

von

Arno Wulf

Band 3: Saphir

Der Kurator

Band 3: Saphir

Copyright: ©2014 Arno Wulf

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-2251-9

Image - Small Magellanic Cloud - Front Cover: Copyright©Australian Astronomical Observatory/David Malin

Inhaltsverzeichnis

3 SaphirKnuds HeimatweltCaeleon IIAdmiral WorssorrghDie MissionKratermeerLandeanflugNarodaZum funkelnden JuwelZusammenbruchDas geheime TreffenErkenntnisseEin neuer MorgenMetroDie Katarakte von DuhmgorEine unerwartete SchiffsreiseInselEndlich zu HauseEin romantisches MahlNächtliche ÜberlegungenZukunftsaussichten

Teil 3

Saphir

Knuds Heimatwelt

Caeleon II

Knud und Mouad wurden erst nach einigen Minuten durch das nervtötende Summen des Intercoms geweckt. Der Professor, der schon ungeduldig vor dem Quartierzugang wartete, fragte in etwas ungehaltenem Tonfall, ob sie denn nicht auch dem Anflug auf Caeleon II beiwohnen wollten. Mouad schnellte hoch. Dabei stieß er Knud ungewollt aus dem Bett. Dieser hatte sich von den vergangenen 50 Stunden ununterbrochener Wachzeit immer noch nicht vollständig erholt. „Was ist denn nun schon wieder los?”, wollte Mouad, etwas verwirrt, wissen. Noch schlaftrunken übersah er einen Suspensorensessel. Aber bevor Mouad auf dem Boden aufschlug, wurde sein Sturz schlagartig von zwei kräftigen Armen abgebremst. Sein Freund hob ihn ohne sichtbare Anstrengung, fast wie eine Feder, empor und setzte ihn auf die Bettkante. Erst jetzt spürte Mouad, wie ungeheuer kräftig sein Mann war. Er dachte daran zurück, wie Knud ihm direkt nach der Flucht an Bord des Schiffes eröffnet hatte, welche körperliche Schwerstarbeit er zu leisten hatte, um Mouad zu säubern, nachdem dieser erschöpft zusammengebrochen war. Aber hatte er sich wirklich dabei so verausgabt, wie er behauptet hatte? Erneut eines der so zahlreichen Rätsel, die Knud umgaben. ,Jetzt begreife ich auch, warum er Kanei mühelos überwältigen konnte; er scheint fast eine perfekte Kampfmaschine zu sein’, stellte er zugleich beeindruckt und etwas entsetzt fest, während er respektvoll seinen durchtrainierten Freund betrachtete. Der schien seine Gedanken zu erraten. „Ich bin durchaus in der Lage, dich zu verteidigen, falls du in Schwierigkeiten geraten solltest. Aber ich denke, das wird in der Föderation niemals nötig sein, sondern eher auf deiner Heimatwelt, wenn wir uns dazu entschließen sollten, dorthin irgendwann einmal zurückzukehren.” Er schmunzelte über Mouads verblüfften Gesichtsausdruck. Dann fuhr er fort: „Heute habe ich noch eine besondere Verpflichtung zu erfüllen: Ich muss dieses Schiff Admiral Worssorrgh übergeben. Die Tradition gebietet es, dass ich, dem Anlass entsprechend, zurechtgemacht werde. Ich befürchte nur, dass mein Aufenthalt auf der Erde meine Figur nicht positiv beeinflusst hat; ich habe etwas zugenommen. Würdet ihr mir bitte helfen, mich in dieses steife, formale Kleidungsstück hineinzuzwängen?” Seine Freunde nickten. Denn sie wollten so schnell wie möglich der Annäherungssequenz beiwohnen. Wie befürchtet, konnte Knud die Galauniform nur unter kräftigem Zerren und Straffen des Stoffes und mit tatkräftiger Hilfe Fatimas, die an der Seite des Professors das störrische Kleidungsstück zu bändigen versuchte, überstreifen. Der Uniformstoff war purpurrot, mit goldenen Litzen verziert und synthetischen Diamanten an den Kragenspiegeln besetzt, dazu spannten altmodische silberne Knöpfe über Knuds muskulöser Brust. Knud verfluchte dabei innerlich formale Ereignisse und war ziemlich ungehalten über den Gedanken, dass diese ganze Verkleidung nur dem einen Zweck diente: Dass Astrid, Youness und er nämlich in weniger als zwei Stunden das Kommando an Admiral Worssorrgh, seine Führungsoffiziere und deren neuer Mannschaft in einer formalen Zeremonie abzugeben hatten. Aber auf der anderen Seite - und diese Überlegung dämpfte seinen aufkommenden Frust - hatte sich die jetzige Besatzung ihren Urlaub, auch wenn die meisten sich um die terranischen Flüchtlinge zu kümmern hatten, nach mehr als vier Jahren Dauereinsatz redlich verdient. Knud wechselte erneut seinen Gedangengang: ,Wer sich diese steife, an eine Operettenaufführung erinnernde Paradeuniform für die menschlichen Führungsoffiziere bloß ausgedacht hatte!’ Dies war Knud bis zum jetzigen Zeitpunkt verborgen geblieben, da er es stets vermied, dieses unbequeme Schaustück menschlicher Eitelkeit überzustreifen. Aber Admiral Worssorrgh war als ein durch und durch penibler Formalist verschrien. Er hatte sich in der Vergangenheit stets geweigert, einen Kommandoposten anzutreten, wenn die Übergabe nicht ohne würdevolles, offizielles Zeremoniell über die Bühne ging.

Endlich hatte sich Knud in die Galauniform gezwängt. Im Stechschritt verließ er seine Kabine - eine andere Gangart ließ die Hose einfach nicht zu. Dabei konnten es sich weder Fatima, der Professor, Elias und Mouad verkneifen, diesen eitel wirkenden Auftritt mit ironisch-bissigen Kommentaren zu begleiten. Als ihm auch noch Mahmoud, Ajaz, Yossi, Saleh und Aaron sowie wenig später Mary, Can, Davin und Xsochegar entgegenkamen, in prustendes Gelächter ausbrachen und irgend etwas von verschnürtem Pfau murmelten, begriff er, wie dämlich er wohl daherkam. Er machte kehrt, eilte so rasch er konnte in sein Quartier zurück und kam einige Minuten später in der üblichen dunkelblauen, an irdische Outdoor-Freizeitkleidung erinnernde Borduniform zurück. Er hatte die Galabekleidung in eine altmodische, irdische Ledertasche hineingestopft, die er von nun an mit sich führte. Und er war entschlossen, sich erst kurz vor der Zeremonie in diese schrecklich unbequeme Hülle hineinzuzwängen. Al-gaddatu und die vier anderen Syrer grinsten ihn zudem etwas belustigt an. Knud mumpfte etwas von formalen Verpflichtungen und Empfängen, aber man sah, dass er sich so eingekleidet viel wohler fühlte. Außerdem merkte er zum ersten mal selbst, wie viel muskulöser und durchtrainierter er auf der Erde geworden war. Seine sportlichen Aktivitäten wie Laufen, Wandern und Joggen, die er schon Jahre, bevor er Mouad kennen lernte, absolvierte, hatten seinen Bein-, Arm- und Brustumfang deutlich anwachsen lassen.

Endlich erreichten sie das Restaurant. Es glich nun einem riesigen Versammlungsraum: Tausende von Besatzungsmitgliedern blickten erwartungsvoll in die diamantenbesetzte, samtene Schwärze des Alls. Sie näherten sich dem Herz der Kleinen Magellanschen Wolke. Unzählige bläuliche, gelbliche und rötliche Sterne funkelten vor ihnen, deren Dichte je Kubikparsec hier viel größer war als in einem gleich großen Raumbereich um die Erde. Das Raumschiff beschrieb eine sanfte Linkskurve und hielt auf einen zunächst winzigen orange, weiß, braun, und bläulich gestreiften Gasplaneten zu. Dieser wurde allmählich größer. Hinter dem Gasriesen konnten sie, grünblau leuchtend, abgesetzt gegen die Schwärze des Alls, eine merkwürdige bandförmige Struktur erkennen, die sich scheinbar grenzenlos rechts und links in der Unendlichkeit verlor. Mouad schaute das fremdartige Objekt besonders fasziniert und zugleich verwirrt an. ,Das kann doch nicht wahr sein’, schoss es ihm durch den Kopf. Aber er war nicht im Stande, diese Anlage näher zu benennen. Er hatte lediglich das Gefühl, irgendwo, in einem phantastischen Roman, über diese Bauwerke bereits etwas gelesen zu haben. Schließlich verdeckte der ins scheinbar Unermessliche wachsende Himmelskörper diese rätselhafte Erscheinung vor ihnen vollständig. Ausgedehnte Wirbelstürme, Flecken, mäanderförmige Wolkenstraßen und aufschießende Cumulonimbustürme, die von Blitzen gekrönt waren, füllten fast die gesamte ausgedehnte Fensterfront des Raumes aus, in dem sie sich befanden. Am rechten Rand dieser Welt tauchten plötzlich zwei gigantische braunrote Sturmspiralen auf, die allmählich immer weiter ins Zentrum des Panoramas wanderten. Aber ob deren scheinbare rasche Positionsänderung von der Bewegung des Raumschiffes relativ zur Planetenoberfläche oder durch die rasche Rotation der Gaswelt selbst verursacht wurde, ließ sich von ihrer augenblicklichen Perspektive nicht ausmachen. Jede von ihnen besaß auf jeden Fall den mehrfachen Erddurchmesser. Und immer wieder zuckten tausende von Kilometern lange elektrische Entladungen durch die unterschiedlich strukturierten Wolkenschichten, aus denen die Randbereiche der Zyklone aufgebaut waren. Dadurch war es dem Betrachter möglich, die räumliche Ausdehnung dieser kolossalen Wirbelstürme zumindest grob abzuschätzen. Knuds Freunde starrten wie gelähmt auf das Schauspiel, das sich ihnen bot: Immer wieder wurden kochende Wolkenmonster in die beiden unersättlichen Mäuler gesogen, die rasch den Widerstand der aufquellenden Cumulonimbusgebirge brachen und sie in Stücke zerfetzten. Reste dieser Strukturen wurden in Spiralbahnen in tiefere Schichten der Atmosphäre hinabgesaugt, in denen sich die letzten Wolkenfragmente endgültig auflösten. Als das Schiff auf die Nachtseite der Welt einschwenkte, erstrahlten prächtige Auroren über den magnetischen Polen. Ähnlich dem irdischen Nord- bzw. Südlicht sah man flirrende Lichterscheinungen in Blau, Türkis, Rot, Gelb und Violett, wo Teile des Partikelstroms, der von der Sonne dieses Systems - Caeleon - erzeugt wurde, in die Hochatmosphäre des Planeten gelangten und dort die Gasmoleküle zum Leuchten anregten. Eine Woge aus ,Ooohs’ und ,Aaahs’ der Entzückung, Faszination und Überwältigung kam aus unzähligen Kehlen, Sprechwerkzeugen und Schallorganen der Föderationisten, die andächtig das Schauspiel beobachteten.

Knuds Freunde jedoch wurden zunehmend nervös, je gewaltiger diese unwirtliche Welt vor ihnen aufragte. „Dort sollen wir landen?”, stieß der Professor entsetzt hervor und störte damit die Stille, die den Raum erfüllte und mit den Händen greifbar zu sein schien. „Schschscht” und „pssssst” war von den Umstehenden zu hören. Auch Knud legte den Finger auf seinen Mund und bedeutete so, dass Wahid schweigen möge. „Dies ist Caeleon II. Wir haben beinahe das Ziel unserer Reise erreicht”, flüsterte Knud ihm ins Ohr. „Natürlich können wir auf dieser Welt nicht leben. Das wäre so, als wenn man versuchen wollte, in eurem Sonnensystem auf dem Jupiter ein gemütliches Plätzchen zu finden, was natürlich, wie auf jedem Gasriesen, völlig unmöglich ist. Dieser hier hat zudem etwa achtmal mehr Masse als der größte Planet des Sol-Systems bei etwa doppeltem Durchmesser. Aber hab’ doch Geduld und genieße doch einfach das faszinierende Schauspiel.” Knud spürte jedoch, wie die Terraner von Minute zu Minute immer nervöser wurden. An den angsterfüllten Gesichtern merkte er, dass dieser scheinbar in die Katastrophe führende Anflug sie bis an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit führte. Knud wandte daher seine Aufmerksamkeit von dem kochenden Gasriesen ab und beruhigte erneut seine Freunde. Er ging leise zwischen ihnen hindurch und legte mehrfach seine Hände auf ihre Schultern. Immer wieder erklärte er ihnen im Flüsterton, dass sie nichts zu befürchten hätten. Schließlich ergriff er die Hände von Ajaz und Saleh und gab ihnen dadurch zu verstehen, dass kein Unheil drohte. Er hieß sie, auch die anderen Freunde auf diese Weise zu berühren. Schließlich standen sie in einer Reihe Hand in Hand da und bestaunten das kolossale Schauspiel, dem sie beiwohnten. Wahid dachte dennoch unwillkürlich: ,Werden wir in selbstmörderischer Absicht auf diesen Planeten stürzen und von dem mörderischen Atmosphärendruck zerquetscht?’

Das Raumschiff schien ins Bodenlose zu fallen. Immer gigantischer, immer furchteinflößender türmte sich diese riesige, tobende, chaotische Wolkenwand vor ihnen auf. Selbst einzelne Wolkenreste, an ihren Rändern durch die gewaltigen Stürme zerfasert, tauchten vor ihnen auf. Die Orkane selbst wiesen Windgeschwindigkeiten bis zu 2 000 Kilometer pro Stunde auf; jeder irdische Tornado und jeder Hurrikan wirkte im Vergleich dazu nur wie eine sanfte Brise. Yossi und Aaron hatten zudem den Eindruck, jeden Moment in den Wolkencocktail einzutauchen; denn wenn man schon so detailreiche Einzelheiten ausmachen konnte, sollte es bis zur Atmosphärenobergrenze nicht mehr weit sein. Ihre Verzweiflung und Angst nahm immer mehr zu. In Todesfurcht wandten sich die beiden Iraner ab und begannen vor Entsetzen ihr Gesicht in den Händen zu verbergen bis... Ja - bis Saleh, Davin und Assiz plötzlich ein winziges, blaues, wie ein Saphir funkelndes Pünktchen, das oberhalb der Atmosphärenhülle erschien, entdeckten. Es wurde rasch größer. Bald gab es keinen Zweifel mehr: Ein Planet, bedeckt mit Ozeanen, Kontinenten, Vegetation und Wüsten tauchte vor ihnen auf. Und endlich konnte man an Hand des Planetendurchmessers Rückschlüsse auf die Größe der Wolkenfetzen auf Caeleon II ziehen: Sie mussten die mehrfache Größe von irdischen Landmassen kontinentaler Ausdehnung haben. Knud stellte erleichtert fest, wie die Anspannung aus den Gesichtern seiner Freunde verschwand und einer gewissen Faszination Platz machte. Auch die anderen Betrachter des planetaren Infernos, das auf dem Gasriesen tobte, begannen sich wieder leise zu unterhalten. Langsam zerstreute sich die Menge. „Du hättest uns vielleicht vorwarnen sollen, auf was für ein Wechselbad der Gefühle wir uns gefasst machen mussten. Das war ja atemberaubend und besser als jede Achterbahnfahrt mit Riesenloopings”, meinte Aaron, der als einziger während der ganzen Zeit des Anflugs den Blick nicht abgewandt hatte. Er warf Knud einen vorwurfsvollen Blick zu und führte seine Augen in Richtung auf die beiden iranischen Jungen sowie Saleh, die immer noch kreidebleich dastanden und sich auf den Boden gesetzt hatten, die Hände vor den Augen verschränkt, um die scheinbare Katastrophe nicht mit ansehen zu müssen. Erst durch gemeinsames gutes Zureden von Mary und Fatima erhoben sie sich und wagten es, wieder aus dem Fenster zu blicken.

„Dies ist meine Heimatwelt, der Saphir, Sitz der Zentralregierung der Föderation und des Galaktischen- bzw. Föderalen Rates”, erklärte Knud feierlich und mit einem Leuchten in seinen Augen. „In etwa 48 Stunden werdet ihr bei mir zu Hause sein.”

Der obere Teil des Planeten im Bereich des Nordpols war von ausgedehnten Eismassen bedeckt, die offensichtlich ringsherum von hohen Gebirgsketten umschlossen waren. Südlich dieser geologischen Formation lag ein sehr auffälliger See, dessen kreisrunde Form an einen mächtigen Asteroideneinschlagkrater erinnerte. Von hier aus konnte man, da diese Struktur bereits in der Dämmerungszone der Tag-Nacht Grenze lag, die Feuerfontänen und Rauchwolken eines tätigen Vulkans erkennen, der sich in der Mitte des Binnenmeeres erhob. Unterhalb des Sees waren weite Wüstenregionen auszumachen, durch die sich eine grüne Flussoase schlängelte, die schließlich knapp nördlich des Äquators in einem Ozean endete. Schließlich schwenkte das Raumschiff in eine äquatornahe Umlaufbahn ein, die etwa 2 000 Kilometer über der Oberfläche lag. Von hier aus konnte man auch die untere Hälfte des Planeten in Augenschein nehmen. Im Gegensatz zur nördlichen bildete die südliche Hemisphäre nur eine einzige Wasserwüste. Auf ihr gab es nur einen, an ein Trapez erinnernden Kontinent. Dessen Inneres wurde von einem Hochplateau beherrscht, das von mächtigen Gebirgsketten, die von Vulkanen bekrönt wurden, umschlossen war. Beide Kontinentalmassen waren über eine, durch verschieden breite Meeresstraßen unterbrochene, Inselkette verbunden. Diese war offenbar ebenfalls vulkanischen Ursprungs, wie einige Rauchsäulen tätiger Feuerberge verrieten. Mouad sah seinem Freund in die Augen. Er spürte, wie Knud sich sehr zusammennehmen musste, um vor Freude, Rührung und Erleichterung nicht die Fassung zu verlieren.

Admiral Worssorrgh

Knud wurde reichlich unsanft aus seinen Erinnerungen gerissen. „Wie läufst du denn hier herum?”, zischte Astrid ihm plötzlich etwas erbost hinter seinem Rücken zu, während sie den vollkommen aufgewühlten Saleh vor sich her schob, der das planetare Schauspiel und den Anblick der fremdartigen Besatzungsmitglieder immer noch nicht verkraftet hatte. „Worssorrgh kommt in wenigen Augenblicken an Bord. Zieh dir gefälligst die offizielle Uniform an, bevor du ihm unter die Augen trittst.” „Sie passt mir nicht mehr und ich kann mich obendrein kaum in ihr fortbewegen, da ich zu viel Sport auf der Erde getrieben habe.” Fatima mischte sich ein: „Astrid, dein Bruder sieht unmöglich darin aus, als wenn der Stoff jeden Moment platzen würde.” „Könnt ihr nicht einfach sagen, dass Knud es geschafft hat, innerhalb weniger Stunden einige tausend Erdlinge auf die neue Umgebung vorzubereiten und er noch dabei ist, die letzten Zweifler unter ihnen über ihre neue Lage zu informieren?”, schlug Yossi vor. Youness und Astrid überlegten. „Das dürfte sich machen lassen”, bemerkte Astrid nach geraumer Zeit und immer noch mit einigem Zögern in ihrer Stimme. „Dann los! Weg mit euch allen, damit sich keiner verplappert, wenn der Admiral hier auftaucht! Ich denke, es ist am sinnvollsten, wenn ihr alle im Quartier von Stephanie Kaba verschwindet. Da wird er euch wohl als letztes vermuten.” „Danke, Schwester. Und obendrein wird mit völliger Sicherheit dir die Aufgabe zufallen, das Schiff kommandotechnisch zu übergeben und die Sicherheit aller Föderationisten beim Verlassen des Schiffes zu gewährleisten.” Astrid nickte ihm kurz zu und fauchte ihn barsch an: „Seht zu, dass ihr endlich Land gewinnt.” Während sie sich auf den Weg machten, wandten sich Fatima und Mary Saleh und Kanei zu, die mit der fantastischen neuen Perspektive noch stets nicht umzugehen wussten. Kaneis undurchdringliche Mauer, die er als Kindersoldat aufgebaut, mit der er versucht hatte, seine inneren Gefühle zu isolieren und die sein bisheriges Handeln und Tun bestimmte, war nämlich zu nutzlosen Trümmern zerfallen. Bei Saleh war es wohl auch zum Teil Erleichterung, seiner völlig ausweglosen Situation endlich entkommen zu sein. Die syrischen Flüchtlinge hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut an die neue Lage adaptiert: Sie waren nämlich vollends von der föderalen Welt begeistert.

Und so kam es, dass Knud und alle seine Freunde nur über Videobilder an der pompösen Zeremonie teilnahmen, die mit der Schiffsübergabe verbunden war -wobei Fanfarenstöße, Reden und Haltung annehmende Besatzungsmitglieder einander abwechselten. Er sah es an den Gesichtern der Teilnehmer dieses Theaters und spürte zugleich an ihrem nicht vorhandenen Engagement, wie lustlos alle an diesem alten Zopf mitwirkten. Vollkommen überrascht stellte er fest, dass selbst Worssorrgh diesmal offensichtlich wenig Freude an dem ganzen Firlefanz hatte. Er schien sogar durch irgendetwas betrübt zu sein.

,Sei’s drum. Ich habe jetzt keine Zeit dafür’, dachte Knud und wandte sich einer Auswahl der Wissenschaftler zu, die dieses für sie ungewohnte Schauspiel verfolgten, während er Kanei zu Stephanie schob, damit er sich bei ihr für sein brutales Verhalten entschuldigte. Er stellte schon bald zu seiner Beruhigung fest, dass sich die beiden bereits nach kurzer Zeit angeregt unterhielten.

Knud schaltete die Übertragung ab und begann ohne weitere Verzögerung an Hand einer Liste, die ihm Stephanie Kaba eingereicht hatte, die ersten Naturwissenschaftler zu befragen. Er stellte im Verlauf der Kurzgespräche fest, dass unter diesen Menschen zahllose absolut unvoreingenommene Köpfe waren, die brillant und vollkommen logisch denken konnten. Viele der von den Wissenschaftlern verfolgten Ansätze über nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung der tropischen Böden zur Rettung von Regenwäldern waren durchaus beeindruckend. Maßnahmen zur schonenden Selektion von Pflanzen zur Verbesserung des Ertrages sowie rücksichtsvoller Umgang mit tropischen Hölzern zählten ebenfalls zu den Forschungsaktivitäten der Institute. Besonders faszinierte ihn eine Kenianerin, die sich ihr ganzes Leben mit der botanischen Vielfalt der afrikanischen Lebensräume beschäftigt hatte. Ihre Kenntnisse über Pflanzengemeinschaften im Zusammenhang mit den davon abhängigen Tieren waren genial. Knud erfasste rasch, dass diese Forscher insgesamt ein ungeheures Wissen angehäuft hatten, das aber den wissenschaftlichen Mainstream auf der Erde in keiner Weise interessiert hatte. Auch die Virologen hatten einen Schatz an Daten in Bezug zu seltenen Tropenkrankheiten angehäuft, die man gewissermaßen als das Immunsystem des Planeten ansehen konnte: Einmal freigesetzt, besaßen diese Erreger die Fähigkeit, die gesamte Menschheit in kürzester Zeit fast vollständig zu eliminieren. Von anderen Beratern, die sich bereits seit mehreren Stunden um die Afrikaner gekümmert hatten, liefen überdies Berichte über viele weitere verborgene Talente bei Knud ein. So hatten drei Physiker aus Nigeria, obwohl sie nur spärlichen Kontakt zur so genannten westlichen wissenschaftlichen Welt hatten, bemerkenswerte Kalkulationen über die Natur der Dunklen Materie im Kosmos erstellt. Ihre mathematische Brillanz übertraf manche Leistungen anderer Kollegen in den Industrieländern, die ihre Erkenntnisse nur der experimentellen Mithilfe von sündhaft teuren Synchrotonen bei CERN zu verdanken hatten. Und immer wieder wurde er nach seiner Aufgabe befragt, was er auf der Erde untersucht hatte, warum die Föderation gerade gegenüber den Armen der Welt ein besonderes Interesse an deren Schicksal hatte. „Sie müssen unser Engagement auf ihrer Heimatwelt nach einer möglichen Eroberung, um eine Selbstzerstörung abzuwenden, unter diesem Aspekt sehen: Die Mittellosen auf der Erde sind in den meisten Fällen, insbesondere in jungen Jahren, viel besser formbar als die reichen, gesättigten Menschen in den Industriestaaten. Die nämlich sind von der bestehenden industriell geprägten Lebensweise bereits so weit negativ beeinflusst, dass ein Wechsel zu einer anderen Technologiestruktur und -kultur mit unglaublichen Schwierigkeiten verbunden sein wird.” Knud musste zudem immer wieder auf’s Neue versichern, dass es keinesfalls im Interesse der Föderation lag, die Erde als neues Kolonisationsgebiet aufzufassen, das man ausplündern wollte: „In diesem Gemeinwesen hat es niemals Sklaverei gegeben. Und dass dunkelhäutige Menschentypen nur auf Grund ihrer Hautfarbe als minderwertig angesehen werden, ist in diesem Staat undenkbar. Denn wenn wir uns wie die weißen oder arabischen Ausbeuter des afrikanischen Kontinents verhalten hätten, würden wir mit Sicherheit nicht mit tausenden anderer Rassen friedlich und respektvoll zusammenleben. Die physiologischen und psychologischen Unterschiede zwischen uns Menschen und den anderen Rassen sind zudem um ein Vielfaches größer als die zwischen Menschen verschiedener Pigmentierung auf der Erde.” Mit diesen Ausführungen erntete Knud sehr viel Lob und Zuspruch. Aber er war Realist genug, dass ein zentraler Aspekt absolut im Vordergrund stand. Und er wurde nicht müde, ihn besonders zu betonen: „Ich weise auch gleichzeitig darauf hin, dass bis zur erfolgreichen Erziehung der Erdbevölkerung zu mehr Rücksichtnahme auf andere Geschöpfe, zu friedlichem Miteinander und zum Abbau von Vorurteilen möglicherweise Jahrhunderte vergehen werden. Ich bin mir ganz sicher, dass Ihnen diese Aussicht auf die terranische Zukunft schwer im Magen liegen dürfte. Aber ich bin kein irdischer Politiker, der seine Gesprächspartner ständig anzulügen pflegt. Dieser Zeitrahmen ist vermutlich halbwegs realistisch, auch wenn in Ihnen möglicherweise historisch begründbare Sorgen aufkommen dürften. Denn die Sklaverei der afrikanischen Bevölkerung durch Kolonialherren aller Art hat ebenfalls über Jahrhunderte stattgefunden. Die negativen Assoziationen, die sich im Zusammenhang mit meinem auf circa 500 Jahre gesteckten Zeitraum ergeben könnten, sind daher für mich völlig nachvollziehbar.” Besondere Beachtung fanden auch Knuds sehr liberale Ansichten im Zusammenhang mit Ehe, Familie, Sexualität und Rolle von Mann und Frau. Viele der Wissenschaftler bestürmten auch Knuds Freunde mit Fragen, was sie erlebt hatten, wie die Kundschafter der Föderation sich gegenüber ihnen verhalten hatten. Und auch der Professor musste Rede und Antwort stehen. Er wurde geradezu ausgequetscht, als manche Teilnehmer von seiner - für irdische Verhältnisse - bahnbrechenden Entdeckung hörten. „Daher, liebe Freunde, nur Mut, was die vor euch liegende Zukunft im Bereich Wissenschaft und Forschung angeht. Auch ich stamme nämlich aus einem politisch zerrissenen Entwicklungsland und habe es geschafft, eine außergewöhnliche Theorie zu entwickeln, die weit über die Leistungen vieler Wissenschaftler aus den Industrieländern hinausgeht. Trotz aller ihrer phantastischen finanziellen Mittel gehört nämlich immer noch ein gehöriges Maß an Begeisterungsfähigkeit, Pioniergeist und Kreativität dazu, um Andere zu überflügeln. Überdies hatte ich nur sehr geringen Kontakt zu anderen Forschern. Im Gegenteil: Ich wurde von anderen Physikern mitleidig belächelt und als Spinner abgetan, der sich eher um das Fantasy-Genre kümmern sollte als um wissenschaftliche Forschung. Und trotzdem, so haben mir viele der hier anwesenden Forscher versichert, ist die von mir entwickelte Theorie einer der uralten technologischen Eckpfeiler interstellaren Reisens. Wenn auf der Erde irgendjemand im Stande gewesen wäre, die Bedeutung dieser Entdeckung hinreichend zu erfassen und zu würdigen, wäre mir ein Nobelpreis absolut sicher gewesen.”

Allmählich gewannen Knud und seine Freunde mehr und mehr den Eindruck, dass die Menschen, die sie betreuten, endlich wieder mehr Lebensmut fassten. Sichtlich erleichtert bedankten sich viele bei ihnen. Endlich war es so weit: Nach zahllosen Stunden intensiver Befragungen wandte er sich, wenn auch ziemlich erschöpft, in einer Videobotschaft an die Neubürger der Föderation und überraschte viele damit, wie gut er sich in der kurzen Zeit in die doch sehr variationsreiche und komplexe Materie zumindest oberflächlich eingearbeitet hatte. Vieles von dem, was er gehört hatte beziehungsweise ihm zugetragen worden war, konnte er in die aktuelle Forschungslandschaft einordnen. Es kam sogar so weit, dass er schon wusste, in welche Wissenschaftler- und Expeditionsgruppen er die Menschen auf Grund ihrer spezifischen Kenntnisse jeweils einzuordnen hatte. Schließlich nahm Knud Kontakt mit dem Leiter der Tarmora Universität auf und übermittelte ihm die Daten der Neuzugänge. Ganz unvorbereitet traf es die Universitätsleitung nicht, denn bei jeder früheren Expedition zur Erde waren Flüchtlinge mit zurückgekommen. Dass es diesmal so viele waren, war jedoch zumindest ungewöhnlich. Knud spürte rasch an den Mienen der neuen zukünftigen Studenten, dass sie sich aufrichtig freuten, endlich eine neue Lebensperspektive vor sich zu haben. Bereits kurze Zeit später verließen die ersten Gruppen das Schiff und wurden mit Fähren zur Planetenoberfläche transportiert. Knud ließ es sich dabei nicht nehmen, viele der ehemaligen Kundschafter auf der Erde persönlich mit Handschlag oder Umarmungen zu verabschieden. Ebenso herzlich wurden viele der Flüchtlinge von ihm in eine neue Zukunft entlassen. Dabei musste er immer wieder seinen Standort wechseln, da der Abflug von verschiedenen Startbereichen der Intrepid stattfand.

Nachdem der letzte Terraner und die Nachhut der Besatzungsmitglieder das Schiff verlassen hatte, setzte sich Knud ermattet in einem der Hangare auf den Boden. Er war müde und fühlte sich ausgebrannt, während er noch auf seine Schwester und den restlichen Führungsstab wartete, die mit ihm auf den Planeten zurückkehren würden. Alle persönlichen Gegenstände von ihm und seinen Freunden waren inzwischen ebenfalls von Bord geschafft worden. ,Wie auf irdischen Schiffen’, dachte Mouad über Knuds Verhalten: ,Der Kapitän geht als letzter von Bord.’

Endlich erblickte er seine Schwester; Youness dicht hinter ihr. Und - ein Anflug von Unwohlsein überkam ihn - Worssorrgh folgte ihnen. „Seien Sie gegrüßt, Admiral”, begrüßte Knud ihn förmlich. Seine Abneigung gegenüber ihm war deutlich zu spüren. „Darf ich sie kurz unter vier Augen sprechen, wie das so schön bei Ihren Freunden auf der Erde heißt?” Der Xyrchh schlängelte neben Knud über den Boden. Dabei erzeugte er ein leicht schabendes Geräusch, das durch die verhornten Gliedersegmente entstand, als diese über den hitzebeständigen Belag glitten. Als sie schließlich einige Meter entfernt standen, ergriff Worssorrgh erneut das Wort: „Ich weiß, dass ich als Formalist verschrien bin und ich in der Vergangenheit viel Wert auf protokollarisch korrekte Begrüßungen und Schiffsübergaben gelegt habe. Sie hätten mich trotzdem willkommen heißen können: Es ist immer noch besser, ohne Gardeuniform mir gutes Gelingen zu wünschen, als sich hier scheinbar klammheimlich zu verdrücken, um mich nicht sehen zu müssen.” Knud wollte protestieren und etwas entgegnen, aber durch ein knackendes Geräusch in Worssorrghs Heimatsprache, die Knud sich über viele Jahre angeeignet hatte, gab er ihm zu verstehen, ihn ausreden zu lassen. „Ich habe in der Vergangenheit bereits des Öfteren Berichte über das gelesen, was Sie auf der Erde geleistet haben; wie Sie Probleme auf diesem politischen Minenfeld in den vergangenen Jahren gelöst und was Sie darüber hinaus für diesen Staat erreicht haben. Ich rechne Ihnen auch hoch an, dass Sie sich ausgesprochen gefühl- und verständnisvoll in der Vergangenheit für die Belange vielerlei Lebewesen, egal welcher Rasse diese angehörten, einsetzten. Sie gehen dabei auf eine viel informellere Art, als ich das je konnte, an die Schwierigkeiten heran und lösen sie dabei trotzdem überaus effektiv, um nicht zu sagen elegant. Das war schon ein ziemliches Meisterstück, wie Sie die Afrikanerin vor wenigen Stunden aus ihrer Notlage befreit haben. Die Beschlüsse, die Ihre Besatzung und Sie getroffen haben, um notleidenden Mitmenschen auf ihrer Welt zu retten, spricht in jeder Hinsicht für ihre menschlichen und sozialen Qualitäten. Ebenso trifft dies für Ihre Entscheidung zu, die Übergabezeremonie sausen zu lassen, um für die Erdlinge den Start in eine sichere Zukunft zu ermöglichen. Und dass Sie einem Jungen, der, ohne ihn näher zu kennen, als gewissenloser Killer angesehen werden kann, eine zweite Chance zum Leben einräumen und dabei möglicherweise ein hohes persönliches Risiko eingehen, findet meine überwältigende Hochachtung. Betrachten Sie mich daher künftig bitte als Ihren Freund, nicht als Gegner. Und, ganz im Vertrauen, inzwischen kann ich Ihre Aversion gegenüber dem Tamtam bei der Schiffsübergabe verstehen: Es ist ein alter, unnützer Zopf, der abgeschnitten gehört. Ich habe nicht gewusst, dass Sie auch nichts dafür übrig haben.”

Knud folgte seinen Ausführungen mit wachsendem Erstaunen und Wohlwollen. „Ich bin froh, dass Sie so offen zu mir sind. Ich weiß noch, wie Sie mich immer kritisiert haben, wenn ich scheinbar wahllos bei der Core-Explosion Flüchtlinge aus dem Gefahrenbereich weggeschafft habe. Ich kann dies jetzt präziser formulieren: Ich bin in der Lage, ziemlich langfristig in die Zukunft zu planen, auch wenn es sich um komplexe organisatorische Sachverhalte handelt. Und ich verliere dabei nie den Überblick, auch dann nicht, wenn unvorhergesehene Ereignisse in dieses Ordnungsprinzip hineinplatzen.” „Das sehe ich inzwischen genauso und muss daher anerkennen, dass dieser für mich nur schwer zu akzeptierende Weg oftmals genau so gut wie meine formalere, um nicht zu sagen unflexiblere Vorgehensweise, ist. Wenn er nicht manchmal sogar aufgrund seiner größeren Fehlertoleranz eher ans Ziel führt. Ich jedenfalls hoffe, dass wir uns bei nächster Gelegenheit in Ruhe einmal persönlich austauschen können, vielleicht sogar in etwas privaterem Rahmen. Jetzt trennen sich erst einmal unsere Wege. Ich will Hinweisen auf eine neue Zivilisation nachgehen, die möglicherweise eine Bedrohung für die Milchstraße und somit die Föderation darstellen, und die fast ganz auf der anderen Seite - von hier aus betrachtet - Ihrer Heimatgalaxie liegt. Frühestens in zwei Monaten werden wir das Ziel erreichen. Daher rechnen Sie erst in gut einem Jahr mit meiner Rückkehr.” Seine Tonfrequenz wurde höher und dadurch konnten in extrem kurzer Zeit große Informationsmengen übertragen werden, viel schneller, als in fast jeder anderen bestehenden Sprache. Dies war eine Besonderheit dieser Kommunikationsform, und auch gleichzeitig ihre größte Herausforderung für Lebewesen, die versuchten, die Sprache der Xyrchh zu erlernen. Man musste in der Lage sein, seinen Informationsfluss aus seinem Gehirn um bis zu drei Zehnerpotenzen zu erhöhen, damit die entsprechende Datendichte zur Verfügung stand, um das Xyrchhisch optimal zu nutzen. Und so waren beide in der Lage, in unter einer Minute den gesamten Inhalt eines zweistündigen wissenschaftlichen Gesprächs in UniKaL zu übermitteln. Außenstehenden musste die Konversation wie ein rasend schnelles, schrilles, unstrukturiertes Gezwitscher vorkommen. Nur jahrzehntelanges Training hatte Knud in die Lage versetzt, fast fehlerfrei diese linguistische, in seinen Augen jedoch sehr praktische Herausforderung in den Griff zu bekommen.

„Viel Glück bei Ihrer Mission.” Knud wählte absichtlich diese relativ nichtssagende Formulierung, damit seine Freunde keinen Verdacht schöpften. „Ich bin so froh, dass wir uns näher gekommen sind und würde mich daher freuen, bald wieder von Ihnen zu hören. Zumal der Kurator selbst Wert darauf legen dürfte, dass ihr Bericht nach Ihrer Rückkehr direkt vor dem Föderationsrat angehört wird. Und versuchen Sie, Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit zu bringen.” Mit gegenseitigen Respekts- und Freundschaftsbekundungen wünschten sie sich alles Gute, verbunden mit der Hoffnung, dass sich ihre Wege bald wieder kreuzen mögen. Und trotz aller Brisanz in ihrer zurückliegenden Erörterung: Knud war froh, dass das Eis im Verhältnis zum Admiral gebrochen war. Er hatte sehr deutlich spüren können, dass Worssorrgh sehr erfreut darüber war, künftig von ihm als Vertrauter angesehen zu werden.

Ein sichtlich gelöster Knud ging auf seine Freunde zu, die in gebührendem Abstand auf ihn gewartet hatten. Als sie das Schiff mit demselben Zyklopen verließen, mit dem Knud und Mouad aus dem Libanon geflohen waren, und der Abstieg zur Planetenoberfläche begann, wurden sie Zeugen des überaus seltenen Ereignisses, ihn vor Freude pfeifen zu hören. Aber Mouad hatte seinen Freund während der für ihn unverständlichen Konversation sorgfältig beobachtet. An dem besorgten Gesichtsausdruck, den er für den Bruchteil einer Sekunde über Knuds Gesicht hatte huschen sehen, war er sich absolut sicher, dass da mehr beredet worden war als lediglich nur der Austausch von Freundlichkeiten. Auch jetzt, als Mouad seinen Mann ganz genau betrachtete, meinte er hinter seiner Fassade aufgesetzter Fröhlichkeit einen Schatten zu erkennen, der Knuds Psyche aufs Äußerste belastete. Irgend etwas Schreckliches musste passiert sein, irgend eine unheimliche Bedrohung lag in der Luft. Und er erhielt absolute Gewissheit über diese Vermutung, als Knud ihm plötzlich einen Blick voller Verzweiflung und Sorge zuwarf.

Die Mission

Knud verarbeitete mit höchster Gehirnleistung bereits während der Startphase des Abstiegs zur Planetenoberfläche das soeben geführte Gespräch mit Admiral Worssorrgh: ,Ihre iranischen Freunde haben durch ihre hervorragende Beobachtungsgabe auf Epsilon Eridani IV eine unglaubliche wissenschaftliche Entdeckung gemacht, die ein Beben in der archäologischen und historischen Forschergemeinde ausgelöst hat’, hatte der Admiral ihren Gedankenaustausch eröffnet. ,Es scheint sich bei der technischen Einrichtung auf dieser Welt um den Zugang zu einem Netzwerk aus Wurmlöchern zu handeln, die möglicherweise nicht nur die Galaxien der Lokalen Gruppe, sondern gewaltige intergalaktische Superhaufen miteinander verkehrstechnisch verbinden. Auslöser für diese Hypothese waren die Daten, die von Euch übermittelt wurden, und die nachfolgend innerhalb weniger Stunden allen führenden Koryphäen auf diesen Forschungsgebieten in der gesamten Föderation übermittelt wurden. Ihre Vermutung, dass es sich bei den am Ende des Tunnels liegenden nebelähnlichen Strukturen um extrem weit entfernte Galaxien handeln könnte, ist sowohl von den Wissenschaftlern an Bord dieses Schiffes als auch von unabhängigen Forschern inzwischen bestätigt worden. Dazu passt auch, dass manche Wissenschaftler in den letzten Jahrhunderten immer wieder von merkwürdigen Expeditionsberichten zitiert haben, von uralten, längst vergessenen technologischen Relikten, die in der Lage sein sollen, Raum und Zeit beliebig zu krümmen, und das mit einem Minimum an Energie. Viele dieser archäologischen Zeugnisse sind vermutlich bei der Core Explosion vernichtet worden. Sollte sich diese Theorie bewahrheiten, würde dies nur einen Schluss zulassen: Dass nämlich irgendwo im Universum eine Rasse, eine Kultur oder eine Macht existiert, die selbst die Technologie der Föderation weit in den Schatten stellen würde. Denn wir brauchen immer noch sehr viel Energie, um zwischen den Galaxien der Lokalen Gruppe hin- und herzureisen. Zudem werden die raumkrümmenden Eigenschaften von Schwarzen Löchern benötigt, um die im Vergleich zu kosmischen Distanzen relativ bescheidenen Entfernungen zu überbrücken.’ Knud warf Worssorrgh einen undurchsichtigen, nicht genau einzuordnenden Blick zu, als versuchte er, irgend etwas zu verbergen. ,Das bedeutet, dass die Föderationsregierung jetzt endlich offen diesen geheimnisvollen Berichten nachgehen wird’, meinte er nachdenklich. ,Es freut mich dies zu hören.’ Worssorrgh, der Knud genau beobachtete, spürte, dass irgend etwas nicht stimmte. Eine Pause, die etwa einer Millisekunde in ihrer rasenden Kommunikation entsprach, machte ihn stutzig. Denn dies war ein Zeichen für eine gedankliche Unwägbarkeit. ,Wissen Sie, Admiral: Bis vor etwa fünf Minuten hätte ich Sie zum Teufel gewünscht und gehofft, dass sich unsere Wege niemals kreuzen, weil ich dachte, dass Sie ein kleinlicher, engstirniger Formalist sind.’

Worssorrgh wich zurück. So eine Ungeheuerlichkeit hatte ihm gegenüber noch niemand gewagt. Er war drauf und dran, sich grußlos abzuwenden, aber er war zugleich weise genug zu begreifen, dass hinter der Fassade, die durch die recht grobe Wortwahl Knuds aufgebaut worden war, irgend eine Überraschung verborgen war. Er unterdrückte seinen Ärger und wartete doch die nächsten Ausführungen Knuds ab. Denn er war sich inzwischen absolut sicher, dass Knud mehr in dieser Angelegenheit involviert war, als er bisher zugegeben hatte. ,Mir sagen Sie damit nichts Neues’, meinte Knud schließlich, und sah den Admiral dabei durchdringend an. Denn er wusste inzwischen, dass dieses Wesen absolut vertrauenswürdig war. Die Informationen, die Worssorrgh Knud zu Anfang ihres Gesprächs übermittelt hatte, mussten ihn eine ziemliche Überwindung gekostet haben, weil der Admiral in dieser Hinsicht immer schon sehr zurückhaltend gewesen war. Überdies stimmten sie mit den Informationen, die Knud in den letzten Tagen erhalten hatte, vollständig überein. ,Genau aus diesem Grund habe ich immer wieder Terra während der Mission, die dort stattfand, verlassen’, fuhr Knud fort, ,um in alten Sternsystemen, die nicht durch Supernovaexplosionen, Gamma-Bursts, den Core-Ereignissen oder irgendwelchen kriegerischen Auseinandersetzungen verheert worden sind, nach Spuren dieser rätselhaften Vergangenheit zu suchen. Und ich habe Unmengen an Daten auf verschiedenen Welten zusammengetragen, die Xsochegar, Krrhwrrrh und Astrid in den letzten Jahren ausgewertet haben. Das, was Sie da erwähnen, überrascht mich daher nicht; was mich schon fasziniert ist, dass Sie sich ebenfalls auf diesem Forschungsgebiet sehr stark zu engagieren scheinen.’ ,Das... das habe ich nicht gewusst, dass Sie sich auch für diese Materie interessieren. Unsere gegenseitige Abneigung hat somit offensichtlich in diesem Forschungsgebiet zu erheblichen Reibungsverlusten geführt. Wahrscheinlich wären wir ohne unsere gegenseitigen Aversionen mit unserem Wissensstand schon weiter vorangekommen.’ ,Ich war die ganze Zeit über Ihre Forschungsaktivitäten im Bilde’, ergänzte Knud, ohne die geringste Änderung in der Intonation seiner Stimme. Worssorrgh hatte das eigenartige Gefühl, dass hier jemand vor ihm stand, der trotz seiner liebenswürdigen und konzilianten Fassade über große Autorität und Macht verfügte. Aber er konnte nicht recht begreifen, warum. Seine Ausstrahlung und Körpersprache verrieten ihm, dass Knud bestens über alle politischen und wissenschaftlichen Geschehnisse in der Föderation informiert war. ,Da Sie hervorragende Arbeit geleistet haben’, führte Knud aus, ,konnte ich mich Regionen der Lokalen Gruppe zuwenden, die Sie noch nicht untersucht hatten. So wurde unter meinem Kommando vor 15 Jahren eine geheime Mission in die Andromedagalaxis unternommen, um diese Gerüchte (so dachten wir zumindest damals), näher auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Was wir dort entdeckt haben, war dermaßen beunruhigend, dass wir die Ergebnisse damals nur dem engsten Kreis des Föderationsrates präsentierten.’ Worssorrgh starrte ihn unverwandt an. ,Dieser Knud ist doch gleichzeitig ein Satansbraten - denn er hätte ja gegenüber mir schon längst mal den Mund aufmachen können, was er hinsichtlich dieses Forschungsgebietes in Erfahrung gebracht hatte - wie auch ein Genie. Denn dass er neben der halsbrecherischen und emotional aufwühlenden Mission auf Sol III auch noch Zeit für dieses Forschungsgebiet fand, grenzte schon an eine übernatürliche Begabung. Aber was hatte diese Expedition dort um Himmels Willen bloß entdeckt?’ Aber Knud gab ihm nicht die Gelegenheit, diese Frage zu stellen. Und Worssorrgh war nicht impulsiv genug, an dieser Stelle weiter zu bohren. Dazu dachte er etwas zu formalistisch. ,Auch wenn es Sie schockieren sollte, Admiral: Für diesen historischen Forschungsschwerpunkt zeichne ich ebenfalls verantwortlich, und dies auf meinen eigenen Wunsch. Denn anders, als bei der soeben beendeten Mission, konnte ich mich mit diesem wissenschaftlichen Bereich uneingeschränkt identifizieren. Wenn ich anfangs die Wahl gehabt hätte, wäre ich niemals mehr seit meiner Flucht von meiner Heimatwelt auch nur in die Nähe der Erde gelangt und hätte den Bewohnern dort nicht so viel Beachtung zuteil werden lassen. Und Admiral, was diesen angeblich so überwältigenden technologischen Vorsprung angeht: Auch wir werden in wenigen Monaten durch Erzeugung weitreichender Wurmlöcher technisch in der Lage sein, jeden Ort im Umkreis von etwa zehn Milliarden Lichtjahren zu erreichen, und das mit einem verschwindend geringen Bruchteil der Energie, die bisher benötigt wurde.’

Worssorrgh war fassungslos. Das war ja unglaublich! Dieser Knud war offensichtlich fachlich und organisatorisch ein Genie, dass er es in weniger als 20 Jahren geschafft hatte, so eine wissenschaftliche Meisterleistung auf die Beine zu stellen. Langsam schlich sich in Worssorrgh das Gefühl ein, dass dieser Mann etwas mehr Respekt und Anerkennung verdient gehabt hätte, statt immer wieder scharf von ihm selbst attackiert zu werden, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Rolle während der gewaltigen Evakuierungsmaßnahmen als Konsequenz der Core-Katastrophe. An und für sich hätte Knud allen Grund, ihn einfach links liegen zu lassen und ohne ihn näher einzuweihen, weitere Missionen in dieser Richtung zu organisieren und durchzuführen. Ein klein wenig hoffte er jedoch, dass Knud diese Reibereien ad acta legen würde und ihn an diesen faszinierenden Entdeckungen zumindest noch zu einem kleinen Teil zu beteiligen. Vielleicht besaß Knud tatsächlich jene Großherzigkeit, die ihm so häufig nachgesagt wurde. Und Knud schien tatsächlich nicht die Absicht zu haben, ihn im Regen stehen zu lassen. Im Gegenteil, er schien fast wortwörtlich seine Wünsche und Gedanken zu erraten. ,Ich jedenfalls möchte nicht, Admiral, dass Sie in dieser Angelegenheit Ihr Gesicht verlieren. Ich lege Wert darauf, dass wir uns wie zivilisierte Lebewesen benehmen und möchte überdies, dass unsere Differenzen der Vergangenheit angehören. Wenn Sie sich unter Ihrem Zentralpassword in das Rechnersystem dieses Schiffes einloggen, werden Sie auf eine Datei stoßen, die alle Informationen, die zu diesem Thema zur Verfügung stehen, enthält. Und ich habe, um die Bedeutung Ihres Engagements in diesem Segment der Archäologie zu würdigen, veranlasst, dass Sie diese Expedition leiten. Denn sie führt in einen Teil der Milchstraße, der nur wenig bekannt ist, der aber gleichzeitig von irgendwelchen Apokalypsen in der Vergangenheit verschont worden und somit unter kulturhistorischen Aspekten seit etwa acht Milliarden Jahren praktisch jungfräulich geblieben ist. Grund hierfür ist das fast ausschließliche Vorhandensein von massearmen Roten Zwergsternen, die sehr sparsam mit ihrem Fusionsbrennstoff umgehen und somit noch nicht alt genug sind, in das zerstörerische Novastadium zu gelangen: Damit stellt diese Region ein ideales Expeditionsgebiet zur Erforschung archaischer Hochtechnologieüberreste dar, die sich hoffentlich, trotz aller natürlichen geologischen und stellaren Prozesse, noch erhalten haben. Anhaltspunkt für eine nähere Untersuchung dieser Region waren Berichte der Galaktischen Fliegenden Händler, die darauf hindeuten, dass es in diesem Bereich seltsame räumliche Aberrationen gibt, für dessen Existenz keinerlei gesicherten, auf wissenschaftliche Grundprinzipien basierende Erkenntnisse, vorliegen. Gehen Sie daher behutsam zu Werke, keinerlei Heldentaten bitte. Ich halte es nicht für ratsam, mit der Intrepid in eine solche Anomalie hineinzusteuern, wenn Sie nicht genau wissen, was Sie dort erwartet. Das Schiff ist, wie Sie wissen, leider nicht in der Lage, einige Milliarden Lichtjahre, die durch eine unplanmäßige Aktivierung eines solchen Wurmlochs überbrückt werden, aus eigener Kraft zurückzufliegen. Dies würde nämlich ohne die geeignete, vorab geplante Sprungtechnologie, hunderte von Jahren in Anspruch nehmen. Ganz zu schweigen von den bis zu vier Milliarden Lichtjahre messenden gigantischen Leerräumen, die sich zwischen den Galaxienmauern im Universum erstrecken, die ohne externe Energiezufuhr nicht von Raumschiffen der Intrepidklasse durchquert werden können.’

An dieser Stelle forderte jedoch Worssorrghs Neugierde ihren Tribut. Er konnte die bohrendste aller Fragen, die in seinen Gedanken herumspukte, nicht länger zurückhalten: ,Was habt ihr dort gefunden, was so beunruhigend ist?’ Knud zögerte, darauf zu antworten, übermittelte ihm jedoch in einer anderen Tonlage, die eine besondere Verschlüsselung der Informationen ermöglichte, die gewünschten Daten. ,Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in jeder Galaxie stets ungefähr der gleiche Anteil an Entwicklungsstufen im zivilisatorischen Reifungsprozess der dortigen Lebensformen zu beobachten ist. So gibt es immer einen festen Anteil an Planeten, die zwar von Kreaturen nur so wimmeln, aber bisher kein intelligentes Leben hervorgebracht haben. Das gleiche gilt dann auch für die technologisch noch nicht so weit entwickelten Kulturen - et cetera. Wir waren somit der Überzeugung, dass es in der Andromedagalaxis somit auch einen, wenn auch geringen Anteil an Rassen geben müsste, die technologisch sehr weit fortgeschritten sein mussten. Aber wir fanden nicht den geringsten Hinweis dahingehend. Und selbst bis zu der Entwicklungsstufe, wie sie etwa auf der Erde zu beobachten ist, war dort nichts dergleichen detektierbar. Wir entdeckten jedoch jede Menge Ruinen, Überreste einst mächtiger Zivilisationen, die offensichtlich bereits seit Hunderten von Jahren verlassen waren. Lediglich in den Satellitengalaxien dieses Spiralnebels fanden wir wieder die übliche Verteilung der zivilisatorischen Entwicklungsstufen, wie wir sie auch von der Milchstraße und den Magellanschen Wolken her kennen. Aber was oder wer zu dem Verschwinden der technologisch hochstehenden Zivilisationen in dieser Sterneninsel geführt hat, konnten wir nicht klären. Aber wir fanden ein sehr besorgniserregendes Detail heraus: Wir entdeckten im Andromedanebel mehr als 20 von solchen Raumanomalien, gleich der, die Ajaz und Mahmoud auf Epsilon Eridani IV entdeckt haben. Von dort aus, so konnten wir nachweisen, hat sich irgendeine Macht fast konzentrisch in alle Raumbereiche ausgebreitet und die dort existierenden Kulturen auf eine Weise zerstört, wegtransportiert, versklavt... die uns unbegreiflich ist. Und aus diesem Grunde bin ich über die Entdeckung des stationären Wurmlochs auf Epsilon Eridani IV so besorgt. Wer weiß, welches Unheil aus den kosmischen Abgründen, die durch dieses technische Wunderwerk erschlossen werden, eines Tages möglicherweise herausströmt und alles Leben in weitem Umkreis vernichtet?’ Knuds Gesichtsausdruck wurde immer besorgter. Er seufzte und machte eine Pause von einigen Sekunden, die bei ihrem Konversationstempo wie eine Ewigkeit wirkte.

,Unter diesen Voraussetzungen sollte die Expedition in die Milchstraße vielleicht besser nicht stattfinden’, meinte Worssorrgh sichtlich beunruhigt. ,Sie würden sich folglich lieber verkriechen und hoffen, dass diese mögliche Katastrophe an uns vorüberzieht?’ Worssorrgh wirkte unsicher, und er brachte nur unzusammenhängende, wirre Sätze hervor, so als ob er von so einer Entscheidung überfordert wäre. ,Machen Sie sich keine Sorgen, Admiral, dass Sie jetzt keine passende Antwort auf dieses Problem finden. Es war auch ziemlich unfair von mir, Sie mit einer solchen Nachricht schlagartig zu überfallen und von Ihnen eine Lösung zu verlangen, die die gesamte Föderation nachhaltig betrifft. Der Föderationsrat hat jedenfalls beschlossen, dass sämtlicher Schiffsverkehr mit der Milchstraße zu unterbinden ist. Nur in absolut notwendigen Fällen dürfen Reisen noch in diese Regionen stattfinden. Und es ist auch noch nicht entschieden, ob Sie mit der Intrepid die Magellanschen Wolken verlassen dürfen - es stehen einfach zu viele Leben an Bord dieses Schiffes auf dem Spiel. Der Kondor ist von der Mission auf Sol III ebenfalls zurückbeordert und durch einen schwer bewaffneten Kreuzer der Kandora-Klasse abgelöst worden. Die neuen Kundschafter waren glücklicherweise noch nicht auf der Erde eingesetzt worden, sondern konnten über die neue Entwicklung noch an Bord des Kondors unterrichtet werden. Nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Crew, die die politische Entwicklung auf Terra beobachten sollte, hat sich freiwillig für einen weiteren Verbleib auf diesem Planeten entschieden. Es handelt sich lediglich um 20 Personen, die von 15 Wissenschaftlern und etwa 60 Besatzungsmitgliedern unterstützt werden.’ ,Was ist das für ein Raumschifftyp - dieser Kreuzer? Nie gehört’, erwiederte Worssorrgh. ,Eine absolut geheime Neuentwicklung eines superschnellen Raumschiffs. Dieser Prototyp ist in der Lage, innerhalb von 24 bis 30 Stunden den Rand der Milchstraße und von dort aus durch ein eigenes Wurmloch zehn Stunden später die Große oder Kleine Magellansche Wolke zu erreichen. Wenn sich irgend etwas Verdächtiges im System Epsilon Eridani ereignet, möchte ich schnellstmöglich darüber informiert sein. Ich gehe davon aus, Admiral, dass der zweite Prototyp dieser Raumschiffklasse hier morgen eintrifft, mit einem Abgesandten des Föderationsrates an Bord, der Ihnen das weitere Vorgehen in dieser Mission erläutert. Er wird auch die Auswahl der an dieser Mission beteiligten Wissenschaftler übernehmen. Nur Krrwrrrh, der meine zurückliegende Mission schon seit vier Jahren ununterbrochen begleitet, hat sich als einziger von der jetzigen Besatzung dazu bereit erklärt, an dieser Erkundung teilzunehmen. Die anderen Wissenschaftler haben gegenüber mir verständlicherweise bereits signalisiert, dass sie urlaubsreif sind. Selbst Krwysnoggh und Xsorchegar sind am Ende ihrer Kräfte. Sie werden diese geheimnisvolle Region der Milchstraße aus gebührendem Abstand und mit einem hochkarätig besetzten Wissenschaftlerteam untersuchen - mit entsprechenden Hochleistungssensoren, -telekopen, -detektoren und -kameras ist das Schiff ausgerüstet - und umgehend wieder hierher zurückkehren.”

Worssorrgh signalisierte Zustimmung. ,Und noch etwas: Sie sind in dieser Angelegenheit zu absolutem Stillschweigen verpflichtet!’, sprach Knud in energischem Tonfall auf ihn ein. ,Sie haben mein Wort, Sire’, entgegnete Worssorrgh bestimmt, jedoch gleichzeitig völlig schockiert. Was er in den letzten 50 Sekunden gehört hatte, war einfach unfassbar!

Kratermeer

Landeanflug

Der Zyklop nahm Fahrt auf. Die Wände des Hangars glitten immer schneller und schneller an ihnen vorbei. Sie stürzten in eine sternenübersäte Finsternis. Rechts unten zeichnete sich die gewaltige spiralförmige Masse der Milchstraße ab. Auf der 9-Uhr-Position ihrer Flugrichtung erstreckte sich die unglaublich prächtige Balkenspirale der Großen Magellanschen Wolke. Der Tarantelnebel, der den Anblick dieser Galaxis von der Erde beherrschte, war von dieser Position aus nicht mehr zu sehen. Aber zahlreiche andere Geburtsstätten neuer Sterne leuchteten in intensiven Rot-, Blau- und Grüntönen - viel kräftiger, als man es von der Erde her gewohnt war. Knud tauchte unter der Intrepid hindurch - zumindest erschien es den Insassen so - weil in ihren Köpfen noch die Position des Hangarbodens gespeichert war. Und dann glitt allmählich ein schimmerndes - weiß, blau, grün und braun leuchtendes - Planetenjuwel in die vor ihnen liegende Flugrichtung: Ein überwältigender Anblick. Ein berauschendes kosmisches Panorama entfaltete sich vor ihnen, das keiner von ihnen jemals wieder vergessen sollte. Die blauen Ozeane, die gleißend weiße, dominante Polkappe, ausgedehnte Waldgebiete und Flussläufe, die vom Gebirge, das die nördliche Eiswüste umgab, hinabströmten sowie enorm große Wüstengebiete, die sich nördlich des Äquators erstreckten. In den links zur Flugrichtung gelegenen Panoramascheiben baute sich gleichzeitig die scheinbar unermesslich hohe Wand von Caeleon II auf, dessen chaotische, fremdartige Wolkenstrukturen im scharfen Kontrast zu den doch stark an die Erde erinnernden Oberflächendetails vom Saphir standen. Alle bewunderten vollkommen atemlos das sich bietende Schauspiel, unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Rechts von ihnen, weit oberhalb der gekrümmten Planetenoberfläche, konnte man überdies noch zwei kraterbedeckte gelblich-bräunliche Monde ausmachen, die den Saphir umkreisten: Fateon und Krhowrah. Beide waren atmosphärenlose, tote Wüsten, die von bis zu 30 Kilometer tiefen Spalten und Rissen durchzogen waren und Relikte einer sehr gewalttätigen Entstehungsgeschichte waren. Und wieder überkam alle zunächst das Gefühl des Verlorenseins, des Hilflos-Ausgeliefert-Seins im Angesicht dieser grandiosen Naturkulisse. Die Probleme, die es auf der Erde gab, und an die sie während ihrer Reise hierher wiederholt gedacht hatten, erschienen ihnen plötzlich wieder einmal in einem anderen Licht: Als belanglose, unwichtige, primitive Ereignisse, die irgendwo weit, weit weg stattfanden und die ohne Bedeutung für ihr Schicksal, geschweige denn die Zukunft des Universums waren. Aber dann überwältigte jeden von ihnen das Gefühl, in eine völlig andere Realität eingetaucht zu sein, eine, die alle ihre Sorgen wegzauberte und sie mit tiefem Frieden und völliger Ausgeglichenheit erfüllte. Und manch einer schämte sich dafür, dass er während des Landeanflugs auf Caeleon II in Todesangst geraten war. Denn rückblickend betrachtet machte es natürlich überhaupt keinen Sinn, erst mühselig und aufopferungsvoll Menschen auf Sol III zu retten, hierher zu bringen und dann auf einem Gasplaneten samt dem Raumschiff in einem selbstmörderischen Crash zu vernichten. Ajaz, Mahmoud, Yossi und Saleh schalten sich selbst jeweils als Dummköpfe. Sie schämten sich sogar dafür, Knud und seiner ehrenwerten Mannschaft so eine Leben zerstörende, sinnlose Aktion unterstellt zu haben. Aber erneut befreite Knud sie aus diesen psychisch belastenden Gedankengängen: „Grämt euch nicht ob der vorhin gezeigten, übernervösen Verhaltensweisen, als wir uns dem Saphir näherten. Denn als ich diese Welt vor langer Zeit das erste Mal mit meinen eigenen Augen sah, bin ich ebenfalls vor Angst fast verrückt geworden. Denn dieser Gasriese wirkt auf Beobachter von seinen Abmessungen so erdrückend, so furchterregend und von seiner Atmosphärenstruktur so bedrohlich, dass jedermann in irgendeiner Weise in seinen Bann gezogen wird.

Jetzt erst nahm Mouad bewusst das seltsame grünblaue Band wahr, das ihm zwar schon aufgefallen war, als sie sich an Bord der Intrepid befanden. Die Faszination der von unermesslichen Stürmen aufgewühlten Atmosphäre hatte ihn vorhin jedoch dermaßen in den Bann gezogen, dass er dieser Struktur zu diesem Zeitpunkt keine intensivere Beachtung geschenkt hatte. Er knuffte seinen Mann in die Seite. Doch dieser wehrte mit einer Handbewegung ab, weil er sich auf den Landeanflug konzentrieren musste. Mouad konnte seine Neugier nicht mehr im Zaum halten und sprach daher den Professor auf dieses eigenartige Etwas an. Aber der schüttelte auch nur verständnislos den Kopf. Diesem Objekt konnte er keinerlei sinnvolle Bedeutung beimessen, denn so einen Himmelskörper konnte er in keine bekannte kosmische Objektkategorie einordnen. Wahid und Mouad glaubten, ausgedehnte Wasserflächen, Wolken und grüne Landmassen zu erkennen. Aber das alles auf einem ringförmigen Gebilde, das so ganz anders aufgebaut war als eine Planetenkugel? So etwas dürfte doch noch nicht einmal ein genügend großes Schwerefeld besitzen, um zu verhindern, dass die Gasmoleküle der offensichtlich dort vorhandenen Atmosphäre einfach in den Weltraum diffundieren. Sie wagten Knud nicht erneut zu belästigen, denn dieser konzentrierte sich noch stets auf seine Flugmanöver.

Immer deutlicher zeichnete sich schräg vor ihnen das bereits von der Intrepid aus bewunderte ausgedehnte, kreisförmige Binnenmeer ab, in dessen Mitte sich eine bewaldete Insel befand. Eine pilzförmige, graue, aschebeladene Eruptionswolke, die an ihrer Spitze von elektrischen Ladungen bekrönt war, zeigte an, dass sich dort vermutlich ein Stratovulkan befand, dessen genaue Abmessungen aus dieser Höhe jedoch mit bloßem Auge nicht ermittelt werden konnten. Pyroklastische Ströme, die sich an den Seiten des Berges hinab wälzten, unterstrichen das zerstörerische Potential dieser geologischen Struktur. Wahid schätzte den Durchmesser dieses Überbleibsels eines gigantischen Meteoriteneinschlags auf etwa 1 200 Kilometer. Wolkenstraßen, wie Perlenschnüre aufgereiht, verliefen breitengradparallel über die Seeoberfläche. Dabei entstand ein beinahe deckungsgleiches Schattenmuster, dass die silbrig-glänzende Reflexion des Sonnenlichtes auf dem Wasser in regelmäßigen Abständen unterbrach. Ganz im Norden, weit, weit weg, konnte man eine riesige, schneebedeckte Gebirgskette erahnen, die einen abrupten Abschluss der Seeoberfläche bildete. Knuds Freunde unterhielten sich leise flüsternd, ganz unter dem Eindruck dieses faszinierenden Landeanflugs. Aber für Kanei war das alles zu viel. Das erste Mal in seinem Leben verspürte er vor einem Erwachsenen Respekt. Denn dieser Knud hatte gegenüber ihm Qualitäten gezeigt, die er noch niemals bei einem Menschen gesehen hatte. Zudem besaß er Kenntnisse, die jede für ihn vorstellbare Dimension sprengten. Seine großspurige, bis zur unerträglichen Arroganz führende Überheblichkeit und Selbstsicherheit schmolz dahin. Seit sehr langer Zeit fühlte er sich als Kind, als hilfloses Geschöpf, das nach Liebe, Zuwendung und Geborgenheit lechzte. Irgend etwas schnürte ihm die Kehle zusammen, ein Gefühl, dass er in dieser Intensität seit langer Zeit nicht mehr erfahren hatte.

Endlich ertönte die beruhigende Stimme der Flugleitstelle in Naroda, dem Raumhafen am Fuße des Polgebirges, wie Knud ihnen erläuterte. Dies bedeutete, dass der Zyklop nun mit Hilfe eines Leitstrahles sicher in den Hangar des Raumhafens geflogen würde. Knud entspannte sich und sah auf die unter ihnen vorbeiziehende Landschaft: Eine offensichtlich unberührte Wildnis aus Seen, mäandrierenden Wasserläufen, Hügeln und kleineren Gebirgsketten, deren Gipfel teilweise über die Vegetationsgrenze hinausragten, breitete sich über ausgedehnte Areale am Westrand des Sees aus.