Der Nachlass der Jahre 1885–89 - Friedrich Nietzsche - E-Book

Der Nachlass der Jahre 1885–89 E-Book

Friedrich Nietzsche

0,0

Beschreibung

Umstritten sind Werke von Nietzsche mit dem Titel 'Der Wille zur Macht', handelt es sich doch um Kompilationen, die aus dem Nachlass Nietzsches posthum zusammengestellt worden sind. Angefangen damit hat Nietzsches Schwester, Elisabeth Förster-Nietzsche, im Jahre 1901. Wir veröffentlichen hiermit den Nachlass der letzten produktiven Jahre Nietzsches (1885–1889) in seiner reinen Form, wie er auch in der wissenschaftlichen Nietzsche-Gesamtausgabe von Colli und Montinari zu finden ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 1272

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Veröffentlicht im heptagon Verlag Berlin 2013 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-79-0

Die zu Grunde liegenden Texte sind ursprünglich erschienen in: Kritische Gesamtausgabe der Werke Nietzsches (in Folge: KGW). Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Berlin 1967 ff. Im einzelnen:

Friedrich Nietzsche. Nachgelassene Fragmente Herbst 1885 bis Herbst 1887, in: KGW VIII, 1. 1974.Friedrich Nietzsche. Nachgelassene Fragmente Herbst 1887 bis März 1888, in: KGW VIII, 3. 1970.Friedrich Nietzsche. Nachgelassene Fragmente Anfang 1888 bis Januar 1889, in: KGW VIII, 2. 1972.
Die Vorworte der Herausgeber wurden nicht übernommen, auch die ergänzenden Überschriften nicht. Stellen, die im Original in Anführungszeichen gesetzt sind, erscheinen bei uns kursiv.

Erster Band. Herbst 1885 bis Frühjahr 1886

Teil I [Herbst 1885 bis Frühjahr 1886]

Kapitel 1–50

[1]

Eigentlich sollte ich einen Kreis von tiefen und zarten Menschen um mich haben, welche mich etwas vor mir selber schützten und mich auch zu erheitern wüßten: denn für einen, der solche Dinge denkt, wie ich sie denken muß, ist die Gefahr immer ganz in der Nähe, daß er sich selber zerstört.

[2]

Möge Niemand glauben, daß man unversehens und mit beiden Füßen eines Tags in einen solchen herzhaften Zustand der Seele hineinspringt, dessen Zeugniß oder Gleichniß das eben abgesungene Tanzlied sein mag. Bevor man solchermaaßen tanzen lernt, muß man gründlich gehn und laufen gelernt haben, und schon auf eigenen Beinen stehn ist Etwas, für das, wie mir scheint, immer nur Wenige vorbestimmt sind. In der Zeit, wo man sich zuerst auf den eignen Gliedmaaßen hinauswagt und ohne Gängelbänder und Geländer, in den Zeiten der ersten jungen Kraft und aller Anreize eines eigenen Frühlings, ist man am schlimmsten gefährdet und geht oft schüchtern, verzagt, wie ein Entlaufener, wie ein Verbannter, mit einem zitternden Gewissen und mit wunderlichem Mißtrauen seines Wegs: – wenn die junge Freiheit des Geistes wie ein Wein ist

[3]

Der Spiegel. Mangel einer herrschenden Denkweise. Die Schauspieler. Gleba. Die neue Schamlosigkeit (die der Mittelmäßigen z.B. Engländer, auch der schreibenden Frauen) Der Wille zum Vorurtheil (Nationen, Parteien usw. Der latente Buddhismus. Der Mangel an Einsamkeit (und folglich an guter Gesellschaft) Alkohol, Buch und Musik und andere Stimulantia. Die Philosophen der Zukunft. Die herrschende Kaste und der Anarchismus. Die curiosen Schwierigkeiten des Ungewöhnlichen, den seine plebejische Bescheidenheit stört. Mangel einer Charakter-Erziehung. Mangel der höheren Klöster Allmähliche Beschränkung der Volksrechte.

[4]

– Die Lehre von den Gegensätzen (gut, böse usw.) hat Werth als Erziehungs-Maaßregel, weil sie Partei ergreifen macht.

– die mächtigsten und gefährlichsten Leidenschaften des Menschen, an denen er am leichtesten zu Grunde geht, sind so gründlich in Acht gethan, daß damit die mächtigsten Menschen selber unmöglich geworden sind oder sich als böse, als schädlich und unerlaubt fühlen müßten. Diese Einbuße ist groß, aber nothwendig bisher gewesen: jetzt, wo eine Menge Gegenkräfte groß gezüchtet sind, durch zeitweilige Unterdrückung jener Leidenschaften (von Herrschsucht, Lust an der Verwandlung und Täuschung) ist deren Entfesselung wieder möglich: sie werden nicht mehr die alte Wildheit haben. Wir erlauben uns die zahme Barbarei: man sehe unsere Künstler und Staatsmänner an

– Die Synthesis der Gegensätze und Gegentriebe ein Zeichen von der Gesamtkraft eines Menschen: wie viel kann sie bändigen?

– ein neuer Begriff von Heiligkeit: Plato's Naivetät – Nicht mehr der Gegensatz der verketzerten Triebe im Vordergrund

– zu demonstriren, in wiefern die griechische Religion die höhere war als die jüdisch-christliche. Letztere siegte, weil die griechische Religion selber entartet (zurück gegangen) war.

Ziel: die Heiligung der mächtigsten furchtbarsten und bestverrufenen Kräfte, im alten Bilde geredet: die Vergöttlichung des Teufels

[5]

– Ich messe darnach, wie weit ein Mensch, ein Volk die furchtbarsten Triebe bei sich entfesseln kann und zu seinem Heile wenden, ohne an ihnen zu Grunde zu gehn: vielmehr zu seiner Fruchtbarkeit in That und Werk

– die Auslegung aller Unglücksfälle als die Wirkungen unversöhnter Geister ist das, was bisher die großen Massen zu religiösen Culten trieb. Selbst das höhere moralische Leben, das des Heiligen, ist nur als eines der Mittel erfunden worden, um unversöhnte Geister zu befriedigen.

– die Auslegung unserer Erlebnisse als providentieller Winke einer gütigen, erziehenden Gottheit, auch unserer Unglücksfälle: – Entwicklung des väterlichen Gottesbegriffs, von der patriarchalischen Familie aus.

– die absolute Verderbtheit des Menschen, die Unfreiheit zum Guten und folglich die Auslegung aller unserer Handlungen mit der Interpretation des bösen Gewissens: endlich Gnade. Wunder-Akt. Plötzliche Umkehr. Paulus, Augustin, Luther

– die Barbarisirung des Christenthums durch die Germanen: die zwischengöttlichen Wesen, und die Vielheit der Sühn-Kulte, kurz der vorchristliche Standpunkt kommt wieder. Ebenso das Compositions-system.

– Luther giebt wieder die Grundlogik des Christenthums, die Unmöglichkeit der Moral und folglich der Selbstzufriedenheit, die Nothwendigkeit der Gnade und folglich der Wunder und auch der Prädestination. Im Grunde ein Eingeständniß des Überwundenseins und ein Ausbruch von Selbst-Verachtung.

– es ist unmöglich, seine Schulden zu bezahlen, Ausbrüche der Heilsbegierde und der Culte und Mysterien. Es ist unmöglich, seine Sünde loszuwerden Ausbruch des Christenthums des Paulus Augustin und Luther. Ehemals war das äußere Unglück der Anstoß religiös zu werden: später das innere Unglücks-Gefühl, die Unerlöstheit, Angst, Unsicherheit. Was Christus und Buddha auszuzeichnen scheint: es scheint das innere Glück zu sein, das sie religiös mache

[6]

– das Gefühl der höheren Rangordnung anzugehören ist dominirend im sittlichen Gefühle: es ist das Selbst-zeugniß der höheren Kaste, deren Handlungen und Zustände nachher wieder als Abzeichen einer Gesinnung gelten, mit der man in jene Kaste gehört oder gehören sollte –

[7]

– zuerst wird das sittliche Gefühl in Bezug auf Mensch (Stände voran!) entwickelt, erst später auf Handlungen und Charakterzüge übertragen. Das Pathos der Distanz ist im innersten Grunde jenes Gefühls.

[8]

– die Unkenntniß des Menschen und das Nicht-Nachdenken macht, daß die individuelle Zurechnung erst spät gemacht wird. Man fühlt sich selber zu unfrei, ungeistig, durch plötzliche Antriebe fortgerissen, als daß man über sich anders denken sollte als in Betreff der Natur: es wirken auch in uns Dämonen.

[9]

– Menschliches, Allzumenschliches. Man kann nicht über Moral nachdenken, ohne sich nicht unwillkürlich moralisch zu bethätigen und erkennen zu geben. So arbeitete ich damals an jener Verfeinerung der Moral, welche Lohn und Strafe bereits als unmoralisch empfindet und den Begriff Gerechtigkeit nicht mehr zu fassen weiß als liebevolles Begreifen, im Grunde Gutheißen. Darin ist vielleicht Schwäche, vielleicht Ausschweifung, vielleicht auch – – –

[10]

– die Strafe entwickelt sich im engsten Raume, als Reaktion des Mächtigen, des Hausherrn, als Ausdruck seines Zorns gegen die Mißachtung seines Befehls und Verbotes. – Vor der Sittlichkeit der Sitte (deren Kanon will alles Herkömmliche soll geehrt werden) steht die Sittlichkeit der herrschenden Person (deren Kanon will, daß der Befehlende allein geehrt werde) Das Pathos der Distanz, das Gefühl der Rangverschiedenheit liegt im letzten Grunde aller Moral.

[11]

– Seele zuletzt als Subjektsbegriff

[12]

– Wenn die Dinge unbekannt sind, so ist es auch der Mensch. Was ist da loben und tadeln!

[13]

– ich begreife es nicht, wie man Theolog sein kann. Ich möchte nicht gern gering von dieser Art Menschen denken, welche doch nicht nur Erkenntniß-Maschinen sind

[14]

– Jede Handlung, deren ein Mensch nicht fähig ist, wird von ihm mißverstanden. Es ist auszeichnend, mit seinen Handlungen immer mißverstanden zu werden. Es ist dann auch nothwendig und kein Anlaß zur Erbitterung.

[15]

– Es ist nicht uneigennützig, wenn ich lieber über die Causalität als über den Prozeß mit meinem Verleger nachdenke; mein Nutzen und mein Genuß liegt auf der Seite der Erkenntnisse, meine Spannung, Unruhe, Leidenschaft ist gerade dort am längsten thätig gewesen.

[16]

Gedanken sind Handlungen

[17]

– wie haben wir in fünfzig Jahren umgelernt! Die ganze Romantik mit ihrem Glauben an das Volk ist widerlegt! Keine Homerische Dichtung als Volks-Poesie! Keine Vergötterung der großen Naturmächte! Kein Schluß aus Sprachverwandtschaft auf Rassen-Verwandtschaft! Keine intellektuelle Anschauung des Übersinnlichen! Keine in der Religion verschleierte Wahrheit!

[18]

Das Problem der Wahrhaftigkeit ist ganz neu. Ich bin erstaunt: Wir betrachten solche Naturen wie Bismarck als schuldig hierin aus Fahrlässigkeit, solche wie Richard Wagner aus Mangel an Bescheidenheit, wir würden Plato mit seiner pia fraus verurtheilen, Kant wegen der Ableitung seines kategorischen Imperativs, während der Glaube ihm sicher nicht auf diesem Wege gekommen ist

[19]

– Endlich wendet sich der Zweifel auch gegen sich selber: Zweifel am Zweifel. Und die Frage nach der Berechtigung der Wahrhaftigkeit und ihrem Umfange steht da –

[20]

– Alle unsere bewußten Motive sind Oberflächen-Phänomene: hinter ihnen steht der Kampf unserer Triebe und Zustände, der Kampf um die Gewalt.

[21]

– Daß diese Melodie schön klingt, wird nicht den Kindern durch die Autorität oder Unterricht beigebracht: ebenso wenig das Wohlgefühl beim Anblick eines ehrwürdigen Menschen. Die Werthschätzungen sind angeboren, trotz Locke!, angeerbt; freilich, sie entwickeln sich stärker und schöner, wenn zugleich die Menschen, welche uns hüten und lieben, mit uns gleich schätzen. Welche Marter für ein Kind, immer im Gegensatz zu seiner Mutter sein Gut und Böse anzusetzen und dort, wo es verehrt, gehöhnt und verachtet zu werden!

[22]

– Wie vielfach ist das, was wir als sittliches Gefühl empfinden: darin ist Verehrung, Furcht, die Berührung wie von etwas Heiligem und Geheimem, darin redet etwas Befehlendes, etwas, das sich wichtiger nimmt als wir; etwas, das erhebt, entflammt oder ruhig und tief macht. Unser sittliches Gefühl ist eine Synthesis, ein Zugleich-Erklingen aller herrschaftlichen und unterthänigen Gefühle, welche in der Geschichte unserer Vorfahren gewaltet haben

[23]

– Zu Gunsten der Gegenwart. Die Gesundheit wird gefördert, asketisch-weltverneinende Denkweisen (mit ihrem Willen zur Krankheit) kaum begriffen. Alles Mögliche gilt und wird gelten gelassen und anerkannt, feuchte milde Luft, in der jede Art Pflanze wächst. Es ist das Paradies für alle kleine üppige Vegetation

[24]

– Seele und Athem und Dasein esse gleich gesetzt. Das Lebende ist das Sein: weiter giebt es kein Sein.

[25]

– Die guten Leute sind alle schwach: sie sind gut, weil sie nicht stark genug sind, böse zu sein sagte der Latuka-Häuptling Comorro zu Baker

[26]

gin ist arabisch und heißt Spiritus (= g'inn)

[27]

Für schwache Herzen giebt es kein Unglück sagt man im Russischen

[28]

– alle Bewegungen sind als Gebärden aufzufassen, als eine Art Sprache, wodurch sich die Kräfte verstehn. In der unorganischen Welt fehlt das Mißverständniß, die Mittheilung scheint vollkommen. In der organischen Welt beginnt der Irrthum. DingeSubstanzen Eigenschaften, Thätigkeiten – das alles soll man nicht in die unorganische Welt hineintragen! Es sind die spezifischen Irrthümer, vermöge deren die Organismen leben. Problem von der Möglichkeit des Irrthums? Der Gegensatz ist nicht falsch und wahr, sondern Abkürzungen der Zeichen im Gegensatz zu den Zeichen selber. Das Wesentliche ist: die Bildung von Formen, welche viele Bewegungen repräsentiren, die Erfindung von Zeichen für ganze Arten von Zeichen.

– alle Bewegungen sind Zeichen eines inneren Geschehens; und jedes innere Geschehen drückt sich aus in solchen Veränderungen der Formen. Das Denken ist noch nicht das innere Geschehen selber, sondern ebenfalls nur eine Zeichensprache für den Machtausgleich von Affekten.

[29]

– die Vermenschlichung der Natur – die Auslegung nach uns.

[30]

A. Psychologischer Ausgangspunkt:

– unser Denken und Werthschätzen ist nur ein Ausdruck für dahinter waltende Begehrungen.

– die Begehrungen spezialisiren sich immer mehr: ihre Einheit ist der Wille zur Macht (um den Ausdruck vom stärksten aller Triebe herzunehmen, der alle organische Entwicklung bis jetzt dirigirt hat)

– Reduktion aller organischen Grundfunktionen auf den Willen zur Macht

– Frage, ob er nicht das mobile ebenfalls in der unorganischen Welt ist? Denn in der mechanistischen Weltauslegung bedarf es immer noch eines mobile. – Naturgesetz: als Formel für die unbedingte Herstellung der Macht-Relationen und -Grade.

– die mechanische Bewegung ist nur ein Ausdrucksmittel eines inneren Geschehens. – Ursache und Wirkung

[31]

– der Kampf als das Mittel des Gleichgewichts

[32]

– die Annahme von Atomen ist nur eine Consequenz vom Subjekts- und Substanz-Begriff: irgend wo muß es ein Ding geben, von wo die Thätigkeit ausgeht. Das Atom ist der letzte Abkömmling des Seelenbegriffs.

[33]

– das furchtbarste und gründlichste Verlangen des Menschen, sein Trieb nach Macht, – man nennt diesen Trieb Freiheit – muß am längsten in Schranken gehalten werden. Deshalb ist die Ethik bisher, mit ihren unbewußten Erziehungs- und Züchtungs-Instinkten, darauf aus gewesen, das Macht-Gelüst in Schranken zu halten: sie verunglimpft das tyrannische Individuum und unterstreicht, mit ihrer Verherrlichung der Gemeindefürsorge und der Vaterlandsliebe, den Heerden-Machtinstinkt.

[34]

– Naturgemäß müssen sich die Kräfte der Menschheit in der Reihenfolge entwickeln, daß die ungefährlichen voran entwickelt (gelobt, gutgeheißen) werden, daß umgekehrt die stärksten am längsten verketzert und verläumdet bleiben.

[35]

Der Wille zur Macht.

Versuch einer neuen Auslegung alles Geschehens.

Von 

Friedrich Nietzsche.

[36]

die Welt des Denkens nur ein zweiter Grad der Erscheinungswelt –

[37]

– die Bewegungen sind nicht bewirkt von einer Ursache: das wäre wieder der alte Seelen-Begriff! – sie sind der Wille selber, aber nicht ganz und völlig!

[38]

NB. Der Glaube an Causalität geht zurück auf den Glauben, daß ich es bin, der wirkt, auf die Scheidung der Seele von ihrer Thätigkeit. Also ein uralter Aberglaube!

[39]

Die Zurückführung einer Wirkung auf eine Ursache ist: zurück auf ein Subjekt. Alle Veränderungen gelten als hervorgebracht von Subjekten.

[40]

– die jetzige Stufe der Moralität fordert:

a) keine Strafe!

2) keinen Lohn – keine Vergeltung!

3) keine Servilität

4) keine pia fraus!

[41]

– wir ertragen den Anblick nicht mehr, folglich schaffen wir die Sclaven ab

[42]

Es ist ein Lieblingswort der Schlaffen und Gewissenlosen tout comprendre c'est tout pardonner: es ist auch eine Dummheit. Oh wenn man erst immer auf das comprendre warten wollte: es scheint mir, man würde da zu selten zum Verzeihen kommen! Und zuletzt, warum sollte man gerade verzeihen, wenn man begriffen hätte? Gesetzt, ich begriffe ganz und gar, warum dieser Satz mir mißrieth, dürfte ich ihn darum nicht durchstreichen? – Es giebt Fälle, wo man einen Menschen durchstreicht, weil man ihn begriffen hat.

[43]

– der Begriff Veränderung setzt schon das Subjekt voraus, die Seele als Substanz

[44]

– der Anstoß, den man nimmt an der Lehre von der Unfreiheit des Willens ist der: es scheint als ob sie behaupte du thust, was du thust, nicht freiwillig, sondern unfreiwillig d.h. gezwungen. Nun weiß jeder, wie einem zu Muthe ist, wenn er etwas unfreiwillig thut. Es scheint also mit jener Lehre gelehrt zu werden: alles, was du thust, thust du unfreiwillig also ungern, wider deinen Willen – und das giebt man nicht zu, weil man vieles gern thut, auch gerade viel Moralisches. Man versteht also unfreier Wille als gezwungen durch einen fremden Willen: als ob die Behauptung wäre: alles, was du thust, thust du gezwungen durch einen fremden Willen. Den Gehorsam gegen den eigenen Willen nennt man nicht Zwang: denn es ist Lust dabei. Daß du dir selber befiehlst, das heißt Freiheit des Willens

[45]

Sapientia victrix.

Vorspiel zu einer Philosophie der Zukunft.

[46]

Die Religionen leben die längste Zeit ohne mit der Moral verquickt zu sein: moralfrei. Man erwäge, was eigentlich jede Religion will – man kann es ja heute noch mit Händen greifen: man will durch sie nicht nur Erlösung von der Noth, sondern vor Allem Erlösung von der Furcht vor Noth. Alle Noth gilt als Folge von bösem, feindseligem Walten von Geistern: alle Noth, die einen trifft, ist zwar nicht verdient, aber es weckt den Gedanken, wodurch ein Geist gegen uns gereizt sein mag; der Mensch zittert vor unbekannten schweifenden Unholden und möchte sie hold stimmen. Dabei prüft er sein Verhalten: und wenn es überhaupt Mittel giebt, bestimmte Geister, die er kennt, sich freundlich zu stimmen, so fragt er sich, ob er auch wirklich Alles gethan habe, was er dazu hätte thun können. Wie ein Höfling sein Verhalten zu dem Fürsten prüft, wenn er an ihm eine ungnädige Stimmung wahrgenommen hat: – er sucht nach einer Unterlassung usw. Sünde ist ursprünglich das, wodurch irgend ein Geist sehr beleidigt werden könnte, irgendeine Unterlassung, ein – – –: da hat man etwas wieder gut zu machen. – Nur insofern ein Geist, eine Gottheit ausdrücklich auch gewisse moralische Gebote als Mittel, ihm zu gefallen und zu dienen hingestellt hat, kommt in die Sünde auch die sittliche Werthschätzung: oder vielmehr: dann erst kann ein Verstoß gegen ein sittliches Gebot als Sünde empfunden werden, als etwas, das von Gott trennt, ihn beleidigt und auch von seiner Seite Gefahr und Noth im Gefolge hat.

[47]

Klugheit, Vorsicht und Vorsorge (im Contrast zur Indolenz und zum Leben im Augenblick) – man meint jetzt beinahe eine Handlung zu erniedrigen, wenn man diese Motive nennt. Aber was hat es gekostet, diese Eigenschaften groß zu züchten! Die Klugheit als Tugend zu betrachten – ist noch griechisch!

Ebenso dann die Nüchternheit und Besonnenheit im Gegensatz zum Handeln aus gewaltsamen Impulsen, zur Naivetät des Handelns.

[48]

Die absolute Hingebung (in der Religion) als Reflex der sklavischen Hingebung oder der weiblichen (– das Ewig-Weibliche ist der idealisirte Sklavensinn)

[49]

Den moralischen Werth der Handlung nach der Absicht messen: setzt voraus, daß die Absicht wirklich die Ursache der Handlung ist – was doch heißt die Absicht als eine vollkommene Erkenntniß als ein Ding an sich betrachten. Zuletzt ist sie doch nur das Bewußtsein von der Auslegung eines Zustandes (von Unlust, Begehren usw.)

[50]

– mit der Sprache sollen Zustände und Begehrungen bezeichnet werden: also Begriffe sind Zeichen zum Wiedererkennen. Die Absicht auf Logik liegt nicht darin; das logische Denken ist ein Auflösen. Aber jedes Ding das wir begreifen, jeder Zustand ist eine Synthesis, die man nicht begreifen, wohl aber bezeichnen kann: und auch dies nur indem man eine gewisse Ähnlichkeit mit Dagewesenem anerkennt. Unwissenschaftlich ist jede innere geistige Aktion thatsächlich, auch jedes Denken.

Kapitel 51–100

[51]

Denker von bescheidener oder unehrlicher Abkunft begreifen die Herrschsucht falsch, auch schon den Trieb der Auszeichnung: sie rechnen beides unter die Eitelkeit, wie als ob es sich darum handele, in der Meinung anderer Menschen geachtet, gefürchtet oder angebetet dazustehn.

[52]

Nach wissenschaftlichem Maaße gemessen, ist der Werth jedes sittlichen Werthurtheils von Mensch über Mensch sehr gering: es ist ein Tasten und Tappen und viel Wahn und Ungewißheit in jedem Wort.

[53]

Das sind getrennte Aufgaben:

1) die gegenwärtig (und in einem begrenzten Culturbereich) herrschende Art der moralischen Abschätzung von Mensch und Handlungen zu fassen und festzustellen

2) der gesamte Moral-Codex einer Zeit ist ein Symptom z.B. als Mittel der Selbst-Bewunderung oder Unzufriedenheit oder Tartüfferie: es ist also noch außer der Feststellung des gegenwärtigen Charakters der Moral zweitens die Deutung und Auslegung dieses Charakters zu geben. Denn an sich ist sie vieldeutig.

3) die Entstehung dieser gerade jetzt herrschenden Urtheilsweise zu erklären,

4) die Kritik derselben zu machen resp. fragen: wie stark ist sie? worauf wirkt sie? was wird aus der Menschheit (oder aus Europa) unter ihrem Banne? Welche Kräfte fördert sie, welche unterdrückt sie? Macht sie gesünder, kränker, muthiger, feiner, kunstbedürftiger usw.? Hier ist schon vorausgesetzt, daß es keine ewige Moral giebt: dies darf als bewiesen gelten. So wenig es eine ewige Art der Urtheile über Ernährung giebt. Aber neu ist die Kritik, die Frage: ist gut wirklich gut? Und welchen Nutzen hat vielleicht das jetzt Zurückgesetzte und Beschimpfte? Die Zeitdistanzen kommen in Betracht.

[54]

Der Charakter des unbedingten Willens zur Macht ist im ganzen Reiche des Lebens vorhanden. Haben wir ein Recht, das Bewußtsein zu leugnen, so doch schwerlich das Recht, die treibenden Affekte zu leugnen z.B. in einem Urwalde.

(Bewußtsein enthält immer eine doppelte Spiegelung – es giebt nichts Unmittelbares.)

[55]

Grundfrage: wie tief geht das Sittliche? Gehört es nur zum Angelernten? Ist es eine Ausdrucksweise?

Alle tieferen Menschen sind darin einmüthig – es kommt Luthern Augustin Paulus zum Bewußtsein –, daß unsere Moralität und deren Ereignisse nicht mit unserem bewußten Willen sich decken – kurz, daß die Erklärung aus Zweck-Absichten nicht reicht.

[56]

Objektiv, hart, fest, streng bleiben im Durchsetzen eines Gedankens – das bringen die Künstler noch am besten zu Stande; wenn Einer aber Menschen dazu nöthig hat (wie Lehrer, Staatsmänner usw.) da geht die Ruhe und Kälte und Härte schnell davon. Man kann bei Naturen wie Cäsar und Napoleon etwas ahnen von einem interesselosen Arbeiten an seinem Marmor, mag dabei von Menschen geopfert werden, was nur möglich. Auf dieser Bahn liegt die Zukunft der höchsten Menschen: die größte Verantwortlichkeit tragen und nicht daran zerbrechen. – Bisher waren fast immer Inspirations-Täuschungen nöthig, um selbst den Glauben an sein Recht und seine Hand nicht zu verlieren.

[57]

Verwandlungen des Willens zur Macht, seine Ausgestaltungen, seine Spezialisirungen – parallel der morphologischen Entwicklung darzustellen!

[58]

Von jedem unserer Grundtriebe aus giebt es eine verschiedne perspektivische Abschätzung alles Geschehens und Erlebens. Jeder dieser Triebe fühlt sich in Hinsicht auf jeden anderen gehemmt, oder gefördert, geschmeichelt, jeder hat sein eigenes Entwicklungsgesetz (sein Auf und Nieder, sein Tempo, usw.) – und dieser ist absterbend, wenn jener steigt.

Der Mensch als eine Vielheit von Willen zur Macht: jeder mit einer Vielheit von Ausdrucksmitteln und Formen. Die einzelnen angeblichenLeidenschaften (z.B. der Mensch ist grausam) sind nur fiktive Einheiten, insofern das, was von den verschiedenen Grundtrieben her als gleichartig ins Bewußtsein tritt, synthetisch zu einem Wesen oder Vermögen, zu einer Leidenschaft zusammengedichtet wird. Ebenso also, wie die Seele selber ein Ausdruck für alle Phänomene des Bewußtseins ist: den wir aber als Ursache aller dieser Phänomene auslegen (das Selbstbewußtsein ist fiktiv!)

[59]

Alles Materielle ist eine Art von Bewegungssymptom für ein unbekanntes Geschehen: alles Bewußte und Gefühlte ist hinwiederum Symptom von unbekannten – – –. Die Welt, die uns von diesen beiden Seiten her sich zu verstehen giebt, könnte noch viele andere Symptome haben. Es besteht kein nothwendiges Verhältniß zwischen Geist und Materie, als ob sie irgendwie die Darstellungsformen erschöpften und allein repräsentirten.

Bewegungen sind Symptome, Gedanken sind ebenfalls Symptome: die Begierden sind uns nachweisbar hinter beidem, und die Grundbegierde ist der Wille zur Macht. – Geist an sich ist nichts, so wie Bewegung an sich nichts ist

[60]

Es ist beinahe komisch, daß unsere Philosophen verlangen, die Philosophie müsse mit einer Kritik des Erkenntnißvermögens beginnen: ist es nicht sehr unwahrscheinlich, daß das Organ der Erkenntniß sich selber kritisiren kann, wenn man mißtrauisch geworden ist über die bisherigen Ergebnisse der Erkenntniß? Die Reduktion der Philosophie auf den Willen zu einer Erkenntnißtheorie ist komisch. Als ob sich so Sicherheit finden ließe! –

[61]

Alles, was in Bewußtsein tritt, ist das letzte Glied einer Kette, ein Abschluß. Daß ein Gedanke unmittelbar Ursache eines anderen Gedankens wäre, ist nur scheinbar. Das eigentlich verknüpfte Geschehen spielt (sich) ab unterhalb unseres Bewußtseins: die auftretenden Reihen und Nacheinander von Gefühlen Gedanken usw. sind Symptome des eigentlichen Geschehens! – Unter jedem Gedanken steckt ein Affekt. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, jeder Wille ist nicht geboren aus Einem bestimmten Triebe, sondern er ist ein Gesamtzustand, eine ganze Oberfläche des ganzen Bewußtseins und resultirt aus der augenblicklichen Macht-Feststellung aller der uns constituirenden Triebe – also des eben herrschenden Triebes sowohl als der ihm gehorchenden oder widerstrebenden. Der nächste Gedanke ist ein Zeichen davon, wie sich die gesammte Macht-Lage inzwischen verschoben hat.

[62]

Wille – eine falsche Verdinglichung.

[63]

– Wie wird sich später einmal Goethe ausnehmen! wie unsicher, wie schwimmend! Und sein Faust – welches zufällige und zeitliche, und wenig nothwendige und dauerhafte Problem! Eine Entartung des Erkennenden, ein Kranker, nichts mehr! Keineswegs die Tragödie des Erkennenden selber! Nicht einmal die des freien Geistes.

[64]

alles hat sein Für und Wider schon gehabt

Menschenliebe.

Gerechtigkeit.

Grausamkeit.

Lohn und Strafe.

Selbst-Genügsamkeit.

Vernünftigkeit

Rangordnung.

Sklaverei (Hingebung)

alles Loben und Tadeln ist perspektivisch von einem Willen zur Macht aus.

angeborne Ideen

die Seele, das Ding – falsch. Ebenso der Geist

[65]

Capitel über die Auslegung die Verdinglichung das Nachleben untergegangener Ideale (z.B. Sclavensinn bei Augustin)

[66]

Die Menschenliebe des Christen, welche keinen Unterschied macht, ist erst möglich bei der fortwährenden Anschauung Gottes, im Verhältniß zu dem die Rangordnung zwischen Mensch und Mensch verschwindend klein wird, und der Mensch selber überhaupt so unbedeutend wird, daß die Größenverhältnisse kein Interesse mehr erregen: wie von einem hohen Berge aus Groß und Klein ameisenhaft und ähnlich wird. – Man soll diese Geringschätzung des Menschen überhaupt nicht übersehen, welche im christlichen Gefühle der Menschenliebe liegt: du bist mein Bruder, ich weiß schon, wie es dir zu Muthe ist, was du auch seist – schlecht nämlich! usw. Thatsächlich ist ein solcher Christ eine äußerst zudringliche und unbescheidene Art.

Umgekehrt: läßt man Gott fahren, so fehlt uns ein Typus eines Wesens, das höher ist als der Mensch: und das Auge wird fein für die Differenzen dieses höchsten Wesens.

[67]

– Ich bin mißtrauisch gegen die Beschaulichen, Selbst-in-sich-Ruhenden, Beglückten unter den Philosophen: – es fehlt da die gestaltende Kraft und die Feinheit der Redlichkeit, welche sich den Mangel als Kraft eingesteht

[68]

Die Verwandlung des sittlich-Verworfenen in sittlich-Verehrtes – und umgekehrt.

[69]

– die Einen suchen im Inneren eine unbedingte Verbindlichkeit aus und erdichten sie unter Umständen, die Anderen wollen es beweisen und zugleich damit pflanzen –

[70]

– wie unbescheiden nimmt sich der Mensch mit seinen Religionen aus, auch wenn er sich noch vor Gott wälzt, gleich dem heiligen Augustin! Welche Zudringlichkeit! Dieses väterliche oder großväterliche Princip im Hintergrunde!

[71]

– Die Moral galt unter Sterblichen bisher als das Ernsthafteste, was es giebt: das ist den Moralisten zu Gute gekommen, auf welche unter Göttern – und vielleicht auch einmal unter Menschen – kein kleines Gelächter wartet: man trägt auf die Dauer niemals ungestraft die Würde eines Lehrmeisters. Menschen zu belehren, Menschen zu verbessern – die Anmaaßung eines solchen Vorhabens

[72]

Daß die Katze Mensch immer wieder auf ihre vier Beine, ich wollte sagen auf ihr Eines Bein Ich zurückfällt, ist nur ein Symptom seiner physiologischen Einheit, richtiger Vereinigung: kein Grund, an eine seelische Einheit zu glauben.

[73]

Moral ist ein Theil der Lehre von den Affekten: wie weit reichen die Affekte ans Herz des Daseins?

[74]

Wenn es überhaupt ein an sich gäbe, was wäre dann das An sich eines Gedankens?

[75]

Die Gedanken sind Zeichen von einem Spiel und Kampf der Affekte: sie hängen immer mit ihren verborgenen Wurzeln zusammen

[76]

Wer den Werth einer Handlung nach der Absicht mißt, aus der sie geschehen ist, meint dabei die bewußte Absicht: aber es giebt, bei allem Handeln, viel unbewußte Absichtlichkeit; und was als Wille und Zweck in den Vordergrund tritt, ist vielfach ausdeutbar und an sich nur ein Symptom. Eine ausgesprochene, aussprechbare Absicht ist eine Ausdeutung, eine Interpretation, welche falsch sein kann; außerdem eine willkürliche Simplifikation und Fälschung usw.

[77]

Die Berechnung auf Lust als eine mögliche Folge einer Handlung und die mit einer Thätigkeit selber verbundne Lust, als Auslösung einer gebundnen und aufgestauten Kraft: was für Mühe hat es schon gemacht, diese beiden Lüste auseinander zu halten! Es giebt zu lachen! Ebenso wie die Annehmlichkeit des Lebens – und Seligkeit als moralische Trunkenheit und Selbst-Anbetung verwechselt wird.

[78]

Mit der Menschenkenntniß hat auch die Moral sich verfeinert

a) statt der Sünde als Vergehen an Gott – das Unrecht an mir selber

b) statt des Betens und des Verlangens nach wunderbarer Hülfe –

c) statt der Interpretation des Erlebnisses als Lohn und Strafe –

d) statt der Feindschaft gegen alle Art Noth und Unruhe und Streit –

e) statt der zudringlichen gleichsetzenden Menschenliebe des Christen –

[79]

Die größte Aufrichtigkeit und Überzeugung vom Werthe des eigenen Werkes vermag nichts: ebenso kann die zweiflerische Unterschätzung den Werth desselben nicht berühren. So steht es mit allen Handlungen: wie moralisch ich mir mit einer Absicht auch vorkommen mag, an sich ist damit [nichts] über den Werth der Absicht und noch weniger über den Werth der Handlung ausgemacht. Die ganze Herkunft einer Handlung müßte bekannt sein, und nicht nur das Stückchen, das davon ins Bewußtsein fällt (die sogenannte Absicht) Aber damit wäre eben absolute Erkenntniß verlangt –

[80]

In wie fern eine Überwindung des moralischen Menschen möglich ist:

wir messen den Werth einer Handlung nicht mehr nach ihren Folgen

wir messen ihn auch nicht mehr nach ihrer Absicht

[81]

So wenig wir noch beten und die Hände nach Oben strecken, so wenig werden wir eines Tages die Verleumdung und Verlästerung nöthig haben, um gewisse Triebe in uns als Feinde zu behandeln; und ebenso kann unsere Macht, welche uns zwingt, Menschen und Institutionen zu zerstören, dies einmal thun, ohne daß wir selbst darüber in Affekte der Entrüstung und des Ekels gerathen: mit göttlichem Auge und ungestört vernichten! Die Vernichtung der Menschen welche sich gut fühlen, voran! experimentum crucis.

[82]

Jenseits von Gut und Böse

Versuch

einer Überwindung der Moral.

Von 

Friedrich Nietzsche.

[83]

Die religiöse Auslegung überwunden.

Moral gehört in die Lehre von den Affekten (nur ein Mittel ihrer Bändigung, während andere groß gezüchtet werden sollen.

[84]

Die Überwindung der Moral.

Bisher der Mensch kümmerlich sich erhaltend, indem er die ihm gefährlichsten Triebe bösartig behandelte und verlästerte und ebenso vor den ihn erhaltenden servil schmeichelte. Gewinnung neuer Mächte und Länder

a) der Wille zur Unwahrheit

b) der Wille zur Grausamkeit

c) der Wille zur Wollust

d) der Wille zur Macht

[85]

auf das Verstehen der Außenwelt und die Mittheilung an dieselbe eingerichtet müssen Intellekt und Sinne oberflächlich sein. Vollkommene Leerheit der Logik –

[86]

Arbeitstheilung, Gedächtniß, Übung, Gewohnheit, Instinkt, Vererbung, Vermögen, Kraft – alles Worte, mit denen wir nichts erklären, aber wohl bezeichnen und andeuten.

[87]

Das Ich (welches mit der einheitlichen Verwaltung unseres Wesens nicht eins ist!) ist ja nur eine begriffliche Synthesis – also giebt es gar kein Handeln aus Egoismus

[88]

– daß irgend eine bewußte oder unbewußte Berechnung der Lust, die man im Gefolge eines Thuns hat (sei es im Thun, oder nachher), wirklich Ursache des Thuns ist, ist eine Hypothese!!!

[89]

Wir gehören zum Charakter der Welt, das ist kein Zweifel! Wir haben keinen Zugang zu ihr als durch uns: es muß alles Hohe und Niedrige an uns als nothwendig ihrem Wesen zugehörig verstanden werden!

[90]

NB. Wir wollen unsere Neigungen und Abneigungen redlich eingestehn und es uns wehren, dieselben aus moralischen Farbentöpfen zu schminken. So gewiß wir unsere Noth nicht mehr als unseren Kampf mit Gott und Teufel auslegen werden! Seien wir naturalistisch und gestehen wir ein gutes Recht auch Dem zu, was wir bekämpfen müssen, an uns oder außer uns!

[91]

Durch die Arbeitstheilung sind die Sinne vom Denken und Urtheilen beinahe gelöst: während früher dies in ihnen lag, ungeschieden. Noch früher müssen die Begierden und die Sinne Eins gewesen sein.

[92]

Aller Kampf – alles Geschehen ist ein Kampf – braucht Dauer. Was wir Ursache und Wirkung nennen, läßt den Kampf aus und entspricht folglich nicht dem Geschehen. Es ist consequent, die Zeit in Ursache und Wirkung zu leugnen.

[93]

Thun wir einigen Aberglauben von uns ab, der in Bezug auf Philosophen bisher gang und gäbe war

[94]

Die neue Aufklärung

Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.

Von 

Friedrich Nietzsche.

[95]

Freie Geister und andere Philosophen.

Jenseits von Gut und Böse.

[96]

Moralisten-Moral.

[97]

Zur Verwechslung von Ursache und Symptom

Lust und Unlust sind die ältesten Symptome aller Werthurtheile: nicht aber Ursachen der Werthurtheile!

Also: Lust und Unlust gehören wie die sittlichen und aesthetischen Urtheile unter Eine Kategorie.

[98]

Die Worte bleiben: die Menschen glauben, auch die damit bezeichneten Begriffe!

[99]

Es fehlen uns viele Begriffe, um Verhältnisse auszudrücken: wie schnell sind wir mit Herr und DienerVater und Kind usw. fertig!

[100]

Grundmißverständniß: ein Mensch legt nach sich jeden Anderen aus; daher Mißverständniß vieler Tugenden und Affekte, die einer höheren Art eignen. Selbst der selbe Mensch versteht sich falsch, wenn er in einem niederen Augenblick auf seine hohen Festzeiten zurückblickt. Selbst-ErniedrigungDemuth

Kapitel 101–150

[101]

Ach, kennt ihr die stumme Zärtlichkeit, mit der der böse und furchtbare Mensch jenen Augenblicken nachhängt, wo er einmal – oder noch – anders war! Niemand sieht die Tugend so verführerisch, so sehr Weib und Kind.

[102]

Im reinsten Quell ist Ein Tropfen Schmutzes genug –

[103]

Die Hand, die sich zu einem Gebete ausstrecken wollte, der zum Seufzer bereite Mund – hier hat der freie Geist seine Überwindung, aber auch seine Stauung. Eines Tags wird der Damm überstürzt von den wilden Wassern –

[104]

Viele Feinere wollen Ruhe, Frieden vor ihren Affekten – sie streben nach Objektivität, Neutralität, sie sind zufrieden als Zuschauer übrig zu bleiben, – und als kritische Zuschauer mit einer neugierigen und muthwilligen Überlegenheit.

Andere wollen Ruhe nach Außen, Ungefährlichkeit des Lebens, – sie möchten nicht beneidet und nicht angegriffen werden – und geben lieber Jedem sein Recht – nennen's Gerechtigkeit und Menschenliebe usw. Zum Capitel: Die Tugenden als Verkleidung.

[105]

Der Verlust bei aller Spezialisirung: die synthetische Natur ist die höhere. Nun ist schon alles organische Leben eine Spezialisirung; die dahinterstehende unorganische Welt ist die größte Synthesis von Kräften und deshalb das Höchste und Verehrungswürdigste. – Der Irrthum, die perspektivische Beschränktheit fehlt da.

[106]

Künstler: begeistert, sinnlich, kindsköpfig, bald übermißtrauisch, bald überzutraulich

[107]

– Bist du Einer, der als Denker seinem Satze treu ist, nicht wie ein Rabulist, sondern wie ein Soldat seinem Befehle? Es giebt nicht nur gegen Personen Untreue.

[108]

– Mitleiden bei einem, der Glücks und Muths genug hat, um auch abseits stehen und abseits blicken zu können, gleich einem epikureischen Gotte.

[109]

Der Spiegel.

Philosophie des verbotenen Wissens.

Von 

Friedrich Nietzsche.

[110]

Gott ist widerlegt, der Teufel nicht. Für hellsichtige und mißtrauische Augen, welche tief genug in die Hintergründe zu blicken wissen, ist das Schauspiel des Geschehens kein Zeugniß weder von Wahrhaftigkeit noch väterlicher Fürsorge oder überlegener Vernünftigkeit; weder etwas Vornehmes, noch etwas Reines und Treuherziges.

[111]

Die nordische Unnatürlichkeit: alles mit silbernen Nebeln überzogen, man muß künstlich erst zum Wohlgefühle kommen, die Kunst ist dort eine Art Ausweichen vor sich selber. Ach, diese blasse Freude, dies Oktober-Licht auf allen Freuden!

Die nordische Künstlichkeit

[112]

Der Versucher.

Von 

Friedrich Nietzsche.

[113]

Harmlosigkeit unserer kritischen Philosophen, welche nicht bemerken, daß Scepsis – – –: sie meinen, wenn man erst das Werkzeug prüfe, bevor man es anwendet, nämlich das Erkenntnißvermögen – – –. Dies ist schlimmer noch als ein Streichholz prüfen wollen, bevor man es brauchen will. Es ist das Streichholz, das sich selber prüfen will, ob es brennen wird

[114]

Die unbedingte Nothwendigkeit alles Geschehens enthält nichts von einem Zwange: der steht hoch in der Erkenntniß, der das gründlich eingesehn und eingefühlt hat. Aus seinem Glauben ergiebt sich kein Verzeihen und Entschuldigen – ich streiche einen Satz durch, der mir mißrathen ist, so gut ich die Nothwendigkeit einsehe, vermöge deren er mir mißrieth, denn der Lärm eines Karrens störte mich – so streichen wir Handlungen, unter Umständen Menschen durch, weil sie mißrathen sind. Alles begreifen – das hieße alle perspektivischen Verhältnisse aufheben das hieße nichts begreifen, das Wesen des Erkennenden verkennen.

[115]

Der interpretative Charakter alles Geschehens. Es giebt kein Ereigniß an sich. Was geschieht, ist eine Gruppe von Erscheinungen ausgelesen und zusammengefaßt von einem interpretirenden Wesen.

[116]

Die Furcht ist weitergebildet worden zum Ehrgefühl, der Neid zur Billigkeit (jedem das Seine und gar gleiche Rechte) die Zudringlichkeit der Vereinsamten und Gefährdeten zur Treue, – – –

[117]

die Schwerfälligkeit des Geistes, der sich festsetzt, wohin er einmal gerathen ist, die Bequemlichkeit, die nicht umlernen will, die gutmüthige Unterwerfung unter eine Macht und Freude am Dienen, das feuchtwarme Brüten auf Gedanken, Wünschen – alles deutsch – Ursprung der Treue und Gläubigkeit.

[118]

Die Theilung eines Protoplasma in 2 tritt ein, wenn die Macht nicht mehr ausreicht, den angeeigneten Besitz zu bewältigen: Zeugung ist Folge einer Ohnmacht.

Wo die Männchen aus Hunger die Weibchen aufsuchen und in ihnen aufgehn, ist Zeugung die Folge eines Hungers.

[119]

Der völlig gleiche Verlauf aber die höhere Ausdeutung des Verlaufs!! Die mechanistische Einerleiheit der Kraft, aber die Steigerung des Machtgefühls! Das zweite Mal – aber es giebt kein zweites Mal.

Die absolute Wirkungslosigkeit des inneren Gefühls der Macht als Causalität, – – –

[120]

Derselbe Text erlaubt unzählige Auslegungen: es giebt keine richtige Auslegung.

[121]

Gai saber.

Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.

1. Freie Geister und andere Philosophen.

2. Welt-Auslegung, nicht Welt-Erklärung.

3. Jenseits von Gut und Böse.

4. Der Spiegel. Eine Gelegenheit zur Selbstbespiegelung für Europäer.

5. Die Philosophen der Zukunft.

[122]

Überwindung der Affekte? – Nein, wenn es Schwächung und Vernichtung derselben bedeuten soll. Sondern in Dienst nehmen: wozu gehören mag, sie lange zu tyrannisiren (nicht erst als Einzelne, sondern als Gemeinde, Rasse usw.) Endlich giebt man ihnen eine vertrauensvolle Freiheit wieder: sie lieben uns wie gute Diener und gehen freiwillig dorthin, wo unser Bestes hin will.

[123]

Glück und Selbstzufriedenheit des Lazzaroni oder Seligkeit bei schönen Seelen oder schwindsüchtige Liebe bei herrnhuterischen Pietisten beweisen nichts in Bezug auf die Rangordnung der Menschen. Man müßte, als großer Erzieher, eine Rasse solcher seligen Menschen unerbittlich in das Unglück hineinpeitschen: die Gefahr der Verkleinerung, des Ausruhens ist sofort da: gegen das spinozistische oder epikureische Glück und gegen alles Ausruhen in contemplativen Zuständen. Wenn aber die Tugend das Mittel zu einem solchen Glück ist, nun, so muß man auch Herr über die Tugend werden

[124]

Wie entsteht die perspektivische Sphäre und der Irrthum? Insofern, vermöge eines organischen Wesens, sich nicht ein Wesen, sondern der Kampf selber erhalten will, wachsen will und sich bewußt sein will.

Das, was wir Bewußtsein und Geist nennen, ist nur ein Mittel und Werkzeug, vermöge [dessen] nicht ein Subjekt, sondern ein Kampf sich erhalten will.

Der Mensch ist das Zeugniß, welche ungeheuren Kräfte in Bewegung gesetzt werden können, durch ein kleines Wesen vielfachen Inhalts (oder durch einen perennirenden Kampf concentrirt auf viele kleine Wesen)

Wesen, die mit Gestirnen spielen

[125]

– Der Glaube so und so ist es zu verwandeln in den Willen so und (so) soll es werden.

[126]

– Die Wege zum Heiligen. Schluß von der Wille zur Macht.

[127]

– es muß solche geben, die alle Verrichtungen heiligen, nicht nur Essen und Trinken: und nicht nur im Gedächtniß an sie, oder im Eins-Werden mit ihnen, sondern immer von Neuem und auf neue Weise soll diese Welt verklärt werden.

[128]

– das Wesentliche des organischen Wesens ist eine neue Auslegung des Geschehens, die perspektivische innere Vielheit, welche selber ein Geschehen ist.

[129]

– die Heiligen als die stärksten Menschen (durch Selbstüberwindung und Freiheit, Treue usw.

[130]

– das Verdienst leugnen, aber das thun, was über allem Loben, ja über allem Verstehen ist

[131]

Der Wille zur Macht.

[132]

– ein großer Mensch, der ein Recht dazu fühlt, Menschen zu opfern wie ein Feldherr Menschen opfert; nicht im Dienste einer Idee, sondern weil er herrschen will.

[133]

– es ist immer weniger physische Kraft nöthig: mit Klugheit läßt man Maschinen arbeiten, der Mensch wird mächtiger und geistiger.

[134]

– weshalb es heute nöthig ist, zeitweilig grob zu reden und grob zu handeln. Etwas Feines und Verschwiegenes wird nicht mehr verstanden, selbst nicht von denen, welche uns verwandt sind. Wovon man nicht laut spricht und schreit, das ist nicht da: Schmerz, Entbehrung, Aufgabe, die lange Pflicht und die große Überwindung – Keiner sieht und riecht etwas davon. Die Heiterkeit gilt als Zeichen des Mangels an Tiefe: daß sie die Seligkeit nach allzu strenger Spannung sein kann, wer weiß es? – Man geht mit Schauspielern um und thut sich viel Zwang an, um auch da zu ehren. Aber Niemand versteht, inwiefern es mir hart und peinlich ist, mit Schauspielern umzugehn. Oder mit einem phlegmatischen Genüßling, der Geist genug hat, um –

[135]

– ich habe es den Deutschen als Philisterei und Bequemlichkeit angerechnet: aber dieses Sich-gehen-lassen ist europäisch und jetztzeitig, nicht nur in der Moral und Kunst.

[136]

– sich nicht erlauben, daß aus der Neugierde und dem Eifer des Forschens eine Tugend gemacht wird, ein Wille zur Wahrheit. Die Gelehrten von Port Royal wußten und nahmen das strenger. Aber wir haben alle unsere Hänge ins Kraut schießen lassen und möchten hinterdrein auch den schönen Namen der Tugenden dafür haben. Die Tugend gehört aber zu den Erzeugnissen der stärkeren und böseren Zeitalter: sie ist ein Privilegium von Aristokraten.

[137]

Ich wundere mich über die anerkanntesten Dinge der Moral – und andere Philosophen, wie Schopenhauer, sind nur vor den Wundern in der Moral stillgestanden.

[138]

Zwiste und Zwiegespräche

[139]

Die Künstler fangen an, ihre Werke zu schätzen und zu überschätzen, wenn sie aufhören, Ehrfurcht vor sich selber zu haben. Ihr rasendes Verlangen nach Ruhm verhüllt oft ein trauriges Geheimniß.

Das Werk gehört nicht zu ihrer Regel, sie fühlen es als ihre Ausnahme. –

Vielleicht auch wollen sie, daß ihre Werke Fürsprache für sie einlegen, vielleicht, daß Andere sie über sie selber täuschen. Endlich: vielleicht wollen sie Lärm in sich, um sich selber nicht mehr zu hören.

[140]

Gott will mein Bestes, als er mir das Leid schickte. – Das steht bei dir, es zu deinem Besten auszulegen: mehr bedeutete es auch bei dem religiösen Menschen nicht.

[141]

Jenseits von Ja und Nein.

Fragen und Fragezeichen für Fragwürdige.

[142]

Wir wissen es besser als wir es uns eingestehen, daß W[agner] arm ist, daß ihm selten ein Gedanke kommt, daß er selber am meisten über sein Erscheinen erschreckt, entzückt, umgeworfen ist und eine überlange Zeit nicht müde wird, diese Wunder von Gedanken zu streicheln und herauszuputzen. Er ist zu dankbar und kennt die kalte Leutseligkeit der Reichen nicht, noch weniger ihren zärtlichen Ekel, die Müdigkeit solcher, welche nichts thun als verschenken – gleich Mozart, gleich Rossini: nur die überreichen Quellen springen und tanzen.

[143]

Wir Eidechsen des Glücks.

Gedanken eines Dankbaren.

[144]

Die letzte Tugend.

Eine Moral für Moralisten

[145]

– diese letzte Tugend, unsere Tugend heißt: Redlichkeit. In allen übrigen Stücken sind wir nur die Erben und vielleicht die Verschwender von Tugenden, die nicht von uns gesammelt und gehäuft wurden

[146]

Ein Moralist: darunter verstehe ich unsere Frage und Einwurf: hat es je schon einen solchen wahren rechten M[oralisten] gegeben? – Vielleicht nein, vielleicht ja; jedenfalls darf es von jetzt ab nur noch solche M[oralisten] geben.

[147]

Fliehen wir, meine Freunde, vor dem, was langweilig ist, vor dem bedeckten Himmel, vor der Watschel-Gans, vor dem ehrsamen Weibe, vor den alten Jungfern, welche schreiben und Bücher legen – ist das Leben nicht zu kurz, sich zu langweilen?

[148]

Die Welt als Wille und Vorstellung – ins Enge und Persönliche, ins Schopenhauer'sche zurückübersetzt: die Welt als Geschlechts-Trieb und Beschaulichkeit.

[149]

Das deutsche Reich liegt mir fern, und es giebt keinen Grund für mich, in Bezug auf eine Sache, die so fern liegt, freund oder feind zu sein.

[150]

Wir waren bisher so artig gegen die Frauen. Wehe, es kommt die Zeit, wo man, um mit einer Frau verkehren zu können, ihr vorerst auf den Mund schlagen muß.

Kapitel 151–200

[151]

Die Wege zum Heiligen.

Was sind starke Geister?

Von der Heerdenthier-Moral

[152]

Neue Gefahren und neue Sicherheiten

Ein Buch für starke Geister.

[153]

NB. Gegen Arisch und Semitisch. Wo Rassen gemischt sind, der Quell großer Cultur.

[154]

Was ist vornehm?

Gedanken über Rangordnung.

[155]

Worauf warten wir doch? Ist es nicht auf einen großen Herolds- und Trompeten-Lärm? Welches Glück liegt in lauten Tönen! Es giebt eine Stille, welche würgt: wir horchen schon zu lange.

[156]

Wer die größten Geschenke zu vergeben hat, sucht nach Solchen, welche sie zu nehmen verstehen – er sucht vielleicht umsonst? Er wirft endlich sein Geschenk weg? Dergleichen gehört zur geheimen Geschichte und Verzweiflung der reichsten Seelen: es ist vielleicht der unverständlichste und schwermüthigste aller Unglücksfälle auf Erden.

[157]

Daß das moralische Urtheil, sofern es sich in Begriffen darstellt, sich eng, plump, armselig, beinahe lächerlich ausnimmt, gemessen an der Feinheit desselben Urtheils, sofern es sich in Handlungen, im Auswählen, Abweisen, Schaudern, Lieben, Zögern, Anzweifeln, in jeder Berührung von Mensch und Mensch darstellt.

[158]

wie heute die brave Mittelmäßigkeit in Deutschland sich bei der Musik ihres Brahms wohl, nämlich verwandt fühlt –: wie die feinen und unsicheren Windhunde des Pariser Geistes heute mit einem wollüstigen Geschmeichel um ihren Renan herumschnüffeln –

[159]

Der Werth der Monarchen im Steigen!

[160]

Wie verrätherisch sind alle Parteien! – sie bringen etwas von ihren Führern ans Licht, das von ihnen vielleicht mit großer Kunst unter den Scheffel gestellt ist

[161]

Es hat Jeder vielleicht seinen Maaßstab für Das, was ihm als oberflächlich gilt: wohlan, ich habe den meinen – einen groben, einfältigen Maaßstab zu meinem Hausgebrauche, wie er mir in die Hand paßt – mögen Andere ein Recht auf kitzlichere, feinzüngigere Werkzeuge haben! Wer das Leiden als Argument gegen das Leben fühlt, gilt mir als oberflächlich, mithin unsre Pessimisten; insgleichen, wer im Wohlbefinden ein Ziel sieht.

[162]

Die orgiastische Seele. –

Ich habe ihn gesehn: seine Augen wenigstens – es sind bald tiefe stille, bald grüne und schlüpfrige Honig-Augen sein halkyonisches Lächeln, der Himmel sah blutig und grausam zu

die orgiastische Seele des Weibes

ich habe ihn gesehn, sein halkyonisches Lächeln, seine Honig-Augen, bald tief und verhüllt, bald grün und schlüpfrig, eine zitternde Oberfläche,

schlüpfrig, schläfrig, zitternd, zaudernd, quillt die See in seinen Augen

[163]

1. Cäsar unter Seeräubern

2. An der Brücke

3. Die Hochzeit. – und plötzlich, während der Himmel dunkel herniederfällt

4. Ariadne.

[164]

Diese Musik – doch dionysisch? der Tanz?

die Heiterkeit? der Versucher? die religiöse Fluth? unter Platos Kopfkissen Ar[istophanes]?

[165]

unsre Spielleute und M[enschen] des unehrlichen Begräbnisses – es sind die Nächstverwandten der Hexen, sie haben ihre Blocksberge

[166]

die mystische Natur, durch Laster besudelt und schäumend

[167]

die gütige und reine Quelle, die niemals mehr mit einem Tropfen Unraths fertig wird der in sie fiel, bis sie endlich gelb und giftig durch und durch ist: – die verderbten Engel

[168]

Wir Immoralisten.

[169]

Heil dir, so du weißt, was du thust; doch weißt du es nicht, so bist du unter dem Gesetze und unter des Gesetzes Fluch

Jesus von Nazareth.

[170]

Arbeitsamkeit, als Anzeichen einer unvornehmen Art Mensch (die, wie sich von selber versteht, deshalb noch eine schätzenswerthe und unentbehrliche Art Mensch ist – Anmerkung für Esel) möchte in unserem Zeitalter – – –

[171]

im Verhältniß zu Rabelais und jener überschäumenden Kraft der Sinne, deren Merkmal es ist, – – –

[172]

Raffael ohne Hände

die Klöster und Einsiedeleien der Cultur

Diese Musik ist nicht aufrichtig

So wenig Staat als möglich – die antinationalen Mächte Für Einen, dem ObjektivitätBeschaulichkeit schon der höchste Zustand ist, wie Schopenhauer – der weiß nicht genug das Glück, einen ungebrochenen naiven Egoismus zu finden die Tartüfferie der Deutschen! die alte Frau als Ausfluß ihres Pflichtgefühls darstellen – ich habe es mit eigenen Ohren gehört.

Geschrei und Geschreib der häßlichen Mädchen – der abnehmende Einfluß des Weibes. die neue Melusine

Möglichst viel Militaria, die angeschossenen Könige – die Entbehrung des Feldlagers, ohne Thür und Fenster der geladene Revolver

die Ursache jeder Handlung ein Akt des Bewußtseins, ein Wissen! Folglich die schlechten Handlungen nur Irrthümer usw.

Das berühmte Wort vergieb ihnen, die Verallgemeinerung tout comprendre – oberflächliche Worteder große Zweideutige und Versucher

[173]

ein kalter widerwilliger See, auf dem sich kein Entzücken kräuselt

[174]

noch nicht eine Stunde unter meines Gleichen, bei jedem Thun und Geschäfte den heimlichen Wurm du hast Anderes zu thun gemartert von Kindern Gänsen und Zwergen, Alpdruck – es giebt nur Solche um ihn, an denen er weder Vergeltung üben, noch Belehrung geben – – –

[175]

verzärtelte Gewissen

[176]

das kleine Wehsal

[177]

Von einem großen Menschen.

Die Nachgekommenen sagen von ihm: seitdem stieg er immer höher und höher. – Aber sie verstehen nichts von diesem Martyrium des Aufsteigens: ein großer Mensch wird gestoßen, gedrückt, gedrängt, hinaufgemartert in seine Höhe.

[178]

Dies ist das Problem der Rasse, wie ich es verstehe: denn an dem plumpen Geschwätz von arisch – – –

[179]

Der Jesuitismus der Mittelmäßigkeit, welcher den ungewöhnlichen und gespannten Menschen wie einen ihm gefährlichen Bogen zu brechen oder abzuschwächen sucht, mit Mitleiden und bequemer Handreichung so gut als mit Vergiftungen seiner nothwendigen Einsamkeit und heimlicher Beschmutzung seines Glaubens –: der seinen Triumph hat, wenn er sagen kann der ist endlich wie unser-Einer geworden, dieser herrschsüchtige Jesuitismus, der die treibende Kraft in der gesammten demokratischen Bewegung ist, wird überall sehr abseits von der Politik und den Fragen der Ernährung – – –

[180]

Mozart die Blume des deutschen Barokko –

[181]

Inspiration. –

[182]

Es ist schwer verstanden zu werden. Schon für den guten Willen zu einiger Feinheit der Interpretation soll man von Herzen dankbar sein: an guten Tagen verlangt man gar nicht mehr Interpretation. Man soll seinen Freunden einen reichlichen Spielraum zum Mißverständniß zugestehen. Es dünkt mich besser mißverstanden als unverstanden zu werden: es ist etwas Beleidigendes darin, verstanden zu werden. Verstanden zu werden? Ihr wißt doch, was das heißt? – Comprendre c'est égaler.

Es schmeichelt mehr, mißverstanden zu sein als unverstanden: gegen das Unverständliche bleibt man kalt, und Kälte beleidigt.

[183]

Ach, dies ist das Meer: und hier soll dieser Vogel sein Nest bauen? An jenen Tagen, wo das Meer stille wird und – – –

[184]

Von der Habgier des Geistes: wo, wie beim Geize, das Mittel Zweck wird. Die Unersättlichkeit

Man liebt heute alles fatalistische Ungeheure: so auch den Geist.

[185]

Die Zucht des Geistes.

Gedanken über das intellektuelle Gewissen.

Die Habgier und Unersättlichkeit des Geistes: – das Ungeheure, Fatalistische, Nächtlich-Schweifende, Erbarmungslose, Raubthierhafte und Listige daran.

[186]

Der Gelehrte.Was ist Wahrheit.

Von der Zuchtlosigkeit des Geistes.

Das Demagogische in unsren Künsten.

Herren- und Sklavenmoral.

Moral und Physiologie.

Frömmigkeit.

Zur Geschichte des freien Geistes.

Wir Immoralisten.

Die vornehme Seele.

Die Maske.

[187]

1. Was ist Wahrheit?

2. Zur Naturgeschichte des Gelehrten.

3. Die Maske.

4. Von der vornehmen Seele.

5. Wir Immoralisten

6. Heerden-Moral.

7. Von der Demagogie der Künste.

8. Frömmigkeit.

9. Die guten Europäer.

10. Die Philosophen der Zukunft. Skeptiker. Freie Geister. Starke Geister. Versucher. Dionysos.

[188]

Erstes Hauptstück:

unser Muth

Zweites Hauptstück:

unser Mitleid

Drittes Hauptstück:

unsre Einsicht

Viertes Hauptstück:

unsre Einsamkeit.

[189]

1. Moral und Erkenntniß.

2. Moral und Religion.

3. Moral und Kunst.

4. Wir Europäer.

5. Was ist vornehm? Inspiration

[190]

Unter denen, welche sich von der Religion losgelöst haben, finde ich Menschen von vielerlei Art und Rang. Da sind die Unenthaltsamen, welche sich von ihren Sinnen haben überreden lassen (weil ihre Sinne den Zwang und Vorwurf des religiösen Ideals nicht mehr ertrugen) – und die sich der Vernunft, des Geschmacks als ihrer Fürsprecher zu bedienen pflegen, wie als ob sie das Unvernünftige, das Geschmackwidrige an der Religion nicht mehr zu ertragen wüßten: – dieser Art Mensch eignet der antireligiöse Haß, die Bosheit und das sardonische Lachen, ebenso aber, in gut verheimlichten Augenblicken – eine sehnsuchtsvolle Scham, eine innere Unterwürfigkeit unter die Werthschätzungen des verleugneten Ideals. Der Kirche durch Sinnlichkeit entfremdet, verehren sie, wenn sie wieder zu ihr zurückkehren, das Ideal der Entsinnlichung, als das religiöse Ideal an sich: – eine Quelle vieler und schwerer Irrthümer.

Da sind die geistigeren, gefühlsärmeren, trockneren, auch gewissenhafteren Menschen, welche von Grund aus an ein Ideal zu glauben überhaupt unfähig sind und die im feinen Neinsagen und kritischen Auflösen noch ihre größte Stärke und Selbstachtung zu finden wissen: sie sind losgelöst, weil nichts in ihnen ist, das fest binden könnte; sie lösen los, weil – – –

Phasen –

Verlust, Oede, einbegriffen ein Gefühl der Untreue, Undankbarkeit, Loslösung, alles überwogen durch eine unwiderrufliche bittere Gewißheit das Gefühl der ehrfurchtsvollen Nachsicht und eines schönen Ernstes (mit großer Milde gegen die h[omines] religiosi) das Gefühl der überlegenen gütigen Heiterkeit gegen alle Religionen gemischt mit einer leichten Geringschätzung gegen die Unsauberkeit des intellektuellen Gewissens, welche es immer noch Vielen erlaubt, religiös zu sein, oder einem kaum verhehlten Erstaunen, daß es möglich ist zu glauben

[191]

NB. Zuletzt war das Ganze einer griechischen Stadt doch mehr werth als ein Einzelner! es ist nur nicht erhalten! – so gewiß der Leib mehr werth ist als irgend ein Organ. Gehorchen lernen, 1000 Mal im Leibe, das höchste leisten!

[192]

reiner gewaschen und reinlicher gekleidet tüchtige Turner mit einem Schloß vor dem losen Maule, sich zum Schweigen erziehend, auch zu einiger Selbstbeherrschung in Venere (und nicht, wie so häufig, verhurt und verhunzt von Knabenalter an): möchten wir sie bald nach dieser Seite hin europäisirt sehn

[193]

ich liebe die prachtvolle Ausgelassenheit eines jungen Raubthiers, das zierlich spielt, und indem es spielt zerreißt

[194]

Der moderne Pessimismus ist ein Ausdruck von der Nutzlosigkeit der modernen Welt – nicht der Welt und des Daseins.

[195]

Es scheint mir immer mehr daß wir nicht flach und nicht gutmüthig genug sind, um an dieser märkischen Junker-Vater-länderei mitzuhelfen und in ihre haßschnaubende Verdummungs-Parole Deutschland Deutschland über Alles einzustimmen.

[196]

– man muß schon bis zum letzten Wagner und seinen Bayreuther Blättern hinuntersteigen um einem ähnlichen Sumpf von Anmaaßung, Unklarheit und Deutschthümelei zu begegnen, wie es die Reden an die D[eutsche] N[ation] sind.

[197]

Die alten Romantiker fallen um und liegen eines Tags, man weiß nicht wie, vor dem Kreuze ausgestreckt: Das ist auch Richard Wagner begegnet. Die Entartung eines solchen Menschen mit anzusehen gehört zum Schmerzhaftesten was ich erlebt habe: – daß man es in D[eutschland] nicht schmerzhaft empfunden hat, war ein starker Anstoß für mich, jenem Geiste, der jetzt in D[eutschland] herrscht, noch mehr zu mißtrauen.

[198]

Buatschleli batscheli

bim bim bim

Buatscheli batschleli

bim!

[199]

Das Glück fassen und erdrosseln, erwürgen, ersticken mit seiner Umarmung: – die Melancholie solcher Erlebnisse – es würde sonst fliehen und entschlüpfen?

[200]

Wie viel Einer aushält von der Wahrheit?

Wie viel Einer auf sich nimmt, zu verantworten?

Wie viel Einer auf sich nimmt, zu versorgen und zu schützen?

Die Einfachheit – und was der bunte Geschmack der Künstler verräth?

Kapitel 201–247

[201]

Mittelstand-Moral

[202]

Es giebt etwas Unbelehrbares im Grunde: einen Granit von fatum, von vorausbestimmter Entscheidung im Maaße und Verhältniß zu uns, und ebenso ein Anrecht auf bestimmte Probleme, eine eingebrannte Abstempelung derselben auf unseren Namen.

Der Versuch, sich anzupassen, die Qual der Vereinsamung, das Verlangen nach einer Gemeinschaft: dies kann sich bei einem Denker so äußern, daß er an seinem Einzelfall gerade das Persönlichste und Werthvollste subtrahirt und, indem er verallgemeinert, auch vergemeinert. Dergestalt ist es möglich, daß die ganze ausgesprochene Philosophie eines merkwürdigen Menschen nicht eigentlich seine Philosophie, sondern gerade die seiner Umgebung ist, von der er als Mensch abweicht, paratypisch. Inwiefern Bescheidenheit, Mangel an muthigem Ich bin bei einem Denker verhängnißvoll wird. Der Typus ist interessanter als der Einzel- und Ausnahme-Fall: insofern kann die Wissenschaftlichkeit des Geschmacks Jemanden dazu bringen, für sich nicht die nöthige Theilnahme und Vorsicht zu haben. Und endlich: Stil, Litteratur, der Wurf und Fall der Worte – was fälscht und verdirbt dies Alles am Persönlichsten! Mißtrauen im Schreiben, Tyrannei der Eitelkeit des Gut-Schreibens: welches jedenfalls ein Gesellschafts-Kleid ist und uns auch versteckt. Der Geschmack feindlich dem Originellen! eine alte Geschichte.

Stil, der mittheilt: und Stil, der nur Zeichen ist, in memoriam. Der todte Stil eine Maskerade; bei anderen der lebendige Stil. Die Entpersönlichung.

[203]

Gegen einen Feind giebt es kein besseres Gegenmittel als einen zweiten Feind: denn Ein Feind – – –

[204]

Allzuviel auf mir, seit wann?, fast von Kindesbeinen an. Meine Philologie war nur eine begierig ergriffene Echappade: ich kann mich nicht darüber täuschen, die Leipziger Tagebücher redeten zu deutlich. – Und keine Gefährten! – Leichtfertig im Vertrauen? Aber ein Einsiedler hat immer zu viel Vorrath davon aufgehäuft, ebenso freilich auch von Mißtrauen.

[205]

Das tiefste Mißverständniß der Religion, böse Menschen haben keine Religion.

[206]

Russische Musik: wie kommt es, daß – – –

[207]

Die extreme Lauterkeit der Atmosphaere in die ich ihn gestellt habe, und mir erlaubt, Dinge – – –

[208]

ich bin widerstandsunfähiger gegen den phys[ischen] Schmerz geworden: und wenn jetzt Tage kommen mit den alten Anfällen, so verwandelt sich der Schmerz sogleich in eine seelische Tortur, mit der ich nichts vergleichen kann

[209]

Man giebt an sein Werk auch die Höhe und Güte seiner Natur weg: hinterdrein Dürre oder Schlamm. –

[210]

Wie das gute Gewissen und das Wohlbefinden loslöst von den tiefen Problemen!

[211]

Jenseits von Gut und Böse: dergleichen macht Mühe. Ich übersetze wie in eine fremde Sprache, ich bin nicht immer sicher, den Sinn gefunden zu haben. Alles etwas zu grob, um mir zu gefallen.

[212]

Auf braunen, gelben, grünen Purpur-Teppichen kommt

[213]

Wir Früh-Aufsteher, die wir auf den – – –

[214]

Gegensatz, es giebt Wahrheiten zum Erbrechen, materia peccans, welche man schlechterdings los werden will: man wird sie los, indem man sie mittheilt.

[215]

Auf die Noth der Massen sehen mit ironischer Wehmut: sie wollen etwas, das wir können – ah!

[216]

Ich habe den heiligen Namen der Liebe nie entweiht.

[217]

ausgeschlafene Kräfte

[218]

ächt in seiner Objektivität, in seinem heiteren Totalismus, ist er falsch und gewollt in seinen Affekten, künstlich und raffinirt im Erfassen des Einzelnen, selbst in den Sinnen

[219]

NB Wie im Abnehmen der Lebenskraft man zum Beschaulichen und zur Objektivität heruntersinkt: ein Dichter kann es fühlen (Sainte-Beuve).

[220]

Das ungeheure Genießen des Menschen und der Gesellschaft im Zeitalter L[udwigs] XIV machte, daß der Mensch in der Natur sich langweilte und verödet fühlte. Am peinlichsten war die oede Natur, das Hochgebirge.

Die Prezieusen wollten den Geist, mindestens den esprit in die Liebe bringen. Symptom eines ungeheuren Genusses am Geiste (dem hellen, distinguirenden, wie zur Zeit der Perserkriege)

Die künstlichsten Formen (Ronsard, selbst die Skandinavier) machen die größte Freude bei sehr saftigen und kräftigen sinnlichen Naturen: es ist ihre Selbst-Überwindung. Auch die künstlichste Moral.

Unsere Menschen wollen hart, fatalistisch, Zerstörer der Illusionen sein – Begierde schwacher und zärtlicher Menschen, welche das Formlose, Barbarische, Form-Zerstörende goutiren (z.B. die unendliche Melodie – Raffinement der deutschen Musiker) Der Pessimismus und die Brutalität als Reizmittel unsrer Preziösen.

[221]

Catilina – ein Romantiker neben Caesar, modo celer modo lentus ingressus

[222]

Die Gewissensfreiheit ist nur im großen Despotismus nützlich und möglich – ein Symptom der Atomisirung

[223]

NB Die letzte Tugend.

Wir sind die Verschwender der Tugenden, welche unsere Vorfahren angesammelt haben und, Dank ihnen, in Hinsicht auf ihre lange Strenge und Sparsamkeit, mag es eine geraume Zeit noch angehn, daß wir uns als die reichen und übermüthigen Erben [gebärden.]

[224]

düster oder ausgelassen, ein Geist, der in allem, was er aussinnt, Rache für etwas nimmt, das er gethan hat (oder dafür, daß er Etwas nicht gethan hat) – der das Glück nicht ohne Grausamkeit versteht

[225]

Hier, wo die Halbinsel ins Meer läuft

[226]

Wer kein Vergnügen daran hat, Tölpel tanzen zu sehen, soll keine deutschen Bücher lesen. Ich sehe eben einen deutschen Tölpel tanzen: Eugen Dühring, nach dem Anarchisten-Motto ni dieu ni maître.

[227]

Bei den Meisten ist auch heute immer noch ihre Klugheit das Ächteste, was sie haben: und nur jene Seltenen, welche wissen, welche fühlen, wie sie im Zwielichte einer alternden Cultur aufgewachsen sind – – –

[228]

Ich verstehe nicht, was die Laien an R[ichard] W[agner] haben: vielleicht erregt er ihre romantischen Gefühle und alle Schauer und Kitzel des Unendlichen und der romantischen Mystik – wir Musiker sind entzückt und verführt

[229]

Halkyonische Reden. Cäsar unter Seeräubern. Die Stunde, wo die Sonne hinunter ist – Die Menschen zu lieben um Gottes Willen – Für die, welche golden lachen. Dankbar für das Mißverstandenwerden – Am goldenen Gitter. Wir Eidechsen des Glücks – Unter Kindern und Zwergen. An der Brücke. Auf der alten Festung. Das Bad.

Das größte Ereigniß – Immer verkleidet otium Armut, Krankheit – und der vornehme Mensch das langsame Auge

Seines-Gleichen – gegen die Vertraulichkeit Schweigen-können Schwer-versöhnlich, schwer-ergrimmt Alles Förmliche in Schutz nehmen. Frauen. – Tanz, Thorheit, kleine Schmuckkästen der Versucher. Vom Geblüt. Die Maske.

[230]

Halkyonische Lieder.

[231]

Ariadne.

[232]

Das Problem der Rangordnung.

Vorläufige Gedanken und Gedankenstriche

von 

Friedrich Nietzsche.

[233]

NB. Der Schaden macht klug, sagt der Pöbel. – So weit er klug macht, macht er auch schlecht. Aber wie oft macht der Schaden dumm!

[234]

In wiefern ein Handwerk leiblich und geistig deformirt: ebenso Wissenschaftlichkeit an sich, ebenso Gelderwerb, ebenso jede Kunst: – der Spezialist ist nothwendig, aber gehört in die Klasse der Werkzeuge.

[235]

Es ist sehr interessant, einmal Menschen ohne Zügel und Grenze zu sehn: fast alle höheren Menschen (wie Künstler) fallen in irgend eine Unterwerfung zurück, sei es das Christenthum oder die Vaterländerei.

[236]

Wenn dies kein Zeitalter des Verfalls und der abnehmenden Lebenskraft mit viel Melancholie ist, so ist es zum mindesten eines des unbesonnenen und willkürlichen Versuchens: – und es ist wahrscheinlich, daß aus seiner Überfülle mißrathener Experimente ein Gesammt-Eindruck wie von Verfall entsteht: und vielleicht die Sache selbst, der Verfall.

[237]

Das Problem der Rangordnung.