Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Ötztaler Stuibenfall ist als größter Wasserfall Tirols seit über 200 Jahren eine beliebte Attraktion im Ötztal. Unzählige Male wurde er aus verschiedenen Perspektiven gemalt, gezeichnet oder fotografiert. Landschaft ist ein wesentliches Element von Heimat. Wie sehr Naturdenkmale Projektionsflächen und Symbolbilder für die Werte und die Entwicklung unserer Gesellschaft sind, wird auch am Beispiel des Stuibenfalls deutlich: Die Nutzung seines Wassers für Elektrizitätszwecke oder auch die touristische Nutzung in Form einer Stahltreppe mit Hängebrücke entlang des Wasserfalls schürte Emotionen und regte Diskussionen und Widerstand in der Bevölkerung. In langjähriger Arbeit hat Walter Falkner akribisch Künstlerisches und Kulturhistorisches zum Stuibenfall und seiner Bedeutung für die Menschen gesammelt und teilt diese Schätze in der nun vorliegenden chronikartigen Betrachtung mit der Leserschaft.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 64
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Der Stuibenfall
Kleine Kulturgeschichte eines Naturdenkmals
Kleine Kulturgeschichteeines Naturdenkmals
Walter Falkner
© 2020 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
E-Mail: [email protected], Internet: www.studienverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7065-6131-0
Herausgeber der Ötztaler Museen Schriften: Ötztaler Museen, MMag. Dr. Edith
Hessenberger, Lehn 23b, 6444 Längenfeld
Herausgeberin des Bandes: MMag. Dr. Edith Hessenberger
Umschlaggestaltung: Benedikt Haid
Umschlagabbildung: Staubbach bei Umhausen, Aquarell von Thomas Ender, 1844, Neue
Galerie des Universalmuseums Joanneum in Graz
Bildrechte Innenteil: Siehe Abbildungsverzeichnis Seite 143
Grafik und Satz: Studienverlag/Maria Strobl · www.gestro.at
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer
Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at
Vorwort
Ein einzigartiges Naturdenkmal
Entstehung
Erwähnungen des Stuibenfalls in der frühen Reiseliteratur
Der Stuibenfall aus der Sicht der Künstler
Touristische Erschließung und Werbung
Gaststätten im Bereich des Stuibenfalls
Erste Fotografien und Correspondenzkarten
Der Stuibenfall als Motiv für Prospekte
Die moderne Nutzung des Stuibenfalls
Plattformen und Beleuchtung
Der neue Stuibenfallweg
Klettersteig
Elektrizitätswirtschaft im Umfeld des Stuibenfalls
Das Kraftwerksprojekt 1938
Das Kraftwerksprojekt 1950
Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz
„Rettet den Stuibenfall“
Hochwasser und Unglücke
Hochwasser 1762 – ein Katastrophenjahr für Niederthai
Hochwasser 1851
Hochwasser 1965
Hochwasser 2005
Aufräumungsarbeiten nach dem Hochwasser
Auf der Suche nach Schuldigen
Unglücke am Bach und beim Stuibenfall
Gesundbrunnen Stuibenfall
Bewässerung
Sagen rund um den Stuibenfall
Veranstaltungsort Stuibenfall
Schlusswort/Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Staubender Stuiben, Fotografie von Ewald Schmid
Der Ötztaler Stuibenfall ist als größter Wasserfall Tirols nicht nur Fixpunkt jedes Ötztal-Besuches. Seit über 200 Jahren ist dieses Naturdenkmal auch Bestandteil nahezu jeder geografischen oder touristischen Beschreibung des Tales und unzählige Male wurde er aus allen Perspektiven gemalt, gezeichnet oder fotografiert.
Die Bedeutung des Stuibenfalles für die Menschen ist unübersehbar, das bestätigt die Tatsache, wie sehr die Nutzung seines Wassers für Elektrizitätszwecke oder auch die touristische Nutzung in Form einer Stahltreppe mit Hängebrücke entlang des Wasserfalls Emotionen und Diskussionen schürte und nicht zuletzt regen Widerstand provozierte.
Landschaft ist ein wesentliches Element von Heimat, Natur kann somit zu einem Teil unserer Identität, und herausragende Naturdenkmäler können ohne Zweifel zu Identifikationspunkten werden. Als solche sind sie folglich auch Projektionsflächen und Symbolbilder für die Werte und die Entwicklung unserer Gesellschaft.
Natur wird auf diese Weise Teil unserer Kultur: Wir betrachten sie vor dem Hintergrund unserer aktuellen Diskurse, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen, die uns bewegen, die uns Sorgen oder Angst machen – oder auf die wir stolz sind. Ob ein Wasserfall als unheildrohend, als majestätisch, als mystisch, als wirtschaftlich gewinnbringend oder als schützenswert betrachtet wird, hängt von der Zeit und der Rolle der betrachtenden Person ab.
Wir haben dem für sich stehenden Buchtitel „Stuibenfall“ daher den Zusatz „Kulturgeschichte eines Naturdenkmals“ hinzugefügt, um eben diese Entwicklung und Subjektivität unserer menschlichen Perspektiven deutlich zu machen. Der Stuibenfall mag für Vieles stehen – kaum je wird er jedoch lediglich als eine von der Schwerkraft angezogene Masse von Wasserstoffoxid-Molekülen wahrgenommen.
In langjähriger Arbeit hat Walter Falkner akribisch Künstlerisches und Kulturhistorisches zum Stuibenfall und seiner Bedeutung für die Menschen zu seinen Füßen gesammelt und teilt es in der nun vorliegenden chronikartigen Betrachtung mit der Leserschaft. Teils aufbauend auf der Sammlung des Oetzer Kunstsammlers Hans Jäger, der 2010 im Turmmuseum eine Kunstausstellung dem Thema „Bergbäche – Wasserfälle – Achstürze“ widmete, holen wir zehn Jahre später den Star der stürzenden Wässer im Ötztal vor den Vorhang und widmen ihm gemeinsam mit dieser Monographie eine Sonder-Ausstellung im Turmmuseum.
Edith Hessenberger,Leiterin der Ötztaler Museen
Ansichtskarte von Adalbert Defner, 1950er Jahre
Der Stuibenfall liegt in der Gemeinde Umhausen im Ötztal und ist mit 150 Metern Fallhöhe der größte Wasserfall Tirols und nach den Krimmler Wasserfällen der zweitgrößte Österreichs. Der Stuibenfall hat seinen Namen vom Dialektwort „stiebn“ bzw. „es stuibet“, das sich vom Schriftwort „stäuben“ ableitet. Die Einheimischen nennen den Wasserfall den „Stuibn“. Während der Sommermonate bildet sich im Umkreis des Wasserfalls durch das herabstürzende Wasser eine helle Staubwolke aus feinsten Wasserbläschen.
Gespeist wird der mächtige Wasserfall vom Wasser des Hairlachbaches, der aus dem gleichnamigen Tal östlich von Niederthai herabfließt. Von der Horlachalm unterhalb der Schweinfurter Hütte bis zur Mündung in die Ötztaler Ache bei Östen hat der Hairlachbach eine Länge von ca. zwölf Kilometern und überwindet einen Höhenunterschied von ca. 1000 Metern. In den Hairlachbach fließen die Bäche aus dem Finstertal, Zwieselbachtal, Larstigtal und Grastal. In den Talabschlüssen der drei letztgenannten Täler befinden sich auch (noch) Gletscher.
Die primäre Ursache zur Entstehung des Stuibenfalls war das Bergsturzereignis von Köfels, das auf ca. 8.700 Jahre vor heute datiert wird. Durch das Abgleiten des Bergsturzes von der westlichen Talflanke des Ötztales entstand der riesige Trümmerhaufen des Tauferbergs, der zwischen Umhausen und Längenfeld im Ötztal liegt. Das Gesamtvolumen des wohl größten kristallinen Bergsturzes in den Alpen wird mit drei Kilometern und mit der Flächenausdehnung von elf Kilometern angegeben. Durch den Felssturz wurde das Ötztal und die ursprüngliche Mündungsschlucht des Hairlachtales, die sich bei den heutigen Brücken in der Maurachschlucht befand, zugeschüttet. Hinter den Bergsturzmassen bildete sich ein weites Becken, in dem der Hairlachbach nach und nach Geschiebe und Sedimente ablagerte und so die ebenen Fluren von Niederthai entstanden. Der Bach grub sich am nördlichen Rand des Bergsturzes ein ca. einen Kilometer langes Abflusstälchen („Stockach“). Ehe der Bach mit wildem Getose in zwei Absätzen über die 150 Meter hohe Felswand in die Tiefe stürzt, hat er im Laufe der Jahrtausende in die Felsbuckel an der Mündungsstufe eine sechs bis sieben Meter tiefe Rinne geschürft. Der Wasserfall beginnt unter einer Naturfelsbrücke. Wie diese entstand, sieht man knapp oberhalb, wo der Bach einen Kolk durchstoßen hat. Am Fuß des Falls schuf der Bach eine enge Schlucht zwischen den Felsen am orografisch rechten Ufer und dem Bergsturz des Tauferbergs.
Kartenausschnitt mit eingezeichnetem Felssturzgebiet von Köfels
Blick auf das Talbecken von Umhausen mit dem Bergsturz des Tauferbergs, der rote Pfeil markiert den Stuibenfall
Felsenbrücke an der obersten Fallkante des Stuibenfalls
Der Stuibenfall bei Umhausen, Chromlithografie von Conrad Grefe, nach der Natur aufgenommen von Professor Th omas Ender, 2. Hälft e des 19. Jahrhunderts
In Dokumenten aus früheren Jahrhunderten wird der Stuibenfall nie erwähnt. Die ersten Namensnennungen tauchen in den Berichten über Mur- und Hochwasserkatastrophen aus den Jahren 1762 und 1851 auf. Selbst Peter Anich hat in seiner genauen Tirolkarte aus dem Jahr 1774 den Stuibenfall nicht eingezeichnet. Die bäuerliche Bevölkerung hat dem Stuibenfall als Naturmonument nur geringe Bedeutung beigemessen.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war das Ötztal mit seinen Orten nur wenig bekannt und wurde wegen seiner Abgeschiedenheit nur vereinzelt von Fremden besucht. Bekannt war das Ötztal nicht wegen seiner Naturschönheiten, sondern wegen der Überschwemmungen und Verwüstungen, die durch die wiederholten Ausbrüche des Vernagtferners angerichtet wurden. Vorwiegend wissenschaftlicher Zwecke halber nahmen die ersten Besucher des Tales große Strapazen auf sich, um die Gegend zu erkunden. Forscher, Maler und Reiseschriftsteller machten sich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf steinigen Pfaden zu Fuß auf den Weg zu den Gletschern und Bergen im hinteren Ötztal, zum romantischen Piburger See und auch zum Stuibenfall. In den ersten Landesbeschreibungen und Reiseberichten aus dieser Zeit widmen die Verfasser dem Stuibenfall besonderes Augenmerk und schwärmen in höchsten Tönen von dem beeindruckenden Naturerlebnis beim Besuch des Wasserfalls.
1837/38 erschien das Buch „Das Land Tirol – ein Handbuch für Reisende“. Der Autor dieser ausführlichen Landesbeschreibung war der Benediktinerpater und Heimatforscher Beda Weber (1798–1858), der mit seiner Beschreibung des Wasserfalls sicherlich die ersten Besucher des Ötztales zu einer Wanderung zum Stuibenfall animierte: