Der Pfeil Gottes - Chinua Achebe - E-Book

Der Pfeil Gottes E-Book

Chinua Achebe

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Chinua Achebe - der dritte Band seiner »Afrikanischen Trilogie« Um 1920 in Nigeria: Ezeulu sieht sich selbst als der Pfeil, den Gott in seinen Bogen spannt, um klar zu zeigen, was richtig und was falsch ist. Falsch wäre es, mit den Kolonialherren einen Kompromiss einzugehen oder mit den Missionaren gemeinsame Sache zu machen. Aber seine Leute stellen sich gegen ihn, als das Falsche richtig scheint. - Der Abschluss der »Afrikanischen Trilogie« - der Roman einer existentiellen Entscheidung. »Er fing die Seele eines ganzen Kontinents ein.« Chimamanda Ngozi Adichie

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 459

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Chinua Achebe

Der Pfeil Gottes

Roman

Aus dem Englischen von M. von Schweinitz

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort von Thomas Brückner

 

 

Überarbeitet von Gudrun Honke

Inhalt

WidmungVorwort zur zweiten AuflageKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Die Familie EzeulusIgbo-Wörter und -AusdrückeNachwort

Dem Andenken meines VatersIsaiah Okafor Achebe

Vorwort zur zweiten Auflage

Wann immer mich jemand danach gefragt hat, welcher meiner Romane mir denn der liebste sei, bin ich jedes Mal einer direkten Antwort aus dem Wege gegangen. Ich war der festen Überzeugung, dass diese Frage genauso gehässig ist, als bitte man einen Mann, seine Kinder nach dem Grad seiner Liebe zu ihnen aufzulisten. Ein Familienvater, der diesen Namen verdient, wird, wenn er es dennoch muss, von der jeweils besonderen Eigenschaft erzählen, die jedes Kind für ihn liebenswert macht.

Was Der Pfeil Gottes angeht, so mag diese besondere Eigenschaft darin bestehen, dass es der Roman ist, mit dem man mich am wahrscheinlichsten dabei ertappen wird, dass ich ihn selbst noch einmal lese. Dabei sind mir bestimmte strukturelle Schwächen aufgefallen, und ich nutze die Gelegenheit dieser Neuausgabe, sie zu beseitigen.

Der Pfeil Gottes hat sowohl glühende Verehrer als auch erbitterte Gegner gefunden. Letzteren braucht man nichts mehr entgegenzuhalten. Ersteren gegenüber kann ich nur meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die Änderungen, die ich vorgenommen habe, ihre Zustimmung finden mögen. Doch liegt es wohl in der Natur der Dinge, dass manche an ihrer Vorliebe für das Original festhalten und diese Änderungen als unnötig oder gar ungerechtfertigt ansehen werden. Vielleicht sind Änderungen auch nur selten nötig und gerechtfertigt, und doch ändern wir immer wieder. Zumindest aber sollten wir bereit sein, uns vor jenen zu verneigen, die wie Felsen in der Brandung stehen: vor den geistigen Nachfahren jenes wunderbaren Menschen, Ezeulu, in der Hoffnung, dass sie uns vergeben. Möglicherweise hätte Ezeulu, wenn ihm sein Schicksal erspart geblieben wäre, die Überzeugung gewonnen, dass sein persönliches Geschick völlig seiner historischen Bestimmung als Opfer entsprach, und hätte seinen Untergang dem Abfall seines Volkes von ihm geweiht – und damit zu einem Akt geistiger Läuterung erhoben. Und er hätte ihm gern verziehen.

 

Chinua Achebe

Kapitel 1

Es wurde zum dritten Mal Abend, seit Ezeulu begonnen hatte, nach den Anzeichen des Neumondes Ausschau zu halten. Heute mussten sie zu sehen sein, das wusste er; doch er war schon immer drei Tage vor der Zeit auf seinem Posten, denn er durfte das Ereignis auf keinen Fall versäumen. In dieser Jahreszeit war die Aufgabe nicht allzu schwierig, er brauchte den Himmel nicht so eindringlich abzusuchen wie zur Regenzeit, in der sich der Neumond manchmal tagelang hinter den Wolken verbarg, schon halb gerundet war, wenn er endlich zum Vorschein kam und während dieses Versteckspiels den Oberpriester Ezeulu zwang, jeden Abend in seiner Tür auf ihn zu warten.

Sein obi war anders gebaut als die Häuser der übrigen Leute. Es hatte an der Vorderseite die übliche lange Schwelle, aber rechts neben dem Eingang war noch eine zweite, kürzere. Die Dachsparren über diesem zweiten Eingang waren so weit zurückgeschnitten, dass Ezeulu, wenn er auf dem Boden saß, den Teil des Himmels beobachten konnte, in dem der Mond seine Tür hatte. Es dunkelte, und der Priester blinzelte, um seine Augen freizuhalten von dem Wasser, das sich durch das scharfe Spähen darin sammelte.

Ezeulu dachte nicht gern daran, dass sein Augenlicht nicht mehr so gut war wie früher; eines Tages müsste er sich auf fremde Hilfe verlassen, wie es sein Großvater getan hatte, als die Kraft seiner Augen versagte. Der hatte freilich ein so hohes Alter erreicht, dass er seine Blindheit als Ehrenzeichen trug. Wenn Ezeulu ebenso lange lebte, nähme auch er ein solches Schicksal hin. Jetzt aber taugte er noch so viel wie ein junger Mann – oder sogar mehr, weil die jungen Männer nicht mehr so waren wie früher. Ezeulu spielte gern ein Spiel mit ihnen, dessen er nicht müde wurde: Wenn sie ihm die Hand reichten, spannte er die Armmuskeln und legte seine ganze Kraft in den Händedruck, und da sie darauf nicht gefasst waren, zuckten sie jedes Mal heftig vor Schmerz zusammen und wichen zurück.

Der Mond, den Ezeulu an diesem Abend sah, war dünn wie ein Waisenkind, das von einer grausamen Pflegemutter widerwillig ernährt wird. Er sah schärfer hin, um sicher zu sein, dass ihn nicht ein Federwölkchen betrog. Gleichzeitig griff er etwas beklommen nach seiner ogene. Es war bei jedem Neumond dasselbe; jetzt war er ein alter Mann, aber noch immer umgab ihn die Furcht vor dem Neumond, die er als Kind empfunden hatte. Freilich, seit er Oberpriester des Ulu wurde, wich diese Furcht häufig der Freude über sein hohes Amt – aber gestorben war sie nie. Sie lag nun, von jener Freude überwältigt, auf dem Boden.

Er schlug seine ogene gome gome gome gome … und sogleich trugen Kinderstimmen die Nachricht überallhin. Onwa atuo! … onwa atuo … onwa atuo! … Er legte den Schlegel zurück in den eisernen Gong und lehnte ihn an die Wand.

Die Kinder in Ezeulus Hof stimmten in den Gruß an den Neumond ein. Obiagelis schrille Stimme übertönte die andern wie eine kleine ogene die Trommeln und Flöten. Auch die Stimme seines jüngsten Sohnes Nwafo hörte der Oberpriester heraus. Die Frauen standen im Freien und sprachen miteinander.

»Mond«, sagte die älteste Frau, »möge dein Gesicht mir Glück bringen, wenn es meines bescheint.«

»Wo ist er?«, fragte Ogoye, die jüngere Frau. »Ich sehe ihn nicht – oder bin ich blind?«

»Siehst du ihn nicht – dort über der Krone des Ukwabaums? Nein, nicht da – folge meinem Finger.«

»Oho – jetzt sehe ich ihn. Mond, möge dein Gesicht mir Glück bringen, wenn es meines bescheint. Aber wie hängt er da? Mir gefällt seine Stellung nicht.«

»Warum?«, fragte Matefi.

»Ich glaube, er steht schief – wie ein böser Mond.«

»Nein«, erwiderte Matefi. »Ein böser Mond gibt uns keine Gelegenheit zu zweifeln. Wie damals, als Okuata starb und die Beine des Mondes nach oben in die Luft standen.«

»Kann der Mond Menschen töten?«, fragte Obiageli. Sie zerrte am Rock ihrer Mutter.

»Was habe ich diesem Kind getan? Willst du mir die Kleider vom Leibe reißen, bis ich nackt bin?«

»Ich fragte: Kann der Mond Menschen töten?«

»Kleine Mädchen tötet er«, antwortete Nwafo.

»Dich hab ich nicht gefragt, du Ameisenhaufennase.«

»Du wirst bald weinen, Usa bulu Okpili.«

»Der Mond tötet kleine Jungen – der Mond tötet Ameisenhaufennasen – der Mond tötet kleine Jungen …«

Obiageli machte aus allem ein kleines Lied.

 

Ezeulu ging in seine Scheune und nahm eine Yamsknolle von einem Bambusregal, das eigens für die zwölf heiligen Yamsknollen aufgestellt worden war. Acht waren noch übrig. Obwohl er wusste, dass es noch acht sein mussten, zählte er sie sorgfältig. Drei hatte er schon gegessen, die vierte hielt er in der Hand. Die übrigen zählte er nochmals und ging zurück zu seinem obi, nachdem er die Scheunentür gewissenhaft hinter sich geschlossen hatte.

Sein Holzfeuer schwelte. Er griff nach ein paar Scheiten Brennholz, das in der Ecke gestapelt war, baute sie sorgfältig in das Feuer ein und legte die Yam wie ein Opfer obenauf.

Während sie röstete, dachte er über die kommenden Ereignisse nach. Es war Oye. Morgen würde Afo sein, und am Tag darauf Nkwo, der Tag des großen Markts. Das Fest der Kürbisblätter folgte demnach auf den dritten dann folgenden Nkwo. Morgen musste er seine Helfer holen lassen und ihnen befehlen, diesen Tag in den sechs Dörfern von Umuaro zu verkünden.

Wann immer Ezeulu seine ungeheure Macht über das Jahr und die Ernten und somit auch über die Menschen zu Bewusstsein kam, fragte er sich, ob sie denn real sei, diese Macht … Freilich, er verkündete den Tag für das Fest der Kürbisblätter und das Fest des Neuen Yam; aber auswählen konnte er den Tag nicht. Er war nur ein Wächter. Seine Macht war nicht größer als die Macht eines kleinen Jungen über die Ziege, die er sein Eigen nannte. Solange sie lebte, war sie sein; er konnte ihr Futter suchen und sie hüten. Aber wenn sie geschlachtet werden sollte, erfuhr er, wem sie wirklich gehörte. Nein! Der Oberpriester des Ulu war mehr, musste mehr sein! Weigerte er sich, den Tag zu nennen, dann gab es kein Fest, kein Pflanzen und kein Reifen. Aber … konnte er sich weigern? Noch nie hatte sich ein Oberpriester geweigert. Also war es unmöglich. Er durfte es nicht wagen.

Nun regte sich Zorn in ihm, als habe ein Feind die eben gedachten Worte gesprochen.

»Lass das Wort ›wagen‹ weg!«, antwortete er diesem Feind. »Ja, ich sage, lass es weg! Kein Mann in ganz Umuaro darf sich erheben und erklären, ich wagte etwas nicht. Die Frau, die den Mann zur Welt bringt, der das behauptet, ist noch nicht geboren.«

Diese Zurechtweisung brachte ihm jedoch nur eine kurze Befriedigung. Tief in seinem Innern fuhr er damit fort, beharrlich die Art seiner Macht genauer zu ergründen. Was war das für eine Macht, von der jeder wusste, dass sie nie angewendet würde? Dann sagte man doch besser gleich, es gäbe sie nicht oder sie sei nicht stärker als die Kraft im Hintern des hochmütigen Hundes, der mit seinem kleinen Furz einen feurigen Ofen auszublasen versuchte … Ezeulu drehte die Yamsknolle mit seinem Stock um.

Jetzt kam sein jüngster Sohn Nwafo in das obi, rief ihn beim Namen und grüßte ihn; dann setzte er sich auf seinen Lieblingsplatz, die Lehmbank am anderen Ende des Raums, dicht neben der kürzeren Schwelle. Obwohl er noch ein Kind war, schien ihn die Gottheit bereits zu ihrem künftigen Oberpriester bestimmt zu haben. Ehe er noch gelernt hatte, mehr als ein paar Worte zu sprechen, hatte ihn das Ritual des Gottes mächtig angezogen. Fast konnte man meinen, er wisse schon mehr davon als sogar Ezeulus Ältester. Trotzdem wäre nie jemand so vorschnell gewesen, offen zu sagen, Ulu werde dieses oder jenes tun; wenn einmal die Zeit kam, in der Ezeulu nicht mehr da war, dann wählte Ulu vielleicht gerade den scheinbar am wenigsten geeigneten Sohn des Priesters zu dessen Nachfolger. So etwas war auch schon früher vorgekommen.

Ezeulu schenkte dem Yam die größte Aufmerksamkeit, er drehte ihn jedes Mal mit seinem Stock um, wenn die dem Feuer zugekehrte Seite gar genug war. Sein ältester Sohn Edogo trat ein; er kam aus seinem Haus.

»Ezeulu!«, sagte er grüßend.

»E-e-i!«

Edogo ging durch den Raum in den Innenhof zu seiner Schwester Akueke, die zurzeit dort wohnte.

»Geh und ruf mir Edogo her«, sagte Ezeulu zu Nwafo.

Die beiden kamen zurück und setzten sich auf die Lehmbank, Ezeulu drehte die Yamsknolle nochmals um, ehe er sprach.

»Habe ich dir gesagt, dass du eine Gottheit schnitzen sollst?«

Edogo antwortete nicht. Ezeulu blickte zu ihm hinüber, konnte ihn aber nicht deutlich sehen, weil der andere Teil des obi im Dunkeln lag. Edogo aber sah das Gesicht seines Vaters vom Feuer beleuchtet, auf dem er den geweihten Yam röstete.

»Ist Edogo nicht da?«

»Hier bin ich.«

»Ich fragte dich, was ich dir über das Schnitzen von Götterbildern gesagt habe. Vielleicht hast du meine erste Frage nicht gehört. Vielleicht hatte ich Wasser im Mund, als ich zu dir sprach?«

»Du hast mir gesagt, ich soll keine schnitzen.«

»Habe ich dir das gesagt? So? Was ist das dann für eine Geschichte, die ich höre – dass du einen alusi für einen Mann in Umuago geschnitzt hast?«

»Wer hat dir das erzählt?«

»Wer mir das erzählt hat? Ich will wissen, ob es wahr ist oder nicht – und nicht, wer mir das erzählt hat.«

»Ich möchte wissen, wer dir das erzählt hat, weil ich glaube, dass er den Unterschied zwischen dem Gesicht eines Gottes und dem Gesicht einer Maske nicht kennt.«

»Ich verstehe. Du kannst gehen, mein Sohn. Und wenn du willst, kannst du alle Götter in Umuaro schnitzen. Hörst du aber, dass ich jemals wieder nach dir frage, dann nimm meinen Namen und gib ihn einem Hund!«

»Ich habe für den Mann in Umuago eine Maske geschnitzt.«

»Nicht ich bin es, zu dem du sprichst. Ich bin fertig mit dir.«

Nwafo versuchte vergeblich, den Sinn dieser Worte zu verstehen. Wenn die Wut des Vaters abgekühlt war, würde er ihn fragen. Seine Schwester Obiageli kam aus dem Innenhof herein, grüßte Ezeulu und ging zu der Lehmbank, um sich niederzusetzen.

»Hast du das Bitterblatt schon fertig?«, fragte Nwafo.

»Weißt du nicht selbst, wie man das Bitterblatt fertig macht? Oder hast du dir die Finger abgebrochen?«

»Ruhe, ihr beiden!« Ezeulu rollte mit dem Stock die Knolle aus dem Feuer, befühlte sie rasch mit Daumen und Zeigefinger und war zufrieden. Er nahm ein zweischneidiges Messer vom Dachsparren und fing an, vom gerösteten Yam die schwarze Kruste abzuschaben. Als er fertig war, klebte schwarzer Ruß an seinen Fingern und Handflächen. Er schlug ein paarmal die Hände aneinander, um sie zu reinigen. Seine hölzerne Schale stand in greifbarer Nähe, er schnitt den Yam hinein und wartete, dass er abkühlte.

Als er zu essen anfing, begann Obiageli leise vor sich hin zu singen. Sie hätte allmählich wissen müssen, dass der Vater niemals auch nur das kleinste Stück von dem Yam abgab, den er ohne Palmöl bei jedem Neumond verzehrte. Aber sie hörte nicht auf, darauf zu hoffen.

Er aß schweigend. Er hatte sich vom Feuer weggesetzt und lehnte jetzt seinen Rücken gegen die Wand, während er hinausschaute. Wie immer bei solchen Gelegenheiten schweifte sein Geist in die Ferne. Ab und zu trank er einen Schluck Wasser aus einer Kalebasse, die ihm Nwafo gebracht hatte. Als er das letzte Stück Yam aß, lief Obiageli zurück in das Haus ihrer Mutter. Nwafo räumte die hölzerne Schale und die Kalebasse weg und steckte das Messer wieder zwischen zwei Sparren.

Ezeulu erhob sich von seinem Ziegenfell und ging langsam zum Hausaltar, der sich auf einem flachen Brett hinter der niedrigen mittleren Wand am Eingang befand. Sein ikenga mit den zwei starken Hörnern, das etwa so groß wie ein männlicher Unterarm war, stand zwischen dem gesichtslosen, von Opferblut geschwärzten okposi der Vorfahren und seinem eigenen kurzen ofo-Stab. Einer der okposi gehörte Nwafo. Er war für ihn wegen der Krämpfe geschnitzt worden, die ihn früher nachts häufig heimgesucht hatten. Man hatte ihm geraten, ihn »Namensvetter« zu nennen. Tatsächlich waren die Krämpfe seither nicht wiedergekommen.

Ezeulu zog seinen ofo-Stab zwischen den andern hervor und setzte sich vor den Altar, nicht rittlings nach Art der Männer, sondern die Beine zu beiden Seiten des Altars lang ausgestreckt wie eine Frau. Er hielt ein Ende des kurzen Stabs in der rechten Hand und schlug mit dem andern Ende auf den Boden, um seinem Gebet Nachdruck zu verleihen:

»Ulu, ich danke dir, dass du mich diesen Neumond sehen lässt. Lass mich ihn wieder und wieder erblicken! Lass dieses Haus gesund bleiben und gedeihen. Da dies der Mond der Aussaat ist – lass die sechs Dörfer erfolgreich säen. Lass uns den Gefahren auf dem Acker entgehen, dem Biss der Schlange und dem Stich des Skorpions, des Mächtigen im Hochland. Lass uns nicht unser Schienbein mit Machete oder Hacke aufschneiden. Lass unsere Frauen männliche Kinder tragen. Lass nur Gutes begegnen dem Angesicht eines jeden unserer Männer und einer jeden unserer Frauen. Lass Gutes herabkommen auf das Land des Volks am Fluss und auf das Land des Volks im Wald.«

Er legte den ofo zurück zwischen den ikenga und die okposi, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und setzte sich wieder auf seinen Platz. Jedes Mal, wenn er für Umuaro betete, stieg ihm ein bitterer Nachgeschmack in den Mund. Großer Zwist war über die sechs Dörfer gekommen, und seine Feinde hatten versucht, die Schuld daran auf sein Haupt zu laden. Und warum? Nur, weil er vor dem weißen Mann die Wahrheit gesprochen hatte. Aber wie konnte ein Mann, der Ulus heiligen Stab trug, wissentlich eine Lüge aussprechen? Musste er die Geschichte nicht so berichten, wie er sie von seinem Vater gehört hatte? Sogar Wintabota, der weiße Mann, verstand ihn, obwohl er aus einem Land kam, das niemand kannte. Er hatte Ezeulu den einzigen Zeugen der Wahrheit genannt. Es ärgerte seine Feinde, dass der weiße Mann, dessen Vater oder Mutter niemand kannte, gekommen war, um ihnen die Wahrheit zu sagen, die sie wohl kannten, aber nicht hören wollten. Das war ein Vorzeichen für den Weltuntergang.

Die Stimmen der vom Fluss heraufkommenden Frauen unterbrachen Ezeulus Gedanken. Er konnte niemanden sehen, es war draußen zu dunkel. Der Neumond war wieder verschwunden, kaum dass er sich gezeigt hatte. Aber die Nacht trug Spuren seines Besuchs. Die Dunkelheit war nicht mehr so undurchdringlich wie vorher, sondern offen und luftig wie ein Wald, in dem das Unterholz gerodet ist. Als die Frauen, eine nach der andern, grüßend »Ezeulu« riefen, sah er undeutlich ihre Gestalten, während er jeden Gruß erwiderte. Sie ließen das obi rechts liegen und gingen durch den einzigen anderen Eingang, ein hohes, geschnitztes Tor, in den Innenhof.

»Sind das nicht dieselben, die ich zum Fluss hinabgehen sah, als die Sonne unterging?«

»Ja«, entgegnete Nwafo. »Sie sind zum Nwangene gegangen.«

»So.« Ezeulu hatte im Augenblick vergessen, dass Ota, der nähere Fluss, nicht mehr aufgesucht wurde, nachdem das Orakel gestern verkündet hatte, der riesige Felsblock, der nahe der Quelle auf zwei andern Felsblöcken lag, werde bald herabfallen und brauche ein menschliches Polster, um sein Haupt darauf zu betten. Ehe der alusi, dem der Fluss gehörte und dessen Namen er trug, versöhnt war, durfte sich ihm niemand nähern.

Dennoch, dachte Ezeulu, würde er derjenigen, die ihm heute ein verspätetes Abendessen brachte, die Meinung sagen. Da die Frauen wussten, dass sie zum Nwangene gehen sollten, mussten sie eher aufbrechen. Er war es müde, seine Abendmahlzeit erst zu bekommen, wenn andere Männer die ihre verzehrt und schon wieder vergessen hatten.

Obikas laute, sehr männliche Stimme klang immer vernehmbarer durch die Nachtluft, je mehr er sich dem Hause näherte. Selbst sein Pfeifen trug weiter als die Stimmen anderer Männer. Abwechselnd sang und pfiff er.

»Obika kommt zurück«, sagte Nwafo.

»Der Nachtvogel ist beizeiten heimgekehrt heute«, bemerkte Ezeulu im selben Augenblick.

»Eines Tages wird er den Erulu wiedersehen«, sagte Nwafo. Er dachte an die Erscheinung, die Obika einmal in der Nacht erblickt hatte. Nwafo hatte die Geschichte so oft gehört, dass er sich einbildete, dabei gewesen zu sein.

»Diesmal wird es aber Idemili sein – oder auch Ogwugwu«, sagte Ezeulu lächelnd.

Vor etwa drei Jahren war Obika eines Abends in das obi gestürzt und hatte sich zitternd vor Angst seinem Vater zu Füßen geworfen. Es war eine dunkle Nacht, der Regen hing schon am Himmel, der Donner grollte mit tiefer, nasser Stimme, und ein Blitz folgte auf den andern.

»Was ist los, mein Sohn?«, hatte Ezeulu wieder und wieder gefragt, aber Obika zitterte nur und schwieg.

»Was ist los, Obika?«, fragte seine Mutter Matefi, die in das obi gelaufen kam und nun noch mehr zitterte als ihr Sohn.

»Ruhe!«, sagte Ezeulu. »Was hast du gesehen, Obika?« Als sich Obika ein wenig erholt hatte, begann er seinem Vater zu berichten, was er im Licht eines Blitzes beim Ugilibaum zwischen den Dörfern Umuachala und Umunneora gesehen hatte. Kaum hatte er den Ort beschrieben, da wusste Ezeulu auch schon, worum es sich handelte.

»Was geschah, als du … Es sahst?«

»Ich wusste, Es war ein Geist. Der Kopf schwoll mir an.«

»Wandte er sich nicht zum Busch-der-kleine-Vögel-tötet, der dort zur Linken steht?«

Ezeulus Sicherheit ließ Obika wieder Mut schöpfen. Er nickte – und Ezeulu nickte zweimal. Jetzt drängten sich auch die andern Frauen um die Tür.

»Wie sah er aus?«

»Größer als jeder Mensch, den ich kenne!« Obika schluckte heftig. »Seine Haut war hell … wie … wie …«

»War er gekleidet wie ein Armer oder wie ein Mann, der großen Reichtum besitzt?«

»Er war wie ein Reicher gekleidet. Er hatte eine Adlerfeder an seiner roten Kappe.«

Wieder schlugen Obikas Zähne aufeinander.

»Nimm dich zusammen. Du bist keine Frau. Hatte er einen Elefantenzahn bei sich?«

»Ja. Er trug einen großen Stoßzahn auf der Schulter.«

Inzwischen hatte es angefangen zu regnen, zuerst in großen Tropfen, die wie Kiesel auf das Schilf fielen.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Sohn. Du hast Erulu den Herrlichen gesehen, der denen, die seine Gunst erlangen, Reichtum schenkt. Die Menschen sehen ihn manchmal an jener Stelle bei einem Wetter wie heute. Vielleicht kam er von einem Besuch bei Idemili oder anderen Göttern zurück. Erulu tut nur denen etwas zuleide, die vor seinem Altar falsch schwören.« Das Loblied auf den Gott des Reichtums riss Ezeulu selbst fort. Er sprach so, dass man meinen konnte, er sei ein Priester des Erulu und nicht der Oberpriester des Ulu, der doch über allen Gottheiten stand. »Erlangt ein Mann Erulus Gunst, so strömt ihm der Reichtum ins Haus wie ein breiter Fluss. Seine Yams werden so groß wie Menschenkinder, seine Ziegen gebären Drillinge, und seine Hennen brüten neun Küken aus.«

 

Matefis Tochter Ojiugo brachte eine Schale Fufu und eine Schale Suppe. Sie begrüßte den Vater und stellte beides vor ihn hin. Dann wandte sie sich zu Nwafo und sagte: »Geh zum Haus deiner Mutter. Sie ist fertig mit dem Kochen.«

»Lass den Jungen in Ruhe«, sagte Ezeulu, der wusste, dass Matefi und ihre Töchter ihm seine Vorliebe für den Sohn seiner jüngeren Frau übelnahmen. »Geh und ruf deine Mutter zu mir.« Er aß noch nicht, und Ojiugo wusste, dass es Ärger gäbe. Sie ging zurück zum Haus ihrer Mutter und holte sie.

»Ich weiß nicht, wie oft ich in diesem Haus gesagt habe, dass ich mein Abendmahl nicht erst essen will, wenn sich jeder andere Mann in Umuaro schlafen legt«, beschwerte er sich, als Matefi eintrat. »Aber du willst nicht hören. Bei dir hat alles, was ich sage, so wenig Wirkung wie der Furz eines Hundes beim Feuerlöschen!«

»Ich bin den langen Weg hinab zum Nwangene gelaufen, um Wasser zu holen, und ich …«

»Meinetwegen kannst du zum Nkisa laufen. Aber ich sage dir, ich werde dich von deinem Wahn heilen, wenn du mir noch einmal um diese Zeit mein Abendessen bringst …«

 

Als Ojiugo kam, um die Schalen abzuholen, war Nwafo dabei, den Rest der Suppe aufzuessen. Wütend wartete sie, bis er fertig war. Sie erzählte es ihrer Mutter. Das geschah nicht zum ersten oder zweiten oder dritten Mal – nein, jeden Tag!

»Schiltst du den Geier, wenn er über dem Aas hockt?«, erwiderte Matefi. »Was soll ein Junge tun, wenn seine Mutter die Suppe mit Johannisbrot statt mit Fisch kocht – was meinst du? Sie spart ihr Geld, um sich Armreifen aus Elfenbein zu kaufen. Aber was sie auch tut, Ezeulu wird nie etwas Schlechtes darin sehen! Wenn ich das täte, so wüsste er recht gut, was er mir zu sagen hätte!«

Ojiugo blickte zu Ogoyes Haus hin, das durch die ganze Länge des Hofes von ihrem eigenen getrennt war. Alles, was sie sehen konnte, war der gelbliche Schimmer der Palmöllampe zwischen den niedrigen Sparren und der Schwelle. Es war noch ein drittes Haus da, das mit den beiden anderen einen Halbkreis bildete. Es hatte Okuata, Ezeulus erster Frau, gehört, die vor vielen Jahren gestorben war. Ojiugo hatte sie kaum gekannt, sie erinnerte sich nur daran, dass Okuata jedem Kind, das zu ihr kam, wenn sie Suppe kochte, ein wenig Fisch und ein paar Stücke Johannisbrot gab. Sie war die Mutter von Adeze, Edogo und Akueke. Nach ihrem Tod bewohnten ihre Kinder das Haus, bis die Mädchen heirateten. Dann lebte Edogo allein dort, aber vor zwei Jahren hatte auch er geheiratet und sich neben dem Hof des Vaters ein eigenes kleines Gehöft gebaut. Jetzt wohnte Akueke wieder in Okuatas Haus, weil sie ihren Mann verlassen hatte. Man sagte, der Mann habe sie misshandelt. Aber Ojiugos Mutter meinte, dass Akueke lüge und eigensinnig und stolz sei. »Wenn eine Frau heiratet, sollte sie vergessen, wie groß ihres Vaters Hof ist«, pflegte sie zu sagen, »denn sie trägt nicht ihres Vaters obi zu ihrem Gatten.«

Gerade als Ojiugo und ihre Mutter anfangen wollten zu essen, kam Obika singend und pfeifend nach Hause.

»Hol mir seine Schale«, sagte Matefi. »Er kommt heute zeitig.«

Obika bückte sich unter den niedrigen Sparren und betrat den Raum mit den Händen zuerst. Er begrüßte seine Mutter und sagte ohne jede Herzlichkeit: »Nno.« Dann ließ er sich schwer auf die Lehmbank fallen. Ojiugo hatte seine Suppenschale aus gebranntem Ton gebracht und nahm nun sein Fufu von dem Bambusbord. Matefi blies in die Schale, um sie von Staub und Asche zu säubern, und füllte mit der Schöpfkelle Suppe auf. Ojiugo stellte sie dem Bruder hin und ging hinaus, um in der Kalebasse Wasser zu bringen.

Nach dem ersten Schluck hielt Obika die Schale schräg gegen das Licht und betrachtete sie prüfend.

»Wie nennst du das? Suppe? Oder Cocoyam-Brei?«

Die Frauen beachteten ihn nicht, sondern setzten ihre unterbrochene Mahlzeit fort. Es war ihnen klar, dass Obika wieder zu viel Palmwein getrunken hatte.

Obika war einer der hübschesten Männer in Umuaro und dem ganzen Umkreis. Sein Gesicht war fein geschnitten, und die Nase stand gem, wie der Ton eines Gongs. Seine Haut war terrakottafarben wie die Haut seines Vaters. Die Leute sagten von ihm – wie immer, wenn sie etwas sehr Wohlgeratenes sahen –, er sei hier unter dem Igbovolk ein Fremder und müsse sein früheres Leben unter den Leuten am Fluss zugebracht haben, welche von den Igbos ›Olu‹ genannt wurden.

Leider hatte Obika zwei große Fehler. Er trank Palmwein im Übermaß und neigte häufig zum Jähzorn. Und da er stark war wie ein Fels, kamen seine Gegner dabei fast regelmäßig zu Schaden. Sein Vater, der ihn seinem stillen, nachdenklichen Halbbruder Edogo vorzog, sagte oft zu ihm: »Es ist lobenswert, tapfer und furchtlos zu sein, mein Sohn; manchmal ist es aber besser, wenn man ein Feigling ist. Wir stehen oft im wohlerhaltenen Hof eines Feiglings und zeigen auf die Ruinen, in denen früher ein tapferer Mann gewohnt hat. Der Mann, der sich nie im Leben unterworfen hat, wird bald unter der Leichenmatte liegen.«

Dennoch wollte Ezeulu lieber einen ungestümen Sohn haben, der in seiner Hast Geräte zerbrach, als eine langsame und vorsichtige Schnecke.

Vor kurzem war Obika nahe daran gewesen, einen Mord zu begehen. Seine Halbschwester Akueke kam häufig nach Hause und berichtete, dass ihr Mann sie geschlagen habe. Eines Morgens erschien sie wieder, und diesmal mit verschwollenem Gesicht. Ohne das Ende ihrer Erzählung abzuwarten, machte sich Obika auf nach Umuog-wugwu, dem Dorf seines Schwagers. Unterwegs holte er seinen Freund Ofoedu ab, der bei einer Prügelei niemals fehlte. Während sie sich Umuogwugwu näherten, erklärte Obika dem Freund, dass er nicht helfen dürfe, Akuekes Gatten zu verprügeln.

»Wozu hast du mich dann geholt?«, fragte Ofoedu enttäuscht. »Etwa, um deine Tasche zu tragen?«

»Vielleicht gibt es Arbeit für dich«, erwiderte Obika. »Wenn die Leute von Umuogwugwu das sind, wofür ich sie halte, dann werden sie in Scharen herauskommen, um ihrem Bruder beizustehen.«

Niemand in Ezeulus Haushalt wusste, wohin Obika gegangen war, bis er kurz vor Mittag mit Ofoedu heimkehrte. Auf ihren Köpfen trugen sie Akuekes Gatten, halbtot, auf ein Brett gebunden. Sie setzten ihn unter dem Ukwabaum ab und verboten allen, ihn anzurühren. Die Frauen und die Nachbarn machten Obika Vorhaltungen und zeigten auf die reifen Früchte am Baum, die so groß wie Wassertöpfe waren.

»Ja«, entgegnete Obika. »Ich habe ihn absichtlich dort hingelegt, damit ihn die Früchte zermalmen – dieses Tier!«

Schließlich veranlasste die allgemeine Erregung Ezeulu, der in den nahegelegenen Busch gegangen war, nach Hause zu eilen. Als er sah, was sich abspielte, fing er laut an zu klagen, Obika werde Verderben über sein Haus bringen. Dann befahl er ihm, seinen Schwager unverzüglich freizulassen.

Drei Märkte lang konnte sich Ibe kaum vom Bett erheben. Dann erschienen eines Abends seine Verwandten, um von Ezeulu Genugtuung zu fordern. Die meisten hatten auf ihrem Acker gearbeitet, als Obika kam, um Ibe zu bestrafen. Drei Märkte und länger hatten sie geduldig gewartet, ob nicht jemand käme und ihnen eine Erklärung dafür gäbe, dass ihr Verwandter geschlagen und weggeschleppt worden war.

»Was ist das für eine Geschichte über Ibe, die wir gehört haben?«, fragten sie.

Ezeulu versuchte, sie zu besänftigen, ohne zuzugeben, dass sein Sohn ein schweres Unrecht begangen hatte. Er rief seine Tochter Akueke herbei, die ihnen Rede und Antwort stehen sollte.

»Ihr hättet sie sehen sollen an jenem Tag, als sie heimkam! Wenn es in eurem Dorf Brauch ist, Frauen auf diese Art zu heiraten, dann sage ich euch: Meine Tochter ist für eine solche Ehe nicht geschaffen!«

Die Männer mussten zugeben, dass Ibe seinen Arm zu weit ausgestreckt hatte, und somit konnte niemand Obika einen Vorwurf machen, weil er für seine Schwester eingetreten war.

»Warum beten wir zu Ulu und zu unsern Vorfahren, dass sie uns an Zahl zunehmen lassen, wenn nicht wegen solcher Dinge?«, fragte ihr Anführer. »Niemand kann Zahlen essen. Aber wenn wir zahlreich sind, wird niemand wagen, uns Verdruss zu bereiten, und unsere Töchter können im Haushalt ihres Gatten den Kopf hochtragen. Deshalb tadeln wir Obika nicht sehr. Spreche ich richtig so?«

Seine Gefährten antworteten: »Ja.« Und er fuhr fort:

»Wir können nicht sagen, dein Sohn hat Unrecht daran getan, für seine Schwester zu kämpfen. Jedoch wir verstehen nicht, warum ein Mann mit einem Penis zwischen den Beinen von Haus und Dorf fortgeschleppt wird. Das ist, als sagte man: ›Ihr seid nichts, und alle eure Verwandten können nichts dagegen tun.‹ Und das verstehen wir nicht. Wir sind nicht mit Weisheit hergekommen, sondern mit Torheit, weil ein Mann nicht mit weisen Reden zu seinem Schwager gehen soll. Wir möchten lieber, dass ihr uns erklärt: ›Ihr habt unrecht. Die Sache ist nämlich so und so.‹ Dann geben wir uns zufrieden und gehen heim. Wenn uns später jemand sagt: ›Euer Verwandter ist geschlagen und verschleppt worden‹, dann wissen wir, was wir zu antworten haben. Großer Schwager – ich grüße dich!«

Ezeulu setzte seine ganze Beredsamkeit ein, um die Verwandten seines Schwiegersohns zu besänftigen. Sie gingen glücklicher heim, als sie gekommen waren. Aber sie würden Ibe kaum drängen, dem Oberpriester Palmwein zu bringen und um die Rückkehr seiner Frau zu bitten. Es sah aus, als müsste sie noch lange im Haus ihres Vaters leben …

 

Als Obika sein Mahl beendet hatte, gesellte er sich in Ezeulus Haus zu den andern. Wie gewöhnlich sprach Edogo für sie alle. Nicht nur Obika war anwesend, sondern auch Oduche und Nwafo.

»Morgen ist Afo«, sagte Edogo. »Wir möchten dich fragen, welche Arbeit du für uns hast.«

Ezeulu dachte eine Weile nach, als sei er nicht auf diese Frage vorbereitet gewesen. Dann fragte er Obika, was an seinem neuen Haus noch zu tun sei.

»Nur die Scheune der Frauen ist noch nicht fertig«, antwortete Obika. »Aber das kann warten. Bis zur Ernte gibt es keinen Cocoyam, den man darin unterbringen muss.«

»Nichts wird warten«, entgegnete Ezeulu. »Eine neue Frau soll nicht in ein unfertiges Heim kommen. Ich weiß, die Jugend von heute bekümmert das nicht. Aber solange wir Alten da sind, werden wir nicht aufhören, ihr den rechten Weg zu weisen. Edogo, statt morgen für mich zu arbeiten, lässt du deine Brüder und die Frauen die Scheune aufbauen. Wenn Obika kein Schamgefühl hat – wir haben es!«

»Vater, ich möchte ein Wort dazu sagen.« Es war Oduche, der sprach.

»Gut, ich höre.«

Oduche räusperte sich, als fürchte er sich, zu sprechen.

»Vielleicht ist es ihnen verboten, ihren Brüdern beim Scheunenbau zu helfen«, spottete Obika mit schwerer Zunge.

»Du sprichst immer wie ein Dummkopf«, erwiderte Edogo heftig. »Hat Oduche nicht hart an deinem Haus gearbeitet? So hart wie du selbst – ja, ich möchte sagen: härter?!«

»Oduche soll sprechen«, sagte Ezeulu, »und nicht ihr beiden, wie eifersüchtige Frauen!«

»Ich gehöre zu denen, die auserwählt sind, morgen nach Okperi zu gehen und das Gepäck unseres neuen Lehrers abzuholen.«

»Oduche!«

»Vater!«

»Höre mich an, was ich dir jetzt zu sagen habe: Geht ein Händeschütteln weiter als bis zum Ellenbogen, dann wissen wir, es hat sich in etwas anderes verwandelt. Ich selbst war es, der dich zu diesen Leuten gesandt hat – aus Freundschaft für den weißen Mann Wintabota. Er bat mich, ihm eins meiner Kinder zu senden, das die Gepflogenheiten seines Volkes lernen sollte, und ich stimmte zu und schickte dich hin. Aber ich habe dich nicht ausgesandt, damit du deine Pflichten in meinem Haushalt vernachlässigst. Hast du verstanden? Geh und richte den Leuten, die dich ausgewählt haben, nach Okperi zu gehen, aus, dass ich, Ezeulu, nein gesagt habe. Richte ihnen aus, dass morgen der Tag ist, an dem meine Söhne und meine Frauen und die Frauen meiner Söhne für mich arbeiten. Deine Leute sollten die Gepflogenheiten unseres Landes kennenlernen. Tun sie es nicht, so musst du sie ihnen erklären. Verstehst du mich?«

»Ich verstehe dich.«

»Nun geh und ruf deine Mutter. Ich denke, morgen ist sie an der Reihe, für mich zu kochen.«

Kapitel 2

Ezeulu sagte oft, dass die toten Väter von Umuaro, die von ani-Mmo auf die Welt herabblickten, völlig verwirrt sein müssten wegen der neuen Sitten. Niemals hätte Umuaro unter solchen Umständen wie damals vor fünf Jahren Krieg nach Okperi tragen dürfen. Wer hätte je geglaubt, dass Umuaro so bitter gespalten in den Krieg ziehen könnte? Wer hätte gedacht, dass die Leute von Umuaro die Warnungen des Ulu-Priesters mißachteten, der die sechs Dörfer einst zusammengebracht und zu dem gemacht hatte, was sie waren? Aber Umuaro war groß und weise geworden in seiner Selbsttäuschung – wie der kleine Vogel nza, der aß und trank und seinen Gott zu einem Zweikampf herausforderte. Umuaro forderte den Gott heraus, der den Grundstein zu seinen sechs Dörfern gelegt hatte. Und – was hätten sie anderes erwarten können? – er schlug sie so, dass es für heute und morgen reichte!

In der fernen, fernen Vergangenheit, als die Eidechsen noch selten und sehr vereinzelt waren, lebten die sechs Dörfer – Umuachala, Umunneora, Umuago, Umuezeani, Umuogwugwu und Umuisiuzo – völlig getrennt voneinander, und jedes betete zu seiner eigenen Gottheit. Damals kam es oft vor, dass die Söldner von Abame sie mitten in der Nacht überfielen, die Häuser in Brand steckten und Männer, Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppten. Es war so schlecht um die sechs Dörfer bestellt, dass ihre Führer sich zusammenschlossen, um sie zu retten. Sie beauftragten ein starkes Aufgebot von Heilern, die eine gemeinsame Gottheit für sie einsetzen sollten. Diese Gottheit, von den Vätern der sechs Dörfer geschaffen, wurde Ulu genannt. Die Hälfte der Zaubermittel begrub man an einem Ort, der zum Nkwo-Markt wurde, die andere Hälfte warf man in den Fluss, der zum Mili Ulu wurde. Die sechs Dörfer nahmen gemeinsam den Namen Umuaro an, und der Priester des Ulu wurde ihr Oberpriester. Von jenem Tag an waren sie unschlagbar. Wie konnte so ein Volk den Gott missachten, der ihre Stadt gegründet hatte und beschützte? Ezeulu sah darin den Beweis für den Verfall der Welt.

An jenem Tag vor fünf Jahren, als die Häupter von Umuaro sich entschlossen, einen Botschafter nach Okperi zu schicken mit weißem Ton für »Frieden« oder neuen Palmwedeln für »Krieg«, sprach Ezeulu zu tauben Ohren. Er erklärte den Männern von Umuaro, dass Ulu keinen ungerechten Krieg führen wolle.

»Ich weiß es«, sprach er zu ihnen, »mein Vater sagte mir, dass dieses Land den Okperi gehörte, als unser Dorf sich hier ansiedelte. Die Okperi gaben uns ein Stück ihres Landes, wo wir wohnen konnten. Sie gaben uns auch ihre Götter – ihren Udo und ihren Ogwugwu. Aber sie sagten zu unseren Vorfahren – merkt meine Worte wohl! –, das Volk von Okperi sagte zu unseren Vätern: Wir geben euch unsern Udo und unsern Ogwugwu; aber ihr dürft den Gott, den wir euch geben, nicht Udo nennen, sondern ›Sohn des Udo‹, und nicht Ogwugwu, sondern ›Sohn des Ogwugwu‹. So hat mein Vater mir die Geschichte überliefert. Wenn ihr vorhabt, einen Mann wegen eines Stück Ackerlandes, das sein Eigentum ist, zu bekämpfen, so habe ich nichts damit zu schaffen!«

Aber Nwaka trug den Sieg davon. Er war in den sechs Dörfern einer der drei Männer, die den höchsten Rang hatten – Eru, nach dem Gott des Reichtums genannt. Nwaka stammte von einer langen Reihe wohlhabender Männer ab und aus einem Dorf, das sich für das erste in Umuaro hielt. Man erzählte, als die sechs Dörfer sich zusammentaten, habe man das Priesteramt des Ulu dem schwächsten unter ihnen angeboten, damit es nicht zu mächtig würde.

»Umuaro Kweno!«, rief Nwaka laut.

»Hem!«, erwiderten die Männer von Umuaro.

»Kwenu!!«

»Hem!«

»Kwezuenu!!«

»Hem!«

Er begann seine Rede fast leise in dem Schweigen, das er mit seiner Begrüßung hergestellt hatte.

»Die Weisheit ist wie eine Ziegenledertasche; jeder Mann trägt seine eigene. Ebenso ist es mit der Kenntnis des Landes. Ezeulu hat uns gesagt, was sein Vater ihm aus den alten Zeiten überliefert hat. Wir wissen, dass ein Vater nichts Falsches zu seinem Sohne spricht. Aber wir wissen auch, dass die Kunde von dem Stück Land das Wissen vieler Väter übersteigt. Hätte Ezeulu vom großen Gott von Umuaro gesprochen, dem er dient und dem seine Väter vor ihm gedient haben, so hätte ich mein Ohr seiner Stimme geschenkt. Aber er spricht über Geschehnisse, die älter sind als Umuaro selbst. Ich scheue mich nicht zu sagen, dass weder Ezeulu noch sonst ein Mann in diesem Dorf uns etwas über diese Geschehnisse berichten kann.« Zustimmendes und missbilligendes Gemurmel erhob sich, aber die Gruppe der Ältesten und Reichen spendete Beifall. Nwaka ging vor und zurück, während er sprach; die Adlerfeder in seiner roten Kappe und die Bronzespange um seinen Knöchel kennzeichneten ihn als einen der Vornehmen – einen von Eru, dem Gott der Reichen, begünstigten Mann.

»Mein Vater hat mir eine andere Geschichte erzählt. Er sagte mir, die Leute von Okperi seien damals hin- und hergewandert. Er nannte mir drei oder vier Orte, wo sie eine Zeitlang weilten, dann seien sie wieder weitergezogen. Sie wurden durch Umuofia, dann durch Abame und Aninta vertrieben. Wollen sie etwa heute hingehen und all diese Orte zurückfordern? Haben sie unser Ackerland etwa für sich beansprucht in den Tagen, ehe der weiße Mann kam und das Oberste zuunterst kehrte? Ihr Ältesten und Ndichie von Umuaro – lasst jeden von uns in sein Haus zurückkehren, wenn wir nicht das Herz zum Kampfe haben. Wir wären nicht das erste Volk, das sein Ackerland, ja sogar seine Heimat verlässt, um Krieg zu vermeiden. Aber dann sollten wir weder uns selbst noch unseren Kindern sagen, dass dieses Land einem anderen Volk gehört. Gestehen wir ihnen lieber ein: Ihre Väter zogen es vor, nicht zu kämpfen. Erzählen wir ihnen, dass wir die Töchter der Okperi und ihre Männer unsere Töchter heiraten und dass die Männer oft die Lust am Kampf verlieren, wenn sie sich auf diese Art vermischen. Umuaro Kwenu!«

»Hem!«

»Kwezuenu!«

»Hem!«

»Ich grüße euch alle!«

Er erntete langen und lauten Beifall. Nwaka hatte Ezeulus Rede auf einen Schlag widerlegt durch die Andeutung, dass die Mutter des Oberpriesters eine Tochter der Okperi gewesen war. Die Versammlung löste sich in viele kleine Gruppen auf, die sich mit denen unterhielten, die in ihrer Nähe saßen. Ein Mann meinte, Ezeulu habe vergessen, ob ihm sein Vater oder seine Mutter von dem Ackerland erzählt hatte. Sprecher um Sprecher erhob sich und sprach zu der Versammlung, bis es klar war, dass alle sechs Dörfer hinter Nwaka standen. Ezeulu war nicht der einzige Mann von Umuaro, dessen Mutter aus Okperi stammte. Aber keiner der andern wagte, ihn zu unterstützen. Tatsächlich war einer von ihnen, Akukalia, so ungestüm, dass sich seine Rede kaum von den Worten ›Töten und Vernichten‹ entfernte und man ihn dazu auswählte, den weißen Lehm und die jungen Palmwedel in sein Mutterland Okperi zu tragen.

Als letzter sprach an diesem Tag der älteste Mann aus Akukalias Dorf. Seine Stimme war jetzt zittrig, aber sein Gruß an die Versammlung in allen Ecken des Nkwo-Marktplatzes deutlich vernehmbar. Die Männer von Umuaro beantworteten seinen mühevollen Gruß mit dem lautesten »Hem!« des Tages. Er erklärte in aller Ruhe, er müsse rasten, um wieder zu Atem zu kommen, und wer es hörte, lachte.

»Ich möchte mit dem Mann sprechen, den wir nach Okperi schicken. Es ist lange her, dass wir einen Krieg geführt haben, und viele von euch erinnern sich vielleicht nicht mehr unserer Gesetze. Ich sage nicht, dass Akukalia darauf hingewiesen werden muss. Aber ich bin ein alter Mann, und was kann ein alter Mann anderes tun als einen Rat geben. Wenn die Hauseidechse nicht tut, wofür ihre Art bekannt ist, wird man sie für die Eidechse des Ackerlandes halten.

Aus der Art und Weise, wie Akukalia sprach, hörte ich, dass er sehr zornig ist. Es ist recht und billig, dass er so empfindet. Aber wir senden ihn nicht des Kampfes wegen in sein Mutterland. Wir senden dich, Akukalia, um sie zwischen Krieg und Frieden wählen zu lassen. Spreche ich für Umuaro?« Man ließ ihm weiterhin das Wort.

»Wir wünschen nicht, dass Okperi den Krieg wählt. Der Krieg ernährt niemanden. Wenn sie den Frieden wählen, werden wir uns dessen freuen. Aber was sie auch sagen, du, Akukalia, sollst dich nicht mit ihnen auseinandersetzen. Deine Pflicht besteht darin, uns ihre Antwort zu bringen. Wir wissen alle, du bist ein furchtloser Mann, aber solange du dort weilst, steck deinen Mut in die Tasche. Wenn die jungen Männer, die mit dir gehen, mit zu lauter Stimme sprechen, musst du ihren Fehler wettmachen. Ich habe in meinen jungen Tagen solche Botschaften überbracht, und ich kenne die Versuchung zu gut. Ich grüße euch!«

 

Ezeulu, der sich alles mit einem bekümmerten Lächeln angehört hatte, sprang auf wie einer, den eine schwarze Ameise ins Hinterteil gestochen hat.

»Umuaro kweno!«, rief er.

»Hem!«

»Ich grüße euch alle.« Es war wie der Gruß einer erzürnten Maske. »Wenn ein Mann zu Hause ist, lässt er die Geiß nicht in Schmerzen an der Kette gebären. Das haben uns unsere Vorfahren überliefert. Aber was haben wir heute hier gesehen? Wir haben Männer sprechen hören, die fürchteten, Feiglinge genannt zu werden. Andere haben gesprochen, die kriegshungrig sind. Lasst uns das alles beiseitestellen. Wenn das Ackerland wirklich unser ist, wird Ulu auf unserer Seite kämpfen. Gehört es uns nicht, so werdet ihr’s bald erfahren. Ich ergriffe heute nicht noch einmal das Wort, hätte ich nicht gesehen, dass Männer im Hause ihre Pflicht vernachlässigen. Ogbuefi Egonwanne als einer der drei ältesten Männer in Umuaro hätte uns daran erinnern sollen, dass unsere Väter keine ungerechten Kriege führten. Aber stattdessen will er unseren Botschafter lehren, Feuer und Wasser im selben Mund zu tragen. Haben wir nicht gehört, dass ein Junge, den sein Vater stehlen schickt, nicht verstohlen schleicht, sondern die Tür mit den Füßen eintritt? Warum kümmert sich Egonwanne um Nichtigkeiten, wenn man das Wichtige außer Acht lässt? Wir wollen Krieg. Wie Akukalia zum Volk seiner Mutter spricht, ist ohne Gewicht. Mag er ihnen ins Gesicht spucken, wenn er will. Wenn wir hören, ein Haus ist eingestürzt – fragen wir dann, ob die Decke mit eingestürzt ist? Ich grüße euch alle.«

 

Akukalia und seine beiden Gefährten brachen am nächsten Morgen beim ersten Hahnenschrei nach Okperi auf. Er trug in seiner Ziegenledertasche einen Brocken weiße Kreide und ein paar gelbe Palmwedel, aus der Krone des Baums geschnitten, ehe die Sonne sie aufgerollt hatte; jeder hatte eine eingewickelte Machete bei sich.

An jenem Tag war Eke, und bald begegneten Akukalia und seine Gefährten Frauen aus allen Nachbardörfern auf dem Weg zu dem berühmten Eke Okperi-Markt. Meist waren es Frauen aus Elumelu und Abame, die hierzulande die besten Töpfe herstellten. Jede trug eine aufgetürmte Ladung von fünf oder sechs oder sogar noch mehr großen Wassertöpfen auf einem langen, durch ein Netz von Stricken zusammengehaltenen Korb.

Als die Männer von Umuaro an den vielen Gruppen dieser Marktfrauen vorbeikamen, unterhielten sie sich über den großen Eke-Markt in Okperi, den die Leute aus allen Teilen Igbos und Olus besuchten.

»Er ist das Ergebnis eines alten Zaubers«, erklärte Akukalia. »In der Familie meiner Mutter gibt es viele bedeutende Heiler.« Seine Stimme klang stolz. »Zuerst war Eke ein sehr kleiner Markt. Andere Märkte in der Nachbarschaft machten ihm große Konkurrenz. Dann schufen die Männer von Okperi eines Tages einen mächtigen Gott und stellten ihren Markt unter seinen Schutz. Von da an wuchs und wuchs Eke, bis es der größte Markt im ganzen Land war. Diese Gottheit, die sie Nwanyieke nannten, ist eine alte Frau. An jedem Eke-Tag erscheint sie vor dem Hahnenschrei auf dem Marktplatz, einen Besen in der rechten Hand, tanzt um den großen offenen Platz, winkt nach allen Richtungen der Erde und zieht das Volk aus jedem Land heran – deshalb darf sich niemand dem Marktplatz vor dem Hahnenschrei nähern; täte er’s, so sähe er die alte Frau bei ihrem Zauber.«

»Dieselbe Geschichte erzählt man vom Nkwo-Markt am großen Fluss von Umuru«, sagte einer der Gefährten Akukalias. »Dort hat der Zauber so gut gewirkt, dass man den Markt nicht mehr nur an Nkwo-Tagen abhält.«

»Umuru kann sich, was Zauberei angeht, nicht mit der Familie meiner Mutter messen«, sagte Akukalia. »Der Markt dort ist groß geworden, weil der weiße Mann seine Waren hinbringt.«

»Warum täte er das?«, fragte der andere Mann, »wenn’s nicht wegen des Zaubers wäre? Die alte Frau dieses Marktes hat die Welt mit ihrem Besen gefegt, sogar das Land des weißen Mannes, wo, wie sie sagen, die Sonne nie scheint.«

»Ist es wahr, dass eine ihrer Frauen in Umuru ohne ihren weißen Hut hinausging und wie Palmöl in der Sonne schmolz?«, fragte der andere.

»Das habe ich auch gehört«, sagte Akukalia. »Aber man erzählt viele Lügen über den weißen Mann. Man sagte einmal sogar, ihm fehlten die Zehen.«

Als die Sonne höher stieg, kamen die Männer zu dem umstrittenen Ackerland. Es war jahrelang nicht bestellt worden und dicht mit braun gewordenem Speergras bewachsen.

»Ich erinnere mich, wie ich eines Tages mit meinem Vater hierher kam, um Gras für unser Dach zu schneiden«, sagte Akukalia. »Es ist sehr erstaunlich für mich, dass das Volk meiner Mutter es heute für sich beansprucht.«

»Schuld an allem hat der weiße Mann, der wie ein Alter zu zwei streitenden Kindern sagt: Ihr dürft nicht streiten, wenn ich da bin. Und dann fängt der jüngere, schwächere von den beiden an, sich aufzublasen und zu prahlen.«

»Das ist wahr«, sagte Akukalia. »Als ich ein junger Mann war oder gar zu meines Vaters Tagen wäre so etwas nicht passiert. Ich erinnere mich gut daran.« Er deutete auf das Ackerland. »Den Ebenebe-Baum dort drüben traf einmal der Blitz, und die Leute, die unter ihm Ried schnitten, wurden nach allen Seiten weggewirbelt.«

»Was du sie fragen solltest«, sagte der zweite Gefährte, der seit ihrem Aufbruch kaum ein Wort gesprochen hatte, »und was sie uns sagen sollten, ist das: Wenn das Land wirklich ihnen gehörte, warum überließen sie dann uns seine Nutzung? Warum ließen sie uns dort von Generation zu Generation Riedgras für unsere Dächer schneiden, bis der weiße Mann kam und sie daran erinnerte?«

»Wir haben nicht den Auftrag, ihnen Fragen zu stellen, außer der einen, auf die Umuaro eine Antwort haben will«, sagte Akukalia. »Und ich glaube, ich muss euch nochmals ermahnen, eure Zungen im Zaum zu halten, wenn wir hinkommen, und das Sprechen mir zu überlassen. Es sind sehr schwierige Leute. Meine Mutter war keine Ausnahme. Aber ich weiß, was sie wissen. Wenn ein Mann von Okperi sagt, du sollst kommen, dann meint er, du sollst aus Leibeskräften weglaufen. Wenn du ihre Sitten nicht kennst, kannst du vom Hahnenschrei bis zur Schlafenszeit sitzen und mit ihnen reden und essen, aber du wirst immer nur auf der Oberfläche des Wassers treiben. Also überlass es mir, denn wenn ein listenreicher Mann stirbt, soll ein listenreicher Mann ihn begraben.«

 

Die drei Boten erreichten Okperi etwa um die Zeit, da die meisten Leute ihr Frühstück beendeten. Sie begaben sich sogleich zum Hof des Uduezue, des nächsten lebenden Verwandten von Akukalias Mutter. Vielleicht waren es die ernsten Gesichter der Männer, die Uduezue alles verrieten, vielleicht war Okperi auch nicht ganz unvorbereitet auf die Botschaft aus Umuaro. Dennoch erkundigte sich Uduezue nach ihren Leuten zu Hause.

»Es geht ihnen gut«, erwiderte Akukalia ungeduldig. »Wir haben einen dringenden Auftrag, der sofort den Oberen von Okperi überbracht werden muss.«

»Wirklich?«, fragte Uduezue. »Ich sprach zu mir selbst: Was bringt meinen Neffen und seine Leute so zeitig hierher, da der Weg doch weit ist? Wenn meine Schwester, deine Mutter, noch lebte, würde ich denken, es sei ihr etwas zugestoßen.« Er hielt eine kleine Weile inne. »Eine wichtige Botschaft; ja. Wir haben ein Sprichwort, dass keine Kröte in den Tag hineinrennt, es sei denn, sie wird verfolgt. Ich will euren Auftrag nicht hinauszögern, aber ich muss euch ein Stück Kolanuss anbieten.« Er wollte aufstehen.

»Bemüh dich nicht. Vielleicht kommen wir wieder, wenn wir unsern Auftrag erledigt haben. Auf unsern Köpfen liegt eine schwere Last, und ehe wir sie absetzen, können wir nicht verstehen, was man uns sagt.«

»Ich weiß, wie das ist. Nehmt denn dieses Stück weißen Ton, und lassen wir die Kolanuss, bis ihr zurückkommt.«

Aber die Männer lehnten es sogar ab, mit dem Ton einen Strich auf dem Boden zu ziehen. Danach war nichts mehr zu sagen. Sie hatten das Zeichen guten Willens zwischen Gastgeber und Gast zurückgewiesen.

Uduezue ging in den Innenhof seines Gehöfts und kehrte bald mit seiner Ziegenledertasche und der Machete in der Scheide wieder. »Ich bringe euch zu dem Mann, der eure Botschaft entgegennehmen wird«, sagte er.

Er ging voran, und die andern folgten schweigend. Sie gingen vorbei an einer immer dichter werdenden Menge von Marktleuten. Da die Saat vor der Tür stand, trugen viele Leute lange Körbe mit Saatyams. Einige Männer trugen Ziegen, ebenfalls in langen Körben. Aber dann und wann kam ein Mann, der nur ein Stück Federvieh in der Hand hielt; solch ein Mann trat niemals fest auf, besonders wenn er einer war, der bessere Tage gekannt hatte. Viele Frauen redeten beim Gehen laut miteinander; nur wer schon einen weiten Weg hinter sich hatte und erschöpft war, schwieg. Akukalia meinte, er erkenne bei einigen der aufgetürmten Kopflasten Wassertöpfe wieder, die sie unterwegs hinter sich gelassen hatten.

Akukalia hatte das Land seiner Mutter seit drei Jahren nicht besucht und verspürte jetzt eine seltsame Zuneigung zu ihm. Als er als kleiner Junge mit seiner Mutter das erste Mal hierhergekommen war, hatte er darüber gestaunt, dass die Erde und der Sand weiß aussahen und nicht rotbraun wie in Umuaro. Seine Mutter hatte ihm erklärt, das komme daher, dass sich die Okperi jeden Tag wüschen, während die in Umuaro die ganzen vier Wochentage hindurch kein Wasser anrührten. Seine Mutter war streng zu ihm und scheute keine Auseinandersetzung, aber jetzt empfand Akukalia sogar für sie nur nachsichtige Freundlichkeit.

Uduezue brachte seine drei Besucher zum Hause des Otikpo, des Ausrufers von Okperi. Er hielt sich in seinem obi auf und bereitete Saatyams für den Markt vor. Er erhob sich, um die Gäste zu begrüßen. Er sprach Uduezue mit Namen und Titel an und nannte Akukalia ›Sohn unserer Tochter‹. Die Hand schüttelte er nur den beiden, die er nicht kannte. Otikpo war ein sehr hochgewachsener Mann von schlankem Körperbau. Noch immer sah man ihm an, dass er in seiner Jugend ein berühmter Läufer gewesen war.

Aus einem inneren Raum holte er eine zusammengerollte Matte, die er für die Gäste auf die Lehmbank legte. Ein kleines Mädchen kam aus dem Innenhof und rief den Vater.

»Geh fort, Ogbanje«, sagte er. »Siehst du nicht, dass ich Fremde zu Besuch habe?«

»Nweke hat mich gehauen.«

»Er bekommt nachher die Peitsche zu spüren. Geh und sag ihm das.«

»Otikpo, lass uns hinausgehen und miteinander flüstern«, sagte Uduezue.

Sie blieben nicht lange fort. Als sie wieder erschienen, brachte Otikpo eine Kolanuss in einer hölzernen Schale. Akukalia dankte ihm, sagte aber, er und seine Gefährten trügen so schwere Lasten auf ihren Köpfen, dass sie weder essen noch trinken könnten, ehe sie ihre Bürde abgesetzt hätten.

»Wirklich?«, fragte Otikpo. »Kann die Last, von der ihr sprecht, von mir und Uduezue abgeladen werden, oder sind dazu die Ältesten von Okperi nötig?«

»Die Ältesten sind nötig.«

»Dann seid ihr zu einer schlechten Zeit gekommen. Jeder in Igboland weiß, dass die Okperi an ihrem Eke-Tag nichts anderes tun. Ihr hättet gestern kommen sollen oder am Tag davor oder morgen oder am Tag danach. Sohn unserer Tochter, du solltest unsere Gewohnheiten kennen.«

»Eure Gewohnheiten sind nicht anders als die bei anderen Völkern«, sagte Akukalia. »Aber unser Anliegen duldet keinen Aufschub.«

»Wirklich?« Otikpo ging hinaus und erhob seine Stimme; er rief seinen Nachbarn Ebo und kam wieder herein.

»Die Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Was sollen wir jetzt tun? Ich meine, ihr solltet heute in Okperi übernachten und morgen mit den Ältesten sprechen.«

Ebo kam und grüßte alle zusammen. Er war erstaunt, so viele Männer zu sehen, und wusste zuerst nicht, was er davon halten sollte. Dann begann er, allen die Hand zu geben, als er aber zu Akukalia kam, weigerte sich dieser, Ebos Hand zu ergreifen.

»Setz dich, Ebo«, sagte Otikpo. »Akukalia hat eine Botschaft für Okperi, die ihm verbietet, mit uns Kolanuss zu essen und unsere Hand zu schütteln. Er möchte die Ältesten sehen, und ich habe ihm erklärt, dass es heute unmöglich ist.«

»Warum haben sie den heutigen Tag auserwählt, um ihre Botschaft zu überbringen? Gibt es dort, wo sie herkommen, keinen Markt? Wenn das alles ist, wozu du mich gerufen hast, so will ich nach Hause gehen und mich zum Markt fertig machen.«

»Unsere Botschaft duldet keinerlei Aufschub, ich habe es schon gesagt.«

»Ich habe noch von keiner Botschaft gehört, die nicht warten konnte. Oder bringt ihr uns die Nachricht, dass Chukwu, der hohe Gott, den Fuß wegziehen will, mit dem er die Welt hält? Wenn nicht, dann müsst ihr wissen, dass der Eke-Markt von Okperi nicht ausfällt, weil drei Männer eingetroffen sind. Wenn ihr genau hinhorcht, hört ihr schon jetzt seine Stimme, obwohl er noch nicht halbwegs in Gang ist. Wenn er auf dem Höhepunkt ist, vernehmt ihr ihn bis Umuda. Denkt ihr, ein solcher Markt hört auf, um eurer Botschaft zu lauschen?« Er setzte sich, und es entstand eine Pause.

»Du siehst jetzt sicher ein, Sohn unserer Tochter, dass wir unsere Ältesten nicht eher als morgen zusammenrufen können«, sagte Otikpo.

»Wenn plötzlich Krieg über eure Stadt käme, würdet ihr dann alle Männer zusammenrufen, Vater meiner Mutter? Wartet ihr dann bis morgen? Schlagt ihr dann nicht euren ikolo?«

Ebo und Otikpo brachen in Gelächter aus. Die drei Männer von Umuaro wechselten Blicke. Akukalias Miene wurde drohend. Uduezue saß noch so, wie er gesessen hatte, seit sie hereingekommen waren, das Kinn in der linken Hand.

»Verschiedene Völker haben verschiedene Sitten«, sagte Otikpo, als er zu lachen aufhörte. »In Okperi ist es nicht üblich, Fremde auf unserm Markt mit dem ikolo willkommen zu heißen.«

»Sagst du uns damit, Vater meiner Mutter, dass du uns als Marktfrauen betrachtest? Ich habe deine Beleidigungen geduldig ertragen. Ich darf dich daran erinnern, dass mein Name Okeke Akukalia von Umuaro ist.«

»Ooh … von Umuaro«, sagte Ebo, noch beleidigt wegen des verweigerten Handschlags. »Ich bin froh, dass du Umuaro gesagt hast. Der Name dieser Stadt hier ist Okperi.«

»Geh zurück in dein Haus«, schrie Akukalia, »oder ich sorge dafür, dass du Scheiße schluckst!«

»Wenn du brüllen willst wie ein kastrierter Bulle, so musst du warten, bis du wieder in Umuaro bist. Ich sagte dir doch, wir sind hier in Okperi.«

Vielleicht geschah es mit Absicht, vielleicht zufällig. Aber Ebo hatte gerade das eine Wort ausgesprochen, das niemand zu Akukalia sagen durfte, der zeugungsunfähig war und seine zwei Frauen heimlich zu andern Männern schickte, damit sie ihm Kinder gebärten.