Der Maik-Tylor verträgt kein Bio - Sophie Seeberg - E-Book
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Der Maik-Tylor verträgt kein Bio E-Book

Sophie Seeberg

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Beschreibung

Familienpsychologin Sophie Seeberg erlebt tragische, rührende und so absurde Dinge, dass sie auch nach zwanzig Jahren Berufserfahrung noch immer nach der versteckten Kamera sucht. Zum Beispiel, wenn eine junge Mutter auf die Nachricht, dass ihre Tochter nicht bei ihr, sondern in einer Pflegefamilie leben wird, strahlend erklärt, das sei gar nicht schlimm, denn sie habe sich ja jetzt schon einen Hund gekauft. Wenn Maik-Tylors Mutter der festen Überzeugung ist, dass ihr kleiner Sohn keinerlei Bio-Produkte vertrage und sie ihn daher ausschließlich von Fast-Food ernährt. Oder wenn sich Lenas Stiefvater vor ihrem leiblichen Vater durch eine Selbstschussanlage im Vorgarten schützt.

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Seitenzahl: 373

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Sophie Seeberg

Der Maik-Tylor verträgt kein Bio

Neues aus dem Alltag einer Familienpsychologin

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

VorwarnungLass ich mir eben ein neues machen …BeratungsstelleUmzugswahnsinnManchmal kann man nix machenFlower-PowerAlphamännchenGefährliches KaffeekränzchenAchtung, Kind hört mitDer Maik-Tylor verträgt kein BioUmgangsverbotVerzichtWir eliminieren Herrn HorstPaul»Everything is going to be fine in the end. If it’s not fine, it’s not the end.« (Oscar Wilde)Ich danke …
[home]

Vorwarnung

Ich möchte dieses Buch mit einer Vorwarnung beginnen:

Achtung, Achtung! Die Geschichten, die ich hier erzählen werde, sind stellenweise traurig und schockierend.

Ich berichte aus meinem Alltag als Sachverständige für das Familiengericht. Eine Arbeit, die ich liebe, die aber auch dramatisch, erschütternd und hin und wieder wahnsinnig frustrierend ist. Ich erlebe tragische, aber auch rührende, schöne und skurrile Momente.

Natürlich werde ich oft gefragt, wie um Himmels willen ich über einen so ernsthaften Job ein humorvolles Buch schreiben kann.

Die Antwort ist ganz einfach: Ich könnte (und wollte) es gar nicht anders schreiben. Und ich könnte den Beruf nicht anders ausüben, ohne verrückt zu werden oder an der gesamten Menschheit zu verzweifeln.

Wenn man nicht aus Stein oder ein Vulkanier ohne Gefühlsregungen ist, dann bringt der Beruf einer Gerichtsgutachterin emotionale Belastungen mit sich, die je nach Fall mal erträglich, aber auch mal kaum auszuhalten sind. Ich habe insbesondere für Fälle, die mich besonders viel Kraft kosten, ein wunderbares Team, das mich berät, auffängt und … mit mir lacht. Wir erzählen uns von skurrilen Situationen aus unserem Arbeitsalltag, gewinnen einen gewissen Abstand und können alle gemeinsam noch einmal kräftig den Kopf darüber schütteln. Und dafür bin ich meinem wundervollen Team unendlich dankbar. Denn ohne diesen Blick für die Absurditäten unseres beruflichen Alltags könnten wir all das, womit wir tagtäglich umgeben sind, kaum aushalten.

Jeder Mensch verarbeitet Stress und emotionale Belastungen anders, und natürlich helfen auch Joggen, Tanzen, lautes Schreien, Meditieren, Bungee-Jumping, Aquarellmalerei, Trommeln, Mit-dem-Kopf-gegen-die-Wand-Rennen oder ein langer Spaziergang mit dem Hund. Ich habe für mich entdeckt, dass ich mit all der Trauer, Wut und stellenweise auch Verzweiflung am besten fertig werde, wenn ich es schaffe, diese ungewöhnlichen Situationen immer mal wieder als Außenstehende zu betrachten.

 

Beim Schreiben habe ich immer wieder die große Sorge, womöglich missverstanden und für herzlos gehalten zu werden. Weder ich noch meine Kollegen haben jemals über Menschen gelacht, die unsere Hilfe brauchten. Trotzdem ist es so, dass diese Menschen uns mitunter in Situationen bringen, die einer gewissen Komik nicht entbehren. Wenn man die Wohnung eines Mannes begutachten soll, der um das Sorgerecht für seinen Sohn vor Gericht gezogen ist, und dann feststellt, dass er in einem Auto am Straßenrand lebt, dann ist das erst einmal alles andere als komisch. Wenn dieser Mann dann aber die Vorzüge dieser Wohnsituation in den blühendsten Farben beschreibt (»auf dem Land direkt im Grünen, mobil, verkehrsgünstig …«), dann fühlt man sich mitunter wie in einem Sketch von Loriot. Dass dem Mann geholfen werden muss, steht ebenso wenig außer Frage wie die Unmöglichkeit, dass sein zehnjähriger Sohn auf die Rückbank des Autos einzieht. Ja, auch wenn die Bierflaschen und Mülltüten entsorgt wurden. Deshalb bleibt das Kind zunächst einmal in der Pflegefamilie, in der es sich glücklicherweise sehr wohl fühlt, und trifft seinen Vater regelmäßig im Jugendamt, wo es nette Räumlichkeiten gibt, die ein bisschen mehr Platz zum Spielen und Unterhalten bieten.

Und ich kann Ihnen versichern, ich bin nicht die einzige Sachverständige, der groteske Dinge passieren. Eine Kollegin schrieb mir kürzlich, dass sie so glücklich sei, meine Bücher an Freunde und Familie verschenken zu können. Endlich würden diese Menschen einen besseren Einblick in ihren Beruf bekommen. Sie fügte hinzu, soeben einen Fall abgeschlossen zu haben, in dem eine Mutter ihre anderthalbjährigen eineiigen Zwillinge nicht auseinanderhalten konnte und sie daher lediglich »die eine da« und »die andere da« nannte. Dieses Unvermögen hatte zur Folge, dass »die eine da« zum Orthopäden gebracht wurde, bei dem aber »die andere da« einen Termin hatte, welche wiederum zweimal gefüttert worden war, während »die eine da« gar nichts bekommen hatte.

In einer anderen E-Mail wurde mir von einer sogenannten flexiblen Erziehungshilfe berichtet, die in der Erfüllung ihres Auftrages so flexibel war, dass sie kurzerhand mit dem Ehemann des zu betreuenden Elternpaares durchgebrannt war.

Suse aus meinem Team berichtete neulich von einer Mutter, die als Prostituierte arbeitet – was ja an sich erst einmal kein Problem darstellt. Auch dass die Mutter beim ersten Termin eine Hausführung durch den Swingerclub machte, dessen Teilhaberin sie demnächst werden wollte, ließ sich noch halbwegs darstellen. Skurril wurde es, als die Mutter dann Suse – also die Frau, die sie begutachten und dabei feststellen sollte, ob sie erziehungsfähig ist – fragte, ob sie sich vielleicht auch des Abends etwas nebenbei verdienen wolle. Sie habe nämlich wirklich außergewöhnlich schöne Brüste und würde hinter der Bar eine tolle Figur machen. Die ausladenden Hüften würde man da nämlich nicht so sehen, denn der Tresen gehe bis über den Bauchnabel. Na vielen Dank.

Ein Kollege erzählte von einem Begutachtungstermin, bei dem ihm die Kindesmutter erklärte, sie sei ein Medium und müsse nur eben schnell noch eine Séance abhalten. Die Geister hätten irgendwas Wichtiges mitzuteilen und ob er sich so lange bitte um Leif kümmern könne. Leif war ein handzahmes Opossum, das sie ihm daraufhin auf den Schoß plazierte. Sie versprach, die Geister darum zu bitten, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, und danach sei sie aber dann ganz für ihn da.

 

Die Geschichten, die Sie in diesem Buch vorfinden, sind natürlich keine repräsentative Auswahl an Fällen und spiegeln nicht den Alltag einer Gutachterin wider. Ich treffe nicht bei jedem Fall auf Mütter, die absolut sicher sind, dass ihr Sohn keinerlei Bioprodukte verträgt. Oder auf eine Mutter, die etwas zu spät feststellt, dass sie statt eines Kindes doch lieber einen Hund will.

Und natürlich gibt es viel zu viele Fälle, in denen sich die Eltern auch nach einem Gutachten und Gerichtsurteil weiterstreiten und damit ihre Kinder schwer belasten. Fälle, in denen die Eltern gerade so »nicht schlimm genug« sind, um ihnen das Sorgerecht zu entziehen. Bei denen man sich aber fragen muss, ob die Chancengleichheit in unserem Land wirklich für alle gegeben ist: Denn diese Kinder brauchen eine irrsinnige Menge an Kraft, um mit ihren Eltern klarzukommen …

All das und noch mehr Erschütterndes gibt es, und es macht einen Großteil unserer Arbeit aus. Aber daneben erlebt man auch Fälle, die gut enden und in denen man viel mehr Liebe, Güte und versteckte Fähigkeiten findet, als es die Gerichtsakte zunächst vermuten ließ.

Außerdem ist es mir nach wie vor ein Anliegen, das Klischee der »Frau vom Amt« wenigstens ein bisschen zu entkräften.

Da ich vor meiner Zeit als Gerichtsgutachterin in einer Beratungsstelle für Familien- und Lebensfragen gearbeitet habe, kann ich auch aus dieser Zeit ein paar Dinge schildern, die mir bis heute im Gedächtnis geblieben sind.

Doch auch dabei war mir wichtig, Geschichten auszuwählen, die letztendlich hoffnungsvoll enden und das Gefühl vermitteln, dass sich immer eine Lösung finden lässt, wenn die Menschen an einer solchen interessiert sind.

Ich bin es nach wie vor, jedes Mal aufs Neue. Die Kinder, um die es letztlich immer in erster Linie gehen sollte, haben es mehr als verdient.

[home]

Lass ich mir eben ein neues machen …

Jennifer Scheller war eine Woche bevor ich sie kennenlernte neunzehn geworden, sah aus wie Ende zwanzig und benahm sich wie fünfzehn.

Es war unglaublich schwierig gewesen, mit ihr einen Termin zu vereinbaren, weil es ihr entweder »gerade nicht so passte«, sie »da aber einen wirklich sehr wichtigen anderen Termin« hatte oder »einfach so viel los war«, dass sie die Verabredung mit der Frau Sachverständigen »vor lauter Stress vergessen« hatte.

Der wichtige Termin entpuppte sich später als ein Einkaufsbummel mit ihrer besten Freundin »Jacky« und der »Stress« als Planung der eigenen Geburtstagsparty.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen einer Terminvereinbarung telefonierte ich mit der zuständigen Richterin, Frau Hofer. Ich informierte sie, dass ich im Fall Scheller nicht weiterkam beziehungsweise mit der Begutachtung noch gar nicht hatte beginnen können.

Da es neben Jennifer auch um ihre sechs Monate alte Tochter Samanta ging, war Eile geboten. Das Baby war vom Jugendamt wegen akuter Kindeswohlgefährdung aus dem Haushalt der Mutter herausgenommen worden. Der Kindesvater war zwar bekannt, hatte aber schon vor der Geburt verkündet, sich weder um das Kind noch um die Mutter kümmern zu können und zu wollen. Zur Sicherheit war er vor einigen Monaten an das andere Ende von Deutschland gezogen und hatte es doch glatt versäumt, seine neue Anschrift mitzuteilen. So was.

Frau Schellers Eltern waren zwar finanziell gut betucht und unterstützten ihre Tochter in dieser Hinsicht sehr, hatten aber auf Nachfrage des Jugendamtes erklärt, sich keinesfalls um ihr Enkelkind kümmern zu können. Sie hätten schließlich schon ein Kind großgezogen, und nun müsse es »auch mal« um ihre Bedürfnisse gehen. Für ein Kind gebe es definitiv keinen Platz in ihrem Leben. Und so befand sich Baby Samanta nun in einer Bereitschaftspflegefamilie, wo es aber nicht dauerhaft würde bleiben können.

 

Wenn wir Sachverständigen einen Gutachtenauftrag erhalten, in dem es um etwa sechs Monate alte Kinder geht, die in Bereitschaftspflegefamilien leben, dann greifen wir, wie auf Autopilot, zum Terminkalender, blättern wild darin herum, tippen mit der anderen Hand die erste von vielen Telefonnummern ein, und während es am anderen Ende tutet, hacken wir schon diverse Mails in die Welt. In solchen Fällen müssen wir uns nämlich tatsächlich noch mehr beeilen als ohnehin schon. Kinder, die jünger sind als etwa acht Monate – hier kommt es auf den Entwicklungsstand der Kinder beziehungsweise auf deren Entwicklung von emotionalen Bindungen an –, haben nämlich eine gute Chance, aus dem ganzen Hin und Her einigermaßen unbeschadet hervorzugehen. Und diese Chance muss man nutzen. Unbedingt!

Kinder sollten sich natürlich immer so kurz wie möglich in Bereitschaftspflegefamilien aufhalten. Ganz egal wie alt sie sind. Denn ein Kind, das sich in einer solchen Pflegefamilie befindet, hat ja schon einmal seine Bezugspersonen verloren und muss diesen Verlust beim Wechsel in die dauerhafte Pflegefamilie noch einmal durchmachen. Das bedeutet jedes Mal eine extreme emotionale Belastung für das Kind. Auch dann, wenn diese Bezugspersonen massive Defizite in der Erziehungsfähigkeit hatten und es dem Kind objektiv gesehen ohne sie deutlich bessergeht. Ein Verlust von Bindung ist immer schlimm.

Babys aber sind bis zu einem gewissen Entwicklungsstand in der einmaligen Lage, einen Wechsel der Bezugsperson vergleichsweise gut verkraften zu können.

Baby Samanta war nun glücklicherweise genau in diesem Alter. Wenn ich sehr schnell mit meiner Begutachtung war, das Gericht dann ebenfalls zügig terminierte und die Anwälte das Verfahren nicht unnötig verzögerten (ja, auch das musste ich schon erleben), konnte Samanta trotz ihres nicht ganz so erfreulichen Lebensstarts Glück haben.

Also malte ich einen dicken roten Punkt in meinen Kalender. An diesem Tag musste ich mit der Begutachtung und dem Schreiben des Gutachtens fertig sein. Und ich war fest entschlossen, das auch zu schaffen.

Generell sollten sich natürlich alle Beteiligten in gerichtlichen Verfahren bemühen, die unangenehme Zeitspanne zwischen Verfahrensbeginn und -ende für Kinder möglichst schnell in einer klaren Entscheidung enden zu lassen, damit sie sich ganz bald in sicheren Lebensverhältnissen wiederfinden. Ganz egal ob es »nur« um die Regelung des Umgangs oder eben um die Frage geht, wo das Kind zukünftig leben wird.

Manchmal geht es allerdings nicht so schnell wie erhofft, gewünscht oder notwendig. Da sind Anwälte in Urlaub, Richter verhindert, neue Schriftsätze geschrieben, die beachtet werden müssen. Das gilt natürlich auch für Sachverständige, die zum einen eine gewisse Weile brauchen, um die Fragestellung des Gerichts beantworten zu können, und die zum anderen teilweise schlicht und ergreifend arbeitsmäßig überlastet sind.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen es gar nicht so schlimm ist, wenn eine Begutachtung eine gewisse Zeit dauert. Manchmal lassen sich dann nämlich mit allen Beteiligten Lösungen finden, die bei einer schnelleren Bearbeitung noch nicht hinreichend gereift und damit unmöglich gewesen wären.

Meist ist es allerdings so, dass die Beteiligten – Kinder wie Eltern – unter der unklaren Situation massiv leiden und das Gerichtsverfahren so schnell wie möglich zum Abschluss gebracht werden sollte. Im Falle von Baby Samanta gab es nun die Chance, dass sie, von alldem recht unbeeindruckt, in einigen Wochen entweder bei ihrer Mutter oder in einer Dauerpflegefamilie ein gutes Leben ohne Bindungsstörung würde haben können.

War ich zu langsam, bestand die Gefahr, dass Samanta eine Bindung zu ihren Bereitschaftspflegeeltern aufbaute. Im schlimmsten Fall würde das Kind unter dem Verlust dieser Bezugspersonen dann ein Leben lang leiden, und ich wäre quasi schuld daran.

Was für eine furchtbare Vorstellung!

Entsprechend vehement erklärte ich der zuständigen Richterin, dass ich dringend einen Termin mit der Kindesmutter Jennifer Scheller benötigte, aber leider ein ums andere Mal scheiterte. Also bat ich um Hilfe und ihr Einverständnis, mich direkt mit Jennifers Anwalt in Verbindung setzen zu dürfen.

Ich durfte.

Und freute mich, dass es sich um meinen Lieblingsanwalt Herrn Kuben handelte.

Es war immer schön, ihn dabeizuhaben. Ob als Anwalt oder Verfahrenspfleger.

Wenn Herr Kuben als Verfahrenspfleger auftrat, also als Anwalt des Kindes, konnte ich sicher sein, einen wunderbaren Verbündeten in ihm zu haben. Aber auch als Anwalt eines Elternteils hatte er immer das Wohl der Kinder im Blick – und war im Gegensatz zu so manchem seiner Kollegen sehr gut in der Lage, zu erkennen, wenn er im Sinne der Kinder mal ein ernstes Wort mit seinen Mandaten reden sollte. Das tat er dann auch. Natürlich macht es bei den Eltern ziemlich Eindruck, wenn sogar der eigene Anwalt erklärt, man solle gefälligst auf die Sachverständige hören. Alles andere mache gar keinen Sinn, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt und überhaupt Quatsch.

Ich mag Herrn Kuben.

So war ich also guter Dinge, als ich ihn anrief und berichtete, dass seine Mandantin einfach keine Zeit für einen Termin mit mir zu haben schien.

»Ja, das gibt’s ja wohl nicht!«, polterte er auch gleich los. »Das haben wir gleich, Frau Seeberg. Einen Moment, bitte.«

Er legte auf und meldete sich tatsächlich nur wenige Minuten später zurück. »So, das hätten wir.« Ich konnte spüren, dass Herr Kuben zufrieden grinste. »Sie können Frau Scheller jetzt auf ihrem Handy erreichen. Sie wird einem baldigen Termin zustimmen und dann auch vor Ort sein.«

»Danke schön, Herr Kuben. Was würde ich nur ohne Sie machen?«

Er lachte sein fröhlich dröhnendes Lachen. »Danken Sie mir nach dem Termin. Die Frau Scheller, also … die ist schon … sehr speziell, irgendwie. Wir sprechen uns.«

Was auch immer Herr Kuben der jungen »irgendwie sehr speziellen« Mutter gesagt hatte, es zeigte Wirkung: Frau Scheller erklärte sich zu einem Termin am nächsten Vormittag bereit –und war auch tatsächlich zu Hause, als ich klingelte.

Ich schickte in Gedanken noch ein Dankeschön an Herrn Kuben und trat in einen (Alp-)Traum aus Diddl.

 

Frau Scheller bewohnte ihre kleine Einzimmerwohnung zusammen mit bestimmt hundert Diddl-Mäusen. Oder noch mehr? Es war wirklich schwer einzuschätzen. Die dickfüßigen Mäuse saßen in Regalen, auf dem Sofa, den Fensterbrettern und dem Fernseher. Sie baumelten an der Vorhangstange, grinsten von diversen rosafarbenen Plakaten und hatten überhaupt die gesamte Wohnung fest im Griff. Mir wurde erst jetzt wirklich bewusst, wie viele Gebrauchsgegenstände es im Diddl-Design offenbar zu kaufen gab. Stifte, Blöcke und Radiergummis waren mir ja aus dem Schreibwarenladen bekannt, und auch Kissen, Tassen oder Federmäppchen gehörten sozusagen zu den Klassikern. Aber dass es auch Wanduhren, Buchstützen, Blumenübertöpfe und Teppichvorleger mit dem klumpfüßigen Cartoon gab, war meiner Aufmerksamkeit bislang angenehm entgangen.

Ich habe den Hype um die Diddl-Maus nie verstanden. Ich fand schon immer, dass diese zumeist debil grinsende Maus aussah, als hätte sie eine furchtbare Krankheit, die ihre Füße und Ohren auf groteske Weise extrem anschwellen ließ. Sie tat mir zwar leid, aber eben auch nicht so sehr, dass ich sie in meine Wohnung gelassen hätte.

Frau Scheller bewies allerdings auch ansonsten eine ganz erstaunliche Konsequenz. Denn was nicht diddlmausig besetzt war, passte trotzdem perfekt in die Diddl-Welt. Der Rest der Wohnung war nämlich pink.

Gut, stellenweise blitzte auch mal etwas Weiß oder ein verwegenes Lila hindurch, aber sonst hatte sich Frau Scheller erfolgreich auf Pink beschränkt.

Natürlich darf sich jeder mit den Farben umgeben, die er mag. Ich persönlich empfinde die Farbe Pink als … na ja, zu »laut«.

Für die meisten Sechs- bis Dreizehnjährigen wäre Frau Schellers Wohnung aber der absolute Traum gewesen.

Neben dem Diddl-Wahnsinn und den pinkfarbenen Möbeln gab es Sofakissen mit Flauscheherzchen drauf, massenweise Glasdosen mit Süßigkeiten wie in einem Kiosk, einen Kristallkronleuchter, der einem Disney-Schloss alle Ehre gemacht hätte, ein märchenhaftes Himmelbett, eine gigantische Kleiderstange mit unzähligen – ja, genau – rosa- und pinkfarbenen Kleidern und sogar einen überdimensionalen Schminktisch mit ebensolchem Spiegel und einer Unmenge an Töpfchen, Fläschchen, Pinselchen und diversen Dingen, die ich nur aus Zeichentrickfilmen oder von den Covern einschlägiger Mädchenzeitschriften kannte.

Ein Blick auf Frau Scheller selbst genügte, um zu wissen, dass sie die meiste Zeit des Tages auf dem pinken Plüschhocker vor dem Schminktisch saß und all die geheimnisvollen Dinge benutzte, die darauf herumlagen.

Sie sah mit ihren blonden langen Haaren, den blauen Kulleraugen und ihrem rosa Kleidchen aus wie eine Barbiepuppe.

Wie eine ziemlich geschminkte Barbiepuppe.

Mit überproportionaler Oberweite.

Es fiel mir schwer, woanders hinzusehen als auf beziehungsweise in Frau Schellers Dekolleté.

Irgendwie sah sie doch eher aus wie Jessica Rabbit, die Cartoonfigur. In blond.

»Hi«, sagte Barbie Jessica und produzierte mit gelangweilter Miene eine gigantische Kaugummiblase.

So war ich definitiv noch nie begrüßt worden.

Die Kaugummiblase platzte, wurde lautstark wieder in den Mund geknautscht, erschien erneut und wurde interessiert begutachtet, während Jessica sie zwischen die Finger nahm und gegen das Licht hielt. Zufrieden wandte sie sich mir zu.

»Die ist super geworden.« Sie hielt mir die Kaugummiblase vor die Nase. »Hubba Bubba sind die besten, sag ich immer. Mit denen kann man echt super Blasen machen.« Sie stopfte sich das inzwischen erschlaffte Gebilde wieder in den Mund und ging mir voraus zur Kochnische.

»Wollen Sie auch ’ne Cola?«

»Nein danke. Aber ein Wasser wäre nett.«

»Wasser? Echt jetzt?!« Ihre Kulleraugen wurden noch kullriger. »So was hab ich nicht.«

»Kein Problem. Leitungswasser tut es auch.«

»So aus dem Hahn oder wie? Im Ernst?« Fassungslosigkeit machte sich auf ihrem Gesicht breit.

Ich nickte und merkte Frau Scheller an, dass sie mich für sehr verschroben, wenn nicht sogar für verrückt hielt.

Ich bin mir sicher: Wenn irgendwann ein Wasserhahn erfunden wird, der mittels diverser Kapseln das Wasser beliebig einfärben kann, wird er reißenden Absatz finden. Vielleicht melde ich demnächst das Patent darauf an. Meine erste Käuferin wird Frau Scheller sein: einmal das »Pink Princess Pack« mit Hahnaufsatz und hundert pinken Färbekapseln zum Vorzugspreis.

Während ich die junge Frau und ihre beiden Brüste über den Ablauf der Begutachtung und deren Rahmenbedingungen informierte, stellte Frau Scheller ein Diddl-Glas mit dem Aufdruck »Hab dich lieb« vor mich auf den Tisch und goss sich selbst ihre Cola in eine Tasse, auf der eine irre grinsende Diddl-Maus verkündete, sie sei »die beste Mama der Welt«.

Womit wir ja schon wunderbar beim Thema waren.

»Frau Scheller …«, begann ich.

»Boah«, wurde ich mit genervt nach oben gerollten Augen unterbrochen. »Können Sie mal aufhören, Frau Scheller zu mir zu sagen? Da fühl ich mich ja voll alt. Ich bin die Jennifer, und ich hasse es, wenn ich gesiezt werde.«

»Okay, wenn das für Sie, äh … für dich angenehmer ist, dann sage ich Jennifer und du.«

»Japp. Ist besser so«, erklärte sie, stand noch einmal auf, um sich einen rosa Glitzerstrohhalm zu holen, und ließ sich dann mit einem zufriedenen »So!« wieder auf ihren Stuhl plumpsen.

Mit einiger Anstrengung versuchte ich, nicht auf ihr fast schon absurd gigantisches Dekolleté, sondern in ihre blauen Augen zu schauen. Dabei fragte ich mich umgehend, ob ihr Schlafzimmerblick schlicht und ergreifend eine Folge der Unmenge an Wimperntusche war, die sie sich zusätzlich zu den offenbar unechten Wimpern ins Gesicht geklatscht hatte. Sie schien Schwierigkeiten zu haben, die Augen offen zu halten.

»Jennifer, in meiner Akte steht, dass du Samanta noch nicht ein einziges Mal besucht hast, seit sie in der Bereitschaftspflege …«

Ich wurde von einem erneuten »Boah!« unterbrochen. Jennifer hatte die Arme verschränkt und die Unterlippe vorgeschoben. »Ich find das voll gemein!«

Ich wartete.

Nichts.

»Was findest du gemein, Jennifer?«

»Pffff!« Sie drehte mit einem gekonnten Miss-Piggy-Schwung ihren Oberkörper zur Seite und sah mit verkniffenem Mund von mir weg.

Ich beschloss zu warten. Das würde sie nicht lange durchhalten.

Und tatsächlich wandte sich Jennifer nach kurzer Zeit wieder zu mir und funkelte mich böse an. »Das ist so was von gemein, das alles hier!«

Die Diskrepanz zwischen Jennifers aufgemotzter Erscheinung und ihrem kindlichen Verhalten war frappierend.

»Was genau meinst du? Dass Samanta in einer Bereitschaftspflegefamilie ist?«

»Ja, zum Beispiel das. Sie ist mein Kind, und deshalb kann ich mit ihr ja wohl machen, was ich will! Ich meine, ich hab die ja nicht gehauen oder so was. Also echt! Und dann kommt da so eine Tante und nimmt mir einfach mein Kind weg. Das ist doch wohl voll gemein, oder nicht? Oder wie würden Sie das finden, wenn da einfach jemand kommt und Ihnen Ihre Sachen wegnimmt? Das macht man doch nicht!«

Sie hatte tatsächlich »Sachen« gesagt. Jennifer regte sich noch eine Weile auf, wie ungerecht und gemein das alles war, hörte dann aber abrupt auf, weil sie begonnen hatte, sich ihre Fingernägel mit stinkendem Glitzerzeug zu lackieren. Offenbar benötigte sie ihre ganze Aufmerksamkeit nun dafür.

Ich machte einen neuen Versuch: »Ich kann gut verstehen, dass du es blöd findest, dass Samanta bei einer Pflegefamilie ist. Aber ich weiß jetzt noch immer nicht so recht, warum du sie bisher nicht besucht hast. Sie ist ja immerhin schon ein paar Wochen weg.«

»Kein Bock gehabt vielleicht?«, fragte Jennifer ebenso rhetorisch wie genervt und pustete ihre Fingernägel trocken.

Spätestens jetzt war mir klar, was Herr Kuben mit »speziell« gemeint hatte, und ich beschloss, ihn nachher direkt anzurufen, um mich für die nicht erfolgte Vorwarnung herzlich zu bedanken. Dann versuchte ich mir diesen großen Mann in Jennifers Barbiewohnung vorzustellen und musste bei der Vorstellung von Herrn Kuben im pinkfarbenen Plüschsofa in mich hineingrinsen. Ich nahm einen Schluck Wasser. Es schmeckte nach Glitzernagellack.

»Weißt du, Jennifer, ich kenne die ganze Geschichte ja nur aus der Akte, die ich vom Gericht bekommen habe. Magst du mir nicht einfach mal aus deiner Sicht erzählen, was passiert ist?«

»Ja, klar. Kann ich machen.«

Jennifer griff nach ihrem Handy (mit rosa Glitzerhülle. Überraschung), las eine Nachricht und fragte: »Macht es Ihnen was aus, wenn die Jacky vorbeikommt? Wir waren ja eigentlich zum Shoppen verabredet jetzt und so.«

Ich atmete tief durch.

Immerhin hatte Jennifer gefragt, ob ihre Freundin vorbeikommen könnte, und sie nicht einfach eingeladen. Das war ja schon mal … was.

Natürlich konnte Jacky jetzt nicht vorbeikommen.

»Wann kann ich denn dann los?«, maulte Jennifer.

Ich kam mir vor, als würde ich mit meiner pubertierenden Tochter sprechen. Ganz ruhig erklärte ich ihr, dass sie sich jetzt schon noch eine Stunde Zeit nehmen müsse.

»Maaaaaann …«, stöhnte sie und verdrehte die Augen.

Dann tippte sie, begleitet von noch so einigen »Woooooah«-Seufzern, eine Nachricht an Jacky und sah mich dann trotzig an.

»Hab ich ihr geschrieben. Zufrieden?«

Ich nickte und bat sie noch einmal, mir doch einfach zu erzählen, wie sich die Situation für sie darstellte.

»Sie wollen meine Seite hören?« Ich nickte.

»Sie wollen also echt meine Seite hören? Ja?«

Erstaunlich, wie schnell sich ihre Stimmung und ihr Tonfall ändern konnten. Jennifer klang nun regelrecht aggressiv. Eine total genervte Barbie mit Wutsonderfunktion. Sie würde bestimmt gleich Blitze aus ihren Augen schießen und aus den Ohren qualmen oder so. (Falls es so was noch nicht gibt, sollte ich auch darauf ein Patent anmelden.)

»Ich sag Ihnen mal meine Seite!«, schnauzte sie mich an. »Diese Tussi mit dem schlechten Klamottengeschmack und dem grauen Haaransatz ist hier reingekommen, hat mir blöde Fragen gestellt, an meiner Samanta rumgefummelt und sie dann einfach mitgenommen! Die spinnt doch total, die Alte! Ist ja wohl schließlich mein Baby! Und dann kommt die an und klaut einfach mein Kind! Das ist echt voll gemein! Ich hab da auch schon bei RTL angerufen und gesagt, dass die da mal wen schicken sollen. Dann wird das im Fernsehen gezeigt, und dann kriegt die aber Ärger, die Alte!«

Offensichtlich war Jennifer der Ansicht, RTL könne ihr besser helfen als das Familiengericht.

Das ist in gewissen Kreisen eine durchaus verbreitete Sicht der Dinge. Und je nach individueller Zielsetzung möglicherweise auch gar nicht so verkehrt. Beispielsweise wenn es darum geht, seinem Ärger mal ordentlich Luft zu machen, ein paar Leute anzupöbeln und/oder einfach mal ins Fernsehen zu kommen.

Falls die Zielsetzung jedoch eine juristisch einwandfreie Klärung der Situation sowie eine langfristig kindeswohldienliche Regelung ist, dann ist es wenig sinnvoll, sich mit einem Anliegen an RTL und Co. zu wenden. Es ist sogar irgendwie … sagen wir mal, kontraproduktiv.

»Jennifer, was glaubst du denn, weshalb Samanta in eine Bereitschaftspflegefamilie gebracht wurde?«

Das erwartete »Booah!«, Augenverdrehen und beleidigte Herummotzen blieb überraschenderweise aus.

Es gab auch kein Kaugummigekaue oder Auf-dem-Handy-Herumgetippe. Jennifer sah mich sehr ernst und hochkonzentriert an. Diese plötzliche Veränderung war regelrecht gruselig. Mit einem Mal wirkte Jennifer sehr erwachsen und wie jemand, der genau wusste, was er wollte.

Sie schloss kurz die Augen, atmete tief ein und sah mich dann mit einem irgendwie unheimlichen Lächeln an.

Sie beugte sich zu mir und erklärte mit tiefer eindringlicher Stimme: »Ich glaube, das hatte überhaupt nichts mit mir zu tun, wissen Sie.« Jennifer machte eine Pause und atmete noch einmal tief durch. Ihr Lächeln verschwand, und sie sah regelrecht gefährlich aus, als sie mit starrem Blick und kinskihafter Stimme flüsterte: »Es hat nur etwas damit zu tun, dass diese Dame vom Jugendamt eine frigide Kuh ist, die noch nie so richtig durchgefickt wurde. Das glaube ich.«

Jennifer lächelte nun ein Mona-Lisa-Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte, und ich überlegte, ob ich es mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung zu tun hatte.

Möglich wäre es.

Und im Moment auch eine wirklich sinnvolle Erklärung. Vielleicht wohnten in Jennifer eine spätpubertierende Barbie, eine Jessica Rabbit, eine Miss Piggy und irgendein Vampirmädchen aus einem beliebigen Twilight-Roman. Und alle durften abwechselnd mal ans Mikro. Ich überlegte, wie ich auf die Schnelle ein psychiatrisches Zusatzgutachten herzaubern konnte.

Da brach Jennifer plötzlich in heilloses Gelächter aus. Sie kriegte sich gar nicht mehr ein, und ich verstand durch ihr Gepruste nur »Sie hätten mal Ihr Gesicht sehen sollen« und »Wollt ich immer schon mal sagen, so was«.

Um Himmels willen.

Das war keine multiple Persönlichkeitsstörung.

Aber ein normales Gespräch war mit Jennifer dennoch kaum möglich. Ich unterdrückte den üblichen Impuls, den Raum insgeheim nach Kameras oder einer doppelten Wand abzusuchen, hinter der jeden Moment ein penetrant fröhlicher Verstehen Sie Spaß?-Moderator hervorbrechen würde, und versuchte stattdessen, anders zu der jungen Frau durchzudringen.

»Hör mal, Jennifer, die Sache ist die: Deine Tochter ist gerade in einer Bereitschaftspflegefamilie, weil das Jugendamt und auch das Gericht der Ansicht waren, dass du sie nicht ausreichend versorgst.«

»Booooah! Das stimmt ja voll nicht! Die Alte hat ja nur …«, maulte sie erwartungsgemäß dazwischen.

»Stopp!« Ich schaute sie streng an.

Sie schaute erstaunt zurück.

»Mag sein, dass das für dich alles irgendwie lustig ist oder es dir auch ein bisschen egal ist, aber für Samanta ist es das nicht. Und für mich auch nicht.«

Jennifer kaute auf ihrer Unterlippe herum und stopfte sich dann zwei weitere Hubba Bubbas in den Mund. Sie war erst einmal mit Kauen beschäftigt, und so hatte ich die Gelegenheit, ihr noch einmal ohne »Boooah«-Unterbrechungen zu erklären, um was es hier ging. Ich wollte sichergehen, dass sie die Zusammenhänge verstand. Und im Moment war das noch nicht der Fall.

»Ich erklär dir das jetzt noch mal in Kürze: Das Jugendamt hat gesagt, dass Samanta bei dir nicht gut aufgehoben ist und sie deshalb sofort in eine Bereitschaftspflegefamilie muss. Das macht das Jugendamt nicht grundlos, sondern nur, wenn ein Kind wirklich in Gefahr ist. Du hast gesagt, dass es ihr bei dir sehr wohl gutging und du sie wiederhaben willst. Die Richterin hat deshalb mich beauftragt, zu schauen, ob Samanta zu dir zurückkann oder nicht. Verstehst du das?«

»Ja, klar, aber …«, maulte Jennifer.

»Kein Aber!« Ich war fest entschlossen, das Gespräch nicht wieder in ein Ist-ja-voll-gemein-Gefasel abdriften zu lassen.

»Wenn Samanta wieder zu dir zurücksoll, muss ich sicher sein können, dass es ihr bei dir auch wirklich gutgeht.«

»Boah, ihr geht’s gut bei mir! Die war immer total happy!«

»Als das Jugendamt sie zur Bereitschaftspflegefamilie gebracht hat, war Samanta verdreckt, wund und dehydriert. Sie war in Lebensgefahr, Jennifer! Sie wäre beinahe gestorben!«

Hatte Jennifer jetzt gerade so etwas wie eine Gefühlsregung gezeigt? Oder hatte ich nur einen weiteren Seufzer überinterpretiert? Ich sprach weiter in eindringlichem Tonfall: »Wenn das Jugendamt sie nicht mitgenommen hätte, dann wäre sie jetzt wahrscheinlich tot!«

Okay, das war drastisch, aber es entsprach der Wahrheit. Ich hatte das Gefühl, anders nicht zu Jennifer durchzudringen.

Die lehnte sich mit grimmigem Blick zurück und verschränkte die Arme unter der Brust. Vor der Brust war technisch nicht möglich, und so wirkte das Ganze, als wolle Jennifer mir ihre Oberweite zur Begutachtung näherbringen.

»Aber sie ist meine Tochter. Ich will sie sofort zurück!«

Ich erwiderte ihren trotzigen Blick und fragte umso ruhiger: »Aha. Und warum?«

»Hä?« Jennifer sah mich verdutzt an. Dabei stand ihr Mund leicht offen, und für einen Moment dachte ich wirklich, sie hätte sich auch die Zunge pink gefärbt. Es war aber doch nur der pinkfarbene Kaugummi.

Ich zuckte mit den Achseln: »Na ja, warum willst du sie zurück? Ich meine, es gibt keine Anzeichen dafür, dass du sie vermisst oder dich um sie sorgst. Du hast sie nie besucht und erkundigst dich auch nicht danach, wie es ihr geht. Also frage ich mich, warum du sie zurückhaben willst.«

»Sind Sie bekloppt? Weil sie meins ist. Sag ich doch!«

»Gibt es denn noch einen anderen Grund?«

Ich hatte noch immer die Hoffnung, dass irgendwo hinter ihrem pubertären Getue und ihrem Desinteresse etwas schlummerte, was wir wecken konnten, um Jennifer doch noch eine Chance auf ein Zusammenleben mit Samanta zu geben. Mit Hilfe selbstverständlich. Derzeit sah es aber nicht danach aus, als müsste ich überhaupt darüber nachdenken, ob und, wenn ja, inwiefern Jennifer Scheller eine Hilfe würde annehmen können.

»Sie gehört mir. Das reicht ja wohl als Grund!«

»Nein, Jennifer, das reicht nicht als Grund.«

»Doch!!«

»Nein, das …«

»Doch!!!«

Ich atmete tief durch.

»Jennifer, wenn es jetzt so wäre, dass Samanta nicht zu dir zurückkommen kann, dann …«

»Dann weiß ich auch schon, was ich mache!«

Sie schaute mich triumphierend an, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie ein »Ätschibätsch« hinzugefügt hätte.

»Dann lass ich mir einfach ein Neues machen! Nämlich! Das ist der Dings, der Cousine oder wer das war, von der Jacky auch schon passiert. Die hat auch einfach ihr Kind weggenommen bekommen. Voll grundlos! Tja, und dann hat sie sich eben einfach ein Neues machen lassen. So! Und das mach ich dann auch. Nämlich!!«

Nun schaute ich verdutzt. Das war eine ganz neue Qualität von Gefühlsverrohung.

Irgendwoher holte ich dann doch noch einmal die Motivation für einen erneuten Anlauf: »Weißt du, Jennifer, ich will ja herausfinden, ob es vielleicht eine Möglichkeit gibt, dass Samanta zu dir zurückkommen kann. Du könntest eine Hilfe annehmen. Oder du …«

»Neeee, lassen Sie mal!« Jennifer winkte lässig ab und produzierte eine beeindruckend große Hubba-Bubba-Blase. »Ich hab da echt keinen Bock mehr drauf. Nachher muss ich dauernd so Termine haben wie mit Ihnen oder so. Das ist mir zu doof.«

Sie lächelte ein wenig. »Also, nix für ungut. Ich hab ja nix gegen Sie persönlich, aber ich will halt schon lieber meine Zeit mit der Jacky oder so verbringen. Verstehen Sie das jetzt nicht falsch, aber die ist eben mehr so meine Wellenlänge.«

Sie lächelte und begann recht zufrieden, auf ihrem Handy herumzutippen. Wahrscheinlich, um Jacky mitzuteilen, dass sie nun fertig sei mit der Gutachtentante und bereit für eine ausgiebige Shoppingtour.

»Bist du denn wirklich sicher, dass du genau weißt, was …«, setzte ich an, doch ich wurde abermals direkt unterbrochen.

»Ich weeeeiiiß das alles. Ich bin doch nicht blöhöd.«

Nicht? Ich war mir da irgendwie gar nicht soooo sicher. Das sagte ich natürlich nicht, aber offenbar sprach mein Blick Bände.

»Nee, echt jetzt«, ratterte Jennifer weiter, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Wissen Sie, ich hab das schon kapiert. Echt. Die Jugendamttusse glaubt, dass Samanta jetzt tot wäre, wenn sie sie nicht in dieses Bereitschaftsdings gebracht hätte, und überhaupt meinen alle, dass es der Samanta bei mir nicht gutgegangen wäre. Und ich soll jetzt irgendwas sagen oder machen, damit das keiner mehr meint, sonst kann die Samanta nicht wieder zurück zu mir.«

Das hatte sie wirklich erstaunlich gut zusammengefasst. Auf ihre Art.

Also nickte ich. »Ja, so ähnlich …«

»Sehen Sie!«, unterbrach sie mich. »Und genau da hab ich keinen Bock drauf. Das ist mir viel zu blöd, und von mir aus kann die Samanta dann eben in dem Bereitschaftsdings bleiben oder in so eine andere Familie gehen. Ich lass mir einfach ein neues Kind machen, und gut ist.« Sie sah mich herausfordernd an.

»Jennifer, bist du dir sicher, dass du das willst? Ich meine, du hast selbst gesagt, Samanta ist deine Tochter und …«

»Jaaahaaa, bin ich sicher. Kann ich jetzt mit der Jacky shoppen gehen?«

Ich sah ein, dass ich hier nichts mehr tun konnte.

»Okay, Jennifer, wir machen es so: Du gehst jetzt shoppen oder was auch immer und schläfst einmal drüber. Ich rufe dich morgen an, und dann können wir noch mal reden.«

Sie sah mich völlig entsetzt an. »Kommen Sie dann morgen schon wieder??«

Ich musste lächeln. »Nein, Jennifer, ich will morgen nur noch einmal kurz mit dir reden. Am Telefon. Oder vielleicht macht das auch dein Anwalt, das schauen wir mal. Es kann ja sein, dass du deine Meinung änderst und Samanta doch wiederhaben …«

»Booooah, nee, will ich nicht! Ist mir alles viel zu stressig! Echt.« Sprach es und setzte sich vor ihren Schminktisch.

»Ich muss mich jetzt aber wirklich fertig machen. Die Jacky kommt schon in einer halben Stunde. Das schaff ich ja nie …«

Und als hätte sie schon vergessen, dass da irgendwas mit einer Tochter und einem gerichtlichen Verfahren war, machte sie sich geschäftig daran, ihre Wimpern mit einer weiteren Schicht Tusche zu überziehen.

 

Als ich wieder auf der Straße stand, rief ich die zuständige Richterin an, fasste kurz das Ergebnis des Gesprächs zusammen und bat darum, möglichst schnell einen Gerichtstermin festzulegen. Wenn Frau Scheller dabei blieb, dass sie ihre Tochter gar nicht wiederhaben wollte, dann konnte für Baby Samanta jetzt ganz schnell eine Dauerpflegefamilie gesucht werden. Frau Hofer erklärte, sie werde gleich alle Beteiligten anrufen und schnellstmöglich terminieren.

Ich wählte Herrn Kubens Nummer.

»Frau Seeberg! Sagen Sie bloß, die Frau Scheller hat schon wieder den Termin verbaselt. Das darf doch wohl nicht …«

»Nein, nein«, beruhigte ich ihn. »Es hat alles wunderbar geklappt. Zwei Brüste haben mir die Tür geöffnet, und Frau Scheller war auch zugegen. Dann haben wir uns, sagen wir mal, unterhalten, und jetzt bin ich auch schon wieder fertig. Ich soll Ihnen von allen Diddl-Mäusen einen lieben Gruß bestellen und fragen, ob Sie vielleicht ein Selfie von sich schießen wollen, wie Sie in der pinken Hölle sitzen. Ach, und wenn Sie mir das auch zuschicken wollten, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Ich würde es auch nur im absoluten Notfall als Druckmittel benützen. Herr Kuben, warum haben Sie mich nicht vorgewarnt!«

»Weil ich mich genau auf diesen Monolog schon sehr gefreut habe«, gab der Anwalt bemüht trocken zurück, um direkt danach in dröhnendes Gelächter auszubrechen. »Um nichts in der Welt hätte ich mich selbst um dieses Vergnügen gebracht, verehrte Frau Seeberg. Aber was hat das Gespräch denn ergeben, wenn ich das fragen darf?«

»Dürfen Sie. Ich habe schon mit der Richterin telefoniert und sie gebeten, möglichst schnell zu terminieren.«

»Das ging ja verdammt schnell.«

»Ja, wissen Sie, Frau Scheller hat sich entschieden, dass ihr das alles, ich zitiere, ›zu blöd‹ ist und sie sich lieber ›ein neues‹ machen lässt.«

Bäm.

Da verschlug es sogar Herrn Kuben die Sprache. Zumindest kurz.

»Interessante Herangehensweise«, kommentierte er das Vorhaben seiner originellen Mandantin.

»Es wäre super«, fuhr ich fort, »wenn Sie vielleicht morgen mal bei ihr anrufen könnten, um zu schauen, ob sie sich noch daran erinnert, dass ich da war und sie gesagt hat, dass Samanta in eine Pflegefamilie kann.«

»Ja, klar. Das mache ich. Und vielleicht sage ich ihr dann auch gleich noch was zu der Idee, sich dann eben ein neues Kind machen zu lassen. Mannomann …«

»Vielen Dank, Herr Kuben. Ich lade Sie nach dem Termin auf einen Kaffee ein.«

»Das ist Bestechung, Frau Seeberg.«

»Okay, dann zahlen Sie.«

 

Da Jennifer auch Herrn Kuben gegenüber dabei blieb, dass ihr das alles »viel zu doof« sei und Samanta dann eben »in so einem Pflegedings« bleiben solle, trafen wir uns ein paar Tage später alle beim Familiengericht wieder – in der Hoffnung, das Verfahren zu einem einvernehmlichen Abschluss zu bringen und für Samanta schnellstmöglich eine Pflegefamilie zu finden, in der sie dauerhaft würde bleiben können.

Frau Wellershoff vom Jugendamt begrüßte mich freudig und zog mich aufgeregt ein Stück zur Seite.

»Ich habe ganz unverbindlich schon mal einen unserer Anwärter auf ein Pflegekind kontaktiert und hätte da tatsächlich eine Familie, die Samanta sofort aufnehmen könnte. Dauerhaft.« Sie strahlte.

»Aber die Familie weiß, dass das noch nicht sicher ist, oder?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

Kaum etwas ist gemeiner, als Eltern, die sich ein Pflegekind wünschen, Hoffnungen zu machen, die man später doch enttäuschen muss.

Frau Wellershoff nickte. »Jaja, selbstverständlich. Das hab ich natürlich dazugesagt. Ich wollte nur, dass … also, falls heute klar ist, dass die Samanta in eine Dauerpflege geht, dass dann auch gleich …« Sie lächelte unsicher.

»Das finde ich super, Frau Wellershoff. Ich hatte nur Sorge, dass die potenziellen Pflegeeltern todunglücklich sind, falls es heute doch anders läuft. Alles gut.«

In diesem Moment kam Herr Kuben in Begleitung einer top gestylten Jennifer Scheller auf uns zu.

Er grinste sein Herr-Kuben-Grinsen und ging mit einem dröhnenden »Dannwollenwirmal« voraus in den Gerichtssaal.

Jennifers Rock war so kurz und eng, dass sie Mühe hatte, sich zu setzen. Als sie dann endlich neben Herrn Kuben Platz genommen hatte, hielt dieser ihr wortlos ein Taschentuch hin, sah sie streng an und knurrte auf ihre genervte Frage »Was deeeenn?« nur »Kaugummi raus. Jetzt!«.

Zu meinem Erstaunen spuckte Jennifer ohne weiteres Gemaule ihren Kaugummi in das Taschentuch.

Frau Hofer eröffnete die Verhandlung und wandte sich nach der Abwicklung der Formalitäten direkt an Jennifer.

»Frau Scheller, ich habe von Frau Seeberg gehört, dass Sie damit einverstanden sind, dass Samanta dauerhaft in einer Pflegefamilie leben soll.«

»Nee, ich bin mit gar nix einverstanden. Nee, nee!«, kam es daraufhin aus Jennifers rosarotem Mund.

Ich warf einen fragenden Blick zu Herrn Kuben, der mir mit einem »Kein Problem, ich hab alles im Griff«-Blick antwortete.

Hm … in Anbetracht der Tatsache, dass Jennifer gerade wieder erklärte, dass Samanta ja schließlich ihre Tochter und es außerdem voll gemein gewesen sei, sie ihr einfach wegzunehmen, schickte ich noch einen »Sicher?«- sowie einen »Wenn Sie sich da mal nicht täuschen«-Blick hinterher. Aber der Anwalt blieb dabei. Es musste irgendetwas geben, das die Meinung der jungen Mutter ganz sicher ändern würde. Anders konnte ich mir das nicht erklären.

Auch Frau Hofer wirkte nun leicht irritiert.

»Frau Seeberg, vielleicht könnten Sie …?«

Normalerweise fasste ich an dieser Stelle kurz mein Gutachten zusammen. Jetzt blieb mir nur, kurz zu erläutern, dass Frau Scheller im Gesprächstermin erklärt hatte, eine weitere Begutachtung abzulehnen, und stattdessen damit einverstanden sei, dass Samanta nicht in ihren Haushalt zurückkehre. Verwundert registrierte ich, dass Herr Kuben mir nahezu unmerklich zunickte.

Frau Hofer wandte sich abermals an Jennifer. »Was sagen Sie denn dazu, Frau Scheller?«

»Wie, was ich dazu sage?«, kam die verwirrte Gegenfrage.

Die Richterin seufzte: »Nun, ich wüsste gerne, ob es wirklich so ist, dass Sie keine weitere Begutachtung wünschen und daher zustimmen, dass Samanta in eine Pflegefamilie kommt?«

»Ja, ach so, genau!«, antwortete Jennifer und nickte so ausdrucksstark, dass ihr ganzer Rest danach noch eine Weile weiterwippte. »So ein Gutachtendings will ich auf keinen Fall. Da hab ich einfach keine Zeit dazu. Also, wenn ich die Samanta nur wiederkriege, wenn ich vorher stundenlang mit der Frau Seeberg rumlabern muss, dann eben nicht.« Jennifer knipste ihre Handtasche auf und fummelte eine Packung Kaugummis heraus. Ohne hinzusehen, legte Herr Kuben seine Hand leicht auf die ihre und schüttelte den Kopf. Jennifer hielt kurz inne und packte dann tatsächlich die Kaugummis wieder weg.

Frau Hofer fasste sich an die Schläfen und schloss kurz die Augen. Dann wandte sie sich erneut an Jennifer.

»Also, Frau Scheller, ohne Begutachtung werde ich auf gar keinen Fall entscheiden, dass Samanta wieder zu Ihnen zurückkann und …«

»Jahaaa, ist ja gut!«, unterbrach Jennifer die Richterin. »Ich hab’s ja verstandeeeen! Ich find das voll gemein, aber wenn ich so ein Gutachtendings machen muss, damit Samanta wieder zu mir kann, dann eben nicht. Auch gut. Das passt mir auch ganz gut, weil ich mir nämlich gedacht habe, dass ich …«

Nun wurde sie ihrerseits von Frau Wellershoff unterbrochen. »Frau Scheller, wenn Sie Samanta nun abgeben und sich dann umgehend das nächste Kind machen lassen, ist das aber wirklich auch keine Lösung. Bevor Sie mit einem weiteren Kind …«

Schon fiel Jennifer Frau Wellershoff ins Wort: »Bevor Sö möt einm woitöron Könd …«, äffte sie die Frau vom Jugendamt gar nicht mal so schlecht nach.

Mir war bislang gar nicht aufgefallen, dass Frau Wellershoff eine so tieftönende Stimme hatte. Mist, von nun an würde ich immer Jennifers Parodie im Kopf haben, wenn ich mit Frau Wellershoff sprach.

»Frau Scheller …!«, kam eine gemurmelte, aber dennoch scharfe Ermahnung von Herrn Kuben.

»Ja, ist ja guuuhuut.«

Das musste ich ihm lassen: Er hatte seine Mandantin tatsächlich prima im Griff. Sie erklärte jetzt nämlich ganz gesittet, was ihre Pläne für die Zukunft waren.

»Ich hab ja jetzt gar keine Zeit mehr für ein Kind. Also, ich hab das mit der Jacky, also mit meiner Freundin«, erklärte sie an Frau Hofer und Frau Wellershoff gewandt, »mit der hab ich das alles besprochen. Noch so ein Kind ist ja auch … also, das dauert ja ewig, bis das dann da ist. Und da hab ich mir vorgestern einen Hund gekauft.«

Sie strahlte in die Runde, als hätte sie verkündet, ein Mittel gegen Krebs entdeckt zu haben.

»Der ist voll süüüüß und ja auch viel unkomplizierter als so ein Kind.« Während sie sprach, wischte sie auf ihrem Handy herum und hielt es schließlich erst Herrn Kuben und dann uns allen hin. »Das ist Romeo. Der ist sooo süß!«

Soweit ich das auf die Entfernung erkennen konnte, war Romeo irgendetwas sehr Kleines ohne oder mit sehr wenig Fell, dafür aber mit Glitzerhalsband. Jennifer schaute verliebt auf das Foto.

»So ein Hund ist schon besser als so ein Kind. Ich mein, den hab ich jetzt einfach so kaufen können. Ohne neun Monate auf den zu warten und so. Und mit dem kann ich auch prima Männer kennenlernen. Also, eigentlich sogar noch besser als mit einem Baby. Ich glaub, Männer mögen Hunde lieber als Babys.«

Sie lächelte selig. Offenbar hatte ihr Hund ihr schon zu mindestens einer Männerbekanntschaft verholfen.

Und an Herrn Kuben gewandt fragte sie: »Kann ich denn jetzt geheeeen?« Der schüttelte seufzend den Kopf.

Zu Jennifers großer Freude dauerte es aber bis zum Ende der Verhandlung nicht mehr lange. Sie verabschiedete sich fröhlich von allen und stöckelte dann »schnell zur Jacky, weil da der Romeo wartet«. Der vermisse sie immer ganz schrecklich, wenn sie nicht bei ihm sei. Und deshalb müsse sie nun ganz schnell los.

 

Ich atmete erleichtert aus. Samanta würde innerhalb der nächsten Wochen in ihre zukünftige Dauerpflegefamilie wechseln können, wo sie hoffentlich ein ganz normales, glückliches Leben führen konnte.

Zwar hatte Frau Scheller erklärt, dass sie »erst mal keine Zeit für Besuche und so was« hätte, aber wer weiß, vielleicht würden sich die beiden irgendwann kennenlernen und mit Diddl-Mäusen spielen. Oder gemeinsam einen dieser schrecklichen Schminkköpfe bearbeiten. Oder so.

Jennifer Scheller würde wohl eher keine echte Bezugsperson für Samanta werden. Sollte sie ja auch gar nicht. Aber hin und wieder ein Treffen zwischen den beiden, mit oder ohne Diddl-Inferno – das wäre schon wünschenswert. Für Samanta und für Jennifer.

Ich wusste, dass Frau Wellershoff öhr Böstös … ich meine natürlich ihr Bestes geben würde, damit Samanta irgendwann ihre leibliche Mutter kennenlernen würde.

Für Samanta hatte es ein wunderbar schnelles und gutes Ende genommen. Wie schön!